Witichis - Erste Abteilung
"Die Goten aber wählten zum König Witichis, einen Mann, zwar nicht von edlem Geschlecht, aber von hohem Ruhm der Tapferkeit."
(Prokop, Gotenkrieg I.)
Langsam sank die Sonne hinter die grünen Hügel von Fäsulä und vergoldete die Säulen vor dem schlichten Landhaus, in welchem Rauthgundis als Herrin schaltete.
Die gotischen Knechte und die römischen Sklaven waren beschäftigt, die Arbeit des Tages zu beschließen. Der Mariskalk brachte die jungen Rosse von der Weide ein. Zwei andre Knechte leiteten den Zug stattlicher Rinder von dem Anger auf dem Hügel nach den Ställen, indes der Ziegenbub mit römischen Scheltworten seine Schutzbefohlenen vorwärts trieb, die genäschig hier und da an dem salzigen Steinbrech nagten, der auf dem zerbröckelten Mauerwerk am Wege grünte. Andre germanische Knechte räumten das Ackergerät im Hofraum auf, und ein römischer Freigelassener, ein gar gelehrter und vornehmer Herr, der Obergärtner selbst, verließ mit einem zufriedenen Blick die Stätte seiner blühenden und duftenden Wissenschaft.
Da kam aus dem Roßstall unser kleiner Freund Athalwin im Kranze seiner hellgelben Locken. «Vergiß mir ja nicht, Kakus, einen rostigen Nagel in den Trinkkübel zu werfen. Wachis hat's noch besonders aufgetragen! Daß er dich nicht wieder schlagen muß, wenn er heimkommt.» Und er warf die Tür zu. «Ewiger Verdruß mit diesen welschen Knechten!» sprach der kleine
Hausherr mit wichtigem Stolz. «Seit der Vater fort ist und Wachis ihm ins Lager gefolgt, liegt alles auf mir, denn die Mutter, lieber Gott, ist wohl gut für die Mägde, aber die Knechte brauchen den Mann.» Und mit großem Ernst schritt das Büblein über den Hof.
«Und sie haben vor mir gar nicht den rechten Respekt», sprach er und warf die kirschroten Lippen auf und krauste die weiße Stirn. «Woher soll er auch kommen? Mit nächster Sonnwend bin ich volle neun Jahr: und sie lassen mich noch immer herumgehen mit einem Ding wie ein Kochlöffel.» Und verächtlich riß er an dem kleinen Schwert von Holz in seinem Gurt. «Sie dürften mir keck ein Weidmesser geben, ein rechtes Gewaffen. So kann ich nichts ausrichten und sehe nichts gleich.»
Und doch sah er so lieblich, einem zürnenden Eros gleich, in seinem kniekurzen, ärmellosen Röckchen von feinstem, weißem Leinen, das die liebe Hand der Mutter gesponnen und genäht und mit einem zierlichen roten Streifen durchwirkt hatte.
«Gern lief ich noch auf den Anger und brächte der Mutter zum Abend die Waldblumen, die sie so liebt, mehr als unsre stolzesten Gartenblumen. Aber ich muß noch Rundschau halten, ehe sie mir die Tore schließen, denn:
Damit schritt er den Hof entlang, an der Vorderseite des Wohnhauses vorüber, durchmusterte die Nebengebäude zur Rechten und wollte sich eben nach der Rückseite des Geviertes wenden, als er durch lautes Bellen der jungen Hunde zur Linken auf ein Geräusch an dem Holzzaun, der das Ganze umfriedete, aufmerksam wurde.
Er schritt nach der bezeichneten Ecke hin und erstaunte, denn auf dem Zaune saß oder über denselben herein stieg eine seltsame Gestalt. Es war ein großer, alter, hagrer Mann in grobem Wams und ganz rauhem Loden, wie ihn die Berghirten trugen; als Mantel hing eine mächtige Wolfsschur unverarbeitet von seinen Schultern nieder, und in der Rechten trug er einen riesigen Bergstock mit scharfer Stahlspitze, mit welchem er die Hunde abwehrte, die zornig an dem Zaun hinaufsprangen. Eilends lief der Knabe hinzu. «Halt, du landfremder Mann, was tust du auf meinem Zaun? Willst du gleich hinaus und herab?»
Der Alte stutzte und sah forschend auf den schönen Knaben. «Herunter, sag' ich!» wiederholte dieser. - «Begrüßt man so in diesem Hof den wegmüden Wandrer?» - «Ja, wenn der wegmüde Wandrer über den Hinterzaun steigt. Bist du was Rechtes und willst du was Rechtes, - da vorn steht das große Hoftor sperrangelweit offen: da komm herein.»
«Das weiß ich selbst, wenn ich das wollte.» Und er machte Anstalten, in den Hof hereinzusteigen.
«Halt», rief zornig der Kleine, «da kommst du nicht herab! Faß, Griffo! Faß, Wulfo! Und wenn du die zwei jungen nicht scheust, so ruf' ich die Alte! Dann gib acht! He Thursa, Thursa, leid's nicht!»
Auf diesen Ruf schoß um die Ecke des Roßstalles ein riesiger, grauborstiger Wolfshund mit wütendem Gebell herbei und schien ohne weiteres dem Eindringling an die Gurgel springen zu wollen.
Aber kaum stand das grimmige Tier vor dem Zaun, dem Alten gegenüber, so verwandelte sich seine Wut plötzlich in Freude: sein Bellen verstummte und wedelnd sprang er an dem Alten hinan, der nun ganz gemütlich hereinstieg. «Ja, Thursa, treues Tier, wir halten noch zusammen», sagte er. - - «Nun sage mir, kleiner Mann, wie heißt du?» - «Athalwin heiß' ich», versetzte dieser, scheu zurücktretend, «du aber, - ich glaube, du hast den Hund behext - wie heißt du?» - «Ich heiße wie du», sagte der Alte freundlicher. «Und das ist hübsch von dir, daß du heißest wie ich. Sei nur ruhig, ich bin kein Räuber! Führ' mich zu deiner Mutter, daß ich ihr sage, wie tapfer du deine Hofwehr verteidigt hast.»
Und so schritten die beiden Gegner friedlich in die Halle, Thursa bellte freudig springend voran.
Das korinthische Atrium der Römervilla mit seinen Säulenreihen an den vier Wänden hatte die gotische Hausfrau mit leichter Änderung in die große Halle des germanischen Hofbaues verwandelt. In Abwesenheit des Hausherrn war sie zu festlicher Bewirtung nicht bestimmt, und Rauthgundis hatte diese Zeit ihre Mägde aus der Frauenkammer hierher versetzt. In langer Reihe saßen rechts die gotischen Mägde mit sausender Spule; ihnen gegenüber einige römische Sklavinnen mit feineren Arbeiten beschäftigt. In der Mitte der Halle schritt Rauthgundis auf und nieder und ließ selbst die flinke Spule auf dem glatten Mosaik des Estrichs tanzen, aber dabei auch nach rechts und links stets die wachen Blicke gleiten.
Das kornblumenblaue Kleid von selbstgewirktem Stoff war über die Knie heraufgeschürzt und hing gebauscht über dem Gurt von stählernen Ringen, der ihren einzigen Schmuck, ein Bündel von Schlüsseln, trug. Das dunkelblonde Haar war rings an Stirn und Schläfen zurückgekämmt und am Hinterkopf in einen einfachen Knoten geschürzt. Es lag viel schlichte Würde in der Gestalt, wie sie mit ernst prüfendem Blick auf und nieder schritt.
Sie trat zu der jüngsten der gotischen Mägde, die zuunterst in der Reihe saß, und beugte sich zu ihr. «Brav, Liuta», sprach sie, «dein Faden ist glatt, und du hast heut' nicht so oft ausgesehen nach der Tür wie sonst. Freilich», fügte sie lächelnd hinzu - «es ist jetzt kein Verdienst, da doch kein Wachis zur Tür hereinkommen kann.» Die junge Magd errötete. Rauthgundis legte die Hand auf ihr glattes Haar: «Ich weiß», sagte sie, «du hast mir im stillen gegrollt, daß ich dich, die Verlobte, dieses Jahr über täglich morgens und abends eine Stunde länger spinnen ließ als die andern: es war grausam, nicht? Nun, sieh: es war dein eigner Gewinn. Alles, was du dies Jahr aus meinem besten Garn gesponnen, ist dein; ich schenk' es dir zur Aussteuer: so brauchst du nächstes Jahr, das erste deiner Ehe, nicht spinnen.»
Das Mädchen faßte ihre Hand und sah ihr dankbar weinend ins Auge. «Und dich nennen sie streng und hart!» war alles, was sie sagen konnte. - «Mild mit den Guten, streng mit den Bösen, Liuta. Alles Gut, dessen ich hier walte, ist meines Herrn Eigen und meines Knaben Erbe. Da heißt es genau sein.»
Jetzt wurden der Alte und Athalwin in der Tür sichtbar: der Knabe wollte rufen, aber sein Begleiter verhielt ihm den Mund und sah eine Weile unbemerkt dem Schalten und Walten Rauthgundens zu, wie sie der Mägde Arbeit prüfte, lobte und schalt und neue Aufträge gab.
«Ja», sprach der Alte endlich zu sich selbst, «stattlich sieht sie aus, und sie scheint wohl die Herrin im Hause - doch, wer weiß alles?» Da war Athalwin nicht mehr zu halten: «Mutter», rief er, «ein fremder Mann, der Thursa behext und über den Zaun gestiegen und zu dir will. Ich kann's nicht begreifen.»
Da wandte sich die stattliche Frauengestalt würdevoll dem Eingang zu, die Hand vor Augen haltend, die blendende Abendsonne, die in die offne Tür brach, abzuwehren. «Was führst du den Gast hierher? Du weißt, der Vater ist nicht hier. Führ' ihn in die große Halle. Sein Platz ist nicht bei mir.»
«Doch, Rauthgundis! Hier, bei dir, ist mein Platz», sprach der Alte vortretend.
«Vater!» rief die Frau und lag an der Brust des Fremden. Verdutzt und nicht ohne Mißbehagen sah Athalwin auf die Gruppe. «Du bist also der Großvater, der da oben in den Nordbergen haust? Nun grüß Gott, Großvater! Aber warum sagst du denn das nicht gleich? Und warum kommst du nicht durchs Tor wie andre ehrliche Leute?»
Der Alte hielt seine Tochter in beiden Händen und sah ihr scharf ins Auge. «Sie sieht glücklich aus und gedeihend», brummte er vor sich hin.
Da faßte sich Rauthgundis: rasch warf sie einen Blick durch die Halle. Alle Spindeln ruhten außer Liutas - aller Augen musterten neugierig den Alten.
«Ob ihr wohl spinnen wollt, fürwitzige Elstern?» rief sie streng. «Du, Marcia, hast vor lauter Gaffen den Flachs herabfallen lassen, du kennst den Brauch, du spinnst eine Spule mehr, - ihr andern macht Feierabend. Komm, Vater! Liuta, rüst' ein laues Bad und Fleisch und Wein. -»
«Nein!» sprach der Vater, «der alte Bauer hat am Berg auch nur Bad und Trunk am Wasserfall. Und was das Essen anlangt -draußen, vorm Hinterzaun, am Grenzpfahl, liegt mein Rucksack, den holt mir: da hab' ich mein Speltbrot und meinen Schafkäse, den bringt mir. - Wieviel habt ihr Rinder im Stall und Rosse auf der Weide?» Es war seine erste Frage.
Eine Stunde darauf - schon war es dunkel geworden, und der kleine Athalwin war kopfschüttelnd über den Großvater zu Bett gegangen, da wandelten Vater und Tochter beim Licht des ausgehenden Mondes ins Freie. «Ich hab' nicht Luft genug da drinnen», hatte der Alte gesagt.
