32.

»Es ist mir vollkommen egal, ob so etwas hier in der Gegend schon einmal vorgekommen ist oder nicht! Und es ist mir auch völlig gleich, ob Sie sich irgendeinen Grund dafür denken können oder nicht! Vollkommen, verstehen Sie?! Vollkommen!!! Irgend jemand ist heute nacht hier hergekommen, hat meinen Hund erschlagen und meine Frau zu Tode erschreckt! Und das nennen Sie einen relativ harmlosen Zwischenfall!!«

Stefans Gesicht war beinahe dunkelrot vor Zorn. Hektische rote Flecken glänzten auf seinen Wangen, und seine Stimme zitterte und schien dicht vorm Umkippen zu stehen. Liz hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Seine Hände zitterten, als hätte er das dringende Bedürfnis, irgend etwas zupacken und zu zerdrücken. Alles an Stefan schien in ununterbrochener nervöser Bewegung zu sein, die er nur zum Teil kontrollieren konnte. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er sich im nächsten Moment auf Ohlsberg gestürzt und auf ihn eingeschlagen hätte.

Es war wieder hell: genauer gesagt: kurz vor Mittag, aber das Sonnenlicht dort draußen brachte jetzt keinen Trost mehr, der Schutz des Tages war dahin, seit der vergangenen Nacht. Seit das DING im Haus war.

Liz hob stöhnend den Arm, bedeckte die Augen mit der Hand und bewegte sich unruhig. Ohlsberg sah sie rasch und nervös, aber eher irritiert als schuldbewußt an und drehte sich rasch wieder zu Stefan um, als er ihrem Blick begegnete.

Liz spürte kaum Groll gegen ihn. Er sollte nicht hier sein, und sie war trotz Stefans und Swensens eindringlicher Mahnung heruntergekommen, um ihm genau dies zu sagen, mit Worten, die sie sich sorgfältig zurechtgelegt hatte, aber alles erschien ihr plötzlich so unwichtig und vollkommen sinnlos, jetzt, als sie ihm gegenüberstand - mit Sicherheit eine Wirkung der Spritze, dachte sie matt, die sicherlich auch für ein Pferd gereicht hätte, so wie sie sich fühlte. Morphium. Sicher hatte er ihr Morphium gespritzt oder ein ähnlich starkes Teufels zeug.

Der Arzt war noch während der Nacht gekommen, aber der Polizist, nach dem Stefan sofort telefoniert hatte, hatte sich bisher nicht blicken lassen, und Stefans Laune hatte sich mit jeder Minute weiter verschlechtert, die er gewartet hatte. Er hatte Peter angeschrien und Türen geknallt. Liz hätte beinahe selbst Angst vor ihm bekommen. Dann war Ohlsberg erschienen. Trotz des umnebelten Zustandes, in den die Spritze ihren Geist versetzt hatte, hatte sie das Motorengeräusch seines altersschwachen VW-Kübel-wagens erkannt und war hoch geschreckt. Sie wußte nicht, ob Stefan ihn herbei zitiert hatte oder ob der örtliche Nachrichtendienst einfach schnell genug gearbeitet hatte, ihn von selbst auf den Plan zu rufen - aber wenn, dann mußte er es jetzt schon bitter bereut haben. Während der letzten dreißig Minuten hatte er Stefan König, Erfolgsautor, Stadtflüchtling und anerkannt umgänglicher Mensch, von einer Seite kennengelernt, die die allerwenigsten an ihm vermuteten.

Ohlsberg wand sich wie ein geprügelter Hund, während er darauf wartete, daß Stefan weiter brüllte, was er während der letzten halben Stunde ausdauernd und ausgiebig getan hatte. Selbst Liz, die Ohlsberg jegliche Schlechtigkeit zutraute - von Kindsmord angefangen - und die ihm in den letzten Tagen mehr als einmal die Pest an den Hals gewünscht hatte, konnte sehen, wie unangenehm ihm der Vorfall war. Wie er so dastand und Stefans Wutausbrüche über sich ergehen ließ, tat er ihr beinahe ein bißchen leid.

Aber nur beinahe. Sie war viel zu high, um irgendwelche echten Gefühle zu empfinden.

