Totila - Erste Abteilung
"Heil, daß uns dieser Sonnen-Jüngling lebt"
(Markgraf Rüdiger von Bechelaren)
Wenige Tage nach dem Tode Mataswinthens und der Abreise des tieferschütterten Prinzen kam eine Botschaft aus Castra nova, die den Aufbruch byzantinischer Truppen von Ravenna notwendig machte.
Hildebad war durch flüchtige Goten, die sich durch die Linien der Belagerer geschlichen, von der verräterischen Gefangennehmung des Königs unterrichtet worden. Da ließ er durch Gefangene, die er freigab, Belisar und Cethegus, jeden einzeln oder beide zusammen, wie sie wollten, zum Zweikampf laden, «wenn sie eine Ader von Mut, einen Tropfen von Ehre im Leibe trügen».
«Er glaubt Belisar noch im Lande und scheint ihn nicht eben zu fürchten», sagte Bessas. - «Hier läge ein Mittel» erwiderte Cethegus lauernd, «den ungestümen Raufbold zu verderben. Aber freilich, Mut gehört dazu. Mut, wie ihn Belisar gehabt.»
«Du weißt, ich weiche ihm auch darin nicht.»
«Gut», sprach Cethegus, «folge mir in mein Gemach.
Ich will dir Rat und Mittel zeigen, den Riesen zu vernichten. Du sollst vollbringen, was Belisar mißlang.» Zu sich selber aber sprach er: «Bessas ist zwar ein löblich schlechter Feldherr, aber Demetrius kein besserer, und leichter zu leiten. Und Bessas schuld' ich noch Vergeltung für das tiburtinische Tor zu Rom.»
Nicht ohne Grund hatte der Präfekt gefürchtet, der schon fast erloschene Widerstand der Goten werde sich neu beleben bei der
Kunde von der hinterlistigen Vernichtung des Königs.
Mit jedem Mittel hatte er daher jene Erklärung von Witichis erzwingen wollen, die jede Begeisterung der Rache erstickt haben würde. Noch war an den alten Hildebrand zu Verona, an Totila nach Tarvisium und an Teja zu Ticinum keine genauere Nachricht gelangt. Nur die Kunde, daß Ravenna gefallen, der König gefangen sei, hatte sie erreicht. Dunkel verlautete dabei der Verrat. Und der Schmerz und Zorn der Freunde ließen es sich nicht nehmen: mit rechten Dingen könne nicht die feste Stadt, der wackre König erlegen sein. Statt sie zu entmutigen, verstärkte das Unheil die Kraft ihres Widerstandes. In wiederholten glücklichen Ausfällen schwächten sie die Belagerer. Und diese sahen sich schon fast genötigt, die Einschließung aufzugeben.
Denn die Anzeichen einer bedeutsamen Veränderung der Verhältnisse in ganz Italien strömten von allen Seiten auf sie ein.
Diese Veränderung war ein sich rasch vollziehender Umschwung in Stimmung und Gesinnung der römischen Bevölkerung, wenigstens des gesamten Mittelstandes: der Kaufleute und Handwerker in den Städten, der Bauern und Colonen auf dem flachen Lande.
Die Italier hatten überall die Byzantiner jubelnd als Befreier begrüßt. Aber nach kürzester Zeit legte sich dieser Jubel. Im Gefolge Belisars zogen ganze Scharen von Finanzbeamten aus Byzanz, von Justinian gesendet, sofort die Früchte des Kampfes zu ernten und die immer leeren Kassen des Ostreichs mit den Reichtümern Italiens zu füllen. Mitten in den Leiden des Krieges begannen und betrieben diese Eifrigen ihr Werk. Sowie Belisar eine Stadt besetzt hatte, so berief der mit eingerückte Logothetes (Kassenrechnungsführer) alle freien Bürger in die Kurie oder auf das Forum, ließ die Bürger sich selbst nach dem Vermögen in sechs Klassen teilen und forderte nun je die ärmere Klasse auf, die nächst höhere nach ihrem Vermögen zu schätzen. Auf Grund dieser Schätzung legten dann die kaiserlichen Beamten jeder Klasse eine möglichst hochgegriffene Steuer auf.
Und da sie, schon durch die Vorenthaltung, Verkürzung, Verzögerung bei dem niemals pünktlich bezahlten Gehalte fast darauf angewiesen, stets neben den Kassen des Kaisers die eigne Tasche zu füllen bedacht waren, wurde der Druck unerträglich. Die Logotheten waren nicht zufrieden mit den hohen Steuersätzen, die der Kaiser für drei Jahre vorausbezahlt verlangten mit der besonderen, jeder befreiten Stadt Italiens auferlegten «Freiheits-, Dank- und Freudenschatzung» - neben den starken Beisteuern und Lieferungen, die Belisar und seine Heerführer zur Verpflegung des Heeres ausschreiben mußten -denn von Byzanz kam weder Geld noch Vorrat -, verlegten sich jene Finanzkünstler darauf, mit besonderen Mitteln den reicheren Bürgern noch besondere Zahlungen abzunötigen.
Sie stellten überall Nachprüfungen der Steuerlisten an, entdeckten Rückstände aus der Zeit der Gotenkönige oder gar noch aus den Tagen Odoakers und ließen den Bürgern nur die Wahl zwischen ungeheuren Abfindungssummen oder ungeheuren Rechtsstreiten mit dem Fiskus Justinians, der noch nie einen Prozeß verloren.
Waren aber die Steuerlisten unvollständig oder zerstört - was häufig genug in diesen Jahren der Kämpfe geschehen -, so stellten die Rechnungsführer sie nach eigner Willkür wieder her.
Kurz, alle Finanzkünste, welche die Provinzen des Ostreichs zugrunde richteten, wurden seit Belisars Landung in ganz Italien geübt, soweit die kaiserlichen Waffen reichten.
Ohne Rücksicht auf die Not des Krieges spannten die Steuerboten dem Bauer das pflügende Rind aus dem Pflug, nahmen dem Handwerker das Gerät aus der Werkstatt, dem Kaufmann die Waren aus der Halle. In manchen Städten erhob sich das Volk, die Steuerlisten verbrennend, in hellem Aufruhr gegen seine Peiniger, die freilich alsbald in größeren Scharen mit strengerer Härte wiederkehrten. Mit afrikanischen Bluthunden jagten die maurischen Reiter Justinians die verzweifelnden Bauern aus ihren Waldverstecken, wohin sie sich geflüchtet, den Steuererhebern zu entrinnen.
Cethegus aber, der allein in der Stellung gewesen wäre, Abhilfe zu versuchen, sah dem allen zu mit berechnender Ruhe. Ihm war es erwünscht, daß Italien schon vor Beendigung des Krieges die Tyrannei von Byzanz fühlbar kennenlernte. Desto leichter würde er es mit fortreißen können, sich zu erheben mit eigner Kraft und nach den Goten auch die Byzantiner abzuschütteln. Mit Achselzucken hörte er die Klagen der Städtegesandten an, die seine Vermittlung anriefen, und gab die lakonische Antwort: «Das ist byzantisch Regiment ihr müßt euch dran gewöhnen.» - «Nein», hatten die Abgeordneten von Rom gerufen, «das Unerträgliche gewöhnt man nicht. Und der Kaiser könnte ein Unerhörtes erleben, das er sich nicht träumen läßt.»
Dies Unerhörte konnte sich Cethegus nur als die Erhebung Italiens zur Selbständigkeit denken: er kannte kein Drittes. Aber er irrte. So klein er von seiner Zeit und seinen Landsleuten dachte - er hatte geglaubt, sie durch sein Beispiel gehoben zu haben. Jedoch den Gedanken: «Freiheit und Erneuerung Italiens», seinem Geist so geläufig, ja so notwendig wie der Brust das Atmen - dies Geschlecht vermochte ihn nicht mehr zu fassen. Nur zwischen verschiedenen Herren schwanken und wählen konnten die Entarteten. Und da das Joch von Byzanz sich als unertragbar erwies, fing man an, wieder der milden Gotenherrschaft zu gedenken: eine Möglichkeit, die dem Präfekten gar nicht in die Gedanken geriet. Und doch kam es so.
Vor Tarvisium, Ticinum und Verona geschah schon jetzt im kleinen, auf dem flachen Lande, was sich im großen in den Städten wie Neapolis und Rom vorbereitete: die italische Landbevölkerung erhob sich gegen die byzantinischen Beamten und Soldaten, wie die Bewohner jener drei Städte in jeder Weise die gotischen Besatzungen unterstützten.
So wurden die Belagerer von Tarvisium genötigt, ihre Angriffe aufzugeben und sich auf Verteidigung ihres Lagers zu beschränken, nachdem Totila in einem Ausfall, unterstützt von bewaffneten Colonen des Flachlands, ihre Werke zum großen Teil zerstört hatte. Aus der Landschaft zog er nun Vorräte und Streiter in seine Feste. Mit froherem Herzen als seit sehr langer Zeit hielt Totila seinen Abendrundgang auf den Wällen von Tarvisium.
Die Sonne, die hinter den venetischen Bergen niedersank, vergoldete die Ebene vor ihm, und rote Wolken flogen freundlich an dem Himmel hin. Mit gerührtem Herzen sah er, wie die Bauern von der Umgegend von Tarvisium durch das geöffnete Tor strömten und seinen ausgehungerten Goten Brot, Fleisch, Käse, Wein zutrugen, während diese ins Freie eilten und nun Germanen und Italier, mit verschlungenen Armen, die jüngst gemeinsam über die verhaßten Feinde erfochtenen Vorteile gemeinsam feierten.
«Und sollte es denn unmöglich sein», sagte der Sieger zu sich selbst, «diese Eintracht zu erhalten, zu erweitern über das ganze Land? Müssen denn die Völker beharren in unversöhnlichem Zwiespalt? Wie schön steht beiden diese Freundschaft! Haben nicht auch wir gefehlt, sie als Feinde, als Besiegte zu behandeln? Mit Argwohn ist man ihnen begegnet, statt mit ehrendem Vertrauen. Ihren Gehorsam haben wir verlangt, nicht ihre Liebe gesucht. Und diese wäre wohl des Suchens wert gewesen. War sie gewonnen - nie hätte Byzanz hier Fuß gefaßt. Die Lösung meines Gelübdes - Valeria! -, sie wäre nicht so unerreichbar fern. Wär' mir es noch vergönnt, auf meine Weise nach jenem Ziele zu ringen!»
Da unterbrach sein Denken und Träumen ein Bote von den vorgeschobenen Wachen mit der Meldung, die Feinde hätten ihr Lager eilig abgeräumt und seien in vollem Abzug nach Süden, gegen Ravenna - auf der Straße von Westen her wirble Staub, ein starker Haufe Reiter nahte, vermutlich Goten.
Erfreut, aber noch zweifelnd nahm Totila die Nachricht auf: er traf alle Vorkehrungen wider eine Kriegslist. Doch in der Nacht wurden seine Zweifel gelöst. Er wurde geweckt mit der Nachricht eines gotischen Sieges und des Eintreffens der Sieger. Er eilte in den Vorsaal und sah Hildebrand, Teja, Thorismut und Wachis.
Mit dem Zuruf «Sieg! Sieg!» begrüßten ihn die Freunde; und Teja und Hildebrand meldeten, daß auch bei Ticinum und Verona das Landvolk sich gegen die Byzantiner erhoben und ihnen geholfen habe, die Belagerer zu überfallen und, nach Zerstörung ihrer Werke, zum Abzug zu zwingen.
Aber bei diesem Bericht lag doch in Tejas Auge und Stimme noch tiefere, als die gewohnte Schwermut. «Was hast du neben dieser Freude Trauriges zu künden?» fragte Totila.
«Des besten Mannes schmähliches Verderben!» und er winkte Wachis, welcher nun die Leiden und den Tod des Königs und seines Weibes erzählte.
«Im Röhricht des Flusses», schloß er, «war ich den Pfeilen der Hunnen entgangen. So leb' ich noch. Aber nur zu dem einen Ende, meine n Herrn, meine Herrin zu rächen an ihrem Verräter und Mörder, dem Präfekten.» - «Nein, mir ist des Präfekten Haupt verfallen!» sprach Teja. - «Das nächste Recht auf ihn», sagte Hildebrand, «hast du, Totila. Denn einen Bruder hast du an ihm zu rächen.»
«Mein Bruder Hildebad!» rief Totila, «was ist mit ihm?» -«Schändlich ermordet ist er, Herr», sprach Thorismut, «von dem Präfekten! Vor meinen Augen! Und ich konnt's nicht wenden.»
«Mein starker Hildebad tot!» klagte Totila. «Rede!»
«Der Held lag mit uns in der Burg Castra Nova bei Mantua. Das Gerücht vom empörenden Untergang des Königs hatte uns erreicht. Da forderte Hildebad beide, Belisar und Cethegus, zum
Zweikampf. Bald darauf erschien ein Herold, meldend, Belisar habe die Forderung angenommen und erwarte deinen Bruder zum Kampf auf der Ebene zwischen unserem Wall und ihrem Lager. Frohlockend eilte dein Bruder hinaus, wir Reiter alle folgten. Wirklich ritt aus dem Zelte in seiner goldnen Rüstung, mit geschlossenem Helm und weißem Roßschweif, mit dem runden Buckelschild, uns allen wohlbekannt, Belisarius.
Nur zwölf Reiter folgten ihm. Allen voran auf seinem Rappen Cethegus, der Präfekt. Die andern Byzantiner hielten vor ihrem Lager; Hildebad befahl mir, mit elf Reitern ihm in gleichem Abstand zu folgen.
Die beiden Kämpfer begrüßten sich mit dem Speere: die Tuba tönte, und Hildebad sprengte auf seinen Gegner los. Im Augenblick flog dieser durchstoßen vom Pferd.
Dein Bruder, völlig unverletzt, sprang ab, mit dem Ausruf:
Dann winkte der Präfekt. Die zwölf maurischen Reiter schleuderten ihre Speere - und schwer getroffen stürzte dein Bruder zusammen.»
Totila verhüllte sein Haupt. Teja trat ihm teilnehmend näher.
«Hör' zu Ende», sprach Thorismut. «Da ergriff uns, die wir den Mord mit angesehen, grimmiger Schmerz. Wütend warfen wir uns auf die Feinde, die, auf unsre Entmutigung hoffend, aus dem Lager gedrungen waren. Nach wildem, heißem Kampf schlug sie unser Ingrimm in die Flucht. Nur seines Höllenrappens Schnelligkeit hat den von meinem Wurfspeer an der Schulter verwundeten Präfekten gerettet. Mit leuchtenden Augen sah dein Bruder noch unsern Sieg. Er ließ sich die Truhe, die er aus Ravenna entführt, vom Schloß herabbringen, öffnete und sprach zu mir:
Und mit letztem Atem sprach er: «Mein Bruder! O mein lieber Bruder!» klagte Totila. Er lehnte sich an die Säule. Tränen brachen aus seinen Augen. «Wohl ihm, der noch weinen kann!» sprach Teja leise. Eine Pause des Schmerzes trat ein. «Gedenke deiner Eidpflicht!» rief endlich Hildebrand. «Er war zwiefach dein Bruder! Du mußt ihn rächen!» «Ja», rief Totila aufspringend; und unwillkürlich riß er das Schwert aus der Scheide, dessen Griff ihm Teja hinreichte. «Ich will ihn rächen!» Es war das Schwert Theoderichs. «Und das Reich erneuern!» sprach feierlich, sich hochaufrichtend, der alte Hildebrand und drückte fest die Krone auf Totilas Haupt. «Heil dir, König der Goten!» Totila erschrak. Er griff rasch mit der Linken nach dem goldnen Reif «Was tut ihr?» «Das Rechte! Der Sterbende hat Weissagung gesprochen. Du wirst das Reich erneuern. Drei Siege rufen dich, den Kampf aufzunehmen. Gedenke des Bluteids. Noch sind wir nicht wehrlos. Sollen wir die Waffen aus der Hand legen? Sie vor Verrat und Tücke strecken?» «Nein», rief Totila, «das wollen wir nicht! und wohlgetan ist's, einen König wählen, als Zeichen neuer Hoffnung! - Aber hier steht Teja, würdiger, bewährter denn meine Jugend. Wählt Teja.» «Mich als Bürgen der Hoffnung! Nein!» sagte dieser, das Haupt schüttelnd. «Erst trifft die Reihe dich! Dir hat der Bruder sterbend Schwert und Krone gesendet. Trage sie glücklich. Ist dies Reich zu retten - wirst du es retten. Ist es nicht zu retten so muß noch ein Rächer übrig sein!» «Jetzt aber», fiel Hildebrand ein, «jetzt gilt es, Siegeszuversicht in alle Herzen schimmernd ausstreuen. Das ist dein Amt, Totila. Sieh, leuchtend taucht der junge Tag empor. Der Sonne früheste Strahlen brechen in die Halle und küssen glänzend deine Stirn. Das ist ein Götterzeichen. Heil, König Totila - du sollst das Gotenreich erneuern.» Und der Jüngling drückte sich den Kronhelm fest auf das goldne Lockenhaupt und schwang das Schwert Theoderichs blitzend der Morgensonne entgegen. «Ja», rief er, «wenn Menschenkraft es mag - ich will dies Reich erneuern.»
Und König Totila hat sein Wort gehalten.
Noch einmal hat er die Macht der Goten, deren ganzer Halt in Italien bei seiner Erhebung zusammengeschrumpft war auf drei kleine Städte mit wenigen Tausenden von Bewaffneten, gewaltig aufgerichtet: gewaltiger, als sie zur Zeit Theoderichs gewesen.
Er vertrieb die Byzantiner aus allen Städten der Halbinsel -mit einer verhängnisvollen Ausnahme. Er gewann die Inseln Sardinien, Sizilien, Corsica zurück. Ja, noch mehr: siegreich überschritt er die alten Grenzen des Reichs, und da der Kaiser hartnäckig die Anerkennung des gotischen Reiches und Besitzstandes verweigerte, trugen, ihn zu zwingen, des Gotenkönigs Flotten bis tief in die Provinzen des oströmischen Reiches Schreck und Zerstörung.
Italien aber gewann unter seinem milden Zepter, unerachtet des nie völlig erlöschenden Kriegs, eine Blüte wie in den Tagen Theoderichs.
Und es ist bezeichnend, daß die Sage der Goten und Italier den glücklichen König bald als einen Enkel des Numa Pompilius oder des Titus oder Theoderichs, bald als dessen zur
Wiederherstellung und Beglückung seines Reiches in jugendlicher Gestalt auf die Erde zurückgekehrten Genius feierte.
Wie der Aufgang der Morgensonne aus dunklem Nachtgewölk, Licht und Segen bringend und unwiderstehlich, wirkte seine Erhebung. Die finstern Schatten wichen Schritt für Schritt vor seinem Nahen: Glück und Sieg flogen vor ihm her, und die Tore der Städte, die Herzen der Menschen erschlossen sich vor ihm fast ohne Widerstand.
Die Genialität des Feldherrn, des Herrschers und des Menschen, die in diesem blonden Jüngling geschlummert hatte, die nur von einzelnen, von Theoderich und Teja, geahnt, von niemand in ihrem ganzen Umfang erkannt war, entfaltete sich nun glänzend, da sie vollen Flügelraum erhalten. Das HeiterJugendliche seines Wesens war in den schweren Prüfungen dieser Jahre, in den Schmerzen, die er zu Neapolis, vor Rom erduldet, in der fortwährenden Entbehrung der Geliebten, die ihm jeder Sieg der Byzantiner ferner rückte, zwar nicht ausgelöscht, jedoch in ernstere Männlichkeit vertieft worden. Aber jener schimmernde Grundzug seines Wesens war geblieben und warf den Zauber der Anmut der herzgewinnenden Liebenswürdigkeit über all sein Tun.
Getragen von der eigenen Idealität wandte er sich vertrauend überall an das Ideale in den Menschen. Und unwiderstehlich fanden die meisten, fanden alle nicht von überlegenen feindseligen Dämonen beherrschten Menschen seine zuversichtliche Berufung auf das Edle und Schöne. Wie das Licht erhellt, was es berührt, so schien die Hochherzigkeit dieses lichten Königs sich seinem Hof, seiner Umgebung mitzuteilen und auch die Gegner versöhnend zu ergreifen.
