DER ZWEITE TEIL DES ERSTEN GEBOTS: DU SOLLST DIR KEIN BILDNIS VON MIR MACHEN.
Es bleibt uns noch eine Geschichte zum zweiten Teil des Ersten Gebots: Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis von mir machen. Dieses Gebot bedeutet einfach nur, man darf keine Statue anfertigen, die Gott darstellen soll. Einfacher geht es nicht, sollte man meinen? Nun, dazu muß man bedenken, daß es ein wichtiges Gebot sein muß, wenn Gott es gleich mit zum ersten machte, jedenfalls Moses zufolge. Aber ich werde jetzt die Geschichte von dem Mann erzählen, der dieses Gebot übertrat. Wurde er dafür bestraft? Hatte er zu leiden? Kam er in die Hölle? Nichts von alledem. Ganz im Gegenteil, eben weil er dieses Gebot übertrat, wurde er reich.
Es ist die Geschichte von einem armen italienischen Holzschnitzer, der auch in Italien lebte. Er hieß Tony, und alle Mädchen im Dorf wollten ihn heiraten. Aber Tony liebte die Tochter des Bürgermeisters. Da gab es aber natürlich ein Problem. Der Bürgermeister war reich und Tony arm. Und der Bürgermeister dachte selbstverständlich nicht daran, seine schöne Tochter so einen armen Schlucker und Nichtsnutz von Holzschnitzer heiraten zu lassen.
Tony war allerdings ein sehr guter Holzschnitzer. Er schnitzte Tiere und Kinder, war aber so gutmütig und freigebig, daß er sie alle statt verkaufte einfach verschenkte, und deswegen hatte er auch kein Geld.
Anna, die Bürgermeistertochter, war nun jedoch ganz wild in Tony verliebt.
„Ich will dich heiraten", sagte Tony zu ihr.
„Ich dich auch, mein Liebling", sagte Anna. „Aber Papa sagt, ich muß einen reichen Mann heiraten."
Tony sagte: „Reich werde ich nie. Ich mache mir nichts aus Geld."
„Aber Papa macht sich nur etwas aus Leuten mit Geld." „Vielleicht könnten wir durchbrennen und heiraten", schlug Tony vor.
„Nein, das würde Papa zu sehr verletzen. Außerdem will er, daß ich den Bankdirektor heirate. Der ist sehr reich." „Liebst du den denn?"
„Natürlich nicht. Du weißt doch, daß ich nur dich liebe."
„So wie ich dich. Was machen wir dann?"
„Kannst du dir denn nichts ausdenken, wie du reich wirst?"
„Ich will doch aber gar nicht reich werden, Anna!"
Da wurde Anna zornig. „Na gut, dann heirate ich eben den Bankdirektor." Aber als sie sah, wie traurig und verletzt Tony daraufhin dreinsah, umarmte sie ihn. „Das habe ich nicht so gemeint, Liebling. Wenn ich dich nicht kriegen kann, heirate ich gar keinen. Ist mir ganz egal, was Papa sagt."
Nun war dies kein Gespräch, das nur einmal stattgefunden hätte. Es fand fast jeden Tag statt. Die beiden Liebenden wollten einander ganz dringend heiraten, aber ohne Papas Zustimmung ging es nicht. Solange Tony kein ansehnliches Vermögen hatte, konnte er auch mit keiner Zustimmung rechnen.
Eines Vormittags kam schließlich der Bankdirektor zu Annas Vater. Er war alt und häßlich, aber reich.
Annas Vater begrüßte ihn herzlich. Er mochte reiche Männer.
„Wie geht es Ihnen?" fragte er.
„Sehr gut, danke. Und Ihnen?"
„Sie sehen mich sehr glücklich", sagte Annas Vater. „Ich bin wohlhabend, habe eine gute Frau und eine schöne Tochter."
„Genau darüber möchte ich mit Ihnen sprechen", sagte der Bankdirektor. „Über Ihre Tochter. Ich habe sie beobachtet, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie ist zu einer schönen Frau herangewachsen."
Annas Vater nickte. „Ja, ich bin auch sehr stolz auf Sie." „Ich bin extra gekommen", sagte der Bankdirektor, „um bei Ihnen um ihre Hand anzuhalten."
Annas Vater war überrascht. Er wußte, daß Anna den Bankdirektor nicht mochte. Er war alt und häßlich und gemein. Aber das Ausschlaggebende war eben, daß er reich war. Doch er wußte auch, daß Anna glaubte, in diesen jungen Holzschnitzer verliebt zu sein, der aber zu arm war, um sie zu heiraten. „Ich fühle mich sehr geehrt", sagte Annas Vater, „und ich weiß, daß sich auch Anna sehr geehrt fühlen wird, Sie zu heiraten."
