4. Buch

Theodahad

"Nachbarn zu haben schien Theodahad eine Art von Unglück."

(Prokop, Gotenkrieg I.)

Erstes Kapitel

Am andern Morgen verkündete ein Manifest dem staunenden Ravenna, daß die Tochter Theoderichs zugunsten ihres Vetters Theodahad auf die Krone verzichtet und daß dieser, der letzte Mannessproß der Amelungen, den Thron bestiegen habe. Italier und Goten wurden aufgefordert, dem neuen Herrscher den Eid zu schwören.

So hatte Cethegus richtig gerechnet.

Das Gewissen der unseligen Frau fühlte sich durch manche Torheit, ja durch blut'ge Schuld schwer belastet. Edle Naturen suchen Erleichterung und Buße in Opfer und Entsagung: durch ihrer Tochter und Cassiodors Anklagen war ihr Herz mächtig bewegt worden, und der Präfekt hatte sie in günstiger Stimmung für seinen Rat gefunden. Weil er so bitter war, befolgte sie ihn: ja sie hatte, um ihr Volk zu retten und ihre Schuld zu sühnen, sich noch weitere Demütigungen vorgesteckt.

Ohne Schwierigkeit vollzog sich der Thronwechsel.

Die Italier zu Ravenna waren zu einer Erhebung keineswegs vorbereitet und wurden von Cethegus auf gelegenere Zeit vertröstet. Auch war der neue König als Freund römischer Bildung bei ihnen bekannt und beliebt.

Die Goten freilich schienen sich nicht ohne weiteres den Tausch gefallen lassen zu wollen. Fürst Theodahad war allerdings ein Mann - das empfahl ihn gegenüber Amalaswinthen - und ein Amaler: das wog schwer zu seinen Gunsten gegenüber jedem andern Bewerber um die Krone.

Aber im übrigen war er im Volke der Goten keineswegs hoch angesehen. Unkriegerisch und feige, verweichlicht an Leib und Seele hatte er keine Eigenschaften, welche die Germanen von ihren Königen forderten. Nur eine Leidenschaft erfüllte seine Seele: Habsucht, unersättliche Goldgier. Reich begütert in Tuscien lebte er mit allen seinen Nachbarn in ewigen Prozessen: mit List und Gewalt und dem Schwergewicht seiner königlichen Geburt wußte er seinen Grundbesitz nach allen Seiten auszudehnen und die Ländereien weit in der Runde an sich zu reißen: «Denn» sagt ein Zeitgenosse - «Nachbarn zu haben schien dem Theodahad eine Art von Unglück.»

Dabei war seine schwache Seele vollständig abhängig von der bösartigen, aber kräftigen Natur seines Weibes.

Einen solchen König sahen denn die Tüchtigsten unter den Goten nicht gern auf dem Throne Theoderichs. Und kaum war das Manifest Amalaswinthens bekanntgeworden, als Graf Teja, der kurz zuvor mit Hildebad in Ravenna angekommen war, diesen sowie den alten Waffenmeister und den Grafen Witichis zu sich beschied und sie aufforderte, die Unzufriedenheit des Volkes zu steigern, zu leiten und einen Würdigern an Theodahads Stelle zu setzen.

«Ihr wißt», schloß er seine Worte, «wie günstig die Stimmung im Volke. Seit jener Bundesnacht im Mercuriustempel haben wir unablässig geschürt unter den Goten, und Großes ist schon gelungen: des edeln Athalarich Aufschwung, der Sieg am Epiphaniasfeste, das Zurückholen Amalaswinthens, wir haben es bewirkt. Jetzt winkt die günstige Gelegenheit. Soll an des Weibes Stelle treten ein Mann, der schwächer als ein Weib? Haben wir keinen Würdigern mehr als Theodahad im Volk der Goten?»

«Recht hat er, beim Donner und Strahl», rief Hildebad. «Fort mit diesen verwelkten Amalern! Einen Heldenkönig hebt auf den Schild und schlagt los nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!»

«Nein», sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, «noch nicht! Vielleicht, daß es noch einmal so kommen muß: aber nicht früher darf es geschehen, als es muß. Der Anhang der Amaler ist groß im Volk: nur mit Gewalt würde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich entwinden lassen. Sie würden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch zum Kampf.

Kampf aber unter den Söhnen eines Volkes ist schrecklich, nur die Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag sich bewähren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich unfähig erwiesen, so ist's noch immer Zeit.»

«Wer weiß, ob dann noch Zeit ist», warnte Teja.

«Was rätst du, Alter?» fragte Hildebad, auf welchen die Gründe des Grafen Witichis nicht ohne Wirkung blieben.

«Brüder», sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, «ihr habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden. Die alten Gefolgen des großen Königs haben einen Eid getan, solang sein Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden.»

«Welch törichter Eid!» rief Hildebad.

«Ich bin alt und nenn' ihn nicht töricht. Ich weiß, welcher Segen auf der festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Söhne der Götter», schloß er geheimnisvoll.

«Ein schöner Göttersohn, Theodahad!» lachte Hildebad.

«Schweig», rief zornig der Alte, «das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem kläglichen Verstand. Das Rätsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute liegt - dafür habt ihr den Sinn

verloren. Darum schweig' ich von solchen Dingen zu euch.

Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Tut ihr, was ihr wollt, ich tue, was ich muß.»

«Nun», sprach Graf Teja nachgebend, «auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn dieser letzte Amaler dahin... » -

«Dann ist das Gefolge seines Schwures frei.»

«Vielleicht», schloß Witichis, «ist es ein Glück, daß auch uns dein Eid die Wahl erspart: denn gewiß wollen wir keinen Herrscher, den du nicht anerkennen könntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen, und tragen wir diesen König solang er zu tragen ist.»

«Aber keine Stunde länger», sagte Teja und ging zürnend hinaus.

Zweites Kapitel

Am nämlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten Krone der Gotenkönige gekrönt.

Ein reiches Festmahl, besucht von allen römischen und gotischen Großen des Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas Liebe kennengelernt. Bis tief in die Nacht währte das lärmende Gelage. Der neue König, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte sich frühe zurückgezogen.

Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr für die lauten Jubelrufe, die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei nur eine Freude: den Gedanken, daß dieser Jubel hinunterdringen müsse bis in die Königsgruft, wo Amalaswintha, die verhaßte, besiegte Feindin, am Sarkophage ihres Sohnes trauerte.

Unter der Menge von jenen Gästen, die immer fröhlich sind, wenn sie bei vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu bemerken: mancher Römer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den Kaiser gesehen hätte: so mancher Gote, der in der gefährlichen Lage des Reiches einem König wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte.

Zu letzteren zählte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem kranzgeschmückten Säulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberührt stand die goldne Schale vor ihm, und auf den lauten Zuruf Hildebads, der ihm gegenüber saß, achtete er kaum. Endlich - schon leuchteten längst im Saale die Lampen und am Himmel die Sterne - stand er auf und ging hinaus in das grüne Dunkel des Gartens.

Langsam wandelte er durch die Taxusgänge dahin: sein Auge hing an den funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So führte ihn sein sinnendes Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah hinaus nach der flimmernden See - da blitzte etwas dicht vor seinen Füßen im schwachen Mondlicht: es war eine Rüstung, daneben die kleine, gotische Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase, und ein bleiches Antlitz hob sich ihm entgegen.

«Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest.»

«Nein, ich war bei den Toten.»

«Auch mein Herz weiß nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und Kind», sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend.

«Bei Weib und Kind», wiederholte Teja seufzend.

«Viele fragten nach dir, Teja.»

«Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?»

«Dein Erbe nahm?»

«Wenigstens besitzt er's. Und über den Ort, wo meine Wiege stand, ging seine Pflugschar.»

Und schweigend sah er lange vor sich hin.

«Dein Harfenspiel - es schweigt? Man rühmt dich unsres Volkes besten Harfenschläger und Sänger!»

«Wie Gelimer, der letzte König der Vandalen, seines Volkes bester Harfenschläger war. Aber mich würden sie nicht im Triumph einführen nach Byzanz!»

«Du singst nicht oft mehr?»

«Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen werde.»

«Tage der Freude?»

«Tage der höchsten, der letzten Trauer.»

Lange schwiegen beide.

«Mein Teja», hob endlich Witichis an, «in allen Nöten von Krieg und Frieden hab' ich dich gefunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du soviel jünger als ich und nicht leicht der Ältere sich dem Jüngling verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiß, daß auch dein Herz mehr an mir hängt als an deinen Jugendgenossen.»

Teja drückte ihm die Hand: «Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch wo du sie nicht verstehst. Die andern - und doch: den einen hab' ich sehr lieb.»

«Wen?»

«Den alle lieb haben.»

«Totila!»

«Ich hab' ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er kann's nicht fassen, daß andre dunkel sind und bleiben müssen.»

«Bleiben müssen! Warum? Du weißt, Neugier ist meine

Sache nicht. Und wenn ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: lüfte den Schleier, der über dir und deiner finstern Trauer liegt, so bitt' ich's nur, weil ich dir helfen möchte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene.»

«Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Rädergang des Schicksals verspürt hat, wie es, blind und taub für das Zarte und Hohe, mit eherner, grundloser Gewalt alles vor sich niedertritt, ja, wie es das Edle, weil es zart ist, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Notwendigkeit, welche Toren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menschen beherrscht, der ist hinaus über Hilfe und Trost: er hört ewig, wenn er es einmal erlauscht, mit dem leisen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen Taktschlag des fühllosen Rades im Mittelpunkt der Welt, das gleichgültig mit jeder Bewegung Leben zeugt und Leben tötet. Wer das einmal empfunden und erlebt, der entsagt einmal und für immer und allem: nichts wird ihn mehr erschrecken. Aber freilich - die Kunst des Lächelns hat er auch vergessen auf immerdar.»

«Mir schaudert. Gott bewahre mich vor solchem Wahn! Wie kamst du so jung zu so fürchterlicher Weisheit?»

«Freund, mit deinen Gedanken allein ergrübelst du die Wahrheit nicht, erleben mußt du sie. Und nur, wenn du des Mannes Leben kennst, begreifst du, was er denkt und wie er denkt. Und auf daß ich dir nicht länger erscheine wie ein irrer Träumer, wie ein Weichling, der sich gern in seinen Schmerzen wiegt - und damit ich dein Vertrauen und deine schöne Freundschaft ehre, vernimm -, höre ein kleines Stück meines Grams. Das größere, das unendlich größere behalt' ich noch für mich», sagte er schmerzlich, die Hand auf die Brust drückend -«es kommt wohl noch die Stunde auch für dies. Vernimm heute nur, wie über meinem Haupte der Stern des Unheils schon leuchtete, da ich gezeugt ward. - Und von all den tausend Sternen da oben bleibt nur dieser Stern getreu. Du warst dabei -du erinnerst dich - wie der falsche Präfekt mich laut vor allen einen Bastard schalt und mir den Zweikampf weigerte: - ich mußte es dulden, ich bin noch Schlimmeres als ein Bastard. - -

Mein Vater, Tagila, war ein tüchtiger Kriegsheld, aber kein Adaling, gemeinfrei und arm. Er liebte, schon seit der Bart ihm sproßte, Gisa seines Vaterbruders Tochter. Sie lebten draußen, weit an der äußersten Ostgrenze des Reichs, an dem kalten Ister, wo man stets im Kampfe liegt mit den Gepiden und den wilden, räuberischen Sarmaten und wenig Zeit hat, an die Kirche zu denken und die wechselnden Gebote, die ihre Konzilien erlassen. Lange konnte mein Vater seine Gisa nicht heimführen: er hatte nichts als Helm und Speer und konnte ihrem Mundwalt den Malschatz nicht zahlen und einem Weibe keinen Herd bereiten.

Endlich lachte ihm das Glück. Im Krieg gegen einen Sarmatenkönig eroberte er dessen festen Schatzturm an der Alutha: und die reichen Schätze, welche die Sarmaten seit Jahrhunderten zusammengeplündert und hier aufgehäuft, wurden seine Beute. Zum Lohn seiner Tat ernannte ihn Theoderich zum Grafen und rief ihn nach Italien. Mein Vater nahm seine Schätze und Gisa, jetzt sein Weib, mit sich über die Alpen und kaufte sich weite schöne Güter in Tuscien zwischen Florentia und Luca. Aber nicht lange währte sein Glück.

Kaum war ich geboren, da verklagte ein Elender, ein feiger Schurke, meine Eltern wegen Blutschande beim Bischof von Florentia. Sie waren katholisch - nicht Arianer - und Geschwisterkinder: ihre Ehe war nichtig nach dem Recht der Kirche und die Kirche gebot ihnen, sich zu trennen.

Mein Vater drückte sein Weib an die Brust und lachte des Gebots. Aber der geheime Ankläger ruhte nicht -»

- «Wer war der Neiding?»

«Oh, wenn ich es wüßte, ich wollte ihn erreichen, und thront er in allen Schrecken des Vesuvius! Er ruhte nicht. Unablässig bedrängten die Priester meine arme Mutter und wollten ihre Seele mit Gewissensbissen schrecken.

Umsonst: sie hielt sich an ihren Gott und ihren Gatten und trotzte dem Bischof und seinen Sendboten. Und mein Vater, wenn er einen der Pfaffen in seinem Gehöfte traf, begrüßte ihn, daß er nicht wiederkam.

Aber wer kann mit denen kämpfen, die im Namen Gottes sprechen! Eine letzte Frist ward den Ungehorsamen gesteckt, hätten sie sich bis dahin nicht getrennt, so sollten sie dem Bann verfallen und ihr Hab und Gut der Kirche.

Entsetzt eilte jetzt mein Vater an den Hof des Königs, Aufhebung des grausamen Spruches zu erflehen. Aber die Satzung des Konzils sprach zu klar, und Theoderich konnte es nicht wagen, das Recht der katholischen Kirche zu kränken. Als mein Vater zurückkehrte von Ravenna, mit Gisa zu flüchten, starrte er entsetzt auf die Stätte, wo sein Haus gestanden: der Termin war abgelaufen, und die Drohung erfüllt: sein Haus zerstört, sein Weib, sein Kind verschwunden.

Rasend stürmte er durch ganz Italien, uns zu suchen. Endlich entdeckte er, als Priester verkleidet, seine Gisa in einem Kloster zu Ticinum: ihren Knaben hatte man ihr entrissen und nach Rom geschleppt. Mein Vater bereitet mit ihr alles zur Flucht: sie entkommen um Mitternacht über die Mauern des Klostergartens. Aber am Morgen fehlt die Büßerin bei der Hora: man vermißt sie, ihre Zelle ist leer. Die Klosterknechte folgen den Spuren des Rosses - sie werden eingeholt: grimmig fechtend fällt mein Vater: meine Mutter wird in ihre Zelle zurückgebracht. Und so furchtbar drücken die Macht des Schmerzes und die Zucht des Klosters auf die zermürbte Seele, daß sie in Wahnsinn fällt und stirbt. Das sind meine Eltern!»

«Und du?»

«Mich entdeckte in Rom der alte Hildebrand, ein Waffenfreund meines Großvaters und Vaters: - er entriß mich, mit des Königs Beistand, den Priestern und ließ mich mit seinen eigenen Enkeln in Regium erziehen.»

«Und dein Gut, dein Erbe?»

«Verfiel der Kirche, die es, halb geschenkt, an Theodahad überließ: er war meines Vaters Nachbar, er ist jetzt mein König!»

«Mein armer Freund! Aber wie erging es dir später? Man weiß nur dunkles Gerede - du warst einmal in Griechenland gefangen... -»

Teja stand auf. «Davon laß mich schweigen; vielleicht ein andermal. Ich war Tor genug, auch einmal an Glück zu glauben und an eines liebenden Gottes Güte. Ich hab' es schwer gebüßt. Ich will's nie wieder tun. Leb' wohl, Witichis, und schilt nicht auf Teja, wenn er nicht ist wie andre.»

Er drückte ihm die Hand und war rasch im dunklen Laubgang verschwunden.

Witichis sah lange schweigend vor sich hin. Dann blickte er gen Himmel, in den hellen Sternen eine Widerlegung der finstern Gedanken zu finden, die des Freundes Worte in ihm geweckt. Er sehnte sich nach ihrem Licht voll Frieden und Klarheit. Aber während des Gesprächs war Nebelgewölk rasch aus den Lagunen aufgestiegen und hatte den Himmel überzogen: es war finster ringsum.

Mit einem Seufzer stand Witichis auf und suchte in ernstem Sinnen sein einsames Lager.

Drittes Kapitel

Während unten in den Hallen des Palatiums Italier und Goten tafelten und zechten, ahnten sie nicht, daß über ihren Häuptern in dem Gemach des Königs eine Verhandlung gepflogen ward, die über ihr und ihres Reiches Schicksale entscheiden sollte.

Unbeobachtet war dem König alsbald der Gesandte von Byzanz nachgefolgt, und lange und geheim sprachen und schrieben die beiden miteinander. Endlich schienen sie handelseinig geworden, und Petros wollte anheben, nochmal vorzulegen, was sie gemeinsam beschlossen und aufgezeichnet. Aber der König unterbrach ihn. «Halt!», flüsterte der kleine Mann, der in seinem weiten Purpurmantel verlorenzugehen drohte, «halt - noch eins!»

Und er hob sich aus dem schön geschweiften Sitz, schlich durch das Gemach und hob den Vorhang, ob niemand lausche.

Dann kehrte er beruhigt zurück und faßte den Byzantiner leise am Gewand.

Das Licht der Bronzeampel spielte im Winde flackernd auf den gelben, vertrockneten Wangen des häßlichen Mannes, der die kleinen Augen zusammenkniff: «Noch dies. Wenn jene heilsamen Veränderungen eintreten sollen - auf daß sie eintreten können, wird es gut sein, ja notwendig, einige der trotzigsten meiner Barbaren unschädlich zu machen.» - «Daran hab' ich bereits gedacht», nickte Petros. «Da ist der alte halbheidnische Waffenmeister, der grobe Hildebad, der nüchterne Witichis.» -

«Du kennst deine Leute gut», grinste Theodahad, «du hast dich tüchtig umgesehen. Aber», raunte er ihm ins Ohr, «einer, den du nicht genannt hast, einer vor allen muß fort.»

«Der ist?»

«Graf Teja. des Tagila Sohn.»

«Ist der melancholische Träumer so gefährlich?»

«Der gefährlichste von allen! Und mein persönlicher Feind! Schon von seinem Vater her.»

«Wie kam das?»

«Er war mein Nachbar bei Florentia. Ich mußte seine Äcker haben - umsonst drang ich in ihn. Ha», lächelte er pfiffig, «zuletzt wurden sie doch mein. Die heilige Kirche trennte seine verbrecherische Ehe, nahm ihm sein Gut dabei und ließ mir's -billig - ab. Ich hatte einiges Verdienst um die Kirche in dem Prozeß - dein Freund, der Bischof von Florentia, kann dir's genau erzählen.»

«Ich verstehe», sagte Petros, «was gab der Barbar seine Äcker nicht in Güte! Weiß Teja -?»

«Nichts weiß er. Aber er haßt mich schon deshalb, weil ich sein Erbgut - kaufte. Er wirft mir finstere Blicke zu. Und dieser schwarze Träumer ist der Mann, seinen Feind zu den Füßen Gottes zu erwürgen.»

«So?» sagte Petros, plötzlich sehr nachdenklich. «Nun, genug von ihm: er soll nicht schaden. Laß dir jetzt noch mal den ganzen Vertrag Punkt für Punkt vorlesen; dann unterzeichne.

Erstens. König Theodahad verzichtet auf die Herrschaft über Italien und die zugehörigen Inseln und Provinzen des Gotenreichs: nämlich Dalmatien, Liburnien, Istrien, das zweite Pannonien, Savien, Noricum, Rätien und den gotischen Besitz in Gallien, zugunsten des Kaisers Justinian und seiner Nachfolger auf dem Throne von Byzanz. Er verspricht, Ravenna, Rom, Neapolis und alle festen Plätze des Reichs dem Kaiser ohne Widerstand zu öffnen.»

Theodahad nickte.

«Zweitens. König Theodahad wird mit allen Mitteln dahin wirken, daß das ganze Heer der Goten entwaffnet und in kleinen Gruppen über die Alpen geführt werde. Weiber und Kinder haben nach Auswahl des kaiserlichen Feldherrn dem Heere zu folgen oder als Sklaven nach Byzanz zu gehen. Der König wird dafür sorgen, daß jeder Widerstand der Goten erfolglos bleiben muß.

Drittens. Dafür beläßt Kaiser Justinian dem König Theodahad und seiner Gemahlin den Königstitel und die königlichen Ehren

auf Lebenszeit, und viertens» -

«Diesen Abschnitt will ich doch mit eigenen Augen lesen», unterbrach Theodahad, nach der Urkunde langend. «Viertens beläßt der Kaiser dem König der Goten nicht nur alle Ländereien und Schätze, die dieser als sein Privateigentum bezeichnen wird, sondern auch den ganzen Königsschatz der Goten, der allein an geprägtem Gold auf vierzigtausend Pfunde geschätzt ist. Er übergibt ihm ferner zu erb und eigen ganz Tuscien von Pistoria bis Cäre, von Popilonia bis Clusium, und endlich überweist er an Theodahad auf Lebenszeit die Hälfte aller öffentlichen Einkünfte des durch diesen Vertrag seinem rechtmäßigen Herrn zurückerworbenen Reiches. Sage, Petros, meinst du nicht, ich könnte drei Viertel fordern?»

«Fordern kannst du sie, allein ich zweifle sehr, daß sie dir Justinian gewährt. Ich habe schon die Grenzen, die äußersten, meiner Vollmacht überschritten.»

«Fordern wollen wir's doch immerhin», meinte der König die Zahl ändernd. «Dann muß Justinian herunter markten oder dafür andere Vorteile gewähren.»

Um des Petros schmale Lippen spielte ein falsches Lächeln:

«Du bist ein kluger Handelsmann, o König. - Aber hier verrechnest du dich doch», sagte er zu sich selbst.

Da rauschten schleppende Gewänder den Marmorgang heran, und eintrat ins Gemach in langem, schwarzem Mantel und schwarzem, mit silbernen Sternen besäten Schleier Amalaswintha, bleich von Antlitz, aber in edler Haltung, eine Königin trotz der verlorenen Krone: überwältigende Hoheit der Trauer sprach aus den bleichen Zügen.

«König der Goten», hob sie an, «vergib, wenn an deinem Freudenfeste ein dunkler Schatten noch einmal auftaucht von der Welt der Toten. Es ist zum letztenmal.»

Beide Männer waren von ihrem Anblick betroffen.

«Königin» - stammelte Theodahad.

«Königin! O wär' ich's nie gewesen. Ich komme, Vetter, von dem Sarge meines edeln Sohnes, wo ich Buße getan für all meine Verblendung, und all meine Schuld bereut. Ich steige herauf zu dir, König der Goten, dich zu warnen vor gleicher Verblendung und gleicher Schuld.»

Theodahads unstetes Auge vermied ihren ernsten, prüfenden Blick.

«Es ist ein übler Gast», fuhr sie fort, «den ich in mitternächtlicher Stunde als deinen Vertrauten bei dir finde. Es ist kein Heil für einen Fürsten als in seinem Volk: zu spät hab' ich's erkannt, zu spät für mich, nicht zu spät, hoff' ich, für mein Volk. Traue du nicht Byzanz: es ist ein Schild, der den erdrückt, den er beschirmen soll.»

«Du bist ungerecht», sagte Petros, «und undankbar.»

«Tu nicht, mein königlicher Vetter», fuhr sie fort, «was dieser von dir fordert. Bewillige nicht du, was ich ihm weigerte. Sizilien sollen wir abtreten und dreitausend Krieger dem Kaiser stellen für alle seine Kriege - ich wies die Schmach von mir. Ich sehe», sprach sie, auf das Pergament deutend, «du hast schon mit ihm abgeschlossen. Tritt zurück, sie werden dich immer täuschen.»

Ängstlich zog Theodahad die Urkunde an sich: er warf einen mißtrauischen Blick auf Petros.

Da trat dieser gegen Amalaswintha vor: «Was willst du hier, du Königin von gestern? Willst du dem Beherrscher dieses Reiches wehren? Deine Zeit und deine Macht ist um.» - «Verlaß uns», sagte Theodahad, ermutigt. «Ich werde tun, was mir gutdünkt. Es soll dir nicht gelingen, mich von meinen Freunden in Byzanz zu trennen. Sieh her, vor deinen Augen soll unser Bund geschlossen sein.» Und er zeichnete seinen Namen auf die Urkunde.

«Nun», lächelte Petros, «kamst du noch eben recht, als Zeugin

mit zu unterzeichnen.»

«Nein», sprach Amalaswintha mit einem drohenden Blick auf die beiden Männer, «Ich kam noch eben recht, euren Plan zu vereiteln. Ich gehe geradewegs von hier zum Heere, zur Volksversammlung, die nächstens bei Regeta tagt. Aufdecken will ich daselbst vor allem Volk deine Anträge, die Pläne von Byzanz und dieses schwachen Fürsten Verrat.»

«Das wird nicht abgehen», sagte Petros ruhig, «ohne dich selbst zu verklagen.»