«Er ist unwiderstehlich wie der Sonnengott», riefen die Italier.
Näher betrachtet lag das Geheimnis seiner großen und raschen Erfolge in der Kunst, mit welcher er, zugleich dem innersten
Antrieb seiner Natur folgend, die neu vorgefundene Verbitterung der Italier über den Druck der Byzantiner überall zum Umschlag, zur Dankbarkeit für seine, für die gotische Milde zu steigern und umzulenken verstand.
Wir sehen, wie diese Stimmung das Landvolk, die reichen Kaufleute, die Handwerker in den Städten, die Colonen und kleinen und mittleren Bürger, also weitaus die Mehrzahl der Bevölkerung, bereits ergriffen hatte. Die Persönlichkeit des jungen Gotenkönigs zog sie dann vollends von den byzantinischen Drängern ab, von welchen auch das Waffenglück gewichen schien, seit die Goten mit dem helljauchzenden Schlachtruf: «Totila!» in den Kampf eilten.
Freilich blieb eine kleine Minderzahl unbeugsam: die rechtgläubige Kirche, die keinen Frieden mit den Ketzern kannte, starre Republikaner und der Kern der Katakombenverschwörung: die stolzen römischen Adelsgeschlechter, die Freunde des Präfekten. Aber diese kleine Zahl kam bei dem Abfall der Masse des Volkes nicht in Betracht.
Die erste Tat des neuen Königs war der Erlaß eines Aufrufs an die Goten und an die Italier. Jenen wurde genau dargetan, wie der Fall Ravennas und der Untergang des Königs Witichis nur das Werk überlegener Lüge, nicht überlegener Kraft gewesen, und eingeschärft wurde ihnen die Pflicht der Rache, die bereits drei Siege eröffnet hätten. Die Italier aber wurden aufgefordert, nun, nachdem sie erfahren, welchen Tausch sie durch den Abfall zu Byzanz gemacht, zu ihren alten Freunden zurückzukehren.
Dafür verhieß der König nicht nur volle Verzeihung, auch Gleichstellung mit den Goten. Aufhebung aller bisherigen gotischen Vorrechte, namentlich Bildung eines eignen italischen Heeres und, was durch den Gegensatz besonders wirkte: Befreiung alles italischen Bodens und Vermögens von jeder Steuer bis zur Beendigung des Krieges. Eine Maßregel höchster Klugheit war es ferner, daß, da der Adel byzantinisch, die
Colonatbevölkerung gotisch gesinnt war, jeder römische Edle, der sich nicht binnen drei Wochen den Goten stellte und unterwarf, seines Grundeigentums, zugunsten seiner bisherigen Colonen verlustig erklärt wurde.
Und endlich setzte der König auf jede Mischehe zwischen Goten und Römern eine hohe, aus dem Königsschatz zu zahlende Prämie und versprach Ansiedelung des Paares auf konfisziertem Grundbesitz römischer Senatoren.
«Italia», schloß das Manifest, «blutend aus den Wunden, welche die Tyrannei von Byzanz ihr geschlagen, soll sich erheben unter meinem Schilde. Helft uns, Söhne Italias, unsere Brüder, von diesem heiligen Boden die gemeinsamen Feinde, die Hunnen und Skythen Justinians, vertreiben. Dann soll im neuen Reich der Italier und Goten, gezeugt aus italischen Schönheit und Bildung, aus gotischer Kraft und Treue, ein neues Volk entstehen, desgleichen an Adel und Herrlichkeit noch nie
die Welt geschaut.»
*
Als Cethegus der Präfekt auf seinem Feldbett zu Ravenna, wo ihn die Wunde fesselte, morgens vom Schlaf erwachend, die Nachricht erfuhr von Totilas Erhebung, sprang er mit einer Verwünschung aus den Decken.
«Herr», warnte ihn der griechische Arzt, «du mußt dich schonen... »
«Hörst du nicht? Totila trägt die Gotenkrone! Jetzt ist nicht Zeit, sich zu schonen. Meinen Helm, Syphax.»
Und er riß Lucius Licinius, der die Botschaft gebracht, den Aufruf aus der Hand und las begierig.
«Ist das nicht lächerlich? Nicht Wahnsinn?» meinte dieser.
«Wahnsinn ist es, wenn die Römer noch Römer sind. Aber sind sie's noch? Sind sie es nicht mehr? - Dann schaffen wir -und nicht der Barbarenfürst - ein Werk des Wahns. Diese Probe darf gar nicht gemacht werden. Im Keime muß diese neue Gefahr zertreten werden. Der Streich gegen den Adel und für die Colonen ist ein Meisterstück. Er darf nicht Zeit haben zu wirken. Wo ist Demetrius?»
«Schon gestern abend aufgebrochen, Totila entgegen. Du schliefst, der Arzt verbot, dich zu wecken. Auch Demetrius verbot es.»
«Totila König, und ihr laßt mich schlafen! Wißt ihr nicht, daß dieser Blondkopf der Genius des Gotenvolkes ist? Demetrius will sich den Lorbeer allein holen. Wie stark ist er?»
«Den Goten mehr als zweimal unterlegen: Zwölftausend gegen Fünftausend.» - «Verloren ist Demetrius! Auf, zu Pferd! Bewaffnet alles, was eine Lanze tragen kann. Laßt nur die Wunden auf den Wällen. Dieser Brand Totila muß erstickt werden im ersten Knistern. Sonst löscht ihn kein Ozean von Blut mehr aus. Meine Waffen, zu Pferd.»
«So hab' ich den Präfekten nie gesehen», sagte Lucius Licinius zu dem Arzt. «Es ist wohl das Fieber? Er erbleichte.»
«Er ist fieberfrei.»
«Dann fass' ich's nicht. Denn Furcht kann es nicht sein. Syphax, laß uns ihm folgen.»
Rastlos trieb Cethegus seine Scharen vorwärts. So rastlos, daß nur ein kleines Reitergefolge mit seinem Ungestüm und Pluto, seinem raschen und unermüdlichen Rappen, Schritt halten konnte. In weiten Zwischenräumen folgten Marcus Licinius, Massurius mit des Cethegus Söldnern und Balbus mit den in Eile bewaffneten Bürgern von Ravenna. Denn wirklich nur Greise und Kinder hatte Cethegus neben den Wunden in der festen Stadt zurückgelassen.
Endlich hatte der Präfekt wenigstens Fühlung mit dem Nachtrab des byzantinischen Feldherrn gewonnen. Totila zog von Tarvisium her nach Süden gegen Ravenna. Zahlreiche Haufen bewaffneter Italier, aus den Provinzen Ligurien,
Venetien, Ämilia stießen zu ihm, durch seine Worte aufgerufen zu neuer Hoffnung und neuen Entschlüssen. Sie verlangten seine erste Schlacht gegen die Byzantiner mit schlagen zu dürfen.
«Nein», hatte Totila ihren Führern erwidert, «erst nach der Schlacht faßt euren letzten Entschluß. Wir Goten fechten allein. Siegen wir, so mögt ihr uns folgen. Fallen wir, so soll euch nicht der Byzantiner Rache treffen. Wartet ab.»
Die Verbreitung solch hochsinniger Entscheidung zog neue italische Scharen zu den Goten heran.
Totilas Heer aber verstärkte sich von Stunde zu Stunde auf dem Marsche auch durch gotische Krieger, die einzeln oder in kleinen Scharen, aus der Gefangenschaft entkommen, oder auch aus ihren früher erreichten Verstecken wieder aufbrachen, nachdem sie den Verrat an Witichis und die Erhebung eines neuen Königs, das Wiederaufflammen des Krieges erfuhren.
Bei der Eile, mit welcher Totila vorwärts drängte, die frische Begeisterung seiner Scharen noch unverhüllt zu verwerten, und bei dem Eifer, mit dem Demetrius ihm entgegenflog, um ihn allein zu schlagen, stießen die beiden Heere bald aufeinander.
Bei Pons Padi war es.
Die Byzantiner standen in der Ebene, sie hatten den Fluß, den sie erst mit der Hälfte ihres Fußvolkes überschritten hatten, hinter sich. Da erschienen die Goten auf den sanft geneigten Höhen, den Rücken nach Nordwesten.
Die untergehende Sonne blendete die Byzantiner.
Totila übersah von dem Hügel, dicht vor den Feinden, deren Stellung. «Mein ist der Sieg»! rief er jauchzend, zog das Schwert und jagte mit seiner Reiterei auf die Feinde hernieder, wie der Falke auf seine Beute stößt.
Cethegus hatte bald nach Sonnenuntergang mit seinen Reitern das letzte, verlassene Lager der Byzantiner erreicht. Da jagten ihm schon die ersten Flüchtlinge entgegen. «Wende dein Roß,
Präfekt», rief ihm der erste Reiter zu, der ihn erkannte, «und rette dich. Totila über uns! Er hat Artabazes, dem tapfersten Führer der Armenier, mit eigner Hand Helm und Kopf durchhauen.»
Und unaufhaltsam jagte der Flüchtling weiter.
«Ein Gott vom Himmel führte die Barbaren!» schrie ein zweiter. «Alles verloren! Der Feldherr gefangen! Alles in wilder Flucht.»
«Unwiderstehlich ist dieser König Totila!» rief ein dritter und wollte an dem Präfekten vorbei, der den Weg versperrte.
«Sag's in der Hölle weiter!» sprach Cethegus und stieß ihn nieder. «Vorwärts!»
Aber kaum ausgesprochen, nahm er den Befehl zurück.
Denn schon fluteten in dichten Massen die geschlagenen Byzantiner, den ganzen Wald erfüllend, zurück und ihm entgegen. Der Präfekt erkannte: unmöglich war's mit seinem Häuflein die Flucht der Tausende aufzuhalten. Eine Zeitlang sah er unschlüssig dem Gewoge zu.
Schon wurden die gotischen Verfolger in der Ferne sichtbar. Da erreichte ihn verwundet Vitalius, ein Heerführer des Demetrius. «O Freund», rief ihn dieser an. «Da ist kein Halten mehr! Das flutet fort bis Ravenna!»
«Ich glaub' es selbst», sprach Cethegus. «Sie werden die Meinen eher mit sich fortreißen als stehen.»
«Und doch verfolgt uns nur die Hälfte der Sieger, unter Teja und Hildebrand. Der König wandte noch auf dem Schlachtfeld um. Ich sah ihn abziehen. Er schwenkte nach Südwesten.»
«Wohin?» fragte Cethegus aufmerksam, «sag' nochmal an! In welcher Richtung?»
«Nach Südwesten bog er aus!»
«Er will nach Rom!» rief Cethegus und riß den Hengst herum, daß er bäumend hochstieg. «Folgt mir! Zur Küste!»
«Und das geschlagene Heer? Ohne Führer!» rief Lucius Licinius, «sieh, wie sie fliehen!»
«Laß sie fliehen! Ravenna ist fest! Es wird sich halten. Hört ihr denn nicht? Der Gote will nach Rom! Wir müssen vor ihm dort sein. Folgt mir! An die Küste, der Seeweg ist frei! Nach Rom!»
Lieblich ist - und weit berühmt ob seiner Lieblichkeit - das Tal, in welchem die Passara von Norden her in die von Westen nach Südosten eilende Athesis rinnt. Wie eine vorgebeugte, nach dem schönen Südland sehnende Gestalt neigt sich in der Ferne auf deren rechten Ufer die Mendola heran.
Hier, oberhalb des Einlaufs der Passara, lag die römische Siedlung Mansio Majä. Noch etwas weiter flußaufwärts, auf beherrschendem Fels die Burg Teriolis. Heute heißt - von einem Berg «Muhr» oder «Mar» (Rutsche) - die Stadt Meran. Die Burg hat der Grafschaft Tirol den Namen gegeben. «Mansio Majä» klingt heute noch fort in dem Orte Mais, dem villenreichen.
Damals aber lag in dem Castrum Teriolis ostgotische Besatzung: wie in all den alten rätischen Felsennestern an der Athesis, Isarcus und Önus zur Abwehr der räuberischen Sueven, Alamannen und Markomannen oder, wie sie bereits genannt wurden: «Bajuvaren», die in Rätien, am Licus und am untern Lauf des Önus saßen.
Aber auch abgesehen von der Besatzung der Kastelle waren gerade hier in dem fruchtreichen milden Tal, auf den nicht allzu schroffen, weidereichen Berghöhen ostgotische Sippen in großer Zahl angesiedelt worden.
Noch heute ze ichnet die Bauern vom Meraner, Ultner und Sarntal eine seltne, edle, ernste Schönheit aus. Viel feiner, vornehmer und vertiefter als der bajuvarische Schlag am Inn,
Lech und Isar sind die schweigsamen Leute. Mundart und Sage bestätigen die Annahme, daß hier ein Rest verschonter Goten fortblüht. Denn die Amalungensage, Dietrich von Bern und der Rosengarten lebt noch in den Ortsnamen und der Überlieferung des Volks.
Auf einem der höchsten Berge an dem linken Ufer der Athesis hatte sich voreinst der Gote Iffa niedergelassen: sein Geschlecht baute da fort. Der «Iffinger» heißt heute noch der Berg.
Auf dem Südabhang in halber Höhe des Berges war die schlichte Siedlung errichtet. Der gotische Einwanderer hatte bereits Kulturen hier angetroffen. Das rätische Alpenhaus, das schon Drusus vorgefunden, als er die sarenischen Bergvölker bezwang, charakteristisch und wohlgeeignet für die Alpen, hatte auf den Höhen keine Änderungen erfahren durch die römische Eroberung, die im Tal ihre Villen baute und auf den beherrschenden Felshügeln ihre Warttürme.
Die ganz romanisierten Bewohner des Etschtales waren nach der ostgotischen Einwanderung ruhig in ihren Sitzen geblieben. Denn nicht hier, sondern weiter östlich, von der Save her, über den Isonzo, waren die Goten in die Halbinsel eingedrungen, und erst nachdem Ravenna und Odoaker gefallen, hatte Theoderich in friedlich geregelter Ordnung seine Scharen auch über Norditalien und das Etschland verbreitet.
So hatten auch Iffa und die Seinen auf dem damals noch sarenisch benannten Berg sich mit den vorgefundenen römischen Ansässigen friedlich geteilt. Ein Drittel von Ackerland, Wiese und Wald, den dritten Teil von Haus, Sklaven und Vieh hatte auch hier, wie überall, der gotische Ankömmling vom römischen Wirt in Anspruch genommen. Im Lauf der Jahre jedoch hatte der römische Hospes diese nahe unfreiwillige Nachbarschaft mit den Barbaren unbequem gefunden. Er überließ den Goten gegen dreißig Paare der ausgezeichneten, aus Pannonien mitgeführten Rinder, die der Germane so trefflich zu züchten verstand, den Rest seines Eigens auf dem Berge und zog sich weiter gen Süden, wo die Römer dichter nebeneinander saßen.
So war nun der Berg der Iffinger ganz germanisch geworden. Denn plötzlich hatte einmal der jetzige Herr auch die wenigen römischen Sklaven verkauft und neue Knechte und Mägde germanischen Stammes, gefangene Gepiden, angeschafft. Dieser jetzige Herr der Siedlung hieß wieder Iffa, wie der Ahn. Er lebte einsam, ein silberhaariger Mann: ein Bruder, sein Weib und eine Schwiegertochter waren vor langen Jahren durch einen Bergsturz begraben worden. Ein Sohn, ein jüngerer Bruder und dessen Sohn waren König Witichis' Waffenruf gefolgt und nicht wiedergekehrt von der Belagerung Roms. So waren ihm nur seine beiden Enkelkinder geblieben, des gefallenen Sohnes Knabe und Mädchen.
Die Sonne war prachtvoll niedergegangen hinter den Bergen, die in weiter duftiger Ferne den Süden und Westen des unvergleichlichen Etschtales begrenzen.
Warmer rotgoldner Schimmer lag über dem mürben Porphyr der Berge, daß er erglühte wie dunkelroter Wein.
Da stieg langsam, Schritt vor Schritt, immer wieder anhaltend und, die Hand über die Augen gelegt, in den flimmernden Sonnenuntergang schauend, ein Kind - oder war es schon ein Mädchen? -, eine Schar Lämmer vor sich hertreibend, den Rasenhang hinan, auf dessen Höhe seitab vom Wohnhaus die Stallungen lagen.
Sie ließ ihren Schutzbefohlenen immer wieder Zeit, mit wählerischem Zahn die würzigen Alpenkräuter zu rupfen auf ihrem Weg, und schlug mit der Haselgerte, die sie statt des Hirtenstabes trug, den Takt zu der uralten und einfachen Melodie des Liedchens, das sie leise sang:
«Liebe Lämmer, laßt euch leiten Von der Hirtin Hand, gehorsam, Wie des Himmels lichte Lämmer, Wie die Sterne still und stete Fromm und friedlich ihrem hehren Hirt gehorchen:
mühlos meistert, Mühlos mustert sie der Mond.»
Sie schwieg nun und sah mit vorgebeugtem Köpfchen in die tief eingeschnittene Schlucht zu ihrer Linken, die der hier abwärts fließende Wildbach in den Hang gefurcht hatte: jetzt, im Sommer, war er nur halb gefüllt: drüben stieg die Anhöhe wieder steil empor.
«Wo er nur ist?» fragte sie. «Sonst klettern seine Ziegen immer schon die Halde herab zurück, wann die Sonne zu Golde gegangen. Bald welken meine Blumen.»
Und sie setzte sich nun auf einen Steinblock am Wege, ließ die Lämmer noch grasen, legte die Haselgerte neben sich und ließ einen Schurz von Schaffell, den sie bisher mit der Linken aufgenommen hatte, niedergleiten: da fielen die schönsten Blumen der Alpen in dichten Flocken vor ihr nieder. Sie begann einen Kranz zu flechten.
«Der blaue Speik steht seinem braunen Haar am besten», sagte sie eifrig windend. «Ich werde viel früher müde, wenn ich allein treibe, als wenn er dabei ist. Und doch klettern wir dann viel höher. Möchte wohl wissen, wie das kommt. Und wie mich die nackten Füße brennen! Ich könnte wohl einmal hinabsteigen in den Wildbach, sie zu kühlen. Und da sehe ich ihn auch gleich, wenn er drüben auf den Hang treibt. Die Sonne sticht nicht mehr.»
Und sie streifte das breite große Lattichblatt ab, das sie bisher statt eines Hutes getragen. Da ward die schimmernde Farbe des ganz weißblonden Haares sichtbar, das sie, von den Schläfen zurückgestrichen, mit einem roten Bande hinter dem Wirbel zusammengebunden und bisher unter dem umgebogenen Blatt geborgen hatte. Wie eine Flut von Sonnenstrahlen rieselte es nun über ihren Nacken, den nur ein weißes Wollenhemd bedeckte, das, um die Hüften mit breitem Ledergurt zusammengehalten, nur wenig über die Knie reichte.
Sie maß die Länge ihres Kranzes an dem eignen Haupt.
«Freilich», sagte sie, «sein Kopf ist größer! Noch diese Alpenrosen dazu!»
Und nun verknüpfte sie die beiden Enden des Kranzes mit zierlichem Bandgras, sprang auf, schüttelte die letzten Blumen aus dem Lederschurz, nahm den Kranz in die Linke und wandte sich, den steilen Abhang hinabzusteigen, an dessen Fuß der Bach an das Gestein toste.
«Nein, bleibt nur hier oben und wartet! Auch du bleib, Weiß-Elbchen, Liebling. Gleich komm' ich wieder.»
Und sie trieb die Lämmer zurück, die ihr folgen wollten und nun blökend der Herrin nachsahen.
Behend kletterte und sprang die Wohlgeübte den steinigen Abhang der Schlucht hinab, bald sich mit den Händen an zähem Gesträuch, Seidelbast und Goldweide haltend, bald kühnlich von Stein zu Steinplatte springend.