Der Bankdirektor lächelte. „Das hört man gern." „Sie erwartet, daß Sie sehr großzügig zu ihr sind." „Aber selbstverständlich. Sie wird ein schönes Zuhause haben und ein Automobil und Dienstpersonal, das ihr alle Arbeit abnimmt und sich um sie kümmert."
Annas Vater lächelte. „Das klingt gut. Ich rede mit Anna und arrangiere alles."
Die beiden Männer gaben sich die Hand darauf.
Als Anna am Nachmittag nach Hause kam, sagte ihr Vater:.
„Setz dich, mein Kind. Ich habe freudige Nachricht für dich."
Anna runzelte die Stirn. Neuigkeiten, die ihren Vater freuten, waren für sie meistens wenig erfreulich.
„Worum geht es, Vater?"
„Ich habe mit dem Herrn Bankdirektor gesprochen. Er will dich heiraten."
Anna sprang auf. „lieber sterbe ich!" rief sie. „Nie heirate ich ihn, nie. Ich werde keinen anderen als Tony heiraten!" Aber ihr Vater sagte: „Du tust, was man dir sagt, basta. Du heiratest den Bankdirektor."
Anna kam weinend zu Tony gelaufen. „Was ist los?" fragte Tony.
„Papa hat mir soeben mitgeteilt, daß ich jetzt den Bankdirektor heiraten muß. Wir sind heute verlobt worden."
Tony brach schier das Herz. Er wußte, daß Anna mit ihrem Vater nicht debattieren konnte, denn in jenen Tagen war es in diesem kleinen italienischen Dorf immer noch üblich, daß die Eltern die Heirat ihrer Kinder festlegten. Diese hatten bei der Auswahl ihrer Ehepartner nichts mitzureden.
Deshalb war Tony klar, daß er damit die einzige, die er je liebte und lieben würde, verlor.
„Wann soll die Hochzeit sein?" fragte er.
„In einem Vierteljahr, Papa wollte es sogar noch eher, aber ich habe darauf bestanden, daß es drei Monate sein sollen, weil ich hoffte, daß du vielleicht bis dahin noch etwas unternehmen kannst, was Papas Sinn ändert."
„Was könnte ich denn machen?" sagte Tony. „Ich bin nur ein armer Holzschnitzer."
Er hielt Anna in den Armen. „Ich gehe fort von hier", sagte er. „Warum?"
„Weil ich es nicht aushalten könnte, hier zu leben und dich ständig als die, Frau eines anderen zu sehen. Ich werde irgendwohin weit weg von hier gehen und versuchen, dich zu vergessen."
Aber in seinem Herzen wußte er, daß er sie nie vergessen können würde.
Am nächsten Morgen packte Tony seine Sachen und verließ sein Dorf. Er reiste nach New York. Weil er nur sehr wenig Geld hatte, fuhr er auf einem Frachtschiff, einem schmutzigen alten Kasten, der drei Wochen brauchte, bis er in New York ankam.
Das Meer war rauh und stürmisch, und alle wurden seekrank. Bis auf Tony, der viel zu intensiv damit beschäftigt war, an Anna zu denken. Sie ging ihm nicht aus dem Sinn. Der Gedanke, daß sie diesen alten, fetten Bankdirektor heiratete, machte ihn unsagbar traurig.
Andererseits, dachte er, was hätte ich ihr auch schon bieten können? Ich habe kein Geld, um ihr irgend etwas zu kaufen. Ich kann ihr kein schönes Heim schaffen. Sie hat schon recht, wenn sie diesen Bankdirektor heiratet.
Als er in New York ankam, war er sehr überrascht darüber, wie groß diese Stadt war. Er war überhaupt noch nie in einer großen Stadt gewesen. Die Straßen waren voller Autos und Busse und Millionen herumhastender Menschen, und dann wurde ihm außerdem schnell klar, daß er ein Problem hatte. Er sprach kein einziges Wort Englisch. Er lief in den Straßen herum, ohne zu wissen, wohin und ohne mit irgend jemandem reden zu können.
Ein klein wenig Geld hatte er noch in der Tasche, und er war hungrig. Als er an einem Restaurant vorbeikam, ging er hinein und setzte sich an einen Tisch.
Eine Bedienung kam und fragte: „Was soll es denn sein?" Tony starrte sie an. Er hatte keine Ahnung, was sie gesagt hatte. Sie wiederholte es. „Möchten Sie etwas bestellen?"
Tony war verlegen. Er stand auf und eilte hastig aus dem Restaurant davon.