Es ging nur um einen Hund, aber schließlich war Stefan kein x-beliebiger ostfriesischer Torfkopf, den er mit ein paar nichtssagenden Worten beruhigen konnte. Trotz der kaum verhohlenen Abneigung und Kälte, die ihnen die Menschen hier entgegen brachten, hatten sie Respekt vor Stefan. Er war nicht irgendwer, sondern ein berühmter Mann. Ihn - oder besser noch seine Frau - hinterrücks und heimlich anzugreifen war eine Sache; sich auf eine offene Konfrontation mit ihm einzulassen eine gänzlich andere. Liz bedauerte es ein bißchen, daß sie so benebelt war. Sie hätte den Augenblick, in dem Ohlsberg seine Grenzen kennenlernte, gerne genossen. »Also?« fragte Stefan, als Ohlsberg nicht sofort auf seine Worte reagierte. »Was gedenken Sie zu unternehmen?«

Liz spürte, wie schwer es ihm fiel, seine Stimme so weit unter Kontrolle zu halten, daß er nicht sofort wieder losbrüllte. Er war die halbe Nacht in sinnloser Wut über das Grundstück gelaufen, aber natürlich hatte er nichts gefunden; nicht einmal Spuren. Falls es überhaupt welche gegeben hatte, so hatte er sie mit seinem rastlosen Herum irren gründlich verwischt. Ohlsberg wußte das, hatte es aber wohl vorgezogen, kein Wort darüber zu verlieren, um Stefan nicht noch mehr zu reizen. »Ich kann im Augenblick nicht viel unternehmen, Herr König«, sagte Ohlsberg vorsichtig. Er sprach langsam, als überlege er sich jedes einzelne Wort, bevor er es aussprach. Wahrscheinlich tat er es auch. »Natürlich werde ich weitere Nachforschungen anstellen lassen. Die Polizei wird ein paar Leute in der Umgebung verhören, und ich... werde auch die Ohren offen halten. Aber ich will Ihnen nicht zu viel Hoffnung machen. Fälle wie diese werden selten... aufgeklärt.« Er räusperte sich, sog nervös an seiner Pfeife und suchte nach einem Aschenbecher. Er rauchte hastig, ungewöhnlich hastig für einen Pfeifenraucher, und Liz hatte den Eindruck, daß er es einzig deswegen tat, um seine Hände zu beschäftigen und etwas zu haben, an dem er sich festhalten konnte.

Sie stand auf und brachte ihm einen Aschenbecher. Ohlsberg bedankte sich mit einem neuerlichen irritierten Blick und einem stummen, allerdings rein automatischen Kopfnicken, sah nervös auf die Uhr und begann unruhig auf und ab zu gehen. »Wir müssen natürlich auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß es ein Tier gewesen ist«, sagte er in der umständlichen Art eines Menschen, der diese Art des Redens nicht gewohnt war und vorsichtshalber ein wenig zu dick auf trug. Dafür aber ohne große Überzeugung.

Stefan schnaubte. »Ein Tier, meinen Sie? Was für ein Tier wäre Ihrer Meinung nach fähig, so etwas zu tun? Ein Grizzlybär? Oder vielleicht lieber ein Dinosaurier?« Seine Stimme troff vor Sarkasmus. Liz warf ihm einen warnenden Blick zu, aber er schien es gar nicht zu bemerken.

Ohlsbergs Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. »Bitte, Herr König - ich verstehe ja Ihre Erregung. Aber so kommen wir doch nicht weiter. Und ich bin schließlich kein Polizist, sondern...«

Es war nur ein schwacher Versuch, zum Gegenangriff überzugehen - und ein ziemlich dummer dazu. Ohlsberg schien ungefähr so viel Einfühlungsvermögen zu haben wie ein Vorschlaghammer. Aber wenigstens war er klug genug, sofort abzubrechen, als Stefan mitten im Schritt herumfuhr und ihn an funkelte. »Kein Polizist, so?« brüllte er. »Nein, das sind Sie nicht, Ohlsberg! Sie sind nur jemand, der sich wichtig macht, der sich aufführt, als gehöre ihm die ganze Stadt! Gut!« Er machte eine wütende Bewegung mit beiden Händen. »Vielleicht ist es so. Aber dann sorgen Sie, zum Teufel noch mal, auch dafür, daß eine solche Schweinerei nicht passiert!«

»Bitte, Herr König«, sagte Ohlsberg leise. »So kommen wir doch nicht weiter!« Stefan nickte wütend. »Ganz recht, so kommen wir nicht weiter. Wenigstens in diesem Punkt sind wir uns einig.« Erfuhr herum, ging zum Fenster, sah einen Herzschlag lang hinaus und wandte sich dann wieder an den Alten. »Ich weiß jedenfalls, was ich jetzt tun werde«, sagte er dumpf. »So?« machte Ohlsberg. Dieses eine Wort klang nervöser als alles, was er zuvor gesagt hatte. Wieder warf er Liz einen raschen Blick zu, und diesmal wirkte er fast flehend.