Sie sprachen viel und ernst, wie sie durch den Hof und durch den Garten schritten. Mitten drein warf der Alte immer wieder Fragen nach ihrer Wirtschaft auf, wie sie ihm Gerät oder Gebäude nahelegten, und in seinem Ton lag keine Zärtlichkeit: nur manchmal in dem Blick, der verstohlen sein Kind musterte.
«Laß doch endlich Roggen und Rosse», lächelte Rauthgundis, «und sage mir, wie's dir gegangen ist die langen Jahre? Und was dich endlich einmal herabgeführt hat von den Bergen zu deinen Kindern?» - «Wie's mir gegangen? Nun: halt einsam, einsam! Und kalte Winter! Ja, bei uns ist's nicht so hübsch warm, wie hier im Welschtale.» Und er sagte das wie einen Vorwurf. «Und warum ich herunter bin? Ja sieh, letztes Jahr hat sich der Zuchtstier zerfallen auf dem Firnjoch. Und da wollt' ich mir einen andern kaufen hier unten.»
Da hielt sich Rauthgundis nicht länger: mit warmer Liebe warf sie sich an des Alten Brust und rief: «Und den Zuchtstier hast du nicht näher gefunden als hier? Lüge doch nicht, Steinbauer, gegen dein eigen Herz und dein eigen Kind. Du bist gekommen, weil du gemußt, weil du's doch endlich nicht mehr ausgehalten vor Heimweh nach deinem Kinde.»
Der Alte blieb stehen und streichelte ihr Haar: «Woher du's nur weißt! Nun ja! Ich mußte doch mal selbst sehen, wie's um dich steht, und wie er dich hält, der Herr Gotengraf.»
«Wie seinen Augapfel», sprach das Weib selig. - «So? Und warum ist er denn nicht daheim bei Hof und Haus und Weib und Kind?» - «Er steht beim Heer in des Königs Dienst.»
«Ja, das ist's ja eben. Was braucht er einen Dienst und einen König? Doch - sage: warum trägst du keinen goldnen Armreif? Ein Gotenweib aus dem Welschtal kam einmal des Wegs bei uns vorbei, vor fünf Jahren, die trug Gold handbreit: da dacht' ich: so trägt's deine Tochter, und freute mich, und nun -»
Rauthgundis lächelte: «Soll ich Gold tragen für meiner Mägde Augen? Ich schmücke mich nur, wenn Witichis es sieht.» - «So? Mög' er's verdienen! Aber du hast doch Goldspangen und Goldreife wie andre Gotenfrauen hier unten?» - «Mehr als andre, truhenvoll. Witichis brachte große Beute vom Gepidenkrieg.» - «So bist du ganz glücklich?» - «Ganz, Vater, aber nicht wegen der Goldspangen.» - «Hast du über nichts zu klagen? Sag's mir nur, Kind! Was es auch sei, sag's deinem alten Vater, und er schafft dir dein Recht.»
Da blieb Rauthgundis stehen. «Vater, sprich nicht so! Das ist nicht recht von dir zu sprechen, nicht von mir zu hören. Wirf ihn doch weg, den unglückseligen Irrwahn, als müßte ich elend werden, weil ich zu Tal gezogen. Ich glaube fast, nur diese
Furcht hat dich hier herabgeführt.»
«Nur sie!» rief der Alte hastig, mit dem Stock aufstoßend. «Und du nennst einen Wahn, was deines Vaters tiefstes, inneres Wesen? Ein Wahn! Ah, ist's ein Wahn, daß sich's schwer atmet hier unten? Ein Wahn, daß unsre hochgewachsenen, weißen Goten klein und braun geworden hier unten im Tal? Ist es ein Wahn, daß alles Unheil von jeher von Süden hergekommen, von diesem weichen, falschen Tal? Woher kommen die Bergstürze über unsre Hütten? Von Süden her. Von wo kommt der giftige Wind, der Mensch und Vieh verdirbt? Von Süden. Warum stürzt mir Kuh und Schaf, wann sie am Südhang grasen? Warum starb deine Mutter, wie sie das erstemal von unserm Berge nach Bolsanum herabkam, in der schwülen Stadt? Ein Bruder von dir stieg auch herab, trat in des Königs Theoderichs Waffenschar zu Ravenna: erstochen haben ihn die Welschen beim Wein. Warum taugt kein Knecht mehr was, der je hier in den Süden herabstieg auch nur auf einen Winter? Wo hat unser großer Held Theoderich das verfluchte Regieren gelernt, mit Steuern und Folter und Kerker und Schreiben? Was haben unsre Väter von all dem gewußt?
Von woher kommt aller Trug, alle Unfreiheit, alle Üppigkeit, alle Unkraft, alle List? Von hier: aus dem Welschtal, aus dem Süden, wo die Menschen zu Tausenden beisammen nisten, wie unsauber Gewürm, und einer dem andern die Luft vergiftet. Und da kommt mir so einer auf meinen Fels und holt mein frisches Kind herab in dieses Land des Unsegens! Dein Eheherr hat was Gutes und Klares, ich leugn' es nicht; und hätte er sich droben bei mir ein Gehöft gebaut, ich hätte ihm gern mein Kind und das Joch der besten Ochsen dazu gegeben. Aber nein! Da herunter mußte er sie führen ins heiße Sumpftal. Und er selbst bückt den Kopf in goldnen Sälen zu Rom und in der Rabenstadt. Wohl hab' ich mich lang gewehrt -»
«Aber endlich gabst du nach
«Was wollt' ich machen? War doch mein kernfrisches Mädel
ganz herzenssiech geworden nach dem Unglücksmann.»
«Und zehn Jahre hat der Unglücksmann dein Kind beglückt.» - «Wenn's nur auch wahr ist!»
«Vater!» - «Und wahr bleibt. Es wäre das erstemal, daß Glück von Süden käme. Sieh, mein Abscheu ist so groß vor der Ebne, daß ich die sieben Jahr nicht niederstieg, gar mein Enkelkind nie gesehn habe. Wenn ich es jetzt doch getan, hat's schweren Grund.»
«Also nicht die Liebe? Nicht dein Herz?»
«Freilich! Doch mein banges Herz! Ein böses Zeichen ist geschehen. Du denkst doch noch der freudigen Buche, die am Felsbache stand, rechts vorm Hause? Ich pflanzte sie, nach altem Brauch, an dem Tag, da du geboren wardst. Und prächtig, wie du selbst, gedieh der Baum. In dem Jahr, da du fortzogst freilich, fand ich, er sehe krank und traurig aus. Aber die andern sahen es nicht und lachten mich aus.
Nun, sie erholte sich wieder und war frisch und grün. Doch in der letzten Woche kam des Nachts ein Hochgewitter, so wütig, wie ich's selten gehört da droben in den Felsen, und als wir am Morgen vor das Tor treten - ist der Stamm vom Blitz zerspalten, und die Krone hat der Gießbach mit sich fortgerissen - nach Süden.»
«Schad' um den lieben Baum! Doch kann dich das ängstigen?»
«Es ist nicht alles. Traurig grub ich am Abend, nach dem Tagewerk, den armen Stamm aus der Erde und warf ihn ins Herdfeuer, daß er nicht verunehrt und elend am Wege stehe, der meinem Kinde ein Bild und Zeichen war. Und ich nahm mir's sehr zu Herzen, und ich sann und sann mit schweren Sorgen über deinen Mann, und meine Zweifel an ihm kamen dicht und dichter. Und ich sah ins Feuer, drin der Stamm verkohlte.
So schlief ich ein, und im Traum sah ich dich und Witichis. Er tafelte im Goldsaal unter stolzen Männern und schönen Frauen in Glanz und Pracht gekleidet. Du aber standest vor der Tür, im Bettlerkleid, und weintest bittre Tränen und riefst ihn beim Namen. Er aber sprach: «Vater», sprach Rauthgundis zornig, «dergleichen soll man selbst im Traume nicht denken. Dein Mißtrauen -» «Mißtrauen! Ich traue niemand als mir selbst. Und in dem Blitzschlag und in dem Traumgesicht hat sich's mir deutlich gemeldet: dir droht ein Unglück! Weich ihm aus! Nimm deinen Knaben und geh mit mir in die Berge! Nur auf kurze Zeit. Glaub' mir, du wirst es bald wieder schön finden in der frischen Luft, wo man über aller Herren Länder hinwegsieht.» «Ich soll meinen Mann verlassen? Niemals.» - «Hat er nicht dich verlassen? Ihm ist Hof-Königsdienst mehr als Weib und Kind. So laß ihm seinen Willen.» «Vater», sprach jetzt Rauthgundis, seine Hand heftig fassend, «kein Wort mehr! Hast du denn meine Mutter nicht geliebt, daß du so reden kannst von Ehegatten? Mein Witichis ist mir alles. Luft und Licht des Lebens. Und er liebt mich mit seiner ganzen treuen Seele. Und wir sind eins. Und wenn er für recht hält, fern von mir zu schaffen, zu wirken, so ist es recht. Er führt seines Volkes Sache. Und zwischen mich und ihn soll kein Wort, kein Hauch, kein Schatten treten. Und auch ein Vater nicht.» Der Alte schwieg. Aber sein Mißtrauen schwieg nicht. «Warum», hob er nach einer Pause wieder an, «wenn er am Hof so wichtige Geschäfte hat, warum nimmt er dich nicht mit? Schämt er sich der Bauerntochter?» und zornig stieß er seinen Stock auf die Erde. «Der Zorn verwirrt dich! Du grollst, daß er mich vom Berg ins Tal der Welschen geführt - und grollst ebenso, weil er mich nicht nach Rom mitten unter sie führt!» «Du sollst's auch nicht tun! Aber er soll's wollen. Er soll dich nicht entbehren können. Aber des Königs Feldherr wird sich des Bauernkindes schämen.» Da, ehe Rauthgundis antworten konnte, sprengte ein Reiter an das jetzt verschlossene Hoftor, vor dem sie eben standen. «Auf, aufgemacht!» rief er, mit der Streitaxt an die Pfosten schlagend. «Wer ist da draußen'» fragte der Alte vorsichtig. - «Aufgemacht! So lang läßt man einen Königsboten nicht warten!» «Es ist Wachis», sprach Rauthgundis, den schweren Riegelbalken im Ring zurückschiebend, «was bringt dich so plötzlich zurück?» «Du bist es selbst, die mir öffnet!» rief der treue Mann, «o Gruß und Heil, Frau Königin der Goten! Der Herr ist zum König des Volks gewählt. Diese meine Augen sahen ihn hoch auf den Heerschild gehoben. Er läßt dich grüßen: und entbietet dich und Athalwin nach Rom. In zehn Tagen sollst du aufbrechen.» In allem Schrecken und in aller Freude und zwischen allen Fragen durch konnte sich Rauthgundis nicht enthalten eines freudig stolzen Blicks auf ihren Vater. Dann warf sie sich an seine Brust und weinte. «Nun», fragte sie endlich sich losmachend, «Vater, was sagst du nun?» «Was ich sage? Jetzt ist das Unglück da, das mir geahnt! Ich gehe noch heute nacht zurück auf meinen Berg.»
Während die Goten bei Regeta tagten, umklammerte in weit geschwungenem Halbkreis das mächtige Heerlager Belisars die hart bedrängte Stadt Neapolis.
Rasch, unaufhaltsam wie ein Brand in getrocknetem
Heidegras, hatte sich das Heer der Byzantiner von der äußersten Südostspitze Italiens bis vor die Mauern der pathenopeischen Stadt gewälzt, ohne Widerstand zu finden. Denn dank den Befehlen Theodahads waren nicht hundert Gotenkrieger in jenen Gegenden zu finden.
