4. KAPITEL

DAS VIERTE GEBOT:

DU SOLLST VATER UND MUTTER EHREN/AUF DASS ES DIR WOHLERGEHE UND DU LANGE LEBEST AUF ERDEN.

Edward war Waise. Als er ein neugeborenes Baby in Philadelphia war, warf ihn seine Mutter in die Mülltonne, damit er dort starb. Zum Glück aber fand ihn, ein Polizist, der ihn weinen hörte, holte ihn heraus und brachte ihn eilends in ein Krankenhaus, wo man ihn gerade noch rettete. Niemand wußte, wo seine Mutter oder wer sein Vater war. Den einzigen Hinweis gab die Decke, in die er eingewickelt gewesen war und auf der der Name EDWARD BIXBY geschrieben stand. Die Polizei versuchte, die Eltern zu finden, um sie wegen versuchten Mordes zu belangen, aber ohne Erfolg.

Edward wurde also in ein Waisenhaus gesteckt, wo er aufwuchs. Doch es war ein sehr hartes Leben. Nie gab es genug zu essen, und die anderen Waisenkinder in dem Heim waren gemein und niederträchtig zu ihm. Ab und zu kam ein Priester und sprach mit ihnen. Und er brachte ihnen die Zwölf Gebote bei. Als das vierte an der Reihe war, verwirrte dies Edward einigermaßen. Wie sollte er Vater und Mutter ehren, wenn er keine blasse Ahnung hatte, wer und wo sie waren?

Als er siebzehn Jahre alt war, ließ ihn die Waisenhausdirektorin in ihr Büro kommen. „Edward", sagte sie, „morgen ist dein siebzehnter Geburtstag." „Ja, Frau Direktor."

„In unserem Waisenhaus gilt die Regel, daß Kinder über siebzehn nicht mehr bei uns bleiben können. Wir müssen dich also jetzt in die Welt hinausschicken."

Nun hatten die meisten Kinder Angst vor diesem Tag, an dem sie in die Welt hinausgeschickt wurden, von der sie überhaupt nichts wußten und kannten. Aber nicht so Edward. Im Gegenteil, er war sehr aufgeregt und gespannt. Der Grund dafür war, daß er sich seinen lebenslangen Traum erfüllen konnte: nach seinen Eltern zu suchen und sie zu finden. „Du warst ein guter und anständiger Junge, Edward. Wir sind stolz auf dich und werden dich hier vermissen." „Sie werden mir auch fehlen", log Edward. Denn in Wirklichkeit konnte er es kaum erwarten, daß er endlich fort durfte.

Am nächsten Tag verabschiedete Edward sich von allen und machte sich auf, seine Eltern zu suchen. Aber er wußte schon, daß es nicht leicht sein würde. Zuerst suchte er den Priester auf.

„Ich möchte ja meinen Vater und meine Mutter ehren", sagte er, „aber das kann ich nicht, weil ich nicht weiß, wer und wo sie sind. Können Sie mir da helfen?"

Der Priester dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Das wird sehr schwierig sein, Edward", sagte er. „Niemand hat sie je gesehen."

„Hat sie denn nicht jemand gesehen, wie sie mich zum Waisenhaus gebracht haben?" fragte Edward. Der Priester beschloß, Edward sei alt genug, um die Wahrheit zu erfahren.

„Sie haben dich nicht ins Waisenhaus gebracht. Sie haben dich in eine Mülltonne geworfen. Dort hat dich ein Polizist gefunden und ins Krankenhaus gebracht." Edward starrte ihn an. „In eine Mülltonne? Sie haben mich in eine Mülltonne geworfen und wollten mich dort sterben lassen?"

„So war es wohl, ja." Edward war völlig schockiert.

„Sicher war das nur, weil sie keine Möglichkeit hatten, dich zu behalten", versuchte ihn der Priester zu trösten. „Vermutlich waren sie sehr arm."

Aha, also sehr arm waren sie. Zumindest wußte Edward schon mal dies über sie.

„Man hat mir gesagt, mein Name war in meine Decke eingenäht. Edward Bixby."

„Ja, das stimmt. Die Polizei hat lange gesucht, um deine Eltern zu finden, aber vergeblich."

„Ich finde sie", erklärte Edward entschlossen:"Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Aber ich finde sie."

Er begann mit seiner Suche. Als erstes schaute er im Telefonbuch nach, ob es darin Leute mit dem Namen Bixby gab. Es standen ein halbes Dutzend Bixby darin. Der erste Bixby war ein Arzt.