«Ich will mich selbst verklagen. Enthüllen will ich all meine Torheit, all meine blutige Schuld, und gern den Tod erleiden, den ich verdient. Aber warnen, aufschrecken soll diese meine Selbstanklage mein ganzes Volk vom Ätna bis zu den Alpen; eine Welt von Waffen soll euch entgegenstellen, und retten werd' ich meine Goten durch meinen Tod von der Gefahr, in die mein Leben sie gestürzt.» Und in edler Begeisterung eilte sie aus dem Gemach.

Verzagt blickte Theodahad auf den Gesandten: lang fand er keine Worte. «Rate, hilf -», stammelte er endlich.

«Raten? Da hilft nur ein Rat. Die Rasende wird sich und uns verderben, läßt man sie gewähren. Sie darf ihre Drohung nicht erfüllen. Dafür mußt du sorgen.»

«Ich?» rief Theodahad erschreckt; «ich kann dergleichen nicht! Wo ist Gothelindis? Sie, sie allein kann helfen.»

«Und der Präfekt», sagte Petros - «sende nach ihnen.»

Alsbald waren die beiden Genannten von dem Festmahle heraufbeschieden. Petros verständigte sie von den Worten der Fürstin, ohne jedoch dem Präfekten den Vertrag als Veranlassung des Auftritts zu nennen.

Kaum hatte er gesprochen, so rief die Königin:

«Genug, sie darf es nicht vollenden. Man muß ihre Schritte bewachen, sie darf mit keinem Goten in Ravenna sprechen - sie darf den Palast nicht verlassen. Das vor allem!» Und sie eilte hinaus, vertraute Sklaven vor Amalaswinthens Gemächer zu senden. Alsbald kehrte sie wieder. «Sie betet laut in ihrer Kammer», sprach sie verächtlich. «Auf, Cethegus, laß uns ihre Gebete vereiteln.»

Cethegus hatte, mit dem Rücken an die Marmorsäulen des Eingangs gelehnt, die Arme über die Brust gekreuzt, diese Vorgänge schweigend und sinnend mit angehört. Er erkannte die Notwendigkeit, die Fäden der Ereignisse wieder mehr in seine Hand zu versammeln und straffer anzuziehen. Er sah Byzanz immer mehr in den Vordergrund dringen: - das durfte nicht weiter angehn.

«Sprich, Cethegus,» mahnte Gothelindis nochmals, «was tut jetzt vor allem not?»

«Klarheit», sagte dieser sich aufrichtend. «In jedem Bunde muß der Zweck, der besondere Zweck jedes der Verbündeten klar sein: sonst werden sie stets sich durch Mißtrauen hemmen. Ihr habt eure Zwecke - ich habe den meinen. Eure Zwecke liegen am Tage: ich habe sie euch neulich schon gesagt: du Petros, willst, daß Kaiser Justinian an der Goten Statt in Italien herrsche: ihr, Gothelindis und Theodahad, wollt dies auch, gegen reiche Entschädigung an Rache, Geld und Ehren. Ich habe - ich habe auch meinen Zweck: was hilft es, das zu verhehlen? Mein schlauer Petros, du würdest doch nicht lange mehr glauben, daß ich nur den Ehrgeiz habe, dein Werkzeug zu sein und dereinst Senator in Byzanz zu werden. Also auch ich habe meinen Zweck, all eure dreieinige Schlauheit würde ihn nie entdecken, weil er zu nahe vor Augen liegt. Ich muß ihn euch selbst verraten.

Der versteinerte Cethegus hat noch eine Liebe: sein Italien. Drum will er, wie ihr, die Goten fort haben aus diesem Land.

Aber er will nicht, wie ihr, daß Kaiser Justinianus unbedingt an ihre Stelle trete, er will nicht die Traufe statt des Regens.

Am liebsten möchte ich, der unverbesserliche Republikaner -du weißt, mein Petros, wir waren es damals beide mit achtzehn Jahren auf der Schule von Athen, und ich bin es noch: aber du brauchst es dem Kaiser, deinem Herrn, nicht zu melden, ich hab' es ihm lange selbst geschrieben die Barbaren hinauswerfen, ohne euch hereinzulassen.

Das geht nun leider nicht an: wir können eurer Hilfe nicht entbehren. Doch will ich diese auf das Unvermeidliche beschränken. Kein byzantinisch Heer darf diesen Boden betreten, als um ihn im letzten Augenblick der Not aus der Hand der Italier zu empfangen. Italien sei mehr ein von den Italiern dargebrachtes Geschenk als eine Eroberung für Justinian. Die Segnungen der Feldherrn und Steuerrechner, die Byzanz über die Länder bringt, die es befreit, sollen uns erspart bleiben: wir wollen euern Schutz, nicht eure Tyrannei.»

Über Petros' Züge zog ein feines Lächeln, das Cethegus nicht zu bemerken schien; er fuhr fort: «So vernehmt meine Bedingung. Ich weiß, Belisarius liegt mit Flotte und Heer nah bei Sizilien. Er darf nicht landen. Er muß heimkehren. Ich kann keinen Belisar in Italien brauchen. Wenigstens nicht eher, als ich ihn rufe. Und sendest du, Petros, ihm nicht sofort diesen Befehl zu, so scheiden sich unsere Wege. Ich kenne Belisar und Narses und ihre Soldatenherrschaft, und ich weiß, welch milde Herren diese Goten sind. Und mich erbarmt Amalaswintha: sie war eine Mutter meines Volkes. Deshalb wählet, wählet zwischen Belisar und Cethegus. Landet Belisar, so steht Cethegus und ganz Italien zu Amalaswintha und den Goten: und dann laß sehen, ob ihr uns eine Scholle dieses Landes entreißt. Wählt ihr Cethegus, so bricht er die Macht der Barbaren, und Italien unterwirft sich dem Kaiser als eine freie Gattin, nicht als seine Sklavin. Wähle, Petros.»

«Stolzer Mann», sprach Gothelindis, «du wagst uns Bedingungen zu setzen, uns, deiner Königin?» Und drohend erhob sie die Hand.

Aber mit eiserner Faust ergriff Cethegus diese Hand und zog sie ruhig herab. «Laß die Possen, Eintagskönigin. Hier unterhandeln nur Italien und Byzanz. Vergißt du deine Ohnmacht, so muß man dich dran mahnen. Du thronst, solange wir dich halten.» Und mit so ruhiger Majestät stand er vor dem zornmütigen Weib, daß sie verstummte. Aber ihr Blick sprühte unauslöschlichen Haß.

«Cethegus», sagte jetzt Petros, der sich einstweilen entschlossen, «du hast recht. Byzanz kann für den Augenblick nicht mehr erreichen als deine Hilfe, weil nichts ohne sie. Wenn Belisar umkehrt, so gehst du ganz mit uns und unbedingt?»

«Unbedingt.»

«Und Amalaswinthen?»

«Geb' ich preis.»

«Wohlan», sagte der Byzantiner, «es gilt.»

Er schrieb auf eine Wachstafel in kurzen Worten den Befehl zur Heimkehr an Belisar und reichte sie dem Präfekten: «Du magst die Botschaft selbst bestellen.»

Cethegus las sorgfältig: «Es ist gut», sagte er, die Tafel in die Brust steckend, «es gilt.»

«Wann bricht Italien los auf die Barbaren?» fragte Petros.

«In den ersten Tagen des nächsten Monats. Ich gehe nach Rom. Leb' wohl.»

«Du gehst? Und hilfst uns nicht das Weib - die Tochter Theoderichs verderben?» fragte die Königin mit bittrem Vorwurf. «Erbarmst dich ihrer abermals?»

«Sie ist gerichtet», sagte Cethegus, an der Tür sich kurz umwendend. «Der Richter geht - der Henker Amt hebt an.» Und stolz schritt er hinaus.

Da faßte Theodahad, der sprachlos vor Staunen den Byzantiner hatte handeln sehn, mit Entsetzen dessen Hand: «Petros», rief er, «um Gott und aller Heiligen willen, was hast

du getan? Unser Vertrag und alles ruht auf Belisar, und du schickst ihn nach Hause?»

«Und läßt diesen Übermütigen triumphieren?» knirschte Gothelindis.

Aber Petros lächelte: der Sieg der Schlauheit strahlte auf seinem Antlitz. «Seid ruhig», sagte er, «diesmal ist er überwunden, der Allüberwinder Cethegus, besiegt von dem verhöhnten Petros.» Er ergriff Theodahad und Gothelindis an den Händen, zog sie nahe an sich, sah sich um, und flüsterte dann: «Vor jenem Brief an Belisar steht ein kleiner Punkt, der bedeutet ihm: all das Geschriebene ist nicht ernst gemeint, ist nichtig. Ja, ja, man lernt, man lernt die Schreibekunst am Hof von Byzanz.»

Viertes Kapitel

Zwei Tage nach der nächtlichen Begegnung mit Theodahad und Petros verbrachte Amalaswintha in einer Art von wirklicher oder vermeinter Gefangenschaft.

Sooft sie ihre Gemächer verließ, sooft sie einbog in einen Gang des Palastes, jedesmal glaubte sie hinter oder neben sich Gestalten auftauchen, hingleiten, verschwinden zu sehen, die ebenso eifrig bedacht schienen, all ihre Schritte zu beobachten als sich selbst ihren Blicken zu entziehen: kaum zu dem Grabe ihres Sohnes konnte sie unbewacht niedersteigen.

Umsonst fragte sie nach Witichis, nach Teja: sie hatten gleich am Morgen nach dem Krönungsfest in Aufträgen des Königs die Stadt verlassen. Das Gefühl, vereinsamt und von bösen Feinden umlauert zu sein, ruhte drückend auf ihrer Seele.

Schwer und düster hingen am Morgen des dritten Tages die herbstlichen Regenwolken auf Ravenna herab, als sich Amalaswintha von dem schlummerlosen Lager erhob. Unheimlich berührte es sie, daß, als sie an das Fenster von

Frauenglas trat, ein Rabe krächzend von dem Marmorsims aufstieg und mit heiserem Schrei und schwerem Flügelschlag langsam über die Gärten dahinflog.

Die Fürstin fühlte schon daran, wie geknickt ihre Seele war durch diese Tage von Schmerz, Furcht und Reue, daß sie sich des finstern Eindrucks nicht erwehren konnte, den ihr die frühen Herbstnebel, aus den Lagunen der Seestadt aufsteigend, brachten. Seufzend blickte sie in die graue Sumpflandschaft hinaus.

Schwer war ihr Herz von Reue und Sorge.

Und ihr einziger Halt der Gedanke, durch freie Selbstanklage und volle Demütigung vor allem Volk das Reich noch zu retten um den Preis ihres Lebens. Denn sie zweifelte nicht, daß die Gesippen und Bluträcher der drei Herzoge ihre Pflicht vollauf erfüllen würden. In solchen Gedanken schritt sie durch die öden Hallen und Gänge des Palastes, diesmal, wie sie glaubte, unbelauscht, hinunter zu der Ruhestätte ihres Sohnes, sich in den Vorsätzen der Buße und Sühne an ihrem Volk zu befestigen.

Als sie nach geraumer Zeit aus der Gruft wieder emporstieg und in einen dunklen Gewölbgang einlenkte, huschte ein Mann in Sklaventracht aus einer Nische hervor - sie glaubte sein Gesicht schon oft gesehen zu haben - drückte ihr eine kleine Wachstafel in die Hand und war seitab verschwunden.

Sie erkannte sofort - die Handschrift Cassiodors -.

Und sie erriet nun auch den geheimnisvollen Überbringer: es war Dolios, der Briefsklave ihres treuen Ministers. Rasch die Tafel in ihrem Gewande bergend eilte sie in ihr Gemach. Dort las sie: «In Schmerz, nicht in Zorn, schied ich von dir. Ich will nicht, daß du unbußfertig abgerufen werdest und deine unsterbliche Seele verloren gehe. Flieh aus diesem Palast, aus dieser Stadt: dein Leben ist keine Stunde mehr sicher. Du kennst Gothelindis und ihren Haß. Traue niemand als meinem Schreiber und finde dich um Sonnenuntergang bei dem

Venustempel im Garten ein. Dort wird dich meine Sänfte erwarten und in Sicherheit bringen, nach meiner Villa im Bolsener See. Folge und vertraue.

Gerührt ließ Amalaswintha den Brief sinken: der vielgetreue Cassiodor! Er hatte sie doch nicht ganz verlassen. Er bangte und sorgte noch immer für das Leben der Freundin. Und jene reizende Villa auf der einsamen Insel im blauen Bolsener See! Dort hatte sie, vor vielen, vielen Jahren, als Gast Cassiodors, in voller Blüte der Jugendschönheit, Hochzeit gehalten mit Eutharich, dem edlen Amalungen, und von allem Schimmer der Macht und Ehren umflossen, ihrer Jugend stolzeste Tage gefeiert.

Ihr sonst so hartes, aber jetzt vom Unglück erweichtes Gemüt beschlich mächtige Sehnsucht, die Stätte ihrer schönsten Freuden wiederzusehen. Schon dies eine Gefühl trieb sie mächtig an, der Mahnung Cassiodors zu folgen: noch mehr die Furcht - nicht für ihr Leben, denn sie wollte sterben -, die Raschheit ihrer Feinde möchte ihr unmöglich machen, das Volk zu warnen und das Reich zu retten. Endlich überlegte sie, daß der Weg nach Regata bei Rom, wo in Bälde die große Volksversammlung, wie alljährlich im Herbst, stattfinden sollte, sie am Bolsener See vorüberführte. Also war es nur eine Beschleunigung ihres Planes, wenn sie schon jetzt in dieser Richtung aufbrach. Um aber auf alle Fälle sicherzugehn, um auch, wenn sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen sollte, ihre warnende Stimme an das Ohr des Volkes gelangen zu lassen, beschloß sie einem Brief an Cassiodor, den auf seiner Villa anzutreffen sie nicht bestimmt voraussetzten konnte, ihre ganze Beichte und die Enthüllung aller Pläne der Byzantiner und Theodahads anzuvertrauen.

Bei geschlossenen Türen schrieb sie die schmerzreichen Worte nieder, heiße Tränen des Dankes und der Reue fielen auf das Pergament, das sie sorgfältig siegelte und dem treuesten ihrer Sklaven übergab, es sicher nach dem Kloster Squillacium

in Apulien, der Stiftung und dem gewöhnlichen Aufenthalt

Cassiodors, zu befördern.

*

Langsam verstrichen der Fürstin die zögernden Stunden des Tages. Mit ganzer Seele hatte sie des Freundes dargebotene Hand ergriffen. Erinnerung und Hoffnung malten ihr um die Wette das Eiland im Bolsener See als ein teures Asyl, dort hoffte sie Ruhe und Frieden zu finden. Sie hielt sich sorgsam innerhalb ihrer Gemächer, um keinem ihrer Wächter Veranlassung zum Verdacht, Gelegenheit, sie aufzuhalten, zu geben. Endlich war die Sonne gesunken.

Mit leisen Schritten eilte Amalaswintha, ihre Sklavinnen zurückweisend und nur einige Kleinodien und Dokumente unter dem weiten Mantel bergend, aus ihrem Schlafgemach in den breiten Säulengang, der zur Gartentreppe führte. Sie zitterte, hier wie gewöhnlich auf einen der lauschenden Späher zu stoßen, gesehen, angehalten zu werden. Häufig sah sie sich um, vorsichtig blickte sie sogar in die Statuennischen: alles war leer, kein Lauscher folgte diesmal ihren Tritten. So erreichte sie unbeobachtet die Plattform der Freitreppe, die Palast und Garten verband und weiten Ausblick über diesen hin gewährte. Scharf überschaute sie den nächsten Weg, der zum Venustempel führte. Der Weg war frei.

Nur die welken Blätter raschelten wie unwillig von den rauschenden Platanen auf die Sandpfade nieder, gewirbelt von dem Winde, der fern, jenseits der Gartenmauer, Nebel und Wolken in geisterhaften Gestalten vor sich her trieb: es war unheimlich in dem ausgestorbenen Garten und seiner grauen Dämmerung.

Die Fürstin fröstelte, der kalte Abendwind zerrte an ihrem Schleier und Mantel, einen scheuen Blick warf sie noch auf die düsteren, lastenden Steinmassen des Palastes hinter sich, in dem sie so stolz gewaltet und geherrscht, und aus dem sie nun einsam, scheu, verfolgt wie eine Verbrecherin, flüchtete. Sie dachte des Sohnes, der in den Tiefen des Palastes ruhte. - Sie dachte der Tochter, die sie selbst aus diesen Mauern, aus ihrer Nähe verbannt hatte.

Und einen Augenblick drohte der Schmerz die Verlassene zu überwältigen. Sie wankte, mühsam hielt sie sich aufrecht an dem breiten Marmorgeländer der Terrasse: ein Fieberschauer rüttelte an ihrem Leibe wie das Grauen der Verlassenheit an ihrer Seele.

«Aber mein Volk!» sprach sie zu sich selbst, «und meine Buße - ich will's vollenden.» Gekräftigt von diesem Gedanken eilte sie die Stufen der Treppe hinab und bog in den von Efeu überwölbten Laubengang ein, der quer durch den Garten führte und an dem Venustempel mündete. Rasch schritt sie voran, erbebend, wenn zu einem der Seitengänge das Herbstlaub wie seufzend hereinwirbelte.

Atemlos langte sie vor dem kleinen Tempel an und ließ ringsum die suchenden Blicke schweifen. Aber keine Sänfte, keine Sklaven waren zu sehen, rings war alles still: nur die Äste der Platanen seufzten im Winde.

Da schlug das nahe Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr.

Sie wandte sich: um den Vorsprung der Mauer bog mit hastigen Schritten ein Mann. Es war Dolios. Er winkte, scheu umherspähend. Rasch eilte die Fürstin auf ihn zu, folgte ihm um die Ecke, und vor ihr stand Cassiodors wohlbekannter gallischer Reisewagen, die bequeme und vornehme Carruca, von allen vier Seiten mit verschiebbaren Gitterläden von feinem Holzwerk umschlossen, und mit dem raschen Dreigespann belgischer Manni beschirrt.

«Eile tut not, o Fürstin», flüsterte Dolios, sie in die weichen Polster hebend. «Die Sänfte ist zu langsam für den Haß deiner Feinde. Stille und Eile, daß uns niemand bemerkt.»

Amalaswintha blickte noch einmal um sich.

Dolios öffnete das Tor des Gartens und führte den Wagen vor dasselbe hinaus. Da traten zwei Männer aus dem Gebüsch: der eine bestieg den Sitz des Wagenlenkers vor ihr: der andere schwang sich auf eines der beiden gesattelt vor dem Tore stehenden Rosse. Sie erkannte die Männer als vertraute Sklaven Cassiodors, sie waren wie Dolios mit Waffen versehen. Dieser sperrte wieder sorgfältig das Gartentor und ließ die Gitterladen des Wagens herab. Dann warf er sich auf das zweite der Pferde und zog das Schwert: «Vorwärts!» rief er.

Und von dannen jagte der kleine Zug, als wär' ihm der Tod auf der Ferse.

Fünftes Kapitel

Die Fürstin wiegte sich in Gefühlen des Dankes, der Freiheit, der Sicherheit. Sie baute schöne Entwürfe der Sühne.

Schon sah sie ihr Volk durch ihre warnende Stimme gerettet vor Byzanz, vor dem Verrat des eignen Königs. Schon hörte sie den begeisterten Ruf des tapferen Heeres, der den Feinden Verderben, ihr aber Verzeihung kündete. In solchen Träumen verflogen ihr die Stunden, die Tage und Nächte. Unausgesetzt eilte der Zug vorwärts: drei-, viermal des Tages wurden die Pferde des Wagens und der Reiter gewechselt, so daß sie Meile um Meile wie im Fluge zurücklegten.

Wachsam hütete Dolios die ihm anvertraute Fürstin, mit gezogenem Schwert schützte er den Zugang zum Wagen, während seine Begleiter Speise und Wein aus den Stationen holten. Jene geflügelte Eile und diese treue Wachsamkeit benahmen Amalaswinthen einer Besorgnis, deren sie sich eine Weile nicht hatte erwehren können: ihr war, sie würden verfolgt.

Zweimal, in Perusia und in Clusium, glaubte sie, wie der Wagen hielt, ja in Clusium meinte sie, aus dem niedergelassenen Gitterladen zurückspähend, eine zweite Carruca, ebenfalls von Reitern begleitet, in das Tor der Stadt einbiegen zu sehen.

Aber als sie Dolios davon sprach, jagte der spornstreichs nach dem Tore zurück und kam sogleich mit der Meldung wieder, daß nichts wahrzunehmen sei; auch hatte sie von da ab nichts mehr bemerkt, und die rasende Eile, mit der sie sich dem ersehnten Eiland näherte, ließ sie hoffen, daß ihre Feinde, selbst wenn sie ihre Flucht entdeckt und eine Strecke weit verfolgt haben sollten, alsbald ermüdet zurückgeblieben seien.

Da verdüsterte ein Unfall, unbedeutend an sich, aber unheilkündend durch seine begleitenden Umstände, plötzlich die helle Stimmung der flüchtenden Fürstin.

Es war hinter der kleinen Stadt Martula.

Öde, baumlose Heide dehnte sich unabsehbar nach jeder Richtung: nur Schilf und hohe Sumpfgewächse ragten aus den feuchten Niederungen zu beiden Seiten der römischen Hochstraße und nickten und flüsterten gespenstisch im Nachtwind. Die Straße war hin und wieder mit niedern, von Reben überflochtenen Mauern eingefaßt und, nach altrömischer Sitte, mit Grabmonumenten, die aber oft traurig zerfallen waren und mit ihren auf dem Wege zerstreuten Steintrümmern den Pferden das Fortkommen erschwerten.

Plötzlich hielt der Wagen mit einem heftigen Ruck, und Dolios riß die rechte Tür auf. «Was ist geschehen», rief die Fürstin erschreckt, «sind wir in des Feindes Hand?»

«Nein», sprach Dolios, der, ihr von je als verschlossen und finster bekannt, auf dieser Reise fast unheimlich schweigsam schien, «ein Rad ist gebrochen. Du mußt aussteigen und warten, bis es gebessert.»

Ein heftiger Windstoß löschte in diesem Augenblick seine Fackel, und naßkalter Regen schlug in der Bestürzten Antlitz. «Aussteigen? hier? Und wohin dann? Hier ist nirgend ein Haus, ein Baum, der Schutz böte vor Regen und Sturm. Ich bleibe in dem Wagen.» - «Das Rad muß abgehoben werden. Dort das Grabmal mag dir Schutz gewähren.»

Mit einem Schauer von Furcht gehorchte Amalaswintha und schritt über die Steintrümmer, die ringsum zerstreut lagen, nach der rechten Seite des Weges, wo sie jenseits des Grabens ein hohes Monument aus der Dunkelheit ragen sah. Dolios half ihr über den Graben.

Da schlug von der Straße hinter ihrem Wagen her das Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Erschrocken blieb sie stehen.

«Es ist unser Nachreiter», sagte Dolios rasch, «der uns den Rücken deckt, komm.»

Und er führte sie durch feuchtes Gras den Hügel heran, auf dem sich das Monument erhob. Oben angelangt setzte sie sich auf die breite Steinplatte eines Sarkophags.

Da war Dolios plötzlich im Dunkel verschwunden, vergebens rief sie ihn zurück. Bald sah sie unten auf der Straße seine Fackel wieder brennen: rot leuchtete sie durch die Nebel der Sümpfe, und der Sturm entführte rasch den Schall der Hammerschläge der Sklaven, die an dem Rade arbeiteten.

So saß die Tochter des großen Theoderich, einsam und todesflüchtig, auf der Heerstraße in unheimlicher Nacht; der Sturm riß an ihrem Mantel und Schleier, der feine kalte Regen durchnäßte sie, in den Zypressen hinter dem Grabmal seufzte melancholisch der Wind, oben am Himmel jagte zerfetztes Gewölk und ließ nur manchmal einen flüchtigen Mondstrahl durch, der die gleich wieder folgende Dunkelheit noch düsterer machte.

Banges Grauen durchschlich fröstelnd ihr Herz.

Allmählich gewöhnte sich ihr Auge an die Dunkelheit, und umhersehend konnte sie die Umrisse der nächsten Dinge deutlicher unterscheiden. Da - ihr Haar sträubte sich vor Entsetzen - da war ihr, als säße dicht hinter ihr auf dem erhöhten Hintereck des Sarkophags eine zweite Gestalt: - ihr eigener Schatten war es nicht -: eine kleinere Gestalt in weitem faltigem Gewand, die Arme auf die Knie, das Haupt in die Hände

gestützt und zu ihr herunterstarrend.

Ihr Atem stockte, sie glaubte flüstern zu hören, fieberhaft strengte sie die Sinne an, zu sehen, zu hören: da flüsterte es wieder: «Nein, nein, noch nicht!» So glaubte sie zu hören. Sie richtete sich leise auf, auch die Gestalt schien sich zu regen, es klirrte deutlich wie Stahl auf Stein.

Da schrie die Geängstigte: «Dolios! Licht! Hilfe! Licht!» Und sie wollte den Hügel hinab, aber zitternd versagten die Knie, sie fiel und verletzte die Wange an dem scharfen Gestein.