Das kurze Vorpostengefecht am Passe Jugum war der einzige Aufenthalt, auf den die Griechen stießen. Die römische Bevölkerung vor Bruttien mit den Städten Regium, Vibo und Squyllacium, Tempsa und Croton, Ruscia und Thurii, von Calabrien mit den Städten Gallipolis, Tarentum und Brundisium, von Lucanien mit den Städten Vella und Buxentum, von Apulien mit den Städten Acheruntia und Canusium, Salernum, Nuceria und Campsä, und viele andere Städte nahmen Belisar mit Jubel auf, als er ihnen im Namen des rechtgläubigen Kaisers Justinian die Befreiung von dem Joche der Ketzer und Barbaren verkündete. Bis an den Aufidus im Osten, bis an den Sarnus im Südwesten war Italien den Goten entrissen, und erst an den Wällen von Neapel brach sich der Ungestüm dieser feindlichen Wogen.
Und wohl ein herrliches Kriegsschauspiel waren diese Heerlager Belisars zu nennen. Im Norden, vor der Porta Nolana, dehnte sich das Lager Johannes des Blutigen. Diesem tapferen Führer war die Via Nolana anvertraut und die Aufgabe, die Straße nach Rom zu erzwingen. Hier in den breiten Wiesenflächen, auf den Saatfeldern fleißiger Goten, tummelten die Massageten und die gelben Hunnen ihre kleinen, häßlichen Gäule. Daneben lagerten leichte persische Söldner, in Linnenpanzern, mit Pfeil und Bogen; dann schwere armenische Schildträger, Makedonen mit zehn Fuß langen «Sarissen» (Lanzen) und große Massen thessalischer und thrakischer, aber auch sarazenischer Reiter, zu verhaßter Untätigkeit in diesem Belagerungskampf verurteilt und ihre Muße nach Kräften ausfüllend mit Streifzügen ins Innere des Landes.
Das mittlere Lager, gerade im Osten der Stadt, war von dem
Hauptheer erfüllt: Belisars großes Feldherrnzelt von blauer sidonischer Seide mit dem Purpurwimpel ragte in seiner Mitte. Hier stolzierte die Leibwache, die Belisar selbst bewaffnete und besoldete, und zu der nur die erlesensten Leute, die sich dreimal durch Todesverachtung im Kampf ausgezeichnet, zugelassen wurden: - aus ihr gingen Belisars Schüler und beste Heerführer hervor - in reichvergoldeten Helmen mit roten Roßhaarkämmen, den besten Brust- und Beinharnischen, ehernen Schilden, dem breiten Schwert und der partisanengleichen Lanze. Hier bildeten den Kern des Fußvolks achttausend Illyrer, die einzige gute Truppe, die das Griechenreich noch selbst stellte; hier aber lagerten auch unter dem Befehl ihrer Stammesfürsten die awarischen, bulgarischen, sarmatischen und auch germanischen Scharen, wie Heruler und Gepiden, die Byzanz um schweres Geld werben mußte, den Mangel der kriegsfähigen Mannschaft zu decken. Hier waren auch die ausgewanderten und die vielen Tausend übergegangenen Italier.
Endlich das südwestliche Lager, das sich den Strand entlang dehnte, befehligte Martinus, der den Belagerungswerkzeugen vorstand: hier standen die Katapulten und Ballisten, die Mauerbrecher und Wurfmaschinen in Vorrat: hier wogten die isaurischen Bundesgenossen und die Scharen, die das neu von den Vandalen zurückeroberte Afrika stellte: maurische, numidische Reiter, libysche Schleuderer durcheinander.
Aber vereinzelt waren Abenteurer und Söldner fast aus allen Barbarenstämmen der drei Erdteile vertreten: Bajuwaren von der Donau, Alamannen vom Rhein, Franken von der Maas, Burgunden von der Rhone, dann wieder Anten vom Dniester, Lazier vom Phlasis, pfeilkundige Abasgen, Sabiren, Lebanthen und Lykaonen aus Asien und Afrika. So bunt zusammengesetzt aus barbarischen Haufen war die Kriegsmacht, mit der Justinian die gotischen «Barbaren» vertreiben und Italien befreien wollte. Den Befehl über die Vorposten hatten immer und überall die Leibwächter Belisars, und diese Kette zog sich um die Stadt her von der Porta Capuana fast bis an die Wogen des Meeres. Neapolis aber war schlecht befestigt und schwach besetzt. Nicht tausend Goten waren es, welche die ausgedehnten Werke gegen ein Heer von vierzigtausend Byzantinern und Italiern verteidigen sollten.
Graf Uliaris, der Befehlshaber der Stadt, war ein tapferer Mann und hatte bei seinem Bart geschworen, die Feste nicht zu übergeben. Aber auch er hätte der überlegnen Macht und Feldherrnkunst Belisars wohl nicht lange widerstehen können, wäre nicht ein glücklicher Umstand ihm zu Hilfe gekommen. Das war die unzeitige Rückkehr der griechischen Flotte nach Byzanz. Als nämlich Belisar, nachdem er sein gelandetes Heer in Regium eine Nacht geruht und gemustert hatte, den allgemeinen Aufbruch mit der Land- und Seemacht gegen Neapolis befahl, sandte ihm sein Nauarchos Konon einen bisher geheimgehaltenen Auftrag des Kaisers, wonach die Flotte sofort nach der Landung nach Nikopolis an der griechischen Küste zurücksegeln sollte, angeblich, neue Verstärkungen herüberzuholen, in Wahrheit aber nur, den Prinzen Germanus, Justinians Neffen, mit den kaiserlichen Lanzenträgern nach Italien zu führen, der die Siegesschritte Belisars beobachten, überwachen, nötigenfalls hemmen und, als Oberfeldherr, die Interessen des kaiserlichen Mißtrauens gegen den Unterfeldherrn Belisar wahren sollte. Zähneknirschend mußte Belisar seine Flotte im Augenblick, da er ihrer am meisten bedurfte, absegeln sehen, und nur mit vielen Bitten erlangte er, daß ihm der Nauarch vier Kriegstrieren, die noch bei Sizilien kreuzten, zu senden versprach.
So hatte denn Belisar, als er sich anschickte, Neapolis zu belagern, die Stadt zwar von Nordost, Ost und Südost mit seiner Landmacht eng einschließen können - den Westen, die Straße nach Rom, durch Castellum Tiberii gedeckt, hielt Graf Uliaris mit höchster Kraft frei - aber den Hafen von Neapolis und seine Verbindung mit der See hatte er nicht zu sperren vermocht.
Anfangs zwar tröstete er sich damit, daß ja auch die Belagerten keine Flotte hätten und also von ihrer Verbindung mit dem Meer nicht eben viel Vorteil würden ziehen können. Aber hier trat ihm zuerst die Begabung und die Kühnheit eines Gegners in den Weg, den er später noch mehr fürchten lernen sollte. Das war Totila. Kaum hatte dieser Neapolis erreicht, der Leiche des alten Valerius mit Julius die letzte Ehre erwiesen und die ersten Tränen Valerias getrocknet, als er mit rastloser Tätigkeit an der Aufgabe arbeitete, eine Flotte aus dem Nichts zu schaffen.
Er war Befehlshaber des Geschwaders von Neapolis, aber dieses ganze Geschwader hatte König Theodahad schon vor Wochen, trotz Totilas Vorstellungen, Belisar aus dem Wege, nach Pisa beordert, wo es die Arnusmündung bewachen sollte. So besaß Totila von Anfang nichts als drei leichte Wachtschiffe, von denen er zwei bei Sizilien verloren hatte: und er war nach Neapolis gekommen, an jedem Widerstand zur See verzweifelnd. Aber da er das Unglaubliche vernahm, daß die byzantinische Flotte nach Hause gefahren sei, belebte sich sofort seine Hoffnung. Und nun ruhte er nicht, bis er auf großen Fischerbooten, Kaufmannsschiffen, Hafenkähnen und in der Eile notdürftig seetüchtig gemachten Wracks der Werften sich eine kleine Flotille von etwa zwölf Segeln gebildet, die freilich weder einem Sturm auf hoher See noch einem einzigen Kriegsschiff Trotz bieten konnte, aber doch vortreffliche Dienste leistete, die sonst völlig abgeschnittene Stadt von Bajä, Cumä und anderen Städten im Nordwesten her mit Lebensmitteln zu versehen, die Bewegungen der Feinde an den Küsten zu beobachten und mit unaufhörlichen Angriffen zu quälen, indem Totila mit einer kleinen Schar oft im Süden, im Rücken der griechischen Lager, landete, sich ins Land schlich, bald hier, bald da einen Trupp der Feinde überfiel und zersprengte und solche Unsicherheit verbreitete, daß sich die Byzantiner nur in starken Abteilungen und nie zu weit von ihren
Lagern zu entfernen wagten, während diese Erfolge die hart bedrängte, von steten Wachdiensten und Kämpfen angegriffene Mannschaft des Uliaris immer wieder ermutigten.
Bei alledem konnte sich Totila nicht verhehlen, daß die Lage schon jetzt eine höchst bedenkliche und, sowie einige griechische Schiffe vor der Stadt erschienen, eine unhaltbare werde. Er verwandte daher einen Teil seiner Boote dazu, täglich eine Anzahl von wehrunfähigen Einwohnern aus Neapolis aufwärts nach Bajä und Cumä zu schaffen, wobei er die Anforderung der Reichen, daß diese Rettungsfahrten nur gegen Bezahlung stattfinden sollten, streng zurückwies und ohne Unterschied Arme wie Reiche in seine rettenden Schiffe aufnahm. Vergebens hatte Totila wiederholt und immer dringender Valeria gebeten, unter dem Schutz von Julius auf diesen Schiffen zu flüchten: noch wollte sie sich von dem Sarge ihres Vaters, noch von dem Geliebten nicht trennen, dessen Lob als des Schirmers der Stadt sie nur zu gern aus aller Munde einsog. Und ruhig fuhr sie fort, in dem väterlichen Hause ihrer Trauer und ihrer Liebe zu leben.
In diesen ersten Tagen der Belagerung empfand auch Miriam die höchsten Freuden und die höchsten Schmerzen ihrer Liebe.
Häufiger als je konnte sie sich in des Geliebten Anblick sonnen: denn die Porta Capuana war ein wichtiger Punkt der Befestigung, den der Seegraf oft besuchen mußte. In der Turmstube des alten Isak hielt er täglich mit Graf Uliaris den traurigen Kriegsrat. Dann pflegte Miriam, wann sie die Männer begrüßt und das schlichte Mahl von Früchten und Wein auf den Tisch gestellt, hinunterzuschlüpfen in das enge Gärtlein, das dicht hinter der Turmmauer lag. Der Raum war ursprünglich ein kleiner Hof im Tempel der Minerva, der Mauerbeschützerin, gewesen, der man gern an den Haupttoren der Städte einen Altar errichtete.
Seit Jahrhunderten war der Altar verschwunden: aber noch ragte hier der alte, mächtige Olivenstamm, der einst die der Göttin geweihte Statue beschattet hatte: und ringsum dufteten die Blumen, die Miriams liebevolle Hand hier gepflegt und oft für die Braut des Geliebten gebrochen hatte. Gerade gegenüber dem riesigen Ölbaum, dessen knorrige Wurzeln über die Erde hervorstarrten und eine dunkle Öffnung in den Erdgeschossen des alten Tempels zeigten, war von dem Christentum ein großes, schwarzes Holzkreuz angebracht über einem kleinen Betschemel, der aus einer Marmorstufe des Minervatempels gebildet war - man liebte, die Stätten des alten Gottesdienstes dem neuen zu unterwerfen und die alten Götter, die jetzt zu Dämonen geworden, durch die Sinnbilder des siegreichen Glaubens zu verscheuchen.