»Ja«, sagte Stefan aufgebracht. »Ich werde noch heute in die Stadt fahren, mir ein Gewehr kaufen und jeden über den Haufen schießen, der unangemeldet einen Fuß auf mein Grundstück setzt. Jeden, verstehen Sie?«

Ohlsberg sah ihn einen Moment nachdenklich an. Natürlich waren Stefans Worte nicht so ernst gemeint, wie sie sich anhörten. Und er wußte es. Er schien irgend etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und wandte sich an Liz. »Vielleicht sollten Sie für ein paar Tage wegfahren«, sagte er. »Nur bis sich alles... etwas beruhigt hat.«

Liz war ein wenig irritiert, daß er den Mut aufbrachte, sie direkt anzusprechen - und zugleich beinahe dankbar für seinen Vorschlag. Aber dann dachte sie an das letzte Mal, als sie von hier weggefahren waren. »Glauben Sie, das ändert noch etwas?« fragte sie. Ihre Stimme war leise und kaum zu verstehen. Sie hatte die Szene nur mit halbherzigem Interesse verfolgt; in der Art, in der man ein Theaterstück oder einen Film verfolgt, wohl wissend, daß einen das Ganze nichts angeht und man sicher ist, ganz egal, was auf der Bühne oder der Leinwand passieren mag. Genau genommen spürte sie überhaupt nichts mehr, was über bloßes körperliches Empfinden hinausging. Wenn sie an die schreckliche Szene der vergangenen Nacht zurückdachte, dann war in ihr nichts als eine große, dumpfe Leere, fast als gäbe es in ihrem Inneren plötzlich eine unsichtbare Mauer zwischen ihrem Bewußtsein und der realen Welt - oder dem, was die reale Welt zu sein schien - durch die nichts, absolut nichts hin durchdringen konnte. Selbst Ohlsbergs Hier sein ließ sie im Grunde kalt.

»Ich möchte hier nicht weg«, sagte sie, nach einer Weile. »Es würde nichts nutzen, wegzulaufen.«

Ohlsberg schien einen Moment ehrlich betroffen. Er hatte mit einer anderen Antwort gerechnet.

»Sie sind sehr mutig« sagte er leise. Irgend etwas, das sie sich nicht erklären konnte, schwang in seiner Stimme mit. Mitleid? Ja - die gleiche, sonderbare Art von Mitleid, die sie schon einmal in seiner Stimme gehört hatte, vor einer Woche, im Dorfkrug. »Aber Mut zum falschen Zeitpunkt kann Dummheit bedeuten«, fügte er hinzu. Stefan lachte humorlos. »Es wäre mir lieber, wenn Sie herausfinden würden, wer hinter diesem Terror steckt, anstatt hier große Worte zu schwingen.« Ohlsberg klopfte seine Pfeife aus, sammelte Tabaksbeutel, Feuerzeug und den altmodischen Pfeifenstopfer ein und verstaute alles in den Taschen seiner zerknautschten schwarzen Arbeitsjacke. »Ich denke, es ist besser, wenn ich Sie jetzt allein lasse«, sagte er nervös. »Ich werde auf dem Rückweg bei ein paar Leuten vorbeischauen. Vielleicht hat irgend jemand etwas gesehen oder gehört.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte Stefan kalt. »Der nächste Nachbar sind Sie! Und der wiederum nächste wohnt in fünf Kilometern Entfernung. Ich wüßte nicht, was er hätte hören oder sehen können.«

Ohlsberg lächelte nervös, hielt Stefans bohrendem Blick eine halbe Sekunde lang stand und scharrte mit den Füßen. Dann erhob er sich, verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kopfnicken von Liz und ging hinaus. Sein Weggehen hatte viel von einer Flucht an sich.

Stefan starrte die geschlossene Tür hinter ihm feindlich an und ballte wütend die Fäuste. Seine Knöchel knackten.

»Nimm es ihm nicht übel«, sagte Liz. »Du darfst keine Wunder von ihm verlangen.« Stefan lachte trocken und vollkommen ohne Humor. »Natürlich nicht«, knurrte er. »Aber immerhin ist er dazu da, uns vor solchen Zwischenfällen zu schützen: Hast du deine Tabletten genommen?«

Liz blinzelte, verwirrt durch den plötzlichen Themenwechsel. Das Röhrchen mit den kleinen roten Pillen lag noch unberührt in ihrem Nachtschrank. Sie hatte sie nicht genommen. Und sie würde sie auch nicht nehmen. Sie wußte, daß Medikamente ihr nicht helfen würden.