Ich wette, dachte Edward, das ist mein Vater. Er war wahrscheinlich damals sehr arm und hatte kein Geld, um mich zu behalten. Aber jetzt wird er sich freuen, mich zu sehen.

Er ging in die Praxis des Arztes. „Ich möchte zu Dr. Bixby." „Haben Sie einen Termin?"

„Nein", sagte Edward, „aber er wird sich freuen, mich zu sehen. Sagen Sie ihm, sein Sohn ist da."

Die Arzthelferin starrte ihn an. „Sein Sohn?"

„Ja", sagte Edward.

„Augenblick."

Die Arzthelferin verschwand im Sprechzimmer.

Im nächsten Augenblick kam der Doktor heraus. Er war sehr groß und sah gut aus, aber er war ein Farbiger.

Edward stand da wie angewurzelt. „Sie wollten zu mir?" fragte der Arzt.

Edward schluckte. „Äh nein, Sir, ich. " ich glaube doch nicht. Auf Wiedersehen." Er flüchtete.

Der nächste Bixby auf seiner Liste wohnte in einem Haus am Stadtrand. Es war ein schönes Haus, und Edward merkte, wie sein Herz schneller zu klopfen begann. Der Besitzer eines solchen Hauses mußte reich sein.

Das müssen meine Eltern sein, dachte er. Sie waren arm, als ich auf die Welt kam, aber jetzt haben sie Geld, und wahrscheinlich haben sie schon nach mir gesucht. Er klingelte an der Haustür. Ein Hausmädchen in Personalkleidung öffnete. „Ja, bitte?"

„Ja ...", sagte Edward, „... ich bin hier, um meine Mutter zu besuchen."

Das Hausmädchen starrte ihn an. „Ihre Mutter?" „

Ja. Mrs. Bixby. Ich bin Edward Bixby."

„Sind Sie sicher, daß Sie an der richtigen Adresse sind?" fragte das Hausmädchen unsicher.

„Ganz sicher", sagte Edward.

Er wußte tief im Herzen, daß er hier richtig war.

„Augenblick", sagte das Hausmädchen, „ich hole Mrs. Bixby."

Edward wartete aufgeregt. Endlich würde er seiner Mutter von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.

Kurz danach erschien eine junge Frau. Sie mochte an die fünfundzwanzig sein.

„Sie wollten mich sprechen?" fragte sie.

„Nein, Madame, ich möchte Mrs. Bixby sprechen."

„Ich bin Mrs. Bixby."

Edward starrte sie verständnislos an. „Das kann nicht sein. Ich meine Sie sind zu jung, um meine Mutter zu sein!"

„Das würde ich auch annehmen", sagte die Frau. „Sie meinen, Sie wissen nicht, wer Ihre Mutter ist?"

„Nein", sagte Edward, „aber ich finde sie schon."

Er suchte auch alle anderen Bixby-Adressen aus dem Telefonbuch auf, aber er hatte kein Glück. Entweder waren sie zu jung oder zu alt oder hatten die falsche Hautfarbe. Aber veranlaßte dies Edward, aufzugeben? Absolut nicht! Im Gegenteil, er war nun noch entschlossener denn je, seine Eltern zu finden, damit er sie ehren konnte.

Er begann im ganzen Land herumzureisen und in allen möglichen Städten nachzuforschen. Überall schaute er ins Telefonbuch und suchte den Namen Bixby. In Florida hatte Edward schließlich Glück. Dort stand im Telefonbuch der Name Edward Bixby. Sein Herz begann heftig zu klopfen. Wahrscheinlich hatte ihm sein Vater seinen eigenen Namen gegeben.

Er begab sich zu der Adresse, die im Telefonbuch stand. Es war ein riesiges Haus auf einem großen Grundstück. Edward klingelte. Die Tür ging auf, und ein Butler sagte: „Ja, bitte?"

„Tag", sagte Edward."Ich möchte zu Mr. Bixby."

„Treten Sie näher", sagte der Butler.

Edward trat in die riesige Eingangshalle.

Gleich darauf erschien ein grauhaariger und elegant aussehender Mann.

„Guten Tag", sagte er, „was kann ich für Sie tun, junger Mann?"

„Ich suche nach meinen Eltern", sagte Edward.

Der Mann musterte ihn kurz. „Kommen Sie mit, wir gehen in die Bibliothek."

Dort setzten sie sich, und Edward erzählte Mr. Bixby seine Geschichte. Als er fertig war, sagte der alte Mann: „Ja, ich hatte einen Sohn namens Edward, aber der kam bei einem Flugzeugabsturz um. Seitdem bin ich allein." Er beugte sich zu Edward vor und sagte: „Du gefällst mir, Junge. Ich habe keinerlei Angehörige mehr. Möchtest du vielleicht den Platz meines Sohnes einnehmen ?"