Da war Dolios mit der Fackel heran, schweigend erhob er die Blutende, er fragte nicht. «Dolios», rief sie, sich fassend, «gib die Leuchte: ich muß sehen, was dort war, was dort ist.»

Sie nahm die Fackel und schritt entschlossen um die Ecke des Sarkophags: Es war nichts zu sehen, aber jetzt, im Glanze der Fackel, erkannte sie, daß das Monument nicht, wie die übrigen, ein altes, daß es sichtlich erst neu errichtet war, so unverwittert war der weiße Marmor, so frisch die schwarzen Buchstaben der Inschrift.

Von jener seltsamen Neugier, die sich mit dem Grauen verbindet, unwiderstehlich fortgerissen, hielt sie die Fackel dicht an den Sockel des Monumentes und las bei flackerndem Licht die Worte: «Ewige Ehre den drei Balten Thulun, Ibba und Pitza. Ewiger Fluch ihren Mördern.»

Mit einem Aufschrei taumelte Amalaswintha zurück.

Dolios führte die Halbohnmächtige zu dem Wagen. Fast bewußtlos legte sie die noch übrigen Stunden des Weges zurück. Sie fühlte sich krank an Leib und Seele. Je näher sie dem Eiland kam, desto lebhafter ward die fieberhafte Freude, mit der sie es ersehnt, verdrängt von einer ahnungsvollen Furcht: mit Bangen sah sie die Sträucher und Bäume des Weges immer rascher an sich vorüberfliegen.

Endlich machten die dampfenden Rosse halt.

Sie senkte die Läden und blickte hinaus: es war die kalte unheimliche Stunde, da das erste Tagesgrauen ankämpft gegen die noch herrschende Nacht; sie waren, so schien es, angelangt am Ufer des Sees: aber von seinen blauen Fluten war nichts zu sehen; ein düsterer grauer Nebel lag undurchdringlich wie die Zukunft vor ihren Augen. Von der Villa, ja von der Insel selbst war nichts zu entdecken. Rechts vom Wagen stand eine niedrige Fischerhütte tief in dem dichten, ragenden Schilf, durch welches wie seufzend der Morgenwind fuhr, daß die schwankenden Häupter sich bogen.

Seltsam: ihr war, als warnten und winkten sie hinweg von dem dahinter verborgenen See.

Dolios war in die Hütte gegangen; er kam jetzt zurück und hob die Fürstin aus dem Wagen, schweigend führte er sie durch den feuchten Wiesengrund und nach dem Schilf zu.

Da lag am Ufer eine schmale Fähre: sie schien mehr im Nebel als im Wasser zu schwimmen.

Am Steuer aber saß in einen grauen zerfetzten Mantel gehüllt ein alter Mann, dem die langen weißen Haare wirr ins Gesicht hingen. Er schien vor sich hin zu träumen mit geschlossenen Augen, die er nicht aufschlug, als die Fürstin in den schwankenden Nachen stieg und sich in der Mitte desselben auf einem Feldstuhl niederließ.

Dolios trat an den Schnabel des Schiffes und ergriff zwei Ruder, die Sklaven blieben bei dem Wagen zurück.

«Dolios», rief Amalaswintha besorgt, «es ist sehr dunkel, wird der Alte steuern können in diesem Nebel, und an keinem Ufer ein Licht?» - «Das Licht würde ihm nichts nützen, Königin, er ist blind.» - «Blind?» rief die Erschrockene, «laß landen! Kehr' um!» - «Ich fahre hier seit zwanzig Jahren», sprach der greise Ferge, «kein Sehender kennt den Weg gleich mir.» - «So bist du blind geboren?»

«Nein, Theoderich der Amaler ließ mich blenden, weil mich

Alarich, der Balten-Herzog, des Thulun Bruder, gedungen hätte, ihn zu morden. Ich bin ein Knecht der Balten, war ein Gefolgsmann Alarichs, aber ich war so unschuldig wie mein Herr, Alarich der Verbannte. Fluch über die Amalungen!» rief er mit zornigem Ruck am Steuer.

«Schweig! Alter», sprach Dolios.

«Warum soll ich heute nicht sagen, was ich bei jedem Ruderschlag seit zwanzig Jahren sage? Es ist mein Taktspruch. -Fluch den Amalungen!»

Mit Grauen sah die Flüchtige auf den Alten, der in der Tat mit völliger Sicherheit und pfeilgerade fuhr. Sein weiter Mantel und wirres Haar flogen im Winde: ringsum Nebel und Stille, nur das Ruder hörte man gleichförmig einschlagen, leere Luft und graues Licht auf allen Seiten. Ihr war, als führe sie Charon über den Styx in das graue Reich der Schatten. - Fiebernd hüllte sie sich in ihren faltigen Mantel.

Noch einige Ruderschläge und sie landeten.

Dolios hob die Zitternde heraus: der Alte aber wandte sein Boot schweigend und ruderte so rasch und sicher zurück wie er gekommen. Mit einer Art von Grauen sah ihm Amalaswintha nach, bis er in dem dichten Nebel verschwand.

Da war es ihr als höre sie den Schall von Ruderschlägen eines zweiten Schiffes, die rasch näher und näher drangen. Sie fragte Dolios nach dem Grund dieses Geräusches.

«Ich höre nichts», sagte dieser, «du bist allzu erregt, komm in das Haus.» Sie wankte, auf seinen Arm gestützt, die in den Felsen gehauenen Stufen hinan, die zu der burgähnlichen, hochgetürmten Villa führten. Von dem Garten, der, wie sie sich lebhaft erinnerte, zu beiden Seiten dieses schmalen Weges sich dehnte, waren in dem Nebel kaum die Linien der Baumreihen zu sehen.

Endlich erreichten sie das hohe Portal, eine eherne Tür im Rahmen von schwarzem Marmor. Der Freigelassene pochte mit dem Knauf seines Schwertes: - dumpf dröhnte der Schlag in den gewölbten Hallen nach - die Türe sprang auf.

Amalaswintha gedachte, wie sie einst durch dieses Tor, das die Blumengewinde fast versperrt hatten,. an ihres Gatten Seite eingezogen war, sie gedachte, wie sie die Pförtner, gleichfalls ein jung vermähltes Paar, so freundlich begrüßt.

Der finstersehende Sklave mit wirrem grauem Haar, der jetzt mit Ampel und Schlüsselbund vor ihr stand, war ihr fremd.

«Wo ist Fuscina, des früheren Ostiarius Weib? Ist sie nicht mehr im Hause?» fragte sie.

«Die ist lang ertrunken im See», sagte der Pförtner gleichgültig und schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fürstin: sie mußte sich die kalten dunklen Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken ihrer Fähre geleckt. Sie gingen durch Bogenhöfe und Säulenhallen: alles leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Öde: - die ganze Villa schien ein weites Totengewölbe.

«Das Haus ist unbewohnt? Ich bedarf einer Sklavin.»

«Mein Weib wird dir dienen.»

«Ist sonst niemand in der Villa?»

«Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt.»

«Ein Arzt - ich will ihn -»

Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige dumpfe Schläge: schwer dröhnten sie durch die leeren Räume. Entsetzt fuhr Amalaswintha zusammen. «Was war das?» fragte sie, Dolios' Arm fassend. Sie hörte die schwere Türe zufallen.

«Es hat nur jemand Einlaß begehrt», sagte der Ostiarius und schloß die Türe des für die Flüchtige bestimmten Gemaches auf Die dumpfe Luft eines lang nicht mehr geöffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit Rührung erkannte sie die Schildplattbekleidung der Wände. Es war dasselbe Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt, überwältigt von der Erinnerung glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunklen Polstern belegt war.

Sie verabschiedete die beiden Männer, zog die Vorhänge des Lagers um sich her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf.

Sechstes Kapitel

So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild jagten Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber.

Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: -Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien sie zu sich zu winken: - das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens - dann Nebel und Wolken und blattlose Bäume, drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewändern, und der blinde Fährmann: in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem Stein hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher und näher - beengend - erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da - nein, es war kein Traumgesicht - da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter Schatten.

Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhanges auseinander - da war nichts mehr zu sehen.

Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf an der Wand, der draußen einen Hammer in Bewegung setzte.

Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen. Sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen.

Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebtüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badestube des unteren, deren Decke - eine große, kreisförmige Metallplatte - den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm- und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfüllt werden konnte.

Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten.

Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief, erschien das Weib des Türsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den Heizstübchen, den Auskleide- und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Tür.

Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief. Gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und köstliche Düfte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschaffenem Glas. Gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Zedernholz, die auf zwölf Staffeln zu einer Sprungbrücke führte, rings an den Marmorwänden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten.

Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten, und wandte sich zur Türe. «Woher bist du mir bekannt?» fragte die Fürstin, sie nachdenklich betrachtend, «wie lange bist du hier?»

«Seit acht Tagen.» Und sie ergriff die Türe.

«Wie lange dienst du Cassiodor?»

«Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.»

Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes - zu spät: sie war hinaus, die Türe war zugefallen, und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen Ausgang.

Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei. Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke.

Aber keine Flucht schien möglich: die Türe war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken, nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen. Verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen. Endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenüber - und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben, und die ovale Öffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt.

War es ein menschlich Antlitz?

Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Züge, und eine Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick.

Amalaswintha brach in die Knie und verhüllte ihr Gesicht. «Du - du hier!»

Ein heiseres Lachen war die Antwort. «Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! - Es wird dein Grab! Mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht Tagen.

Ich habe dich hierher gelockt; ich bin dir hierher nachgeschlichen wie dein Schatten: lange Tage, lange Nächte hab' ich den brennenden Haß getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese hochmütigen Züge zuckt: o ein Meer von Rache will ich trinken.»

Händeringend erhob sich Amalaswintha: «Rache! Wofür?

Woher dieser tödliche Haß?»

«Ha, du fragst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen, und das Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die Ersten unter ihren Gespielinnen. Beide jung, schön und lieblich: Königskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Mädchen sollten eine Königin des Spiels wählen, und sie wählten Gothelindis, denn sie war noch schöner als du und nicht so herrisch; und sie wählten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei, von wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt. Und als man mich zum dritten wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere» -

«Halt ein, o schweig, Gothelindis.»

- «Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde, und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.»

«Verzeih, vergib, Gothelindis!» jammerte die Gefangene. «Du hattest mir ja längst verziehn.»

«Verzeihen? Ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich dir verzeihen? Du hattest gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich, sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen.

Und Jahre vergingen.

Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunklen Auge und der weichen Seele; und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten

Hasses der beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld - denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet -, daß die arme, mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte.

Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz, weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest.

Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen; und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung - oder war es zum Hohne? - gab man auch mir einen Amaler: - Theodahad, den elenden Feigling!»

«Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich -»

«Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? Oh, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt - alles hätt' ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Zepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht - Rache, Rache für ihn.»

Und die weite Wölbung widerhallte von dem Ruf: «Rache! Rache!»

«Zu Hilfe!» rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang.

«Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache.

Glaubst du, umsonst hab' ich so lang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab' ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor einer Stunde an deinem Bette, hab' ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: - denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.»

«Entsetzliche!»

«Oh, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.»

«Was willst du tun?» rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend.

«Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich, und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen. In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die stolzen Glieder getrocknet: - in diesem Bade sollst du sterben!»

Und sie drückte auf eine Feder.

Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Füßen.

«Denk' an mein Auge!» rief Go thelindis, und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusentüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit.

Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder, sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi. Das erquickte ihre Seele, sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und stiegen, schon rauschten sie an den Stufen der Galerie.

«Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!» rief Gothelindis grimmig, «denk' an die drei Herzoge!» Und plötzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren.

Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: «Gothelindis, ich vergebe dir! Töte mich, aber verzeih auch du meiner Seele.». Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. «Ich dir vergeben? Niemals! Denk' an Eutharich!»

Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte.

Wenn sie die hier angebrachte Sprungdecke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlängerten Qual weiden zu wollen. Schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der Brücke: «Höre mich, Gothelindis! Meine letzte Bitte! Nicht für mich - für mein Volk, für unser Volk: - Petros will es verderben und Theodahad... » -

«Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese törichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht, und niemand ist, der sie warnt.»

«Du irrst, Teufelin, sie sind gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!»

Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die Fluten, die sich brausend über ihr schlossen.

Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. «Sie ist verschwunden», sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm das Brusttuch Amalaswinthens. «Noch im Tode überwindet mich dieses Weib», sagte sie langsam: «wie lang war der Haß und wie kurz die Rache!»

Siebentes Kapitel

Wenige Tage nach diesen Ereignissen finden wir zu Ravenna in dem Gemach des Gesandten von Byzanz eine Anzahl von vornehmen Römern geistlichen und weltlichen Standes versammelt: auch die Bischöfe Hypatius und Demetrius aus dem Ostreich weilten bei ihm.

Große Aufregung, aus Zorn und Furcht gemischt, sprach aus allen Gesichtern, als der gewandte Rhetor seine Ansprache mit folgenden Worten schloß: «Deshalb, ihr ehrwürdigen Bischöfe des Westreichs und des Ostreichs und ihr edeln Römer, hab' ich euch hierher beschieden. Laut und feierlich lege ich vor euch im Namen meines Kaiser Verwahrung ein gegen alle Taten der Arglist und Gewalt, die im geheimen gegen die hohe Frau verübt werden mögen.

Seit neun Tagen ist sie verschwunden aus Ravenna: wohl mit Gewalt hinweggeführt aus eurer Mitte: sie, die von jeher die

Freundin, die Beschützerin der Italier gewesen. Verschwunden ist am gleichen Tage die Königin, ihre grimmige Feindin. Ich habe Eilboten ausgesandt, nach allen Richtungen, noch bin ich ohne Nachricht; aber wehe, wenn...»

Er konnte nicht vollenden.

Dumpfes Geräusch scholl von dem Forum des Herkules herauf, bald hörte man hastige Schritte im Vestibulum, der Vorhang ward zurückgeschlagen, und ins Gemach eilte staubbedeckt einer der byzantischen Sklaven des Gesandten: «Herr», rief er, «sie ist tot! Sie ist ermordet!»

«Ermordet!» scholl es in der Runde.

«Durch wen?» fragte Petros.

«Von Gothelindis auf der Villa im Bolsener See.»

«Wo ist die Leiche? Wo ist die Mörderin?»

«Gothelindis gibt vor, die Fürstin sei im Bad ertrunken, unkundig mit den Wasserkünsten spielend. Aber man weiß, daß sie ihrem Opfer von hier auf dem Fuße nachgefolgt. Römer und Goten eilen zu Hunderten nach der Villa, die Leiche in feierlichem Zuge hierher zu geleiten. Die Königin floh vor der Rache des Volks in das feste Schloß von Feretri.»

«Genug», rief Petros entrüstet, «ich eile zum König und fordre euch auf, ihr edeln Männer, mir zu folgen. Auf euer Zeugnis will ich mich berufen vor Kaiser Justinian.» Und sofort eilte er an der Spitze der Versammelten nach dem Palast.

Sie fanden auf den Straßen eine Menge Volks in Bestürzung und Entrüstung hin und her wogend: die Nachricht war in die Stadt gedrungen und flog von Haus zu Haus.

Als man den Gesandten des Kaisers und die Vornehmen der Stadt erkannte, öffnete sich die Menge vor ihnen, schloß sich aber dicht hinter ihnen wieder und flutete nach auf dem Wege in den Palast, von dessen Toren sie kaum abgehalten wurde. Von Minute zu Minute stieg die Zahl und der Lärm des Volkes: auf dem Forum des Honorius drängten sich die Ravennaten zusammen, die mit der Trauer um ihre Beschützerin schon die Hoffnung vereinten, bei diesem Anlaß die Barbarenherrschaft fallen zu sehen: das Erscheinen des kaiserlichen Gesandten steigerte diese Hoffnung, und der Auflauf vor dem Palast nahm mehr und mehr eine Richtung, die keineswegs bloß Theodahad und Gothelindis bedrohte.

Inzwischen eilte Petros mit seiner Begleitung in das Gemach des hilflosen Königs, den mit seiner Gattin alle Kraft des Widerstandes verlassen hatte: er verzagte vor der Aufregung der unten wogenden Menge und hatte nach Petros gesendet, von ihm Rat und Hilfe zu erlangen, da ja dieser es gewesen, der mit Gothelindis den Untergang der Fürstin beschlossen und die Art der Ausführung beraten hatte. Er sollte ihm jetzt auch die Folgen der Tat tragen helfen. Als daher der Byzantiner auf der Schwelle erschien, eilte er, beide Arme ausbreitend, auf ihn zu; aber erstaunt blieb er plötzlich stehen, erstaunt über die Begleitung, noch mehr erstaunt über die finster drohende Miene des Gesandten.

«Ich fordre Rechenschaft von dir, König der Goten», rief dieser schon an der Türe, «Rechenschaft im Namen von Byzanz für die Tochter Theoderichs. Du weißt, Kaiser Justinian hat sie seines besondern Schutzes versichert: jedes Haar ihres Hauptes ist daher heilig und heilig jeder Tropfen ihres Blutes. Wo ist Amalaswintha?»

Der König sah ihn staunend an. Er bewunderte diese Verstellungskunst. Aber er begriff ihren Zweck nicht. Er schwieg.

«Wo ist Amalaswintha?» wiederholte Petros, drohend vortretend, und sein Anhang folgte ihm einen Schritt.

«Sie ist tot», sagte Theodahad, ängstlich werdend.

«Ermordet ist sie», rief Petros, «so ruft ganz Italien, ermordet von dir und deinem Weibe. Justinian, mein hoher Kaiser, war der Schirmherr dieser Frau, er wird ihr Rächer sein: Krieg künd' ich dir in seinem Namen an, Krieg gegen euch, ihr blutigen Barbaren, Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht.»

«Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht!» wiederholten die Italier, fortgerissen von der Gewalt des Augenblicks und den alten, langgenährten Haß entzügelnd, und wie eine Woge brausten sie heran auf den zitternden König.

«Petros», stammelte dieser entsetzt, «du wirst gedenken des Vertrages, du wirst doch...»

Aber der Gesandte zog eine Papyrusrolle aus dem Mantel und riß sie mitten durch. «Zerrissen ist jedes Band zwischen meinem Kaiser und deinem blutbefleckten Haus. Ihr selber habt durch eure Greueltat alle Schonung verwirkt, die man euch früher gewährt. Nichts von Verträgen. Krieg!»

«Um Gott», jammerte Theodahad, «nur nicht Krieg und Kampf! Was forderst du, Petros?»

«Unterwerfung! Räumung Italiens! Dich selber und Gothelindis lad' ich zum Gericht nach Byzanz vor den Thron Justinians, dort... -»

Aber seine Rede unterbrach der schmetternde Ruf des gotischen Kriegshorns, und in das Gemach eilte mit gezogenen Schwertern einen starke Schar gotischer Krieger, von Graf Witichis geführt.

Die gotischen Führer hatten sofort auf die Nachricht von Amalaswinthens Untergang die tüchtigsten Männer ihres Volks in Ravenna zu einer Beratung vor die Porta romana beschieden und dort Maßregeln der Sicherung und der Gerechtigkeit beraten.

Zur rechten Zeit erschienen sie jetzt auf dem Forum des Honorius, wo der Auflauf immer drohender wurde: schon blinkte hier und dort ein Dolch, schon ertönte manchmal der Ruf: «Wehe den Barbaren!»

Diese Zeichen und Stimmen verschwanden und verstummten sofort, als nun die verhaßten Goten in geschlossenem Zug von dem Forum des Herkules her durch die Via palatina anrückten: ohne Widerstand zogen sie quer durch die grollenden Haufen, und indessen Graf Teja und Hildebad die Tore und die Terrasse des Palastes besetzten, waren Graf Witichis und Hildebrand gerade rechtzeitig im Gemache des Königs angelangt, die letzten Worte des Gesandten noch zu hören. Ihr Zug stellte sich in einer Schwenkung rechts vom Thronsitz des Königs, zu dem dieser zurückgewichen war: und Witichis auf sein langes Schwert gestützt, trat hart vor den Griechen hin und sah ihm scharf ins Auge.

Eine erwartungsvolle Pause trat ein.

«Wer wagt es», fragte Witichis ruhig, «hier den Herrn und Meister zu spielen im Königshaus der Goten?»

Von seiner Überraschung sich erholend entgegnete Petros: «Es steht dir übel an, Graf Witichis, Mörder zu beschützen. Ich hab' ihn nach Byzanz geladen vor Gericht.»

«Und darauf hast du keine Antwort, Amalunge?» rief der alte Hildebrand zornig.

Aber das böse Gewissen band dem König die Stimme.

«So müssen wir statt seiner sprechen», sagte Witichis. «Wisse, Grieche, vernehmt es wohl, ihr falschen und undankbaren Ravennaten: das Volk der Goten ist frei und erkennt auf Erden keinen Herrn und Richter über sich.»

«Auch nicht für Mord und Blutschuld?»

«Wenn schwere Taten unter uns geschehen, richten und strafen wir sie selbst. Den Fremdling geht das nichts an, am wenigsten unsern Feind, den Kaiser in Byzanz.»

«Mein Kaiser wird diese Frau rächen, die er nicht retten konnte. Liefert die Mörder aus nach Byzanz.»

«Wir liefern keinen Gotenknecht nach Byzanz, geschweige

unsern König», sprach Witichis.

«So teilt ihr seine Strafe wie seine Schuld, und Krieg erklär' ich euch, im Namen meines Herrn. Erbebt vor Justinian und Belisar.»

Eine freudige Bewegung der gotischen Krieger war die Antwort. Der alte Hildebrand trat ans Fenster und rief zu den unten stehenden Goten hinab: «Hört, ihr Goten, frohe Kunde: Krieg, Krieg mit Byzanz.»

Da brach unten ein Getöse los, wie wenn das Meer entfesselt über seine Dämme bricht, die Waffen klirrten, und tausend Stimmen jubelten: «Krieg, Krieg mit Byzanz!»

Dieser Widerhall blieb nicht ohne Eindruck auf Petros und die Italier. Das Ungestüm solcher Begeisterung erschreckte sie: schweigend sahen sie vor sich nieder. Während die Goten sich beglückwünschend die Hände schüttelten, trat Witichis ernst, gesenkten Hauptes in die Mitte, hart neben Petros, und sprach feierlich: «Also Krieg! Wir scheuen ihn nicht: - du hast es gehört. Besser offner Kampf als die langjährige, lauernde, wühlende Feindschaft. Der Krieg ist gut: aber wehe dem Frevler, der ohne Recht und ohne Grund den Krieg beginnt. Ich sehe Jahre voraus, viele Jahre von Blut und Mord und Brand, ich sehe zerstampfte Saaten, rauchende Städte, zahllose Leichen die Ströme hinabschwimmen. Hört unser Wort: auf euer Haupt dies Blut, dies Elend. Ihr habt geschürt und gereizt jahrelang: wir haben's ruhig getragen. Und jetzt habt ihr den Krieg hereingeschleudert, richtend, wo ihr nicht zu richten habt, ohne Grund euch mischend in das Leben eines Volkes, das so frei wie ihr: auf euer Haupt die Schuld. Dies unsre Antwort nach Byzanz.»

Schweigend hörte Petros diese Worte an, schweigend wandte er sich und schritt mit seinen italischen Freunden hinaus. Einige von diesen gaben ihm das Geleit bis in seine Wohnung, unter ihnen der Bischof von Florentia.

«Ehrwürdiger Freund», sagte er zu diesem beim Abschied, «die Briefe Theodahads in der bewußten Sache, die du mir zur Einsicht anvertraut, mußt du mir ganz belassen. Ich bedarf ihrer, und für deine Kirche sind sie nicht mehr nötig» - «Der Prozeß ist längst entschieden», erwiderte der Bischof, «und die Güter unwiderruflich erworben. Die Dokumente sind dein.»

Darauf verabschiedete der Gesandte seine Freunde, die ihn bald mit dem kaiserlichen Heer in Ravenna wiederzusehen hofften, und eilte in sein Gemach, wo er zuerst einen Boten an Belisar abfertigte, ihn zum sofortigen Angriff aufzufordern.

Darauf schrieb er einen ausführlichen Bericht an den Kaiser, der mit folgenden Worten schloß: «Und so scheinst du, o Herr, wohl Grund zu haben, mit den Diensten deines getreuesten Knechts zufrieden zu sein und mit der Lage der Dinge. Das Volk der Barbaren in Parteien zerspalten: auf dem Thron ein verhaßter Fürst, unfähig und treulos: die Feinde sonder Rüstung überrascht: die italische Bevölkerung überall für dich gewonnen: es kann nicht fehlen: wenn keine Wunder geschehen, müssen die Barbaren fast ohne Widerstand erliegen.

Und wie oft tritt auch hier mein erhabener Kaiser, dessen Stolz das Recht, Hs Schirmherr und Rächer der Gerechtigkeit auf: - es ist ein geistvoller Zufall, daß die Triere, die mich trägt, den Namen führt.

Nur das eine betrübt mich unendlich, daß es meinem treuen Eifer nicht gelungen, die unselige Tochter Theoderichs zu retten. Ich flehe dich an, meiner hohen Herrin, der Kaiserin, die mir niemals gnädig gesinnt war, wenigstens zu versichern, daß ich allen ihren Aufträgen bezüglich der Fürstin, deren Schicksal sie mir noch in der letzten Unterredung als Hauptsorge ans Herz legte, aufs treueste nachzukommen suchte.

