Athalarich
"Wo wär' die sel'ge Insel wohl zu finden?"
(Schiller, Wilhelm Tell)
Nicht ohne Grund fürchtete und hoffte Freund und Feind in diesem Augenblick schwere Gefahren für das junge Gotenreich. Noch waren es nicht vierzig Jahre, daß Theoderich im Auftrag des Kaisers von Byzanz mit seinem Volk den Isonzo überschritten und dem tapferen Abenteurer Odoaker, den ein Aufstand der germanischen Söldner auf den Thron des Abendlandes erhoben, Krone und Leben entrissen hatte. Alle Weisheit und Größe des Königs hatte nicht die Unsicherheit beseitigen können, die in der Natur seiner mehr kühnen als besonnenen Schöpfung lag. Trotz der Milde seiner Regierung fühlten die Italier - und wir wollen uns hüten, solche Gesinnung zu verdammen - aufs tiefste die Schmach der Fremdherrschaft. Und diese Fremden waren als Barbaren und Ketzer doppelt verhaßt. Nach der Auffassung jener Zeit galten das weströmische und das oströmische Reich als eine unteilbare Einheit und, nachdem die Kaiserwürde im Okzident erloschen, erschien der oströmische Kaiser als der einzige rechtmäßige Herr des Abendlandes. Nach Byzanz also waren die Augen aller römischen Patrioten, aller rechtgläubigen Katholiken von Italien gerichtet: von Byzanz erhofften sie Befreiung aus dem Joche der Ketzer, der Barbaren, Tyrannen. Und Byzanz hatte Macht und Neigung, diese Hoffnung zu erfüllen. Waren auch die Untertanen des Imperators nicht mehr die Römer Cäsars oder Trajans: noch gebot das Ostreich über eine sehr ansehnliche, den Goten durch alle Mittel der Bildung und eines lang bestehenden Staatswesens unendlich überlegene Macht.
An der Lust aber, diese Überlegenheit zur Vernichtung des Barbarenreiches zu gebrauchen, konnte es nicht fehlen, da das Verhältnis beider Staaten von vornherein auf Überlistung, Mißtrauen und geheimen Haß gegründet war. Vor ihrem Abzug nach Italien hatte die Goten, in den Donauländern angesiedelt, an Byzanz ein für beide Teile unerfreuliches Bundesverhältnis geknüpft, das infolge des Ehrgeizes ihrer Könige, mehr noch der Treulosigkeit der Kaiser, fast alle paar Jahre in offenen Krieg zwischen den ungleichartigen Verbündeten umschlug: wiederholt hatte Theoderich, obwohl in Zeiten der Aussöhnung mit den höchsten Ehren des Reiches, mit den Titeln Konsul, Patricius, Adoptivsohn des Kaisers ausgezeichnet, seine Waffen bis vor die Tore der Kaiserstadt getragen.
Um diesen steten Reibungen ein Ende zu machen, hatte Kaiser Zeno, ein feiner Diplomat, das echt byzantinische Auskunftsmittel getroffen, den lästigen Gotenkönig mit seinem Volk dadurch aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen, daß er ihm als ein Danaergeschenk Italien übertrug, das erst dem eisernen Arm des Helden Odoaker entrissen werden mußte.
In der Tat, wie immer der Kampf zwischen den beiden deutschen Fürsten enden mochte: Byzanz mußte immer gewinnen. Siegte Odoaker, so waren die Goten und ihr furchtbarer König, denen man schöne Provinzen und schwere Jahrgelder hatte überlassen müssen, für immer beseitigt. Siegte Theoderich, nun, so war ein Anmaßer, den man zu Byzanz niemals anerkannt hatte, gestürzt, gestraft. Und da Theoderich im Namen und Auftrag des Kaisers siegen und als Statthalter herrschen sollte, durch eine ruhmvolle Eroberung das Abendland wieder mit dem Ostreich vereinigt.
Aber der Ausgang des feinen Planes war doch nicht der erwünschte. Denn als Theoderich gesiegt und sein Reich in Italien gegründet hatte, entfaltete sich alsbald die ganze Großartigkeit seines Geistes und erwarb ihm eine Stellung, in der, bei aller Höflichkeit in den Formen, doch jede Abhängigkeit von Byzanz völlig verschwand.
Nur wo es ihm diente, so, um die Abneigung der Italier zu schwächen, berief er sich formell auf jenen Auftrag des Kaisers: in Wahrheit aber herrschte er auch über die Italier wie über seine Goten nicht als Statthalter und im Namen des Byzantiners, sondern kraft eignen Rechts, kraft seines Sieges, als «König der Goten und Italier». Dies führte natürlich zu Mißhelligkeiten mit dem Kaiser, die wiederholt im offenen Krieg zwischen den beiden Reichen aufloderten. Es war also kein Zweifel, daß man zu Byzanz sehr bereit war, dem Seufzen Italiens nach Abwerfung des Barbarenjoches ein Ende zu bringen, sowie man sich stark genug fühlte. Und die Goten hatten keine Bundesgenossen gegen diese innern und äußern Feinde. Denn Theoderichs Ruhm und Ansehen und seine Politik der Verschwägerung mit allen Germanenfürsten hatten ihm doch nur eine Art moralischen Protektorats, keine sichere Verstärkung seiner Macht verschaffen können.
Es fehlte dem Gotenreich, das eine geniale Persönlichkeit allzu verwege n und vertrausam mitten in das Herz der römischen Bildungswelt gepflanzt hatte, der unmittelbare Zusammenhang mit noch nicht romanisierten Volkskräften, es fehlte der Nachschub an frischen germanischen Elementen, der das gleichzeitig entstehende Reich der Franken immer wieder verjüngt und wenigstens dessen nordöstlichen Teil vor der mit der Romanisierung verbundenen Fäulnis bewahrt hätte, während die kleine gotische Insel, auf allen Seiten von den feindlichen Wellen des römischen Lebens umspült und benagt, diesen gegenüber von Jahr zu Jahr zusammenschmolz.
Solange Theoderich, der gewaltige Schöpfer dieses gewagten Werkes, lebte, blendete der Glanz seines Namens über die Gefahren und Blößen seiner Schöpfung.
Aber mit Recht zitterte man vor dem Augenblick, da das Steuer dieses gefährdeten Schiffes in die Hand eines Weibes oder eines kranken Jünglings übergehen sollte: Aufstände der Italier, Einmischung des Kaisers, Abfall der Unterworfenen, Angriffe der feindlichen Barbarenstämme waren zu besorgen. Wenn der gefährliche Augenblick gleichwohl ruhig vorüberging, so war dies vor allem der unermüdlich eifrigen und vorsorglichen Tätigkeit zu danken, die Cassiodor, des Königs Freund und lang bewährter Minister, schon seit Wochen entfaltet hatte und jetzt, nach dem Tode Theoderichs, verdoppelte. Um die Italier in Ruhe zu erhalten, ward sofort ein Manifest erlassen, das die Thronbesteigung Athalarichs, unter Vormundschaft seiner Mutter, als eine bereits vollendete und in aller Ruhe vollzogene Tatsache Italien und den Provinzen verkündete. Sofort auch wurden in alle Teile des Reiches Beamte entsendet, die den Huldigungseid der Bevölkerung entgegennehmen, aber auch im Namen des jungen Königs eidlich geloben sollten, daß die neue Regierung alle Rechte und Freiheiten der Italier und Provinzialen achten und in allen Stücken die Milde, ja Vorliebe des großen Toten für seine römischen Untertanen zum Muster nehmen werde.
Gleichzeitig wurde aber auch dafür gesorgt, daß eine Furcht gebietende Entfaltung der gotischen Heeresmacht an den Grenzen und in den wichtigsten oder unruhigsten Städten des Reiches äußeren und inneren Gegnern die Lust zu Feindseligkeiten vertreibe, während mit dem Kaiserhof das gute Vernehmen durch Gesandschaften und Briefe sehr verbindlicher Haltung befestigt oder erneuert wurde.
Neben Cassiodor war es nun aber vor allem ein Mann, der in jenen Tagen des Übergangs eine bedeutende und, wie es der Regentschaft schien, hochverdienstliche Rolle spielte.
Das war kein anderer als Cethegus.
Er hatte das wichtige Amt eines Stadtpräfekten von Rom übernommen. Er war, sowie der König die Augen geschlossen, spornstreichs aus dem Palast und den Toren von Ravenna nach der ihm anvertrauten Tiberstadt geeilt und dort vor aller Kunde des Geschehenen eingetroffen.
Sofort, noch eh' der Tag angebrochen, hatte er die Senatoren in dem «Senatus», d. h. dem geschlossenen Hallenbau Domitians nahe dem Janus Geminus, rechtsab vom Severusbogen, versammelt, darauf das Gebäude mit gotischen Truppen umstellt, die überraschten Senatoren - von denen er gar manchen erst neuerlich in den Katakomben gesehen und zur Vertreibung der Barbaren angefeuert hatte - von dem bereits vollzognen Thronwechsel benachrichtigt und (nicht ohne einige auf die von dem Saal aus deutlich sichtbaren Speere der Gotentausendschaft gelinde hinweisende Worte) mit einer keinen Widerspruch duldenden Raschheit für Athalarich in Eid und Pflicht genommen.
Dann verließ er den «Senatus», wo er die Väter eingeschlossen hielt, bis er in dem slawischen Amphitheater, wohin er eine Volksversammlung der Römer berufen, diese unter Beiziehung der starken gotischen Besatzung abgehalten und die leicht beweglichen «Quinten» durch eine meisterhafte Rede für den jungen König begeistert hatte. Er zählte die Wohltaten Theoderichs auf, verhieß gleiche Milde von dessen Enkel, der übrigens bereits von ganz Italien, den Provinzen und den Vätern dieser Stadt anerkannt sei, meldete eine allgemeine Speisung des römischen Volkes mit Brot und Wein als den ersten Regierungsakt Amalaswinthens an und schloß mit der Verkündung siebentägiger Zirkusspiele - Wettfahrten mit einundzwanzig spanischen Viergespannen, mit welchen er selbst die Thronbesteigung Athalarichs und den Antritt seiner Präfektur feiern werde.
Da erhob tausendstimmiges Jubelgeschrei die Namen der Regentin und ihres Sohnes, aber noch lauter den Namen Cethegus, das Volk verlief sich in heller Freude, die eingesperrten Senatoren wurden nunmehr entlassen und die ewige Stadt war für die Goten erhalten. Der Präfekt aber eilte nach seinem Hause am Fuß des Kapitols, schloß sich ein und schrieb eifrig seinen Bericht an die Regentin.
Jedoch ungestüm pochte es alsbald an der ehernen Vortür des Hauses. Es war Lucius Licinius, der junge Römer, den wir in den Katakomben kennengelernt: er schlug mit dem Schwertknauf gegen die Pforte, daß das Haus dröhnte. Ihm folgten Scävola, der Jurist - er war unter den eingesperrten gewesen , mit schwer gefurchter Stirn, und Silverius, der Priester, mit zweifelnder Miene.
Vorsichtig lugte der Ostiarius an der Türe durch eine verborgene Luke in der Mauer und ließ, als er Licinius erkannte, die Männer ein. Heftig stürmte der Jüngling den andern voraus den ihm wohlbekannten Weg durch das Vestibulum, das Atrium und dessen Säulengang in das Studierzimmer des Cethegus. Dieser, als er die hastig nahenden Schritte vernahm, erhob sich von dem Lectus, auf dem hingestreckt er schrieb, und verschloß seine Briefe in einer Capsula mit silberner Kuppel. «Ah, die Vaterlandsbefreier!» sagte er lächelnd und trat ihnen entgegen.
«Schändlicher Verräter!» schrie ihn Licinius an, die Hand am Schwert; der Zorn ließ ihn nicht weitersprechen, er zückte halb das breite Eisen aus der Scheide.
«Halt, erst laß ihn sich verteidigen, wenn er kann», keuchte, dem Stürmischen in den Arm fallend, Scävola, der jetzt nachgekommen war. «Es ist unmöglich, daß er abgefallen von der Sache der heiligen Kirche», sprach Silverius im Eintreten.
«Unmöglich?» lachte Licinius, «wie? Seid ihr toll oder bin ich's? Hat er nicht uns, die Ritter, in ihren Häusern festhalten lassen? Hat er nicht die Tore gesperrt und den Pöbel für den Barbaren vereidigt?» - «Hat er nicht», sprach Cethegus fortfahrend, «die edeln Väter der Stadt, dreihundert an der Zahl, in der Kurie wie soviel Mäuse in der Mausfalle gefangen, dreihundert hochadlige Mäuse?» - «Er höhnt uns noch! Wollt ihr das dulden?» rief Licinius. Und Scävola erbleichte vor Zorn. «Nun, und was hättet ihr getan, wenn man euch hätte handeln lassen?» fragte der Präfekt ruhig, die Arme auf der breiten Brust kreuzend. «Was wir getan hätten?» antwortete Licinius, «was wir - was du mit uns hundertmal verabredet! Sobald die Nachricht von dem Tod des Tyrannen eintraf, hätten wir die Goten in der Stadt erschlagen, die Republik ausgerufen und zwei Konsuln ernannt -» - «Namens Licinius und Scävola, das ist die Hauptsache. Nun, und dann? Was dann?» - «Was dann? Die Freiheit hätte gesiegt!»
«Die Torheit hätte gesiegt!» herrschte Cethegus losbrechend den Erschrockenen an. «Wie gut, daß man euch die Hände band: ihr hättet alle Hoffnung erwürgt, auf immer. Seht her und dankt mir auf den Knien!» Er nahm Urkunden aus einer andern Papyruskapsel und gab sie den Erstaunten. «Da, lest. Der Feind war gewarnt und hatte seine Schlinge meisterhaft um den Nacken Roms geschürzt. Wenn ich nicht handelte, so stand in diesem Augenblick Graf Witichis mit zehntausend Goten vor dem salarischen Tor im Norden, morgen sperrte der junge Totila mit der Flotte von Neapel im Süden die Tibermündung, und gegen das Grabmal Hadrians und das aurelische Tor war Herzog Thulun mit zwanzigtausend Mann von Westen her im Anzug. Hättet ihr heute früh einem Goten ein Haar gekrümmt, was wäre geschehen?»
Silverius atmete auf. Die beiden andern schwiegen beschämt. Doch faßte sich Licinius: «Wir hätten den Barbaren getrotzt hinter unsern Mauern», sprach er, mutig das schöne Haupt aufwerfend. - «Ja. So wie ich diese Mauern herstellen werde -eine Ewigkeit, mein Licinius, wie sie jetzt sind - nicht einen Tag.» - «So wären wir gestorben als freie Bürger», sprach Scävola. «Das hättet ihr vor drei Stunden in der Kurie auch gekonnt», lachte Cethegus achselzuckend. Silverius trat mit offenen Armen, wie um ihn zu küssen, auf ihn zu; vornehm entzog sich Cethegus: «Du hast uns alle, du hast Kirche und Vaterland gerettet! Ich habe nie an dir gezweifelt!» sprach der Priester. Da ergriff Licinius die Hand des Präfekten, die dieser ihm willig ließ:
«Ich habe an dir gezweifelt», rief er mit schöner Offenheit, «vergib, du großer Römer. Dies Schwert, das dich heute durchbohren sollte, dir ist es fortan für ewig zu Dienst. Und bricht der Tag der Freiheit an, dann keine Konsuln, dann salve, Diktator Cethegus!» Und mit leuchtenden Augen eilte er hinaus. Der Präfekt warf ihm einen befriedigten Blick nach. «Diktator, ja, doch nur bis zur vollen Sicherheit der Republik!» sprach der Jurist und folgte ihm. «Jawohl», lächelte Cethegus, «dann wecken wir Camillus und Brutus wieder auf und führen die Republik da fort, wo sie diese vor tausend Jahren gelassen. Nicht wahr, Silverius?» - «Präfekt von Rom», sprach der Priester, «du weißt, ich hatte den Ehrgeiz, die Sache des Vaterlandes wie der Heiligen zu leiten: ich hab' ihn nicht mehr seit dieser Stunde. Dein sei die Führung, ich folge. Gelobe nur das eine: Freiheit der römischen Kirche - freie Papstwahl.» -«Jawohl», sagte Cethegus, «sowie nur erst Silverius Papst geworden. Es gilt.» - Der Priester schied mit einem Lächeln auf den Lippen, aber schwere Gedanken im Herzen. «Geht», sagte Cethegus nach einer Pause, den dreien nachblickend, «ihr werdet keinen Tyrannen stürzen: ihr braucht einen Tyrannen!»