Er lief weiter durch die Straßen, kam an einem weiteren Restaurant vorbei und ging wieder hinein. Diesmal kam ein Kellner.
„Guten Tag. Wir haben schöne Spezialitäten heute.
Leber mit Zwiebeln oder Schmorbraten oder Hackbraten. Der Hackbraten ist unsere Hausspezialität. Kann ich sehr empfehlen."
Tony starrte ihn ebenso wortlos an, weil er auch hier kein einziges Wort verstand, und entfernte sich wiederum eiligst. Aber inzwischen war sein Hunger schon sehr groß. Was mache ich nur? fragte er sich. Ich habe zwar noch etwas Geld in der Tasche, aber ich werde verhungern.
Doch dann war er gerettet. Er kam zu einer Cafeteria. Das ist eine Gaststätte, wo man an einer Theke bestellen kann, was man will.
Er hatte einen Einfall. Er folgte einem Mann hinein und hielt sich immer eng hinter ihm. Der Mann ging an die Theke und sagte: „Apfelkuchen und Kaffee."
Tony hörte aufmerksam zu und beobachtete, wie die Bedienung hinter der Theke dem Mann ein Stück köstlich aussehenden Apfelkuchen und eine Tasse heißen Kaffee auf sein Tablett stellte. Der Mann ging weg.
Die Bedienung wandte sich an Tony.
Tony lächelte und sagte: „Apfe-kuche unde Kaffee."
„Ist gut."
Und sie reichte ihm ein Stück Apfelkuchen und eine Tasse Kaffee.
Tony rannte direkt zum nächsten Tisch und verschlang alles. Es schmeckte herrlich.
Dann ging er erneut an die Theke und sagte zu der Bedienung wieder: „Apfe- kuche unde Kaffee!"
Sie gab ihm noch einmal Apfelkuchen und Kaffee, und er aß und fühlte sich schon sehr viel besser.
Am Abend fand er auch ein Unterkommen. Es war zwar in einer armen Gegend der Stadt, aber er wollte sein Geld aufsparen, bis er Arbeit gefunden hatte.
Am nächsten Morgen wachte er hungrig auf. Er erinnerte sich daran, wie er es gestern gemacht hatte und eilte zu derselben Cafeteria zurück.
Er ging zur Theke und sagte: „Apfe-kuche unde Kaffee!"
Die Frau hinter der Theke gab ihm ein Stück Apfelkuchen und Kaffee.
Tony verzehrte es. Die folgenden Tage, als er in New York herumlief und Arbeit suchte, ging er stets in diese eine Cafeteria. Schließlich aber wurde es ihm doch zu eintönig, immer nur dasselbe zu essen und es kam ihm eine andere Idee. Als er das nächste Mal in der Cafeteria war, folgte er diesmal einer Frau und hielt sich hinter ihr. Sie sagte, als sie an der Reihe war: „Ein Schinkensandwich."
Tony sah zu, wie die Frau ihr köstlich aussehendes Sandwich bekam.
Er trat zu der Bedienung vor und sagte mit seinem schweren Akzent: „Schin-ge-san-wisch"
Aber dann fragte die Bedienung: „Weiß oder Roggen?"
Tony starrte sie verständnislos an und wiederholte nur: „Schin-ge-san-wisch."
„Weiß oder Roggen?"
Tony schluckte. „Schin-ge-san-wisch."
Jetzt wurde die Frau ungehalten. „WEISS ODER ROGGEN?"
Da zuckte Tony hilflos mit den Schultern und sagte:
„Apfekuche unde Kaffee."
Am nächsten Tag fand er Arbeit bei einem italienischen Spielzeugmacher. Endlich hatte er wenigstens jemanden gefunden, der seine Sprache verstand. Der Lohn war kärglich, aber das machte Tony nichts aus. Er wollte gar nicht mehr, als was er für sich selbst zum Leben unbedingt brauchte, und um genug zu sparen, daß er Anna ein Hochzeitsgeschenk kaufen könnte.
Den ganzen Tag schnitzte er Spielsachen, und die Kinder liebten sie. Sie kamen in die Werkstatt und sahen ihm zu. Weil er so freigebig war, versuchte er seine Spielsachen sogar zu verschenken, aber der Meister sagte: „Sei doch kein Narr. Wir können viel Geld mit diesen Sachen verdienen. Willst du denn kein Geld verdienen?"
Tony mußte ihm die Wahrheit sagen. „Nein", sagte er, „eigentlich nicht. Und weil ich das nicht will, habe ich auch die einzige, die ich je liebte, verloren."