Unter ihrem Sprung bröckelte das mürbe Gestein, und die Trümmer polterten hinab - da, als sie den rollenden nachhüpfte, hörte sie plötzlich von unten ein scharfes, drohendes Zischen. Und eh' sie wenden konnte, bäumte sich, wohl von einem Stein unsanft aus der Sonnung gestört, eine große kupferbraune Schlange hoch gegen sie empor. Das Kind erschrak, die hurtigen Knie versagten, und laut aufschreiend rief sie: «Adalgoth, zu Hilfe! zu Hilfe!»
Auf diesen Angstton folgte sofort als Antwort ein heller Ruf: «Alarich! Alarich!» was wie ein Schlachtruf klang. -
Es knackte in den Gebüschen zur Rechten, Steine rollten den Hang hinab, und pfeilgeschwind flog zwischen die züngelnde Schlange und das ängstlich weichende Mädchen ein schlanker Bube in zottigem Wolfsvließ. Hoch schwang er den starken Bergstock gleich einem Speer, und so wohlgezielt war sein Stoß, daß die Eisenspitze den schmalen Kopf der Natter in die Erde bohrte. Ihr langer Lieb ringelte zuckend um den tödlichen Schaft.
«Gotho, du bist doch heil?» - «Dank dir, du Treuer!» - «Dann laß mich den Schlangenspruch sprechen, solang die Natter noch zuckt, das bannt ihre Gesippen auf drei Stunden im Umkreis.»
Und er sprach, die drei ersten Finger der rechten Hand wie beschwörend erhoben, den uralten Spruch:
«Warte, du Wolf-Wurm! Zapple, Gezücht! Beiße den Boden, Giftigen Geifers; Männer und Maide Sollst du nicht sehren: Nieder, du Neiding, Du nichtige Natter, Nieder zur Nacht: Hoch ob den Häupten Schuppiger Schlangen Schreitet das schimmernde Gotengeschlecht.»
Als er zu Ende gesprochen und sich neigte, die tote Schlange zu prüfen, drückte ihm rasch die Gerettete ihren Kranz auf das goldbraune, kurzkrause, dichte Haar.
«Heil, Held und Helfer! Sieh, der Siegeskranz war schon vorher gewunden. Eia, wie schön steht dir die blaue Krone.» Und sie schlug freudig bewundernd die Hände zusammen.
«Du blutest am Fuße!» sprach er besorgt, «laß mich die Wunde saugen - wenn dich der Giftwurm gebissen!» - «'s ist nur ein scharfer Stein. Möchtest wohl lieber du sterben?»
«Für dich, Gotho, wie gerne doch! Aber unschädlich wäre das Gift im Munde. Nun, laß dir die Wunde waschen: ich habe noch Essig und Wasser hier in der Lederflasche. Und dann leg' ich dir Salbei drauf oder heilsame Wegewarte.»
Und zärtlich drückte er sie nieder auf das Gestein, kniete vor ihr, hob den nackten Fuß sorgsam in seine linke Hand und pflegte ihn, die Mischung aus dem Kugelrund drauf träufend. Dann sprang er auf, suchte auf dem Rasen und kam bald mit den gefundenen Kräutern zu ihr zurück, mit den Lederriemen, die er sich vom eignen Fuße löste, die Blätter sorgsam über die kleine
Wunde bindend.
«Wie gut du bist, Lieber!» sagte sie, sein Haupt streichelnd. -«Nun laß dich tragen - nur den Hang hinauf!» bat er. «Ich halte dich so gern auf meinen Armen.»
«Was nicht gar!» lachte sie aufspringend. «Bin kein wundes Lamm! Sieh, wie ich laufen kann. Aber wo sind deine Ziegen?»
«Dort kommen sie aus den Wacholderbüschen. Ich rufe sie!» Und er setzte das Hirtenrohr an den Mund und blies einen schrillen Ton, den Bergstock im Kreise über dem Haupte schwingend. In eilfertigen Sprüngen kamen die starken Ziegen herbei: - sie scheuten die Strafe! Und aus der Tasche einen dünnen Streifen Salz auf die Erde streuend, den die Tiere, gierig leckend, verfolgten, schritt er nun, den Arm zärtlich um des Mädchens Nacken gelegt, den Hang hinauf.
«Sag' mir nur, Lieber», fragte sie, oben angelangt und die Lämmer sammelnd, «weshalb du heute wieder den Drachen ansprangst mit dem Ruf: «Das ist mein Schlachtruf!» «Wer hat ihn dich gelehrt?» «Der Ahn, da er mich zum erstenmal mitnahm auf die Wolfsjagd: als ich mir hier das Vließ von Meister Isgrimms Rippen holte. Da sprach er, als ich, «Heißt aber doch keiner unsrer Ahnen und Gesippen so, Bruder! Wir kennen doch ihre Namen alle.» Und nun hatten sie die Stallungen erreicht, die Tiere hineingetrieben und sich vor der Türe des Wohnhauses, vor dem offenen Fenster, auf die Holzbank gesetzt, welche die Vorderseite des Hauses auf beiden Seiten der Haustüre umzog. «Da ist», zählte das Mädchen nachdenkend auf, «Iffamer, unser Vater, Wargs der Ohm, den der Berg verschüttet hat, Iffa der Ahn, Iffamuth, der andre Ohm, Iffaswinth, dessen Sohn, unser Vetter, und Iffarich, der Großahn und wieder Iffa - aber kein Alarich.» «Und doch ist mir noch wie ein Dämmertraum aus der Zeit, da ich zuerst auf dem Berg umherzulaufen anfing, aus der Zeit vor dem großen Bergfall, der den starken Oheim Wargs begrub, als hätte ich den Namen oft gehört. Und er gefällt mir. Und der Ahn hat mir erzählt von einem Heldenkönig dieses Namens, der zuerst vor allen Helden die Romaburg bezwang: - du weißt, die Stadt, von welcher unser Vater und der Oheim Iffamuth und der Vetter Iffaswinth nicht wiedergekehrt sind, - und der dann früh verstarb, wie Siegfried, der Schlangentöter und Baldur, der Heidengott. Und sein Grab ist in einem tiefen Fluß. Da liegt er, auf goldenem Schild, unter seinen Schätzen: und hohes Schilf wogt darüber hin. Und nun hat sich ein andrer König aufgetan, der heißt Totila, wie die Heermänner, welche die Besatzung drüben in Schloß Teriolis ablösten, erzählten. Der soll sein wie jener Alarich und wie Siegfried und wie der lichte Sonnengott. Und ich, hat der Ahn gesagt, soll auch ein Kriegsmann werden, und einst hinabziehn zu König Totila und unter die Feinde stürmen mit dem Ruf Und ich möchte doch noch viel stolzere Weisen singen. Und ich kann gar nicht genug erzählen hören von den Heermännern drüben in der Burg,von den Siegen des Sonnenkönigs Totila. Neulich hab' ich dem alten Hunibad, den der König zur Pflege seiner Wunden hierher in die Ruhe geschickt hat, den schönsten Berghirsch geschenkt, den ich erlegt, dafür daß er mir die Schlacht an der Padusbrücke zum drittenmal erzählt. Und wie König Totila selbst den finstern Höllenkönig, den schrecklichen Cethegus, überwindet. Und ich habe schon ein Harfenlied davon gedichtet, das hebt an: Aber weiter geht es noch nicht. Und ich kann auch nicht allein weiter dichten. Ich brauche einen kundigen Meister für Wort und Harfe. Und auf den Speerschwinger Teja, den sie den schwarzen Grafen nennen, und der wunderbar die Harfe schlagen soll, möcht' ich auch ein halbfertiges Lied vollenden. Und ich wäre schon lang - aber das sag' ich nur dir -davongegangen, ohne den Ahn zu fragen, der immer noch sagt: ich bin zu jung. Wenn mich eins nicht hier hielte.» Und er sprang hastig auf. «Was denn, Bruder?» fragte Gotho, ruhig sitzen bleibend und ihn aus großen hellblauen Augen voll ansehend. «Ja, wenn du's nicht weißt», - sprach er fast zornig, «sagen kann ich's dir nicht. - Ich muß hinüber und neue Pfeilspitzen schmieden in der Schmiedhütte. Gib mir noch einen Kuß, so! Und laß nun dir noch einen auf jedes Auge legen! Und einen auf das lichte Haar! Fahr wohl, lieb Schwesterlein, bis zum Nachtmahl.» Und er eilte hinweg von ihr nach einem Nebengebäude, vor dessen Tür ein Schleifstein und allerlei Arbeitsgerät stand. Gotho stützte die Wange auf die Hand und sah vor sich hin, dann sagte sie laut: «Ich kann's nicht raten. Denn mich würd' er ja mitnehmen, natürlich. Wir könnten ja gar nicht leben ohne einander.» Sie stand mit einem leichten Seufzer auf und wandte sich dem Wiesgrund neben dem Hause zu, nach dem Linnen zu sehen, das dort zur Bleiche lag. Aber im Wohnhaus hinter dem offenen Fenster erhob sich jetzt der alte Iffa. Er hatte alles mit angehört. «Das tut kein gut mehr!» sprach er, sich lebhaft den Kopf reibend. «Hab's immer nicht über das Herz gebracht, die Kinder zu trennen. Waren ja Kinder! Hab' immer noch ein Weilchen gewartet. Und jetzt hätt' ich gar schon bald ein Weilchen zu lang gewartet. Fort mit dir, jung Adalgoth!» Und er trat aus dem Wohnhaus und schritt langsam hinüber in die Schmiede. Er fand den Knaben in eifriger Arbeit. Mit vollen Backen blies er in die Kohlenglut am Schmiedeherd und hielt dann die schon roh bearbeiteten Pfeilspitzen hinein, sie zu erweichen und hämmerbar zu glühen. Dann griff er mit der Zange die Spitze heraus, legte sie auf den Schmiedknecht, den Amboß, und hämmerte zierlich ihre Spitzen und Widerhaken zurecht. Er nickte nur stumm dem eintretenden Großvater zu, ohne sich in der Arbeit stören zu lassen. Tapfer hieb er auf den Amboß, daß die Funken sprühten. «Nun», dachte der Alte bei sich, «jetzt denkt er doch nur an Pfeil und Eisen.» Aber plötzlich schloß der junge Schmied mit einem sausenden Streich, warf den Hammer weg, strich sich über die glühende Stirn und fragte, rasch gegen Iffa sich wendend: «Ahn, woher kommen die Menschen?» «Jesus, Wodan und Maria!» rief der Alte und trat erschrocken einen Schritt zurück. «Bub, wie kommst du auf solche Gedanken?» «Die Gedanken kommen zu mir, nicht ich zu ihnen. Ich meine nämlich die ersten Menschen, die allerersten. Der lange Hermegisel da drüben in Teriolis, der aus der Arianerkirche zu Verona davongelaufen ist und schreiben und lesen kann, sagt: der Christengott habe in einem Baumgarten einen Mann aus Lehm gemacht und aus dessen Rippe, da er schlief, ein Weib. Das ist zum Lachen. Denn aus einer noch so langen Rippe kann man kein noch so kleines Mädchen machen.» «Ja, ich glaub's auch nicht!» gestand der Alte, nachdenklich. «'s ist schwer vorzustellen. Und ich erinnere mich: mein Vater hat einmal gesagt, an einem Abend am Herdfeuer, die ersten Menschen seien auf den Bäumen gewachsen. Der alte Hildebrand aber, der sein Freund war, obzwar tüchtig älter - und der von Tridentum her auf einem Streifzug gegen die wilden Bajuvaren hier eingekehrt war, und der zunächst am Herde saß, - denn es war noch früh im Jahr und sehr rauh und kalt -, der sagte: mit den Bäumen, das sei richtig. Aber nicht gewachsen seien die Menschen darauf, sondern zwei Heidengötter - «Das will ich schon lieber glauben! Aber jedenfalls waren da anfangs der Menschen sehr wenige?» - «Gewiß.» - «Und es gab nur eine Sippe anfangs?» - «Sicher!» - «Und die Alten starben meistens vor den Jungen?» - «Freilich.» - «Dann will ich dir was sagen, Ahn. Dann mußten die Menschen entweder aussterben. Oder, da sie noch da sind - und siehst du, da wollt' ich drauf hinaus -, mußten Bruder und Schwester sich oft heiraten, bis mehrere Sippen entstanden.» «Adalgoth, dich reiten die Elben, du redest wirr.» «Ganz und gar nicht. Und kurz und gut: wenn's früher geschehen konnte, kann's auch heute noch geschehen. Und ich will meine Schwester Gotho zum Weibe haben.» Der Alte sprang auf ihn zu und wollte ihm den Mund verhalten. Aber der Jüngling wich ihm aus. «Ich weiß schon alles, was du sagen willst. Hier kämen die Priester von Tridentum wohl bald dahinter. Und dann des Königs Graf. Aber ich kann ja mit ihr in ein fernes Land ziehen, wo uns niemand kennt. Und sie geht schon mit, das weiß ich.» «So, das weißt du auch schon?» «Ja, das weiß ich.» «Aber das weißt du noch nicht», sprach nun ernst und entscheidend der Alte, «daß diese Nacht die letzte ist, die du hier zubringst auf dem Berg der Iffinger. Auf, Adalgoth, ich gebiete dir: dein Ahn und dein Mundwalt. Du hast eine Ehrenpflicht, die Pflicht heiliger Rache, zu erfüllen am Hofe König Totilas und in seinem Heer: einen heiligen Auftrag des Oheim Wargs, der unterm Berg verschüttet liegt - einen Auftrag deines - Ahns. Du bist nun reif und stark genug, ihn zu erfüllen. Morgen, mit dem ersten Tagesgrauen, brichst du auf nach Süden, nach Italia, wo König Totila das Unrecht straft, dem Recht zum Siege hilft und den Neiding Cethegus niederkämpft. Folg' mir in meine Kammer. Dort hab' ich dir ein Kleinod einzuhändigen von Oheim Wargs und manches Wort noch auf den Weg zu geben. Manch Wort des Rates und der Rache. Vor Gotho aber schweige. Mach' ihr das Herz nicht schwer. Befolgst du meine und deines Oheims Worte, wirst du ein starker, freudiger Held werden an König Totilas Hof. Und dann, aber auch nur dann, wirst du auch Gotho - wiedersehen.» Tiefernst, bleich geworden folgte der Jüngling dem Ahn in das Haus. Lang sprachen sie dort leise in des Alten Kammer. Bei dem Nachtmal fehlte Adalgoth. Er habe sich, mehr müde als hungrig, schon schlafen gelegt, ließ er der Schwester sagen durch den Ahn. Aber nachts, da sie schlief, trat er auf leisen Zehen in ihr Gemach. Der Mond warf einen zarten Strahl auf ihr engelhaftes Angesicht. Auf der Schwelle blieb er stehen. Nur die Rechte streckte er nach ihr aus. «Ich seh' dich wieder», sprach er, «meine Gotho!» Und er überschritt bald die Schwelle des schlichten Alpenhauses. Noch begannen kaum die Sterne zu bleichen: frisch, stählend wehte die Nachtluft des Berges um seine Schläfe. Er sah in den schweigenden Himmel. Da schoß ein Stern in hohem Bogen über sein Haupt. Gen Süden flog er nieder. Da erhob der Jüngling den Hirtenstab in der Rechten: «Dorthin rufen mich die Sterne! Nun wahre dich, Neiding Cethegus!»
Der Präfekt hatte nach der Schlacht an der Padusbrücke Boten seinen nachrückenden Scharen entgegengeschickt, die zunächst seine Söldner, dann auch die langsamer folgenden Bürger von Ravenna nach dieser Stadt zurückwiesen. Die flüchtenden Truppen des Demetrius überließ er ihrem Schicksal. Totila hatte alle Feldzeichen und Fahnen der zwölf Tausend erbeutet, «was den Römern nie zuvor geschah», schreibt Prokopius zürnend.
Cethegus selbst eilte mit seinem geringen Gefolge quer durch die Ämilia an die Westküste von Italien, die er bei Populonium erreichte, bestieg ein rasches Kriegsschiff und ließ sich von einem starken Nordnordwest, den, wie er sagte, die alten Götter Latiums gesendet, nach dem Hafen von Rom, Portus, tragen.
Auf dem Landweg hätte er nicht mehr durchdringen können: denn nach dem Sieg Totilas an der Padusbrücke fiel ganz Tuscia und ganz Valeria den Goten zu, das Flachland rückhaltlos, und auch die Städte, die nicht starke byzantinische Besatzung in
Zaum hielt.
Bei Mucella, einen Tagmarsch von Florenz, schlug der König nochmal ein starkes Heer der Byzantiner unter elf uneinigen Führern, welche die kaiserlichen Besatzungen der tuscischen Städte zusammengerafft hatten, ihm den Weg zu verlegen. Mit Mühe entkam der Oberfeldherr Justinus nach Florentia. Der König behandelte seine zahlreichen Gefangenen mit solcher Güte, daß sehr viele derselben, Italier und kaiserliche Söldner, in seine Dienste traten. Und nun waren alle Straßen von Mittelitalien bedeckt von neu zu den Waffen eilenden Goten und von Colonen, die, unter deren Anführung, Totilas Märschen gegen Rom folgten.
In dieser Stadt angelangt, hatte Cethegus sofort alle Anstalten zur Verteidigung getroffen. Denn im Fluge nahte nun, nach dem zweiten Siege, bei Mucella, König Totila, aufgehalten fast nur noch durch die Huldigungen der Städte und Kastelle auf seinem Wege, die wetteifernd und jubelnd ihm die bei seinem Eintritt bekränzten Tore erschlossen. Die wenigen Burgen, die, von starken byzantinischen Besatzungen gehalten, widerstanden, wurden eingeschlossen von kleinen Abteilungen, die Totila aus Italiern bildete, durch wenige gotische Kerntruppen zusammengehalten.
Er konnte dies, da seine Macht während des Zuges auf Rom von allen Seiten, einem Strome gleich, große und kleine Zuflüsse von Goten und Italiern erhielt.
Zu Tausenden eilten die italischen Colonen, die er frei erklärt, zu seinen Fahnen. In kleinen Städten erhoben sich die Bürger gegen die byzantinische Besatzung, entwaffneten sie oder zwangen sie zum Abzug. Ja, sogar Söldner Belisars, die seit dessen Entfernung monatelang von den kaiserlichen Logotheten keinen Sold erhalten hatten, boten nun den Goten ihre Waffen an.
So war es ein sehr ansehnliches Heer von Goten und Italiern, das Totila, wenige Tage nach dem Eintreffen des Präfekten, vor die Tore Roms führte.
Mit lautem Jubel wurden bald darauf in dem gotischen Lager der tapfere Wölsung Herzog Guntharis, Wisand der Bandalarius, Graf Markja und der alte Grippa begrüßt, deren Auswechselung gegen den an der Padusbrücke gefangenen kaiserlichen Oberfeldherrn und mehrere seiner Heerführer Totila bei Constantianus und Johannes, den Befehlshabern von Ravenna, erwirkt hatte.
Auf Cethegus aber fiel nun die fast unlösbare Aufgabe, seine großartig angelegten Befestigungen hinlänglich zu bemannen. Fehlte ihm doch nicht bloß das ganze Heer Belisars - auch der größte Teil der eignen Söldner, die erst allmählich auf dem Seeweg von Ravenna her in dem Hafen Portus eintrafen. Um den ganzen Kreis der weiten Umwallung auch nur notdürftig zu decken, mußte Cethegus den römischen Legionären nicht nur ungewohnte und unerwartete Anstrengungen unabgelösten Wachdienstes zumuten - er mußte auch deren Zahl durch Gewaltmaßregeln erhöhen.
Vom sechzehnjährigen Knaben bis zum sechzigjährigen Greise rief er «alle Söhne des Romulus, Camillus und Cäsar zu den Waffen, die Heiligtümer der Väter zu schirmen wider die Barbaren».
Aber sein Aufruf wurde kaum gelesen und verbreitet und führte ihm nur wenige Freiwillige zu, während er mit Ingrimm sah, wie das Manifest des Gotenkönigs, das jede Nacht an vielen Stellen über die Mauern flog, überall umlief und vor dichten Gruppen verlesen wurde: so daß er zornig befahl, jeden mit Einziehung des Vermögens oder Verknechtung zu strafen, der das Manifest aufhöbe, anschläge, vorlese, verbreite. Aber es lief doch überall um, und seine in allen «Regionen» der Stadt ausgelegten Listen der Freiwilligen blieben leer.