Dieser Tag, diese Stunde wurden entscheidend für Cethegus: fast ohne seinen Willen ward er durch die Ereignisse fortgetrieben zu neuen Stimmungen und Anschauungen, zu Zielen, die er sich bisher nie mit solcher Klarheit vorgesteckt, oder doch nie als mehr denn Träume, die er sich als Ziele eingestanden hatte.
Er erkannte sich in diesem Augenblick als alleinigen Herrn der Lage: er hatte die beiden großen Parteien der Zeit, die Gotenregierung und ihre Feinde, die Verschworenen, völlig in seiner Hand. Und in der Brust dieses gewaltigen Mannes wurde die Haupttriebfeder, die er seit Jahrzehnten für gelähmt erachtet, plötzlich wieder in mächtigste Tätigkeit gesetzt: der unbegrenzte Drang, ja das Bedürfnis, zu herrschen, machte sich mit einem Male alle Kräfte dieses reichen Lebens dienstbar und trieb sie an zu heftiger Bewegung.
Cornelius Cethegus Cäsarius war der Abkömmling eines alten und unermeßlich reichen Geschlechts, dessen Ahnherr den Glanz seines Hauses als Feldherr und Staatsmann Cäsars in den Bürgerkriegen gegründet: man sagte, er sei ein Sohn des großen Diktators gewesen. Unser Cethegus hatte von der Natur die vielseitigsten Anlagen und die gewaltigsten Leidenschaften und durch seine gewaltigen Reichtümer die Mittel erhalten, jene aufs großartigste zu entfalten, diese aufs großartigste zu befriedigen. Er empfing die sorgfältigste Bildung, die damals einem jungen Adligen Roms gegeben werden konnte.
Er übte sich bei den ersten Lehrern in den schönen Künsten. Er trieb zu Berytus, zu Alexandrien, zu Athen in den besten Schulen mit glänzenden Erfolgen das Studium des Rechts, der Geschichte, der Philosophie.
Aber all das befriedigte ihn nicht. Er fühlte den Hauch des Verfalls in aller Kunst und Wissenschaft seiner Zeit. Die Philosophie insbesondere vermochte nur die letzten Reste des Glaubens in ihm zu zerstören, ohne ihm irgendwelche Befriedigung in positiven Ergebnissen zu gewähren. Als er von seinen Studien zurückkam, führte ihn sein Vater nach der Sitte der Zeit in den Staatsdienst ein: rasch stieg der glänzend Begabte von Amt zu Amt.
Aber plötzlich sprang er aus.
Nachdem er die Staatsgeschäfte zur Genüge kennengelernt, mochte er nicht länger ein Rad in der großen Maschine des Reiches sein, das die Freiheit ausschloß und obendrein dem Barbarenkönig diente. Da starb sein Vater, und Cethegus warf sich, nun Herr seiner selbst und eines ungeheuren Vermögens geworden, mit der Gewalt, mit welcher er alles verfolgte, in die wildesten Strudel des Lebens, des Genusses, der Lüste. Mit Rom war er bald fertig: da machte er große Reisen nach Byzanz, nach Ägypten, bis nach Indien drang er vor. Da war kein Luxus, kein unschuldiger und kein schuldiger Genuß, den er nicht schlürfte. Nur ein stählerner Körper konnte die Anstrengungen, die Entbehrungen, die Abenteuer, die Ausschweifungen dieser Fahrten ertragen.
Nach zwölf Jahren kehrte er zurück nach Rom.
Es hieß, er werde großartige Bauten aufführen; man freute sich, das üppigste Leben in seinen Häusern und Villen beginnen zu sehen, man täuschte sich sehr.
Cethegus baute sich nur das kleine Haus am Fuß des Kapitols, bequem und von feinstem Geschmack, und lebte mitten in dem volkreichen Rom wie ein Einsiedler.
Er gab unvermutet eine Schilderung seiner Reisen heraus, eine Charakterisierung der wenig bekannten Völker und Länder, die er besucht. Das Buch hatte unerhörten Erfolg; Cassiodor und Boethius warben um seine Freundschaft, der große König wollte ihn an seinen Hof ziehen. Aber plötzlich war er aus Rom verschwunden. Das Ereignis, das ihn in jenen Tagen betroffen haben mußte, blieb allen Nachforschungen der Neugier, der Teilnahme, der Schadenfreude verborgen.
Man erzählte sich damals, arme Fischer hätten ihn eines Morgens am Ufer des Tibers vor den Toren der Stadt, bewußtlos und dem Tode nah, gefunden.
Wenige Wochen später tauchte er wieder an der Nordostgrenze des Reiches in den unwirtlichen Donauländern auf, wo der blutige Krieg mit Gepiden, mit Awaren und Sclavenen raste. Dort schlug er sich mit todverachtender Tapferkeit mit diesen wilden Barbaren herum, verfolgte sie mit erlesenen, von ihm besoldeten Scharen freiwillig in alle Schlupfwinkel ihrer Felsen, schlief alle Nächte auf der gefrorenen Erde. Und als der gotische Feldherr ihm eine kleine Schar zu einem Streifzug anvertraute, griff er statt dessen Sirmium an, die feste Hauptstadt der Feinde, und eroberte sie mit nicht geringerer Feldherrnkunst als Tapferkeit. Nach dem Friedensschluß machte er abermals Reisen nach Gallien und Spanien und Byzanz, kehrte von da nach Rom zurück und lebte dort jahrelang in einer verbitterten Muße und Zurückgezogenheit, alle kriegerischen, bürgerlichen, wissenschaftlichen Ämter und Ehren ausschlagend, die ihm Cassiodor aufdringen wollte. Er schien für nichts mehr Interesse zu haben als für seine Studien, Vor einigen Jahren brachte er von einer Reise nach Gallien einen schönen Jüngling oder Knaben mit, welchem er Rom und Italien zeigte und väterliche Liebe und Sorgfalt erwies. Es hieß, er wolle ihn adoptieren: solange dieser sein junger Gast um ihn war, trat er aus seiner Einsamkeit heraus, lud die adlige Jugend Roms zu glänzenden Festen in seine Villen und war bei den Gegeneinladungen. die er alle annahm, der liebenswürdigste Gesellschafter. Aber sowie er den jungen Julius Montanus mit einem stattlichen Gefolge von Pädagogen, Freigelassenen und Sklaven nach Alexandrien in die gelehrten Schulen entsendet hatte, brach er plötzlich wieder alle Verbindungen ab und zog sich in seine undurchdringliche Abgeschlossenheit zurück, grollend, wie es schien, mit Gott und der ganzen Welt. Mit schwerer Mühe gelang es dem Priester Silverius und Rusticianen, ihn aus seiner ablehnenden Ruhe heraus und zur Teilnahme an der Katakombenverschwörung fortzuziehen. Er wurde, wie er ihnen sagte, Patriot aus eitel Langweile. Und in der Tat, bis zu dem Tod des Königs hatte er das Unternehmen, dessen Leitung doch in seiner und des Diakons Hand lag, fast mit Abneigung betrieben.
Dies wurde jetzt anders. Der tiefste Zug seines Wesens, der Drang, in allen möglichen Gebieten des Geistes sich zu versuchen, die Schwierigkeiten zu überwinden, alle Nebenbuhler zu überflügeln, in jedem Lebenskreise, den er betrat, zu herrschen, allein und ohne Widerstand und, sobald er den Siegeskranz genommen, ihn gleichgültig wegzuwerfen und nach neuen Aufgaben auszuschauen, hatte ihn bisher bei keinem Ziele volle Befriedigung finden lassen. Kunst, Wissenschaft, Genuß, Amtsehre, Kriegsruhm: alles hatte ihn gereizt, alles hatte er wie kein anderer gewonnen, und alles hatte ihn leer gelassen. Herrschen, der Erste sein, über widerstrebende Verhältnisse mit allen Mitteln überlegener Kraft und Klugheit siegen und dann über knirschende Menschen ein ehernes Regiment führen, das allein hatte er unbewußt und bewußt von jeher erstrebt: nur darin fühlte er sich wohl.
In stolzen, vollen Atemzügen hob sich darum in dieser Stunde seine Brust: er, der Eisigkalte, erglühte in dem Gedanken, daß er über die beiden großen feindlichen Mächte der Zeit, Goten und Römer, heute mit einem Zucken seiner Wimper gebot: und aus diesem Wonnegefühl der Herrschaft stieg ihm mit dämonischer Gewalt die Überzeugung empor, daß es für ihn und seinen Ehrgeiz nur noch ein Ziel gab, welches das Leben der Mühe des Lebens wert machen könne, nur noch ein Ziel, ein sonnenfernes, jedem andern unerreichbares: er glaubte gern an seine Abkunft von Julius Cäsar, und er fühlte das Blut Cäsars aufwallen in seinen Adern bei dem Gedanken: Cäsar, Imperator des Abendlandes, Kaiser der römischen Welt! - - - -
Als vor Monaten dieser Blitz zum erstenmal seine Seele durchzuckt hatte - kein Gedanke - kein Wunsch - nur ein Schatten, ein Traum - erschrak er und lächelte zugleich über seine unermeßliche Kühnheit. Er, Kaiser und Wiederaufrichter des römischen Weltreichs! Und Italien bebte unter dem Schritt von dreimalhunderttausend gotischen Kriegern! Und der größte aller Barkarenkönige, dessen Ruhm die Erde erfüllte, saß gewaltig herrschend zu Ravenna. Und wenn die. Macht der Goten gebrochen war, so streckten die Franken über die Alpen, die Byzantiner übers Meer die gierigen Hände nach der italienischen Beute, zwei große Reiche gegen ihn, den einzelnen Mann!
Denn wahrlich, einsam stand er in seinem Volk! Wie genau kannte, wie bitter verachtete er seine Landsleute, die unwürdigen Enkel großen Ahnen! Wie lachte er der Schwärmerei eines Licinius oder Scävola, die mit diesen Römern die Tage der Republik erneuern wollten!
Er stand allein.
Aber gerade dies reizte seinen stolzen Ehrgeiz. Und gerade in diesem Augenblick, da ihn die Verschworenen verlassen hatten, da seine Überlegenheit gewaltiger als je ihnen und ihm selbst klar geworden war, gerade jetzt schoß in seiner Brust, was früher ein schmeichelnd Spiel seiner träumenden Stunden gewesen, mit Blitzesschnelle zum klaren Gedanken, zum festen Entschluß empor.
Die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt, mit starken Schritten, wie ein Löwe seinen Käfig, das Gemach durchmessend, sprach er in abgerissenen Sätzen zu sich selbst:
«Mit einem tüchtigen Volk hinter sich die Goten hinaustreiben, Griechen und Franken nicht hereinlassen: das wäre nicht schwer, das könnte ein andrer auch. Aber allein, ganz allein, von diesen Männern ohne Mark und Willen mehr gehemmt als getragen, das Ungeheure vollenden, und diese Memmen erst wieder zu Helden, diese Sklaven zu Römern, diese Knechte der Pfaffen und Barbaren wieder zu Herren der Erde machen: das, das ist der Mühe wert. Ein neues Volk, eine neue Zeit, eine neue Welt schaffen, allein, ein einziger Mann, mit der Kraft seines Willens und der Macht seines Geistes: - das hat noch kein Sterblicher vollbracht: das ist größer als Cäsar: er führte Legionen von Helden! Und doch, es kann getan werden, denn es kann gedacht werden. Und ich, der's denken konnte, ich kann's auch tun. Ja, Cethegus, das ist ein Ziel, dafür verlohnt sich's zu denken, zu leben, zu sterben. Auf und ans Werk, und von nun an: keinen Gedanken mehr und kein Gefühl als für dies eine.»
Er stand still vor der Kolossalstatue Cäsars auf weißem parischem Marmor, die, das Meisterwerk des Arkesilaos und der edelste Schmuck, ja nach der Familientradition von Julius Cäsar selbst dem Sohne geschenkt, das Heiligtum dieses Hauses, gegenüber dem Schreibdiwan stand:
«Hör' es, göttlicher Julius, großer Ahnherr, es lüstet deinem Enkel, mit dir zu ringen: es gibt noch ein Höheres, als du erreicht: schon fliegen nach einem höheren Ziel als du, ist unsterblich, und fallen, fallen aus solcher Höhe: das ist der herrlichste Tod, Heil mir, daß ich wieder weiß, warum ich lebe.»
Er schritt an der Bildsäule vorbei und warf einen Blick auf die auf dem Tisch aufgerollte Militärkarte des römischen Weltreichs:
«Erst diese Barbaren zertreten - : Rom! - Dann den Norden wieder unterwerfen -: Paris! - Dann zum alten Gehorsam unter die alte Cäsarenstadt das abtrünnige Ostreich zurückheischen -: Byzanz! Und weiter, immer weiter: an den Tigris, an den Indus, weiter als Alexandros - und zurück nach Westen, durch Skythien und Germanien, an den Tiber - die Bahn, welche dir, Cäsar, der Dolch des Brutus durchgeschnitten. - Und so größer als du, größer als Alexander - o halt, Gedanke, halt ein!»
Und der eisige Cethegus loderte und glühte; mächtig pochten seine Adern an den Schläfen: er drückte die brennende Stirn an die kalte Marmorbrust Julius Cäsars, der majestätisch auf ihn niederschaute.
Aber nicht nur für Cethegus wurde dieser Tag von entscheidender Bedeutung, auch für die Verschwörung in den Katakomben, für Italien und das Reich der Goten.
Hatten die Umtriebe der Patrioten, geleitet von mehreren Häuptern, die über die Mittel, ja sogar über die Zwecke ihrer Pläne nicht immer einig waren, bisher nur langsame und unsichre Fortschritte gemacht, so ward dies anders von dem Augenblick an, da der weitaus begabteste Mann dieser Partei, da Cethegus die Führung in die kräftige Hand nahm.
Unbedingt hatten sich die bisherigen Häupter des Bundes -sogar, wie es schien, Silverius dem Präfekten untergeordnet, der seine Überlegenheit so mächtig bewährt und das Leben ihrer Sache gerettet hatte.
Erst von jetzt an wurde der Geheimbund den Goten wahrhaftig gefährlich.
Unermüdlich war Cethegus beschäftigt, die Macht und Sicherheit ihres Reiches auf allen Seiten zu untergraben: mit seiner großen Kunst, die Menschen zu durchschauen, zu gewinnen und zu beherrschen, wußte er die Zahl bedeutender Mitglieder und die Mittel der Partei von Tag zu Tag zu vermehren.
Aber er wußte auch mit kluger Vorsicht einerseits jeden Verdacht der gotischen Regierung zu vermeiden, anderseits jede unzeitige Erhebung der Verschworenen zu verhindern. Denn ein leichtes wär' es freilich gewesen, plötzlich an einem Tage in allen Städten der Halbinsel die Barbaren zu überfallen, die Erhebung zu beginnen und die Byzantiner. die längst hierauf lauerten, zur Vollendung des Sieges ins Land zu rufen. Aber damit hätte der Präfekt seine geheimen Pläne nicht hinausgeführt. Er hätte nur an die Stelle der gotischen Herrschaft die byzantinische Tyrannei gesetzt.
Und wir wissen, er verfolgte ein ganz andres Ziel.
Um dies zu erreichen, mußte er sich zuvor in Italien eine Machtstellung schaffen, wie sie kein andrer besaß.
Er mußte, wenn auch nur im stillen, der mächtigste Mann im Lande sein, ehe der Fuß eines Byzantiners es betrat, ehe der erste Gote fiel. Die Dinge mußten so weit vorbereitet sein, daß die Barbaren von Italien, das hieß von Cethegus allein, mit möglichst geringer Nachhilfe von Byzanz, vertrieben würden, so daß nach dem Siege der Kaiser gar nicht umhin konnte, die Herrschaft über das befreite Land seinem Befreier, wenn auch zunächst nur als Statthalter, zu überlassen. Alsdann hatte er Zeit und Anlaß gewonnen, den Nationalstolz der Römer gegen die Herrschaft der «Griechlein», wie man die Byzantiner verächtlich nannte, aufzureizen.