Auf die Anfrage bezüglich Theodahads und Gothelindens, deren Hilfe uns das Gotenreich in die Hände liefert, wage ich es, der hohen Kaiserin mit der ersten Regel der Klugheit zu antworten: es ist zu gefährlich, die Mitwisser unsrer tiefsten Geheimnisse am Hof zu haben.»

Diesen Brief sandte Petros eilig durch die beiden Bischöfe Hypatius und Demetrius voraus. Sie sollten nach Brundisium und von da über Epidamnus auf dem Landweg nach Byzanz eilen. Er selbst wollte erst nach einigen Tagen folgen, langsam die gotische Küste des jonischen Meerbusens entlang fahrend, überall die Stimmung der Bevölkerung in den Hafenstädten zu prüfen und zu schüren.

Dann sollte er um den Peloponnes und Euböa her nach Byzanz segeln: denn die Kaiserin hatte ihm den Seeweg vorgeschrieben und ihm Aufträge für Athen und Lampsakos erteilt.

Er überrechnete schon vor der Abreise von Ravenna mit vergnügten Sinnen immer wieder seine Wirksamkeit in Italien und den Lohn, den er dafür in Byzanz erwartete.

Er kehrte zurück, noch einmal so reich als er gekommen.

Denn er hatte der Königin Gothelindis nie eingestanden, daß er mit dem Auftrag, Amalaswintha zu verderben, ins Land gekommen. Er hatte ihr vielmehr lange die Gefahr der Ungnade bei Kaiser und Kaiserin entgegengehalten und sich nur mit Widerstreben durch sehr hohe Summen von ihr für den Plan gewinnen lassen, in welchem er sie doch nur als Werkzeug brauchte. Er erwartete in Byzanz mit Sicherheit die versprochene Würde des Patriciats und freute sich schon, seinem hochmütigen Vetter Narses, der ihn nie befördert hatte, nun bald in gleichem Range entgegenzutreten.

«So ist denn alles nach Wunsch gelungen», sagte er selbstzufrieden, während er seine Briefschaften ordnete: «und diesmal, du stolzer Freund Cethegus, hat sich die Verschmitztheit doch trefflich bewährt. Und der kleine Rhetor aus Thessalonike hat es doch weiter gebracht mit seinen kleinen, leisen Schritten, denn du mit deinem stolzen, herausfordernden

Gang. Nur muß noch dafür gesorgt werden, daß Theodahad und Gothelindis nicht nach Byzanz an den Hof entrinnen. Wie gesagt, das wäre zu gefährlich: vielleicht hat die Frage der klugen Kaiserin eine Warnung sein sollen. Nein, dieses Königspaar muß verschwinden aus unsern Wegen.»

Und er ließ den Gastfreund rufen, bei dem er gewohnt, und nahm Abschied von ihm. Dabei übergab er ihm eine dunkle, schmale Vase von der Form derer, die zur Aufbewahrung von Urkunden dienten: er versiegelte den Deckel mit seinem Ring, der einen feingeschnittenen Skorpion zeigte, und schrieb einen Namen auf die daran hängende Wachstafel. «Diesen Mann», sagte er dem Gastfreund, «suche auf bei der nächsten Versammlung der Goten zu Regeta und übergib ihm die Vase: was sie enthält ist sein. Leb' wohl, auf baldig Wiedersehen hier in Ravenna.»

Und er verließ mit seinen Sklaven das Haus und bestieg alsbald das Gesandtenschiff: von stolzen Erwartungen hoch gehoben trug ihn die «Nemesis» dahin.

Und als sich nun sein Schiff dem Hafen von Byzanz näherte, von Lampsakos aus hatte er - auch dies hatte die Kaiserin gewünscht - seine baldige Ankunft durch einen kaiserlichen Schnellsegler, der eben abging, melden lassen, überflog des Gesandten Auge erwartungsvoll die schönen Landhäuser, die marmorweiß aus den Schatten immergrüner Gärten blinkten.

«Hier wirst du künftig wohnen, unter den Senatoren des Reichs», sprach wohlgefällig Petros.

Vor dem Einlaufen in den Hafen flog die «Thetis», das prachtvolle Lustboot der Kaiserin, ihnen entgegen, sowie es des Gesandten Galeere erkannte die Purpurwimpel entrollend und sie zum Halten anrufend. Alsbald stieg an Bord der Galeere ein Bote der Kaiserin: es war Alexandros, der frühere Gesandte am Hof von Ravenna.

Er wies dem Trierarchen ein Schreiben des Kaisers, in das dieser einen erschrockenen Blick warf. Dann wandte er sich zu Petros: «Im Namen des Kaisers Justinian! Du bist wegen jahrelang fortgesetzter Urkundenfälschug und Steuerunterschlagung lebenslänglich zu den Metallarbeitern in den Bergwerken von Cherson bei den ultziagirischen Hunnen verurteilt. Du hast die Tochter Theoderichs ihren Feinden preisgegeben. Der Kaiser hätte dich durch deinen Brief für entschuldigt erachtet, aber die Kaiserin, untröstlich über den Untergang ihrer königlichen Schwester, hat deine alte Schuld dem Kaiser entdeckt. Und ein Brief des Präfekten von Rom an diesen hat dargetan, daß du mit Gothelindis geheim der Königin Verderben geplant. Die Kaiserin hat den Kaiser auch hierin überzeugt. Dein Vermögen ist eingezogen: die Kaiserin aber läßt dir sagen» - hier flüsterte er in des Zerschmetterten Ohr -, «du habest in deinem klugen Brief ihr selbst den Rat erteilt, Mitwisser von Geheimnissen zu verderben. Trierarch, du führst den Verurteilten sofort an seinen Strafort ab.»

Und Alexandros ging auf die «Thetis» zurück.

Die «Nemesis» aber drehte rauschend ihr Steuer, wandte dem Hafen von Byzanz den Rücken und trug den Sträfling für immer aus dem Leben der Menschen.

Achtes Kapitel

Wir haben Cethegus, den Präfekten, seit seiner Abreise nach Rom aus den Augen verloren.

Er hatte daselbst in den Wochen der erzählten Ereignisse die eifrigste Tätigkeit entfaltet: denn er erkannte, daß die Dinge jetzt zur Entscheidung drängten; er konnte ihr getrost entgegensehen.

Ganz Italien war einig in dem Haß gegen die Barbaren: und wer anders vermochte es, der Kraft dieses Hasses Bewegung und Ziel zu geben, als das Haupt der Katakombenverschwörung und der Herr von Rom.

Das war er durch die jetzt völlig ausgebildeten und ausgerüsteten Legionäre und durch die nahezu vollendete Befestigung der Stadt, an der er in den letzen Monaten nachts wie tags hatte arbeiten lassen. Und nun war es ihm zuletzt noch gelungen, wie er glaubte, ein sofortiges Auftreten der byzantinischen Macht in seinem Italien, die Hauptgefahr, die seinen ehrgeizigen Plänen gedroht, abzuwenden. Durch zuverlässige Kundschafter hatte er erfahren, daß die byzantinische Flotte, die bisher lauernd bei Sizilien geankert, sich wirklich von Italien hinweggewandt und der afrikanischen Küste genähert habe, wo sie die Seeräuberei zu unterdrücken beschäftigt schien.

Freilich sah Cethegus voraus, daß es zu einer Landung der Griechen in Italien kommen werde: er konnte derselben als einer Nachhilfe nicht entbehren.

Aber alles war ihm daran gelegen, daß dies Auftreten des Kaisers eben nur eine Nachhilfe bleibe, und deshalb mußte er, ehe ein Byzantiner den italischen Boden betreten, eine Erhebung der Italier aus eigner Kraft veranlaßt und zu solchen Erfolgen geführt haben, daß die spätere Mitwirkung der Griechen nur als eine Nebensache erschien und mit Anerkennung einer losen Oberhoheit des Kaisers abgelehnt werden konnte.

Und er hatte zu diesem Zweck seine Pläne trefflich vorbereitet.

Sowie der letzte römische Turm unter Dach, sollten die Goten in ganz Italien an einem Tag überfallen, mit einem Schlag alle festen Plätze, Burgen und Städte, Rom, Ravenna und Neapolis voran, genommen werden. Und waren die Barbaren ins flache Land hinausgeworfen, so stand nicht mehr zu fürchten, daß sie bei ihrer großen Unkunde in Belagerungen und bei der Anzahl und Stärke der italischen Festen diese und damit die Herrschaft über die Halbinsel wiedergewinnen würden.

Dann mochte ein byzantinisches Bundesheer helfen, die

Goten vollends über die Alpen zu drängen: und Cethegus wollte schon dafür sorgen, daß diese Befreier ebenfalls keinen Fuß in die wichtigsten Festungen setzen sollten, um sich ihrer später unschwer wieder entledigen zu können.

Dieser Plan setzte nun aber voraus, daß die Goten durch die Erhebung Italiens überrascht würden. Wenn der Krieg mit Byzanz in Aussicht oder gar schon ausgesprochen war, dann natürlich ließen sich die Barbaren die in Kriegsstand gesetzten Städte nicht durch einen Handstreich entreißen. Da nun aber Cethegus, seit er die Sendung des Petros durchschaut hatte, bei jeder Gelegenheit Justinians Hervortreten aus seiner drohenden Stellung erwarten mußte, da es kaum noch gelungen war Belisar wieder abzuwenden von Italien, beschloß er, keinen Augenblick mehr zu verlieren.

Er hatte auf den Tag der Vollendung der Befestigung Roms eine allgemeine Versammlung der Verschworenen in den Katakomben anberaumt, in der das mühsam und erfindungsreich vorbereitete Werk gekrönt, der Augenblick des Losschlagens bestimmt und Cethegus als Führer dieser rein italischen Bewegung bezeichnet werden sollte. Er hoffte sicher, den Widerstand der Be stochenen oder Furchtsamen, die nur für und mit Byzanz zu handeln geneigt waren, durch die Begeisterung der Jugend zu überwältigen, wenn er diese sofort in den Kampf zu führen versprach.

Noch vor jenem Tag kam die Nachricht von Amalaswinthens Ermordung, von der Verwirrung und Spaltung der Goten nach Rom, und ungeduldig sehnte der Präfekt die Stunde der Entscheidung herbei. Endlich war auch der einzige noch unfertige Turm des aurelischen Tores unter Dach: Cetheus führte die letzten Hammerschläge: ihm war dabei, er höre die Streiche des Schicksals von Rom und von Italien dröhnen.

Bei dem Schmause, den er darauf den Tausenden von Arbeitern in dem Theater des Pompejus gab, hatten sich auch die meisten der Verschworenen eingefunden, und der Präfekt benutzte die Gelegenheit, diesen seine unbegrenzte Beliebtheit im Volk zu zeigen. Auf die jüngeren unter den Genossen machte dies freilich den Eindruck, welchen er gewünscht hatte; aber ein Häuflein, dessen Mittelpunkt Silverius war, zog sich mit finsteren Mienen von den Tischen zurück.

Der Priester hatte seit langem eingesehen, daß Cethegus nicht bloß Werkzeug sein wollte, daß er eigene Pläne verfolgte, die der Kirche und seinem persönlichen Einfluß sehr gefährlich werden konnten. Und er war entschlossen, den kühnen Verbündeten zu stürzen, sobald er entbehrt werden konnte; es war ihm nicht schwer geworden, die Eifersucht so manches Römers gegen den Überlegenen im geheimen zu schüren.

Die Anwesenheit aber zweier Bischöfe aus dem Ostreich, Hypatius von Ephesus und Demetrius von Philippi, die in Glaubensfragen öffentlich mit dem Papst, aber geheim mit König Theodahad, in Unterstützung des Petros, in Politik verhandelten, hatte der kluge Archidiakon benutzt, um mit Theodahad und mit Byzanz in enge Verbindung zu treten.

«Du hast recht, Silverius», murrte Scävola im Hinausgehen aus dem Tor des Theaters, «der Präfekt ist Marius und Cäsar in einer Person.» - «Er verschwendet diese ungeheuren Summen nicht umsonst, man darf ihm nicht zu sehr trauen», warnte der geizige Albinus. - «Liebe Brüder», mahnte der Priester, «sehet zu, daß ihr nicht einen unter euch lieblos verdammt. Wer solches täte, wäre des höllischen Feuers schuldig. Freilich beherrscht unser Freund die Fäuste der Handwerker wie die Herzen seiner jungen : es ist das gut so, er kann dadurch die Tyrannei zerbrechen... »

«Aber dadurch auch eine neue aufrichten», meinte Calpurnius.

«Das soll er nicht, wenn Dolche noch töten, wie in Brutus' Tagen», sprach Scävola.

«Es bedarf des Blutes nicht. Bedenket nur immer»: sagte

Silverius, «je näher der Tyrann, desto drückender die Tyrannei: je ferner der Herrscher, desto erträglicher die Herrschaft. Das schwere Gewicht des Präfekten ist aufzuwiegen durch das schwerere des Kaisers.»

«Jawohl», stimmte Albinus bei, der große Summen von Byzanz erhalten hatte, «der Kaiser muß der Herr Italiens werden.» - «Das heißt», beschwichtigte Silverius den unwillig auffahrenden Scävola, «wir müssen den Präfekten durch den Kaiser, den Kaiser durch den Präfekten niederhalten. Siehe, wir stehen an der Schwelle meines Hauses. Laßt uns eintreten. Ich habe geheim euch mitzuteilen, was heute abend in der Versammlung kundwerden soll. Es wird euch überraschen. Aber andre Leute noch mehr.»

Inzwischen wär auch der Präfekt von dem Gelage nach Hause geeilt, sich in einsamem Sinnen zu seinem wichtigen Werke zu bereiten. Nicht seine Rede überdachte er: wußte er doch längst, was er zu sagen hatte, und, ein glänzender Redner, dem die Worte so leicht wie die Gedanken kamen, überließ er den Ausdruck gern dem Antrieb des Augenblicks, wohl wissend, daß das eben frisch aus der Seele geschöpfte Wort am lebendigsten wirkt.

Aber er rang nach innerer Ruhe, denn seine Leidenschaft schlug hohe Wellen.

Er überschaute die Schritte, die er nach seinem Ziele hin getan, seit zuerst dieses Ziel mit dämonischer Gewalt ihn angezogen. Er erwog die kurze Strecke, die noch zurückzulegen war: er überzählte die Schwierigkeiten, die Hindernisse, die noch auf diesem Wege lagen, und ermaß dagegen die Kraft seines Geistes, sie zu überwinden. Und das Ergebnis dieses prüfenden Wägens erzeugte in ihm eine Siegesfreude, die ihn mit jugendlicher Aufregung ergriff.

Mit gewaltigen Schritten durchmaß er das Gemach.

Die Muskeln seiner Arme spannten sich wie in der Stunde beginnender Schlacht: er umgürtete sich mit dem breiten, siegreichen Schwert seiner Kriegsfahrten und drückte krampfhaft dessen Adlergriff, als gelte es, jetzt gegen zwei Welten, gegen Byzanz und die Barbaren, sein Rom zu erkämpfen. Dann trat er der Cäsarstatue gegenüber und sah ihr lange in das schweigende Marmorantlitz. Endlich ergriff er mit beiden Händen die Hüften des Imperators und rüttelte an ihnen: «Leb' wohl», sagte er, «und gib mir dein Glück mit auf den Weg. Mehr brauch' ich nicht.»

Und rasch wandte er sich und eilte aus dem Gemache und durch das Atrium hinaus auf die Straße, wo ihn schon die ersten Sterne begrüßten.

Zahlreicher als je hatten sich die Verschworenen an diesem Abend in den Katakomben eingefunden: waren doch durch ganz Italien die Ladungen zu dieser Versammlung als zu einer entscheidungsvollen ergangen. So waren auf den Wunsch des Präfekten besonders alle strategisch wichtigen Punkte vertreten: von den starken Grenzhüterinnen Tridentum, Tarvisium und Verona, die das Eis der Alpen schauen, bis zu Otorantum und Consentia, welche die laue Welle des ausonischen Meeres bespült, hatten sie alle ihre Boten zugesendet, jene berühmten Städte Siziliens und Italiens mit den stolzen, den schönen, den weltgeschichtlichen Namen: Syrakusä und Catana, Panormus und Messana, Regium, Neapolis und Cumä, Capua und Beneventum, Antium und Ostia, Reate und Narnia, Volsinii, Urbsvetus und Spoletum, Clusium und Perusia, Auximum und Ancon, Florentia und Fäsulä, Pisa, Luca, Luna und Genua, Ariminium, Cäsena, Faventia und Ravenna, Parma, Dertona und Placentia, Mantua, Cremona und Ticinum (Pavia), Mediolanum, Comum und Bergamum, Asta und Pollentia: dann von der Nord-und Ostküste des jonischen Meerbusens: Concordia, Aquileja, Jadera, Scardona und Salona.

Da waren ernste Senatoren und Dekurionen, ergraut in dem Rat ihrer Städte, deren Häupter ihre Ahnen seit Jahrhunderten gewesen: kluge Kaufleute, breitschultrige Gutsherrn, rechthaberische Juristen, spöttische Rhetoren: und namentlich eine große Anzahl von Geistlichen jeden Ranges und jeden Alters: die einzige fest organisierte Macht und Silverius unbedingt gehorsam.

Wie Cethegus, noch hinter der Mündung des schmalen Ganges verborgen, die Massen in dem Halbrund der Grotte übersah, konnte er sich eines verächtlichen Lächelns nicht erwehren, das aber in einen Seufzer auslief Außer der allgemeinen Abneigung gegen die Barbaren, die doch bei weitem nicht stark genug war, schwere politische Pläne mit Opfern und Entsagungen zu tragen - welch verschiedene und oft welch kleine Motive hatten die Verschworenen hier zusammengeführt!

Cethegus kannte die Beweggründe der einzelnen genau: hatte er sie doch durch Bearbeitung ihrer schwächsten Seiten beherrschen gelernt. Und er mußte zuletzt noch froh darum sein: echte Römer hätte er nie, wie diese Verschworenen, so völlig unter seinen Einfluß gebracht.

Aber wenn er sie nun hier alle beisammen sah, diese Patrioten, und bedachte, wie den einen die Hoffnung auf einen Titel von Byzanz, den andern plumpe Bestechung, einen dritten Rachsucht wegen irgendeiner Beleidigung oder auch nur die Langeweile oder Schulden oder ein schlechter Streich unter die Unzufriedenen geführt: und wenn er sich nun vorstellte, daß er mit solchen Bundesgenossen den gotischen Heermännern entgegentreten sollte - da erschrak er fast über die Vermessenheit seines Planes.

Und eine Erquickung war es ihm, als die helle Stimme des Lucius Licinius seinen Blick auf die Schar der jungen «Ritter» lenkte, denen wirklich kriegerischer Mut und nationale Begeisterung aus den Augen sprühte: so hatte er doch einige zuverlässige Waffen. -

«Gegrüßt, Lucius Licinius», sprach er, aus dem Dunkel des Ganges hervortretend. «Ei, du bist ja gerüstet und gewaffnet, als ging es von hier gegen die Barbaren.»

«Kaum bezwing' ich das Herz in der Brust vor Haß und vor Freude», sagte der schöne Jüngling. «Sieh, alle diese hier hab' ich für dich, für das Vaterland geworben.»

Cethegus blickte grüßend umher:

«Auch du hier, Kallistratos - du heitrer Sohn des Friedens?»

«Hellas wird ihre Schwester Italia nicht verlassen in der Stunde der Gefahr», sagte der Hellene und legte die weiße Hand auf das zierliche Schwert mit dem Griff von Elfenbein. Und Cethegus nickte ihm zu und wandte sich zu den andern: Marcus Licinius, Piso, Massurius, Balbus, die seit den Floralien ganz von dem Präfekten gewonnen, ihre Brüder, Vettern, Freunde mitgebracht hatten. Prüfend flog sein Blick über die Gruppe, er schien einen aus diesem Kreise zu vermissen. Lucius Licinius erriet seine Gedanken: «Du suchst den schwarzen Korsen, Furius Ahalla?

Auf den kannst du nicht zählen. Ich holte ihn von weitem aus, aber er sprach: Und als ich weiter in ihn drang - denn ich gewönne gern sein kühnes Herz und die vielen Tausende von Armen, über die er gebeut -sprach er kurz abweisend: »

«Die Götter mögen wissen, was den tigerwilden Korsen an jenen Milchbart bindet», meinte Piso.

Cethegus lächelte, aber er furchte die Stirn. «Ich denke, wir Römer genügen», sprach er laut, und das Herz der Jünglinge schlug.

«Eröffne die Versammlung», mahnte Scävola unwillig den Archidiakon, «du siehst, wie er die jungen Leute beschwatzt; er wird sie alle gewinnen. Unterbrich ihn: rede.»

«Sogleich. Bist du gewiß, daß Albinius kommt?»

«Er kommt; er erwartet den Boten am appischen Tor.»

«Wohlan», sagte der Priester. «Gott mit uns!» Und er trat in die Mitte der Rotunde, erhob ein schwarzes Kreuz und begann: «Im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal haben wir uns versammelt im Grauen der Nacht zu den Werken des Lichts. Vielleicht zum letztenmal: denn wunderbar hat der Sohn Gottes, dem die Ketzer die Ehre weigern, unsere Mühen zu seiner Verherrlichung, zur Vernichtung seiner Feinde gesegnet. Nächst Gott dem Herrn aber gebührt der höchste Dank dem edeln Kaiser Justinian und seiner frommen Gemahlin, die mit tätigem Mitleid die Seufzer der leidenden Kirche vernehmen: und endlich hier unsrem Freund und Führer, dem Präfekten, der unablässig für unseres Herrn, des Kaisers Sache wirkt...» -

«Halt, Priester!» rief Lucius Licinius dazwischen, «ihr nennt den Kaiser von Byzanz hier unsern Herrn? Wir wollen nicht den Griechen dienen statt den Goten! Frei wollen wir sein!» - «Frei wollen wir sein», wiederholte der Chor seiner Freunde.

«Frei wollen wir werden!» fuhr Silverius fort. «Gewiß. Aber das können wir nicht aus eigner Macht, nur mit des Kaisers Hilfe. Glaubt auch nicht, geliebte Jünglinge, der Mann, den ihr als euren Vorkämpfer verehrt, Cethegus, denke hierin anders. Justinian hat ihm einen köstlichen Ring - sein Bild in Karneol -gesendet, zum Zeichen, daß er billige, was der Präfekt für ihn, den Kaiser, tue, und der Präfekt hat den Ring angenommen: sehet hier, er trägt ihn am Finger.»

Betroffen und unwillig sahen die Jünglinge auf Cethegus. Dieser trat schweigend in die Mitte. Eine peinliche Pause entstand.

«Sprich, Feldherr!» rief Lucius, «widerlege sie! Es ist nicht, wie sie sagen mit dem Ring.»

Aber Cethegus zog den Ring kopfnickend ab: «Es ist, wie sie sagen: der Ring ist vom Kaiser, und ich hab' ihn angenommen.»

Lucius Licinius trat einen Schritt zurück.

«Zum Zeichen?» fragte Silverius.

«Zum Zeichen», sprach Cethegus mit drohender Stimme, «daß ich der herrschsüchtige Selbstling nicht bin, für den mich einige halten, zum Zeichen, daß ich Italien mehr liebe als meinen Ehrgeiz. Ja, ich baute auf Byzanz und wollte dem mächtigen Kaiser die Führerstelle abtreten - darum nahm ich diesen Ring. Ich baue nicht mehr auf Byzanz, das ewig zögert: deshalb hab' ich diesen Ring heute mitgebracht, ihn dem Kaiser zurückzustellen. Du, Silverius, hast dich als Vertreter von Byzanz erwiesen: hier, gib deinem Herrn sein Pfand zurück: er säumt zu lang; sag' ihm, Italien hilft sich selbst.»

«Italien hilft sich selbst!» jubelten die jungen Ritter.

«Bedenket, was ihr tut!» warnte mit verhaltnem Zorn der Priester. «Den heißen Mut der Jünglinge begreif ich - aber daß meines Freundes, des gereiften Mannes Hand nach dem Unerreichbaren greift - befremdet mich. Bedenket die Zahl und die wilde Kraft der Barbaren! Bedenket, wie die Männer Italiens seit langem des Schwertes entwöhnt, wie alle Zwingburgen des Landes in der Hand...» -

«Schweig, Priester», donnerte Cethegus, «das verstehst du nicht! Wo es die Psalmen zu erklären gilt und die Seele nach dem Himmelreich zu lenken, da rede du: denn solches ist dein Amt; wo's aber Krieg und Kampf der Männer gilt, laß jene reden, die den Krieg verstehen. Wir lassen dir den ganzen Himmel - laß uns nur die Erde. Ihr römischen Jünglinge, ihr habt die Wahl. Wollt ihr abwarten, bis dieses wohlbedächtige Byzanz sich doch vielleicht Italiens noch erbarmt? Ihr könnt müde Greise werden bis dahin - oder wollt ihr, nach alter Römer Art, die Freiheit mit dem eigenen Schwert erkämpfen? Ihr wollt's, ich seh's am Feuer eurer Augen. Wie? Man sagt uns, wir sind zu schwach, Italien zu befreien? Ha, seid ihr nicht die Enkel jener Römer, die den Weltkreis bezwungen? Wenn ich euch aufrufe,

Mann für Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus, Cornelius, Valerius, Licinius -wollt ihr mit mir das Vaterland befreien?»