Da schickte er seine Isaurier in alle Häuser und ließ Knaben und Greise mit Gewalt auf die Wälle schleppen: bald war er mehr gefürchtet, ja, gehaßt als geliebt. Nur seine eiserne Strenge und das allmähliche Eintreffen seiner isaurischen Söldner hielt noch die Unzufriedenheit der Römer nieder.
In dem Gotenlager aber überholte eine Glücksbotschaft die andre.
Teja und Hildebrand hatten die Byzantiner bis vor die Tore von Ravenna verfolgt. Diese Stadt verteidigten der wieder freigegebene Demetrius und Johannes der Blutige, und die Hafenstadt Constantianus gegen Hildebrand, der Ariminum im Vorüberziehen gewonnen, da die Bürger die armenischen Söldner des Artasires entwaffneten und die Tore öffneten. Teja aber schlug und tötete im Zweikampf den tapfern Byzantiner Feldherrn Verus, der mit auserlesenen pisidischen und kilikischen Söldnern ihm den Übergang des Santernus verwehren wollte, durchzog ganz Norditalien, den Aufruf Totilas in der Linken, das drohende Schwert in der Rechten: und in wenigen Wochen waren alle Städte und Burgen bis auf Mediolanum zur Unterwerfung gewonnen oder geschreckt.
Totila, durch die Erfahrung der ersten Belagerung gewitzigt, wollte sein Heer einem Sturm auf die furchtbaren Werke des Präfekten nicht aussetzen und auch seine künftige Hauptstadt nicht den Zerstörungen stürmender Einnahme preisgeben. «Auf hölzernen Brücken, auf linnenen Flügeln gelang' ich nach Rom!» so rief er eines Tages Herzog Guntharis zu, überließ diesem die Einschließung der Stadt, brach auf mit der ganzen Reiterei und eilte nach Neapolis. In diesem Hafen lag, schwach bemannt, eine kaiserliche Flotte.
Einem Triumphzug, nicht einem Feldzug, glich Totilas Marsch auf der appischen Straße durch Unteritalien. Diese Gegenden, die am längsten unter dem Joche der Byzantiner litten, waren am meisten bereit, nun die Goten als Befreier zu begrüßen.
Mit Blumengebinden zogen die Jungfrauen von Terracina dem schönen Gotenkönig entgegen. Das Volk von Minturnä fuhr, ihm zum Empfang, einen vergoldeten Wagen hinaus, hob ihn vom weißen Roß und zog ihn auf dem Wagen jubelnd in die Tore. «Sehet hin» - scholl es in den Straßen von Casilinum, einer alten Kultstätte der campanischen Diana -, «Phöbus Apollo ist niedergestiegen vom Olymp und hält befreienden Einzug in der Stadt seiner Schwester.» Die Bürger von Capua aber baten ihn, die ersten Goldmünzen seines Königsnamens in ihrer Münze zu prägen mit der Umschrift: «Capua revindicata».
So ging es fort bis Neapolis: dieselbe Straße, die er dereinst, ein Flüchtling, verwundet, in nächtlicher Hast zurückgelegt. Der Befehlshaber der armenischen Söldner in der Stadt, einer sehr tapfern, aber schwachen Schar, der Arsakide Phaza, wagte nicht, der Bevölkerung für den Fall einer Belagerung zu trauen.
Er führte seine Lanzenträger und bewaffnete Bürger von Neapolis dem König zur offenen Feldschlacht entgegen.
Da, vor dem Beginn des Gefechts, ritt ein Reiter auf weißem Roß aus der Schlachtreihe der Goten, nahm den Helm vom Haupt und rief: «Kennt ihr mich nicht mehr, ihr Männer der parthenopäischen Stadt? Ich bin Totila. Ihr habt mich geliebt, da ich der Seegraf eures Hafens war. Ihr sollt mich segnen als euren König. Gedenkt ihr nicht mehr, wie ich eure Weiber und Kinder auf meinen rettenden Schiffen geflüchtet vor den Hunnen Belisars? Vernehmt: diese eure Frauen und Töchter, sie sind abermals in meiner Hand; nicht als Schützlinge, als Gefangene. Nach Cumä habt ihr sie gebracht, in das feste Schloß, sie vor den Byzantinern zu schützen, vielleicht auch vor mir. Wisset aber: Cumä hat sich mir ergeben, und alle dorthin Geflüchteten sind in meine Gewalt gefallen.
Man riet mir: sie als Geiseln zu behalten, euch und die andern Städte zur Ergebung zu zwingen. Das widerstrebt mir. Frei ließ ich sie alle - nach Rom hab' ich die Frauen der römischen Senatoren geleiten lassen. Nur eure Weiber und Kinder, ihr
Männer von Neapolis, hab' ich in mein Lager kommen lassen, nicht als Geiseln, nicht als Gefangene: - als meine Gäste. Sehet hin: dort strömen sie aus meinen Zelten. Öffnet die Arme, sie zu empfangen, sie sind frei.
Wollt ihr jetzt gegen mich kämpfen? Ich kann's nicht glauben! Wer ist der erste unter euch, der zielt auf diese Brust?» Und weit schlug er den weißen Mantel auseinander.
«Heil König Totila dem Gütigen!» war die jubelnde Antwort. Und das heißblütige Völklein warf die Waffen nieder, strömte heran, begrüßte jubelnd die befreiten Frauen und Kinder und küßte dem jungen König den Saum des Mantels und die Füße.
Der Führer der Söldner ritt zu ihm heran. «Meine Lanzen sind umringt und zu schwach, allein zu kämpfen. Hier, o König, nimm mein Schwert: ich bin dein Gefangener.»
«Nicht also, tapfrer Arsakide! Du bist unbesiegt - deshalb auch ungefangen. Zieh ab, wohin du willst, mit deiner Schar.»
«Ich bin besiegt und gefangen durch deines Herzens Hoheit und deiner Augen lichten Glanz: verstatte, daß wir fortan für deine Fahne fechten.» Eine auserlesene Kriegerschar war so Totila gewonnen, die fortan treu bei ihm aushielt.
Unter einem Regen von Blumen hielt er seinen Einzug durch die Porta nolana. Noch bevor Aratius, der Befehlshaber der Flotte im Hafen, die Anker seiner Kriegsschiffe lichten konnte, war deren Bemannung von den zahlreichen Matrosen der vielen neben ihnen liegenden Handelsschiffe der Kaufleute - alter Bewunderer und dankbarer Schützlinge Totilas - überwältigt und die Führer gefangen.
Ohne Blutvergießen hatte sich der Gotenkönig eine Flotte und die dritte Stadt des Reiches gewonnen.
Aber von dem Festmahl, das ihm am Abend die jubelnde Stadt bereitete, stahl er leise sich hinweg. Mit Staunen sahen gotische Wachen in der Stille der Nacht ihren König, ohne Gefolge, im halb eingestürzten Turmgemäuer hart am capuanischen Tor neben einem uralten Olivenbaum verschwinden. -
Am andern Tag erschien ein Erlaß Totilas, der die Frauen und Mädchen der Juden von Neapolis für immer von dem bisher entrichteten Kopfgeld befreite und, während ihnen sonst untersagt war, öffentlich Schmuck zu zeigen, verstattete, als Ehrenzeichen auf dem Brustgewand ein goldnes Herz zu tragen.
In dem dicht verwachsenen Gärtchen aber, in welchem verwilderter Efeu und Rosen das hohe Steinkreuz und einen tief eingesunkenen Grabstein völlig überwachsen hatten, erhob sich in Bälde ein Gedenkstein von edelstem schwarzem Marmor mit der einfachen Aufschrift: «Miriam Valeria». -
Und niemand lebte in Neapolis, der das zu deuten wußte.
Von allen Seiten strömten nun aus Campanien und Samnium, Bruttien und Lucanien, Apulien und Calabrien Abgesandte der Städte nach Neapolis, den Gotenkönig als Befreier in ihre Mauern zu laden. Auch das wichtige und starke Benevent ergab sich und die benachbarten Festen Asculum, Canusia und Acheruntia. Nach Tausenden zählten die Fälle, in welchen in diesen Landschaften die Colonen in die Ländereien ihrer gefallenen, entflohenen, nach Byzanz oder Rom gewanderten Herren eingewiesen wurden. Außer Rom und Ravenna waren von großen Plätzen jetzt nur noch Florentia unter Justinus, Spoletium unter Bonus und Herodianus, Perusia unter dem Hunnen Uldugant in den Händen der Byzantiner.
In wenigen Tagen hatte der seekundige König, durch viele Italier aus dem Süden der Halbinsel verstärkt, seine eroberte Flotte neu bemannt und führte sie, in vollem Schmuck der Segel und Flaggen, aus dem Hafen, indes die Reiterei seines Heeres auf dem Landweg (der Via appia) gegen Norden zog.
Rom war das Ziel der Schiffe und der Reiter: während Teja, nachdem er alles Land zwischen Ravenna und dem Tiber gewonnen - die festen Burgen Petra und Cäsena fielen ohne Schwertstreich - oder unterworfen und gesichert: die Ämilia und beide Tuscien (das annonarische und suburbikarische), auf der Via flaminia mit einem dritten Gotenheer gegen die Stadt des Cethegus heranzog.
Der Präfekt erkannte: nun ward es grimmiger Ernst. Und grimmig, gleich dem in seiner Höhle angegriffenen Drachen, wollte er sich wehren. Mit stolz zufriedenem Blick maß er die Schanzen und Wälle, sein ungeheures Werk: und zu den Waffenfreunden, welche die Annäherung der Goten beunruhigte, sprach er:
«Getrost! An diesen Mauern sollen sie zum zweitenmal zerschellen.»
Aber nicht so ruhig wie seine Reden und Mienen war im tiefsten Innern sein Geist. Nicht, daß er sein Tun jemals bereut, seinen Gedanken je als unausführbar erkannt hätte. Aber daß sein Werk, nach wiederholtem Scheitern der Vollendung so nahe geführt, nun nach Totilas Erhebung abermals so fern vom Ziele schien - diese Empfindung wirkte auf die eiserne Kraft auch des Cethegus. «Der Tropfen höhlt zuletzt den Fels!» antwortete er, als ihn Licinius einmal fragte, weshalb er so finster sehe. «Und dann - ich kann nicht mehr schlafen wie ehedem.»
«Seit wann?»
«Seit - Totila! Dieser blonde Königsknabe hat mir den Schlummer gestohlen.» So sicher und überlegen sich der Präfekt gegenüber all seinen Feinden und Gegnern gefühlt hatte - die leuchtende, offene Natur, die Siegfried-Natur dieses Jünglings und ihre spielend gewonnenen Erfolge reizten seinen Haß so schwer, daß ihm manchmal in heißer Leidenschaft die überlegene Eisesruhe schmolz - während Totila dem
Allgefürchteten mit einer Siegeszuversicht entgegentrat, als könne es ihm gar nicht fehlen.
«Er hat Glück, dieser Milchbart!» knirschte Cethegus, als er die spielende Eroberung von Neapolis erfuhr. «Glück wie Achilleus und Alexandros. Aber vortrefflicherweise werden sie nicht alt, diese ewigen Jünglinge! Das weiche Gold dieser Seelen zermürbt: - wir Klumpen von gediegenem Erz halten länger. Ich habe dieses Schwärmers Rosen und Lorbeern gesehen: mir st, bald seh' ich auch seine Zypressen. Es kann nicht sein, daß ich dieser mädchenhaften Seele erliege. Das Glück trug ihn rasch und schwindelhoch empor. Plötzlich und schwindelhoch wird er auch fallen. Trägt es ihn noch über die Zinnen meines Roms? - Fliege nur, junger Ikarus, mühelos, im wärmsten Sonnenschein. Ich klimme, Schritt für Schritt, durch Blut und Kampf, empor im Schatten. - Aber hoch aufatmend werd' ich oben stehn, wann dir der verräterische Sonnenkuß des Glücks das Wachs in den kühnen Fittichen geschmolzen hat. Wie ein fallender Stern wirst du unter mir erlöschen.»
Allein es hatte nicht das Ansehen, als ob dies schon bald geschehen solle.
Sehnlich erwartete Cethegus das Eintreffen einer starken Flotte aus Ravenna, die ihm den Rest seiner Söldner und alles, was selbst von Legionären und von dem Heere des Demetrius entbehrlich war, mit reichen Mundvorräten zuführen sollte. Waren diese Verstärkungen eingetroffen, konnte er das murrende letzte Aufgebot der Römer von seinem unterträglichen Dienst entlassen. Seit Wochen hatte er die immer drohender verbitterten Einwohner auf diese Flotte vertröstet. Endlich war sie von Ostia her durch einen vorausgeschickten Schnellsegler angemeldet worden. Cethegus ließ die Nachricht von Herolden unter Tubaschall durch alle Straßen rufen, ließ verkünden: an den nächsten Iden des Oktober würden achttausend Bürger von den Wällen an ihren Herd entlassen: er ließ doppelte Weinrationen auf den Mauern verteilen.
An den Iden des Oktober deckte dichter Nebel Ostia und das Meer.
Am Tage nach den Iden flog ein kleines Segelboot von Ostia nach Portus, in den Hafen von Rom. Seine zitternde Bemannung, Legionäre aus Ravenna, klagten: König Totila habe mit der Flotte aus Neapolis die ravennatischen Trieren im Schutz dichten Nebels überfallen, von den achtzig Schiffen zwanzig verbrannt oder in den Grund gebohrt, sechzig aber mit allem Seevolk und Mundvorrat genommen.
Cethegus wollte es nicht glauben. Er sprang an Bord seines eigenen Schnellruderes «Sagitta» und flog den Tiber hinab. Aber mit Not entkam er den Schiffen des Königs, die bereits den Hafen Portus sperrten und kleine Kreuzer tiberaufwärts schickten.
In höchster Eile ließ nun der Präfekt einen doppelten Stromriegel, den ersten aus gekappten Masten, den zweiten aus Eisenketten, einen Pfeilschuß weiter oben, wieder quer über den Tiber werfen, wie ihn Belisar bei der ersten Belagerung hatte fertigen lassen. Den Raum zwischen dem unteren, dem Balken-, und dem oberen, dem Eisenriegel, füllte er mit einer großen Zahl kleiner Boote aus.
Schwer empfand Cethegus die volle Wucht jenes Schlages. Nicht nur waren seine heiß ersehnten Verstärkungen in Feindeshand gefallen: nicht nur mußte er den ihn verfluchenden Römern, statt der versprochenen Erleichterung, noch schwerere Lasten auflegen - denn auch die Flußseite mußte nun gegen die unablässigen Durchbruchsversuche der gotischen Schiffe gedeckt werden - mit leisem Grauen sah Cethegus unaufhaltsam näher und näher dringen den furchtbaren Feind: - den Hunger.
Die Wasserstraße, auf welcher er, wie früher Belisar, alle Vorräte reichlich zugeführt hatte, war gesperrt. Italien hatte keine dritte Flotte mehr. Die von Neapolis und die von Ravenna sperrte unter gotischen Wimpeln Rom von der See ab.
Die letzten Reiter aber, die Marcus Licinius auf Kundschaft und Fouragierung die flaminische Straße hinauf geschickt, jagten erschrocken zurück und meldeten: ein starkes Gotenheer, geführt von dem fürchterlichen Teja, rückte im Eilmarsch heran. Seine Vorhut stehe schon in Reate. Tags darauf war Rom auch von der letzten, der Nordseite her, eingeschlossen und beschränkt auf seine eigenen Kräfte: seine Bürger. Diese aber waren schwach genug, so stark auch die Mauern des Präfekten und sein Mut. Noch durch Wochen, noch durch Monate hielt des Cethegus eiserner Zwang die Verzagenden gegen ihren Willen aufrecht. Aber schon erwartete man nicht durch Sturm, durch Hunger den baldigen Fall. Da trat ein allen unerwartetes Ereignis ein, das die Hoffnungen der Belagerten neu belebte und des jungen Königs Genius und Glück auf harte Probe stellte: auf dem Kriegsschauplatz erschien nochmal - Belisarius.
Als in dem goldenen Palaste der Cäsaren zu Byzanz nacheinander die schlimmen Nachrichten eintrafen von den Niederlagen an der Padusbrücke und bei Mucella, von der neuen Belagerung Roms, von dem Verlust von Neapolis und des größten Teils von Italien - da wurde Kaiser Justinian, der das Abendland schon wieder mit dem Osten vereinigt gesehen, furchtbar aus seinen Träumen geweckt.
Leicht war es damals den Freunden Belisars, den Beweis zu führen: die Abberufung dieses Helden sei der Grund aller Mißerfolge. Klar lag es vor Augen: solang Belisarius in Italien -Sieg auf Sieg, sowie er den Rücken wandte - Schlag auf Schlag des Unheils. Die byzantinischen Heerführer in Italien selbst erkannten nun offen an, daß sie Belisar zu ersetzen nicht vermochten. «Ich vermag nicht», schrieb Demetrius aus Ravenna, «vor Totila das offene Feld zu halten, kaum diese Festung der Sümpfe zu behaupten. Neapolis ist gefallen. Rom kann fallen jeden Tag. Sende uns wieder den löwenkühnen Mann, den wir in eitler Überhebung ersetzen zu können wähnten, der Vandalen und Goten Besieger.»
Und Belisar, obzwar er sich hoch verschworen, nie wieder diesem Kaiser des Undanks zu dienen, hatte alle Unbill Augenb licks vergessen, als Justinianus ihn wieder lächelnd anblickte. Und als er ihn vollends - nach dem Fall von Neapolis - umarmte und «sein treues Schwert» nannte - nie hatte er in Wahrheit an seine Untreue geglaubt, nur seine königgleiche Stellung nicht dulden wollen - da war Belisarius von Antonina und Prokop nicht mehr zurückzuhalten.
Da aber der Kaiser die Kosten einer zweiten Unternehmung gegen Italien scheute neben denen des Perserkrieges, den Narses glücklich, aber kostspielig, in Asien führte, so gerieten Geldgeiz und Ehrgeiz in seiner Brust in einen Widerstreit, der vielleicht länger gedauert hätte, als der Widerstand von Rom und von Ravenna, wenn ihm nicht Prinz Germanus und Belisar durch einen gemeinschaftlichen Vorschlag einen Ausweg gewiesen.
Den edlen Prinzen trug die Sehnsucht, Ravenna und das Grab Mataswinthens zu besuchen und die Unvergessene an dem rohen Barbarenvolk zu rächen. Denn Cethegus hatte ihm als Erklärung des tragischen Ausgangs der Unvergleichlichen angegeben: die erzwungene Ehe mit Witichis habe ihren Geist zerrüttet.
Belisar aber fand es unerträglich, durch Totilas Erfolge all seine eigenen Siege in Frage gestellt zu sehen. Denn, war ein Volk wirklich überwunden - so fragten seine Neider am Hofe -, das binnen eines Jahres sich so glänzend wieder erhoben hatte? Er hatte sein Wort gegeben, die Goten vernichten zu können: -das wollte er einlösen.
So machten Germanus und Belisar dem Kaiser den Vorschlag, Italien auf ihre Kosten für ihn erobern zu wollen. Der Prinz bot sein ganzes Vermögen zur Ausrüstung einer Flotte, Belisar alle
seine neu verstärkten Leibwächter und Lanzenträger.
«Das ist ein Vorschlag nach dem Herzen Justinians!» rief Prokop, als Belisar ihm davon sprach. «Keinen Solidus aus seiner Tasche und vielleicht eine Provinz nebst Lorbeeren für die Erde und gottgefällige Ketzervertilgung für Theodora und den Himmel, ohne Auslagen! Sei gewiß: er nimmt es an und gibt euch seinen väterlichen Segen. Sonst aber nichts. Ich weiß es: du bist so wenig zu halten wie Balan, dein Schecke, wenn die Trompete bläst. Ich aber werde nicht zusehen, wie du kläglich erliegst.»