Er konnte sich Anna lebhaft vorstellen, wie sie mit dem großen, fetten Bankdirektor verheiratet war. Sie würden eine Menge großer, fetter Kinder haben, und Anna würde lange vor der Zeit alt.
Anna braucht Liebe, dachte er. Und ich bin der einzige, der sie ihr geben kann.
Aber er wußte natürlich auch, daß es hoffnungslos war. Ihr Vater bestand nun einmal darauf, daß sie einen reichen Mann heiratete.
Die nächsten Monate verbreitete sich die Kunde von Tony über ganz New York. Die Sachen, die er schnitzte, waren so gut und schön, daß er damit berühmt zu werden begann. „Ich mache dich zu meinem Geschäftspartner", sagte der Meister zu ihm.
Tony aber schüttelte den Kopf. „Ich will kein Geschäftspartner sein. Ich will nur weiter meine Spielsachen schnitzen." Er hatte inzwischen Affen aus Holz geschnitzt und Pferde und Elefanten und Zebras und Giraffen, und sie waren alle so lebensecht, daß die Leute, die sie kauften, fast glaubten, sie laufen zu sehen. Und die Kinder waren ganz weg davon. Jeden Morgen sah Tony auf den Kalender und strich den Tag ab. Das zeigte ihm, daß Annas Hochzeit mit dem Bankdirektor immer näher rückte.
Schließlich waren es nur noch drei Wochen hin.
Er begann von Anna zu träumen, und es passierte etwas sehr Seltsames. In seinen Träumen schienen sie einander zu treffen.
„Tony, mein Liebling", sagte dann Anna, „ich will den Bankmenschen nicht heiraten. Du mußt etwas tun, bevor es zu spät ist."
„Was kann ich schon tun?" fragte er.
Und Anna sagte: „Ich weiß es auch nicht. Viel Geld machen, vielleicht, damit mich Papa dich heiraten läßt." Und in Tonys Träumen gingen sie Hand in Hand am Flußufer entlang und machten ein Picknick. Es war wunderschön, wieder mit Anna zusammen zu sein. Aber er wußte auch, in drei Wochen war es selbst mit den Träumen zu Ende. Dann war sie mit einem anderen verheiratet.
Und dann ereignete sich eine Art Wunder. Zwei Wochen vor Annas Hochzeit hatte er noch einmal einen Traum. Er träumte, daß er das Gesicht Gottes sah. Es stand ihm so deutlich vor Augen, daß er sich noch nach dem Aufwachen an jede Einzelheit erinnern konnte. Die ganze Zeit hatte er überlegt, was er Anna als Hochzeitsgeschenk schicken könnte. Jetzt wußte er es.
„Das ist es!" rief er aus. „Ich schnitze eine Statue von Gott und schicke sie ihr!"
Daß er damit ein Gebot übertrat, davon hatte er überhaupt keine Ahnung. Aber weil er Anna nun einmal so sehr liebte, wäre es ihm auch egal gewesen, wenn er es gewußt hätte. Er fing die Gottesfigur also zu schnitzen an und arbeitete fieberhaft Tag und Nacht daran, damit sie auch wirklich noch rechtzeitig zur Hochzeit fertig wurde.
Tag für Tag wurde sie deutlicher und genauer und immer schöner. Es wurde eine der schönsten Figuren, die je gemacht wurden, weil Tony sie aus seiner großen Liebe für Anna schuf und die Figur deshalb voll von dieser seiner Liebe war. Als sie fertig war, betrachtete Tony sie und wußte, daß sie ein Meisterwerk war.
Heute nachmittag gebe ich sie an Anna auf, beschloß er.
Er war völlig erschöpft, weil er so intensiv an der Figur gearbeitet hatte.
Er sagte zu seinem Meister: „Ich gehe nach Hause und schlafe ein bißchen."
Fünf Minuten, nachdem er gegangen war, kam ein Mann in die Werkstätte, der von Tonys Arbeiten gehört hatte. „Arbeitet bei Ihnen ein gewisser Tony?" erkundigte er sich. „Ja."
„Könnte ich den mal sprechen?" „Er ist gerade nicht da."
„Na gut, dann komme ich später noch einmal..." In diesem Augenblick brach der Mann, als er einen Blick in den Nebenraum warf, verwundert mitten im Satz ab. Er sah die Gottesfigur, ging hin und betrachtete sie eingehend.
„Das ist ja unglaublich!" sagte er. „Das ist die wundervollste Figur, die ich je gesehen habe."
Er wandte sich an den Meister. „Ich bin der Kurator des Metropolitan Museum. Ich kaufe diese Figur."