Unter diesem Kreuz saß das schöne Judenmädchen oft stundenlang mit der alten Arria, der halbblinden Witwe des Unterpförtners, die, nach dem frühen Tod von Isaks Weib, wie eine Mutter das Heranblühen der kleinen Miriam mit ihren Blumen in dem öden Gestein der alten Mauern überwacht hatte. Da hatte diese viele Jahre lang still lauschend zugehört, wie die fromme Alte in fleißigem Gebet zu dem Gott der Christen flehte: und unwillkürlich war so mancher Strahl der mildern, hellern Liebeslehre des Nazareners in das Herz der Heranwachsenden gedrungen.
Jetzt, da Alter und Erblindung die Witwe hilfsbedürftig gemacht, vergalt Miriam mit liebevoller Treue der Pflegerin ihrer Kindheit. Mit Rührung nahm Arria diese Treue hin, ihr altes Herz umschloß mit Dank und Liebe und Mitleid das herrliche Geschöpf, dessen mächtige Liebe zu dem jungen Goten sie längst erkannt und beklagt, aber nie gegenüber der scheuen Jungfrau berührt hatte.
Am Abend des dritten Tages der Belagerung schritt Miriam nachdenklich die breiten Mauerstufen nieder, die von der Turmpforte in den Garten führten: ihr edles, seelentiefes Auge glitt, in ernstes Sinnen verloren, über die duftigen Blumen der Beete hin: auf der letzten Stufe blieb sie träumend stehen, die linke Hand auf den Mauerrand lehnend. Arria kniete auf dem Betschemel ihr den Rücken wendend, und betete laut. Sie würde die Nahende nicht bemerkt haben, wenn nicht geflügeltes Leben plötzlich den stillen Hof beseelt hätte: denn in den breiten Zweigen der Olive nisteten die schönsten, weißen Tauben, der einsamen Miriam einzige Gespielinnen. Als diese die vertraute Gestalt auf den Stufen erscheinen sahen, erhoben sie sich alle, in schwirrendem Flug ihr Haupt umschwärmend; eine ließ sich auf des Mädchens linke Schulter nieder, die andre auf das feine Gelenk der Rechten, die Miriam, aus ihrem Traume geweckt, lächelnd ausstreckte.
«Du bist's, Miriam! Deine Tauben verkünden dich!» sprach Arria sich wendend. Und das schöne Mädchen stieg die letzte Stufe nieder, langsam, die Vögel nicht zu verscheuchen; die Abendsonne fiel durch die Blätter der Olive auf ihre pfirsichroten Wangen: es war ein lieblich Bild.
«Ich bin's, Mutter!» sagte Miriam, sich zu ihr setzend. «Und ich hab' eine Bitte. Wie lautet», fragte sie leiser, «dein Spruch vom Leben nach dem Tode, dein Glaubensspruch? - «An die Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. - Wie kommst du auf diese Gedanken? «Ei nun», sagte Miriam, «mitten im Leben stehen wir im Tode, sagt der Sänger von Zion. Und jetzt wir besonders! Fliegen nicht täglich Pfeile und Steine in die Straßen. Aber ich will noch Blumen pflücken!» sprach sie wieder aufstehend. Arria schwieg einen Augenblick. «Jedoch der Seegraf war heute schon da, mir ist, ich hätte seine helle Stimme gehört.» Miriam errötete leicht. «Sie sind nicht für ihn» sprach sie dann ruhig «für sie.» - «Für sie?» - «Ja, für seine Braut. Ich habe sie heute zum erstenmal gesehen. Sie ist sehr schön. Ich will ihr Rosen schenken.» - «Du hast sie gesprochen? Wie ist sie geartet?» «Nur gesehen, sie bemerkte mich nicht. Ich schlich schon lange um den Palast der Valerier, seit sie hier ist. Heute ward sie in die Sänfte gehoben, sie ward in die Basilika getragen. Ich lehnte hinter der Säule ihres Hauses.» «Nun, ist sie seiner würdig?» «Sie ist sehr schön. Und vornehm. Und klug sieht sie aus: auch gut. Aber», seufzte Miriam, «nicht glücklich. Ich will ihr Rosen schenken. Mutter», sagte sie, nach einiger Zeit sich wieder mit ihren duftigen Blumen zu ihr setzend, «was bedeutet das: die Gemeinschaft der Heiligen. Sollen nur die Christen dann beisammen leben? Nein, nein!» fuhr sie fort, ohne die Antwort abzuwarten, «das kann nicht sein. Entweder alle, alle Guten oder» - und sie seufzte. «Mutter, in den Büchern Mosis steht nichts davon, daß die Menschen erwachen aus dem Tode. Oh, und es wäre auch so schrecklich nicht», sprach sie, die Rosen zusammenfügend, «endlich ausruhn! Ganz ausruhn! In süßer, stiller, traumloser Nacht. Ausruhn vom Leben! Denn gibt es Leben ohne Schmerz? Ohne Sehnen? Ohne leisen, niegestillten Wunsch? Ich kann's nicht denken.» Und sie hielt inne im Flechten ihres Kranzes und stützte das Haupt auf das Handgelenk. Die Tauben flogen weg: denn die Herrin achtete ihrer nicht. «Den Seinen hat der Herr», sprach Arria feierlich, «die selige Stätte bereit: sie werden nicht mehr hungern noch dürsten. Es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne, oder irgendeine Hitze. Denn Gott der Herr wird sie leiten zu dem lebendigen Wasserbrunnen und abwischen alle Tränen von ihren Augen.» «Alle Tränen von ihren Augen», sprach Miriam nach. «Rede weiter. Es klingt so gut.» «Dort werden sie leben, wunschlos, den Engeln gleich, und sie werden Gott schauen, und sein Friede wird Palmenschatten über sie breiten, sie werden vergessen Haß und Liebe und Schmerz und alles, was ihre Herzen bewegt auf Erden. Und ich habe viel gebetet, Miriam, für dich; und auch deiner wird sich der Herr erbarmen und dich versammeln zu den Seinen.» Aber Miriam schüttelte leise das Haupt. «Nein. Arria, da ist fast besserer Trost der ewige Schlaf. Denn wie kann deine Seele lassen von dem, was deiner Seele Leben ist? Wie kannst du abtun dein tiefstes Sein und doch dieselbe bleiben? Wie soll ich selig sein und vergessen, was ich liebe? Ach, nur das, daß wir lieben, ist ja des Lebens wert. Und hätt' ich zu wählen: hier alle Seligkeit des Himmels und sollte abtun meines Herzens einzig Gut, oder behalten meines Herzens Liebe mit all ihrer ewigen Sehnsucht - ich neidete den Seligen ihren Himmel nicht. Ich wählte meine Liebe und mein Weh.» «Kind, sprich nicht so! Lästre nicht. Sieh, was geht über Mutterliebe? Nichts auf Erden! Doch wird auch die im Himmel nicht mehr leben! Die Liebe, die das Mädchen zieht zum Mann, sie ist ein Traum von Gold. Mutterliebe ist ein ehern Band, das ewig schmerzend bindet. O mein Jucundus, mein Jucundus! Möchtest du bald wiederkommen, daß ich dich noch schauen kann hienieden, eh meine Augen volle Nacht bedeckt. Denn droben im Himmelreich wird auch die Mutterliebe untergehen in der ewigen Liebe Gottes und der Heiligen. Und doch möcht ich ihn noch einmal fassen und umfangen und mit den Händen betasten sein geliebtes Haupt. Und höre nur, Miriam: ich hoffe und vertraue, bald, bald werd' ich ihn wiedersehen.» «Du darfst mir nicht sterben, Arria.» - «Nein, so mein' ich's nicht! Hier auf Erden noch muß ich ihn wiedersehen. Ich muß ihn wiederkommen sehen des Weges, den er gegangen.» «Mutter», sagte Miriam sanft, wie man einem Kinde einen Wahn ausredet, «wie magst du noch immer daran glauben! Dein Jucundus ist seit dreißig Jahren verschwunden!» «Und doch kann er wiederkommen! Es ist nicht möglich, daß der Herr all meiner Träume nicht achtet, all meiner Gebete. Was war er für ein braver Sohn! Mit seiner Hände Arbeit ernährte er mich, bis er erkrankte und Axt und Schaufel nicht mehr führen konnte, und wir litten Not. Da sprach er: Und wir beteten miteinander eine Stunde, hier vor dem Kreuz. Und dann erhob sich mein Jucundus und drang in die Höhlung dort unter den Wurzeln der Olive. Ich horchte dem Schall seiner Bewegungen, bis er verhallte. Er ist noch immer nicht zurückgekommen. Aber tot ist er nicht! O nein! Kein Tag vergeht, daß ich nicht denke: heut' führt ihn Gott zurück. War nicht auch Joseph fern lange Jahre im Ägyptenland? Und doch haben Jakobs Augen ihn wiedergesehen. Und mir ist, heut' oder morgen sehe ich ihn wieder. Denn heut nacht im Traum hab' ich ihn gesehen, wie er im weißen Gewand heraufschwebte aus der Höhlung dort: und beide Arme breitete er aus, und ich rief ihn beim Namen, und wir waren vereint auf ewig. Und so wird's werden: denn der Herr erhöret das Flehen der Betrübten, und wer ihm traut, wird nicht zuschanden werden.» Und die Alte erhob sich, drückte Miriams Hand und ging in ihr kleines Häuschen. Allmählich war der Mond voll aufgegangen und erhellte zauberisch das enge Gärtchen, in das des Turmes schwere Schatten fielen: und stark dufteten die Rosen. Miriam stand auf und blickte an dem Kreuz empor. «Welch mächtiger Glaube! Welch lebendiger Trost! Welch milde Lehre! Ist es so? Ist der Mann, der dort am Kreuz in Todesweh das Haupt gebeugt, ist es der Messias? Ist er aufgefahren gen Himmel und sorget für die Seinen, wie ein Hirt, der seine Lämmer weidet? - - Ich aber zähle nicht zu seiner Herde! An jenem Trost hat Miriam keinen Teil. Mein Trost ist meine Liebe mit all ihrem Weh: sie ist meine Seele selbst geworden. Und ich sollte einst dort oben über den Sternen hinschweben, ohne diese Liebe? Dann wär' ich nicht Miriam mehr! Oder soll ich sie mit hinauftragen, und wieder zurückstehen? Und wieder durch alle Ewigkeit die Römerin an seiner Seite sehen? Sollen sie dort wohnen und wandeln in der Fülle des Glanzes und ich im trüben Nebel einsam folgen und nur von ferne leuchten sehen den Saum seines weißen Gewandes? Nein, o nein, viel besser, wie meine Blumen hier, erblühen am Sonnenblick der Liebe, duften und glühen eine kurze Weile, bis sie die Sonne versengt, die sie geweckt und geopfert hat, und verwehen in ewige Ruhe, nachdem der weiche, süße, unselige Drang nach dem Lichte gebüßt... » - «Gute Nacht, Miriam, lebe wohl!» rief eine melodische Stimme. Und fast erschrocken blickte sie auf: und sah noch des Goten weißen Mantel vor der Treppe um die Ecke verschwinden. Uliaris ging nach der entgegengesetzten Seite. Rasch sprang sie die Stufen hinan und sah dem weißen Mantel, der silbern im Mondlicht glänzte, nach, lang, lang, bis er verschwand im fernen Schatten.
Alle Tage zweimal traten so Uliaris und Totila zusammen, berichteten ihre Erfolge, ihre Verluste und prüften ihre Aussichten zur Rettung der Stadt.