Edward dachte darüber nach. Es bedeutete, daß er hier in diesem schönen Haus leben könnte und viel Geld hätte. Aber es war nicht das, was er eigentlich wollte. Er wollte seine richtigen Eltern finden.

„Vielen Dank", sagte er. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich muß meine Suche fortsetzen."

Mr. Bixby nickte. „Das verstehe ich. Viel Glück."

In Washington fand Edward im Telefonbuch einen General Bixby. Er suchte ihn in seinem Büro auf.

Eine Sekretärin im Vorzimmer fragte: „Kann ich Ihnen helfen?"

„Ja. Ich möchte zu meinem Vater."

Die Sekretärin schien nicht weiter überrascht zu sein. „Kleinen Moment, bitte."

Sie sagte in die Sprechanlage: „Ihr Sohn ist hier, Herr General, und möchte Sie sprechen."

Die Stimme des Generals dröhnte: „Soll reinkommen!" Edward ging hinein. Hinter dem Schreibtisch saß ein grauhaariger Mann mit einem Schnurrbart. „Wer sind Sie?" fragte er. „Edward Bixby."

„Guten Tag, mein Sohn. Willkommen."

Also habe ich ihn nun doch endlich gefunden, dachte Edward. Sein Herz klopfte wild. „Guten Tag, Vater. Danke." „Setz dich."

Edward setzte sich in den Sessel vor dem Schreibtisch. „So, also lernen wir uns nun endlich kennen." „Ja, Sir."

„Und wie geht es deiner Mutter?" erkundigte sich der General. „Meiner Mutter? Ich ... ich weiß nichts von ihr, gar nichts." „War sie diese Französin? Oder die Italienerin?" „Ich verstehe nicht", sagte Edward.

„Als ich im Krieg und danach in Europa war", sagte der General, „war ich in vielen Ländern stationiert, und da kannte ich viele Frauen. Es gibt vermutlich Kinder von mir in Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Rumänien und Ungarn. Es ist ganz einfach, herauszufinden, wer deine Mutter war. Welche von diesen Sprachen sprichst du?" Edward starrte ihn an. „Gar keine."

„Was denn? Du bist in keinem von diesen Ländern aufgewachsen?"

„Nein", sagte Edward.

„Dann bist du auch nicht mein Sohn", stellte der General kühl fest. „Sondern ein Hochstapler. Scher dich hinaus!" Edward war am Boden zerstört, aber er blieb eisern entschlossen, seinen Vater und seine Mutter zu finden, damit er sie ehren konnte.

Eines Abends vergaß er, wie deprimiert er war, und ging ins Kino. Im Vorspann des Films tauchte ein Name „Alan Bixby" auf. Edward war sofort wieder elektrisiert. Der Schauspieler, den er dann sah, glich ihm fast aufs Haar. Er hatte das gleiche Kinn, die gleiche Nase und den gleichen Mund wie er. Das ist mein Vater, dachte er. Endlich habe ich ihn gefunden. Gleich am nächsten Morgen reiste er nach Hollywood, fand heraus, bei welcher Filmgesellschaft Alan Bixby arbeitete und ging dorthin.

Aber der Pförtner wollte ihn nicht hineinlassen. „Mr. Bixby empfängt keine Besuche", sagte er.

„Mich schon", erklärte Edward. „Er ist mein Vater." Da wurde der Pförtner sofort freundlich. „Das tut mir leid, das ist natürlich etwas anderes", sagte er. „Ich sage ihm Bescheid, Augenblick."

Gleich danach wurde Edward zu Alan Bixbys Garderobe geführt. Bixby war gerade dabei, sich zu schminken. Er hatte einen purpurroten Seidenmorgenrock an. „Mein lieber Junge", sagte er, „was kann ich für dich tun?" In natura klang seine Stimme sehr viel schriller und höher als auf der Kinoleinwand.

„Ich glaube, ich bin dein Sohn", sagte Edward.

Der Schauspieler musterte ihn kurz und sagte dann: „Wie nett. Das kann gut sein."

Edward war begeistert. „Überall, Vater, habe ich nach dir gesucht."

Der Schauspieler sagte munter: „Wie schön. Und jetzt hast du mich gefunden."

„Ja."