»Ja«, sagte sie nach kurzem Zögern. Sie hatte keine Lust, mit Stefan zu streiten. Es klopfte, und Peter betrat das Zimmer, noch bevor Stefan »Herein« rufen konnte. »Herr Ohlsberg... geht«, sagte er stockend. Sein Blick irrte unstet durch den Raum, hierhin und dorthin, krampfhaft darum bemüht, nicht in Liz' Richtung zu blicken. Stefan bedankte sich mit einem stummen Kopfnicken und trat ans Fenster. Er schlug die Vorhänge beiseite und sah mit unbewegtem Gesicht zu, wie Ohlsberg in seinen schrottreifen Kübel wagen stieg und davonfuhr.

»Soll ich ...«, begann Heyning zögernd, brach aber dann ab, als fehle ihm schließlich der Mut, von sich aus das Wort zu ergreifen. »Ja?«

Peter druckste herum. Sein Blick streifte Liz. »Es ist...wegen des Hundes«, sagte er mühsam. »Soll ich ihn...begraben?«

Stefan nickte ungehalten. »Sicher. Schaufeln Sie irgend wohinter dem Haus ein Loch und legen Sie ihn hinein.« Er sah Liz an. »Und du solltest ausnahmsweise einmal auf das hören, was man dir sagt, und dich hinlegen. Du siehst aus wie der Tod persönlich.« Sie schüttelte unwillig den Kopf, stand aber trotzdem auf und ging zur Tür. Er wollte sie nicht hier haben, gut. Vielleicht war es besser, wenn sie ihn allein ließ; wenigstens solange, bis er sich beruhigt hatte. Ein Spaziergang auf dem Hof würde ihr genauso gut tun, als wenn sie sich zwei Stunden hinlegen und doch nicht einschlafen konnte. Stefans aggressiver Ton ihr gegenüber erschien ihr ungerecht, und er verletzte sie, aber sie konnte ihm noch nicht einmal wirklich böse sein. Er war wütend wegen allem, was in den letzten Tagen vorgefallen war, wütend, weil jemand sie - und damit indirekt auch ihn - angegriffen hatte. So wütend, daß nicht einmal sie vor seinem Zorn sicher war, obwohl sie doch eigentlich die Beschützte sein sollte.

»Verdammtes Arschloch«, sagte Stefan aufgebracht. Es dauerte einen Moment, bis Liz begriff, daß er noch immer über Ohlsberg sprach. »Das könnte ihm so passen«, er sprach mit verstellter Stimme weiter, um Ohlsberg zu verhöhnen : »Ein paar Tage von hier weggehen, nur bis sich alle sein wenig beruhigt hat. Ha!« Er funkelte die geschlossene Tür feindselig an, schlug die Faust in die geöffnete Linke und tat so, als spucke er aus. »Mistkerl, widerlicher.«

Liz war... verwirrt. Obwohl Swensens Droge die Welt noch immer rosarot färbte und sie in eine herrliche Leckt-mich-doch-alle-Stimmung versetzte, fiel ihr doch auf, wie falsch Stefans Worte in ihren Ohren klangen. Noch vor Tagesfrist hätte Stefan ihr mit dem, was er sagte - und vor allem der Art, wie er es sagte - aus dem Herzen gesprochen. Aber er hätte es eben nicht gesagt, und das war der feine Unterschied. Liz konnte nicht mehr beschwören, daß alles wirklich so gewesen war, wie sie geglaubt hatte: der Schatten, die Schritte auf der Treppe, das Böse, das von Stefan Besitz ergriffen hatte - aber irgend etwas war mit ihm geschehen in der vergangenen Nacht.

»Wieso bist du so wütend?« fragte sie. »Immerhin ist er hierhergekommen, um ...«

»... ein bißchen herumzuschnüffeln«, fiel ihr Stefan ins Wort. Er fuhr herum, und für einen winzigen Moment sah es aus, als wolle sich sein ganzer aufgestauter Zorn nun auf sie entladen. Aber dann beließ er es nur bei einem ärgerlichen Grunzen, drehte sich auf dem Absatz herum und stampfte zur Bar. Eiswürfel klirrten in seinem Glas, als er einen mindestens vierstöckigen Martini ein kippte. Er leerte das Glas, ohne sich herum zudrehen und in einem einzigen Zug. Und da war irgend etwas, das Liz innerlich... ja, es gab keinen anderen Ausdruck: das sie innerlich zurückprallen ließ. Das Gefühl war zuerst da, dann, nach Sekunden, in denen sie einfach dastand und ihn mit einer Mischung aus Schrecken und scheinbar vollkommen unbegründetem Entsetzen angestarrt hatte, begriff sie auch verstandesmäßig, was es war: seine Art, zu trinken.