Denn obwohl seit zweihundert Jahren, seit den Tagen des großen Konstantin, der Glanz der Weltherrschaft von der verwitweten Roma hinweg nach der goldnen Stadt am Hellespont verlegt und das Zepter von den Söhnen des Romulus auf die Griechen übergegangen schien, obwohl das Ost- und das Westreich zusammen der Barbarenwelt gegenüber einen Staat der antiken Bildung bilden sollten, so waren doch auch jetzt noch die Griechen den Römern verhaßt und verächtlich, wie in den Tagen, da Flaminius das gedemütigte Hellas für eine Freigelassene Roms erklärt hatte: der alte Haß war jetzt durch Neid vermehrt. Deshalb war der Mann der Begeisterung und der Hilfe ganz Italiens gewiß, der nach Vertreibung der Barbaren auch die Byzantiner aus dem Lande weisen würde: die Krone von Rom, die Krone des Abendlandes war sein sichrer Lohn. Und wenn es gelang, das neugeweckte Nationalgefühl wieder zum Angriffskrieg über die Alpen zu treiben, wenn Cethegus auf den Trümmern des Frankenreichs zu Aurelianum und Paris die Herrschaft des römischen Imperators über das Abendland wieder aufgerichtet hatte, dann war der Versuch nicht mehr zu kühn, auch das losgerissene Ostreich zurückzuzwingen zum Gehorsam unter das ewige Rom und die Weltherrschaft am Strand des Tibers da fortzuführen, wo sie Trajan und Hadrian gelassen.
Doch um diese fernher leuchtenden Ziele zu erreichen, mußte jeder nächste Schritt auf dem schwindelsteilen Pfad mit größter Vorsicht geschehen: jedes Straucheln mußte für immer verderben. Um Italien zu beherrschen, als Kaiser zu beherrschen, mußte Cethegus vor allem Rom haben, denn nur an Rom ließen sich jene Gedanken knüpfen. Deshalb wandte der neue Präfekt höchste Sorgfalt auf die ihm anvertraute Stadt: Rom sollte ihm moralisch und physisch eine Burg der Herrschaft werden, ihm allein gehörig und unentreißbar. Sein Amt bot ihm dazu die beste Gelegenheit: es war ja die Pflicht des Präfectus Urbi, für das Wohl der Bevölkerung, für Erhaltung und Sicherheit der Stadt zu sorgen. Cethegus verstand es meisterhaft, die Rechte, die in dieser Pflicht lagen, für seine Zwecke auszubeuten. Leicht hatte er alle Stände für sich gewonnen: der Adel ehrte in ihm das Haupt der Katakombenverschwörung, über die Geistlichkeit herrschte er durch Silverius, der die rechte Hand und der von der öffentlichen Stimme bezeichnete Nachfolger des greisen Papstes war und dem Präfekten eine diesem selbst befremdliche Ergebenheit an den Tag legte. Das niedere Volk aber fesselte er an seine Person nicht nur durch vorübergehende Brotspenden und Zirkusspiele aus seiner Tasche, sondern durch großartige Unternehmungen, die vielen Tausenden auf Jahre hinaus Arbeit und Unterhalt - auf Kosten der gotischen Regierung verschafften.
Er setzte bei Amalaswintha den Befehl durch, die Befestigungen Roms, die seit den Tagen des Honorius durch die Zeit und durch den Eigennutz römischer Bauherren viel mehr als durch westgotische und vandalische Eroberer gelitten hatten, vollständig und rasch wiederherzustellen, «zur Ehre der ewigen Stadt und», wie sie wähnte, «zum Schutze gegen die Byzantiner».
Cethegus selbst hatte - und zwar, wie die alsbald folgenden vergeblichen Belagerungen durch Goten und Byzantiner bewiesen, mit genialem Feldherrnblick - den Plan der großartigen Werke entworfen. Und er betrieb nun mit größter
Eile das Riesenwerk, die ungeheure Stadt in ihrem weiten Umfang von vielen Meilen zu einer Festung ersten Ranges umzuschaffen. Die Tausende von Arbeitern, die wohl wußten, wem sie diese reich bezahlte Beschäftigung verdankten, jubelten dem Präfekten zu, wenn er auf den Schanzen sich zeigte, prüfte, antrieb, besserte und wohl selbst mit Hand anlegte. Und die getäuschte Fürstin wies eine Million Solidi nach der andern an für einen Bau, an dem alsbald die ganze Streitmacht ihres Volkes zerschellen und verbluten sollte.
Der wichtigste Punkt dieser Befestigungen war das heute unter dem Namen der Engelsburg bekannte Grabmal Hadrians. Dies Prachtgebäude, von Hadrian aus parischen Marmorquadern, die ohne anderes Bindungsmittel zusammengefügt waren, aufgeführt, lag damals einen Steinwurf vor dem aurelischen Tor, dessen Mauerseiten es weit überragte. Mit scharfem Auge hatte Cethegus erkannt, daß das unvergleichlich feste Gebäude, in seiner bisherigen Lage ein Festungswerk gegen die Stadt, sich durch ein einfaches Mittel in ein Hauptbollwerk für die Stadt verwandeln ließ: er führte vom aurelischen Tor zwei Mauern gegen und um das Grabmal. Und nun bildete die turmhohe Marmorburg eine sturmfreie Schanze für das aurelische Tor, um so mehr, als der Tiber knapp davor einen natürlichen Festungsgraben zog. Oben auf der Mauer des Mausoleums aber standen, zum Teil noch von Hadrian und seinem Nachfolger hier aufgestellt, gegen dreihundert der schönsten Statuen aus Marmor, Bronze und Erz: darunter der Divus Hadrianus selbst, sein schöner Liebling Antonius, ein Zeus Soter, die Pallas «Städtebeschirmerin», ein schlafender Faun und viele andere.
Cethegus freute sich seines Gedankens und liebte diese Stätte, wo er allabendlich zu wandeln pflegte, sein Rom mit dem Blick beherrschend und den Fortschritt der Schanzarbeiten prüfend: und er hatte deshalb eine reiche Zahl von schönen Statuen aus seinem Privatbesitz hier noch aufstellen lassen.
Vorsichtiger mußte Cethegus bei Ausführung einer zweiten, für seine Ziele nicht minder unerläßlichen Vorbereitung sein. Um selbständig in Rom, in seinem Rom, wie er es, als Stadtpräfekt, zu nennen liebte, den Goten und nötigenfalls den Griechen trotzen zu können, bedurfte er nicht bloß der Wälle, sondern auch der Verteidiger auf denselben. Er dachte zunächst an Söldner, an eine Leibwache, wie sie in jenen Zeiten hohe Beamte, Staatsmänner und Feldherren häufig gehalten hatten, wie sie jetzt Belisar und dessen Gegner Narses in Byzanz hielten. Nun gelang es ihm zwar, durch früher auf seinen Reisen in Asien angeknüpfte Verbindungen und bei seinen reichen Schätzen tapfere Scharen der wilden isaurischen Bergvölker, die in jenen Zeiten die Rolle der Schweizer des sechzehnten Jahrhunderts spielten, in seinen Sold zu ziehen. Indessen hatte dies Verfahren doch zwei sehr eng gezogene Schranken.
Einmal konnte er auf diesem Wege, ohne seine für andre Zwecke unentbehrlichen Mittel zu erschöpfen, doch immer nur verhältnismäßig kleine Massen aufbringen, den Kern eines Heeres, nicht ein Heer. Und ferner war es unmöglich, diese Söldner, ohne den Verdacht der Goten zu wecken, in größerer Anzahl nach Italien, nach Rom zu bringen. Einzeln, paarweise, in kleinen Gruppen schmuggelte er sie mit vieler List und vieler Gefahr als seine Sklaven, Freigelassenen, Klienten, Gastfreunde in seine durch die ganze Halbinsel zerstreuten Villen oder beschäftigte sie als Matrosen und Schiffsleute im Hafen von Ostia oder als Arbeiter in Rom.
Schließlich mußten doch die Römer Ro m erretten und beschützen, und all seine ferneren Pläne drängten ihn, seine Landsleute wieder an die Waffen zu gewöhnen.
Nun hatte aber Theoderich wohlweislich die Italier von dem Heer ausgeschlossen - nur Ausnahmen bei einzelnen als besonders zuverlässig Erachteten wurden gemacht - und in den unruhigen letzten Zeiten seines Regiments während des Prozesses gegen Boethius ein Gebot allgemeiner Entwaffnung der Römer erlassen.
Letzteres war freilich nie streng durchgeführt worden: aber Cethegus konnte doch nicht hoffen, die Regentin werde ihm erlauben, gegen den entschiedenen Willen ihres großen Vaters und gegen das offenbare Interesse der Goten eine irgendwie bedeutende Streitmacht aus Italiern zu bilden.
Er begnügte sich, ihr vorzustellen, daß sie durch ein ganz unschädliches Zugeständnis sich das Verdienst erwirken könne, jene gehässige Maßregel Theoderichs in edlem Vertrauen aufgehoben zu haben, und schlug ihr vor, ihm zu gestatten, nur zweitausend Mann aus der römischen Bürgerschaft als Schutzwache Roms auszurüsten, einüben und immer unter den Waffen gegenwärtig halten zu dürfen: die Römer würden ihr schon für diesen Schein, daß die ewige Stadt nicht von Barbaren allein gehütet werde, unendlich dankbar sein. Amalaswintha, begeistert für Rom und nach der Liebe der Römer als ihrem schönsten Ziele trachtend, gab ihre Einwilligung, und Cethegus fing an, seine «Landwehr», wie wir sagen würden, zu bilden. Er rief in einer wie Trompetenschall klingenden Proklamation «die Söhne der Scipionen zu den alten Waffen zurück», er bestellte die jungen Adligen der Katakomben zu «römischen Rittern» und «Kriegstribunen», er verhieß jedem Römer, der sich freiwillig meldete, aus seiner Tasche Verdoppelung des von der Fürstin bestimmten Soldes, er hob aus den Tausenden, die sich darauf herb ei drängten, die Tauglichsten aus; er rüstete die Ärmeren aus, schenkte denen, die sich besonders auszeichneten im Dienst, gallische Helme und spanische Schwerter aus seinen eigenen Sammlungen und - was das wichtigste - er entließ regelmäßig sobald als möglich die hinlänglich Eingeübten mit Belassung ihrer Waffen und hob neue Mannschaften aus, so daß, obwohl in jedem Augenblick nur die von Amalaswintha gestattete Zahl im Dienst stand, doch in kurzer Frist viele Tausende bewaffnete und waffengeübte Römer zu Verfügung ihres vergötterten Führers standen.
Während so Cethegus an seiner künftigen Residenz baute und seine künftigen Prätorianer heranbildete, vertröstete er den Eifer seiner Mitverschworenen, die unablässig zum Losschlagen drängten, auf den Zeitpunkt der Vollendung jener Vorbereitungen, den er natürlich allein bestimmen konnte. Zugleich unterhielt er eifrigen Verkehr mit Byzanz. Dort mußte er sich einer Hilfe versichern, die einerseits in jedem Augenblick, da er sie rief, auf dem Kampfplatz erscheinen könnte, die aber anderseits auch nicht, ehe er sie rief, auf eigne Faust oder mit einer Stärke erschiene, die nicht leicht wieder zu entfernen wäre.
Er wünschte von Byzanz einen guten Feldherrn, der aber kein großer Staatsmann sein durfte, mit einem Heere, stark genug, die Italier zu unterstützen, nicht stark genug, ohne sie siegen oder gegen ihren Willen im Lande bleiben zu können. Wir werden in der Folge sehen, wie in dieser Hinsicht vieles nach Wunsch, aber auch ebenso vieles sehr gegen den Wunsch des Präfekten sich gestaltete. Daneben war gegenüber den Goten, die zur Zeit noch unangefochten im Besitz der Beute standen, um die Cethegus bereits im Geiste mit dem Kaiser haderte, sein Streben dahin gerichtet, sie in argloser Sicherheit zu wiegen, in Parteiungen zu spalten und eine schwache Regierung an ihrer Spitze zu erhalten.
Das erste war nicht schwer. Denn die starken Germanen verachteten in barbarischem Hochmut alle offenen und geheimen Feinde. Wir haben gesehen, wie schwer selbst der sonst scharfblickende, helle Kopf eines Jünglings wie Totila von der Nähe einer Gefahr zu überzeugen war: und die trotzige Sicherheit eines Hildebad drückte recht eigentlich die allgemeine Stimmung der Goten aus. Auch an Parteiungen fehlte es nicht in diesem Volk.
Da wären die stolzen Adelsgeschlechter, die Balten mit ihren weitverzweigten Sippen, an ihrer Spitze die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza: die reichbegüterten Wölsungen unter den Brüdern Herzog Guntharis von Tuscien und Graf Arahad von Asta und andere mehr, die alle den Amalern an Glanz der Ahnen wenig nachgaben und eifersüchtig ihre Stellung dicht neben dem Throne bewachten.
Da waren viele, welche die Vormundschaft eines Weibes, die Herrschaft eines Knaben nur mit Unwillen trugen, die gern, nach dem alten Recht des Volkes, das Königshaus umgangen und einen der erprobten Helden der Nation auf den Schild erhoben hätten. Anderseits zählten auch die Amaler blind ergebene Anhänger, die solche Gesinnung als Treubruch verabscheuten. Endlich teilte sich das ganze Volk in eine rauhere Partei, die, längst unzufrieden mit der Milde, die Theoderich und seine Tochter den Welschen bewiesen, gern nunmehr nachgeholt hätten, was, wie sie meinten, bei der Eroberung des Landes versäumt worden, und die Italier für ihren heimlichen Haß mit offener Gewalt zu strafen begehrten. Viel kleiner natürlich war die Zahl der sanfter und edler Gesinnten, die, wie Theoderich selbst, empfänglich für die höhere Bildung der Unterworfenen, sich und ihr Volk zu dieser emporzuheben strebten. Das Haupt dieser Partei war die Königin.
Diese Frau nun suchte Cethegus im Besitz der Macht zu erhalten: denn sie, diese weibliche, schwache, geteilte Herrschaft, verhieß, die Kraft des Volkes zu lähmen, die Parteiung und Unzufriedenheit dauernd zu machen. Ihre Richtung schloß jedes Erstarken des gotischen Nationalgefühls aus. Er bebte vor dem Gedanken, einen gewaltigen Mann die Kraft dieses Volkes gewaltig zusammenfassen zu sehen.
Und manchmal machten ihn schon die Züge von Hoheit, die sich in diesem Weibe zeigten, mehr noch die feurigen Funken verhaltener Glut, die zu Zeiten aus Athalarichs tiefer Seele aufsprühten, ernstlich besorgt. Sollten Mutter und Sohn solche
Spuren öfter verraten, dann freilich mußte er beide ebenso eifrig stürzen wie er bisher ihre Regierung gehalten hatte. Einstweilen aber freute er sich noch der unbedingten Herrschaft, die er über die Seele Amalaswinthens gewonnen. Dies war ihm bald gelungen. Nicht nur, weil er mit großer Feinheit ihre Neigung zu gelehrten Gesprächen ausbeutete, in welchen er von dem, wie es schien, ihm überall überlegenen Wissen der Fürstin so häufig überwunden wurde, daß Cassiodor, der oft Zeuge ihrer Disputationen war, nicht umhin konnte, zu bedauern, wie dies einst glänzende Ingenium durch Mangel an gelehrter Übung etwas eingerostet sei.
Der vollendete Menschenerforscher hatte das stolze Weib noch viel tiefer getroffen. Ihrem großen Vater war kein Sohn, war nur diese Tochter beschieden: der Wunsch nach einem männlichen Erben seiner schweren Krone war oft aus des Königs, oft aus des Volkes Munde schon in ihren Kinderjahren an ihr Ohr gedrungen. Es empörte das hochbegabte Mädchen, daß man es lediglich um ihres Geschlechtes willen zurücksetzte hinter einem möglichen Bruder, der, wie selbstverständlich, der Herrschaft würdiger und fähiger sein würde. So weinte sie als Kind oft bittere Tränen, daß sie kein Knabe war.
Als sie herangewachsen, hörte sie natürlich nur noch von ihrem Vater jenen kränkenden Wunsch: jeder andre Mund am Hofe pries die wunderbaren Anlagen, den männlichen Geist, den männlichen Mut der glänzenden Fürstin. Und das waren nicht Schmeicheleien: Amalaswintha war in der Tat in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Geschöpf: die Kraft ihres Denkens und ihres Wollens, aber auch ihre Herrschsucht und kalte Schroffheit überschritten weit die Schranken, in welchen sich holde Weiblichkeit bewegt. Das Bewußtsein, daß mit ihrer Hand zugleich die höchste Stellung im Reich, vielleicht die Krone selbst, würde vergeben werden, machte sie eben auch nicht bescheidener: und ihre tiefste, mächtigste Empfindung war jetzt nicht mehr Wunsch, Mann zu sein, sondern die Überzeugung, daß sie, das Weib, allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so gut wie der begabteste Mann, besser als die meisten Männer, gewachsen, daß sie berufen sei, das allgemeine Vorurteil von der geistigen Unebenbürtigkeit ihres Geschlechts glänzend zu widerlegen.