«Erliegen? Weshalb, du Rabe des Unheils?»
«Diesmal hast du die Goten und Italien gegen dich. Du hast jene aber nicht vernichtet, da du Italien für dich hattest.»
Aber Belisar schalt seine Feigheit und ging alsbald mit Germanus in See. Der Kaiser gab ihnen wirklich nichts mit als seinen Segen und den großen Zeh des heiligen Mazaspes. -
Hoch auf atmeten die Byzantiner in Italien bei der Nachricht, daß eine kaiserliche Flotte bei Salona in Dalmatien gelandet sei. Und selbst Cethegus, zu welchem Kundschafter die Botschaft getragen, seufzte: «Besser Belisar in Rom als Totila.»
Auch der Gotenkönig war schwer besorgt. Er mußte vor allem die Stärke von Belisars Heer zu erkunden suchen, um danach seine Beschlüsse einzurichten, - etwa gar die Einschließung Roms aufzugeben, um dem mächtigen Entsatzheer entgegenzuziehen.
Von Salona segelte Belisar nach Pola, wo er Schiffe und Mannschaft musterte. Dort kamen zu ihm zwei Männer, die sich als herulische Söldner zu erkennen gaben, also gotisch, aber auch sehr gut lateinisch sprachen, und erklärten: sie seien Boten von Bonus, dem einen Befehlshaber von Spoletium. Glücklich hätten sie sich durch die gotischen Linien geschlichen, und sie drängten den Feldherrn zu raschem Entsatz. Sie baten um genaue Auskunft über seine Stärke, die Zahl seiner Segel, Reiter und Fußtruppen, um durch genaue Nachrichten den sinkenden Mut der Belagerten zu heben.
«Ja, meine Freunde», sprach Belisar, «ihr müßt schon einiges hinzufügen in eurem Bericht. Denn die Wahrheit ist, daß mich der Kaiser ganz auf eigene Kraft angewiesen hat.» Einen Tag lang zeigte Belisar den beiden Boten Flotte, Lager und Heer. In der Nacht darauf waren sie verschwunden.
Es waren Thorismut und Aligern gewesen, die König Totila, der sie ausgesendet hatte, getreulich die gewünschte Auskunft hinterbrachten. Das war übel von Anfang an. Und auch der ganze Verlauf des Feldzuges entsprach nicht dem Ruhm des tapfern Feldherrn. Zwar gelang es, in die Hafenstadt von Ravenna einzulaufen und diese Stadt mit neuen Vorräten zu versehen.
Aber noch am Tage der Ankunft brach, in einem Anfall seines alten Leidens, Prinz Germanus an dem Sarkophage Mataswinthens zusammen. In den Gruftgewölben des Palastes, neben ihres jugendlichen Bruders, neben König Athalarichs Leiche, hatte man sie beigesetzt. Germanus starb: und er ward nach seinem letzten Wunsche bestattet an der schönen, nie erreichten Geliebten Seite.
Aber in einer kleinen unscheinbaren Nische der Gruft ruhte noch ein Herz, das treu für die Königin Schönhaar geschlagen. Aspa, die Numiderin, hatte die geliebte Herrin nicht überlebt. «In meiner Heimat», hatte sie gesagt, «springen die Dienerinnen der Sonnengöttin oft freiwillig in den Scheiterhaufen, drin die Gottheit versinkt. Auch Aspas Sonnengöttin, die schöne, schimmernde, gütevolle ist versunken. Aspa lebt nicht verlassen und in kaltem Dunkel fort. Aspa folgt ihrer Sonne nach.» Hügelhoch hatte sie stark duftende Blumen in der Gebieterin Totengemach - höher noch, als da derselbe kleine Raum zu ihrem Brautgemach gedient hatte - gehäuft und unbekannten Räucherstoff aus afrikanischem Harz entzündet, dessen betäubender Geruch die andern Sklavinnen verscheuchte. Sie aber blieb die Nacht über in dem engen Totengemach. Am andern Morgen stahl sich Syphax, gelockt durch den alt vertrauten, aber gefährlichen Duft, in Erinnerung heimischer Opferbräuche, leis heran. Er drang endlich in das wie ein Grab schweigende Gemach. - Zu den Füßen Mataswinthens, das Haupt unter Blumen vergraben, fand er ihre Antilope tot. «Sie starb», sprach er zu Cethegus, «ihrer Göttin nach. Nun hab' ich nur noch dich auf Erden.»
Nach der Bestattung des Germanus brach Belisar mit der ganzen Flotte von Ravenna auf.
Aber gleich das nächste Unternehmen, ein Versuch, Pisaurum zu überfallen, scheiterte mit blutigen Verlusten.
Vielmehr ließ König Totila, nun über die geringe Truppenzahl Belisars unterrichtet, fast unter dessen Augen, durch kühne entsendete Streifscharen unter Wisand zu Lande, die einige Segel unterstützten, an eben jenem Küstenstrich Firmum wegnehmen. Die Byzantiner Herodian und Bonus übergaben an Graf Grippa das wichtige Spoletium, nach Ablauf der Frist von dreißig Tagen, binnen welcher sie noch Entsatz von Belisar gehofft. In Assisium befehligte Sisifried, ein gotischer Überläufer, der in den Tagen von Witichis' Unstern sich Belisar angeschlossen hatte. Der Mann wußte, was ihm bevorstand, wenn er in Hildebrands Hände fiel, der ihn im Person belagerte: - der grimme Haß hatte den Alten von der Einschließung Ravennas zu dieser Aufgabe herangelockt. Der Gote verteidigte die Stadt hartnäckig. Aber als ihm bei einem Ausfall die Steinaxt des alten Waffenmeisters das Haupt zerschmettert hatte, zwangen die Bürger der Stadt die thrakische Besatzung zur Ergebung. Viele vornehme Italier, Glieder des alten Katakombenbundes, dreihundert illyrische Reiter und erlesene Leibwächter Belisars hatten die Besatzung gebildet. Grippa führte sie gefangen dem König zu.
Gleich darauf fiel Placentia, die letzte Stadt der Ämilia, die noch die sarazenische Besatzung für den Kaiser gehalten hatte: sie ergab sich dem Grafen Markja, der das kleine Belagerungsheer befehligte. In Bruttien aber ergab sich das feste Ruscia, der wichtige Hafenort für Thurii, dem kühnen Aligern.
Belisar verzweifelte nun daran, auf dem Landweg gegen Rom vorzudringen. Er versuchte jetzt, von der steigenden Not der Stadt vernehmend, ohne weiteren Verzug, Rom von der Seeseite her Entsatz zu bringen und die Einschließung durch die Gotenschiffe zu sprengen.
Aber auf der Höhe von Hydrunt, bei Umseglung der Südspitze Calabriens, zerstreute ein furchtbarer Sturm seine Schiffe: er selbst wurde mit einigen Trieren tief südlich, bis nach Sizilien, verschlagen. Und der größte Teil seiner Segel, der in der Bucht bei Croton Zuflucht gesucht, wurde hier von einem gotischen Geschwader, das der König von Rom entgegengeschickt und bei Squillacium in Hinterhalt gelegt hatte, überfallen und genommen - eine sehr bedeutende Verstärkung der gotischen Seemacht, die, wie wir sehen werden, dadurch in den Stand gesetzt wurde, bald die Byzantiner in ihren Inseln und Küstenstädten angreifend aufzusuchen.
Seit diesem Schlag war die von Anfang zu geringe Streitkraft Belisars völlig ohnmächtig. Alle Feldherrnkunst und Kühnheit vermochte nicht, die fehlenden Schiffe, Krieger, Rosse zu ersetzen. Die Hoffnung, daß sich Italien, wie bei dem ersten Feldzug, dem Feldherrn des Kaisers zuwenden werde, schlug völlig fehl. So mißlang das Unternehmen vollständig, wie uns Prokop in schonungslosen Worten überliefert hat. Auf die Bitten um Verstärkung antwortete der Kaiser gar nicht. Auf die dann dringend wiederholte Bitte Antoninens um Erlaubnis zur Rückkehr erwiderte die Kaiserin nur mit dem höhnischen Bescheid: man wage nicht, zum zweitenmal durch Abberufung den Helden in dem Laufe seiner Siege zu unterbrechen. So verbrachte Belisar bei Sizilien eine qualvolle Zeit der Tat- und Ratlosigkeit.
Inzwischen aber stieg in dem belagerten Rom die Not und die Erschöpfung der Bürger auf den höchsten Grad.
Der Hunger lichtete die ohnehin so dünne Besatzung der weiten Wälle. Umsonst tat der Präfekt sein Äußerstes. Umsonst griff er zu allen Mitteln, bald der Überredung, bald der Gewalt. Umsonst verschwendete er sein Gold, neue Lebensmittel in die Stadt zu schaffen. Denn bis auf die letzten Körner fast waren die Getreidevorräte aufgezehrt, die er aus Sizilien hatte kommen und auf dem Kapitole bergen lassen.
Unerhörte Belohnungen verhieß er jedem Schiff, dem es gelänge, sich mit Vorräten durch die Flotte des Königs zu stehlen, jedem Söldner, der es wagte, sich durch die Tore und die Zelte der Belagerer hinaus- und mit Mundvorrat zurückzuschleichen. Die Wachsamkeit Totilas war nicht zu täuschen. Anfangs hatten einzelne geldgierige Waghälse des Präfekten Lohn zur Nacht hinausgelockt. Als aber Graf Teja jeden Morgen darauf über die Wälle beim flaminischen Tor ihre Köpfe schleudern ließ, verging auch den Begehrlichsten die Lust.
Teuer wurde das Aas der gefallenen Maultiere verkauft. Um das Unkraut und die Brennesseln, die sie gierig aus den Schutthaufen rupften, schlugen sich die hungernden Weiber. Der Hunger hatte längst gelehrt, das Uneßbare gierig zu verschlingen. Und nicht mehr zu zählen waren die Überläufer, die aus den Häusern, von den Mauern zu den Goten eilten. Teja zwar wollte diese mit Speerrechen zurückgetrieben wissen in die Stadt, sie desto früher zum Fall zu bringen. Totila aber befahl, sie alle aufzunehmen, zu speisen und nur darüber fürsorglich zu wachen, daß sie nicht durch plötzliche, maßlose Befriedigung des maßlosen Heißhungers, wie anfangs oft geschehen war, dem Tode verfielen.
Cethegus verbrachte nun jede Nacht auf den Wällen.
In wechselnden Stunden beging er selbst, mit Speer und Schild, musternd die Wachen, auch wohl eine Schildwache ablösend, der Schlaf und Hunger den Lanzenschaft aus der Hand zu lösen drohten. Solch Beispiel wirkte dann freilich wieder eine Weile ermannend auf die Tüchtigen: begeistert standen auch jetzt die Licinier, Piso und Salvius Julianus zu dem Präfekten und die blind ergebenen Isaurier.
Nicht aber alle Römer: so nicht Balbus, der Schlemmer.
«Nein, Piso», sagte dieser einst, «ich halte es nicht länger mehr aus. Es ist nicht in Menschenart. Wenigstens nicht in meiner. Heiliger Lucullus! Wer hätte das je von mir geglaubt! Ich gab neulich meinen allerletzten, größten Diamanten für einen halben Steinmarder hin»
«Ich weiß die Zeit», lächelte Piso, «da du den Koch in Eisen schmieden ließest, hatte er den Meerkrebs eine Minute zu lang sieden lassen.»
«O Meerkrebs! Bei der Barmherzigkeit des blassen Heilands! Wie kannst du dies Wort, dies Bild heraufbeschwören! Meine ganze unsterbliche Seele geb' ich für eine Schere, ja für den Schweif. Und niemals ausschlafen! Weckt nicht der Hunger, weckt das Wächterhorn.»
«Sieh den Präfekten an! Seit vierzehn Tagen hat er nicht vierzehn Stunden geschlafen. Er liegt auf dem harten Schild und trinkt Regenwasser aus dem Helm.»
«Der Präfekt! Der braucht nicht zu essen. Er zehrt von seinem Stolz, wie der Bär von seinem Fett, und saugt an seiner Galle. Ist ja nichts an ihm als Sehnen und Muskeln, Stolz und Haß! Ich aber, ach, ich hatte so lieblich weißes Fett angehäuft, daß mich im Schlaf die Mäuschen anbissen: sie hielten mich für einen spanischen Mastschinken. Weißt du das Neueste? Im Gotenlager ist heute eine ganze Herde feister Rinder eingetrieben worden -lauter apulische: Lieblinge der Götter und Menschen!»
Am andern Morgen früh kam Piso mit Salvius Julianus, den Präfekten zu wecken, der auf dem Wall an der Porta portuensis lag, nahe dem gefährdetsten Punkt, dem Stromriegel. «Vergib, ich störe dich im seltnen Schlaf...»
«Ich schlief nicht. Ich wachte. Melde, Tribun.»
«Balbus ist mit zwanzig Bürgern heute nacht von seinem Posten entflohen. An Seilen haben sie sich herabgelassen an der Porta latina. Dort brüllten die ganze Nacht die apulischen Rinder. Ihr Ruf war, scheint's, unwiderstehlich.»
Aber das Lächeln verging dem Satirenschreiber, als ihn der Blick des Cethegus traf. «Ein Kreuz, dreißig Fuß hoch, wird errichtet vor dem Hause des Balbus an der Via sacra. Jeder Überläufer, der wieder in unsre Hand fällt, wird darangeschlagen.»
«Feldherr - Kaiser Constantinus hat die Kreuzigungsstrafe abgeschafft, zu Ehren des Heilands», warnte Salvius Julianus.
«So führ' ich sie wieder ein, zu Ehren Roms. Jener Kaiser hielt wohl nicht für möglich, daß ein römischer Ritter und Tribun die Stadt Rom um einen Braten verraten werde.»
«Aber noch mehr! Ich kann die Turmwache nicht mehr bestellen an der Porta pinciana. Von den sechzehn Legionären sind neun hungertot oder hungerkrank.»
«Das gleiche fast meldet Marcus Licinius von der Porta tiburtina», fügte Julianus bei. «Wer soll wehren der überallher drohenden Gefahr?»
«Ich! Und der Mut der Römer. Geh! Laß durch Herolde alle Bürger und alles, was noch in den Häusern ist, berufen an das Forum romanum.»
«Herr, es sind nur noch Weiber, Kinder und Kranke...»
«Gehorche, Tribun!»
Und finstern Blickes stieg der Präfekt vom Wall, schwang sich auf Pluto, sein edles, schwarzes, spanisches Roß, und zog langsam, von einer Schar berittener Isaurier gefolgt, überall die Wachsamkeit der Posten, die Zahl der Truppen prüfend, auf den weitesten Wegen durch einen großen Teil der Stadt: zugleich dadurch den Herolden und den Bürgern Zeit verstattend, zu rufen und zu folgen.
So ritt er auf langem Wege das rechte Tiberufer aufwärts. Aus den Häusern schlich nur spärlich zerlumptes Volk, die Reiter anstarrend in dumpfer Verzweiflung. An der Brücke des Cestius erst wurden die Haufen dichter. Cethegus hielt sein Pferd an, die dort ausgestellten Wachen zu mustern.
Da eilte plötzlich aus der Tür eines niedrigen Hauses ein Weib, mit fliegenden Haaren, ein Kind auf dem Arm. Ein älteres zerrte an den Lumpen ihres Gewandes. «Brot! Brot!» schrie sie. «Ja, werden Steine zu Brot durch Tränen? O nein! Sie bleiben hart! Hart wie - ha, hart wie jener da! Seht, Kinder: das ist der Präfekt von Rom. Der dort, auf dem schwarzen, Roß, mit dem purpurnen Helmbusch, mit dem furchtbaren Blick! Aber ich fürchte ihn nicht mehr. Seht, Kinder: der hat euren Vater auf die Wälle gezwungen, Tag und Nacht, bis er umfiel, tot. Fluch dir, Präfekt von Rom!» Und sie ballte die Fäuste gegen den unbeweglich haltenden Reiter.
«Brot, Mutter! Gib uns zu essen!» heulten die beiden Kinder.
«Zu essen hab' ich nicht für euch, aber zu trinken vollauf! Hier!» schrie das Weib, umklammerte das ältere Kind mit der Rechten, drückte das kleinere mit der Linken fester an die Brust und schwang sich mit beiden Kindern über das Geländer in die Flut. Ein Schrei des Entsetzens, gefolgt von Flüchen, lief durch die Menge.
«Sie war wahnsinnig!» sprach der Präfekt mit lauter Stimme und ritt weiter.
«Nein, sie war die klügste von uns allen!» antwortete eine Stimme aus der Menge.
«Schweigt! Ihr Legionäre, laßt die Tuba schmettern!
Vorwärts! Auf das Forum!» befahl Cethegus, und sausend sprengte die Reiterschar davon.
Und über die fabricische Brücke, durch das carmentalische Tor gelangte der Präfekt an den Fuß des kapitolinischen Hügels auf das Forum romanum.
Leer sah der weite Raum aus: nicht gefüllt durch die paar tausend Menschen, die in elenden Kleidern auf den Stufen der Tempel und Hallen kauerten oder sich mühsam an Speeren und Stäben aufrecht hielten.
«Was will der Präfekt?» - «Was kann er noch wollen?»- «Wir haben nichts mehr als unser Leben.» - «Gerade das will er -» -«Wißt ihr schon? Vorgestern hat sich auch Centumcellä an der Küste den Goten ergeben.» - «Ja, die Bürger haben die Isaurier des Präfekten überwältigt und die Tore geöffnet.» - «Oh, könnten wir's nachtun.» - «Bald müssen wir's tun, sonst ist es zu spät.»
«Mein Bruder fiel gestern tot um, die gekochten Brennesseln noch im Munde: er konnte sie nicht mehr verschlingen.» - «Auf dem Forum Boarium ward gestern eine Maus in Gold aufgewogen. »
«Ich bezog heimlich eine Woche gebratenes Fleisch von einem Metzger - roh wollte er's nicht liefern... -» - «Sei froh! Sie stürmen ja das Haus, wo sie Bratendunst riechen -» - «Aber vorgestern ward er zerrissen vom Volk auf der Straße. Er hatte bettelnde Kinder in sein Haus gelockt - ihr Fleisch hatte er uns verkauft.» - «Der Gotenkönig aber, wißt ihr, wie der mit seinen Kriegsgefangenen umgeht?» - «Wie ein Vater mit seinen hilflosen Kindern.» - «Die meisten treten sofort in seine Dienste.» - «Ja, aber die, welche es nicht wollen, versieht er mit Reisegeld -» - «Ja, und mit Kleidern und Schuhen und Lebensmitteln.» - «Die Wunden und Kranken werden gepflegt.» - «Und er läßt sie durch Wegkundige bis an die Küstenstädte geleiten.» - «Auch die Überfahrt ins Ostreich auf
Kauffahrerschiffen hat er ihnen schon bezahlt.»
«Seht, da steigt der Präfekt von dem schwarzen Roß.» - «Wie Pluto sieht er aus.» - «Nicht Princeps senatus mehr, Princeps inferorum.»
«Seht - seinen Blick!» - «Kalt: und doch wie Flammenpfeile.» - «Ja, meine Muhme hat recht. So kann nur blicken, wer kein Herz mehr hat.» - «Das ist was Altes. Strigen und Lamien haben ihm nachts das Herz ausgefressen.» - «Was nicht gar! Es gibt gar keine Lamien. Aber den Teufel gibt es: denn der steht in der Bibel. Und er hat ein Bündnis mit ihm geschlossen. Der Numider, der dort sein schwarzes Roß am Zügel hält, ist der Bote der Hölle, der ihn überall begleitet. Keine Waffe kann dem Präfekten die Haut ritzen. Nicht Nachtwachen noch Hunger verspürt er. Aber er kann auch nie mehr lächeln. Denn er hat seine Seele der Hölle verpfändet.» - «Woher weißt du's?»
«Der Diakon von Sankt Paul hat's uns neulich alles gedeutet. Und Sünde ist es, einem solchen länger zu dienen. Hat er doch auch unsern Bischof Silverius dem Kaiser verraten und in Ketten übers Meer geschickt.»