Alan Bixby sah auf die Uhr. „Ich muß in ein paar Minuten die nächste Szene drehen, aber du kannst es dir ja inzwischen bequem machen. Sobald ich fertig bin heute nachmittag, nehme ich dich mit zu mir nach Hause. Gefällt dir das?" „O ja, natürlich!" sagte Edward glücklich. „Wir werden uns prächtig amüsieren miteinander", versprach ihm Alan Bixby.

Die Tür ging auf, und ein junger Mann kam herein. Er hatte Lidschatten auf den Augen und küßte Alan Bixby auf den Mund.

„Tag, Liebling."

„Du bist spät dran", beklagte sich Alan Bixby. „Du schlimmer, schlimmer Junge!"

Edward traute seinen Augen nicht. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, daß Alan Bixby ganz bestimmt noch nie ein Kind gezeugt hatte.

Der Schauspieler wandte sich an ihn. „Also, ich muß jetzt los, aber warte hier, bis ich wiederkomme."

Doch als Alan Bixby wiederkam, war Edward längst fort.

Zum erstenmal begann Edward das Gefühl zu haben, daß er wohl doch niemals an sein Ziel gelangen werde. Jetzt war er schon kreuz und quer durchs Land gezogen, aber er hatte keine Spur von seinem Vater und seiner Mutter gefunden.

Und dann kam ihm doch unerwartet das Schicksal zu Hilfe.

Er saß in einer Gaststätte beim Essen, als er am Nebentisch Stimmen hörte. Er wandte sich um und sah hin. An dem Tisch saß ein halbes Dutzend Männer. Sie wirkten wie rauhe Gesellen und redeten ungeniert und laut.

Einer sagte: „Dann haben sie mich eingebuchtet, aber sie konnten mir nichts nachweisen. Bixby hat schon recht gehabt, das Ding war bombensicher."

Als Edward den Namen Bixby hörte, riß es ihn, und er beugte sich weit vor, um besser zu hören.

„Die Beute von dem Ding muß uns eine coole halbe Million gebracht haben. Und die Bankleute haben gar nicht recht mitgekriegt, wie ihnen geschah."

Edward lauschte angestrengt, aber der Name Bixby fiel nicht mehr.

Als die Männer fertiggegessen hatten und sich zum Gehen anschickten, eilte Edward an ihren Tisch. „Entschuldigung", sagte er zu dem Mann, der die meiste Zeit geredet hatte, „könnte ich Sie wohl einen Augenblick sprechen?"

Der Mann war groß und sah gefährlich aus. „Nein", sagte er und ging.

„Warten Sie doch", rief Edward verzweifelt. „Sie haben den Namen Bixby erwähnt." Der Mann fixierte ihn. „Und?" „Ich heiße auch Bixby", sagte Edward. „Das kann schon sein."

„Ich suche meinen Vater, wissen Sie", sagte Edward drängend. „Ich dachte mir, daß der Mann, von dem Sie gesprochen haben, vielleicht mein Vater ist."

„Zweipistolen-Bixby dein Vater? Junge, du hast sie nicht alle." „Ich weiß ja, daß es weit hergeholt scheint", räumte Edward ein, „aber sehen Sie, es war so, meine Mutter und mein Vater ließen mich vor achtzehn Jahren im Waisenhaus." (Er wollte nicht gleich zugeben, daß sie ihn in eine Mülltonne geworfen hatten.)

Der große Kerl musterte ihn eindringlich. „Vor achtzehn Jahren?" Er wandte sich an seine Kumpane. „War das nicht vor achtzehn Jahren, als Zweipistolen und Molly einen Bankert hatten?"

„Ja", sagte einer. „Den haben sie dann irgendwo liegen lassen." Der Große sah Edward nun mit anderen Augen an. „Und woher weißt du, daß du Bixby heißt?" fragte er. „Weil man mich in eine Decke eingewickelt fand, in der dieser Name stand."

„O Gott", sagte der Große, „ich glaube fast, wir haben tatsächlich den Bankert von Zweipistole vor uns." „Sind meine Mutter und mein Vater noch am Leben?" fragte Edward eifrig.

„Ja, sind sie. Wenn ich mir dich so anschaue, könnte es glatt sein, daß du von deinem Vater die Nase und von deiner Mutter die Augen hast."

Edward konnte sein Glück nicht fassen. Da hatte er am Ende doch noch seine Eltern gefunden! Und konnte sie nun ehren. „Könnten Sie mich wohl zu ihnen bringen?" fragte er. Der Große zögerte. „Ich weiß nicht recht", sagte er. „Vielleicht zeige ich dir besser erst mal ein Foto von ihnen." Edward nickte eifrig. „O ja, bitte."