Die Ehe des kalten Weibes mit Eutharich, einem Amaler aus andrer Linie, einem Mann von hohen Anlagen des Geistes und reichem Gemüt, war kurz: Eutharich erlag nach wenigen Jahren einem tiefen Leiden - und wenig glücklich. Nur mit Widerstreben hatte sie sich ihrem Gatten gebeugt. Als Witwe atmete sie stolz auf. Sie brannte vor Ehrgeiz, dereinst als Vormünderin ihres Knaben, als Regentin jene ihre Lieblingsidee zu bewähren: sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer ihre Überlegenheit sollten einräumen müssen. Wir haben gesehen, wie die Erwartung der Herrschaft diese kalte Seele sogar den Tod ihres großen Vaters ziemlich ruhig hatte ertragen lassen.
Sie übernahm das Regiment mit höchstem Eifer, mit unermüdlicher Tätigkeit. Sie wollte alles selbst, alles allein tun. Sie schob ungeduldig den greisen Cassiodor zur Seite, der ihrem Geist nicht rasch und kräftig genug Schritt hielt. Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden.
Eifersüchtig wachte sie über ihre Alleinherrlichkeit. Und nur einem ihrer Beamten lieh sie gern und häufig das Ohr: demjenigen, der ihr oft und laut die männliche Selbständigkeit ihres Geistes pries und noch öfter dieselbe still zu bewundern, der den Gedanken, sie beherrschen zu wollen, gar nie wagen zu können schien: sie traute nur Cethegus. Denn dieser zeigte ja nur den einen Ehrgeiz, alle Gedanken und Pläne der Königin mit eifriger Sorge durchzuführen. Nie trat er, wie Cassiodor oder gar die Häupter der gotischen Partei, ihren Lieblingsbestrebungen entgegen; er unterstützte sie darin: er half ihr, sich mit Römern und Griechen umgeben, den jungen König möglichst von der Teilnahme am Regiment auszuschließen, die alten gotischen
Freunde ihres Vaters, die, im Bewußtsein ihrer Verdienste und nach alter Gewohnheit, sich manches freie und derbe Wort des Tadels erlaubten, als rohe Barbaren allmählich vom Hof zu entfernen, die Gelder, die für Kriegsschiffe, Rosse, Ausrüstung der gotischen Heere bestimmt waren, für Wissenschaften und Künste oder auch für die Verschönerung, Erhaltung und Sicherung Roms zu verwenden: kurz, er war ihr behilflich in allem, was sie ihrem Volk entfremden, ihre Regierung verhaßt und ihr Reich wehrlos machen konnte. Und hatte er selbst einen Plan, immer wußte er seine Verhandlungen mit der Fürstin so zu wenden, daß sich diese für die Urheberin ansehen mußte und ihn zu dem Vollzug seiner geheimsten Wünsche als ihrer Aufträge befehligte.
Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluß zu gewinnen und zu pflegen, häufigeren Aufenthalts am Hof, längerer Abwesenheit von Rom, als seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die Nähe der Königin Persönlichkeiten zu bringen, die ihm diese Mühe zum Teil ersparen könnten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna verließen, mußten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden, und Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana, die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boethius, an den Hof zu bringen. Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverräter hingerichteten Männer war in Ungnade aus der Königsstadt verbannt. Vor allem mußte daher die Königin umgestimmt werden für sie.
Dies freilich gelang alsbald, indem die Großmut der edlen Frau gegen das so tief gefallene Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, daß sie an die niemals vollbewiesene Schuld von zwei edlen Römern nie von Herzen hatte glauben mögen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als großen Gelehrten und in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wußte Cethegus zu betonen, wie gerade diese Tat, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Gnade, die Herzen all' ihrer römischen Untertanen rühren müsse. So war die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Königshaus erfüllten ihre ganze Seele, und Cethegus mußte sogar fürchten, ihr unbeherrschbarer Haß könnte sich in der steten Nähe der «Tyrannen» leicht verraten. Wiederholt hatte Rusticiana trotz all seiner sonst so großen Gewalt über sie dieses Ansinnen zurückgewiesen.
Da machten sie eines Tages eine sehr überraschende Entdeckung, die zur Erfüllung der Wünsche des Präfekten führen sollte.
Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjährige Tochter, Kamilla. Aus ihrem echt römischen Gesicht mit den edeln Schläfen und den schöngeschnittenen Lippen leuchteten dunkle, schwärmerische Augen: der eben erst vollendete Wuchs zeigte feine, fast allzu zarte Formen, rasch und leicht und fein wie einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Mädchen. Mit aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren unglücklichen Vater geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das Leben des heranblühenden Mädchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergötterung seines Martyriums für Italien mischte, erfüllten alle Träume ihres jungfräulichen Entfaltens.
Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Königshof, war sie nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter über die Alpen nach Gallien geflohen, wo ein alter Gastfreund den betrübten Frauen monatelang eine Zufluchtsstätte bot, während Anicius und Severinus, Kamillas Brüder, anfänglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hölle gegen die Goten in Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung verzogen, nach Italien zurückgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir sehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wußte.
Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu fliehen und in ihren kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus verloren.
Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er hatte längst bemerkt, wie die «Patrona» unter seinem unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung - er war seines Zeichens Steinmetz - zu erdulden gehabt, und so habe er denn an den letzten Kalenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Efeu, und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Donna Kamilla liebe, und so möchten sie denn Maultier und Sänfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen.
Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte an, und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters.
Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepäck so bald als möglich folgen.
Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen würde.
Aber erstaunt blieb er stehen: er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! Da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstraße sein bescheidenes Gebiet begrenzt hatten.
«Die Mutter Gottes steh mir bei und alle obern Götter!» rief der Steinmetz, «bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!» Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulett, das sie am Gürtel trug: aber Aufschluß konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum betrat, und so blieb nichts übrig, als das Maultier zur größten Eile zu treiben, und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab des Grauchens die Wiesenhänge hinunter.
Als sie nun näher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das Haus, das er gekauft: aber so verjüngt, erneuert, verschönt, daß er es kaum erkannte.
Sein Staunen über die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu abergläubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, ließ die Zügel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Rede von christlichen und heidnischen Ausrufen, als plötzlich Kamilla ebenso überrascht ausrief: «Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Bäume, dieselben Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der Tempel der Venus! O wie schön, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das angefangen?» Und Tränen freudiger Rührung traten in ihre Augen. - «So sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuß, der ist also nicht mit verhext. Rede, du Zyklope, was ist hier geschehen?»
Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit ungeschlachtem Lächeln heran und erzählte nach vielen Fragen und Unterbrechungen des Staunens eine rätselhafte Geschichte. Vor drei Wochen etwa, wenige Tage, nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es für seinen Herrn, der auf längere Zeit in die Marmorbrüche von Luna verreist war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Römer mit einem Troß von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte, ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia für die Witwe des Boethius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als den Hortulanus Prinzeps, d. h. als Oberintendanten der Gärten zu Ravenna zu erkennen. Ein alter Freund des Boethius, der aus Furcht vor den gotischen Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wünsche, sich insgeheim der Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmücken und zu verschönern. Der Sklave dürfe die beabsichtigte Überraschung nicht verderben, und halb mit Güte, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan, und seine Arbeiter gingen unverzüglich ans Werk.
Viele benachbarte Grundstücke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft, und nun hob an ein Niederreißen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Hämmern und Klopfen, ein Putzen und Malen, daß dem guten Cappadox Hören und Sehen verging. Wollte er fragen und dreinreden, so lachten ihm die Arbeiter ins Gesicht. Wollte er sich davonmachen, so winkte der Intendant, und ein halbes Dutzend Fäuste hielten ihn fest. «Und» - schloß der Erzähler- «so ging's bis vorgestern morgen. Da waren sie fertig und zogen davon.
Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das alles bezahlen soll, dann weh über meinen Rücken! Und ich wollte dir's melden. Aber sie ließen mich nicht, und obendrein wußt' ich dich fern von Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten verspürte, und wie der mit den Goldstücken um sich warf wie die Kinder mit Kieseln, da beruhigte sich allmählich mein Gemüt, und ich ließ alles gehen, wie es ging. Nun, o Herr, weiß ich wohl: du kannst mich dennoch in den Block setzen und prügeln lassen. Mit der Rebe oder sogar mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? Du bist der Herr und Cappadox der Knecht. Aber gerecht, Herr, wäre es kaum! Bei allen Heiligen und allen Göttern! Denn du hast mich gesetzt über ein paar Kohlfelder, und siehe, sie sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand.»
Kamilla war längst abgestiegen und davongeschlüpft, ehe der Sklave zu Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die Lauben, das Haus, sie schwebte wie auf Flügeln, kaum konnte ihr die flinke Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Überraschung, des freudigen Schreckens jagte den andern: sooft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor ihrem entzückten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines Gemach desselben genau so bemalt, ausgerüstet, geschmückt fand, wie jener Raum im Kaiserschloß gewesen war, in dem sie sie letzten Tage der Kindheit verspielt und die ersten Träume des Mädchens geträumt, dieselben Bilder auf den bastgeflochtnen Vorhängen, die gleichen Vasen und zierlichen Zitruskästchen und auf dem gleichen Schildpatt-Tischchen ihre kleine zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenflügeln, da, überwältigt von so vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefühl des Dankes gegen so zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Dauphnidion beruhigen. «Es gibt noch edle Herzen, noch Freunde für das Haus Boethius», rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet des Dankes gen Himmel.
Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von der seltsamen Überraschung.
Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres Gatten wohl in diesem Geheimnisvollen Wohltäter zu suchen sei? Es war ihr eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Präfekt schüttelte nachdenklich den Kopf über ihren Brief und schrieb ihr zurück: er kenne niemand, an den ihn diese zartfühlende Weise mahnen könne. Sie möge scharf jede Spur beachten, die zur Lösung des Rätsels führen könne.
Es sollte sich bald genug enthüllen. -
Kamilla wurde nicht müde, den Garten zu durchstreifen und immer neue Ähnlichkeiten mit seinem trauten Vorbild zu entdecken. Oft führten sie diese Gänge über den Park hinaus und in den anstoßenden Bergwald. Dabei pflegte sie die muntere Daphnidion zu begleiten, die ihre gleiche Jugend und treue Anhänglichkeit rasch zur Vertrauten gemacht. Wiederholt hatte diese der Patrona bemerkt, ein Waldgeist müsse ihnen nachschleichen. Denn vielfach knacke es hörbar in den Büschen und rausche im Grase hinter oder neben ihnen. Und doch sei nirgends Mensch oder Tier zu sehen. Aber Kamilla lachte ihres Aberglaubens und nötigte sie immer wieder in die grünen Schatten der Ulmen und Platanen hinaus.
Eines Tages entdeckten die Mädchen, vor der Hitze tiefer und tiefer in die Kühle des Waldes flüchtend, eine lebhafte Quelle, die reichlich und klar von dunklen Porphyrfelsen traufte. Doch sie rieselte ohne bestimmtes Rinnsal, und mühsam mußten die Durstenden die einzelnen Silbertropfen erhaschen. «Wie schade», rief Kamilla, «um das köstliche Naß! Da hättest du die Tritonenquelle sehen sollen im Pinetum zu Ravenna. Wie anmutig sprudelte der Strahl aus den aufgeblasenen Backen des bronzenen Meergotts und fiel gesammelt in eine breite Muschel von braunem Marmor, wie schade!» Und sie gingen weiter.
Nach einigen Tagen kamen beide wieder an die Stelle.
Daphnidion, die voranschritt, blieb plötzlich laut aufschreiend stehen und wies sprachlos mit dem Finger auf die Quelle. Der Waldquell war gefaßt. Aus einem bronzenen Tritonenkopf sprudelte der Strahl in eine zierliche Muschel von braunem Marmor. Daphnidion, jetzt fest an Geisterspuk glaubend, wandte sich ohne weiteres zur Flucht: sie floh mit den Händen vor den Augen, die Waldgeister nicht zu sehen, was für höchst gefährlich galt, nach dem Hause zu, der Herrin laut rufend, ihr zu folgen. Aber Kamilla durchzuckte der Gedanke: der Lauscher, der uns neulich hierher gefolgt, ist gewiß auch jetzt in der Nähe, sich an unsrem Staunen zu weiden. Scharf sah sie umher: an einem wilden Rosenbusch fielen die Blüten von schwankenden Zweigen zur Erde. Rasch schritt sie auf das Dickicht zu. Und sieh, aus dem Gebüsch trat ihr mit Jagdtasche und Wurfspeer ein junger Jäger entgegen.
«Ich bin entdeckt», sagte er mit leiser, schüchterner Stimme, anmutig in seiner Beschämung.
Aber mit einem Schreckensruf fuhr Kamilla zurück. «Athalarich» stammelte sie - «der König!»
Eine ganze Meerflut von Gedanken und Gefühlen wogte ihr durch Haupt und Herz und halb ohnmächtig sank sie auf den Rasenhang neben der Quelle. Der junge König stand in Schrecken und Entzücken sprachlos einige Sekunden vor der hingegossenen zarten Gestalt: durstig zog sein brennendes Auge die schönen Züge, die edeln Formen ein: flüchtiges Rot schoß zuckend wie Blitze über sein bleiches Gesicht. «O sie - sie ist mein heißer Tod», hauchte er endlich, beide Hände an das pochende Herz drückend, «jetzt sterben, sterben mit ihr.»
Da regte sie den Arm. Das brachte ihn zur Besinnung zurück. Er kniete neben ihr nieder und sprengte das kühle Naß des Brunnens auf ihre Schläfe. Sie schlug die Augen auf: «Barbar Mörder!» schrie sie gellend, stieß seine Hand zurück, sprang auf und floh wie ein gescheuchtes Reh hinweg.
Athalarich folgte ihr nicht. «Barbar - Mörder», hauchte er in tiefstem Schmerz vor sich hin. Und er verbarg die glühende Stirn in den Händen.
Kamilla kam in so hoher Aufregung nach Hause, daß Daphnidion sich's nicht nehmen ließ, die Domina müsse die Nymphen oder gar den altehrwürdigen Waldgott Picus selbst gesehen haben.
Aber das Mädchen warf sich in wilder Bewegung in die Arme der erschrockenen Mutter. Der Kampf verworrener Gefühle löste sich in einem Strom von heißen Tränen, und erst spät vermochte sie, den besorgten Fragen Rusticianas Antworten und Aufschluß zu geben.
In der tiefen Seele des Kindes wogte ein schweres Ringen.
Es war dem am Hofe zu Ravenna heranreifenden Mädchen nicht ganz entgangen, daß der schöne, bleiche Knabe oft mit seltsamem, träumendem Blick die dunklen Augen auf ihr ruhen ließ, daß er wie mit Andacht dem Tonfall ihrer Stimme lauschte. Aber niemals war diese Ahnung inneren Wohlgefallens ihr bestimmt ins Bewußtsein getreten; der Prinz, scheu und verschlossen, hatte die Augen niedergeschlagen, wenn sie ihn über einem solchen Blick ertappte und ihn unbefangen fragend ansah: waren sie doch beide damals beinahe noch Kinder. Sie wußte nicht zu nennen, was in Athalarich vorging kaum wußte er es selbst, und nie war es ihr eingefallen, nachzudenken, warum auch sie gern in seiner Nähe lebte, gern dem kühnen, von der Art aller andrer Gespielen abweichenden Flug seiner Gedanken oder Phantasien folgte, gern auch schweigend neben dem Schweigenden im Abendlicht durch die stillen Gärten wandelte, wo er oft mitten aus seinen Träumereien abgerissene, aber immer sinnige Worte zu ihr sprach, deren Poesie, die Poesie schwärmerischer Jugend, sie so völlig verstand und würdigte.
In das zarte Weben dieser knospenden Neigung schlug nun die Katastrophe ihres über alles geliebten Vaters.
Und nicht nur sanfte Trauer um den Gemordeten, glühender Haß gegen den Mörder ergriff die Seele der leidenschaftlichen Römerin. Von jeher hatte Boethius, selbst in der Zeit seiner höchsten Gunst am Hofe, ein hochmütiges Herabsehen auf das Barbarentum der Goten zur Schau getragen, und seit seinem Untergang atmete natürlich die ganze Umgebung Kamillas, die Mutter, die beiden rachedürstenden Brüder, die Freunde des Hauses, nur Haß und Verachtung: nicht nur gegen den blutigen Mörder und Tyrannen Theoderich, nein, gegen alle Goten und vorab gegen Tochter und Enkel des Königs, die seine Schuld zu teilen schienen, weil sie dieselbe nicht verhindert. So hatte das Mädchen Athalarichs fast gar nicht mehr gedacht. Und wann er genannt wurde, oder wann, was ihr manchmal begegnete, sein Bild im Traume vor ihre Seele trat, so gipfelte all ihr Haß gegen die Barbaren in höchstem Abscheu gegen ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil im geheimsten Grund ihres Herzens jetzt eine widerstrebende Ahnung von jener Neigung zitterte, die sie zu dem schönen Königssohn gezogen. -
Und nun - nun hatte es der Frevler gewagt, ihr argloses Herz mit tückischem Streich zu treffen!