«Und hat er doch neulich sechzig Priester, rechtgläubige und arianische, als des Verrats verdächtig aus der Stadt gewiesen.» -«Das ist wahr.» - «Er muß aber auch dem Teufel gelobt haben, alle Qualen über Rom und die Römer zu bringen.» - «Aber wir wollen's nicht mehr dulden.» - «Wir sind frei, er hat's uns oft gesagt. Ich will ihn fragen, mit welchem Recht...»
Aber mitten im Wort verstummte der tapfere Redner: - ein Blick des Präfekten hatte ihn getroffen, der im Emporsteigen zur Rednerbühne die kleine murrende Gruppe streifte.
«Quinten», hob er an, «ich rufe euch alle auf, Legionäre zu werden. Hunger und - schmählich zu sagen von römischen Männern! - Verrat lichten die Reihen unsrer Wachen. - Hört ihr die Hammerschläge? Ein Kreuz wird gezimmert für die Überläufer. - Noch größere Opfer fordert Rom von den Römern.
Denn ihr habt keine Wahl. Bürger anderer Städte mochten schwanken zwischen Übergabe und Untergang. Wir, erwachsen im Schatten des Kapitols, haben diese Wahl nicht. Hier gehn die Schauer von mehr als tausendjährigem Heldentum. Hier kann kein feiger Gedanke laut werden. Ihr könnt nicht wieder die Barbaren ihre Rosse binden sehen an die Säulen des Trajan. Eine letzte Anstrengung gilt es. Früh reift das Heldenmark in den Knaben des Romulus und Cäsar; spät weicht die Kraft aus den tibertrinkenden Männern. Ich rufe die Knaben vom zwölften, die Männer bis zum achtzigsten Jahre auf die Wälle. Still! Murrt nicht! Ich werde meine Tribunen mit den Lanzenträgern von Haus zu Haus gehen lassen: nur um zu hindern, daß nicht allzu zarte Knaben, allzu müde Greise zu den Waffen greifen. Was murrt ihr da drüben? Weiß jemand bessern Rat der Verteidigung? Er gebe ihn: laut, von diesem Platz herab, den ich ihm dann räumen werde.»
Da ward es still an der Stelle, wohin der Blick des Präfekten geblitzt.
Aber hinter ihm erhob sich, bei denen, die sein Auge nicht bändigen konnte, grollendes Gemurmel. «Brot!» - «Übergabe!» - «Friede!» - «Brot!»
Cethegus wandte sich. «Schämt ihr euch nicht? So viel habt ihr ertragen, eures Namens würdig. Und nun, da es noch kurze Zeit gilt, auszuharren, wollt ihr erlahmen? In wenigen Tagen bringt Belisar Entsatz.»
«Das hast du uns schon siebenmal gesagt.» - «Und nach dem siebenten Male verlor Belisar fast alle Schiffe.» - «Die helfen jetzt mit, unsern Hafen sperren.» - «Du sollst uns eine Frist, ein Ende setzen dieses Elends. Denn mich erbarmt es dieses Volks.»
«Wer bist du?» fragte Cethegus den unsichtbaren Redner. «Du kannst kein Römer sein.»
«Ich bin Pelagius der Diakon, ein Christ und ein Priester des Herrn. Und ich fürchte nicht die Menschen, sondern Gott. Der
König der Goten, obwohl ein Ketzer, soll versprochen haben, in allen Städten, die sich unterwerfen, die Kirchen, die seine Mitketzer, die Arianer, den Rechtgläubigen entrissen, zurückzugeben. Schon dreimal soll er Herolde an die Bürger Roms gesendet haben mit gütigsten Bedingungen - man hat sie nie zu uns sprechen lassen.»
«Schweig, Priester. Du hast kein Vaterland als den Himmel, keinen Staat als das Reich Gottes, kein Volk als die Gemeinde der Heiligen, kein Heer als die Engel. Bestelle du dein himmlisch Reich. Männern überlaß das Reich der Römer.»
«Aber der Mann Gottes hat recht.» - «Eine Frist!» - «Einen nahen Termin!» - «Bis dahin wollen wir noch ausharren.» -«Doch verläuft er ohne Entsatz -» - «Dann Übergabe!» - «Dann öffnen wir die Tore.»
Aber diesen Gedanken scheute Cethegus.
Wußte er doch, seit langen Wochen ohne alle Kunde von der Außenwelt, durchaus nicht, wann etwa Belisar vor der Tibermündung erscheinen konnte. «Wie?» rief er. «Soll ich euch eine Frist setzen, wie lang ihr noch Römer sein wollt und von wann ab Memmen und Sklaven? Die Ehre kennt keine Termine.»
«So sprichst du, weil du selbst nicht mehr an Entsatz glaubst.»
«So spreche ich, weil ich an Euch glaube.»
«Aber wir wollen es so. Wir alle. Hörst du? Du sprachst ja immer von der römischen Freiheit. Wohlan, sind wir frei oder dir verfallen, wie deine Söldner? Hörst du? Wir fordern einen Termin. Wir wollen es!» - «Wir wollen es!» wiederholte der Chor.
Da schollen, ehe Cethegus erwidern konnte, Tubarufe von der Südostecke des Forums her: von der sacra Via strömten Volk und Bewaffnete gemischt heran, in ihrer Mitte zwei Reiter in fremden Waffen.
Lucius Licinius sprengte ihnen allen voraus, sprang ab und flog die Rednerbühne hinan. «Ein Herold der Goten! Ich kam zu spät, ihn wieder, wie sonst, abzuweisen. Die verhungernden Legionäre am tiburtinischen Tor ließen ihn herein.»
«Nieder mit ihm! Er darf nicht reden», sprach Cethegus, sprang die Tribüne herab und zog das Schwert.
Aber die Menge erriet ihn. Jubelnd, schützend umdrängte sie den Herold. «Friede! Heil! Brot!» - «Friede! Hört den Herold!»
«Nein, hört ihn nicht», donnerte Cethegus. «Wer ist Präfekt von Rom? Wer verteidigt diese Stadt? Ich: Cornelius Cethegus Caesarius. Und ich sage: hört ihn nicht.»
Und mit dem Schwert warf er sich vorwärts.
Aber dicht, wie ein Bienenschwarm, geballt, hemmten Weiber und Greise seinen Weg, während die Bewaffneten den Herold schützend umwogten.
«Sprich, Bote, was bringst du?» forschten sie.
«Frieden und Erlösung», rief Thorismut und schwenkte seinen weißen Stab. «Totila, der Italier und der Goten König, entbietet euch Huld und Gruß und fordert freies Geleit, euch Wichtiges zu künden und den Frieden.»
«Heil ihm!» - «Hört ihn!» - «Er soll kommen!»
Cethegus war eilig zu Pferd gestiegen und ließ seine Tubabläser die Schlachtfanfare schmettern.
Da wurde es still auf dem Forum.
«Höre, Herold: ich, der Befehlshaber dieser Stadt, verweigere das Geleit. Jeden Goten, der die Stadt betritt, werd' ich als Feind behandeln.»
Aber da erscholl tausendstimmiges Geschrei der Wut.
Ein Bürger erklomm die Rednertribüne. «Cornelius Cethegus,
bist du unser Tyrann oder unser Beamter? Wir sind frei. Und oft hast du's gerühmt: das Höchste ist in Rom des römischen Volkes Majestät. Wohlan, das römische Volk befiehlt, den König zu hören. Befiehlst du das nicht, Volk von Rom?» -
«Wir wollen es!» - «Es ist Gesetz», brüllten die Quinten. «Hast du's vernommen? Willst du dem Volk von Rom gehorchen oder trotzen?»
Cethegus stieß das Schwert in die Scheide. Thorismut sprengte davon, seinen König zu holen.
Der Präfekt winkte die jungen Tribunen an sich heran.
«Lucius Licinius», befahl er, «aufs Kapitol. Salvius Julianus, du deckst den untern, den Balkenstromriegel. Quintus Piso, du deckst den oberen, den Kettenriegel. Marcus Licinius, du hältst die Schanze, die den Aufgang vom Forum zum kapitolinischen Hügel und mein Haus beschützt. Der Rest der Söldner schart sich dicht hinter mir.»
«Was willst du, Feldherr?» fragte Lucius Licinius, ehe er davoneilte.
«Die Barbaren überfallen und verderben.»
Es waren etwa noch fünfzig Reiter und hundert Lanzenträger, die nach Entsendung der Tribunen hinter dem Präfekten hielten.
Nach kurzer banger Spannung schmetterte das gotische Heerhorn die heilige Straße herauf.
Und von dorther bogen auf das Forum ein Thorismut und sechs Hornbläser, Wisand, der Bandalarius, mit der blauen Königsfahne der Goten, der König zwischen Herzog Guntharis und Graf Teja und noch etwa zehn Heerführer und Reiter, fast alle ohne Waffen: nur Teja zeigte deutlich das breite, gefürchtete Beil.
Als eben der Zug sich aus dem Lager der Goten in Bewegung gesetzt hatte, durchs metronische Tor in die Stadt zu reiten, fühlte sich Herzog Guntharis am Mantel gefaßt: er sah neben seinem Pferd einen Knaben oder Jüngling mit kurzkrausem, goldbraunem Haar und blauen Augen und einen Hirtenstock in der Hand.
«Bist du der König? Nein, du bist es nicht. Und jener dort? Das ist der tapfere Teja, der schwarze Graf, wie ihn die Lieder nennen.»
«Was willst du, Bursche, von dem König?»
«Ich will für ihn fechten unter seinen Heerleuten.»
«Du bist noch zu jung und zart. Geh und komm nach zwei Sommern wieder: und hüte derweilen die Ziegen.»
«Ich bin noch jung: aber nicht mehr schwach. Und Ziegen hab' ich mir genug gehütet. Ha, ich seh's: das ist der König.»
Und er trat vor Totila, neigte sich zierlich und sprach: «Mit Gunst, Herr König.» Und er langte nach des Pferdes Zügel, es zu führen: als müßte das alles so sein. Und der König sah mit Wohlgefallen auf ihn herab und lächelte ihm zu. Und der Knabe führte sein Pferd am Zaum.
Guntharis aber sprach vor sich hin: «Dieses Knaben Antlitz habe ich schon gesehen. Nein, er gleicht ihm nur, -: doch solche Ähnlichkeit sah ich noch nie: und wie adelig des jungen Hirten Haltung! »
«Heil König Totila! Frieden und Heil», jauchzte dem Gotenkönig das Volk entgegen.
Der junge Zügelführer aber sah empor in des Königs schimmervolles Antlitz und sang leise, doch mit silbertöniger Stimme, zu ihm hinauf:
«Zittre und zage, Zäher Cethegus: Nicht taugt dir die Tücke! Es trümmert den Trotz dir Teja, der Tapfere: Und taghell empor taucht, Wie Maiglanz und Morgen Aus Nacht und aus Nebel, Der leuchtende Liebling Des Himmelsherrn: Der schimmernd schöne, Der kühne König. Ihm öffnen sich alle Die Türme, die Tore, Die Hallen und Herzen: Ihm weicht, überwunden, Wut,
Winter und Weh.»
Auf den Wink von des Königs Hand trat Stille ein.
Aber diesen erwarteten Augenblick nutzte Cethegus.
Er trieb seinen Rappen vorwärts in die Volksmenge und rief: «Was willst du, Gote, in dieser meiner Stadt?»
Nach einem lodernden Blick wandte sich Totila von ihm ab: «Mit ihm red' ich nur mehr mit dem Schwert, dem sechsfachen Lügner, dem Mörder! Zu dir sprech' ich, unseliges, betörtes Volk von Rom. Der Schmerz um euch zerreißt mein Herz. Ich kam, euer Elend zu enden. Ohne Waffen bin ich gekommen. Denn besser als Schwert und Schild schützt mich des Römervolkes Ehre.»
Er hielt inne. Cethegus unterbrach ihn nicht mehr.
«Quiriten, wohl habt ihr selbst erkannt: längst konnt' ich mit meinen Tausenden euere Mauern stürmen.
Denn ihr habt nur noch Steine, keine Männer mehr darauf. Aber fiel Rom durch Sturm, ging Rom in Flammen auf. Und ich gesteh's: lieber will ich niemals Rom betreten als Rom zerstören. Ich will euch nicht vorhalten, wie ihr Theoderichs und der Goten Güte vergolten. Habt ihr die Tage vergessen, da ihr dankbar Münzen schlugt mit der Umschrift:
Menschenfleisch, der eignen Kinder Fleisch, haben hungernde Mütter, römische Mütter verspeist. Und bis heute konnte man euren Widerstand beklagen, aber bewundern. Von heut' ab ist es Wahnsinn. Eure letzte Hoffnung war Belisar. Wohlan: Belisar ist heimgefahren von Sizilien nach Byzanz. Er gibt euch auf.»
Cethegus ließ die Trompeten schmettern, das Geheul des Volkes zu übertönen. Lang vergeblich. Endlich drangen die ehernen Tubastimmen durch. Als es stiller ward, rief der Präfekt: «Gelogen! Glaubt nicht so plumper Lüge!»
«Haben euch je die Goten, hab' ich euch belogen, ihr Römer? Aber nur euren eignen Augen und Ohren sollt ihr glauben. Vorwärts mit dir, Mann, nun sprich. Kennt ihr ihn?»
Ein Byzantiner, in reicher Rüstung, ward von den gotischen Reitern vorgeführt.
«Kanon!» - «Belisars Nauarch!» - «Wir kennen ihn!» rief die Menge.
Cethegus aber erbleichte.
«Ihr Männer von Rom», sprach der Byzantiner, «Belisar, der Magister Militum, hat mich an König Totila geschickt. Heute traf ich ein. Belisar mußte von Sizilien nach Byzanz zurück. Er hat scheidend Rom und Italien der bekannten Güte König Totilas empfohlen. Das mein Auftrag an ihn und an euch.»
«Wohlan», fiel Cethegus dröhnend ein, «und ist es so: dann ist der Tag gekommen, zu zeigen, ob ihr Römer seid oder Bastarde. Hört es und wißt es wohl! Cethegus, der Präfekt, ergibt sich und sein Rom nie, niemals den Barbaren. Oh, gedenkt der Zeiten nur noch einmal, da ich euch alles war. Da ihr meinen Namen neben Christus, von den Heiligen genannt. Wer hat euch jahrelang Arbeit, Brot und - was mehr ist - Waffen gegeben? Wer hat euch geschirmt - Belisar oder Cethegus? - als dieser Barbaren fünfzehn Myriaden vor euren Wällen lagen? Wer hat Rom mit seinem Herzblut gerettet vor König Witichis? Wohlan, zum letztenmal ruf1 ich euch zum Kampf.
Hört mich, ihr Enkel des Camillus. Wie er die Gallier, die schon die Stadt gewonnen, vom Kapitol herab hinweggefegt, mit der Kraft des römischen Schwertes, so will ich diese Goten hinwegfegen. Schart euch um mich! Zum Ausfall! Und erprobt, was Römerkraft vermag, wenn sie Cethegus führt und die
Verzweiflung. Wählt!»
«Ja, wählt!» rief Totila, sich hoch erhebend in den Bügeln. «Wählt zwischen sicherem Untergang und sicherer Freiheit. Folgt ihr noch einmal diesem Wahnwitzigen, kann ich euch nicht mehr schützen. Hört hier Graf Teja von Tarent zu meiner Rechten, ihr kennt ihn, denk' ich. Ich kann euch nicht länger schützen.»
«Nein», rief Teja, das mächtige Schlachtbeil erhebend, «dann keine allzu gnädige Gnade mehr, beim Gott des Hasses. Verwerft ihr diese allerletzte Gunst: kein Leben wird verschont in diesen Mauern. Ich hab's geschworen und Tausende mit mir!»
«Ich biete euch volles Vergessen eurer Schuld und will euch ein milder König sein. Fragt in Neapolis, ob ich's verstehe. Wählt zwischen mir und dem Präfekten.»
«Heil König Totila! Zum Tode den Präfekten!» scholl es einstimmig in der Runde.
Und, wie auf ein gegebenes Zeichen, warfen sich die Weiber und Kinder, mit erhobenen Händen, wie anbetend, auf die Knie vor dem König, während alle die Tausende von Bewaffneten drohend, fluchend ihre Speere und Schwerter wider den Präfekten erhoben und mancher Wurfspieß gegen ihn flog: es waren die Waffen, die er ihnen selbst geschenkt.
«Hunde sind es! Nicht Römer!» So sprach Cethegus im tiefsten Zornesdrang und riß sein Roß herum. «Aufs Kapitol!»
Und in gewaltigem Satz, hochausgreifend, sprang sein edler Rappe über die Reihe der knienden, kreischenden Frauen hinweg, durch den Hagel von Geschossen, die ihm jetzt die Römer nachschleuderten, die wenigen Beherzten niedertretend, die mit Lanzen ihm den Weg verrennen wollten.
Bald war sein roter Helmbusch verschwunden. Sausend folgten ihm seine Reiter. Die Lanzenträger wichen langsam, in guter Ordnung, manchmal wendend und die Speere fällend. So erreichten sie die hohe Schanze, die, besetzt von Marcus
Licinius, den Aufgang auf das Kapitol und den Weg zu des Präfekten Hause sperrte. -
«Was zunächst? Sollen wir folgen?» fragten die Römer den König.
«Nein! Halt! Alle Tore reißt auf. Wagen mit Brot und Fleisch und Wein stehen bereit in unsern Lagern. Diese fahrt in alle Regionen der Stadt. Speiset und tränket drei Tage lang das Volk von Rom. Meine Goten überwachen euch und verhüten das Unmaß.»
«Und der Präfekt?» fragte Herzog Guntharis.
«Cethegus Cäsarius, der Ex-Präfekt von Rom, wird dem Gott der Rache nicht entgehn!» rief Totila sich wendend.
«Und nicht mir!» rief der Hirtenknabe.
«Und nicht mir!» sprach Teja, und sprengte davon.
Die meisten Regionen von Rom waren durch die Entscheidung auf dem Forum romanum in die Hand der Goten gefallen.
Was Cethegus noch besetzt hielt, war nur der Stadtteil auf dem rechten Tiberufer vom Grabmal Hadrians im Norden bis zur Porta portuensis im Süden, bei welcher über den Fluß der Riegel von Masten und dahinter der zweite von straffgespannten Ketten gezogen war.
Auf dem linken Tiberufer hatte der Präfekt nur noch den kleinen, aber beherrschenden Abschnitt westlich vom Forum romanum inne, dessen Mittelpunkt das Kapitol bildete: abgegrenzt durch Mauern und hohe Schanzen, die sich von dem Tiberufer an den Fluß des kapitolinischen Hügels und um diesen östlich her bis an das Forum Trajans im Norden erstreckten, während sie im Rücken, im Westen des Kapitols, zwischen dem
Circus flaminus und dem Theater des Marcellus, jenen preisgebend, dieses noch einschließend, bis an die fabricische Brücke und die Tiberinsel reichten.
Der Rest des Tages verging den befreiten Römern in der Stadt mit jubelnden Festen bei Schmaus und Gelag. Auf den Hauptplätzen der ihm geöffneten Regionen ließ der König die achtzig vierspännigen Wagen voller Vorräte auffahren. Und um sie her lagerte sich auf den Steinen und rasch gezimmerten Bänken das hungernde Volk, Gott, den Heiligen und dem «besten König» dankend.
Der Präfekt hatte sofort die Tore, die von jenem gotisch gewordenen Teil der Stadt durch die Mauern- und Schanzenreihen in sein Rom führten, zumal die Zugänge vom Forum romanum zum Kapitol, dann die porta flumentana, carmentalis und ratumena, sorgfältig verrammeln lassen und die geringe, ihm verbliebene Mannschaft mit raschem Feldherrnblick auf die wichtigsten Punkte verteilt: war es doch ungefähr derselbe Teil von Rom, den er schon früher, unter und gegen Belisar, besetzt gehalten hatte.
«Salvius Julianus erhält noch hundert Isaurier für den Balkenriegel im Fluß! Die abasgischen Pfeilschützen eilen zu Piso an den Fluß an dem Kettenriegel. Marcus Licinius, der Rest der Schanze beim Forum.»