Aber am zehnten Tage der Belagerung etwa rasselte Uliaris vor Tagesanbruch auf das Verdeck von Totilas «Admiralschiff», eines morschen Muränenfängers, wo der Seegraf von Neapel, von einem zerfetzten Segel gedeckt, schlief. «Was ist?» rief Totila auffahrend, noch im Traum, «der Feind? Wo?» - «Nein, mein Junge, diesmal ist's noch Uliaris, nicht Belisar, der dich weckt. Aber lange, beim Strahl, wird's nicht mehr dauern.» -«Uliaris, du blutest - dein Kopf ist verbunden!»
«Bah, war nur ein Streifpfeil! Zum Glück kein giftiger. Ich holt' ihn mir heut' nacht. Du mußt wissen: die Dinge stehen schlecht, schlechter als je seit gestern. Der blutige Johannes, Gott hau' ihn nieder, gräbt sich wie ein Dachs an unser Kastell Tiberii, und hat er das, dann gute Nacht, Neapolis! Gestern abend hat er eine Schanze auf dem Hügel über uns vollendet und wirft uns Brandpfeile auf die Köpfe. Ich wollt' ihn heute nacht aus seinem Bau werfen, ging aber nicht. Sie waren sieben gegen einen, und ich gewann nichts damit als diesen Schuß vor meinen grauen Kopf.»
«Die Schanze muß weg», sagte Totila nachsinnend.
«Den Teufel auch, aber sie will nicht!
Allein mehr. Die Bürger, die Einwohner fangen an, schwierig zu werden. Täglich schießt Belisar hundert stumpfe Pfeile mit seinem «Wir brennen ein Stück der Stadt nieder! Die Vorstadt wenigstens... » - «Damit uns die Leute lieber gewinnen? Nein, Uliaris, sie sollen uns nicht mit Recht Barbaren schelten. Ich weiß ein besser Mittel - sie hungern: ich habe gestern vier Schiffsladungen Öl und Korn und Wein hereingeführt, die will ich verteilen.» - «Ö1 und Korn, meinethalben! aber den Wein, nein! Den fordre ich für meine Goten, die trinken schon lang Zisternenwasser, pfui Teufel!» «Gut, durstiger Held, ihr sollt den Wein für euch haben.» -«Nun? Und noch keine Botschaft von Ravenna? Von Rom?» -«Keine! Mein fünfter Bote ist gestern fort.» - «Gott hau' ihn nieder, unsern König.» «Höre Totila, ich glaube nicht, daß wir lebendig aus diesen wurmstichigen Mauern kommen!» «Ich auch nicht!» sagte Totila ruhig und bot seinem Gast einen Becher Wein. Uliaris sah ihn an, dann trank er und sagte: «Goldjunge, du bist echt und dein Cäkuber auch. Und muß ich hier umkommen, wie ein alter Bär unter vierzig Hunden, mich freut's doch, daß ich dich dabei so gut kennengelernt: dich und deinen Cäkuber.» Mit dieser rauhen Freundlichkeit stieg der graue Gote vom Verdeck. Totila schickte den Leuten im Kastell Wein und Korn, und sie labten sich herzlich daran. Als aber Uliaris am andern Morgen aus dem Turm des Kastells lugte, rieb er sich die Augen. Denn auf der Hügelschanze wehte die blaue gotische Fahne. Totila war in der Nacht im Rücken der Feinde gelandet, und hatte das Werk in kühnem Anlauf genommen. Aber diese neue Keckheit reizte den ganzen Zorn Belisars. Er schwur, den verwegnen Planken ein Ende zu machen um jeden Preis. Höchst erwünscht trafen ihm zur Stunde die vier Kriegsschiffe von Sizilien her auf der Höhe von Neapolis ein. Er befahl, sie sollten sofort in den Hafen von Neapolis dringen und den Seeräubern das Handwerk legen. Stolz rauschten noch am Abend des gleichen Tages die vier mächtigen Trieren heran und legten sich an der Einfahrt des Hafens vor Anker, Belisar selbst eilte mit seinem Gefolge an die Küste und freute sich, die Segel von der Abendsonne vergoldet zu sehen: «Die aufgehende Sonne sieht sie in den Hafen der Stadt fahren trotz jenem Tollkopf», sprach er zu Antoniana, die ihn begleitete, und wandte seinen Schecken zurück nach dem Lager. Noch hatte er am andern Morgen das Feldbett nicht verlassen - Prokopius, sein Rechtsrat, stand vor ihm und las ihm den entworfenen Bericht an Justinian - da erschien in seinem Zelt Chanaranges, der Perser, der Führer der Leibwächter, und rief: «Die Schiffe, Feldherr, die Schiffe sind genommen.» Wütend sprang Belisar aus den Decken und rief: «Der soll sterben, der das sagt.» «Besser wäre es», meinte Prokopius, «der stürbe, der es getan.» - «Wer war es?» - «Ach Herr, der junge Gote mit blitzenden Augen und dem leuchtenden Haar.» - «Totila!» sprach Belisar, «schon wieder Totila.» «Die Bemannung lag zum Teil am Strand, bei meinen Vorposten, zum Teil schlaftrunken unter Deck. Plötzlich, um Mitternacht, wird's lebendig ringsum, als wären hundert Schiffe aus der Tiefe des Meeres getaucht.» - «Hundert Schiffe! Zehn Nußschalen hat er!» - «Im Augenblick und lang, eh' wir vom Strand zu Hilfe kommen können, sind die Schiffe geentert, die Leute gefangen, eine der Trieren, deren Ankertau nicht rasch zu kappen war, in Brand gesteckt, die andern drei nach Neapolis geführt.» «Sie sind noch früher in den Hafen gekommen, als du dachtest, o Belisar», sprach Prokopius. Aber Belisar hatte sich jetzt wieder ganz in der Gewalt. «Nun hat der kecke Knabe Kriegsschiffe! Nun wird er unerträglich werden. Jetzt muß ein Ende werden.» Er drückte den prächtigen Helm auf das majestätische Haupt: «Ich wollte die Stadt, die römischen Einwohner schonen: es geht nicht länger. Prokopius, geh und entbiete hierher die Feldherrn Magnus, Demetrius und Constantianus, Bessas und Ennes, und Martinus, den Geschützmeister; ich will ihnen zu tun geben vollauf. Sie sollen ihres Sieges nicht froh werden, die Barbaren, sie sollen Belisar kennenlernen.» Alsbald erschien im Zelte des Oberfeldherrn ein Mann, der trotz des Brustpanzers, den er trug, mehr einem Gelehrten als einem Krieger glich. Martinus, der große Mathematiker, war eine friedliche, sanfte Natur, die lange im stillen Studium des Euklid ihre Seligkeit gefunden. Er konnte kein Blut sehen und keine Blume knicken. Aber seine mathematischen und mechanischen Studien hatten ihn eines Tages dahin geführt, eine neue Wurfmaschine von furchtbarer Schleuderkraft, wie im Vorbeigehen, zu erfinden; er legte den Plan Belisar vor, und dieser, entzückt, ließ ihn gar nicht mehr in sein Studierzimmer zurück, sondern schleppte ihn sofort zum Kaiser und zwang ihn, «Geschützmeister des Magister Militum per Orientem», d. h. eben Belisars, zu werden; er erhielt einen glänzenden Sold und war kontraktlich verpflichtet, jedes Jahr eine neue Kriegsmaschine herzustellen. Mit Seufzen ersann nun der sanfte Mathematiker jene gräßlichen Zerstörungswerkzeuge, welche die Wälle der Festen, die Tore der Burgen niederschmetterten, unlöschbares Feuer in die Städte der Feinde Justinians schleuderten und Menschen zu vielen Tausenden niederrafften. Er hatte wohl jedes Jahr seine Freude an der mathematischen Aufgabe, die er in unermüdlichem Fleiß sich stellte. Aber war nun die Aufgabe gelöst, so dachte er mit Schaudern an die Wirkungen seiner Gedanken. Mit trauriger Miene erschien er deshalb vor Belisar. «Martinus, Zirkeldreher», rief dieser ihm zu, «jetzt zeige deine Kunst! Wie viele Katapulten, Ballisten, Wurfmaschinen im ganzen haben wir?» - «Dreihundertfünfzig, Herr!» - «Gut! Verteile sie um unsre ganze Belagerungslinie! Oben im Norden, bei der Porta Capuana und bei dem Kastell, die Mauerbrecher gegen die Wälle! Sie müssen nieder und wären sie Diamant. Vom Mittellager aus richte die Geschosse von oben, im Bogenwurf, in die Straßen der Stadt. Biete alle Kraft auf, setze keinen Augenblick aus, vierundzwanzig Stunden lang! Laß die Truppen sich ablösen. Laß alle Werkzeuge spielen.» «Alle, Herr?» sprach Martinus. «Auch die neuen? Die Pyroballisten, die Brandgeschosse?» «Auch die! Die zumeist!» - «Herr, sie sind gräßlich! Du kennst noch ihre Wirkung nicht.» «Wohlan! Ich will sie kennenlernen und erproben.» - «An dieser herrlichen Stadt? An des Kaisers Stadt? Willst du Justinian einen Schutthaufen erobern?» Die Seele Belisars war edel und groß. Er war unwillig über sich, über Martinus, über die Goten. «Kann ich denn anders?» zürnte er, «diese eisenköpfigen Barbaren, dieser tolldreiste Totila zwingen mich ja. Fünfmal hab' ich ihnen Ergebung angeboten. Es ist Wahnsinn! Nicht dreitausend Mann stecken in den Wällen. Beim Haupte Justinians! Warum stehen die dreißigtausend Neapolitaner nicht auf und entwaffnen die Barbaren?» «Sie fürchten wohl deine Hunnen ärger als ihre Goten», meinte Prokop. «Schlechte Patrioten sind sie! Vorwärts Martinus! In einer Stunde muß es brennen in Neapolis.» «In kürzerer Zeit», seufzte der Geschützmeister, «wenn es denn doch sein muß. Ich habe einen kundigen Mann mitgebracht, der uns viel helfen kann und die Arbeit vereinfachen: er ist ein lebendiger Plan der Stadt. Darf ich ihn bringen?» Belisar winkte, und die Wache rief einen kleinen, jüdisch aussehenden Mann herein. «Ah, Jochem, der Baumeister!» sprach Belisar. «Ich kenne dich wohl, von Byzanz her. Du wolltest ja die Sophienkirche bauen. Was ward daraus?» - «Mit eurer Gunst, Herr: nichts.» - «Warum nichts?» «Mein Plan belief sich nur auf eine Million Centenare Goldes: das war der kaiserlichen Heiligkeit zu wenig. Denn je mehr eine Christenkirche gekostet, desto heiliger und gottgefälliger ist sie. Ein Christ forderte das Doppelte und erhielt den Auftrag.» «Aber ich sah dich doch bauen in Byzanz?» «Ja, Herr, mein Plan gefiel dem Kaiser doch! Ich änderte ein wenig, nahm die Altarstelle heraus und baute ihm danach eine Reitschule.» - «Du kennst Neapolis genau? Von außen und innen?» «Von außen und innen. Wie meinen Geldsack.» «Gut, du wirst dem Strategen die Geschütze richten gegen die Wälle und in die Stadt. Die Häuser der Gotenfreunde müssen zuerst nieder. Vorwärts! Mach deine Sache gut, sonst wirst du gepfählt. Fort!» - «Die arme Stadt!» seufzte Martinus. «Aber du sollst sehen, Jochem, die Pyroballisten, die sind höchst genau -und sie gehen so leicht - ein Kind kann sie loslassen! Und sie wirken allerliebst.» Und nun begann entlang dem ganzen Lager eine ungeheure und verderbenschwangere Tätigkeit. Die Gotenwachen auf den Zinnen sahen herab, wie die schweren Kolosse, die Maschinen mit zwanzig bis dreißig Rossen, Kamelen, Eseln, Rindern