Stefan war niemals ein starker Trinker gewesen. Wenn er überhaupt Alkohol zu sich nahm, trank er sehr langsam, mit kleinen vorsichtigen Schlucken. Jetzt... schüttete er den hochprozentigen Schnaps einfach in sich hinein. Er schluckte nicht. Liz hätte bis vor einer Sekunde nicht einmal geglaubt, daß so etwas organisch überhaupt möglich war, aber sie konnte ihn genau beobachten, so wie sie dastand, ein wenig hinter und neben ihm: sein Adamsapfel bewegte sich nicht. Irgendwie schien es ihm einfach gelungen zu sein, seine Speiseröhre zu öffnen und die Flüssigkeit wie durch einen Trichter geradewegs in seinen Magen zu kippen. Was sie sah, erinnerte sie an das Saufen eines Tieres, gierig und schnell und unbeschreiblich widerlich.

Stefan mußte spüren, daß sie ihn anstarrte, denn er fuhr abrupt herum, funkelte sie eine Sekunde lang mit unverhohlenem Zorn an und verzog dann die Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln. Der Martini war an seinem Kinn herabgelaufen und tropfte auf seinen Sweater, ohne daß er auch nur Notiz davon nahm.

»Was ist los?« schnappte er. »Haben wir über Nacht die Rollen getauscht, oder warum verteidigst du diesen alten Widerling plötzlich?«

»Das... das tue ich doch gar nicht«, stotterte Liz, völlig überrascht über den unmotivierten Angriff. »Ich sage nur...«

»Tust du doch«, unterbrach sie Stefan grob. »Verdammt, gestern um diese Zeit hättest du noch applaudiert, wenn ich die Green Barrets gerufen und ganz Schwarzenmoor in Schutt und Asche hätte legen lassen. Und jetzt ergreifst du seine Partei?« Es fiel Liz schwer, zu antworten. Der Mann, der vor ihr stand, schien kaum mehr Ähnlichkeit mit Stefan zu haben;nicht einmal äußerlich. Vielleicht war es kein Traum gewesen, dachte sie entsetzt. Vielleicht war das DING aus der Scheune wirklich ins Haus gekommen, und vielleicht war alles wahr, und Stefan war nicht mehr Stefan, sondern nur noch ein Ding, das aussah wie er. »Ich... ich glaube nur nicht, daß er etwas damit zu tun hat«, sagte sie verstört.

»Womit? Mit Carrys Tod?« Stefan schnaubte, schüttelte heftig den Kopf und beantwortete seine Frage selbst: »Natürlich nicht. Dieser alte Schleim er wird sich wohl kaum mitten in der Nacht auf meinen Hof geschlichen und den Hund erwürgt haben. Aber er macht sich ein bißchen zu wichtig, in letzter Zeit, finde ich.« Er schnaubte. »Aber das macht nichts. Du hattest recht, Liz - es bringt nichts, nur schön zu tun und die Schnauze zu halten. Ich werde diesem Bauernpack zeigen, wo's langgeht.« Er schnaubte, und es hörte sich nicht nur für Liz, sondern wirklich an wie das Grunzen eines großen, wütenden Tieres. »Das war es doch, was du die ganze Zeit wolltest, oder?«

Sein Blick wurde lauernd. Und ganz plötzlich begriff Liz, daß nichts von dem, was er sagte, Zufall war oder einfach so daher geredet. Nein, Stefan wollte auf etwas ganz Bestimmtes hinaus. Er wollte irgendeine ganz bestimmte Reaktion provozieren. Wollte er mit ihr streiten? Aber warum?

»Ich... ich weiß nicht«, murmelte sie, ausweichend. Sie lächelte schwach, griff sich an die Stirn und stöhnte ganz leise. »Ich fühle mich nicht gut, Stefan. Ich... ich weiß überhaupt nichts mehr. Diese Spritze...«

»Dann solltest du dich hinlegen«, sagte Stefan grob. »Geh ins Bett. Dieser Viehdoktor kommt am Nachmittag noch einmal vorbei und schaut nach dir.«

Sie starrte ihn an, unfähig, irgend etwas zu antworten. Vergeblich wartete sie auf ein Lächeln, irgend etwas, was ihr bewies, daß seine Worte nicht so gemeint waren, nichts als ein grober Scherz.

Aber sie waren so gemeint. Jede einzelne Silbe.

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief aus dem Zimmer. Stefan griff nach der Martini-Flasche, als sie die Tür hinter sich zuwarf.

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