Aber da meldete Lucius Licinius, der Rest der Legionäre, der an der Entscheidung auf dem Forum romanum nicht hatte teilnehmen können, weil er damals in dem nun abgesperrten Teil der Stadt auf Wache stand, werde sehr schwierig.
«Ah», rief Cethegus, «der Dunst der Braten, um die ihre Vettern da unten die römische Ehre verkauft haben, steigt ihnen kitzelnd in die Nasen. Ich komme.»
Und er ritt aufs Kapitol, wo diese Legionäre, etwa fünfhundert Mann, in Reih und Glied aufgestellt in finsterer, drohender Haltung standen.
Langsam, prüfenden Auges ritt Cethegus die Front entlang. Endlich sprach er:
«Euch wollte ich den Ruhm zuwenden, die Laren und Penaten des Kapitols gegen die Barbaren zu verteidigen. Ich hörte zwar, ihr zieht die Rinderkeulen da unten vor. Aber ich will's nicht glauben von euch. Ihr werdet den Mann nicht verlassen, der euch nach Jahrhunderten wieder kämpfen und siegen gelehrt hat. Wer's mit Cethegus hält und mit dem Kapitol, - der hebe das Schwert.»
Aber keiner rührte sich.
«Der Hunger ist ein stärkrer Gott, als der kapitolinische Jupiter», sagte er verächtlich.
Da trat ein Centurio vor. «Es ist nicht das, Präfekt von Rom. Aber wir wollen nicht fechten gegen unsre Väter und Brüder, die nun auf Seite der Goten stehen.»
«Als Geiseln sollte ich euch behalten für eure Väter und Brüder. Und ihnen, wenn sie stürmen, eure Köpfe entgegenwerfen. Aber ich besorge: es hielte sie nicht auf in ihrer Begeisterung, die aus dem Magen kommt. Geht! Ihr seid nicht würdig, Rom zu retten! Auf, Licinius, mit dem Tor! Laß sie dem Kapitol den Rücken wenden und der Ehre!»
Und die Legionäre zogen ab: bis auf etwa hundert Mann, die unschlüssig stehen blieben, an ihre Speere gelehnt.
«Nun? Was wollt ihr noch hier?» rief Cethegus, dicht an sie heranreitend.
«Sterben mit dir, Präfekt von Rom!» rief einer.
Und die andern wiederholten: «Sterben mit dir!»
«Ich danke euch! Siehst du, Licinius, hundert Römer! Sind sie nicht genug, um neu ein Römerreich zu gründen? Euch geb' ich den Ehrenplatz: ihr schirmt die Schanze, die ich mit Julius Cäsars Namen geschmückt.»
Er sprang vom Pferd, warf die Zügel Syphax zu, rief seine
Tribunen näher an sich heran und sprach: «Nun hört meinen Plan!»
«Du hast schon deinen Plan?»
«Ja, wir greifen an! Wie ich die Barbaren kenne, sind wir heute nacht vor jedem Angriff sicher. Sie haben eine Stadt gewonnen zu drei Vierteln. Dieser Sieg muß erst in hunderttausend Räuschen gefeiert werden, ehe sie an das letzte Viertel denken. Um Mitternacht wird das ganze Heer von goldlockigen Helden und Säufern in Jubel, Wein und Schlaf begraben sein. Und die hungrigen Quinten da unten werden ihnen heute nicht nachstehen an Völlerei. Seht, wie sie schmausen und springen, mit Kränzen geschmückt. Und nur ein kleiner Teil der Barbaren erst ist in die Stadt gerückt. Das ist unsre Siegeshoffnung! Um Mitternacht brechen wir aus allen unsern Toren auf sie nieder - sie versehen sich keines Angriffs solcher Minderzahl - und schlachten sie im Schlaf.»
«Dein Plan ist todeskühn», sprach Lucius Licinius. «Doch wenn wir fallen - das Kapitol wird unser Leichenstein.»
«Du lernst von mir», lächelte Cethegus: - «die Worte, wie die Streiche. Mein Plan ist verzweifelt. Aber er ist der einzig mögliche. Jetzt - die Wachen sind bestellt? - gehe ich in mein Haus und schlafe zwei Stunden. Niemand wecke mich vorher. Nach zwei Stunden weckt mich.»
«Du kannst jetzt schlafen, Feldherr?»
«Ja, ich muß. Und ich hoffe: ich schlafe gut. Ich muß mich, wachend und schlafend, in mir selbst versammeln - nachdem ich das Forum romanum dem Barbarenkönig geräumt. Das war zuviel. Das heischt Erholung! Syphax, ich fragte schon gestern: ist kein Wein mehr aufzutreiben, rechts vom Tiber?»
«Ich forschte, Herr: Nur in den Tempeln eures Gottes. Aber er ist, so sagten eure Priester, bereits geweiht, bestimmt zum Wunder des Altars.»
«Das wird ihn nicht verdorben haben. Nehmt ihn den
Priestern fort. Verteilt ihn unter die hundert Römer auf der Schanze des Cäsar. Es ist der einzige Dank, der mir zu spenden geblieben.»
Und langsam ritt er, gefolgt von Syphax, seinem Hause zu. Vor dem Haupteingang hielt er an: auf Syphax' Ruf erschien der Roßwärter Thrax. Cethegus sprang ab und klopfte des edeln Rappen Bug. «Der nächste Ritt wird scharf, mein Pluto, ob zum Sieg oder in die Flucht. Gebt ihm das weiße Brot, das für mich gespart ward.»
Das Pferd ward in die Ställe neben dem Hauptgebäude abgeführt. Die Marmorraufen waren leer. Pluto teilte den weiten Stall nur noch mit des Syphax Braunen. Alle andern Rosse des Präfekten waren geschlachtet und von den Söldnern verzehrt.
Durch das prachtvolle Vestibulum und Atrium schritt der Hausherr in die Bibliothek. Der alte Ostiarius und Schreibsklave Fidus, der den Speer nicht mehr tragen konnte, war der einzige Diener im Hause. Alle andern Sklaven und Freigelassenen lagen auf den Wällen: - lebend oder tot.
«Reiche mir die Rolle mit dem Cäsar Plutarchs! Und den großen, mit Amethysten besetzten Becher - freilich wird's kaum des Zaubers der Steine bedürfen - voll Wasser aus dem Springbrunnen.»
Noch weilte der Präfekt in dem Büchersaal. Den Kandelaber, mit köstlichem Nardenöl gefüllt, hatte der Alte, wie in den Tagen des Friedens, entzündet. Cethegus warf einen langen Blick auf die Büsten, Hermen, kleinen Statuen, deren dunkle Schatten das Licht scharf auf den Estrich von kostbaren Mosaiken legte.
Da prangten sie fast alle, die Helden Roms in Krieg und Frieden, in kleinen Marmorbüsten auf Sockeln und Fußgestellen mit kurzen Andeutungen der Namen. Von den mythischen Königen an durch die lange Reihe der Konsuln und Cäsaren bis auf Trajan, Hadrian und Constantin.
Eine besondere dicht gedrängte Gruppe bildeten die eigenen Ahnen der «Cethegi». Schon war das leere Postament an die Wand gefestigt, das dereinst seine Büste aufnehmen sollte, die letzte an dieser Seite des Saales.
Denn er war der letzte seines Stammes.
Aber zur Linken zeigte sich noch, zur Fortsetzung bestimmt, ein ganzer Bogengang mit leeren Nischen. Nicht Ehe, aber Adoption sollte des Cethegus Namen weiterführen in glänzende Jahrhunderte. -
Zu seinem Erstaunen sah er, an der Reihe der Büsten langsam, gedankenvoll vorüberschreitend, auf dem leeren Sockel, der dereinst seine Büste aufnehmen sollte, ein solches Brustbild heute stehen.
«Was bedeutet das?» fragte er. «Hebe die Lampe hierher, Alter. Welche Büste steht an meinem Platz?»
«Vergib, o Herr! Das Postament des einen, da oben, von den ganz alten, muß ausgebessert werden. Ich mußte es abnehmen. Und da hob ich die Büste, damit sie einstweilen nicht zu Schaden komme, auf diesen leeren Sockel.»
«Leuchte! Noch höher! Wer mag es sein?»
Und Cethegus las auf der Büste die kurzen Worte:
«Tarquinius Superbus, Tyrann von Rom, starb, wegen unerträglicher Gewalt von den Bürgern vertrieben, ferne der Stadt im Exil. Zur Warnung späterer Geschlechter.»
Cethegus selbst hatte - in seiner Jugend - diese Inschrift verfaßt und unter die Büste setzen lassen.
Rasch hob er nun den Marmorkopf herab und stellte ihn abseits nieder. «Fort mit dem Omen», sprach er.
In ernster Vertiefung trat er in das Studiergemach.
Helm, Schild und Schwert lehnte er an das Lager.
Der Sklave entzündete die auf dem Schildpatt-Tisch stehende Lampe, brachte den Becher und das verlangte Buch und ging.
Cethegus ergriff die Rolle.
Aber er legte sie wieder weg.
Die Erzwingung der Ruhe versagte ihm diesmal doch. Sie war zu unnatürlich. Auf dem römischen Forum tranken die Quinten mit den Barbaren auf das Heil des Gotenkönigs, auf den Untergang des Präfekten von Rom, des princeps Senatus! In zwei Stunden wollte er den Versuch wagen, Rom den Germanen zu entreißen. Er konnte nicht die kurze Pause mit Wiederholung einer Lebensbeschreibung ausfüllen, die er halb auswendig wußte.
Er trank heißdurstig Wasser aus dem Becher. Dann warf er sich auf das Lager. «War es ein Omen?» fragte er sich. «Aber es gibt kein Omen für den, der nicht daran glaubt. Ein Wahrzeichen nur gilt: für die Erde der Heimat zu kämpfen, sagt Homer. Freilich, Cethegus kämpft nicht nur für die Erde der Heimat. Er kämpft fast noch mehr für sich. Aber hat es nicht dieser Tag beschämend gezeigt? - Rom ist Cethegus: und Cethegus ist Rom. Nicht jene Namenvergessenen Römer. Rom ist heute noch viel mehr Cethegus als - damals Rom Cäsar gewesen. War er nicht auch ein Tyrann im Sinne der Toren?»
Und er sprang unruhig wieder auf und trat an die Kolossalstatue des großen Ahnherrn heran.
«Göttlicher Julius, könnte ich beten: - heute würd' ich beten -beten zu dir. Hilf, vollende deines Enkels Werk! Wie schwer, wie blutig, wie hart hab' ich gerungen seit jenem Tage, da mir zuerst aus deinem Marmorhaupt der Gedanke der Erneuerung deines Rom entgegensprang: fertig, in Waffen klirrend, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus!
Wie hab' ich gekämpft mit dem Schwert und dem mehr ermüdenden Gedanken Tag und Nacht!
Und war ich siebenmal zu Boden gerungen von der Übermacht zweier Völker, hab' ich mich siebenmal wieder emporgerafft: unbezwungen und unverzagt! Vor einem Jahr schien mir das Ziel so nahe. Und jetzt, heute nacht, muß ich um die letzten Häuser Roms, um mein Haus, um mein Leben kämpfen mit diesem Knaben im blonden Haar. Wär' es denkbar? Sollt' ich erliegen müssen? Nach soviel Arbeit? Nach solchen Taten? Vor dem Glücksstern eines Jünglings? Soll es denn wirklich unmöglich sein, auch für deinen Enkel unerzwingbar, daß ein Mann sein Volk ersetze, bis er es erneuern, bis es sich selbst erneuern kann? Daß ein Mann der Barbaren- und der Griechen-Welt obsiege? Soll nicht Cethegus das Rad der Dinge erst halten und dann rückwärts rollen können? Muß ich erliegen, weil ich allein stehe, ein Feldherr ohne Heer, ein Mann ohne Volk an seiner Schulter? Soll ich weichen müssen aus deinem, aus meinem Rom? Ich kann es, ich will es nicht denken! Hat nicht auch dein Stern sich verdunkelt kurz vor Pharsalus? Und schwammst du nicht blutend, das Leben zu retten, unter hundert Pfeilen über den Nil? Und doch hast du's vollbracht. Und zogst im Triumphe wieder ein in deinem Rom. Nicht schlimmer wird es mir, deinem Enkel, ergehen! Nein, ich werde mein Rom nicht verlieren. Nicht mein Haus, nicht dies dein göttergleiches Bild, das mir oft, wie den Christen ihres Kreuzes Anblick, Trost und Hoffnung gespendet.
Und dem zum Wahrzeichen - bleibe dir anvertraut, was unter deinem Schild am sichersten geborgen: - wo auf Erden wäre Sicherheit, wenn nicht bei dir?
Es war eine Stunde der Verzagtheit, da ich diese Geheimnisse und manchen Schatz Syphax zum Vergraben in der Erde anvertrauen wollte. Geht Rom, dies Haus, dies Heiligtum mir verloren, mögen auch diese Aufzeichnungen verloren sein.
Und dann - wer wird die Geheimschrift entziffern?
Nein, wie die Briefe, das Tagebuch, sollst du mir auch diese Schätze wahren.»
Und er zog ein ziemlich großes Ledersäckchen, das er unter dem Panzer und der Tunika auf der Brust getragen, hervor.
Kostbarste Perlen und edelste Edelsteine hatte er darin verborgen.
Dann rührte er an die Feder an den linken Rippen der Statue, unterhalb des Schildrandes.
Und er holte aus der schmalen Öffnung, die sich auftat, ein längliches Kästchen von Elfenbein mit kunstvoll geschnitzten Gestalten und mit goldenem Verschluß, das allerlei Aufzeichnungen in kleinen Papyrusrollen enthielt.
Er legte das Säckchen in dies Kästchen.
«Hier, großer Ahnherr: wahre mir Geheimnisse und Schätze. Bei wem sollten sie sicher sein, wenn nicht bei dir?» -
Damit schloß er wieder die Klappe, welche nun nicht durch die schmalste Fuge eine Öffnung verriet. -
«Unter deinem Schild! An deinem Herzen! Zum Pfande, daß ich dir vertraue und meinem cäsarischen Glück. - Daß ich nicht von dir, Rom, abzudrängen bin. - Wenigstens nicht auf die Dauer! Müßte ich selbst weichen, - ich kehre wieder. Und wer sucht meine Schätze und meine Geheimnisse bei dem toten Cäsar! Hüte sie mir.»
Wäre das Wasser in dem Amethystkelch schwerster Wein gewesen, der Trunk hätte nicht berauschender erregen können als dieses ringende Gespräch: halb Selbstgespräch, halb Zwiegespräch mit der wie ein Dämon verehrten Statue.
Die übermenschliche Anspannung aller Kräfte des Geistes und des Leibes in den letzten Wochen: das sieglose Ringen des heutigen Tages auf dem Forum: der sofort nach dem Erliegen neu gefaßte, fast verzweifelte Plan: die Spannung, mit der dessen Ausführung herbeigesehnt wurde, hatte in dem eisernen Mann die Erregung und zugleich die mühsam bekämpfte Erschöpfung aufs äußerste gesteigert. Er dachte, sprach und handelte wie im Fieber.
Ermüdet warf er sich aufs Lager zu Füßen der Statue. Und
fast im Augenblick befiel ihn Schlaf.
Aber es war nicht der Schlaf, wie er ihn nach jeder Schuldtat, vor jeder drohenden Gefahr bisher gefunden: die Frucht seiner gewaltigen, allen Erregungen überlegenen Natur. Unruhig war dieser Schlaf. Qualvoll durch wechselnde Träume, die, hastig wie die Gedankenflucht des Fieberkranken, einander jagten. -
Endlich kam Stete in die Gesichte des Träumenden.
Er sah die Cäsarstatue, zu deren Füßen er lag, wachsen und wachsen. Immer höher ragte das majestätische Haupt. Schon hatte sie das Dach des Hauses durchdrungen.
Das Haupt mit dem Lorbeerkranz verschwand jenseits des Nachtgewölks hoch in den Sternen.
«Nimm mich mit dir!» bat Cethegus.
Aber der Halbgott erwiderte: «Ich sehe dich kaum aus meiner Höhe. Du bist zu klein! Du kannst mir nicht nachfolgen.»
Da schien dem Träumenden plötzlich krachend ein Donnerstreich das Dach des Hauses zu treffen.
Und in schmetternden Schlägen fielen die Balken über ihm zusammen, unter den Trümmern dieses Gemaches ihn begrabend. Auch die Cäsarstatue schien zerschlagen zu stürzen.
Noch immer hallten die Schläge: - auf sprang Cethegus und sah um sich.
Noch hallten die dröhnenden Schläge. Sie waren wirklich -nicht geträumt!
Aber sie schmetterten gegen die Tore seines Hauses. Cethegus ergriff Helm und Schwert. Da flogen Syphax und Lucius Licinius in das Gemach. «Auf, Feldherr!» - «Auf, Cethegus!»
«Es können noch nicht zwei Stunden sein. In zwei Stunden
erst wollte ich angreifen -»
«Ja, aber die Goten! Sie kamen uns zuvor! Sie stürmen!»
«Verderben über sie! Wo stürmen sie?» Und schon war Cethegus an der Haustüre. «Wo stürmt der König?»
«An der Hafenstadt. Am Stromriegel. Er hat Brander den Fluß hinaufgeschickt. Dromonen mit brennenden Türmen auf Deck, voll Harz, Pech und Schwefel. Der erste Riegel, der Balkenriegel, und alle Schiffe dahinter stehn in Flammen! Salvius Julianus ist verwundet und gefangen. Da, sieh die Lohe steigen im Südost.»
«Der Kettenriegel - hält er noch?»
«Noch hält er! Aber wenn er reißt?» -
«Bin ich, wie einmal schon, der Riegel Roms! Vorwärts!»
Syphax führte den schnaubenden Rappen vor. Cethegus schwang sich hinauf. «Da rechts hinab! Wo ist dein Bruder Marcus?»
«An der Schanze beim Forum.»
Da stießen sie auf die Söldner, Isaurier und Abasgen, die von der Hafenstadt her flüchteten. «Flieht!» riefen diese. «Rettet den Präfekten!» - «Wo ist Cethegus?»
«Hier - um euch zu retten! Wendet euch! Zum Fluß!»
Er sprengte voran. Der Flammenschein der brennenden Balken und Schiffe bezeichnete das Ziel. Am Ufer des Flusses angelangt, sprang er vom Pferd.
Syphax barg es sorgfältig in einer leeren Warenhalle.
«Fackeln her! In die Boote! Dort liegt ein Dutzend kleiner Nachen! Längst bereitet für solche Gefahr. Alle Pfeilschützen hinein! Mir nach! Licinius, du ins zweite Boot. Rudert bis an die Kette! Legt euch hart oberhalb an die Kette. Wer der Kette, den Fluß herauf, nahe kommt - ein Hagel von Pfeilen über ihn. Die turmhohen Wallmauern gehen links und rechts senkrecht in den Fluß. Sie müssen hierher, an die Kette!»
Schon hatten sich einzelne kleine Kähne der Goten zu nahen versucht.
Aber die einen wurden vom Feuer des Balkenriegels und der Boote ergriffen. Andere schlugen in dem Gedräng, in der Dunkelheit, um. Eines, das bis auf halbe Pfeilschußweite dem furchtbar besetzen Kettenriegel genaht war - trieb wieder steuerlos stromabwärts: alle Leute der Bemannung waren den Pfeilen der Abasgen erlegen.
«Seht ihr? Da schwimmt ein Schiff der Toten!
Harret aus! Nichts ist verloren! Aber schafft Fackeln, Brände herbei. Entzündet dort die Schiffswerft. Feuer gegen Feuer!»
«Sieh dorthin, Herr!» warnte Syphax, der nicht von seiner Ferse wich.
«Ja, da schwimmt die Entscheidung heran.»
Es war ein herrlicher Anblick.
Die Goten hatten erkannt, daß durch kleine Nachen die Riegelkette nicht zu überschreiten war. Da hatten sie von der brennenden Balkenkette mit Beilhieben so viel hinweggehauen, daß in der Mitte des Flusses knapp genügender Raum frei wurde, zwischen den brennenden Balkenenden ein großes, ein Kriegsschiff hindurchzusteuern.