bespannt längs den Mauern hingezogen und auf der ganzen Linie verteilt wurden. Besorgt eilten Totila und Uliaris auf die Wälle und suchten Gegenmaßregeln zu treffen. Säcke mit Erde wurden an den von den Mauerbrechern bedrohten Stellen herabgelassen: Feuerbrände bereitgehalten, die Maschinen, wann sie nahten, in Brand zu stecken; siedendes Wasser, Pfeile, und Steine gegen die Bespannung und die Bedienung gerichtet, und schon lachten die Goten der feigen Feinde, als sie bemerkten, wie die Maschinen, weit außer der gewohnten Schußweite und den Belagerten völlig unerreichbar, Halt machten. Aber Totila lachte nicht. Er erschrak, wie die Byzantiner ruhig die Bespannung abschirrten und ihre Maschinen spannten. Noch war kein Geschoß entsandt. «Nun?» spottete der junge Agila neben Totila. «wollen sie uns von da aus beschießen? Doch lieber gleich von Byzanz her übers Meer! Es wäre noch sicherer!» Er hatte noch nicht ausgeredet, als ein vierzigpfündiger Stein ihn und die ganze Zinne, auf der er stand, herunterschmetterte: Martinus hatte die Tragweite der Ballisten verdreifacht. Totila sah ein, daß sie völlig widerstandslos sich von den Feinden mit Geschossen überhageln lassen mußten. Entsetzt sprangen die Goten von den Wällen herab und suchten Schutz in den Straßen, den Häusern, den Kirchen. Vergebens! Tausende und Tausende von Pfeilen, Speeren, schweren Balken, Steinen, Steinkugeln sausten und pfiffen im sichern Bogenschuß auf ihre Köpfe: ganze Felstrümmer kamen geflogen und schlugen krachend durch Holzwerk und Getäfel der festesten Dächer, während im Norden, gegen das Kastell unaufhörlich der Sturmbock mit seinen zermürbenden Stößen donnerte. Indes der dichte Hagel der Geschosse buchstäblich die Luft verfinsterte, betäubte das prasselnde Niederfallen der Steine, das brechende Gebälk, die zerschmetterten Zinnen und der Weheschrei der Getroffenen das Ohr mit furchtbarem Lärm. Erschrocken flüchtete die zitternde Bevölkerung in die Keller und Gewölbe ihrer Häuser, Belisar und die Goten um die Wette verfluchend. Aber noch hatte die bebende Stadt das Ärgste nicht erfahren. Auf dem Marktplatz, dem Forum des Trajan, nahe dem Hafen, stand ein ungedecktes Haus, eine Art Schiffsarsenal, mit altem wohlgetrocknetem Holz, Werg, Flachs, Teer und dergleichen vollgefüllt. Da kam zischend und dampfend ein seltsames Geschoß gefahren, traf in das Holzwerk, und im Augenblick, da es niederfiel, schlug hellauflodernd die Flamme hervor und verbreitete sich, von dem Schiffsmaterial genährt, mit Windeseile. Jubelnd begrüßten draußen die Belagerer den hochaufwirbelnden Qualm und richteten eifrig die Geschosse nach der Stelle, das Löschen zu hindern. Belisar ritt zu Martinus heran. «Gut», rief er, «Mann der Zirkel, gut! Wer hat das Geschoß gerichtet?» - «Ich», sprach Jochem, «o ihr sollt zufrieden sein mit mir. Gebt ach! Seht ihr da, rechts von der Brandstätte, das hohe Haus mit den Statuen auf flachem Dach? Das ist das Haus der Valerier, der größten Freunde des Volkes von Edom. Gebt acht! Es soll brennen!» Und sausend fuhr der Brandpfeil durch die Luft, und bald darauf schlug eine zweite Flamme aus der Stadt gen Himmel. Da sprengte Prokop heran und rief: «Belisarius, dein Feldherr Johannes läßt dich grüßen: das Kastell des Tiberius brennt, der erste Wall liegt nieder.» Und so war es, und bald standen vier, sechs, zehn Häuser in allen Teilen der Stadt in vollen Flammen. «Wasser!» rief Totila, durch die brennende Straße nach dem Hafen sprengend, «heraus, ihr Bürger von Neapolis! Löscht eure Häuser. Ich kann keinen Goten von dem Wall lassen. Schafft Fässer aus dem Hafen in alle Straßen! Die Weiber in die Häuser! - Was willst du, Mädchen? Laß mich - du bist's, Miriam? Du hier? Unter Pfeilen und Flammen? Fort, was suchst du?» «Dich», sprach das Mädchen. «Erschrick nicht. Ihr Haus brennt. Aber sie ist gerettet.» «Valeria! um Gott, wo ist sie?» - «Bei mir. In unserm dichtgewölbten Turm: dort ist sie sicher. Ich sah die Flammen aufsteigen. Ich eilte hin. Dein Freund mit der sanften Stimme trug sie aus dem Schutt: er wollte mit ihr in die Kirche. Ich rief ihn an und führte sie unter unser Dach. Sie blutet. Ein Stein hat sie verletzt, an der Schulter. Aber es ist ohne Gefahr. Sie will dich sehen. Ich kam, dich zu suchen!» «Kind, Dank! Aber komm! Komm fort von hier!» Und rasch faßte er sie und schwang sie vor sich auf den Sattel. Zitternd schlang sie beide Arme um seinen Nacken. Er aber hielt schützend mit der Linken den breiten Schild über ihr Haupt, und im Sturm sprengte er mit ihr durch die dampfende Straße nach der Porta Capuana. «O jetzt - jetzt sterben - sterben an seiner Brust, wenn nicht mit ihm!» betete Miriam. Im Turme traf er Valeria, auf Miriams Lager gestreckt, unter Julius' und ihrer Sklavinnen Hut. Sie war bleich und geschwächt vom Blutverlust, aber gefaßt und ruhig. Totila flog an ihre Seite: hochklopfenden Herzens stand Miriam am Fenster und sah schweigend hinaus in die brennende Stadt. Kaum hatte sich Totila überzeugt, daß die Verwundung ganz leicht, als er aufsprang und rief: «Du mußt fort! Sogleich! In dieser Stunde! In der nächsten vielleicht erstürmt Belisar die Wälle. Ich habe alle meine Schiffe nochmals mit Flüchtenden gefüllt, sie bringen dich nach Cajeta, von da weiter nach Rom. Eile dann nach Taginä, wo ihr Güter habt. Du mußt fort! Julius wird dich begleiten.» «Ja», sprach dieser, «denn wir haben einen Weg.» «Einen Weg? Wohin willst du?» «Nach Gallien, in meine Heimat. Ich kann den furchtbaren Kampf nicht länger mit ansehn. Du weißt es selbst: ganz Italien erhebt sich gegen euch, für eure Feinde: Meine Mitbürger fechten unter Belisar: soll ich gegen sie, soll ich gegen dich meinen Arm erheben? Ich gehe.» Schweigend wandte sich Totila zu Valeria. «Mein Freund», sagte diese, «mir ist: der Glückstern unsrer Liebe ist erloschen für immer! Kaum hat mein Vater jenen Eid mit vor Gottes Thron genommen, so fällt Neapolis, die dritte Stadt des Reichs.» «So traust du unserm Schwerte nicht?» «Ich traue eurem Schwert, - nicht eurem Glück! Mit den stürzenden Balken meines Vaterhauses sah ich die Pfeiler meiner Hoffnung fallen. Leb' wohl, zu einem Abschied für lange. Ich gehorche dir. Ich gehe nach Taginä.» Totila und Julius eilten mit den Sklaven hinaus, Plätze in einer der Trieren zu sichern. Valeria erhob sich vom Lager: da eilte Miriam herzu, ihr die glänzenden Sandalen unter die Füße zu binden. «Laß, Mädchen! Du sollst mir nicht dienen», sprach Valeria. -«Ich tue es gern», sagte diese flüsternd. «Aber gönne mir eine Frage.» Und mit Macht traf ihr blitzendes Auge die ruhigen Züge Valerias. «Du bist schön und klug und stolz - aber sage mir, liebst du ihn? - Du kannst ihn jetzt verlassen! - Liebst du ihn mit heißer, alles verzehrender, allgewaltiger Glut, liebst du ihn mit einer Liebe wie -» Da drückte Valeria das schöne, glühende Haupt des Mädchens wie verbergend an ihre Brust: «Mit einer Liebe wie du? Nein, meine süße Schwester! Erschrick nicht! Ich ahnt' es längst nach seinen Berichten über dich. Und ich sah es klar bei deinem ersten Blick auf ihn. Sorge nicht; dein Geheimnis ist wohl gewahrt bei mir; kein Mann soll darum erfahren. Weine nicht, bebe nicht, du süßes Kind. Ich liebe dich sehr um dieser Liebe willen. Ich fasse sie ganz. Glücklich, wer, wie du, in seinem Gefühl ganz aufgehen kann im Augenblick. Mir hat ein feindlicher Gott den vorschauenden Sinn gegeben, der stets von der Stunde nach der Ferne blickt. Und so seh' ich vor uns dunklen Schmerz und einen langen, finstern Pfad, der nicht in Licht endet. Ich kann dir aber den Stolz nicht lassen, daß deine Liebe edler sei als meine, weil sie hoffnungslos. Auch meine Hoffnung liegt in Schutt. Vielleicht wäre es sein Glück geworden, die duftige Rose deiner schönen Liebe zu entdecken: denn Valeria, - fürcht' ich - wird die Seine nie. Doch leb' wohl, Miriam! Sie kommen. Gedenke dieser Stunde. Gedenke mein als einer Schwester und habe Dank, Dank für deine schöne Liebe.» Wie ein entdecktes Kind hatte Miriam gezittert und vor der Allesdurchschauenden fliehen wollen. Aber diese edle Sprache überwältigte die Scheu ihres Herzens: reich flossen die Tränen über die glühendroten Wangen und heftig preßte sie, vor Scheu und Scham und Weinen bebend, das Haupt an der Freundin Brust. Da hörte man Julius kommen, Valeria abzurufen. Sie mußten sich trennen: nur einen einzigen raschen Blick aus ihren innigen Augen wagte Miriam auf der Römerin Antlitz. Dann sank sie rasch vor ihr nieder, umfaßte ihre Knie, drücke einen brennenden Kuß auf Valerias kalte Hand und war im Nebengemach verschwunden. Valeria erhob sich wie aus einem Traum und sah um sich. Am Fenster in einer Vase duftete eine dunkelrote Rose. Sie küßte sie, barg sie an ihrer Brust, segnete mit rascher Handbewegung die trauliche Stätte, die ihr ein Asyl geboten, und folgte dann rasch entschlossen Julius in einer gedeckten Sänfte nach dem Hafen, wo sie noch von Totila kurzen Abschied nahm, ehe sie mit Julius das Schiff bestieg. Alsbald drehte sich dieses mit mächtiger Wendung und rauschte zum Hafen hinaus. Totila sah ihnen wie träumend nach. Er sah Valeriens weiße Hand noch Abschied winken: er sah und sah den fliehenden Segeln nach, nicht achtend der Geschosse, die jetzt immer dichter in den Hafen zu rasseln begannen. Er lehnte an einer Säule und vergaß einen Augenblick die brennende Stadt und sich und alles. Da weckte ihn der treue Thorismut aus seinen Träumen. «Komm, Feldherr», rief ihm dieser zu, «überall such' ich dich: Uliaris will dich sprechen. Komm, was starrst du hier in die See unter klirrenden Pfeilen?» Totila raffte sich langsam auf: «Siehst du», sagte er, «siehst du das Schiff? - Da fahren sie hin! -» «Wer?» fragte Thorismut. «Mein Glück und meine Jugend», sprach Totila und wandte sich, Uliaris zu suchen. Dieser