«Wir wollen es! Führe uns, Cethegus!» riefen die Jünglinge begeistert.

Nach einer Pause begann der Jurist: «Ich heiße Scävola. Wo römische Heldennamen aufgerufen werden, hätte man auch des Geschlechts gedenken mögen in dem das Heldentum der Kälte erblich ist. Ich frage dich, du jugendheißer Held Cethegus, hast du mehr als Träume und Wünsche, wie die jungen Toren, hast du einen Plan?» -

«Mehr als das, Scävola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste fast aller Festungen Italiens: an den nächsten Iden, in dreißig Tagen also, fallen sie alle, auf einen Schlag, in meine Hand.»

«Wie? Dreißig Tage sollen wir noch warten?» fragte Lucius.

«Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Städte wieder erreicht, bis meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt über vierzig Jahre warten müssen!»

Aber der ungeduldige Eifer der Jünglinge, den er selbst geschürt, wollte nicht mehr ruhen: sie machten verdroßne Mienen zu dem Aufschub - sie murrten.

Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. «Nein, Cethegus,» rief er, «so lang kann nicht mehr gezögert werden! Unerträglich ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie länger duldet, als er muß. Ich weiß euch bessern Trost, ihr Jünglinge! Schon in den nächsten Tagen können die Waffen Belisars in Italien blitzen.»

«Oder sollen wir vielleicht», fragte Scävola, «Belisar nicht folgen, weil er nicht Cethegus ist?»

«Ihr sprecht von Wünschen», lächelte dieser, «nicht von Wirklichem. Landete Belisar, ich wäre der erste, mich ihm

anzuschließen. Aber er wird nicht landen. Das ist's ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser hält nicht Wort.»

Cethegus spielte ein sehr kühnes Spiel. Aber er konnte nicht anders.

«Du könntest irren und der Kaiser früher sein Wort erfüllen, als du meinst. Belisar liegt bei Sizilien.»

«Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht mehr auf Belisar.»

Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange, und eilfertig stürzte Albinus herein:

«Triumph», rief er, «Freiheit, Freiheit!»

«Was bringst du?» fragte freudig der Priester.

«Den Krieg, die Rettung. Byzanz hat den Goten den Krieg erklärt.»

«Freiheit, Krieg!» jauchzten die Jünglinge.

«Es ist unmöglich!» sprach Cethegus, tonlos.

«Es ist gewiß!» rief eine andre Stimme vom Gange her - es war Calpurnius, der jenem auf dem Fuß gefolgt - «und mehr als das: der Krieg ist begonnen. Belisar ist gelandet auf Sizilien, bei Catana: Syrakusä, Messana sind ihm zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist übergesetzt nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden.»

«Freiheit!» rief Marcus Licinius.

«Überall fällt ihm die Bevölkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien flüchten die überraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien gen Neapolis.»

«Es ist erlogen, alles erlogen!» sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu den andern.

«Du scheinst nicht sehr erfreut über den Sieg der guten Sache. Aber der Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreißigtausend Mann.» - «Ein Verräter, wer noch zweifelt»,

sprach Scävola. - «Nun laß sehen», höhnte Silverius, «ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der erste von uns sein, dich Belisar anzuschließen?»

Vor Cethegus' Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, seine Welt. So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, für einen verhaßten Feind alles getan, was er getan.

Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getäuscht, machtlos, überwunden! Wohl jeder andre hätte jetzt alles weitre Streben ermüdet aufgegeben. In des Präfekten Seele fiel nicht ein Schatten der Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestürzt: noch betäubte der Schlag sein Ohr, und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Muße, ihr einen Seufzer nachzusenden, denn aller Augen hingen an ihm. Er beschloß, eine zweite zu schaffen.

«Nun! Was wirst du tun?» wiederholte Silverius.

Cethegus würdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung gewendet sprach er mit ruhiger Stimme: «Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt, ich gehe in sein Lager.» Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges, gefaßten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorüber.

Silverius wollte ein Wort des Hohnes flüstern, aber er verstummte, da ihn der Blick des Präfekten traf: «Frohlocke nicht, Priester», schien er zu sagen, «diese Stunde wird dir vergolten.»

Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn.

Neuntes Kapitel

Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich unerwartet gekommen.

Denn die letzte Bewegung Belisars nach Südosten hatte alle

Erwartungen von der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel zur Verteidigung Siziliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das gerade in die lichten Kreise seines eigenen Lebens zuerst verhängnisvolle Schatten werfen und die Bande des Glückes zerreißen sollte, mit welchen ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Götter bisher umwoben hatte.

Denn in Bälde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen, das edle, wenn auch strenge Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben gesehen, wie mächtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der nächtlichen Überraschung auf den würdigen Alten gewirkt.

Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden Güte, wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen, und ihren vereinten Einflüssen gab der Sinn des Vaters allmählich nach. Dies war jedoch bei dem strengen Römertum des Alten nur dadurch möglich, daß von allen Goten Totila an Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Römern am nächsten stand, so daß Valerius bald einsah, er könne einen Jüngling nicht «barbarisch» schelten, der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schönheit der hellenischen und römischen Literatur kannte und würdigte und, wie er seine Goten liebte, so die Kultur der Alten Welt bewunderte.

Dazu kam endlich, daß im politischen Gebiet den alten Römer und den jungen Germanen der gemeinsame Haß gegen die Byzantiner verband. Wenn der offenen Heldenseele Totilas in den tückischen Erbfeinden seiner Nation die Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkürlich wie dem Lichte die Nacht verhaßt, so war für Valerius die ganze Tradition seiner Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz.

Die Valerier hatten von jeher zu der aristokratischrepublikanischen Opposition wider das Cäsarentum gezählt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den Tagen des Tiberius die altrepublikanische Gesinnung mit dem Tode gebüßt und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Übertragung der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt. In dem byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fernhalten. Es kam dazu, daß sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch Byzanz von einem Vorgänger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und, wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung, unter Konfiskation ihrer im Ostreich gelegenen Güter, hingerichtet wurden, so daß den politischen Haß des Patrioten mit aller Macht persönliche Schmerzen verstärkten. Er hatte, als Cethegus ihn in die Katakombenverschwörung einweihte, begeistert den Gedanken einer Selbstbefreiung Italiens ergriffen, aber alle Annäherungen der kaiserlichen Partei mit den Worten abgewiesen: «Lieber den Tod, als Byzanz!»

So vereinten sich die beiden Männer in dem Entschluß, keine Byzantiner in dem schönen Lande zu dulden, das dem Goten kaum minder teuer war als dem Römer.

Die Liebenden hüteten sich, den Willen des Alten schon jetzt zu einem bindenden Wort zu drängen; sie begnügten sich für die Gegenwart mit der Freiheit des Umgangs, die Valerius ihnen beließ, und warteten ruhig ab, bis der Einfluß allmählicher Gewöhnung ihn auch mit dem Gedanken an ihre völlige Vereinigung befreunden würde. So verlebten unsere jungen Freunde goldene Tage.

Das Liebespaar hatte neben seinem eigensten Glücke die Freude an der wachsenden Neigung des Vaters zu Totila, und Julius genoß jene weihevolle Erhebung, die für edle Naturen in dem Überwinden eigner Schmerzen um des Glückes geliebter Herzen willen liegt.

Seine suchende, von der Weisheit der alten Philosophie nicht befriedigte Seele wandte sich mehr und mehr jener Lehre zu, die den höchsten Frieden im Entsagen findet.

Eine sehr entgegengesetze Natur war Valeria.

Sie war der Ausdruck der echt römischen Ideale ihres Vaters, der an der frühe verstorbenen Mutter Stelle ihre ganze Erziehung geleitet und im geistigen und sittlichen Gebiet die Ergebnisse des antiken, heidnischen Geistes ihr angeeignet hatte. Das Christentum, dem ihre Seele bei dem Eintritt in das Leben durch eine äußere Nötigung war zugewendet und später ebenso durch ein äußerliches Mittel wieder war entrissen worden, erschien ihr als eine gefürchtete, nicht als eine verstandene und geliebte Macht, die sie gleich wohl nicht aus dem Kreise ihrer Gedanken und Gefühle zu scheiden vermochte. Als echte Römerin sah sie auch nicht mit bangem Zagen, sondern mit freudigem Stolz die kriegerische Begeisterung, die im Gespräch mit ihrem Vater über Byzanz und seine Feldherrn aus der Seele Totilas leuchtete, den künftigen Helden verkündend.

Und so trug sie es mit edle r Fassung, als den Geliebten seine Kriegerpflicht plötzlich abrief aus den Armen der Liebe und Freundschaft. Denn sowie die Flotte der Byzantiner auf der Höhe von Syrakusä erschienen war, loderte in dem jungen Goten der Gedanke, der Wunsch des Krieges unauslöschlich empor. Als Befehlshaber des unteritalischen Geschwaders lag ihm die Pflicht ob, die Feinde zu beobachten, die Küste zu decken. Er setzte rasch seine Schiffe instand und segelte der griechischen Seemacht entgegen, Erklärung heischend über den Grund ihres Erscheinens in diesen Gewässern.

Belisar, der den Auftrag hatte, erst nach einem Ruf von Petros feindlich aufzutreten, gab eine friedliche und unanfechtbare

Auskunft, die Unruhen in Afrika und Seeräubereien mauretanischer Schiffe vorschützend. Mit dieser Antwort mußte sich Totila begnügen: aber in seiner Seele stand der Ausbruch des Krieges fest, vielleicht nur deshalb, weil er ihn wünschte. Er traf daher alle Anstalten, schickte warnende Boten nach Ravenna und suchte vor allem, das wichtige Neapolis wenigstens von der Seeseite her zu decken, da die Landbefestigung der Stadt während des langen Friedens vernachlässigt und der alte Uliaris, der Stadtgraf von Neapolis, nicht aus seiner stolzen Sicherheit und Griechenverachtung aufzurütteln war.

Die Goten wiegten sich überhaupt in dem gefährlichen Wahn, die Byzantiner würden gar nie wagen, sie anzugreifen; und ihr verräterischer König bestärkte sie gern in diesem Glauben. Die Warnungen Totilas blieben deshalb unbeachtet, und es wurde dem eifrigen Seegrafen sogar sein ganzes Geschwader abgenommen und in den Hafen von Ravenna zu angeblicher Ablösung beordert: aber die Schiffe, welche die abgesegelten ersetzen sollten, blieben aus.

Und Totila hatte nichts als ein paar kleine Wachtschiffe, mit welchen er, wie er den Freunden erklärte, die Bewegungen der zahlreichen Griechenflotte nicht beobachten, geschweige den aufhalten konnte. Diese Mitteilungen bewogen den Kaufherrn, die Villa bei Neapolis zu verlassen und seine reichen Besitzungen und Handelsniederlassungen bei Regium, an der Südspitze der Halbinsel, aufzusuchen, um die wertvollste Habe aus dieser Gegend, für die Totila den ersten Angriff der Feinde besorgte, nach Neapolis zu flüchten und überhaupt seine Anordnungen für den Fall eines längeren Krieges zu treffen. Auf dieser Reise sollte Julius ihn begleiten, und auch Valeria war nicht zu bewegen, in der leeren Villa zurückzubleiben. Von Gefahr war, wie Totila versichert hatte, für die nächsten Tage nichts zu fürchten.

So reisten denn die drei, von einigen Sklaven begleitet, nach der Hauptvilla bei dem Passe Jugum nördlich von Regium ab, die, unmittelbar am Meere gelegen, ja zum Teil mit jenem schon von Horatius gescholtenen Luxus in das Meer selbst «wagend hinausgebaut» war.

Valerius traf die Dinge in schlechter Ordnung. Seine Institoren hatten, sicher gemacht durch lange Abwesenheit des Herrn, übel gewirtschaftet, und mit Unwillen erkannte dieser, daß seine prüfende, ordnende, strafende Tätigkeit nicht tage-, sondern wochenlang in dieser Gegend notwendig sein werde.

Unterdessen mehrten sich die drohenden Anzeichen. Totila schickte warnende Winke: aber Valeria erklärte, ihren Vater in der Gefahr nicht verlassen zu können, und dieser verschmähte es, vor den «Griechlein» zu flüchten, die er noch mehr verachtete als haßte.

Da wurden sie eines Tages durch zwei Boote überrascht, die fast gleichzeitig in den kleinen Hafen der Villa einliefen: das eine trug Totila, das andre den Korsen Furius Ahalla. Die Männer begrüßten sich überrascht, doch erfreut als alte Bekannte und wandelten miteinander durch die Taxus- und Lorbeergänge des Gartens zu der Villa herein. Hier trennten sie sich: Totila gab vor, seinen Freund Julius besuchen zu wollen, indes den Korsen ein Geschäft zu dem Kaufherrn führte, mit dem er seit Jahren in einer für beide Teile gleich vorteilhaften Handelsverbindung stand.

Mit Freuden sah daher Valerius den klugen, kühnen und stattlichschönen Seefahrer bei sich eintreten, und nach herzlicher Begrüßung wandten sich die beiden Handelsfreunde ihren Büchern und Rechnungen zu. Nach kurzen Erörterungen erhob sich der Korse von den Rechentafeln und sprach: «So siehst du, Valerius, aufs neue hat Mercurius unser Bündnis gesegnet. Meine Schiffe haben dir Purpur und köstlichen Wollstoff aus Phönikien und aus Spanien zugeführt: und deine köstlichen Fabrikate des verflossenen Jahres verführt nach Byzanz und Alexandria, nach Massilia und Antiochia. Ein

Zentenar Goldes Mehrgewinn gegen das Vorjahr! Und so wird er steigen und steigen von Jahr zu Jahr, solang die wackern Goten den Frieden schirmen und die Rechtspflege im Abendland.» Er schwieg wie abwartend.

«Solang sie schirmen können!» seufzte Valerius, «solang diese Griechen Frieden halten. Wer steht dafür, daß uns nicht diese Nacht der Seewind die Flotte Belisars an die Küste treibt!»

«Also auch du erwartest den Krieg? Im Vertrauen: er ist mehr als wahrscheinlich, er ist gewiß.»

«Furius», rief der Römer, «woher weißt du das?»

«Ich komme von Afrika, von Sizilien. Ich habe die Flotte des Kaisers gesehen: so rüstet man nicht gegen Seeräuber. Ich habe die Heerführer Belisars gesprochen: sie träumen Tag und Nacht von den Schätzen Italiens. Sizilien ist zum Abfall reif, sowie die Griechen landen.»

Valerius erbleichte vor Aufregung. Furius bemerkte es und fuhr fort: «Und deshalb vor allem bin ich hierher geeilt, dich zu warnen. Der Feind wird in dieser Gegend landen, und ich wußte, daß deine Tochter dich begleitet.»

«Valeria ist eine Römerin.»

«Ja, aber diese Feinde sind die wildesten Barbaren. Denn Hunnen, Massageten, Skythen, Awaren, Sclavenen und Sarazenen sind es, die dieser Kaiser der Römer losläßt auf Italien. Wehe, wenn dein minervengleiches Kind in ihre Hände fiele.»

«Das wird sie nicht!» sagte Valerius, die Hand am Dolch. «Aber du sprichst wahr - sie muß fort in Sicherheit.» - «Wo ist in Italien Sicherheit? Bald werden die Wogen dieses Krieges brausend zusammenschlagen über Neapolis, über Rom, und kaum sich an Ravennas Mauern brechen.»

«Denkst du so groß von diesen Griechen? Hat doch Griechenland nie etwas anderes nach Italien geschickt als

Mimen, Seeräuber und Kleiderdiebe!» - «Belisarius aber ist ein Sohn des Sieges. Jedenfalls entbrennt ein Kampf, dessen Ende so mancher von euch nicht erleben wird!» - «Von euch, sagst du? Wirst du nicht mit kämpfen?»

«Nein, Valerius! Du weißt, in meinen Adern fließt nur korsisch Blut, trotz meines römischen Adoptivnamens: ich bin nicht Römer, nicht Grieche, nicht Gote. Ich wünsche den Goten den Sieg, weil sie Zucht und Ordnung halten zu Wasser und zu Land, und weil mein Handel blüht unter ihrem Zepter, aber wollt' ich offen für sie fechten, der Fiskus von Byzanz verschlänge, was irgend von meinen Schiffen und Waren in den Häfen des Ostreichs liegt, drei Viertel all meines Guts. Nein, ich gedenke mein Eiland so zu befestigen - du weißt ja, Korsika ist mein -, daß keine der kämpfenden Parteien mich viel belästigen wird: meine Insel wird eine Friedensinsel sein, während rings die Länder und Meere von Krieg erdröhnen. Ich werde dies Asyl beschirmen wie ein König seine Krone, wie ein Bräutigam die Braut und deshalb» - seine Augen funkelten, und seine Stimme bebte vor Erregung «deshalb wollte ich jetzt heute ein Wort aussprechen, das ich seit Jahren auf dem Herzen trage» - Er stockte.

Valerius sah voraus, was kommen werde, und sah es mit tiefem Schmerz: seit Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem mächtigen Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten gewonnen, er würde doch den langjährigen Handelsgenossen als Eidam vorgezogen haben. Und er kannte den unbändigen Stolz und die zornige Rachsucht des Korsen: er fürchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe und Freundschaft alsbald in lodernden Haß umschlagen zu sehen: man erzählte dunkle Geschichten von der jähzornigen Wildheit des Mannes, und gern hätte Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurückweisung erspart.

Aber jener fuhr fort: «Ich denke, wir beide sind Männer, die Geschäfte geschäftlich abtun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem Vater, nicht erst mit der Tochter. Gib mir dein Kind zur Ehe, Valerius: du kennst zum Teil mein Vermögen - nur zum Teil: denn es ist viel größer, als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb' ich, wie groß sie sei, das Doppelte... »

«Furius!» unterbrach der Vater.

«Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib beglücken mag. Jedenfalls kann ich sie beschützen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich führe sie, wird Korsika bedrängt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach Afrika; an jeder Küste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine Königin soll sie beneiden. Ich will sie hochhalten: höher als meine Seele.» Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend.

Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: es war nur eine Sekunde: aber der Anschein nur, daß sich der Vater besinne, empörte den Korsen. Sein Blut kochte auf, sein schönes, bronzefarbenes Antlitz, eben noch beinahe weich und mild, nahm plötzlich einen furchtbaren Ausdruck an: dunkelrote Glut schoß in die braunen Wangen. «Furius Ahalla», sprach er rasch und hastig, «ist nicht gewöhnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine Ware aufs erste Angebot mit beiden Händen zu ergreifen - nun biete ich mich selbst -: ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur»

«Mein Freund», hob der Alte an, «wir leben nicht mehr in der Zeit alten, strengen Römerbrauchs: der neue Glaube hat den Vätern fast das Recht genommen, die Töchter zu vergeben. Mein Wille würde sie dir und keinem andern geben, aber ihr Herz... » -

«Sie liebt einen andern:» knirschte der Korse, «wen?» Und seine Faust fuhr an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es lag etwas vom Tiger in dieser

Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges. Valerius empfand, wie tödlich dieser Haß, und wollte den Namen nicht nennen. - «Wer kann es sein?» fragte halblaut der Wütende. «Ein Römer? Montanus? Nein! O nur - nur nicht er - sag' nein, Alter, nicht er» - Und er faßte ihn am Gewande.

«Wer? Wen meinst du?»

«Der mit mir landete - der Gote: doch ja, er muß es sein, es liebt ihn ja alles: Totila!»

«Er ist's!» sagte Valerius und suchte begütigend seine Hand zu fassen.

Doch mit Schrecken ließ er sie los: ein zuckender Krampf rüttelte den ehernen Leib des starken Korsen, er streckte beide Hände starr vor sich hin, als wollte er den Schmerz, der ihn quälte, erwürgen. Dann warf er das Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Fäuste grausam gegen die Stirn, den Kopf schüttelnd und laut lachend.

Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepreßten Hände langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. «Es ist aus», sagte er dann mit bebender Stimme. «Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll nicht glücklich werden im Weibe. Schon einmal - hart vor der Erfüllung! Und jetzt - ich weiß es -, Valerias Seelenzucht und klare Ruhe hätte auch in mein wild schäumendes Leben rettenden Frieden gebracht: ich wäre anders geworden - - besser. Und sollte es nicht sein» - hier funkelte sein Auge wieder -, «nun, so wär' es fast das gleiche Glück gewesen, den Räuber dieses Glücks zu morden. Ja, in seinem Blute hätte ich gewühlt und von der Leiche die Braut hinweggerissen - und nun ist er es!

Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet und welchen Dank» - - Und er schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung. «Valerius», rief er dann plötzlich sich aufraffend, «ich weiche keinem Mann auf Erden - ich hätt' es nicht getragen, hinter einem andern zurückzustehen - doch

Totila! - Es sei ihr vergeben, daß sie mich ausschlägt, weil sie Totila gewählt. Leb' wohl, Valerius, ich geh' in See, nach Persien, Indien - ich weiß nicht, wohin - ach, überallhin nehm' ich diese Stunde mit.» Und rasch war er hinaus, und gleich darauf entführte ihn sein pfeilgeschwindes Boot dem kleinen Hafen der Villa.

Seufzend verließ Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur gekommen, zu rascher Rückreise nach Neapolis zu treiben.

Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei Panoramus: jeden Tag könnte die Landung auf Sizilien, in Italien selbst erfolgen, und trotz all seines Drängens sende der König keine Schiffe. In den nächsten Tagen wolle er selbst nach Sizilien, sich Gewißheit zu schaffen. Die Freunde seien daher hier völlig unbeschützt, und er beschwor den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren. Aber den alten Soldaten empörte es, vor den Griechen flüchten zu sollen: vor drei Tagen könne und wolle er nicht weichen von seinen Geschäften, und kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur notdürftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in seinen Kahn und ließ sich an Bord des Wachtschiffes zurückbringen.

Es war dunkler Abend geworden, als er dort ankam, ein Nebelschleier verhüllte die Dinge in nächster Nähe.

Da scholl Ruderschlag von Westen her, und ein Schiff, kenntlich an der roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen Vorgebirges.

Totila lauschte und fragte seine Wachen: «Segel zur Linken! Was für ein Schiff? Was für Herr?»

«Schon angezeigt vom Mastkorb» - hallte es wider -«Kauffahrer - Furius Ahalla - lag hier vor Anker.»

«Fährt wohin?»

«Nach Osten - nach Indien!» -

Zehntes Kapitel

Am Abend des dritten Tages, seit Totila die gotische Bedeckung geschickt, hatte Valerius endlich seine Geschäfte beendet und auf den andern Morgen die Abreise festgesetzt. Er saß mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und sprach von den Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen Helden Kriegesdurst doch wohl unterschätzt habe: es war dem Römer ein unerträglicher Gedanke, daß «Griechen» das teure Italien in Waffen betreten sollten. «Auch ich wünsche den Frieden», sprach Valeria, nachsinnend - «und doch -»

«Nun?» fragte Valerius. «Ich bin gewiß, du würdest», vollendete das Mädchen, «im Krieg erst Totila so lieben lernen, wie er es verdient: er würde für mich streiten und für Italien.» -«Ja», sagte Julius, «es steckt in ihm ein Held und Größeres als das.» - «Ich kenne Größeres», antwortete Valerius.

Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atrium klirrende Schritte, und der junge Thorismuth, der Anführer der zwanzig Goten und Totilas Schildträger, trat hastig ein.

«Valerius», sprach er schnell, «laß die Wagen anschirren, die Sänften in den Hof - ihr müßt fort.»

Die drei sprangen auf: «Was ist geschehn - sind sie gelandet?» - «Rede», sprach Julius, «was macht dich besorgt?» -«Für mich nichts», lachte der Gote, «und euch wollt ich nicht früher erschrecken als unvermeidlich. Aber ich darf nicht mehr schweigen - gestern früh spülte die Flut eine Leiche ans Land...»

«Eine Leiche?» - «Einen Goten von unsrer Schiffsmannschaft - es war Alb, der Steuermann auf Totilas Schiff.» Valeria erbleichte, aber erbebte nicht. «Das kann ein Zufall sein - er ist ertrunken.» - «Nein», sagte der Gote fest, «er ist nicht ertrunken: es stak ein Pfeil in seiner Brust.» - «Das deutet auf einen Kampf zur See! Nicht auf mehr!» meinte Valerius. «Aber heute -»

«Heute?» fragte Julius. - «Heute sind alle Landleute ausgeblieben, die sonst täglich von Regium hier durch nach Colum gehen. Auch ein Reiter, den ich auf Kundschaft nach Regium schickte, ist nicht zurückgekommen.» - «Beweist noch immer nichts», sprach Valerius eigensinnig. - Sein Herz sträube sich gegen den Gedanken einer Landung der Verhaßten solang als möglich - «oft schon hat die Brandung die Straße gesperrt.»

«Aber als ich selbst soeben auf der Straße nach Regium vorging und das Ohr auf die Erde legte, hörte ich die Erde zittern unter dem Hufschlag von vielen Rossen, die in rasender Eile nahen. Ihr müßt fliehn.»

Jetzt griffen Valerius und Julius zu den Waffen, die an den Pfeilern des Gemaches hingen, Valeria legte schwer atmend die Hand aufs Herz: «Was ist zu tun» fragte sie.