Der Meister schüttelte den Kopf. „Soviel ich weiß, ist sie nicht verkäuflich", sagte er. „Sie soll ein Geschenk für jemanden sein."
„Ich muß sie haben", sagte der Kurator. „Sie ist einfach perfekt für das Museum. Ich bezahle eine Million Dollar dafür." Der Meister riß die Augen auf. „Eine Million?" „Richtig."
Der Meister dachte nach. Er hatte zwar kein Recht, die Figur zu verkaufen, aber er kannte die Geschichte von Tony und Anna. Wenn Tony eine Million Dollar besaß, konnte er auch seine geliebte Anna heiraten.
„Also gut, abgemacht", sagte er.
„Sehr schön."
Sie gaben sich die Hand.
„Ich komme gleich heute mit dem Scheck und hole die Figur ab."
Der Meister dachte darüber nach, was er da getan hatte. Es war schon sehr eigenmächtig von ihm, aber er wußte auch, daß er das Richtige getan hatte. Er sorgte schon dafür, daß Tony seine Anna doch noch heiraten konnte.
Als der Mann vom Museum am Nachmittag wiederkam, hatte er den Scheck über eine Million Dollar bei sich. Er war mit zwei Männern gekommen, die ihm die Figur in ein Transportauto verladen halfen.
„Tony", sagte er, „darf sehr stolz darauf sein. Diese Figur macht ihn berühmt."
Als Tony am Nachmittag in die Werkstätte zurückkam, war das erste, was er bemerkte, daß die Figur nicht mehr da war. Er geriet in Panik.
„Wo ist die Figur?" fragte er. „Was ist mit ihr passiert?" „Ich habe sie verkauft", sagte der Meister. „Was haben Sie? Das können Sie doch nicht machen! Das ist das Hochzeitsgeschenk für Anna!"
Der Meister sagte kopfschüttelnd. „Nein, ist es nicht. Du hast ein viel besseres Hochzeitsgeschenk für Anna." „Wieso, was?"
„Dich selber!" sagte der Meister. Und er reichte Tony ein Flugticket nach Italien. „Dies ist mein Geschenk für dich. Du fliegst heute noch heim und heiratest Anna." „Sie sind verrückt", sagte Tony. „Ich bin doch nicht reich." „Bist du eben doch", sagte der Meister.
Und er gab Tony den Scheck über eine Million Dollar. „Du bist jetzt Millionär!"
Tony stand der Mund ungläubig offen. „Das ist ja wundervoll", stammelte er dann und umarmte den Meister. „Ich danke Ihnen. Ich werde Ihnen das nie vergessen!" Jetzt konnten er und Anna heiraten und viele Kinder haben, die alle schön werden würden.
Am selben Abend flog Tony mit dem Flugzeug nach Rom. Nach seiner Ankunft dort am nächsten Morgen nahm er den nächsten Zug zu seinem kleinen Heimatdorf. Und dort ging er direkt zu Annas Haus.
„Was machst du denn hier?" fuhr ihn Annas Vater an. „Ich dachte, du bist fortgegangen." „Ich bin zurückgekommen."
„Da hast du dir eine schlechte Zeit ausgesucht, Tony. Heute heiratet meine Tochter."
„Weiß ich", sagte Tony. „Nämlich, sie heiratet mich." Annas Vater lachte auf. „Du kleiner Verrückter. Du weißt doch ganz genau, daß ich sie niemals einen armen Schlucker heiraten lasse."
„Ich bin nicht mehr arm", sagte Tony. „Ich bin jetzt reich. Reicher als der Bankdirektor."
Und er zeigte Annas Vater seinen Scheck.
Dem fielen fast die Augen heraus. „Was denn, da bist du ja Millionär? Das ist also wahr, was sie immer über Amerika erzählen! Wer dorthin geht, wird Millionär."
„Jeder nicht gerade", sagte Tony. „Und jetzt will ich Ihre Tochter sehen."
„Aber natürlich!" Annas Vater war auf einmal sehr höflich und freundlich zu Tony. „Ich lasse sie sofort holen!"
Als Anna Tony sah, flog sie in seine Arme. Sie hatte bereits ihr wunderschönes weißes Hochzeitskleid an.
„O Liebling! Papa hat mir gesagt, was geschehen ist. Ich bin so stolz auf dich!"
„Und jetzt heiraten wir", sagte Tony. „Komm."
Sie wurden zur Kirche gefahren, und der dortige Pfarrer traute sie. Er hatte keinen blassen Schimmer davon, daß diese Hochzeit nur zustandegekommen war, weil der Bräutigam den zweiten Teil des Ersten Gebots übertreten hatte.
Und Tony und Anna lebten glücklich bis an ihr seliges Ende.