Sie hatte, sowie sie ihn aus dem Dickicht schreiten sah, sowie sie ihn erkannte, blitzschnell erfaßt, daß er es war, der, wie die Fassung der Quelle, so die Umgestaltung der ganzen Villa geschaffen. Er, der verhaßte Feind, der Sproß des verfluchten Geschlechts, an welchem das Blut ihres Vaters klebte, der König der Barbaren! All die Freuden, mit welchen sie in diesen Tagen Haus und Garten durchmustert, brannten jetzt wie glühend Erz auf ihrer Seele. Der Todfeind ihres Volkes, ihres Geschlechts, hatte gewagt, sie zu beschenken, zu erfreuen, zu beglücken. Für ihn hatte sie Dankgebete zum Himmel gesandt. Er hatte sich erkühnt, ihren Schritten zu folgen, ihre Worte zu belauschen, ihre leisesten Wünsche zu erfüllen :- und im Hintergrund ihrer Seele stand, schrecklicher als all dies, der Gedanke, warum er das getan. Er liebte sie. Der Tyrann Italiens, er wagte wohl gar zu hoffen, daß des Boethius Tochter -
Oh, es war zu viel! Und schmerzlich schluchzend barg sie das Haupt in die Kissen ihres Lagers, bis dumpfer Schlaf der Erschöpfung auf sie niedersank. Alsbald erschien der eilig herbeigerufene Cethegus bei den ratlosen Frauen. Rusticiana hatte ihrem wie Kamillens erstem Gefühle folgend, sofort die Villa und die verhaßte Nähe des Königs fliehen und ihr Kind jenseits der Alpen bergen wollen. Aber der Zustand Kamillas hatte bisher den Aufbruch verhindert, und sowie der Präfekt das
Haus betrat, schien sich die Flamme der Aufregung vor seinem kalten Blick zu legen. Er nahm Rusticiana allein mit sich in den Garten: ruhig und aufmerksam hörte er daselbst, den Rücken an einen Lorbeerstamm gelehnt, das Kinn in die linke Hand gestützt, ihrer leidenschaftlichen Erzählung zu.
«Und nun rede», schloß sie, «was soll ich tun? Wie soll ich mein armes Kind retten? Wohin sie bringen?»
Cethegus schlug die Augen auf, die er, wie er bei angestrengtem Nachsinnen pflegte, halb geschlossen hatte.
«Wohin Kamilla bringen?» sagte er. «An den Hof, nach Ravenna.»
Rusticiana fuhr empor: «Wozu jetzt der giftige Scherz!»
Aber Cethegus richtete sich rasch auf.
«Es ist mein Ernst. Still - hör mich. Kein gnädigeres Geschenk hat das Schicksal, das die Barbaren verderben will, in unsren Weg legen können. Du weißt, wie völlig ich die Regentin beherrsche.
Aber nicht weißt du, wie völlig machtlos ich bin über jenen eigensinnigen Schwärmer. Es ist rätselhaft. Der kranke Jüngling ist im ganzen Gotenvolk der einzige, der mich, wenn nicht durchschaut, doch ahnt. Und ich weiß nicht, ob er mich mehr fürchtet oder mehr haßt. Das wäre mir ziemlich gleichgültig, wenn der Verwegene mir nicht sehr entschieden und sehr erfolgreich entgegenarbeitete. Sein Wort wiegt natürlich schwer bei seiner Mutter. Oft schwerer als das meine. Und er wird immer älter, reifer, gefährlicher. Sein Geist überflügelt mächtig seine Jahre. Er nimmt ernstlichen Teil an den Beratungen der Regentschaft. Jedesmal spricht er gegen mich. Oft siegt er. Erst neulich hat er es gegen mich durchgesetzt, daß der schwarzgallige Teja den Befehl der gotischen Truppen in Rom erhielt, in meinem Rom! Kurz, der junge König wird höchst gefährlich. Und ich hatte bisher nicht einen Schatten von Gewalt über ihn. Zu seinem Verderben liebt er Kamilla. Durch sie wollen wir den Unbeherrschbaren beherrschen.»
«Nimmermehr!» rief Rusticiana. «Nie, solang ich atme. Ich an den Hof des Tyrannen! Mein Kind die Geliebte Athalarichs! Des Boethius Tochter! Sein blutiger Schatten würde...»
«Willst du diesen Schatten rächen? Ja, willst du die Goten verderben? Ja! Also mußt du wollen, was dahin führt.» - «Nie, bei meinem Eide!» - «Weib, reize mich nicht. Trotze mir nicht. Du kennst mich! Bei meinem Eide! Wie? Hast du mir nicht Gehorsam geschworen, blinden, unbedingten, wie ich dir Rache verheißen? Hast du's nicht geschworen auf die Gebeine der Heiligen, dich und deine Kinder verflucht für den Eidbruch? Man sieht sich vor bei euch Weibern. Gehorche oder zittere für deine Seele.»
«Entsetzlicher! Soll ich all meinen Haß dir, deinen Plänen opfern?»
«Mir? Wer spricht von mir? Deine Sache führ' ich. Deine Rache vollend' ich. Mir haben die Goten nichts zuleid getan. Du hast mich aufgestört von meinen Büchern. Du hast mich aufgerufen, diese Amaler zu vernichten. Willst du nicht mehr? Auch gut! Ich kehre zurück zu Horatius und der Stoa! Leb' wohl.»
«Bleib, bleibe. Aber soll denn Kamilla das Opfer werden?»
«Wahnsinn! Athalarich soll es werden. Sie soll ihn ja nicht lieben, sie soll ihn nur beherrschen. Oder», fügte er, sie scharf ansehend, hinzu, «fürchtest du für ihr Herz?» - «Deine Zunge erlahme! Meine Tochter ihn lieben? Eher erwürg' ich sie mit diesen Händen.»
Aber Cethegus war nachdenklich geworden.
Es ist nicht um das Mädchen, sagte er zu sich selbst. Was liegt an ihr! Aber wenn sie ihn liebt und der Gote ist schön, geistvoll, schwärmerisch... «Wo ist deine Tochter?» fragte er laut.
«Im Frauengemach. Auch wenn ich wollte, sie würde nie einwilligen, nie.»
«Wir wollen's versuchen. Ich gehe zu ihr.»
Und sie traten ins Haus. Rusticiana wollte mit ihm in das Gemach. Aber Cethegus wies sie zurück.
«Allein muß ich sie haben!» sprach er und schritt durch den Vorhang. Bei seinem Anblick erhob sich das schöne Mädchen von den Teppichen, auf denen sie in ratlosem Sinnen geruht. Gewöhnt, in dem klugen, beherrschenden Mann, dem Freund ihres Vaters, stets einen Berater und Helfer zu finden, begrüßte sie ihn vertrauend wie die Kranke den Arzt.
«Du weißt, Cethegus?» - «Alles.» - «Und du bringst mir Hilfe.»
«Rache bring' ich dir, Kamilla!»
Das war ein neuer, ein mächtig ergreifender Gedanke! Nur Flucht, Rettung aus dieser qualvollen Lage hatten ihr bisher vorgeschwebt. Höchstens eine zornige Abweisung der königlichen Geschenke. Aber jetzt Rache! Vergeltung für die Schmerzen dieser Stunden! Rache für die erlittene Schmach! Rache an den Mördern ihres Vaters! Ihre Wunden waren frisch. Und in ihren Adern kochte das heiße Blut des Südens. Ihr Herz frohlockte über Cethegus' Wort!
«Rache? Wer wird mich rächen? Du?» - «Du dich selbst! Das ist süßer.»
Ihre Augen blitzten. «An wem?» - «An ihm. An seinem Haus. An allen unsern Feinden.» - «Wie kann ich das? Ein schwaches Mädchen?» - «Höre auf mich, Kamilla. Nur dir, nur des edeln Boethius edler Tochter sag' ich, was ich sonst keinem Weib der Erde vertrauen würde. Es besteht ein starker Bund von Patrioten, der die Herrschaft der Barbaren spurlos austilgen wird aus diesem Lande: das Schwert der Rache hängt über den Häuptern der Tyrannen. Das Vaterland, der Schatten deines Vaters beruft dich, es herabzustürzen.»
«Mich? Ich - meinen Vater rächen? Sprich!» rief hocherglühend das Mädchen, die schwarzen Haare aus den Schläfen streichend. «Es gilt ein Opfer. Rom fordert es.» -«Mein Blut, mein Leben! Wie Virginia will ich sterben.» - «Du sollst leben, den Sieg zu schauen. Der König liebt dich. Du mußt nach Ravenna. An den Hof. Du mußt ihn verderben. Durch diese Liebe. Wir alle haben keine Macht über ihn. Nur du hast Gewalt über seine Seele. Du sollst dich rächen und ihn vernichten.»
«Ihn vernichten?!» - Seltsam bewegt klang die leise Frage; ihr Busen wogte, ihre Stimme bebte in der Mischung ringender Gefühle, Tränen brachen aus ihren Augen, sie verbarg das Gesicht in den Händen. - Cethegus stand auf «Vergib», sagte er. «Ich gehe. Ich wußte nicht, daß du den König liebst.»
Ein Weheschrei des Zornes wie bei physischem Schmerz drang aus des Mädchens Brust. Sie sprang auf und faßte ihn an der Schulter:
«Mann, wer sagt das? Ich hasse ihn! Hasse ihn, wie ich nie gewußt, daß ich hassen kann.»
«So beweis' es. Denn ich glaub' es dir nicht.» - «Ich will dir's beweisen!» rief sie. «Sterben soll er! Er soll nicht leben!»
Sie warf das Haupt zurück, wild funkelten die blitzenden Augen, ihr schwarzes Haar flog um die weißen Schultern.
Sie liebt ihn, dachte Cethegus. Aber es schadet nicht. Denn sie weiß es noch nicht. Sie haßt ihn daneben. Und das allein weiß sie. Es wird gehn.
«Er soll nicht leben», wiederholte sie. «Du sollst sehen», lachte sie, «wie ich ihn liebe! Was soll ich tun?» - «Mir folgen in allem.» - «Und was versprichst du mir dafür? Was soll er erleiden?»
«Verzehrende Liebe bis zum Tod.» - «Liebe zu mir? Ja, ja, das soll er!» - «Er, sein Haus, sein Reich sollen fallen.»
«Und er wird wissen, daß durch mich -» - «Er soll es wissen. Wann reisen wir nach Ravenna?»
«Morgen! Nein, heute noch.» Sie hielt inne und faßte seine Hand: «Cethegus, sage, bin ich schön?»
«Der Schönsten eine.»
«Ha!» rief sie, die losgegangenen Locken schüttelnd. «Er soll mich lieben und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen!» Und sie stürmte aus dem Gemach. Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei Athalarich zu sein.
Noch am nämlichen Tage wurde die kleine Villa verlassen und der Weg nach der Königsstadt angetreten.
Cethegus schickte einen Eilboten voraus mit einem Brief Rusticianas an die Regentin. Die Witwe des Boethius erklärte darin, daß sie die durch Vermittlung des Präfekten von Rom wiederholt angebotene Rückberufung an den Hof nunmehr anzunehmen bereit sei. Nicht als eine Tat der Gnade, sondern der Sühne, als ein Zeichen, daß die Erben Theoderichs dessen Unrecht an den Verblichenen gutmachen wollten.
Diese stolze Sprache war wie aus Rusticianas tiefstem Herzen, und Cethegus wußte, daß solches Auftreten nicht schaden, nur alle verdächtige Auslegung der rasche n Umstimmung ausschließen werde. Unterwegs noch traf die Reisenden die Antwort der Königin, die sie am Hof willkommen hieß. In Ravenna angelangt, wurden sie von der Fürstin aufs ehrenvollste empfangen, mit Sklaven und Sklavinnen umgeben und in dieselben Räume des Palastes eingeführt, die sie ehedem bewohnt. Freudig begrüßten sie die Römer.
Aber der Zorn der Goten, die in Boethius und Symmachus undankbare Verräter verabscheuten, wurde durch diese Maßregeln, die eine stillschweigende Verurteilung Theoderichs zu enthalten schienen, schwer gereizt. Die letzten Freunde des Großen Königs verließen grollend den verwelschten Hof. -
Einstweilen hatten die Zeit, die Zerstreuungen der Reise und der Ankunft Kamillas Aufregung gemildert. Und ihr Zorn konnte sich um so eher beschwichtigen, als ihr viele Wochen zu Ravenna verstrichen, ehe sie Athalarich begegnete. Denn der junge König war gefährlich erkrankt.
Am Hof erzählte man, er habe bei einem Aufenthalt zu Aretium - er wollte dort, mit geringer Begleitung, der Bergluft, der Bäder und der Jagd genießen - in den Wäldern von Tifernum in der Hitze der Jagd einen kalten Trunk aus einer Felsenquelle getan und sich dadurch einen heftigen Anfall seines alten Leidens zugezogen.
Tatsache war, daß ihn sein Gefolge an jener Quelle bewußtlos niedergesunken gefunden hatte.
Die Wirkung dieser Erzählung auf Kamilla war seltsam. Zu dem Haß gegen Athalarich trat jetzt ein Zug von leisem Bedauern. Ja eine Art von Selbstanklage. Aber andrerseits dankte sie dem Himmel, daß durch diese Krankheit eine Begegnung hinausgeschoben wurde, die sie jetzt in Ravenna nicht minder fürchtete, als sie dieselbe, da sie noch fern von ihm in Tifernum war, lebhaft herbeigewünscht hatte. Und wenn sie jetzt in den weiten Anlagen des herrlichen Schloßgartens einsam wandelte, hatte sie immer und immer wieder zu bewundern, mit welcher Sorgfalt das kleine Gütchen des Corbulo diesem Muster nachgebildet worden war.
Tage und Wochen vergingen.
Man vernahm nichts von dem Kranken, als daß er zwar auf dem Weg der Besserung, aber noch streng an seine Gemächer gebunden sei. Ärzte und Hofleute, die ihn umgaben, priesen ihr oft seine Geduld und Kraft in den heftigsten Schmerzen, seine Dankbarkeit für jeden kleinen Liebesdienst, seine edle Milde. Aber wenn sie ihr Herz ertappte, wie gern es diesen
Lobesworten lauschte, sagte sie heftig zu sich selbst: «Und meines Vaters Ermordung hat er nicht gehindert!» und ihre Brauen zogen sich zusammen, und sie legte heimlich die geballte Faust auf das pochende Herz.
In einer heißen Julinacht war Kamilla nach langem friedlosem Wachen endlich gegen Morgen in unruhigen Schlaf gesunken. Angstvolle Träume quälten sie. Ihr war, als senke sich die Decke des Gemaches mit ihren Reliefgestalten auf sie nieder. Gerade über ihrem Haupte war ein jugendlich schöner Hypnos, der sanfte Gott des Schlafes, von hellenischer Hand gebildet, angebracht.
Ihr träumte, der Schlafgott nehme die ernsteren, trauervollen Züge seines bleichen Bruders Thanatos an.
Langsam und leise senkte der Gott des Todes sein Antlitz auf sie nieder. - Immer näher rückte er. - Immer bestimmter wurden seine Züge. - Schon fühlte sie den Hauch seines Atems auf ihrer Stirn. - Schon berührten fast seine Lippen ihren Mund. - Da erkannte sie mit Entsetzen die bleichen Züge, das dunkle Auge. - Es war Athalarich - dieser Todesgott. - Mit einem Schrei fuhr sie empor.
Die zierliche Silberlampe war längst erloschen. Es dämmerte im Gemach.
Eine rotes Licht drang gedämpft durch das Fenster von Frauenglas. Sie erhob sich und öffnete es; die Hähne krähten, die Sonne tauchte mit den ersten Strahlenspitzen aus dem Meer, auf das sie, über den Schloßgarten hinweg, freien Ausblick hatte. Es litt sie nicht mehr in dem schwülen Gemach.