«Besetzt den Engpaß von Jugum», befahl Valerius, «in den die Straße längs der Küste verläuft: er ist schmal; er ist lange zu halten.» - «Er ist schon besetzt von acht meiner Goten, ich fliege hin, sobald ihr zu Pferde sitzt, die Hälfte meiner Schar deckt eure Reise: eilt.»

Aber ehe sie das Gemach verlassen konnten, stürzte ein gotischer Krieger, mit Schlamm und Blut bedeckt, herein: «Flieht», rief er, «sie sind da!» - «Wer ist da, Gelaris?» fragte Thorismuth. «Die Griechen! Belisar, der Teufel!» - «Rede», befahl Thorismuth. - «Ich kam bis zum Pinienwald von Regium, ohne etwas Verdächtiges zu spüren, freilich auch ohne einer Seele auf der Straße zu begegnen. Als ich an einem dicken Baumstamm vorbeireite, eifrig vorwärts spähend, fühle ich einen Ruck am Halse, als risse mir ein Blitz den Kopf von den Schultern, und im Nu lag ich unter meinem Tier am Boden... »

«Schlecht gesessen, o Gelaris!» schalt Thorismuth. - «Jawohl, eine Roßhaarschlinge ums Genick und eine Bleikugel an den Kopf geschnellt, da fällt auch ein besserer Reitersmann als Gelaris, Genzos Sohn. Zwei Unholde - Waldschraten oder Alraunen acht' ich sie ähnlich - setzten aus dem Busch über den Graben, banden mich auf mein Pferd, nahmen mich zwischen ihre kleinen, zottigen Gäule - und hui... »

«Das sind die Hunnen Belisars!» rief Valerius.

«Jagten sie mit mir davon. Als ich wieder ganz zu mir gekommen, war ich in Regium, mitten unter den Feinden, doch erfuhr ich denn alles. Die Regentin ist ermordet, der Krieg ist erklärt, die Feinde haben Sizilien überrascht, die ganze Insel ist zum Kaiser abgefallen - -»

«Und das feste Panormus?»

«Fiel durch die Flotte, die in den Hafen drang. Die Mastkörbe waren höher als die Mauern der Stadt: von den Masten schossen und sprangen sie herab.» - «Und Syrakusä?» fragte Valerius. «Fiel durch den Verrat der Sizilianer - die Goten der Besatzung sind ermordet: in Syrakusä ist Belisarius eingeritten unter einem Blumenregen, als scheidender Konsul des Jahres - denn es war am letzten Tage seines Konsulats - Goldmünzen streuend, unter Händeklatschen alles Volks.»

«Und wo ist der Seegraf? Wo ist Totila?» - «Zwei seiner Schiffe sind in den Grund gebohrt vom Schnabelstoße der Trieren. Sein Schiff und noch eins: er sprang ins Meer mit voller Rüstung - und ist - noch nicht - aufgefischt.»

Da sank Valeria schweigend auf das Lager.

«Der Griechenfeldherr», fuhr der Bote fort, «landete gestern in dunkler stürmischer Nacht bei Regium: die Stadt hat ihn mit Jubel aufgenommen; er ordnet nun sein Heer, dann soll's im Fluge nach Neapolis gehen. Seine Vorhut, die gelbhäutigen Reiter, die mich eingebracht, mußten sogleich wieder umkehren und den Paß gewinnen. Ich sollte ihnen Führer dahin sein. Ich führte sie weit ab nach Westen - in den Meeressumpf - und -entsprang ihnen im Dunkel - des Abends aber - sie schickten mir - Pfeile nach - und einer traf - ich kann nicht mehr.» - Und klirrend stürzte der Mann zu Boden.

«Er ist verloren!» sprach Valerius, «sie führen vergiftetes Geschoß! Auf, Julius und Thorismuth, ihr geleitet mein Kind auf der Straße gen Neapolis: ich gehe in den Paß und decke euch den Rücken.» Vergebens waren die Bitten Valerias: Gesicht und Haltung des Alten nahmen einen Ausdruck eisernen Entschlusses an. «Gehorcht!» befahl er der Widerstrebenden, «ich bin der Herr dieses Hauses, der Sohn dieses Landes, und ich will die Hunnen Belisars fragen, was sie zu tun haben in meinem Vaterland. Nein, Julius! Dich muß ich bei Valeria wissen - lebet wohl.»

Während Valeria mit ihrer gotischen Bedeckung und mit den meisten Sklaven spornstreichs auf der Straße nach Neapolis hinwegeilte, stürmte Valerius mit Schild und Schwert einem halben Dutzend Sklaven voran, zum Garten der Villa hinaus, nach dem Engpaß zu, der nicht weit vor dem Anfang seiner Besitzungen die Straße nach Regium überwölbte.

Der Felsenbogen zur Linken, im Norden, war unübersteiglich, und zur Rechten, nach Süden, fielen jene Wände senkrecht in das tiefe Meer, dessen Brandung oft die Straße überflutete. Die Mündung des Passes aber war so schmal, daß zwei nebeneinanderstehende Männer sie mit ihren Schilden wie eine Pforte schließen konnten: so durfte Valerius hoffen, den Paß auch gegen große Übermacht lang genug zu decken, um den raschen Pferden der Fliehenden hinlänglichen Vorsprung zu gewähren. Während der Alte den schmalen Pfad, der sich zwischen dem Meere und seinen Weinbergen nach dem Engpaß hinzog, durch die mondlose Nacht vorwärts eilte, bemerkte er zur Rechten, draußen, in ziemlicher Entfernung vom Land, im Meer den hellen Strahl eines kleinen Lichtes, das offenbar von dem Mast eines Schiffes niederleuchtete. Valerius erschrak: sollten die Byzantiner zur See gegen Neapolis vorrücken?

Sollten sie Bewaffnete in seinem und des Engpasses Rücken ans Land werfen wollen? Aber würden sich dann nicht mehrere Lichter zeigen? Er wollte die Sklaven fragen, die auf seinen Befehl, aber schon mit sichtlichem Widerwillen, ihm aus der Villa gefolgt waren.

Umsonst: sie waren verschwunden in dem Dunkel der Nacht. Sie waren dem Herrn entwischt, sobald dieser ihrer nicht mehr achtete. So kam Valerius allein an dem Engpaß an, dessen hintere Mündung zwei der gotischen Wachen besetzt hielten, während zwei andere den östlichen, dem Feinde zugekehrten Eingang ausfüllten und die übrigen vier in dem innern Raum hielten. Kaum war Valerius dicht hinter die beiden vordersten Wächter getreten, als man plötzlich ganz nahes Pferdegetrappel vernahm: und alsbald bogen um die letzte Krümmung, welche die Straße vor dem Paß um eine Felsnase machte, zwei Reiter in vollem Trabe. Beide trugen Fackeln in der Rechten: es warfen nur diese Fackeln Licht auf die nächtliche Szene, denn die Goten vermieden alles, was ihre kleine Zahl verraten konnte. «Beim Barte Belisars!» schalt der vorderste Reiter, in Schritt übergehend, «hier wird der Katzensteg so schmal, daß kaum ein ehrlich Roß drauf Platz hat - und da kommt noch ein Hohlweg oder -, halt, was rührt sich da?» Und er hielt sein Pferd an und bog sich, die Fackel weit vor sich streckend, vorsichtig nach vorn, so bot er dicht vor dem Eingang, in dem Licht seiner Kienfackel ein bequemes Ziel.

«Wer ist da?» rief er seinem Begleiter nochmals zu.

Da fuhr ein gotischer Wurfspeer durch die breiten Panzerringe in seine Brust. «Feinde, weh!» schrie der Sterbende und stürzte rücklings aus dem Sattel. «Feinde, Feinde!» rief der Mann hinter ihm, schleuderte die verderbliche Fackel weit von sich ins Meer, warf sein Pferd herum und jagte zurück, während das Tier des Gefallenen ruhig stehenblieb bei der Leiche seines Herrn.

Nichts hörte man jetzt in der Stille der Nacht als den Hufschlag des enteilenden Rosses und, zur Rechten des Passes, den leisen Schlag der Wellen am Fuße der Felswand. Den Männern im Engpaß schlug das Herz in Erwartung. «Jetzt bleibt kalt, ihr Männer», mahnte Valerius, «lasse sich keiner aus dem Passe locken. Ihr in der ersten Reihe schließt die Schilde fest aneinander und streckt die Lanzen vor: wir in der Mitte werfen. Ihr drei im Rücken reicht uns die Speere und habt acht auf alles.»

«Herr», rief der Gote, der hinter dem Passe auf der Straße, stand, «das Licht! Das Schiff nähert sich immer mehr.»

«Habt acht und ruft es an, wenn -»

Aber schon waren die Feinde da, deren Vorhut die beiden Späher gebildet hatten, es war ein Trupp von fünfzig hunnischen Reitern, mit einigen Fackeln. Wie sie um die Krümmung des Weges bogen, erhellte sich die Szene mit wechselndem, grellem Licht neben tiefem Dunkel.

«Hier war es, Herr!» sprach der entkommene Reiter, «seht euch vor.» - «Schafft den Toten zurück und das Roß», sprach eine rauhe Stimme, und der Anführer, eine Fackel erhebend, ritt im Schritt gegen den Eingang vor.

«Halt» rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen «wer seid ihr, und was wollt ihr?» - «Das habe ich zu fragen!» entgegnete der Führer der Reiter in derselben Sprache. - «Ich bin ein römischer Bürger und verteidige mein Vaterland gegen Räuber.»

Der Anführer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze Örtlichkeit besehen: sein geübtes Auge erkannte die Unmöglichkeit, links oder rechts den Engpaß zu umgehen und zugleich die Enge seiner Mündung. «Freund», sagte er etwas zurückweichend, «so sind wir Bundesgenossen. Auch wir sind Römer und wollen Italien von seinen Räubern befreien. Also gib Raum und laß uns durch.» Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen wollte, sprach: «Wer bist du, und wer sendet dich?» -«Ich heiße Johannes: die Feinde Justinians nennen mich , sprach Belisar, zu mir, Also fort und laßt uns durch -.» Und er spornte sein Pferd.

«Sag Belisar, solange Genius Valerius lebt, soll er keinen Fußbreit vorwärts in Italien. Zurück, ihr Räuber!» - «Verrückter Mensch! Du hältst es mit den Goten gegen uns?» - «Mit der Hölle wenn gegen euch.»

Der Führer warf nochmals prüfende Blicke nach rechts und links: «Höre», sprach er, «du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang. Weichst du, sollst du leben. Weichst du nicht, so laß dich erst schinden und dann pfählen!» Und er hob die Fackel, nach einer Blöße spähend.

«Zurück», rief Valerius. «Schieß', Freund!» Und eine Sehne klirrte, und ein Pfeil schlug an den Helm des Reiters. «Warte,» rief dieser und spornte sein Tier zurück. «Absitzen», befahl er, «alle Mann!» Aber die Hunnen trennten sich nicht gern von ihren Rossen. «Wie Herr? Absitzen!» fragte einer der nächsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der Mann rührte sich nicht. «Absitzen!» donnerte er nochmals; «wollt ihr zu Pferde in das Mauseloch schlüpfen?» Und er selbst schwang sich aus dem Sattel: «Sechs steigen auf die Bäume und schießen von oben. Sechs legen sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Straße vor und schießen im Liegen. Zehn schießen stehend, auf Brusthöhe. Zehn hüten die Pferde; die andern zwanzig folgen mir mit dem Speer sowie die Sehnen geschwirrt. Vorwärts.» Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze.

Während die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal den Paß. «Ergebt euch!» rief er. -«Kommt an», riefen die Goten.

Da winkte Johannes, und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich.

Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel; einer der Schützen auf den Bäumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den wütenden Anprall des anstürmenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze in die Lücke rannte.

Er fing den Lanzenstoß mit dem Schilde und schlug nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurückprallte, strauchelte und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurück.

Da konnte sich's der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen Führer unschädlich zu machen: er sprang mit gezücktem Speer aus dem Engpaß einen Schritt vorwärts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell hatte er sich aufgerafft, den überraschten Goten von der Straßenwand zur Rechten des Felspasses hinabgestoßen, und im selben Augenblick stand er an der rechten, schuldlosen Seite des Valerius, der die wieder vordringenden Hunnen abwehrte, und stieß diesem mit aller Kraft das lange Persermesser in die Weichen.

Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit ihren Schildschnäbeln wieder zurück- und hinauszustoßen. Er ging zurück, einen neuen Pfeilregen zu befehlen.

Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Mündung, der dritte hielt den blutenden Valerius in seinen Armen.

Da stürzte die Wache von der Rückseite in den Engpaß: «Das Schiff! Herr das Schiff! Sie sind gelandet; sie fassen uns im Rücken! Flieh, wir wollen euch tragen - ein Versteck in den Felsen. -»

«Nein», sprach Valerius, sich aufrichtend, «hier will ich sterben; stemme mein Schwert gegen die Wand und -»

Aber da schmetterte von der Rückseite her laut der Ruf des gotischen Heerhorns: Fackeln blitzten, und eine Schar von dreißig Goten stürmten in den Paß, Totila an ihrer Spitze. Sein erster Blick fiel auf Valerius: «Zu spät, zu spät!» rief er schmerzlich. «Aber folgt mir! Rache! Hinaus!»

Und wütend brach er mit seinem speeretragenden Fußvolk aus dem Paß. Und schrecklich war der Zusammenstoß auf der schmalen Straße zwischen Felsen und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getümmel, und der anbrechende Morgen gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kühnen Angreifern überlegen, waren durch den plötzlichen Ausfall völlig überrascht: sie glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knäuel stürzten Mann und Roß die Felsen hinab.

Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den nächsten Goten an. Aber er kam übel an: es war Totila, er erkannte ihn. «Verfluchter Flachskopf», schrie er, «so bist du nicht ersoffen?»

«Nein, wie du siehst!» rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den Helmkamm und noch ein Stück in den Schädel, daß er taumelte. Da war aller Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die nächsten Reiter auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geräumt.

Totila eilte nach dem Hohlweg zurück. Er fand Valerius, bleich, mit geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu ihm nieder und drückte die erstarrende Hand an seine Brust. «Valerius», rief er, «Vater! Scheide nicht! Scheide nicht so von uns. Noch ein Wort des Abschieds.» Der

Sterbende schlug die Augen auf

«Wo sind sie?» fragte er. «Geschlagen und geflohn.» - «Ah, Sieg!» atmete Valerius auf; «ich darf im Siege sterben. Und Valeria - mein Kind - sie ist gerettet?»

«Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Straße, zwischen deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr deine Gefahr; eines meiner Schiffsboote nahm sie auf und führte sie nach Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher, dich zu retten - ach, nur zu rächen!» Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust.

«Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir dank' ich es.» Und wohlgefällig streichelte er die langen Locken des Jünglings. «Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten - trotz Belisar und Narses. Du kannst es - du wirst es und dein Lohn sei mein geliebtes Kind.» -«Valerius! Mein Vater!» - «Sie sei dein! Aber schwöre mir's» -und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge -, «schwöre mir's beim Genius Valerias: nicht eher wird sie dein, als bis Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen Byzantiner trägt.»

«Ich schwör' es dir», rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, «ich schwör's beim Genius Valerias!»

«Dank, Dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben - grüße sie und sage ihr: dir hab' ich sie empfohlen und anvertraut: sie -und Italien.» Und er legte das Haupt zurück auf seinen Schild und kreuzte die Arme über der Brust - und war tot.

Lange hielt Totila schweigend die Hand auf seiner Brust.

Ein blendendes Licht weckte ihn plötzlich aus seinem Sinnen: es war die Morgensonne, deren goldne Scheibe prächtig über dem Kamm des Felsgebirges emportauchte: er stand auf und sah dem steigenden Gestirn entgegen. Die Fluten glitzerten in

hellem Widerschein, und ein Schimmer flog über alles Land.

«Beim Genius Valerias!» wiederholte er leise mit innigster Empfindung und hob die Hand zum Schwur dem Morgenlicht entgegen. Wie der Tote fand er Kraft und Trost und Begeisterung in seinem schweren Gelübde: die hohe Pflicht erhob ihn. Gekräftigt wandte er sich zurück und befahl die Leiche auf sein Schiff zu tragen, um sie nach dem Grabmal der Valerier in Neapolis zu führen.

Elftes Kapitel

Während dieser drohenden Ereignisse waren wohl freilich auch die Goten nicht völlig müßig geblieben. Doch waren alle Maßregeln kraftvoller Abwehr gelähmt, ja absichtlich vereitelt durch den feigen Verrat ihres Königs.

Theodahad hatte sich von seiner Bestürzung über die Kriegserklärung des byzantinischen Gesandten alsbald wieder erholt, da er sich nicht von der Überzeugung trennen konnte und wollte, sie sei doch im Grunde nur erfolgt, um den Schein zu wahren und die Ehre des Kaiserhofes zu decken. Er hatte ja Petros nicht mehr allein gesprochen: und dieser mußte doch vor Goten und Römern einen Vorwand haben, Belisar in Italien erscheinen zu lassen. Das Auftreten dieses Mannes war ja das längst verabredete Mittel zur Durchführung der geheimen Pläne. Den Gedanken, Krieg führen zu sollen - von allen ihm der unerträglichste! -, wußte er sich dadurch fernzuhalten, daß er weislich überlegte, zum Kriegführen gehören zwei. «Wenn ich mich nicht verteidige», dachte er, «ist der Angriff bald vorüber. Belisar mag kommen - ich will nach Kräften dafür sorgen, daß er auf keinen Widerstand stößt, der des Kaisers Stimmung gegen mich nur verschlimmern könnte. Berichtet der Feldherr im Gegenteil nach Byzanz, daß ich seine Erfolge in jeder Weise gefördert, so wird Justinian nicht anstehn, den alten Vertrag

ganz oder doch zum größten Teil zu erfüllen.»

In diesem Sinne handelte er, berief alle Streitkräfte der Goten zu Land und zur See aus Unteritalien, wo er die Landung Belisars erwartete, hinweg und schickte sie massenhaft an die Ostgrenze des Reiches nach Liburnien, Dalmatien, Istrien und gen Westen nach Südgallien, indem er, gestützt auf die Tatsache, daß Byzanz eine kleine Truppenabteilung nach Dalmatien, gegen Salona, gesendet und mit den Frankenkönigen Gesandte gewechselt hatte, vorgab, der Hauptangriff sei von den Byzantinern zu Lande, in Istrien, und von mit ihnen verbündeten Franken am Rhodanus und Padus zu befürchten.

Die Scheinbewegungen Belisars unterstützten diesen Glauben: und so geschah das Unerhörte, daß die Heerscharen der Goten, die Schiffe, die Waffen, die Kriegsvorräte in großen Massen in aller Eile gerade vor dem Angriff hinweggeführt, daß Unteritalien bis Rom, ja alles Land bis Ravenna entblößt und alle Verteidigungsmaßregeln in den Gegenden vernachlässigt wurden, auf die alsbald die ersten Schläge der Feinde fallen sollten.

An dem Dravus, Rhodanus und Padus wimmelte es von gotischen Waffen und Segeln, während bei Sizilien, wie wir sahen, sogar die nötigsten Boote zum Wachdienst fehlten.

Auch das ungestüme Drängen der gotischen Patrioten besserte daran nicht viel. Witichis und Hildebad hatte sich der König aus der Nähe geschafft, indem er sie mit Truppen und Aufträgen nach Istrien und nach Gallien entsandte, und dem argwöhnischen Teja leistete der alte Hildebrand, der nicht ganz den Glauben an den letzten der Amaler aufgeben wollte, zähen Widerstand.

Am meisten aber ward Theodahad gekräftigt, als ihm seine entschlossene Königin zurückgegeben wurde. Witichis war alsbald nach der Kriegserklärung der Byzantiner mit einer gotischen Schar vor die Burg von Feretri gezogen, wo

Gothelindis mit ihren pannonischen Söldnern Zuflucht gesucht, und hatte sie bewogen, sich freiwillig wieder in Ravenna einzufinden, unter Verbürgung für ihre Sicherheit, bis in der bevorstehenden großen Volks- und Heeresversammlung bei Rom ihre Sache nach allen Formen des Rechts untersucht und entschieden werde. Diese Bedingungen waren beiden Parteien genehm: denn den gotischen Patrioten mußte alles daran gelegen sein, jetzt, bei dem Ausbruch des schweren Krieges, nicht durch Parteiung in der Oberleitung gespalten zu sein.

Und wenn der große Gerechtigkeitssinn des Grafen Witichis wider jede Anklage das Recht voller Verteidigung gewahrt wissen wollte, so sah auch Teja ein, daß, nachdem der Feind die schwere Beschuldigung des Königsmordes auf das ganze Volk der Goten geschleudert, nur ein strenges und feierliches Verfahren in allen Formen, nicht eine stürmische Volksjustiz auf blinden Argwohn hin, die Volksehre wahren könne.

Gothelindis aber blickte einem Verfahren mit kühner Stirn entgegen: mochten die Stimmen innerer Überzeugung auch gegen sie sprechen, sie glaubte ganz sicher zu sein, daß sich ein genügender Beweis ihrer Tat nicht erbringen lasse. - Hatte doch nur ihr Auge das Ende der Feindin gesehen. - Und sie wußte wohl, daß man sie ohne volle Überführung nicht strafen werde.

So folgte sie willig nach Ravenna, flößte dem zagen Herzen ihres Gatten neuen Mut ein und hoffte, war nur der Gerichtstag überstanden, alsbald im Lager Belisars und am Hofe von Byzanz Ruhe von allen weitern Anfechtungen zu finden. Die Zuversicht des Königspaares über den Ausgang jenes Tages wurde nun noch dadurch erhöht, daß die Rüstungen der Franken ihnen den Vorwand gegeben hatte, außer Witichis und Hildebad auch noch den gefährlichen Grafen Teja mit einer dritten Heerschar in den Nordwesten der Halbinsel zu entsenden: mit ihm zogen viele Tausende gerade der eifrigsten Anhänger der Gotenpartei - so daß an dem Tag bei Rom eine von ihren Gegnern nicht allzu zahlreich besuchte Versammlung sich

einfinden würde.

Und unablässig waren sie tätig, sowohl ihre persönlichen Anhänger als alte Gegner Amalaswinthens, die mächtige Sippe der Balten in ihren weitverbreiteten Zweigen, in möglichst großer Anzahl zur Entscheidung jenes Tages heranzuziehen. So hatte das Königspaar Ruhe und Zuversicht gewonnen. Und Theodahad war von Gothelindis bewogen worden, selbst als Vertreter seiner Gemahlin gegen jede Anklage unter den Goten zu erscheinen, um durch solchen Mut und den Glanz des königlichen Ansehens vielleicht von vornherein alle Widersacher einzuschüchtern.

Umgeben von ihren Anhängern und einer kleinen Leibwache verließen Theodahad und Gothelindis Ravenna und eilten nach Rom, wo sie mehrere Tage vor dem für die Versammlung anberaumten Termin eintrafen und in dem alten Kaiserpalast abstiegen.

Nicht unmittelbar vor den Mauern, sondern in der Nähe Roms, auf einem freien, offnen Felde, Regeta genannt, zwischen Anagni und Terracina, sollte die Versammlung gehalten werden. Früh am Morgen des Tages, da sich Theodahad allein auf die Reise dorthin aufmachen wollte und von Gothelindis Abschied nahm, ließ sich ein unerwarteter und unwillkommener Name melden: Cethegus, der während ihres mehrtägigen Aufenthalts in der Stadt nicht erschienen, er war vollauf mit der Vollendung der Befestigungen beschäftigt.

Als er eintraf, rief Gothelindis entsetzt über seinen Ausdruck: «Um Gott, Cethegus! Welch Unheil bringst du?»

Aber der Präfekt furchte nur einen Augenblick die Stirn bei ihrem Anblick, dann sprach er ruhig: «Unheil? Für den, den's trifft. Ich komme aus einer Versammlung meiner Freunde, wo ich zuerst erfuhr, was bald ganz Rom wissen wird: Belisar ist gelandet.»

«Endlich», rief Theodahad. Und auch die Königin konnte eine

Miene des Triumphs nicht verbergen.

«Frohlockt nicht zu früh! Es kann euch reuen. Ich komme nicht, Rechenschaft von euch und eurem Freunde Petros zu verlangen: wer mit Verrätern handelt, muß sich aufs Lügen gefaßt machen. Ich komme nur, um euch zu sagen, daß ihr jetzt ganz gewiß verloren seid.»

«Verloren?» - «Gerettet sind wir jetzt!»

«Nein, Königin. Belisar hat bei der Landung ein Manifest erlassen: er sagt, er komme, die Mörder Amalaswinthens zu strafen; ein hoher Preis und seine Gnade ist denen zugesichert, die euch lebend oder tot einliefern.»

Theodahad erbleichte. «Unmöglich!» rief Gothelindis.

«Die Goten aber werden bald erfahren, wessen Verrat den Feind ohne Widerstand ins Land gelassen.

Mehr noch. Ich habe von der Stadt Rom den Auftrag, in dieser stürmischen Zeit als Präfekt ihr Wohl zu wahren. Ich werde euch im Namen Roms ergreifen und Belisar übergeben lassen.»

«Das wagst du nicht!» rief Gothelindis, nach dem Dolche greifend.

«Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden. Ich lasse euch aber entkommen - was liegt mir an eurem Leben oder Sterben! - gegen einen billigen Preis.»

«Ich gewähre jeden!» stammelte Theodahad.

«Du lieferst mir die Urkunden deiner Verträge mit Silverius aus - schweig! Lüge nicht! Ich weiß, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du hast wieder einmal einen hübschen Handel mit Land und Leuten getrieben! Mich lüstet nach dem Kaufbrief.»

«Der Kauf ist jetzt eitel! Die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! Sie liegen verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in der Krypta!» Seine Furcht zeigte, daß er wahr sprach.

«Es ist gut», sagte Cethegus. «Alle Ausgänge des Palastes sind von meinen Legionären besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am bezeichneten Ort, so werd' ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen.» Und er ging, das Paar ratlosen Ängsten überlassend.

«Was tun?» fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. «Weichen oder trotzen?»

«Was tun?!» wiederholte Theodahad unwillig. «Trotzen, das heißt bleiben! Unsinn! Fort von hier sobald als möglich; kein Heil als die Flucht!» - «Wohin willst du fliehn?» - «Nach Ravenna zunächst - das ist fest! Dort erheb ich den Königsschatz. Von da, wenn es sein muß, zu den Franken. Schade, schade, daß ich die hier verborgnen Gelder preisgeben muß. Die vielen Millionen Solidi» - «Hier? Auch hier», fragte Gothelindis aufmerksam, «in Rom hast du Schätze geborgen. Wo? und sicher?»

«Ach, allzu sicher! In den Katakomben! Ich selber würde Stunden brauchen, sie alle aufzufinden in jenen finsteren Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch über die Solidi! Folge mir, Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte Marc Aurels.»

Und er verließ das Gemach. Aber Gothelindis blieb überlegend stehen. Ein Gedanke, ein Plan hatte sie bei den Worten erfaßt: sie erwog die Möglichkeit des Widerstands.

Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. «Gold ist Macht», sprach sie zu sich selber, «und nur Macht ist Leben.» Ihr Entschluß stand fest. Sie gedachte der kappadokischen Söldner, die des Königs Geiz aus seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der Einschiffung gewärtig. Sie hörte Theodahad hastig die Treppe hinuntersteigen und nach einer Sänfte rufen. «Ja, flüchte nur, du Erbärmlicher!» sprach sie, «ich bleibe.»

Zwölftes Kapitel

Herrlich tauchte am nächsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten.

Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt, gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der großen Musterung, die alljährlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden.

Eine solche Volksversammlung war das schönste Fest und der edelste Ernst der Nation zugleich: ursprünglich, in der heidnischen Zeit, war ihr Mittelpunkt das große Opferfest gewesen, das alljährlich zweimal, an der Winter- und SommerSonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung der gemeinsamen Götter vereinte: daran schlossen sich dann Markt-und Tausch-Verkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung. Die Versammlung hatte zugleich die höchste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden und die Verhältnisse zu andern Staaten.

Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der König so manches Recht, das sonst dem Volke zukam, erworben, hatte die Volksversammlung eine höchst feierliche Weihe, wenn auch deren alte heidnische Bedeutung vergessen war, und die Reste der alten Volksfreiheit, die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen schwächeren Nachfolgern kräftiger wieder auf.

Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die Strafe zu verhängen, wenn auch der Graf des Königs in dessen Namen das Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische Völker selbst ihre

Könige wegen Verrates, Mordes und anderer schwerer Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getötet. In dem stolzen Bewußtsein, sein einziger Herr zu sein und niemand, auch dem König nicht, über das Maß der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane in allen seinen Waffen zu dem «Ding», wo er sich im Verband mit seinen Genossen sicher und stark fühlte und seine und seines Volkes Freiheit, Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Taten vor Augen sah.

Zur diesmaligem Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken Gründen. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem verhaßten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern, diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau sein. Dazu kam, daß wenigstens in den nächsten Landschaften den meisten Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden über die Mörder der Tochter Theoderichs; die große Aufregung, die diese Tat erweckt hatte, mußte ebenfalls mächtig nach Regeta ziehn.

Während ein Teil der Herbeigewanderten in den nächsten Dörfern bei Freunden und Bekannten eingesprochen, hatten sich große Scharen schon einige Tage vor der feierlichen Eröffnung auf dem weiten Blachfeld selbst, zweihundertachtzig Stadien (gegen sechsunddreißig römische Meilen zu tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Hütten oder auch unter dem milden, freien Himmel gelagert. Diese waren mit den frühsten Stunden des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nützten die geraume Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und Kurzweil.

Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses Ufens (oder «Decemnovius», weil er nach neunzehn römischen Meilen bei Terracina in das Meer mündet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere zeigten ihre Kunst, über ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfüßigsten, angeklammert an die Mähnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den sattellosen Rücken schwangen.

«Schade», rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich, «schade, daß Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm' ich's mit ihm auf.» - «Ich bin froh, daß er nicht da ist», lachte Gunthamund, der als der Zweite herangesprengt war, «sonst hätte ich gestern schwerlich den ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen.» - «Ja», sprach Hilderich, ein stattlicher, junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, «Totila ist gut mit der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die Rippe vorher, die er treffen wird.» - «Bah», brummte Hunibad, ein älterer Mann, der dem Treiben der Jünglinge prüfend zugesehn, «das ist doch all nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rückt, daß du nicht mehr ausholen kannst zum Wurf. Und da lob ich mir den Grafen Witichis von Fäsulä!

Das ist mein Mann! War das ein Schädelspalten, im Gepidenkrieg! Durch Stahl und Leder schlug der Mann, als wär' es trocken Stroh. Der kann's noch besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Wölsung, in Florentia. Doch was wißt ihr davon, ihr Knaben. - Seht, da steigen die frühesten Ankömmlinge von den Hügeln nieder: Auf! Ihnen entgegen!»

Und auf allen Wegen strömte jetzt das Volk heran: zu Fuß, zu Roß und zu Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfüllte mehr und mehr das Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden die Rosse abgezäumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben, und durch die Lagergassen hin flutete nun die stündlich wachsende Menge.

Da suchten und fanden und begrüßten sich Freunde und Waffenbrüder, die sich seit Jahren nicht gesehn. Es war ein buntgemischtes Bild: die alte germanische Gleichartigkeit war in diesem Reiche lang geschwunden. Da stand neben dem vornehmen Edeln, der sich in einer der reichen Städte Italiens niedergelassen, in den Palästen senatorischer Geschlechter wohnte und die feinere und üppigere Sitte der Welschen angenommen hatte, neben dem Herzog oder Grafen aus Mediolanum oder Ticinum, der über dem reichvergoldeten Panzer das Wehrgehänge von Purpurseide trug, neben einem solchen zieren Herrn ragte wohl ein rauher, riesiger Gotenbauer, der in den tiefen Eichwäldern am Margus in Mösien hauste, oder der in dem Tann am rauschenden Onus dem Wolf die zottige Schur abgerungen hatte, die er um die mächtigen Schultern schlug, und dessen rauher erhaltene Sprache befremdlich an das Ohr der halbromanisierten Genossen schlug. Und wieder friedliche Schafhirten aus Dakien, die, ohne Acker und ohne Haus, mit ihren Herden von Weide zu Weide wanderten, ganz in derselben Weise noch, welche die Ahnen vor tausend Jahren aus Asien herübergeführt hatte. Da war ein reicher Gote, der in Ravenna oder Rom eines römischen Geldwechslers Kind geheiratet und bald Handel und Verkehr gleich seinem römischen Schwager zu treiben und seinen Gewinn nach Tausenden zu berechnen gelernt hatte. Und daneben stand ein armer Senne, der an dem brausenden Isarkus die magern Ziegen auf die magre Weide trieb und dicht neben der Höhle des Bären seine Bretterhütte errichtet hatte.

So verschieden war den Tausenden, die sich hier zusammenfanden, das Los gefallen, seit ihre Väter dem Ruf des großen Theoderich nach Westen gefolgt waren, hinweg aus den Tälern des Hämus.

Aber doch fühlten sie sich als Brüder, als Söhne eines Volkes: dieselbe stolzklingende Sprache redeten sie, dieselben Goldlocken, dieselbe schneeweiße Haut, dieselben hellen, blitzenden Augen und - vor allem - das gleiche Gefühl in jeder Brust: als Sieger stehen wir auf dem Boden, den unsre Väter dem römischen Weltreich abgetrotzt, und den wir decken wollen, lebendig oder tot.

Wie ein ungeheurer Bienenschwarm wogten und rauschten die Tausende durcheinander, die sich hier begrüßten, alte Bekanntschaften aufsuchten und neue schlossen, und das wirre Getriebe schien nimmer enden zu wollen und zu können.

Aber plötzlich tönten von dem Kamm der Hügel her eigentümliche, feierlich gezogene Töne des gotischen Heerhorns: und augenblicklich legte sich das Gesumme der brausenden Stimmen. Aufmerksam wandten sich aller Augen nach der Richtung der Hügel, von denen ein geschlossener Zug ehrwürdiger Greise nahte. Es war ein halbes Hundert von Männern in weißen, wallenden Mänteln, die Häupter eichenbekränzt, weiße Stäbe und altertümlich geformte Steinbeile führend: die Sajonen und Fronwärter des Gerichts, welche die feierlichen Formen der Eröffnung, Hegung und Aufhebung des Dings zu vollziehen hatten.

Angelangt in der Ebene begrüßten sie mit dreifachem, langgezogenem Hornruf die Versammlung der freien Heermänner, die, nach feierlicher Stille, mit klirrenden Waffen lärmend antworteten.

Alsbald begannen die Bannboten ihr Werk. Sie teilten sich nach rechts und links und umzogen mit Schnüren von roter Wolle, die alle zwanzig Schritt um einen Haselstab, den sie in die Erde stießen, geschlungen wurden, die ganze weite Ebene, und begleiteten diese Handlung mit uralten Liedern und Sprüchen.

Genau gegen Aufgang und Mittag wurden die Wollschnüre auf mannshohe Lanzenschäfte gespannt, so daß sie die zwei Tore der nun völlig umfriedeten Dingstätte bildeten, an denen die Fronboten mit gezückten Beilen Wache hielten, alle

Unfreien, alle Volksfremden und alle Weiber fernzuhalten.

Als diese Arbeit vollendet war, traten die beiden Ältesten unter die Sperrtore und riefen mit lauter Stimme:

«Gehegt ist der Hag Altgotischer Art: Nun beginnen mit Gott Mag gerechtes Gericht.»

Auf die hiernach eingetretne Stille folgte unter der versammelten Menge ein anfangs leises, dann lauter tönendes und endlich fast betäubendes Getöse von fragenden, streitenden, zweifelnden Stimmen.

Es war nämlich schon bei dem Zug der Sajonen aufgefallen, daß er nicht, wie gewöhnlich, von dem Grafen geführt war, der im Namen und Bann des Königs das Gericht abzuhalten und zu leiten pflegte. Doch hatte man erwartet, daß dieser Vertreter des Königs wohl während der Umschnürung des Platzes erscheinen werde. Als nun aber diese Arbeit geschehen und der Spruch der Alten, der zum Beginn des Gerichts aufforderte, ergangen und doch immer noch kein Graf, kein Beamter erschienen war, der allein die Eröffnungsworte sprechen konnte, ward die Merksamkeit aller auf jene schwer auszufüllende Lücke gelenkt. Während man nun überall nach dem Grafen, dem Vertreter des Königs, fragte und suchte, erinnerte man sich, daß dieser ja verheißen hatte, in Person vor seinem Volk zu erscheinen, sich und seine Königin gegen die erhobenen schweren Anklagen zu verteidigen.

Aber da man jetzt bei des Königs Freunden und Anhängern sich nach ihm erkundigen wollte, ergab sich die verdächtige Tatsache, die man bisher, im Gedräng der allgemeinen Begrüßung, gar nicht wahrgenommen, daß nämlich auch nicht einer der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des Königshauses, die zur Unterstützung des Beschuldigten zu erscheinen Recht, Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Straßen und in der Umgegend Roms

gesehen hatte.

Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Lärm über diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Königsgrafen der rechtmäßige Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedene Redner hatten bereits vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen. -

Da erscholl plötzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles übertönender Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetümes vergleichbar. Aller Augen folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Rücken einer hohen Steineiche gelehnt, eine hohe ragende Gestalt, die in den hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen Schlachtruf ertönen ließ. Als sich der Schild senkte erkannte man das mächtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu sprühen schienen.

Begeisterter Jubel begrüßte den greisen Waffenmeister des großen Königs, den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon bei lebendem Leib zu einer mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf gelegt, hob der Alte an: «Gute Goten, meine wackern Männer. Es ficht euch an und will euch befremden, daß ihr keinen Grafen seht und Vertreter des Mannes, der eure Krone trägt.

Laßt's euch nicht Bedenken machen! Wenn der König meint, damit das Gericht zu stören, so soll er irren. Ich denke noch an die alten Zeiten und sage euch: das Volk kann Recht finden ohne König und Gericht halten ohne Königsgrafen. Ihr seid alle herangewachsen in neuer Übung und Sitte, aber da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter jünger denn ich: der wird's mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt, das Gotenvolk ist frei!»

«Ja, wir sind frei!» rief ein tausendstimmiger Chor.

«Wir wählen uns unsern Dinggrafen selbst, schickt der König den seinen nicht», rief der graue Haduswinth, «Recht und

Gericht war, eh' König war und Graf. Und wer kennt besser alten Brauch des Rechts als Hildebrand, Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Dinggraf sein.»

«Ja», hallte es ringsum wider, «Hildebrand so unser Dinggraf sein.»

«Ich bin's durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als hätte mir König Theodahad Brief und Pergament darüber ausgestellt. Auch haben meine Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft mir öffnen das Gericht.»

Da eilten zwölf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die Trümmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus: die Sajonen säuberten die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und links und rechts zwei der viereckigen Platten an den Stamm der Eiche, so daß ein stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, von dem Altar des altitalischen Wald und Hirtengottes herab, der Gotengraf Gericht.

Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem, weißem Kragen über Hildebrands Schultern, gaben ihm den oben gekrümmten Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Häupten einen blanken Stahlschild an die Zweige der Eiche.

Dann stellten sie sich in zwei Reihen zu seiner Rechten und Linken auf: der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild, daß er hell erklang, dann setzte er sich, das Antlitz gegen Osten, und sprach: «Ich gebiete Stille, Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und Scheltwort und Waffenzücken, und alles, was den Dingfrieden kränken mag. Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil' und Stunde, an Ort und Stätte, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer?»

Da traten die nächststehenden Goten heran und sprachen im Chor: «Hier ist rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender Eiche, hier ist rechte Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem, gotischem Erdgrund, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer.»

«Wohlan», fuhr der alte Hildebrand fort, «wir sind versammelt, zu richten zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis, die Königin, und schwere Rüge wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider Theodahad, unsern König. Ich frage...»

Da ward seine Rede unterbrochen durch lauten, schallenden Hornruf, der von Westen her näher und näher drang.

Dreizehntes Kapitel

Erstaunt sahen die Goten um und erblickten einen Zug von Reitern, welche die Hügel herab gegen die Gerichtsstätte eilten. Die Sonne fiel grell blendend auf die waffenblitzenden Gestalten, daß sie nicht erkenntlich waren, obwohl sie in Eile nahten.

Da richtete sich der alte Hildebrand hoch auf in seinem erhöhten Sitz, hielt die Hand vor die falkenscharfen Augen und rief sogleich: «Das sind gotische Waffen! Die wallende Fahne trägt als Bild die Waage: das ist das Hauszeichen des Grafen Witichis! Und dort ist er selbst! An der Spitze des Zugs. Und an seiner Linken die hohe Gestalt, das ist der starke Hildebad! Was führt die Feldherrn zurück? Ihre Scharen sollten schon weit auf dem Weg nach Gallien und Dalmatien sein.»

Ein Brausen von fragenden, staunenden, grüßenden Stimmen erfolgte.

Indes waren die Reiter heran und sprangen von den dampfenden Rossen. Mit Jubel empfangen, schritten die Führer, Witichis und Hildebad, durch die Menge den Hügel heran, bis zu Hildebrands Richterstuhl.

«Wie?» rief Hildebad noch atemlos, «ihr sitzt hier und haltet Gericht, wie im tiefsten Frieden, und der Feind, Belisar, ist gelandet!»

«Wir wissen es», sprach Hildebrand ruhig, «und wollten mit dem König beraten, wie ihm zu wehren sei.»

«Mit dem König!» lachte Hildebad bitter.

«Er ist nicht hier», sagte Witichis umblickend, «das verstärkt unsern Verdacht. Wir kehrten um, weil wir Grund zu schwerem Argwohn erhielten. Aber davon später! Fahrt fort, wo ihr haltet. Alles nach Recht und Ordnung! Still, Freund!» Und den ungeduldigen Hildebad zurückdrängend, stellte er sich bescheiden zur Linken des Richterstuhles in die Reihe der andern.

Nachdem es wieder stiller geworden, fuhr der Alte fort: «Gothelindis, unsre Königin, ist verklagt wegen Mordes an Amalaswintha, der Tochter Theoderichs. Ich frage: sind wir Gericht, zu richten solche Klage?»

Der alte Haduswinth, gestützt auf seine lange Keule, trat vor und sprach: «Rot sind die Schnüre dieser Malstätte. Beim Volksgericht ist das Recht über roten Blutfrevel, über warmes Leben und kalten Tod. Wenn's anders geübt ward in letzten Zeiten, so war das Gewalt, nicht Recht. Wir sind Gericht, zu richten solche Klage.»

«In allem Volk», fuhr Hildebrand fort, «geht wieder Gothelindis schwerer Vorwurf, im stillen Herzen verklagen wir sie alle darob. Wer aber will hier, im offnen Volksgericht, mit lautem Wort, sie dieses Mordes zeihen?»

«Ich!» sprach eine helle Stimme, und ein schöner, junger Gote, in glänzenden Waffen, trat von rechts vor den Richter, die rechte Hand auf die Brust legend.

Ein Murmeln des Wohlgefallens drang durch die Reihen: «Er liebt die schöne Mataswintha!»

«Er ist der Bruder des Herzogs Guntharis von Tuscien, der Florentia besetzt hält.» - «Er freit um sie!» - «Als Rächer ihrer Mutter tritt er auf!»

«Ich, Graf Arahad von Asta, des Aramuth Sohn, aus der Wölsungen Edelgeschlecht», fuhr der junge Gote mit einem anmutigen Erröten fort. «Zwar bin ich nicht versippt mit der Getöteten: allein die Männer ihrer Sippe, Theodahad voran, ihr Vetter und ihr König, erfüllen nicht die Pflicht der Blutrache; ist er doch selbst des Mordes Helfer und Hehler.

So klag' ich denn, ein freier, unbescholtener Gote edeln Stammes, ein Freund der unseligen Fürstin, an Mataswinthens, ihrer Tochter, Statt. Ich klag' um Mord! Ich klag' auf Blut!»

Und unter lautem Beifall des Volkes zog der stattliche, schöne Jüngling das Schwert und streckte es gerad vor sich auf den Richterstuhl.

«Und dein Beweis? sag an... »

«Halt, Dinggraf», scholl da eine ernste Stimme. Witichis trat vor, dem Kläger entgegen. «Bist du so alt und kennst das Recht so wohl, Meister Hildebrand, und läßt dich fortreißen von der Menge wildem Drang? Muß ich dich mahnen, ich, der jüngere Mann, an allen Rechtes erstes Gebot? Den Kläger hör' ich, die Beklagte nicht.»

«Kein Weib kann stehen in der Goten Ding», sprach Hildebrand ruhig.

«Ich weiß: doch wo ist Theodahad, ihr Gemahl und Mundwalt, sie zu vertreten?»

«Er ist nicht erschienen. »

«Ist er geladen?»

«Er ist geladen! Auf meinen Eid und den dieser Boten», sprach Arahad, «tretet vor, Sajonen.» Zwei der Fronwärter traten vor und rührten mit ihren Stäben an den Richterstuhl.

«Nun», sprach Witichis weiter, «man soll nicht sagen, daß im

Volk der Goten ein Weib ungehört, unverteidigt verurteilt werde; wie schwer sie auch verhaßt sei - sie hat ein Recht auf Rechtsgehör und Rechtsschutz. Ich will ihr Mundwalt und ihr Fürsprecher sein.»

Und er trat ruhig dem jugendlichen Ankläger entgegen, gleich ihm das Schwert ziehend.

Eine Pause der ehrenden Bewunderung trat ein. «So leugnest du die Tat?» fragte der Richter. «Ich sage: sie ist nicht erwiesen!» - «Erweise sie!» sprach der Richter zu Arahad gewendet.

Dieser, nicht vorbereitet auf ein förmliches Verfahren und nicht gefaßt auf einen Widersacher von Witichis' großem Gewicht und kräftiger Ruhe, ward etwas verwirrt. «Erweisen?» rief er ungeduldig. «Was braucht's noch Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, daß Gothelindis die Fürstin lang und tödlich haßte. Die Fürstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die Mörderin: ihr Opfer kommt in einem Hause Gothelindis wieder zum Vorschein - tot: die Mörderin aber flieht auf ein festes Schloß. Was braucht's da noch Erweis?»

Und ungeduldig sah er auf die Goten rings umher.

«Und daraufhin klagst du auf Mord im offnen Ding?» sprach Witichis ruhig. «Wahrlich, der Tag sei fern vom Gotenvolk, da man nach solchem Anschein Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Männer, ist Licht und Luft! Weh, weh dem Volk, das seinen Haß zu seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir.»

Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, daß aller Goten Herzen dem treuen Manne zuschlugen.

«Wo sind die Beweise?» fragte nun Hildebrand. «Hast du handhafte Tat? Hast du blickenden Schein? Hast du gichtigen Mund? Hast du echten Eid? Heischest du der Verklagten Unschuldeid?»

«Beweis!» wiederholte Arahad zornig. «Ich habe keinen als

meines Herzens festen Glauben.»

«Dann», sprach Hildebrand -

Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Tore her den Weg zu ihm und sprach: «Römische Männer stehen am Eingang. Sie bitten um Gehör: sie wissen, sagen sie, alles um der Fürstin Tod.»

«Ich fordre, daß man sie höre», rief Arahad eifrig, «nicht als Kläger, als Zeugen des Klägers.»

Hildebrand winkte, und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige Menge heraufzuführen. Voran schritt ein von Jahren gebeugter Mann in härener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Überwurfs machte seine Züge unkenntlich; zwei Männer in Sklaventracht folgten. Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei aller Einfachheit, ja Armut, von seltner Würde geadelt war.

Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad dicht ins Antlitz und trat mit Staunen rasch zurück.

«Wer ist es», fragte der Richter, «den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?» - «Nein», rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurück, «ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorus.»

Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Dingstätte.

«So hieß ich», sprach der Zeuge, «in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus.» Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen - die Weihe der Entsagung.

«Nun, Bruder Marcus», forschte Hildebrand, «was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag' uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit.»

«Die werd' ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung führt mich her, nicht den Mord zu rächen bin ich gekommen, die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! - Nein, den letzten Auftrag der

Unseligen, der Tochter meines großen Königs, zu erfüllen, bin ich da.» Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. «Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich, als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe:

Aber warnen will ich auch vor dem Feind im Innern.

König Theodahad spinnt Verrat, er hat an Petros, den Gesandten von Byzanz, Italien und die Gotenkrone verkauft: er hat getan, was ich dem Griechen weigerte. Seht euch vor, seid stark und einig. Könnt' ich sterbend sühnen, was ich lebend gefehlt).»

In tiefer Stille hatte das Volk die Worte vernommen, die Cassiodor mit zitternder Stimme gesprochen, und die jetzt wie aus dem Jenseits herüberzutönen schienen.

Auch als er geendet, wirkte noch der Eindruck des Mitleids und der Trauer fort in feierlichem Schweigen.

Endlich erhob sich der alte Hildebrand und sprach: «Sie hat gefehlt: sie hat gebüßt. Tochter Theoderichs, das Volk der Goten verzeiht dir deine Schuld und dankt dir deine Treue.»

«So mög' ihr Gott vergeben Amen!» sprach Cassiodor. «Ich habe niemals die Fürstin an den Bolsener See geladen, ich konnt' es nicht: vierzehn Tage zuvor hatt' ich all meine Güter verkauft an die Königin Gothelindis.»

«Sie also hat ihre Feindin», fiel Arahad ein, «seinen Namen mißbrauchend, in jenes Haus gelockt. Kannst du das leugnen, Graf Witichis?»

«Nein», sprach dieser ruhig, «aber», fuhr er zu Cassiodor gewendet fort, «hast du auch Beweis, daß die Fürstin daselbst nicht zufälligen Todes gestorben, daß Gothelindis ihren Tod herbeigeführt?»

«Tritt vor, Syrius, und sprich!» sagte Cassiodor, «ich bürge für die Treue dieses Mundes.» Der Sklave trat vor, neigte sich und sprach: «Ich habe seit zwanzig Jahren die Aufsicht über die Schleusen des Sees und die Wasserkünste des Bades der Villa im Bolsener See: niemand außer mir kannte dessen Geheimnisse. Als die Königin Gothelindis das Gut erkauft, wurden alle Sklaven Cassiodors entfernt und einige Diener der Königin eingesetzt, ich allein ward belassen.