Der Große wandte sich an die anderen. „Geht schon mal voraus. Ich komme später. Und sorgt dafür, daß der Wächter erst ausgeschaltet ist, bevor ihr reingeht." Edward war nicht so ganz klar, wovon da die Rede war. Der Große wandte sich wieder ihm zu. „Na los, komm." Zu Edwards Überraschung führte ihn der Mann in ein Postamt. „Arbeitet mein Vater denn bei der Post?" fragte Edward. Da lachte der Große. „Nein."

Er führte ihn zu einer Wand, an der Steckbriefe hingen. Dazwischen war auch einer von einem Mann und einer Frau. Und darunter stand ein Text.

Edward „Zweipistole" Bixby und Molly Bixby, gesucht in sieben Staaten wegen Mordes und in zehn Staaten wegen Raubüberfällen auf Postämter. 250000 Dollar Belohnung.

Edward stand wie angewurzelt vor dem Plakat.

„Das sind deine Mutter und dein Vater", sagte der Große.

„Willst du sie jetzt immer noch sehen?"

Edward schluckte nervös. „Aber natürlich."

„Na gut, meinetwegen, dann bringe ich dich jetzt zu ihrem Versteck."

Das Versteck war eine Hütte in den Bergen. Als der Große mit Edward ankam, machte ein Mann die Tür auf, dessen Foto Edward in dem Postamt gesehen hatte. Er hielt eine Pistole in der Hand.

„Wen zum Teufel schleppst du denn da an?" sagte er zu dem Großen.

„Deinen Sohn, glaube ich."

„Meinen was?" Zweipistole starrte Edward verwundert an.

„Wie heißt du?"

„Edward."

„Wie alt bist du?"

„Achtzehn."

„Vor langer Zeit habe ich mal gesehen, daß die Bullen dich gefunden und in ein Waisenhaus gebracht haben. Stimmt das?" „Ja, ganz genau. Dieses Jahr bin ich dort ausgeschieden." „Da kriegst du doch die Tür nicht zu", sagte Zweipistole und klopfte Edward auf die Schulter. „Na, dann willkommen, Sohn. Komm rein."

Aus einem anderen Raum kam Molly. Sie war fett und häßlich, und ihre Haare waren schmutzig und zerzaust. Und betrunken war sie obendrein.

„Wer ist'n das?" wollte sie wissen.

„Unser Bankert", sagte Edwards Vater.

Das Wiedersehen war nicht unbedingt so, wie Edward es sich die ganze Zeit über vorgestellt hatte, aber immerhin hatte er seine wirklichen Eltern gefunden, und er wußte, ganz gleich, wer und wie sie waren, daß sie ihn damals ausgesetzt hatten, weil sie dazu gezwungen waren. Wahrscheinlich waren sie auf der Flucht vor der Polizei gewesen und in Gefahr und wollten nicht, daß ihrem Kind etwas passierte. Indem sie ihn verließen, brachten sie sicher ein großes Opfer. Also war Edward bereit, sie zu lieben und zu ehren, wie es die Bibel verlangte. „Ich kann mir denken, wie schwer es für euch gewesen sein muß", sagte er zu ihnen, „mich auszusetzen. Es muß ein großes Opfer für euch gewesen sein, mich aufzugeben und -" „Was war es?" platzte seine Mutter lachend heraus. „Ein Opfer? Dir geht's wohl nicht gut, was? Junge, ein Unfall warst du, sonst nichts. Ich wollte dich von Anfang an nicht haben. Und deshalb habe ich dich gleich nach der Geburt in die nächste Mülltonne abgeladen. Was willst du hier? Kommst hier angetanzt und fällst uns auf den Wecker!" „Wahrscheinlich will er Geld", sagte Zweipistole. „Nein, nein", sagte Edward, „ich habe euch nur überall gesucht, weil ich meine Mutter und meinen Vater kennenlernen wollte."

„Na gut, jetzt hast du sie kennengelernt", sagte seine Mutter. „Und jetzt kannst du wieder abzischen. Und laß uns in Zukunft in Ruhe."

Zweipistole wandte sich an den Großen. „Schaff ihn weg." Edwards gesamte Welt brach zusammen. Jetzt hatte er endlich, endlich seine Eltern ausfindig gemacht und versuchte das vierte Gebot zu befolgen, und was hatte er davon? Gar nichts. Nun ja, nicht so ganz. Denn nachdem er die Hütte verlassen hatte, ging er zurück zu dem Postamt und sagte den Leuten, wo Zweipistole und Molly sich versteckt hielten. Und kassierte die Viertelmillion Belohnung dafür. Damit ging er nach Frankreich und führte dort fortan das schönste Leben.

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