Aber mit der Kraft der Ruder allein durch die nahen Flammen langsam stromaufwärts dringen, dem Pfeilregen der Abasgen ausgesetzt - das konnte für das große Schiff noch schlimmer als für den «Nachen der Toten» enden.
Zaudernd hielten die Goten unterhalb der brennenden Balken. Da plötzlich erhob sich ein starker Südwind, die Wellen des Flusses aufwärts kräuselnd.
«Spürt ihr den Hauch? Das ist des Siegesgottes Atem. Die Segel gehißt! Nun folgt mir, meine Goten», so rief eine frohlockende Stimme.
Die Segel flogen empor und spannten weit die Flügel des
gewaltigen Kriegsschiffes der Goten, des «wilden Schwans».
Und ein prachtvolles Schauspiel war es nun, als das mächtige Fahrzeug, mit aller Leinwand fliegend und von hundert Ruderern geschoben, den Strom heraufkam, von beiden Seiten schauerlich beleuchtet durch die brennenden Balken und Boote der Römer.
Mit ungestümer, verderbendrohender Eile trieb das Schiff stromaufwärts. Zu beiden Seiten des Oberdecks, hoch über dem geschlossenen Unterdeck der Ruderknechte, knieten, dicht geschart, gotische Krieger, die Schilde dicht aneinander gedrängt: eine eherne Schirmwand wider die Pfeile. An dem Schiffsschnabel vorn erhob sich ein riesiger Schwan mit hochgewölbten Schwingen. Zwischen diesen Schwingen aber, auf des Schwanes Rücken, stand König Totila, das Schwert in der Rechten.
«Vorwärts!» befahl er. «Zieht, ihr Ruderer! Mit aller Kraft! Haltet euch bereit, ihr Goten.»
Cethegus erkannte die jugendliche hohe Gestalt. Er erkannte schon auch die Stimme. «Laßt das Schiff nur heran.
Ganz nahe. Auf zwanzig Schritt. Dann erst schießt. Noch nicht. Jetzt. Jetzt! Pfeile los!»
«Deckt euch, ihr Goten!»
Ein Hagel von Pfeilen schlug gegen das Schiff. Aber an der Schildburg prallten sie machtlos ab.
«Verflucht!» rief Piso hinter dem Präfekten. «Sie wollen die Kette sprengen durch des Schiffes Stoß. Und sie werden es sicher, fielen auch alle Mann auf Deck. Die Ruderer sind ja unerreichbar. Und unverwundbar ist dieser Südwind.»
«Feuer in die Segel! Feuer auf das Schiff! Brände herbei!» befahl Cethegus.
Immer näher rauschte der drohende Schwan. Immer näher drohte der verderbliche Prall gegen die straff gespannte Kette.
Schon erreichten nun die geschleuderten Brände das Schiff. Einer flog in das Segel des Fockmastes: es brannte rasch auf, dann erlosch es.
Ein zweiter - Cethegus hatte ihn selbst geschleudert - streifte des Gotenkönigs langes flatterndes Goldhaar.
Neben ihm fiel der Brand nieder. Er hatte es nicht bemerkt.
Da sprang ein Knabe hinzu, der, statt aller Schutz und Trutzwaffen, nur einen derben Hirtenstecken führte. Mit den Füßen trat er den Brand aus. Die anderen Brände prallten von den Schilden ins Wasser und erloschen.
Nur acht Schritte noch war der Vorderstachel der Galeere von der Kette entfernt. Die Römer bebten vor dem Anprall.
Da trat Cethegus ganz vor, an die Spitze seines Bootes, einen schweren Wurfspeer erhebend und sorgfältig zielend.
«Gebt acht», sagte er. «Sowie der König der Barbaren stürzt -rasch neue Brände.»
Nie hatte der waffenkundige Mann besser gezielt.
Und noch einmal den Speer zurückziehend, schleuderte er ihn mit der ganzen Kraft seines Hasses und seines Arms.
Atemlos harrte seine Umgebung. Aber der König stürzte nicht. Er hatte den Zielenden scharf erkannt. Gleichwohl warf er den langen, schmalen Schild nieder. Er sah der Spitze des Speeres entgegen mit zurückgehaltener schildloser Linker. Sausend kam der Speer geflogen, gerade in der Höhe, wo aus dem Panzer der nackte Hals sich hob.
Hart am Leibe erst fing ihn der König mit der linken Hand und - warf ihn sofort mit der Rechten auf den Werfer zurück: er traf den Präfekten in den linken Arm, oberhalb des Schildes: Cethegus fiel ins Knie.
Im gleichen Augenblick traf der Stoß des Schiffes die straffe Kette. Sie barst. Die Römerboote, die an derselben geruht, schlugen um, auch das des Cethegus, oder schossen meisterlos
den Fluß herab.
«Sieg!» jauchzte Totila. «Ergebt euch mir, ihr Söldner.»
Cethegus erreichte schwimmend, blutend, das linke Tiberufer. Er sah, wie das Gotenschiff zwei kleine Boote herabließ, in deren eines der König sprang.
Er sah, wie eine ganze Flotille leichter gotischer Fahrzeuge, unter dem Schutz der Königsgaleere heraufgesegelt, nun ebenfalls die Reihe der Boote seiner Pfeilschützen durchbrach und auf beiden Ufern Mannschaften landete.
Er sah, wie seine Abasgen, für den Nahkampf weder gerüstet noch gestimmt, in Scharen sich einzelnen schwertschwingenden Goten ergaben.
Er sah, wie von dem Königsschiff aus nun ein Pfeilregen die Verteidiger des linken Ufers traf.
Er sah, wie das kleine Boot des Königs sich dem Ufer näherte wo er, wassertriefend, stand.
Er hatte den Helm im Wasser verloren, den Schild fallenlassen, um rascher das Land zu gewinnen. Mit dem Schwert wollte er sich dem eben landenden König entgegenwerfen. Da streifte ein Gotenpfeil seinen Hals.
«Getroffen, Haduswinth», jauchzte ein junger Schütze, «besser als damals am Marmorgrab.»
«Brav, Gunthamund.»
Cethegus wankte. Syphax fing ihn auf.
Gleichzeitig legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er erkannte Marcus Licinius. «Du hier! Wo sind deine Krieger?»
«Tot», sagte Marcus. «Die hundert Römer fielen auf der Schanze. Teja, der schreckliche Teja, hat sie gestürmt. Die Hälfte deiner Isaurier fiel auf dem Wege nach dem Kapitol. Der Rest hält noch die Pforte des Kapitols und die Halbschanze vor deinem Hause. Ich kann nicht mehr. Tejas Beil drang durch meinen Schild in die Rippen. Leb' wohl, o großer Cethegus!
Rette das Kapitol. Aber: siehe hin. Teja ist rasch.» Und Marcus sank zu Boden.
Flammen schlugen hoch in die Nacht vom kapitolinischen Berg.
«Hier am Fluß ist nichts mehr zu retten», sprach der Präfekt mühsam. Denn sein Blutverlust war groß und schwächte ihn rasch. «Ich rette das Kapitol! Dir, Piso, befehl' ich den BarbarenKönig.
Du hast schon einen Gotenkönig auf der Schwelle Roms getroffen. Triff einen zweiten! Und triff ihn tödlich! Du, räche deinen Bruder, Lucius. Folge mir nicht.»
Cethegus warf noch einen grimmigen Blick auf den König, um dessen Füße sich flehend die Abasgen drängten.
Tief seufzte er auf
«Du wankest, o Herr?» fragte Syphax schmerzlich.
«Rom wankt!» antwortete Cethegus. «Aufs Kapitol!»
Lucius Licinius drückte seinem sterbenden Bruder noch einmal die Hand. «Ich folge ihm doch», sagte er dann. «Er ist wund.»
Während Cethegus, Syphax, Lucius Licinius in der Nacht verschwanden, duckte sich Piso hinter die Säule einer Basilika, an welcher hart vorbei der Weg den Fluß aufwärts führte.
Inzwischen hatte der König die sich ihm ergebenden Abasgen seinen Gefolgen überwiesen. Er machte einige Schritte stromaufwärts und wies mit dem Schwert nach den Flammen, die vom Kapitol aufstiegen.
Dann wandte er sich, das Antlitz dem Fluß und den langsamer landenden Goten zugekehrt.
«Vorwärts», mahnte er. «Eile. Es gilt löschen da oben. Der Kampf ist aus. Nun, ihr Goten, schirmt, erhaltet Rom. Denn es ist euer.»
Diesen Augenblick ersah Piso. «Helfer Apollo», dachte er,
«traf je mein Jambus, jetzt laß mein Schwert treffen.»
Und hinter der Säule hervor sprang er mit gezücktem Schwert auf den König zu, der ihm den Rücken zuwandte.
Aber wenige Zoll vor des Königs Leib ließ er, laut aufschreiend, die Klinge fallen. Ein derber Stockhieb hatte seine Hand gelähmt.
Gleich darauf sprang ein junger Hirt an ihm empor und riß ihn nieder. Der Sieger kniete ihm auf der Brust.
«Gib dich, römischer Wolf!» rief eine helle Knabenstimme.
«Ei, Piso, der Jambenpoet...! Er ist dein Gefangener, Knabe», sprach der König, der nun herzugetreten war. «Und soll sich lösen mit schwerem Gold. Wer aber bist du, junger Hirt, mein Zügelführer?»
«Dein Lebensretter ist er, o Herr», fiel der alte Haduswinth ein. «Wir sahen den Römer auf dich stürzen. Aber wir waren zu weit zurück, dir zu rufen oder zu helfen. Dem Knaben danken wir dein Leben.»
«Wie heißt du, junger Held?»
«Adalgoth.»
«Was suchst du hier?»
«Cethegus, den Neiding, den Präfekten von Rom! Wo ist er, Herr König? Das sage du mir. Hierher, auf das Schiff, ward ich gewiesen. Hier, hört' ich, werd' er deinem Ansturm wehren.»
«Er war hier. Er ist entflohen. Wohl in sein Haus.»
«Willst du mit diesem Stecken den Höllenkönig bezwingen?» fragte Haduswinth.
«Nein», rief Adalgoth, «nun hab' ich ja ein Schwert.»
Und er hob vom Boden seines Gefangenen Waffe, schwang sie empor und war in der Nacht verschwunden.
Totila übergab Piso den Goten, die nun in dichten Scharen auf beiden Seiten des Flusses gelandet waren.
«Eilt», wiederholte er. «Rettet das Kapitol, das die Römer verbrennen.»
Inzwischen hatte der Präfekt das Flußufer verlassen und den Weg nach dem Kapitol eingeschlagen.
Durch die Porta trigemina gelangte er nach dem Forum boarium. An dem Janustempel traf er auf ein Volksgedränge, das ihn eine Weile aufhielt. Trotz seiner Verwundung war er so geeilt, daß ihm Licinius und Syphax kaum zu folgen vermochten. Wiederholt hatten sie ihn aus den Augen verloren. Erst jetzt holten sie ihn ein. Er wollte nun durch die Porta carmentalis eilen und so die Rückseite des Kapitols gewinnen.
Aber er fand es schon dicht von Goten besetzt. Darunter war Wachis. Der erkannte ihn von fern.
«Rache für Rauthgundis!» rief er. Ein schwerer Stein traf des Präfekten helmloses Haupt. Der wandte sich und floh.
Nun erinnerte er sich einer Mauersenkung nordöstlich von jenem Tor. Dort wollte er versuchen, über den Wall zu steigen.
Als er sich aber dem Mauerrand näherte, schlugen abermals die Flammen auf dem Kapitol empor.
Drei Männer sprangen ihm gegenüber über die Mauersenkung. Es waren Isaurier. Sie erkannten ihn. «Flieh, o Herr! Das ganze Kapitol ist verloren! Der schwarze Gotenteufel!»
«Hat er - hat Teja den Brand gestiftet?»
«Nein: wir selbst zündeten eine Holzschanze an, darin sich die Barbaren festgesetzt. Die Goten löschen.»
«Die Barbaren retten mein Kapitol.» Bittern Schmerzes voll stützte sich Cethegus auf den Speer, den ein Söldner dem Wankenden reichte. «Nun muß ich noch in mein Haus.»
Und er wandte sich nach rechts, auf dem nächsten Weg den Haupteingang seines Hauses zu erreichen.
«O Herr, das ist gefährlich!» warnte einer der Söldner. «Bald werden die Goten auch dort sein. Ich hörte, wie der schwarze Gotenfürst immer nach dir rief und fragte. Er suchte dich überall auf dem Kapitol. Bald wird er dich in deinem Hause suchen.»
«Ich muß noch einmal in mein Haus!»
Aber kaum hatte er ein paar Schritte vorwärts gemacht, als eine Schar Goten, mit Römern gemischt, mit Fackeln und Bränden, von der Stadt her, ihm gerade entgegenkam.
Die vordersten, es waren Römer, erkannten ihn. «Der Präfekt!» - «Der Verderber Roms!»
«Er hat das Kapitol anzünden lassen!» - «Nieder mit ihm!»
Pfeile, Steine, Speere flogen ihm entgegen. Ein Söldner fiel, zwei entflohn. Cethegus traf ein Pfeil: er drang ihm nur leicht in die linke Schulter. Er riß ihn heraus. «Ein Römerpfeil! Mit meinem Stempel», lachte er auf.
Mit Mühe entkam er ins Dunkel der nächsten schmalen Gasse. Vor seinem Hause lärmte nun der Haufe, vergeblich bemüht, die mächtige Haupttüre zu sprengen. Ihre Schwerter und Speere reichten dazu nicht aus. Cethegus vernahm es wohl und die Rufe des Zorns über das vergebliche Mühen.
«Die Tür ist fest!» sagte er sich. «Bevor sie eindringen, bin ich lange wieder aus dem Hause.» Durch die enge Seitengasse gelangte er an den Hintereingang seines Hauses, drückte an eine geheime Feder, trat in den Hof und eilte, die Türe offen lassend, in das Gebäude.
«Horch!» da donnerte von dem Haupttore her ein ganz andres, ein gewaltigeres Schlagen als bisher.
«Eine Streitaxt!» sagte Cethegus. «Das ist Teja.»
Cethegus eilte an eine schmale Mauerlücke, die von dem Eckgemach auf die Haup tstraße einen Blick gewährte.
Es war Teja.
Sein schwarzes, langes Haar flatterte um das unbehelmte Haupt. In der Linken trug er einen aus dem Feuer des Kapitols gerafften Brand, in der Rechten das gefürchtete Schlachtbeil. Über und über war es mit Blut bespritzt.
«Cethegus!» rief er laut bei jedem Schlag seines Beils wider die ächzende Haustür. «Cornelius Cethegus Cäsarius! Wo bist du? Ich suche dich im Kapitol, Präfekt von Rom! Wo bist du? Muß Teja dich an deinem Hausherd suchen?»
Da hörte der lauschende Cethegus eilende Schritte hinter sich. Syphax hatte das Haus erreicht und war durch die Hintertür ihm gefolgt. Er erblickte seinen Herrn. «Flieh, o Herr! Ich decke deine Schwelle mit meinem Leib.»
Und er eilte an ihm vorüber, durch eine Reihe von Gemächern, an die Haupttüre.
Cethegus wandte sich nach rechts. Kaum konnte er sich noch aufrecht halten.
Er erreichte noch den Zeussaal. Hier sank er zusammen. Doch augenblicklich sprang er wieder auf.
Denn krachend und schmetternd scholl es vom Haupteingang her. Das feste Tor war endlich eingeschlagen. Dröhnend fiel es nach innen: und Teja betrat das Haus seines Feindes.
Auf der Schwelle sprang ihm, aus geduckt kauernder Stellung aufschnellend wie ein Panther, der Maure an den Hals, mit der Linken seine Gurgel umkrallend, in der Rechten blitzte das Messer. Aber der Gote ließ die Axt fallen: ein Ruck seiner Rechten, und wie eine fortgeschleuderte Kugel flog der Angreifer zur Seite, die Tür hinaus, und rollte die Stufen hinab auf die Straße.
«Wo bist du, Cethegus?» scholl nun Tejas Stimme näher und näher dringend im Atrium, im Vestibulum.
Einige Türen, die der Schreibsklave Fidus verriegelt hatte,
sprengte rasch sein Beil.
Nur wenige Schritte trennten die beiden Männer.
Mühsam hatte sich Cethegus bis in die Mitte des Zeussaals geschleppt. Er hoffte immer noch das Schreibgemach erreichen und aus der Cäsarstatue die anvertrauten Schriften und Schätze nehmen zu können.
Da krachte nochmals eine gesprengte Tür, und Cethegus hörte Tejas Stimme aus dem Schreibgemach: «Wo bist du, Cethegus, Hausherr?»
Atemlos lauschte Cethegus.
Er hörte, wie in der Bibliothek der Teja nachdringende Haufe die Ahnenbilder und die Büsten zerschlug.
«Wo ist dein Herr, Alter?» rief Tejas Stimme.
Der Sklave hatte sich in das Schreibgemach geflüchtet.
«Ich weiß es nicht, bei meiner Seele.»
«Auch hier nicht? Cethegus, Feigling! Wo steckst du?»
Da hatte auch die Menge offenbar das Schreibgemach erreicht.
Cethegus vermochte nicht mehr zu stehen. Er lehnte sich an den marmornen Jupiter.
«Was wird mit dem Hause?»
«Verbrannt wird es!» antwortete Teja.
«Der König hat das Brennen verboten», mahnte Thorismut.
«Ja! Dies Haus aber hab' ich mir vom König erbeten. Es wird verbrannt und der Erde gleichgemacht. Nieder mit dem Tempel des Teufels! Nieder mit seinem Allerheiligsten: - dem Götzen hier!»
Und ein furchtbarer Schlag erscholl.
Krachend, schmetternd stürzte die Cäsarstatue in vielen Trümmern auf den Mosaikboden. Goldstücke, Kästchen, Kapseln rollten umher.
«Ah, der Barbar!» schrie Cethegus außer sich.
Und alles vergessend wollte er mit dem Schwert in das Schreibgemach stürmen. Da fiel er bewußtlos auf das Antlitz nieder zu Füßen der Jupiterstatue.
«Horch, was war das?» fragte eine Knabenstimme.
«Die Stimme des Präfekten!» rief Teja und riß die Türe auf, die das Schreibgemach von dem Zeussaal trennte.
Mit dem Brande vorleuchtend und hoch die Streitaxt schwingend sprang er in den Saal.
Aber der Saal war leer.
Eine Blutlache lag zu den Füßen des Jupiter, und eine breite Blutspur führte von da an das Fenster, das in den Hofraum blickte.
Auch der Hof war leer.
Nacheilende Goten aber fanden die kleine Hofpforte geschlossen, und zwar von außen. Der Schlüssel steckte auf der Straßenseite im Schloß.
Als man mit Mühe - nach langer Arbeit - auch diese Tür gesprengt - gleichzeitig fast hatten andre Goten, aus dem Hauptausgang auf die Straße und um die Ecke des Hauses eilend, die schmale Seitengasse erreicht - und die Gasse mit deren Gebäuden absuchte, fand man nur an der Ecke das Schwert des Präfekten, das Fidus, der Schreibsklave, erkannte.
Finster blickend nahm es Teja und kehrte in das Schreibgemach zurück. «Lest alles sorgsam auf, was des Präfekten Götzenstatue barg. Hört ihr, alles. Schreibereien zumal, und bringt sie dem König - wo ist der König?»
«Aus dem Kapitol zog er mit Römern und Goten in die Kapelle Sankt Peters, dort mit allem Volk das Dankgebet zu sprechen.»
«Gut, sucht ihn in der Kirche und bringt ihm alles. Dazu des Entflohenen Schwert. Sagt: Teja schickt ihm das.» «Soll geschehn. Du aber - gehst du nicht mit zum König und in die Kirche?»
«Nein.»
«Wo verbringst du die Siegesnacht und feierst den Dankgottesdienst?»
«Auf den Trümmern dieses Hauses!» sprach Teja.
Und er stieß den Brand in die Purpurteppiche des Lagers.