Da landete eines frühen Morgens die Fürstin Amalaswintha auf der Insel, bald darauf die Königin. Diese ließ mich sofort kommen, erklärte, sie wolle ein Bad nehmen, und befahl mir, ihr die Schlüssel zu allen Schleusen des Sees und zu allen Röhren des Bades zu übergeben und ihr den ganzen Plan des Druckwerks zu erklären. Ich gehorchte, gab ihr die Schlüssel und den auf Pergament gezeichneten Plan, warnte sie aber nachdrücklich, nicht alle Schleusen des Sees zu öffnen und nicht alle Röhren spielen zu lassen: das könne das Leben kosten.

Sie aber wies mich zürnend ab, und ich hörte, wie sie ihrer Badsklavin befahl, die Kessel nicht mit warmem, sondern mit heißem Wasser zu füllen.

Ich ging, besorgt um ihre Sicherheit, und hielt mich in der Nähe des Bades.

Nach einiger Zeit hörte ich an dem mächtigen Brausen und Rauschen, daß die Königin dennoch gegen meinen Rat die ganze Flut des Sees hereingelassen: zugleich hörte ich in allen Wänden das dampfende Wasser zischend aufsteigen, und da mir obendrein dünkte, als vernehme ich, gedämpft durch die Marmormauern, ängstlichen Hilfeschrei, eilte ich auf den Außengang des Bades, die Königin zu retten. Aber wie erstaunte ich, als ich an dem mir wohlbekannten Mittelpunkt der Künste, an dem Medusenhaupt, die Königin, die ich im Bad, in Todesgefahr wähnte, völlig angekleidet stehen sah.

Sie drückte an den Federn und wechselte mit jemand, der im Bade um Hilfe rief, zornige Worte. Entsetzt und dunkel ahnend, was da vorging, schlich ich, zum Glück noch unbemerkt, hinweg.

«Wie, Feigling?» sprach Witichis, «du ahntest, was vorging, und schlichte hinweg?»

«Ich bin nur ein Sklave, Herr, kein Held; und hätte mich die grimme Königin bemerkt, ich stünde wohl nicht hier, sie anzuklagen. Gleich darauf erscholl der Ruf, die Fürstin Amalaswintha sei im Bade ertrunken.»

Ein Murren und Rufen drang tosend durch das versammelte Volk.

Frohlockend rief Arahad: «Nun, Graf Witichis, willst du sie noch beschützen?» - «Nein», sprach dieser ruhig, das Schwert einsteckend, «ich schütze keine Mörderin. Mein Amt ist aus.» Und mit diesem Wort trat er von der linken auf die rechte Seite, zu den Anklägern, hinüber.

«Ihr, freie Goten, habt das Urteil zu finden und das Recht zu schöpfen», sprach Hildebrand, «ich habe nur zu vollziehen, was ihr gefunden. So frag' ich euch, ihr Männer des Gerichts, was dünkt euch von dieser Klage, die Graf Arahad, des Aramuth Sohn, der Wölsung, erhoben gegen Gothelindis, die Königin? Sagt an: ist sie des Mordes schuldig?»

«Schuldig! Schuldig!» scholl es mit vielen tausend Stimmen, und keine sagte nein.

«Sie ist schuldig», sagte der Alte aufstehend. «Sprich, Kläger, welche Strafe forderst du um diese Schuld?»

Arahad erhob das Schwert gerade gegen Himmel: «Ich klage um Mord. Ich klage auf Blut. Sie soll des Todes sterben.»

Und ehe Hildebrand seine Frage an das Volk stellen konnte, war die Menge von zorniger Bewegung ergriffen, alle Schwerter flogen aus den Scheiden und blitzten gen Himmel auf, und alle Stimmen riefen: «Sie soll des Todes sterben!» -

Wie ein furchtbarer Donner rollte das Wort, die Majestät des Volksgerichts vor sich her tragend, über das weite Gefild, daß bis in weite Ferne die Lüfte widerhallten. -

«Sie stirbt des Todes», sprach Hildebrand aufstehend, «durch das Beil. Sajonen, auf, und sucht, wo ihr sie findet.»

«Halt an», sprach der starke Hildebad vortretend, «schwer wird unser Spruch erfüllt werden, solang dies Weib unseres Königs Gemahlin. Ich fordre deshalb, daß die Volksgemeinde auch gleich die Klagen prüfe, die wir gegen Theodahad auf der Seele haben, der ein Volk von Helden so unheldenhaft beherrscht. Ich will sie aussprechen, diese Klagen. Merkt wohl, ich zeihe ihn des Verrates, nicht nur der Unfähigkeit, uns zu retten, uns zu führen.

Schweigen will ich davon, daß wohl schwerlich ohne sein Wissen seine Königin ihren Haß an Amalaswintha kühlen konnte, schweigen davon, daß diese in ihren letzten Worten uns vor Theodahads Verrat gewarnt. Aber ist es nicht wahr, daß er den ganzen Süden des Reiches von Männern, Waffen, Rossen, Schiffen entblößt, daß er alle Kraft nach den Alpen geworfen hat, bis daß die elenden Griechlein ohne Schwertstreich Sizilien gewinnen, Italien betreten konnten? Mein armer Bruder Totila mit seiner Handvoll Leuten allein steht ihnen entgegen. Statt ihm den Rücken zu decken, sendet der König auch noch

Witichis, Teja, mich nach dem Norden. Mit schwerem Herzen gehorchten wir: denn wir ahnten, wo Belisar landen werde. Nur langsam rückten wir vor, jede Stunde den Rückruf erwartend. Umsonst. Schon lief durch die Landschaften, die wir durchzogen, das dunkle Gerücht, Sizilien sei verloren, und die Welschen, die uns nach Norden ziehen sahen, machten spöttische Gesichter. So waren wir ein paar Tagemärsche an der Küste hingezogen. Da traf mich dieser Brief meines Bruders Totila:

»

Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Männer.

«Ich wollte», fuhr Hildebad fort, «augenblicklich mit all unsren Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es nicht. Nur das setzte ich durch, daß wir die Truppen Halt machen ließen und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu rächen. Denn Rache, Rache heisch' ich an König Theodahad: nicht nur Torheit und Schwäche, Arglist war es, daß er den Süden den Feinden preisgegeben. Hier dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten. All umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh uns, wenn Neapolis fällt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht länger herrschen, nicht leben soll er länger, der das verschuldet hat. Reißt ihm die Krone der Goten vom Haupt, die er geschändet, nieder mit ihm! Er sterbe!»

«Nieder mit ihm! Er sterbe!» donnerte das Volk im mächtigem Echo nach.

Unwiderstehlich, schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu zerreißen, der ihm widerstehen wollte. Nur einer blieb ruhig und gelassen inmitten der stürmenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Lärm etwas gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit, die ihm so wohl anstand: «Landsleute, Volksgenossen! Hört mich an! Ihr habt unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Väter Zeit, Haß und Gewalt des Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter König! Nicht länger soll er allein des Reiches Zügel lenken! Gebt ihm einen Vormund wie einem Unmündigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod, sein Blut dürft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, daß er verraten hat? Daß Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: hütet euch vor Ungerechtigkeit, sie stürzt die Reiche der Völker.»

Und groß und edel stand er auf seinem erhöhten Boden im vollen Glanz der Sonne, voll Kraft und edler Würde.

Bewundernd ruhten die Augen der Tausenden auf ihm, der ihnen an Hoheit und Maß und klarer Ruhe so überlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte. Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnten gegen den Mann, der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem dichten Walde gezogen, der im Süden die Aussicht begrenzte, und der auf einmal lebendig zu werden schien.

Vierzehntes Kapitel

Denn man hörte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das Klirren von Waffen. Alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem Wald, aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Roß ein Mann, der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt.

Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein mächtiger schwarzer Roßschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken. Vorwärts gebeugt trieb er das schaumbespritzte Roß zu rasender Eile und sprang am Südeingang des Dings sausend vom Sattel.

Alle wichen links und rechts zurück, die der grimme, tödlichen Haß sprühende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schönen Antlitz traf Wie von Flügeln getragen stürmte er den Hügel hinan, sprang auf einen Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter Kraft: «Verrat, Verrat!» und stürzte dann wie blitzgetroffen nieder. Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund erkannt: «Teja, Teja!» riefen sie, «was ist geschehen? Rede!» - «Rede!» wiederholte Witichis, «es gilt das Reich der Goten!»

Wie mit übermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der stählerne Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler Stimme:

«Verraten sind wir, Goten, verraten von unserm König. Ich erhielt Auftrag vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich gebeten. Ich schöpfte Verdacht, doch ich gehorchte und gehe unter Segel mit meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlägt zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den , den raschen Keles - das leichte Postschiff Theodahads. Ich kannte das Fahrzeug wohl, es gehörte einst meinem Vater. Wie das unserer Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwöhnisch, jage ihm nach und hole es ein. Er trug diesen Brief an Belisar von des Königs Hand:

in den Turm geworfen.

Zum Dank erwart' ich, daß du den Vertrag genau erfüllst und den Kaufpreis in Bälde bezahlst.»» Teja ließ den Brief sinken, die Stimme versagte ihm.

Ein Ächzen und Stöhnen der Wut zog durch die Versammlung.

«Ich ließ umkehren, sogleich landen, ausschiffen und jage hierher seit drei Tagen und drei Nächten unausgesetzt. Ich kann nicht mehr.» Und taumelnd sank er in Witichis' Arme.

Da sprang der alte Hildebrand empor auf den höchsten Stein seines Stuhles: weit überragte er die ganze Menge. Er riß dem Träger, der die Lanze mit des Königs kleiner Marmorbüste auf der Querstange trug, den Schaft aus der Hand und hielt ihn vor sich in der Linken, in der Rechten hob er sein Steinbeil: «Verkauft, verraten sein Volk für gelbes Gold? Nieder mit ihm, nieder, nieder!» Und ein Beilschlag zertrümmerte die Büste. Dieser Akt war wie der erste Donnerschlag, der ein lange brütendes Gewitter entfesselt. Nur dem Wüten empörter Elemente war das Stürmen vergleichbar, welches nun das in seinen Grundtiefen aufgewühlte Volk durchbrauste. «Nieder, nieder, nieder mit ihm!» hallte es tausendfach wider unter betäubendem Klirren der Waffen.

Und darauf erhob abermals der alte Waffenmeister seine eherne Stimme und sprach feierlich: «Wisset es, Gott im Himmel und Menschen auf Erden, sehende Sonne und wehender Wind, wisset es, das Volk der Goten, frei und alten Ruhmes voll und zu den Waffen geboren, hat abgetan seinen ehemaligen König Theodahad, des Theodis Sohn, weil er Volk und Reich an den Feind verraten.

Wir sprechen dir ab, Theodahad, die goldne Krone und das Gotenreich, das Gotenrecht und das Leben. Und solches tun wir nicht nach Unrecht, sondern nach Recht. Denn frei sind wir gewesen alle Wege unter unsern Königen und wollten eh' der

Könige missen als der Freiheit. Und so hoch steht kein König, daß er nicht um Mord, Verrat und Eidbruch zu Recht stehe vor seinem Volk.

So sprech' ich dir ab Krone und Reich, Recht und Leben. Landflüchtig sollst du sein, achtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Christenleute zur Kirche gehen und Heidenleute zum Opferstein. Soweit Feuer brennt und Erde grünt. Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet. Soweit Himmel sich höht und Welt sich weitet. Soweit der Falke fliegt den langen Frühlingstag, wann ihm der Wind steht unter seinen beiden Flügeln. Versagt soll dir sein Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung, ausgenommen die Hölle. Dein Erb und Eigen teil' ich zu dem Gotenvolk. Dein Blut und Fleisch den Raben in den Lüften.

Und wer dich findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstraße, soll dich erschlagen, ungestraft, und soll bedankt sein dazu von Gott und den guten Goten. Ich frage euch, soll's so geschehn?»

«So soll's geschehn!» antworteten die Tausenden und schlugen Schwert an Schild.

Kaum war Hildebrand herabgestiegen, als der alte Haduswinth seine Stelle einnahm, das zottige Bärenfell zurückwarf und sprach: «Des Neidkönigs wären wir ledig! Er wird seinen Rächer finden. Aber jetzt, treue Männer, gilt es, einen neuen König wählen. Denn ohne König sind wir nie gewesen. Soweit unsere Sagen und Sprüche zurückdenken, haben die Ahnen einen auf den Schild gehoben, das lebende Bild der Macht, des Glanzes, des Glückes der guten Goten. Solang es Goten gibt, werden sie Könige haben: und solang sich ein König findet, wird ihr Volk bestehn. Und jetzt vor allem gilt's, ein Haupt, einen Führer zu haben. Das Geschlecht der Amelungen ist glorreich aufgestiegen, wie eine Sonne: lang hat sein hellster Strahl, Theoderich, geleuchtet: aber schmählich ist's erloschen in Theodahad. Auf, Volk der Goten, du bist frei! Frei wähle dir den rechten König, der dich zu Sieg und Ehre führt. Dein Thron ist leer: mein Volk, ich lade dich zur Königswahl!»

«Zur Königswahl!» sprach diesmal feierlich und machtvoll der Chor der Tausenden.

Da trat Witichis auf den Dingstein, hob den Helm vom Haupt und die Rechte gen Himmel: «Du weißt es, Gott, der in den Sternen geht, uns treibt nicht frevler Kitzel des Ungehorsams und des Übermuts: uns treibt das heilige Recht der Not. Wir ehren das Recht des Königtums, den Glanz, der von der Krone strahlt. Geschändet aber ist dieser Glanz, und in der höchsten Not des Reiches üben wir des Volkes höchstes Recht. Herolde sollen ziehen zu allen Völkern der Erde und laut verkünden: nicht aus Verachtung, aus Verehrung der Krone haben wir es getan.

Wen aber wählen wir? Viel sind der wackern Männer im Volk, von altem Geschlecht, von tapferm Arm und klugem Geist. Wohl mehrere sind der Krone würdig. Wie leicht kann es kommen, daß einer diesen, der andere jenen vorzieht?

Aber um Gott, nur jetzt keinen Zwist, keinen Streit! Jetzt, da der Feind im Lande liegt! Drum laßt uns schwören vorher feierlich: wer das Stimmenmehr erhält, sei's nur um eine Stimme, den wollen wir all' als unsern König achten, unweigerlich, und keinen andern. Ich schwöre es - schwört mit mir.»

«Wir schwören!» riefen die Goten.

Aber der junge Arahad stimmte nicht ein. Ehrgeiz und Liebe loderten in seinem Herzen: er bedachte, daß sein Haus jetzt, nach dem Fall der Balten und der Amaler, das edelste war im Volk: er hoffte, Mataswinthens Hand zu gewinnen, wenn er ihr eine Krone bieten konnte, und kaum war der Schwur verhallt, als er vortrat und rief: «Wen sollen wir wählen, gotische Männer? Bedenkt euch wohl! Vor allem, das ist klar, einen Mann jungkräftigen Armes wider den Feind. Aber das allein genügt nicht. Weshalb haben unsere Ahnen die Amaler erhöht? Weil sie das edelste, das älteste, Göttern entstammte Geschlecht waren. Wohlan, das erste Gestirn ist erloschen, gedenkt des zweiten, gedenkt der Balten!»

Von den Balten lebte nur ein männlicher Sproß, ein noch nicht wehrhafter Enkel des Herzogs Pitza - denn Alarich, der Bruder der Herzoge Thulun und Ibba, war seit langen Jahren geächtet und verschollen. - Arahad rechnete sicher, man werde jenen Baltenknaben nicht wählen und vielmehr des dritten Gestirns gedenken. Aber er irrte. Der alte Haduswinth trat zornig vor und schrie:

«Was Adel! Was Geschlecht! Sind wir Adelsknechte oder freie Männer? Beim Donner! Werden wir Ahnen zählen, wenn Belisar im Lande steht? Ich will dir sagen, Knabe, was ein König braucht.

Einen tapferen Arm, das ist wahr, aber nicht das allein. Der König soll ein Hort des Rechts, ein Schirm des Friedens sein, nicht nur der Vorkämpfer im Schwertkampf. Der König soll haben einen immer ruhigen, immer klaren Sinn, wie der blaue Himmel ist, und wie die lichten Sterne sollen darin auf- und niedergehen gerechte Gedanken. Der König soll haben eine stete Kraft, aber noch mehr ein stetes Maß: er soll nie sich selbst verlieren und vergessen in Haß und Liebe, wie wir wohl dürfen, wir unten im Volk. Er soll nicht nur mild sein den Freunden, er soll gerecht sein dem Verhaßtesten, selbst dem Feind. In dessen Brust ein klarer Friede wohnt bei kühnem Mut und edles Maß bei treuer Kraft, - der Mann, Arahad, ist königlich geartet, und hätt' ihn der letzte Bauer gezeugt.»

Lauter Beifall folgte dem Wort des Alten, und beschämt trat Arahad zurück. Aber jener fuhr fort: «Gute Goten! Ich meine, wir haben einen solchen Mann! Ich will ihn euch nicht nennen: nennt ihr ihn mir.

Ich kam hierher aus fernem Hochgebirg aus unsrer Mark gegen die Karanthanen, wo der wilde Turbidus schäumend die Felsen zerstäubt. Da leb' ich mehr, als sonst ein Menschenalter ist, stolz, frei, einsam. Wenig erfahr' ich von der Menschen Händel, selbst von des eignen Volkes Taten, wenn nicht ein Salzroß halbverirrt des Weges kommt. Und doch drang mir bis in jene öde Höhe der Waffenruhm eines vor allen unsern Helden, der nie das Schwert zu ungerechtem Streit erhob und es noch niemals sieglos eingesteckt. Seinen Namen hört' ich immer wieder, wenn ich fragte: Wer wird uns schirmen, wenn Theoderich schied? Seinen Namen hört' ich bei jedem Sieg, den wir erfochten, bei jedem weisen Werke des Friedens, das geschehn. Ich hatt' ihn nie gesehen. Ich sehnte mich danach, ihn zu sehen. Heute hab' ich ihn gesehen und gehört. Ich habe sein Aug' gesehen, das klar und milde wie die Sonne. Ich hab' sein Wort gehört; ich hab' gehört, wie er dem Feind selbst, dem verhaßten, zu Recht und zu Gerechtigkeit verhalf. Ich hab' gehört, wie er allein, da uns alle der blinde Haß fortriß mit dunkler Schwinge, klar blieb und ruhig und gerecht. Da dacht' ich mir in meinem alten Herzen: . Goten: der Mann soll unser König sein. Nennt mir den Mann!»

«Graf Witichis, ja Witichis, Heil König Witichis!»

Während dieser brausende Jubelruf durch das Gefilde hallte, hatte ein erschütternder Schreck den bescheidenen Mann ergriffen, der gespannt der Rede des Alten gefolgt war und erst ganz zu Ende von der Ahnung ergriffen ward, daß er der so Gepriesene sei.

Als er nun aber seinen Namen in diesem tausendstimmigen Jauchzen erschallen hörte, überkam ihn vor allen andern Gedanken das Gefühl: «Nein, das kann, das soll nicht sein.»

Er riß sich von Teja und Hildebad, die freudig seine Hände drückten, los, und sprang hervor, das Haupt schüttelnd und, wie abwehrend, den Arm ausstreckend. «Nein!» rief er, «nein,

Freunde! Nicht das mir! Ich bin ein schlichter Kriegsmann, nicht ein König. Ich bin vielleicht ein gutes Werkzeug, kein Werkmeister! Wählt einen andern, einen Würdigeren!»

Und wie bittend streckte er beide Hände gegen das Volk.

Aber der donnernde Ruf: «Heil König Witichis!» ward ihm statt aller Antwort. Und nun trat der alte Hildebrand vor, faßte seine Hand und sprach laut: «Laß ab, Witichis! Wer war es, der zuerst geschworen, unweigerlich den König anzuerkennen, der auch nur eine Stimme mehr hätte? Siehe, du hast alle Stimmen und willst dich wehren?»

Aber Witichis schüttelte das Haupt und preßte die Hand vor die Stirn. Da trat der Alte ganz nahe zu ihm und flüsterte in sein Ohr: «Wie? Muß ich dich stärker mahnen? Muß ich dich mahnen jenes mächtigen Eides und Bundes, da du gelobtest: Ich weiß, - ich kenne deine klare Seele, -: dir ist die Krone mehr eine Last als eine Zierde: ich ahne, daß dir diese Krone große, bittre Schmerzen bringen wird. Vielleicht mehr als Freuden; deshalb fordre ich, daß du sie auf dich nimmst.»

Witichis schwieg und drückte noch die andre Hand vor die Augen. Schon viel zu lang währte dem begeisterten Volk das Zwischenspiel. Schon rüsteten sie den breiten Schild, ihn darauf zu erheben, schon drängten sie den Hügel hinan, seine Hand zu fassen: und fast ungeduldig scholl aufs neue der Ruf: «Heil König Witichis.»

«Ich fordre es bei deinem Bluteid! - Willst du ihn halten oder brechen?» flüsterte Hildebrand. «Halten!» sprach Witichis und richtete sich entschlossen auf.

Und nun trat er, ohne falsche Scham und ohne Eitelkeit, einen Schritt vor und sprach: «Du hast gewählt, mein Volk, wohlan, so nimm mich hin. Ich will dein König sein!»

Da blitzten alle Schwerter in die Luft, und lauter scholl's: «Heil König Witichis!»

Jetzt stieg der alte Hildebrand ganz herab von seinem Dingstuhl und sprach: «Ich weiche nun von diesem hohen Stuhl! Denn unserm König ziemt jetzt diese Stätte. Nur einmal noch laß mich des Grafenamtes walten.

Und kann ich dir nicht den Purpur umhängen, den die Amaler getragen, und ihr goldenes Zepter reichen, - nimm meinen Richtermantel und den Richterstab als Zepter, zum Zeichen, daß du unser König wardst um deiner Gerechtigkeit willen. Ich kann sie nicht auf deine Stirne drücken, die alte Gotenkrone, Theoderichs goldnen Reif. So laß dich krönen mit dem frischen Laub der Eiche, der du an Kraft und Treue gleichst.»

Mit diesen Worten brach er ein zartes Gewinde von der Eiche und schlang es um Witichis' Haupt: «Auf, gotische Heerschar, nun walte deines Schildamts.»

Da ergriffen Haduswinth, Teja und Hildebad einen der altertümlichen breiten Dingschilde der Sajonen, hoben den König, der nun mit Kranz, Stab und Mantel geschmückt war, darauf und zeigten ihn auf ihren hohen Schultern allem Volk: «Sehet, Goten, den König, den ihr selbst gewählt: so schwört ihm Treue.»

Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht kniend, die Hände hoch gen Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod.

Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: «Wie ihr mir Treue, so schwör' ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter König sein, des Rechtes walten und dem Unrecht wehren, gedenken will ich, daß ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte, und mein Leben, mein Glück, mein alles, euch will ich's weihen, dem Volk der guten Goten. Das schwöre ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue.»

Und den Dingschild vom Baume hebend, rief er: «Das Ding ist aus. Ich löse die Versammlung.»

Die Sajonen schlugen sofort die Haselstäbe mit den Schnüren nieder, und bunt und ordnunglos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Römer, die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer Volksfreiheit mit angesehen, wie sie in Italien seit mehr als fünfhundert Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Männer mischen, denen sie Wein und Speisen verkauften.

Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Führern des Heeres nach einem der Zelte zu begeben, die am Ufer des Flusses aufgeschlagen waren.

Da drängte sich ein römisch gekleideter Mann, wie es schien, ein wohlhabender Bürger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja, des Tagila Sohn.

«Der bin ich: was willst du mir, Römer?» sprach dieser sich wendend. «Nichts, Herr, als diese Vase überreichen. Seht nach: das Siegel, der Skorpion, ist unversehrt.» - «Was soll mir die Vase? Ich kaufe nichts dergleichen.» - «Die Vase ist euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und Rollen, die euch zugehören. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie euch zu geben. Ich bitt' euch, nehmt.»

Und damit drängte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedränge verschwunden. Gleichgültig löste Teja das Siegel und nahm die Urkunden heraus, gleichgültig sah er hinein. Aber plötzlich schoß ein brennend Rot über seine bleichen Wangen, sein Auge sprühte Blitze, und er biß krampfhaft in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber drängte sich in Fieberhast vor Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: «Mein König -König Witichis - eine Gnade!»

«Was ist dir, Teja, um Gott? Was willst du?»

«Urlaub! Urlaub auf sechs - auf drei Tage! Ich muß fort.» -«Fort, wohin?» - «Zur Rache! Hier lies - der Teufel, der meine Eltern verklagte, in Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb - er ist es den ich längst geahnt: hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen Hand - es ist

Theodahad!-»

«Er ist's, es ist Theodahad», sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. «Geh denn! Aber zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom, er ist gewiß längst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen.»

«Ich hole ihn ein, ob er auf den Flügeln des Sturmadlers säße.»

«Du wirst ihn nicht finden.»

«Ich finde ihn, und müßt ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hölle oder im Schoße des Himmelgottes suchen.»

«Er wird mit starker Bedeckung gelichtet sein», warnte der König.

«Aus tausend Teufeln hol' ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb' wohl, König der Goten. Ich vollstrecke die Acht.»

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