teilte ihm mit, daß er, Zeit zu gewinnen, soeben einen Waffenstillstand auf drei Stunden, den Belisar, um Unterhandlungen zu führen, angetragen, angenommen habe. «Ich werde nie übergeben! Aber wir müssen Ruhe haben, unsere Wälle zu flicken und zu stützen. Kommt denn nirgends Entsatz? Hast du noch keine Nachricht auf dem Seeweg vom König?» «Keine.» «Verflucht! Über sechshundert von meinen Goten sind von den höllischen Geschossen gefallen. Ich kann gar die wichtigsten Posten nicht mehr besetzen! Wenn ich nur wenigstens noch vierhundert Mann hätte!» «Nun», sprach Totila nachsinnend, «die kann ich dir schaffen, denk' ich. In dem Castellum Aurelians auf der Straße nach Rom, liegen vierhundertfünfzig Mann Goten. Sie haben bisher erklärt, vom König Theodahad den unsinnigen, aber strengen Befehl zu haben, nicht Neapolis zu verstärken. Aber jetzt in dieser höchsten Not! - Ich selbst will hin, während des Waffenstillstandes, und alles aufbieten, sie zu holen.» «Geh nicht! Du kommst erst nach Ablauf des Stillstandes zurück, und die Straße ist dann nicht mehr frei. Du kommst nicht durch.» «Ich komme durch, mit Gewalt oder mit List, halte dich nur, bis ich zurück bin! Auf, Thorismut, zu Pferd.» Während Totila mit Thorismut und wenigen Reitern zur Porta Capuana hinausjagte, war der alte Isak, der unermüdlich auf den Wällen ausgeharrt hatte, die Pause des Waffenstillstandes benutzend, in seine Turmklause zurückgekehrt, die Tochter wiederzusehen und sich an Trank und Speise zu laben. Als Miriam Wein und Brot gebracht hatte und ängstlich dem Bericht Isaks von den Fortschritten der Feinde lauschte, erscholl ein hastiger, unsteter Schritt auf der Treppe, und Jochem stand vor dem erstaunten Paar. «Sohn Rachels, wo kommst du her zu übler Stunde, wie der Rabe vor dem Unglück? Wie kommst du herein? Zu welchem Tor?» - «Das laß du meine Sorge sein. Ich komme, Vater Isak, noch einmal zu fordern deiner Tochter Hand: - zum letztenmal in diesem Leben.» «Ist jetzt Zeit zu freien und Hochzeit zu machen?» fragte Isak unwillig, «die Stadt brennt, und die Straßen liegen voll Leichen.» «Warum brennt die Stadt? Warum liegen voll Leichen die Straßen? Weil die Männer von Neapolis halten zu dem Volk von Edom. Ja, jetzt ist Zeit zu freien. Gib mir dein Kind, Vater Isak, und ich rette dich und sie. Ich allein kann's.» Und er griff nach Miriams Arm. «Du mich retten?» rief diese, mit Ekel zurücktretend. «Lieber sterben!» «Ha, Stolze!» knirschte der grimmige Freier, «du ließest dich wohl lieber retten von dem blondgelockten Christen? Laß sehen, ob er dich retten wird, der Verfluchte, vor Belisar und mir. Ha, bei den langen, gelben Haaren will ich ihn durch die Straßen schleifen und spucken in sein bleich Gesicht.» «Hebe dich hinweg, Sohn Rachels», rief Isak, aufstehend und den Spieß fassend. «Ich merke, du hältst zu denen, die da draußen liegen! Aber das Horn ruft, ich muß hinab; das jedoch sag' ich dir; noch mancher unter euch wird rücklings fallen, eh' ihr steigt über diese morscher Mauern.» «Vielleicht», grinste Jochem, fliegen wir drüber wie die Vögel der Luft. Zum letztenmal, Miriam, ich frage dich: laß diesen Alten, laß den verfluchten Christen: - ich sage dir, der Schutt dieser Wälle wird sie bald bedecken. Ich weiß, du hast ihn getragen im Herzen: - ich will dir's verzeihen -, nur werde jetzt mein Weib.» Und wieder griff er nach ihrer Hand. - «Du mir meine Liebe verzeihn? Verzeihn, was so hoch über dir wie die leuchtende Sonne über dem schleichenden Wurm? Wär ich's wert, daß ihn je mein Auge gesehen, wenn ich dein Weib würde? Hinweg, hinweg von mir!» «Ha», rief Jochem, «zu viel, zu viel! Mein Weib - du sollst es nimmer werden! Aber winden sollst du dich in diesen Armen, und den Christen will ich dir aus dem blutenden Herzen reißen, daß es zucken soll in Verzweiflung. Auf Wiedersehen.» Und er war aus dem Hause und alsbald aus der Stadt verschwunden. Miriam, von bangen Gefühlen bedrängt, eilte ins Freie. Es trieb sie zu beten: aber nicht in der dumpfen Synagoge, sie betete ja für ihn: und es drängte sie, zu seinem Gott zu beten. Sie wagte sich scheuen Fußes in die nahe Basilika Sankt Mariä, aus der man an Friedenstagen oft die Jüdin mit Flüchen verscheucht hatte. Aber jetzt hatten die Christen keine Zeit zu fluchen. Sie kauerte sich in eine dunkle Ecke des Säulenganges und vergaß in heißem Gebet bald sich selbst und die Stadt und die Welt: sie war bei ihm und bei Gott. - Inzwischen verlief die letzte Stunde der Waffenruhe; schon neigte sich die Sonne dem Meeresspiegel zu. Die Goten flickten und stopften nach Kräften die zertrümmerten Mauerstellen, räumten den Schutt und die Toten aus dem Wege und löschten die Brände. Da lef die Sanduhr zum drittenmal ab, während Belisar vor seinem Zelte seine Heerführer versammelt hielt, des Zeichens der Übergabe auf dem Kastell des Tiberius harrend. «Ich glaub' es nicht!» flüsterte Johannes zu Prokop. «Wer solche Streiche tut, wie ich von jenem Alten gesehen, gibt die Waffen nicht ab. Es ist auch besser so: da gibt's einen tüchtigen Sturm und dann eine tüchtige Plünderung.» Und auf der Zinne des Kastells erschien Graf Uliaris und schleuderte trotzig seinen Speer unter die harrenden Vorposten. Belisar sprang auf «Sie wollen ihr Verderben, die Trotzigen; wohlan, sie sollen's haben. Auf, meine Feldherrn, zum Sturm. Wer mir zuerst unsre Fahne auf den Wall pflanzt, dem geb' ich ein Zehntel der Beute.» Nach allen Seiten eilten die Anführer auseinander: Ehrgeiz und Habsucht spornten sie. Eben bog Johannes um die zerstörten Bogen des Aquädukts, welchen Belisar durchbrochen, den Belagerten das Wasser zu entziehen, da rief ihn eine leise Stimme. Schon dämmerte es so stark, daß er nur mit Mühe den Rufenden erkannte. «Was willst du, Jude?» rief Johannes eilig. «Ich habe keine Zeit! Es gilt harte Arbeit! Ich muß der Erste sein in der Stadt.» «Das sollt, ihr, Herr, ohne Arbeit, wenn ihr mir folgt.» «Dir folgen? Weißt du einen Weg über die Mauer durch die Luft?» «Nein! Aber unter der Mauer, durch die Erde. Und ich will ihn euch zeigen, wenn ihr mir tausend Solidi schenkt und ein Mädchen zur Beute zusprecht, das ich fordre.» Johannes blieb stehen: «Was du willst, sei dein. Wo ist der Weg?» - «Hier!» sagte Jochem und schlug mit der Hand auf die Steine. - «Wie? die Wasserleitung? Woher weißt du?» - «Ich habe sie gebaut. Ein Mann kann, gebückt, durchschleichen; es ist kein Wasser mehr drin. Eben komme ich auf diesem Wege aus der Stadt. Die Leitung mündet in einem alten Tempelhaus an der Porta Capuana; nimm dreißig Mann und folge mir.» Johannes sah ihn scharf an. «Und wenn du mich verrätst?» «Ich will zwischen euren Schwertern gehen. Lüge ich, so stoßt mich nieder.» - «Warte!» rief Johannes und eilte hinweg.
Bald darauf erschien Johannes wieder mit seinem Bruder Perseus und ungefähr dreißig entschlossenen armenischen Söldnern, die außer ihren Schwertern kurze Handbeile führten. «Wenn wir drin sind», sprach Johannes, «reißt du, Perseus, das Ausfallpförtchen auf, rechts von der Porta Capuana, im Augenblick, da die andern unsre Fahne auf dem Wall entfalten. Auf dies Zeichen stürzen von außen meine Hunnen auf die Ausfallpforte. Aber wer hütet den Turm an der Porta? Den müssen wir haben.» «Isak, ein großer Freund der Edomiten, der muß fallen.»
«Er fällt», sprach Johannes und zog das Schwert: «Vorwärts!» Er war der erste, der in den Hohlgang der Wasserleitung stieg. «Ihr beiden, Paukaris und Gubazes, nehmt den Juden in die Mitte: beim ersten Verdacht - nieder mit ihm!»
Und so, bald auf allen vieren kriechend, bald gebückt tastend, bei völliger Dunkelheit, rutschten und schlichen die Armenier ihm nach, sorgfältig jeden Lärm ihrer Waffen vermeidend: lautlos krochen sie vorwärts.
Plötzlich rief Johannes mit halber Stimme: «Faßt den Juden! Nieder mit ihm! - Feinde! Waffen! Nein, laßt!» rief er rasch, «es war nur eine Schlange, die vorüber rasselte! Vorwärts.»
«Jetzt zur Rechten!» sprach Jochem, «hier mündet die Wasserleitung in einen Tempelgang.»
«Was liegt hier? - Knochen - ein Skelett!» «Ich halt's nicht länger aus! Der Modergeruch erstickt mich! Hilfe!» seufzte einer der Männer.
«Laßt ihn liegen! Vorwärts!» befahl Johannes. «Ich sehe einen Stern.» - «Das ist das Tageslicht in Neapolis», sagte der Jude - «nun nur noch wenige Ellen.» -
Johannes' Helm stieß an die Wurzeln eines hohen Ölbaums, die sich im Atrium des Tempelhauses breit über die Mündung des Tempelgangs spannten.
Wir kennen den Baum.
Den Wurzeln ausweichend, stieß er den Helm hell klirrend an die Seitenwand: erschrocken hielt er an. Aber er hörte zunächst nur den heftigen Flügelschlag zahlreicher Tauben, die da hoch oben wild verscheucht aus den Zweigen der Olive flogen.
«Was war das?» fragte über ihm eine heisere Stimme.
«Wie der Wind in dem alten Gestein wühlt!» Es war die Witwe Arria. «Ach Gott», sprach sie, sich wieder vor dem Kreuze niederwerfend, «erlöse uns von dem Übel und laß die Stadt nicht untergehen, bis daß mein Jucundus wiederkommt! Wehe, wenn er ihre Spur und seine Mutter nicht mehr findet. O laß ihn wieder des Weges kommen, den er von mir gegangen: zeig' ihn mir wieder, wie ich ihn diese Nacht gesehen, aufsteigend aus den Wurzeln des Baumes.»
Und sie wandte sich nach der Höhlung. «Oh! dunkler Gang, darin mein Glück verschwunden, gib mir's wieder heraus! Gott, führ' ihn mir zurück auf diesem Wege.» Sie stand mit gefalteten Händen gerade vor der Höhlung, die Augen fromm gen Himmel gewendet.
Johannes stutzte. «Sie betet!» sagte er, «soll ich sie im Gebet erschlagen?» - Er hielt inne, er hoffte, sie solle aufhören und sich wenden. «Das dauert zu lange, ich kann unserm Herrgott nicht helfen!» Und rasch hob er sich aus den Wurzeln heraus. Da schaute die Betende mit den halberblindeten Augen nieder; sie sah aus der Erde steigen eine schimmernde Mannesgestalt.