Sie schlug den faltigen Mantel um die Schultern und eilte leise, leise aus dem noch schlummernden Palast über die Marmorstufen in den Garten, aus dem ihr erfrischender Morgenwind von der nahen See her entgegenwehte. Sie eilte der Sonne und dem Meere zu. Denn im Osten stieß der Garten des Kaiserpalastes mit seinen hohen Mauern unmittelbar an die blauen Wellen der Adria. Ein vergoldetes Gittertor und jenseits desselben zehn breite Stufen von weißem hymettischem Marmor führten hinab zu dem kleinen Hafen des Gartens, in welchem die schwanken Gondeln mit leichten Rudern und dem dreieckigen lateinischen Segel von Purpurlinnen schaukelten, mit silbernen Kettchen an den zierlichen Widderköpfen von Erz befestigt, die links und rechts aus dem Marmorquai hervorragten. Diesseits des Gittertors, nach dem Garten zu, fanden die Anlagen ihren Abschluß in einer geräumigen Rundung, die von weit schattenden Pinien dicht umfriedet war. Ihre Bodenfläche, von üppigem, sorgfältig gezognem Graswuchs bedeckt, wurde von reinlichen Wegen durchschnitten und von reichen Beeten stark duftender Blumen unterbrochen. Eine Quelle, zierlich gefaßt, rieselte den Abhang hinab in das Meer. Die Mitte des Platzes bildete ein kleiner, altersgrauer Venustempel, den eine einsame Palme hochwipflig überragte, indes brennendroter Steinbrech in den leeren Halbnischen seiner Außenwände prangte. Vor seiner längst geschlossenen Pforte stand zur Rechten ein eherner Äneas. Der Julius Cäsar zur Linken war schon vor Jahrhunderten zusammengestürzt. Theoderich hatte auf dem Postament ein Erzbild des Amala errichten lassen, des mystischen Stammvaters seines Hauses. Hier, zwischen diesen Statuen an den Eingangsstufen das kleinen Fanum, genoß man den herrlichsten Blick durch das Gittertor auf das Meer mit seinen buschigen Laguneninseln und einer Gruppe von scharfkantigen malerischen Felsklippen, «die Nadeln der Amphitrite» genannt.
Es war ein alter Lieblingsort Kamillas.
Und hierher lenkte sie jetzt die leichten Schritte, den reichen Tau von dem hohen Grase streifend, wie sie mit leicht gehobnem Gewand durch die schmalen Wiesenwege eilte. Sie wollte die Sonne über das Meer hin aufglühen sehen. Sie kam von der Rückseite des Tempels, ging an dessen linker Seite hin und trat eben auf die erste der Stufen, die von seiner Stirn zu dem Gitter hinabführten, als sie rechts, auf der zweiten Stufe, halb sitzend, halb liegend, eine weiße Gestalt erblickte, die, das Haupt an die Treppe gelehnt, das Antlitz dem Meere zuwandte.
Aber sie erkannte das braune, das seidenglänzende Haar: es war der junge König.
Die Begegnung war so plötzlich, daß an Ausweichen nicht zu denken war. Wie angewurzelt hielt das Mädchen auf der ersten Stufe. Athalarich sprang auf und wandte sich rasch. Eine helle Röte flammte über sein marmorbleiches Gesicht. Doch faßte er sich zuerst von beiden und sprach:
«Vergib, Kamilla. Ich konnte dich nicht hier erwarten. Zu dieser Stunde. Ich gehe. Und lasse dich allein mit der Sonne.» Und er schlug den weißen Mantel über die linke Schulter.
«Bleib, König der Goten. Ich habe nicht das Recht, dich zu verscheuchen - und nicht die Absicht», fügte sie bei.
Athalarich trat einen Schritt näher. «Ich danke dir. Aber ich bitte dich um eins», setzte er lächelnd hinzu, «verrate mich nicht an meine Ärzte, an meine Mutter. Sie sperren mich den ganzen Tag über so sorgsam ein, daß ich ihnen wohl vor Tag entschlüpfen muß. Denn die frische Luft, die Seeluft tut mir gut. Ich fühl's. Sie kühlt. Du wirst mich nicht verraten.» Er sprach so ruhig. Er blickte so unbefangen.
Diese Unbefangenheit verwirrte Kamilla. Sie wäre viel mutiger gewesen, wenn er bewegter. Sie sah diese Unbefangenheit mit Schmerz. Aber nicht um der Pläne des Präfekten willen. So schüttelte sie nur schweigend das Haupt zur Antwort. Und sie senkte die Augen.
Jetzt erreichten die Strahlen der Sonne die Höhe, auf der die beiden standen. Der alte Tempel und das Erz der Statuen schimmerten im Morgenlicht. Und eine breite Straße von zitterndem Gold bahnte sich von Osten her über die spiegelglatte Flut. «Sieh, wie schön!» rief Athalarich, fortgerissen von dem Eindruck. «Sieh die Brücke von Licht und Glanz.»
Sie blickte teilnehmend hinaus. «Weißt du noch, Kamilla?» fuhr er langsamer fort, wie in Erinnerungen verloren und ohne sie anzusehen, «weißt du noch, wie wir hier als Kinder spielten? Träumten? Wir sagten: die goldne Straße, von Sonnenstrahlen auf die Flut gezeichnet, führe zu den Inseln der Seligen.» -
«Zu den Inseln der Seligen!» wiederholte Kamilla. Im stillen bewunderte sie, mit welcher Zartheit und edlen Leichtigkeit er, jeden Gedanken an ihre letzte Begegnung fernhaltend, mit ihr in einer Weise verkehrte, die sie völlig entwaffnete. «Und schau', wie dort die Statuen glänzen: das wundersame Paar, Äneas und Amala! Höre, Kamilla, ich habe dir abzubitten.» Lebhaft schlug ihr Herz. Jetzt wollte er der Ausschmückung der Villa, der Quelle gedenken. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie schwieg in peinlicher Erwartung. Aber ruhig fuhr der Jüngling fort: «Du weißt, wie oft wir, du die Römerin, ich der Gote, an diesem Ort in Wettreden den Ruhm und den Glanz und die Art unserer Völker priesen. Dann standest du unter dem Äneas und sprachst mir von Brutus und Camillus, von Marcellus und den Scipionen. Ich aber, an meines Ahnherrn Amala Schild gelehnt, rühmte Ermanarich und Alarich und Theoderich. Aber du sprachst besser als ich. Und oft, wenn der Schimmer deiner Helden mich zu überstrahlen drohte, lachte ich deiner Toten und rief: «Das Heute und die lebendige Zukunft ist meines Volkes!»
«Nun, und jetzt?» - «Ich spreche nicht mehr so. Du hast gesiegt, Kamilla!»
Aber indem er so sprach, schien er so stolz wie nie zuvor. Und dieser überlegene Ausdruck empörte die Römerin. Sie war ohnehin gereizt durch die unnahbare Ruhe, mit welcher der Fürst, auf dessen Leidenschaft man solche Pläne gebaut, ihr gegenüberstand. Sie begriff diese Ruhe nicht. Sie hatte ihn gehaßt, weil er es gewagt, ihr seine Liebe zu zeigen. Und jetzt lebte dieser Haß auf, weil er es vermochte, diese Liebe zu verbergen. Mit der Absicht, ihm wehzutun, sagte sie langsam: «So räumst du ein, König der Goten, daß deine Barbaren den
Völkern der Menschlichkeit nachstehen?»
"Ja, Kamilla», antwortete er ruhig, «aber nur in einem: im Glück! Im Glück des Geschickes wie im Glück der Natur. Sieh dort die Gruppe von Fischern, die ihre Netze aufhängen an den Olivenbäumen am Strande. Wie schön sind diese Gestalten! In Bewegung und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen! Hier das Mädchen mit der Amphora auf dem Haupt! Dort der Alte, der den Kopf auf den linken Arm gestützt, im Sande liegt und hinaus träumt ins Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter König. Wie sie schön sind! Und in sich eins und glücklich! Ein Schimmer ungebrochenen Glücks liegt über ihnen. Wie über Kindern! Oder edlen Tieren! Das fehlt uns Barbaren!» - «Fehlt euch nur das?» - «Nein, uns fehlt auch Glück im Schicksal.
Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier herein verschlagen in eine fremde Welt, in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen Alpen, dem Edelweiß, die vom Sturmwind vertragen ward in den heißen Sand der Niederung. Wir können nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben.» -
Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Kamilla hatte nicht die Stimmung, diesen weissagerischen Worten eines Königs über sein Volk nachzusinnen. «Warum seid ihr gekommen?» fragte sie mit Härte. «Warum seid ihr über die Berge gedrungen, die ein Gott als ewige Marken gesetzt hat zwischen euch und uns. Sprich, warum?»
«Weißt du», sprach Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und für sich selber fortdenkend, «weißt du, warum die dunkle Motte nach der hellen Flamme fliegt? Wieder, immer wieder! Von keinem Schmerz gewarnt, bis sie verzehrt ist von der schönen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund? Aus einem süßen Wahnsinn! Und solch ein süßer Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen hat zu Lorbeer und Olive. Sie werden sich die Flügel verbrennen, die törichten Helden. Und werden doch nicht davon lassen. Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tief blau der Himmel! wie tief blau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel der Pinien und die Säulentempel voll Marmorglanz! und fern da drüben ragen schön gewölbte Berge und draußen in der Flut schwimmen grüne Inseln, wo sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drüber hin die weiche, die warme, die kosende Luft, die alles erhellt. Welche Wunder der Formen, der Farben trinkt das Auge und atmen die entzückten Sinne! Das ist der Zauber, der uns ewig locken und ewig verderben wird.»
Die tiefe und edle Erregung des jungen Königs blieb nicht ohne Eindruck auf Kamilla. Die tragische Gewalt dieser Gedanken ergriff ihr Herz; aber sie wollte nicht ergriffen sein. Sie wehrte sich gegen ihre weicher werdende Empfindung. Sie sagte kalt: «Ein ganzes Volk gegen Verstand und Einsicht vom Zauber angezogen?» und kalt und zweifelnd sah sie ihn an.
Aber sie erschrak: denn wie Blitze loderte es aus den dunklen Augen des Jünglings, und die lang zurückgehaltne Glut brach plötzlich aus den Tiefen seiner Seele: «Ja, sag' ich dir, Mädchen!» rief er leidenschaftlich. «Ein ganzes Volk kann eine törichte Liebe, einen süßen, verderblichen Wahnsinn, eine tödliche Sehnsucht pflegen so gut wie - so gut wie ein einzelner. Ja, Kamilla, es gibt eine Gewalt im Herzen, die stärker als Verstand und Wille, uns sehenden Auges ins Verderben reißt. Aber du weißt das nicht! Und mögest du's nie erfahren. Niemals. Leb wohl!»
Und rasch wandte er sich und bog rechts vom Tempel in den dichten Laubgang von rankendem Wein, der ihn sofort vor Kamilla wie vor den Fenstern des Schlosses verbarg.
Sinnend blieb das Mädchen stehen.
Seine letzten Worte klangen seltsam fort in ihren Gedanken: lange sah sie träumend ins offne Meer hinaus, und mit wundersam gemischter Empfindung, mit verwandelter
Stimmung, kehrte sie endlich wieder dem Schlosse zu.
Noch am nämlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in wichtigen Geschäften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem Regentschaftsrat, der in des kranken Königs Gemach gehalten wurde. Verhaltener Zorn lagerte auf seinen herben Zügen.
«Ans Werk, Kamilla», sprach er heftig. «Ihr säumt zu lang. Dieser vorlaute Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefährlichen Leuten. Mit dem alten Hildebrand, mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und empfängt Briefe hinter unsrem Rücken. Er hat es durchgesetzt, daß die Königin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und in diesem Rat kreuzt er all unsre Pläne. Das muß aufhören. So oder so.» - «Ich hoffe nicht mehr, Einfluß auf den König zu gewinnen», sagte Kamilla ernst. - «Weshalb? Hast du ihn schon gesehen?» Das Mädchen überlegte, daß sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Ärzte gelangen zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefühl, die Begegnung dieses Morgens zu entweihen, zu verraten.
Sie wich daher der Frage aus und sagte: «Wenn der König sich sogar seiner Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen Mädchen beherrschen lassen. »
«Goldne Einfalt!» lächelte Cethegus und ließ das Gespräch ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim trieb er Rusticianen, zu veranlassen, daß ihre Tochter den König fortan häufig sehe und spreche.
Dies ward möglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie äußerlich, wurde er innerhalb zusehends männlicher, fester und reifer: es war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kräftige.
So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boethius in den Abendstunden häufig trafen.
Und während Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte, um sie wörtlich dem Präfekten wiedererzählen zu können, wandelten die jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gänge des Gartens.
Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in jenem Hafen, und Athalarich steuerte wohl selbst eine Strecke ins blaue Meer hinaus, nach einer der kleinen, grünbuschigen Inseln, die nicht weit vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel auf und ließ sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang zu erheben pflegte, langsam und mühelos zurücktragen. -
Oft waren es auch der König und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion begleitet, sich dieser Wanderungen im Grünen und auf den Wellen erfreuten.
Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes, die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwägungen segnete sie dankbar den günstigen Einfluß, den dieser Umgang augenscheinlich auf ihren Sohn übte: er wurde in Kamillas Nähe ruhiger, heiterer, und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft heftig und schroff gegenübertrat.
Auch beherrschte er sein Gefühl mit einer Sicherheit, die bei dem reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich würde die Regentin, im Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht abgeneigt gewesen sein, die den römischen Adel völlig zu gewinnen und jedes Andenken einer unseligen Bluttat auszulöschen versprach.
In dem Mädchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Täglich mehr fühlte sie ihren Groll und Haß schwinden, wie sie täglich klarer die edle Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemüt des jungen Königs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung, konnte sie gegen diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als Talisman ins Andenken zurückrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigeführt, mit Gerechtigkeit zu unterscheiden, immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei, Athalarich um eines Unglücks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert hatte und wohl schwerlich hätte verhindern können. Längst hätte sie ihn am liebsten völlig freigesprochen, aber sie mißtraute dieser Milde: sie scheute sie wie eine schwarze Sünde gegen Vater, Vaterland und eigene Freiheit.
Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr wurde, wie mächtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hören und in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fürchtete die frevelhafte Liebe, die sie sich nur schwer noch verhehlen konnte, und die einzige Waffe, mit der sie sich noch dagegen wehrte, der Vorwurf seiner Mitschuld an des Vaters Untergang, wollte sie sich nicht entwinden lassen. So schwankte sie in wogenden Gefühlen, desto unsichrer, je rätselhafter ihr Athalarichs geschlossene Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran zweifeln, daß er sie liebe, nach allem, was geschehen - aber doch!
Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe, jene Äußerung, mit der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja das einzige bedeutsam Wort, das ihm entschlüpfte.
Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Jünglings durchgekämpft und durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch weniger, in welch neuem Gefühl er die männliche Kraft solcher Entsagung gefunden. Ihre
Mutter, die ihn mit aller Schärfe des Hasses beobachtete und darüber das eigne Kind zu überwachen vergaß, schien noch mehr erstaunt über seine Kälte. «Aber Geduld», sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft hinter Kamillas Rücken Beratung pflog. «Geduld, bald, binnen drei Tagen, wirst du ihn verwandelt sehen.» - «Es wäre Zeit», meinte Cethegus; «aber auf was vertraust du?» - «Auf ein Mittel, das noch nie getäuscht hat.»
«Du wirst ihm doch kein Liebestränklein brauen?» lächelte der Präfekt. - «Allerdings, das werd' ich tun; das hab' ich schon getan.» - Jener sah sie spöttisch an: «Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des großen Philosophen Boethius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!»
«Nicht Wahn und Aberglaube», sagte Rusticiana ruhig. «Seit mehr als hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein ägyptisch Weib hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich bewährt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhörung geliebt.» - «Dazu braucht's keinen Zauber», meinte der Präfekt: «ihr seid ein schönes Geschlecht.» - «Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar, und wenn er bis heute nicht wirkte -» - «So hast du wirklich Unvorsichtige! Wie konntest du unvermerkt?» - «Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der Gondelfahrt mit uns zurückkommt, nimmt er einen Becher gewürzten Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzus chütten.»
«Nun», meinte Cethegus, «es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt.» - «Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kräuter müssen im Neumond gebrochen werden - ich wußte das wohl. Aber, gedrängt von deinen Mahnungen, versucht' ich's schon im Vollmond, und du siehst, es wirkte nicht.» - Cethegus zuckte die Achseln. - «Aber gestern nacht trat Neumond ein. Ich war nicht müßig mit meiner goldnen Schere, und wenn er jetzt trinkt -» - «Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schöne Augen. Weiß sie von deinen Künsten?»
«Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.» Das Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken.
«Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff. Oh, er hat mich nie geliebt, der Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.» Und in Tränen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. - «Was ist geschehen, Kamilla?» fragte Cethegus. - «Schon oft», begann sie tiefaufatmend, «spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei er der tief von mir Gekränkte, als habe er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein großes Opfer gebracht -» -«Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben.» Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: «Athalarich ist kein Knabe mehr, und man soll ihn nicht verhöhnen.» Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: «Hassest du den König nicht mehr?» - «Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.»
«Was ist geschehen?» wiederholte Cethegus. - «Heute stand jener rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall äußerte ihn in Worten. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildtätige Hand und biß mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. Ich aber» und ihre Brust wogte, ihre feingeschnittenen Lippen schlossen sich «ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! Er soll mich lieben - oder sterben.» - «Das soll er», sagte Cethegus kaum hörbar, «eins von beiden.»
Wenige Tage darauf wurde der Hof durch einen neuen Schritt des jungen Königs zur Selbständigkeit überrascht: er selbst berief den Rat der Regentschaft, ein Recht, das bisher nur Amalaswintha geübt. Die Regentin war nicht wenig erstaunt, als ein Bote ihres Sohnes sie in dessen Gemächer beschied, wo der König bereits eine Auswahl der höchsten Beamten des Reiches um sich versammelt habe, Goten und Römer, unter diesen Cassiodor und Cethegus.
Dieser hatte zuerst beschlossen, auszubleiben, um nicht durch sein Erscheinen das Recht anzuerkennen, das sich der Knabe herausnahm: ihm ahnte nichts Gutes. Aber eben deshalb besann er sich bald eines andern. «Ich darf der Gefahr nicht den Rücken, die Stirn muß ich ihr bieten», sprach er, als er sich zu dem verhaßten Gang anschickte. Er fand in dem Gemach des Königs alle Geladenen bereits versammelt. Nur die Regentin fehlte noch. Als sie eintrat, erhob sich Athalarich - er trug eine langfaltige Abolla von Purpur, die Zackenkrone Theoderichs glänzte auf seinem Haupt, und unter dem Mantel klirrte das Schwert - von seinem Thronsessel, der vor einer durch einen Vorhang geschlossenen Nische stand, ging ihr entgegen und führte sie zu einem zweiten höheren Stuhl, der aber zur Linken stand. Als sie sich niedergelassen, hob er an: «Meine königliche Mutter, tapfre Goten, edle Römer! Wir haben euch hierher beschieden, euch unsern Willen kundzutun. Es drohten diesem Reiche Gefahren, die nur wir, der König dieses Reiches, abwenden konnten.»
Solche Sprache hatte man aus diesem Munde noch nicht vernommen. Alle schwiegen betroffen, Cethegus aus Klugheit: er wollte den rechten Augenblick abwarten. Endlich begann Cassiodor: «Deine weise Mutter und dein getreuer Diener Cassiodor» - - «Mein getreuer Diener Cassiodor schweigt, bis sein Herr und König ihn um Rat befragt. Wir sind schlecht zufrieden, sehr schlecht, mit dem, was die Räte unsrer königlichen Mutter bisher getan und nicht getan haben. Es ist höchste Zeit, daß wir selbst zum Rechten sehn.
Wir waren dazu bisher zu jung und zu krank. Wir fühlen uns nicht mehr zu jung und nicht mehr zu krank. Wir künden euch an, daß wir demnächst die Regentschaft aufheben und die Zügel dieses Reiches selbst ergreifen werden.»
Er hielt inne. Alles schwieg. Niemand hatte Lust, nach Cassiodors Beispiel zu reden und dann zu verstummen.
Endlich fand Amalaswintha, die diese plötzliche Energie ihres Sohnes gleichsam betäubt hatte, die Sprache wieder: «Mein Sohn, dies Alter der Mündigkeit ist nach den Gesetzen der Kaiser» - «Nach den Gesetzen der Kaiser, Mutter, mögen die Römer sich richten. Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt.
Wir haben deshalb beschlossen, alle Heerführer und Grafen und alle freien Männer unsres Volkes, so viele ihrer dem Rufe folgen wollen, aus allen Provinzen des Reiches zur Heeresschau zu laden nach Ravenna. Mit dem nächsten Sonnwendfest sollen sie eintreffen.»
Überrascht schwieg die Versammlung.
«Das sind nur noch vierzehn Tage», sprach endlich Cassiodor. «Wird es möglich sein, in so kurzer Frist noch die Ladungen zu besorgen?» - «Sie sind besorgt. Hildebrand, mein alter Waffenmeister, und Graf Witichis haben sie alle bestellt.» -«Wer hat die Dekrete unterschrieben»? fragte Amalaswintha, sich ermannend. «Ich allein, liebe Mutter. Ich mußte doch den Geladenen zeigen, daß ich reif genug, allein zu handeln.»
«Und ohne mein Wissen!» sprach die Regentin. - «Und ohne dein Wissen geschah es, weil es sonst gegen deinen Willen geschehen mußte.»
Er schwieg. Alle Römer waren ratlos und wie betäubt von der plötzlich entfalteten Kraft des jungen Königs. Nur in Cethegus stand sogleich der Entschluß fest, jene Versammlung zu verhindern, um jeden Preis. Er sah den Grund all seiner Pläne wanken. Gern wär' er mit aller Wucht seines Wortes der vor seinen Augen versinkenden Regentschaft zu Hilfe gekommen, gern hätte er schon mehrere Male in dieser Verhandlung das kühne Aufstreben des Jünglings mit seiner ruhigen Überlegenheit zu Boden gedrückt, aber ihm hielt ein seltsamer Zufall Gedanken und Zunge wie mit Zauberbanden gefesselt.
Er hatte in der Nische hinter dem Vorhang Geräusch zu vernehmen geglaubt und scharfe Blicke darauf geheftet: da bemerkte er unter dem Vorhang durch, dessen Fransen nicht ganz bis zur Erde reichten, die Füße eines Mannes.
Freilich nur bis an die Knöchel. Aber an diesen Knöcheln saßen Beinschienen vo n Erz eigentümlicher Arbeit. Er kannte diese Beinschienen, er wußte, daß sie zu einer vollen Rüstung gleicher Art gehörten, er wußte auch in unbestimmter Gedankenverbindung, daß der Träger dieser Rüstung ihm verhaßt und gefährlich, aber es war ihm nicht möglich, sich zu sagen, wer dieser Feind sei. Hätte er die Schienen nur bis ans Knie verfolgen können! Gegen seinen Willen mußte er die Augen immer und immer wieder auf jenen Vorhang richten und raten und raten. Und das bannte seinen Geist jetzt - jetzt, da alles auf dem Spiele stand. Er zürnte über sich selbst, aber er konnte Gedanken und Blicke nicht von der Nische losreißen. Der König jedoch fuhr, ohne Widerstand zu finden, fort: «Ferner haben wir die edeln Herzoge Thulun, Ibbas und Pitza, die grollend diesen Hof verlassen, aus Gallien und Spanien zurückgerufen. Wir finden, daß allzuviele Römer, allzuwenig Goten uns umgeben. Jene drei tapferen Krieger werden mit Graf Witichis die Wehrmacht unseres Reiches, die Festen und die Schiffe untersuchen und alle Schäden aufdecken und heilen. Sie werden nächstens eintreffen.» Sie müssen sogleich wieder fort, sagte Cethegus rasch zu sich selbst. Aber seine Gedanken fuhren fort: Nicht ohne Grund ist jener Mann da drinnen versteckt.
«Weiter», hob der königliche Jüngling wieder an, «haben wir Mataswinthen, unsre schöne Schwester, zurückbeschieden an unsern Hof. Man hat sie nach Tarent verbannt, weil sie sich geweigert, eines betagten Römers Weib zu werden. Sie soll wiederkehren, die schönste Blume unseres Volkes, und unseren Hof verherrlichen.»
«Unmöglich!» rief Amalaswintha: «Du greifst in das Recht der Mutter wie der Königin.» - «Ich bin das Haupt der Sippe, sobald ich mündig bin.»
«Mein Sohn, du weißt, wie schwach du warst noch vor wenigen Wochen. Glaubst du wirklich, die gotischen Heermänner werden dich waffenreif erklären?»
Der König wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh' er Antwort fand, rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: «Sorge nicht darum, Frau Königin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfähig spricht, der gilt dafür bei allen Goten.» Lauter Beifall der anwesenden Goten bestätigte sein Wort.
Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner größten Feinde ist es, aber wer?
«Noch eine wichtige Sache ist euch kundzutun», begann der König wieder, mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Präfekten nicht entging.
Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich überraschen? Das soll nicht gelingen! -
Aber es überraschte ihn doch, als plötzlich der König mit lauter Stimme rief: «Präfekt von Rom, Cethegus Cäsarius!» Er zuckte, aber rasch gefaßt, neigte er das Haupt und sprach: «Mein Herr und König.» - «Hast du uns nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quinten? Was denkt man dort von den Goten?»
«Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!» - «Fürchtet man sie?» - «Man hat nicht Ursach', sie zu fürchten.» - «Liebt man sie?» - Gern hätte Cethegus geantwortet: Man hat nicht Ursach', sie zu lieben. Aber der König selbst fuhr fort:
«Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts Besonderes, das sich vorbereitet?»
«Ich habe dir nichts anzuzeigen.» - «Dann bist du schlecht unterrichtet, Präfekt - oder schlecht gesinnt. Muß ich, der in Ravenna kaum vom Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionäre führen bei ihren Waffenübungen drohende Reden. Höchst wahrscheinlich besteht bereits eine ausgebreitete Verschwörung, Senatoren, Priester an der Spitze: sie versammeln sich nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des Boethius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weißt du, wo? im Garten deines Hauses.» Der König stand auf. Die Augen aller Anwesenden richteten sich erstaunt, erzürnt, erschrocken auf Cethegus. Amalaswintha bebte für den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt wieder völlig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend sah er dem König ins Auge.
«Rechtfertige dich!» rief ihm dieser entgegen.
«Rechtfertigen gegen einen Schatten, ein Gerücht, eine Klage sonder Kläger? Nie!» - «Man wird dich zu zwingen wissen.» Hohn zuckte um des Präfekten schmale Lippen.
«Man kann mich morden auf bloßen Verdacht, ohne Zweifel -wir haben das erfahren, wir Italier! - nicht mich verurteilen. Gegen Gewalt gibt es keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit.» - «Gerechtigkeit soll dir werden, zweifle nicht. Wir übertragen den hier anwesenden Römern die Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfällung. Wähle dir einen Verteidiger.» - «Ich verteidige mich selbst», sprach Cethegus kühl. «Wie lautet die Anklage? Wer ist mein Ankläger? Wo ist er?» - «Hier», rief der König und schlug den Vorhang zurück.
Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Rüstung trat hervor.
Wir kennen ihn. Es war Teja.
Dem Präfekten drückte der Haß die Wimper nieder. Jener aber sprach: «Ich, Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Cäsarius, des Hochverrats an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verräter Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und hehlen. Es steht der Tod darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen.»
«Das will ich nicht», sprach Cethegus ruhig: «beweise deine Klage.» - «Ich habe Albinus vor vierzehn Nächten mit diesen Augen in deinen Garten treten sehen», fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. «Er kam von der Via sacra her, in einen Mantel gehüllt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei Nächten war die Gestalt an mir vorbeigeschlüpft; diesmal erkannt' ich ihn. Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an der Tür, die sich von innen schloß.» - «Seit wann spielt mein Amtsgenoß, der tapfere Kommandant von Rom, den nächtlichen Späher?» - «Seit er einen Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Flüchtling entkam - diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält Namen von römischen Großen und neben den Namen Zeiche n einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle.» Er reichte sie dem König. Dieser las: «Die Namen sind: Silvernus, Cethegus, Licinius, Scävola, Calpurnius, Pompenius. - Kannst du beschwören, daß der Vermummte Albinus war?»
«Ich will's beschwören.» - «Wohlan, Präfekt. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?»
«Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Römer senatorischen Ranges.» Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Tejas blasses Antlitz wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert: «So vertret' ich mein Wort mit dem Schwert», sprach er mit tonloser Stimme. «Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod und Leben.» - «Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote: ich würde dem Bastard den Kampf versagen.» - «Geduld», sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert leise in die Scheide zurück. «Geduld, mein Schwert. Es kommt dein Tag.» Aber die Römer im Saale atmeten auf.
Der König nahm das Wort: «Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und das des Präfekten. Hildebrand, du verhaftest den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.» - «Halt», sprach Cethegus, «ich leiste Bürgschaft mit all meinem Gut, daß ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.»
«Kehr' dich nicht dran, mein Sohn», rief der alte Hildebrand vortretend, «laß mich ihn fassen. »
«Laß», sprach der König. «Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage überrascht. Er soll Zeit haben, sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.»
Der König winkte mit dem Zepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Römer drückten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm prüfend ins Auge und fragte dann: «Cethegus, kann ich dir helfen?» - «Nein, ich helfe mir selbst», sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus.
Der heftige Schlag, den der junge König so unerwartet gegen den ganzen Grundbau der Regentschaft geführt hatte, erfüllte bald den Palast und die Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boethius brachte die erste bestimmte Kunde Cassiodor, der Rusticianen zum Trost der erschütterten Regentin beschied. Mit Fragen bestürmt, erzählte er den ganzen Hergang ausführlich: und so bestürzt oder unwillig er darüber war, auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft, der Mut des jungen Fürsten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Kamilla jedem seiner Worte: Stolz, stolz auf den Geliebten - der Liebe glücklichstes Gefühl - erfüllte mächtig ihre ganze Seele.
«Es ist kein Zweifel», schloß Cassiodor mit Seufzen, «Athalarich ist unser entschiedener Gegner: er steht ganz zu der gotischen Partei, zu Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Präfekten verderben. Wer hätte das von ihm geglaubt! Immer muß ich daran denken, Rusticiana, wie so ganz anders er sich bei dem Prozeß deines Gatten benahm.»
Kamilla horchte hoch auf.
«Damals gewannen wir die Überzeugung, er werde zeitlebens der glühendste Freund, der eifrigste Vertreter der Römer sein.» -«Ich weiß davon nichts», sagte Rusticiana. - «Es ward vertuscht. Das Todesurteil war gesprochen über Boethius und seine Söhne. Vergebens hatten wir alle, Amalaswintha voran, die Gnade des Königs angerufen: sein Zorn war unauslöschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestürmte, fuhr er zornig auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Keller büßen, der ihm noch einmal mit der Fürbitte für die Verräter nahe. Da verstummten wir alle. Nur einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, ließ sich nicht schrecken, er weinte und flehte und hing sich an seines Großvaters Knie.»
Kamilla erbebte. Der Atem stockte ihr.
«Und nicht ließ er ab, bis Theoderich in höchstem Zorn emporfuhr, ihn mit einem Schlag in den Nacken von sich schleuderte und den Wachen übergab. Der ergrimmte König hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des Schlosses geführt und Boethius sofort getötet.»
Kamilla wankte und hielt sich an einer Säule des Saales.
«Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten.
Tags darauf vermißte der König an der Tafel schwer den Liebling, den er von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, für seine Freunde gebeten, als die Männer in Furcht verstummten. Er stand endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend saß, stieg selbst hinab in den Keller, öffnete die Pforte, umarmte seinen Enkel und schenkte auf seine Bitte deinen Söhnen, Rusticiana, das Leben.»
«Fort, fort zu ihm!» sprach Kamilla mit erstickter Stimme zu sich selbst und eilte aus dem Saal.
«Damals», fuhr Cassiodor fort, «damals mochten Römer und Römerfreunde in dem künftigen König ihre beste Stütze sehen, und jetzt meine arme Herrin, arme Mutter!» und klagend schritt er hinaus.
Rusticiana saß lange wie betäubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre Rachepläne gebaut: sie versank in dumpfes Brüten. Länger und länger schon fielen die Schatten der hohen, starken Türme in den Schloßhof, auf welchen sie hinausstarrte.
Da weckte sie der feste Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig ruhig.
«Cethegus!» rief die Bekümmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine Kälte schreckte sie zurück. «Alles verloren!» seufzte sie, stehen bleibend. «Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit», setzte er, umblickend im Gemach, hinzu, Als er sich allein mit ihr sah, griff er in die Brustfalten seiner Toga. «Dein Liebestrank hat nicht geholfen, Rusticiana. Hier ist ein andrer stärkrer. Nimm.» Und rasch drückte er ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah ihn die Freundin an: «Glaubst du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer hat ihn gebraut?» - «Ich», sagte er, «und meine Liebestränke wirken.» - «Du!» - es durchlief sie ein eisiges Grauen. «Frage nicht, forsche nicht, säume nicht», sprach er herrisch. «Es muß noch heute geschehen. Hörst du? Noch heute.»
Aber Rusticiana zögerte noch und sah zweifelnd auf das Fläschchen in ihrer Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter berührend: «Du zauderst», sagte er langsam. «Weißt du, was auf dem Spiele steht? Nicht nur unser ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch mehr. Kamilla liebt, liebt den König mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boethius die Buhle des Tyrannen werden?»
Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurück: was in den letzten Tagen wie eine böse Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiß mit diesem einen Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen, und hinweg eilte sie, zornig die Faust um das Fläschchen geballt.
Ruhig sah ihr Cethegus nach. «Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst rasch, ich bin rascher. - Es ist eigen», sagte er dann, die Falten seiner Toga herabziehend, «ich glaubte längst nicht mehr, noch solche heftige Regung empfinden zu können. Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich kann wieder streben, hoffen, fürchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen Knaben, der sich unterfängt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu tappen. Er will mir trotzen - meinen Gang aufhalten, er stellt sich kühn in meinen Weg: Er - mir! Wohlan, so trag' er denn die Folgen.»
Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten Menge zeigte und durch die eigne Sicherheit den bestürzten Herzen der Hofleute einige Ruhe wiedergab. Er sorgte dafür, zahlreicher Zeugen für all seine Schritte an diesem verhängnisvollen Tage sich zu versichern. Beim Sinken der Sonne ging er mit Cassiodor und einigen andern Römern, seine Verteidigung für den nächsten Tag beratend, in den Garten, in dessen Laubgängen er sich umsonst nach Kamilla umsah.
Diese war, sowie sie Cassiodors Bericht zu Ende gehört, in den Hof des Palastes geeilt, wo sie zu dieser Stunde den König mit den andern jungen Goten seines Hofes beim Waffenspiel zu treffen hoffte. Nur sehe n wollte sie ihn, doch nicht ihn sprechen und ihm zu Füßen ihr großes Unrecht abbitten. Sie hatte ihn verabscheut, von sich gestoßen, ihn als mit dem Blut ihres Vaters befleckt gehaßt - ihn, der sich für diesen Vater geopfert, der ihre Brüder gerettet hatte!
Aber sie fand ihn nicht im Hof. Die wichtigen Ereignisse des Tages hielten ihn in seinem Arbeitszimmer fest. Auch seine Waffengesellen fochten und spielten heute nicht: in dichten Gruppen beisammenstehend, priesen sie laut den Mut ihres jungen Königs.
Mit Wonne sog Kamilla dieses Lob ein: stolz errötend, selig träumend, wandelte sie in den Garten und suchte dort an allen seinen Lieblingsstätten die Spuren des Geliebten. Ja, sie liebte ihn: kühn und freudig gestand sie sich's ein: er hatte es tausendfach um sie verdient. Was Gote, was Barbar! Er war ein edler, herrlicher Jüngling, ein König, der König ihrer Seele. Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion aus ihrer Nähe, daß diese nicht höre, wie sie wieder und wieder den geliebten Namen selig vor sich hinsprach. Endlich am Venustempel angelangt, versank sie in süße Träume über die Zukunft, die unklar, aber golden dämmernd, vor ihr lag. Vor allem beschloß sie, dem Präfekten und ihrer Mutter schon morgen zu erklären, nicht mehr auf ihre Mithilfe gegen den König zählen zu sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre Schuld abbitten mit innigen Worten und dann - dann? Sie wußte nicht, was dann werden sollte: aber sie errötete in holden Träumen.
Rote, duftige Mandelblüten fielen aus den nickenden Büschen: in dem dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle glitt rieselnd an ihr vorüber nach dem blauen Meer, und die Wellen dieses Meeres rollten leise, wie ihrer Liebe huldigend, zu ihren Füßen.
Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, daß sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in Haltung und Erscheinen, männlich, kräftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur Brust gebeugte Haupt, und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Hüfte.
«Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla», rief er ihr laut und lebhaft entgegen. «Dein Blick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.»
So hatte er noch nie zu ihr gesprochen.
«Mein König», flüsterte sie erglühend. Einen leuchtenden Blick noch warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein König! So hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt. «Dein König?» sagte er, sich neben ihr niederlassend, «Ich fürchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was alles heute geschehen.»
«Ich weiß alles.» - «Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt nicht, ich bin kein Tyrann.» Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um seine schönsten Taten.
«Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es - sie sind ja dein Volk! - Ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte. Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht», fuhr er langsamer und feierlich fort, «vielleicht ist dies Reich schon verurteilt in den Sternen -gleichviel, ich, sein König, muß mit ihm stehen und fallen.»
«Du sprichst wahr, Athalarich, und wie ein König.»
«Dank dir, Kamilla, wie du heut' gerecht bist oder gut! Solcher Güte darf ich wohl anvertrauen, welcher Segen, welche Heilung mir geworden. Sieh, ich war ein kranker, irrer Träumer: ohne Halt, ohne Freude, dem Tode gern entgegenwankend. Da trat an meine Seele die Gefahr des Reichs, die tätige Sorge um mein Volk: und mit der Sorge wuchs in meiner Brust die Liebe, die mächtige Liebe zu meinen Goten, und diese stolze und bange und wachsame Liebe für mein Volk, sie hat mein Herz gestärkt und getröstet für... für andres bitter schmerzliches Entsagen. Was liegt an meinem Glück, wenn nur dies Volk gedeiht: sieh, der Gedanke hat mich gesund gemacht und stark, und wahrlich! des Größten könnt' ich jetzt mich unterwinden.»
Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend.
«O Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! Oh, ging es zu Roß und in waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde Flut. Komm, komm mit in den Kahn.» Kamilla zögerte. Sie blickte umher. «Die Dienerin? Ach laß sie! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie schläft. Komm, komm rasch, eh' die Sonne versinkt. Sieh die goldene Straße auf der Flut. Sie winkt!» - «Zu den Inseln der Seligen?» fragte das liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht errötend.
«Ja, komm zu den Inseln!» antwortete er glücklich, hob sie rasch in den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Quais, sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das Ruder in die Öse zur Linken, und im hintern Gransen des Schiffes stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische Bewegung und ein echt germanischer Fergenbrauch.
Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar flog im Winde, und herrlich waren die raschen und kräftigen Bewegungen des feingebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoß die leichte Barke durch die glatte Flut.
Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel, der leise Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich brach der König das Schweigen und sprach, dem Boot einen kräftigen Druck gebend, daß es gehorsam vorwärts schoß: «Weißt du, was ich denke? Wie schön muß es sein, ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu steuern zu Glück und Glanz. - Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken gewesen.» Sie errötete und blickte seitab in die Flut.
«O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.»
«Ich dachte», flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch immer abgewendet, «wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so ganz vertraut, gesteuert zu werden durch die schwanke Flut des Lebens.» - «O Kamilla, glaub' mir, auch dem Barbaren kann man sich anvertraun.» - - «Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig überwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen.» Entzückt hielt der König im Rudern inne, das Schiff stand: «Kamilla! Träum ich? sprichst du das? und zu mir?»
«Mehr noch, Athalarich, mehr! Ich bitte dich, vergib, daß ich dich so grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.» - «Kamilla, Perle meiner Seele!» - Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief plötzlich: «Was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine Mutter.» So war es. Rusticiana hatte, von des Präfekten furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie plötzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. Im höchsten Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des Königs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu lösen, gewann so einen unbelauschten Augenblick an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Präfekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle führte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. «Es ist geschehen», flüsterte sie ihm dabei zu, und die Gondel stieß ab. In diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: «Nein, sie sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß noch mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O Kamilla, du mußt mir mehr, du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen sie uns finden.» Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf das Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß.
«Willst du nicht weiter sprechen?»
«O mein Freund, mein König - dringe nicht in mich.» Er sah ihr nur in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel. «Nun warte dort auf der Insel - dort sollst du mir» - -
Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag - da erdröhnte ein dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück.
«Himmel!» rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein, ihr entgegen.
«Das Schiff ist geborsten - wir sinken», sprach sie erbleichend. «Hierher zu mir, laß mich sehen», rief Athalarich vorspringend. «Ach, das sind die Nadeln der Amphitrite - wir sind verloren.» Die Nadeln der Amphitrite - wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels kaum erkennen -waren zwei schmale, scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer und der nächsten der Laguneninseln: sie ragten kaum über den Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen über sie weg. Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt.
Mit einem Blick übersah er die Lage. Es gab keine Rettung.
Ein Brett im Boden des leicht gezimmerten Gefährts war durch den Anprall an der Klippe zertrümmert, gewaltig drang das Wasser durch das Leck.
Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde.
Schwimmend mit Kamilla die nächste Insel oder das Ufer zu erreichen, konnte er nicht hoffen, und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst abgestoßen. Mit Blitzesschnelle hatte er alles überschaut, erwogen, eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Mädchen. «Geliebte, du stirbst», jammerte er verzweifelnd, «und ich, ich hab's verschuldet.» Und er umfaßte sie stürmisch. «Sterben?» rief sie, «o nein! Nicht so jung, nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir.» Und sie klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz.
Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst immer höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. «Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.» - «Nein! Nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: - o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet» - und glühend drückte sie das Haupt an seine Brust - «o laß dir sagen, laß dir noch gestehen, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit - seit immer. All mein Haß war ja nur verschämte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen. Ja, du sollst wissen, wie ich dich liebe.» Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Küssen. «Oh, jetzt will ich auch sterben - lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein» und sie riß sich von ihm los - «du sollst nicht sterben - laß mich hier, springe, schwimme, versuch's, du allein erreichst die Insel wohl - versuch's und laß mich.»
«Nein», rief er selig, «lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.»
Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch handbreit über's Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jähen Sprunge an - da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung.
Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze, die unfern von ihnen ins Meer ragte, ein Schiff mit vollen Segeln, das gerade auf sie loseilte.
Das Schiff vernahm ihren Schrei, es erkannte jedenfalls die Lage des sinkenden Kahns, vielleicht die Person des Königs: vierzig Ruder, aus zwei Stockwerken von Ruderbänken zugleich in die Flut getaucht, beförderten den Flug des raschen Fahrzeugs, das brausend vor ganzem Wind mit allen Segeln daherschoß. Die Leute auf dem Deck riefen ihnen zu, auszuharren, und bald - es war die höchste Zeit - lag der Bauch der Bireme neben der Gondel, die augenblicklich versank, nachdem das Paar durch die Lukenpforte des untern Ruderstockwerks an Bord gerettet war. Es war ein kleines gotisches Wachtschiff, der goldene, steigende Löwe, das Wappen der Amalungen, glänzte auf der blauen Flagge: Aligern, ein Vetter Tejas, befehligte es.
«Dank euch, wackre Freunde», sprach Athalarich, da er wieder Worte gefunden. «Dank! Ihr habt nicht euren König nur, ihr habt eure Königin gerettet.»
Staunend sammelten sich Krieger und Matrosen um den Glücklichen, der die laut weinende Kamilla in seinen Armen hielt. «Heil unsrer schönen jungen Königin!» jauchzte der rotblonde Aligern, und die Mannschaft jubelte donnernd nach: «Heil, Heil unsrer Königin!» In diesem Augenblick rauschte der Segler an dem Kahn Rusticianens vorbei: der Schall dieses Jubelrufs weckte die Unselige aus der Erstarrung von Entsetzen und Betäubung, die sie ergriffen, da die beiden erschrocknen Rudersklaven die Gefahr des jungen Paares auf dem sinkenden Boot entdeckt und zugleich erklärt hatten, es sei ihnen unmöglich, sie rechtzeitig aus den Wellen zu retten. Da war sie besinnungslos Daphnidion in die Arme gefallen.
Jetzt erwachte sie und warf einen irren Blick umher. Sie staunte: war es ein Traumbild, was sie sah? oder war es wirklich ihre Tochter, die dort auf dem Deck des Gotenschiffs, das stolz an ihr vorüberrauschte, an der Brust des jungen Königs lag? Und jauchzten wirklich dazu jubelnde Stimmen: «Heil, Kamilla, unsrer Königin?»
Sie starrte auf die vorübergleitende Erscheinung, sprachlos, lautlos. Aber das rasch fliegende Segelschiff war schon an ihrem Kahn vorüber und dem Lande nah. Es ankerte außerhalb der seichten Gartenbucht, eine Barke ward herabgelassen, das gerettete Paar, Aligern und drei Matrosen sprangen hinein, und bald stiegen sie die Stufen der Hafentreppe hinan, wo außer Cethegus und seiner Begleitung, eine Menge von Leuten sich versammelt hatte, die vom Palast oder vom Garten aus mit Schrecken die Gefahr des kleinen Schiffes wahrgenommen und jetzt herbeieilten, die Geretteten zu begrüßen. Unter Glückwünschen und Segensrufen stieg Athalarich die Stufen hinan.
«Seht hier», sprach er, vor dem Tempel angelangt, «sehet, Goten und Römer, eure Königin, meine Braut. Uns hat der Gott des Todes zusammengeführt, nicht wahr, Kamilla?» Sie sah zu ihm auf, aber heftig erschrak sie: die Aufregung und der jähe Wechsel von Schrecken und Freude hatten den kaum Genesenen übermächtig erschüttert: sein Antlitz war marmorblaß, er wankte und griff wie Luft schöpfend krampfhaft an seine Brust.
«Um Gott», rief Kamilla, einen Anfall des alten Leidens fürchtend, «dem König ist nicht wohl. Rasch den Wein, die Arznei!» Sie flog an den Tisch, ergriff den Silberbecher, der bereit stand, und drängte ihn in seine Hand.
Cethegus stand dicht dabei und folgte mit scharfem Blick jeder seiner Bewegungen.
Schon setzte er den Becher an die Lippen, aber plötzlich ließ er ihn nochmals sinken, er lächelte: «Du mußt mir zutrinken, wie's der gotischen Königin ziemt an ihrem Hof», und er reichte ihr den Pokal: sie nahm ihn aus seiner Hand.
Einen Augenblick durchzuckte es den Präfekten siedend heiß. Er wollte hinzustürzen, ihr den Trank aus der Hand reißen, ihn verschütten.
Aber er hielt sich zurück. Tat er's, so war er unrettbar verloren. Nicht nur morgen als Hochverräter, nein, sofort als Giftmörder angeklagt und überführt.
Verloren mit ihm seine ganze Ideenwelt, die Zukunft Roms. Und um wen? - Um ein verliebtes Mädchen, das treulos zu seinem Todfeind abgefallen. - Nein, sagte er kalt zu sich, die Faust zusammendrückend, sie oder Rom:- also sie! Und ruhig sah er zu, wie das Mädchen, hold errötend, einen leichten Trunk aus dem Becher nahm, den der König darauf tief schlürfend bis zum Grund leerte. Er zuckte zusammen, da er ihn auf den Marmortisch niedersetzte, «Kommt hinauf ins Palatium», sprach er fröstelnd, den Mantel über die linke Schulter schlagend, «mich friert.» Und er wandte sich.
Da traf sein Blick auf Cethegus: er stand einen Augenblick still und sah dem Präfekten eindringend ins Auge.
«Du hier?» sagte er finster und trat einen Schritt auf ihn zu: da zuckte er nochmal und stürzte mit einem jähen Schrei neben der Quelle aufs Antlitz nieder
«Athalarich!» rief Kamilla und warf sich taumelnd über ihn. Der alte Corbulo sprang aus der Schar der Diener zuerst hinzu: «Hilfe», rief er, «sie stirbt - der König!»
«Wasser! Rasch Wasser!» sprach Cethegus laut. Und entschlossen trat er an den Tisch, ergriff den Silberbecher, bückte sich, spülte ihn schnell, aber gründlich in der Quelle und neigte sich über den König, der in Cassiodors Armen lag, indes Corbulo das Haupt Kamillens auf seine Knie legte.
Ratlos, entsetzt umstanden die Hofleute die beiden scheinbar leblosen Gestalten.
«Was ist geschehen? Mein Kind!» mit diesem Schrei drängte sich Rusticiana, die soeben gelandet, an der Tochter Seite. «Kamilla!» rief sie verzweifelt, «was ist mit dir?»
«Nichts!» sagte Cethegus ruhig, sich prüfend über die beiden beugend. «Es ist nur eine Ohnmacht. Aber den jungen König hat sein Herzkrampf hingerafft. Er ist tot.»