Ein Strahl der Verklärung spielte um ihre Züge. Selig breitete sie die Arme aus. «Jucundus!» rief sie.
Es war ihr letzter Hauch. Schon traf sie des Byzantiners Schwert ins Herz.
Ohne Weheruf, ein Lächeln auf den Lippen, sank sie auf die Blumen: Miriams Blumen.
Johannes aber wandte sich und half rasch seinem Bruder Perseus, dann dem Juden und den ersten dreien seiner Krieger herauf. «Wo ist das Pförtchen?» - «Hier links, ich gehe zu öffnen!» Perseus wies die Krieger an.- «Wo ist die Treppe zum Turm?» - «Hier rechts», sprach Jochem es war die Treppe, die zu Miriams Gemach führte, wie oft war Totila hier hereingeschlüpft! - «still, der Alte läßt sich hören.»
Wirklich, Isak war es. Er hatte von oben Geräusch vernommen: er trat mit Fackel und Speer an die Treppe: «Wer ist da unten? Bist du's, Miriam, wer kommt?» fragte er.
«Ich, Vater Isak», antwortete Jochem, «ich wollte euch nochmal fragen...» - und er stieg katzenleise eine Stufe höher. Aber Isak hörte Waffen klirren.
«Wer ist bei dir?» rief er und trat vorleuchtend um die Ecke Da sah er die Bewaffneten hinter Jochem kauern. «Verrat, Verrat!» schrie er, «stirb, Schandfleck der Hebräer!» Und wütend stieß er Jochem, der nicht zurück konnte, die breite Partisane in die Brust, daß dieser rücklings hinabstürzte. «Verrat!» schrie er noch einmal.
Aber gleich darauf hieb ihn Johannes nieder, sprang über die Leiche hinweg, eilte auf die Zinne des Turmes und entfaltete die Fahne von Byzanz. Da krachten unten Beilschläge: das Pförtchen fiel, von innen eingeschlagen, hinaus, und mit gellendem Jauchzen jagten - schon war es ganz dunkel geworden - die Hunnen zu Tausenden in die Stadt.
Da war alles aus.
Ein Teil stürzte sich mordend in die Straßen, ein Haufe brach die nächsten Tore ein, den Brüdern draußen Eingang schaffend.
Rasch eilte der alte Uliaris mit seinem Häuflein aus dem Kastell herbei. Er hoffte, die Eingedrungenen noch hinauszutreiben, umsonst: ein Wurfspeer streckte ihn nieder. Und um seine Leiche fielen fechtend die zweihundert treuen Goten, die ihn noch umgaben.
Da, als sie die kaiserliche Fahne auf den Wällen flattern sahen, erhoben sich - unter Führung alter Römerfreunde, wie Stephanos und Antiochos des Syrers - ein eifriger Anhänger der Goten, Kastor, der Rechtsanwalt ward, da er hemmen wollte, erschlagen - auch die Bürger von Neapolis: sie entwaffneten die einzelnen Goten in den Straßen und schickten, glückwünschend und dankend und ihre Stadt der Gnade empfehlend, eine Gesandtschaft an Belisar, der, von seinem glänzenden Stab umgeben, zur Porta Capuana hereinritt.
Aber finster furchte er die majestätische Stirn, und ohne seinen Rotscheck anzuhalten sprach er: «Fünfzehn Tage hat mich Neapolis aufgehalten. Sonst lag ich längst vor Rom, ja vor Ravenna. Was glaubt ihr, daß das dem Kaiser an Recht und mir an Ruhm entzieht? Fünfzehn Tage lang hat sich eure Feigheit, eure schlechte Gesinnung von einer handvoll Barbaren beherrschen lassen. Die Strafe für diese fünfzehn Tage seien nur fünfzehn Stunden - Plünderung. Ohne Mord: - die Einwohner sind Kriegsgefangene des Kaisers - ohne Brand, denn die Stadt ist jetzt eine Feste von Byzanz. Wo ist der Führer der Goten? Tot?»
«Ja», sprach Johannes, «hier ist sein Schwert, Graf Uliaris fiel.»
«Den meine ich nicht!» sprach Belisar. «Ich meine den jungen, den Totila. Was ward aus ihm? Ich muß ihn haben.»
«Herr», sprach einer der Neapolitaner, der reiche Kaufherr Asklepiodor, vortretend, «wenn ihr mein Haus und Warenlager von der Plünderung ausnehmt, will ich's euch wohl sagen.»
Aber Belisar winkte: zwei maurische Lanzenreiter ergriffen den Zitternden. «Rebell, willst du mir Bedingungen machen? Sprich, oder die Folter macht dich sprechen.» - «Erbarmen! Gnade!» schrie der Geängstigte. «Der Seegraf eilte mit wenigen Reitern während der Waffenruhe hinaus, Verstärkung zu holen von Castellum Aurelians: er kann jeden Augenblick zurückkehren.»
«Johannes», rief Belisar, «der Mann wiegt so schwer, wie ganz Neapolis. Wir müssen ihn fangen! Du hast, wie ich befahl, den Weg nach Rom abgesperrt? Das Tor besetzt?»
«Es hat niemand nach dieser Richtung die Stadt verlassen können», sprach Johannes.
«Auf! Blitzesschnell, wir müssen ihn hereinlocken!
Zieh rasch das gotische Banner auf dem Kastell des Tiberius wieder auf und auf der Porta Capuana. Die gefangenen Neapolitaner stelle wieder bewaffnet auf die Wälle: wer ihn warnt, mit einem Augenwinken, ist des Todes. Zieht meinen Leibwächtern gotische Waffen an. Ich selbst will dabei sein! Dreihundert Mann in der Nähe des Tors. Man lasse ihn ruhig herein. Sowie er das Fallgitter hinter sich hat, läßt man's nieder. Ich will ihn lebend fangen. Er soll nicht fehlen beim Triumphzug in Byzanz.»
«Gib mir das Amt, mein Feldherr», bat Johannes. «Ich schuld' ihm noch Vergeltung für einen Kernhieb.» Und er flog zurück zur Porta Capuana, ließ die Leichen und alle Spuren des Kampfes wegschaffen und traf sonst seine Maßregeln.
Da drängte sich eine verschleierte Gestalt heran: «Um der Güte Gottes willen», flehte eine liebliche Stimme, «ihr Männer, laßt mich heran! Ich will ja nur seine Leiche, o gebt acht! Sein weißer Bart! O mein Vater.» Es war Miriam, die der Lärm plündernder Hunnen aus der Kirche nach Hause gescheucht hatte. Und mit der Kraft der Verzweiflung schob sie die Speere zurück und nahm das bleiche Haupt Isaks in ihre Arme.
«Weg, Mädel!» rief der nächste Krieger, ein sehr langer
Bajuvare, ein Söldner von Byzanz: Garizo hieß er. «Halt uns nicht auf! Wir müssen den Weg säubern! In den Graben mit dem Juden!»
«Nein, nein!» rief Miriam und stieß den Mann zurück.
«Weib!» schrie dieser zornig und hob das Beil.
Aber die Arme schützend über des Vaters Leiche breitend und mit leuchtenden Augen aufblickend blieb Miriam furchtlos stehen: - wie gelähmt hielt der Krieger inne: «Du hast Mut, Mädel!» sagte er, das Beil senkend. «Und schön bist du auch, wie die Waldfrau der Luisacha. Was kann ich dir Liebes tun? Du bist ganz wundersam anzuschauen.» - «Wenn der Gott meiner Väter dein Herz gerührt», bat Miriams herzgewinnende Stimme, «hilf mir die Leiche dort im Garten bergen - das Grab hat er sich lange selbst geschaufelt neben Sarah, meiner Mutter, das Haupt gegen Osten.» - «Es sei!» sprach der Bajuvare und folgte ihr. Sie trug das Haupt, er faßte die Knie der Leiche: wenige Schritte führten sie in den kleinen Garten: da lag ein Stein unter Trauerweiden: der Mann wälzte ihn weg, und sie senkten die Leiche hinein, das Antlitz gegen Osten. -
Ohne Worte, ohne Tränen starrte Miriam in die Grube: sie fühlte sich so arm jetzt, so allein; mitleidig, leise schob der Bajuvare die Steinplatte darüber. «Komm!» sagte er dann. «Wohin?» fragte Miriam tonlos. «Ja, wohin willst du?» - «Das weiß ich nicht! - Hab Dank», sprach sie und nahm ein Amulett vom Halse und reichte es ihm: es war von Gold, eine Schaumünze von Jordan, aus dem Tempel.
«Nein!» sagte der Mann und schüttelte das Haupt.
Er nahm ihre Hand und legte sie über seine Augen.
«So», sagte er, «das wird mir gut tun mein Leben lang. Jetzt muß ich fort, wir müssen den Grafen fangen, den Totila. Leb' wohl.»
Dieser Name schlug in Miriams Herz: - noch einen Blick warf sie auf das stille Grab, und hinaus schlüpfte sie aus dem
Gärtchen. Sie wollte zum Tore hinaus auf die Straße: aber das Fallgitter war gesenkt, an den Toren standen Männer mit gotischen Helmen und Schilden. Erstaunt sah sie um sich.
«Ist alles vollzogen, Chanaranges?» - «Alles, er ist so gut wie gefangen.» - «Horch, vor dem Wall, - Pferdegetrappel - sie sind's, zurück, Weib.»
Draußen aber sprengten einige Reiter die Straße heran gegen das Tor.
«Auf! Auf das Tor», rief Totila von weitem. Da spornte Thorismut sein Roß heran. «Ich weiß nicht, ich traue nicht!» rief er, «die Straße war wie ausgestorben und ebenso drüben das Lager der Feinde: kaum ein paar Wachtfeuer brennen.»
Da scholl von der Zinne ein Ruf des gotischen Hornes. «Der Bursch bläst ja gräßlich!» sprach Thorismut zürnend. «Es wird ein Welscher sein»! meinte Totila. «Gebt die Losung», riefs herab auf lateinisch. «Neapolis», antwortete Totila entgegen. «Hörst du's? Uliaris hat die Bürger bewaffnen müssen. Auf das Tor! Ich bringe frohe Kunde», fuhr er fort zu den oben Aufgestellten, «vierhundert Goten folgen mir auf dem Fuß: Italien hat einen neuen König.»
«Wer ist's?» fragte es leise drinnen. «Der auf dem weißen Roß, der erste.» Da sprangen die Torflügel auf, gotische Helme füllten den Eingang. Fackeln glänzten, Stimmen flüsterten.
«Auf mit dem Fallgitter», rief Totila, dicht heranreitend. Spähend blickte Thorismut vor, die Hand vor den Augen. «Sie haben gestern getagt zu Regeta», fuhr Totila fort, «Theodahad ist abgesetzt, und Graf Witichis...» -
Da hob sich langsam das Gitter, und Totila wollte eben dem Roß den Sporn geben, da warf sich vor die Hufe seines Hengstes ein Weib aus der Reihe der Krieger. «Flieh», rief sie, «Feinde über dir! Die Stadt ist gefallen!» Aber sie konnte nicht vollenden: ein Lanzenstoß durchbohrte ihre Brust.
«Miriam!» schrie Totila entsetzt und riß sein Pferd zurück.
Doch Thorismut, der längst Argwohn geschöpft, zerhieb, rasch entschlossen, mit dem Schwert, durch das Gitter hindurch, das haltende Seil, an dem das Tor auf und nieder ging, daß es dröhnend vor Totila niederschlug.
Ein Hagel von Speeren und Pfeilen fuhr durch das Gitter. «Auf das Gitter! Hinaus auf sie!» rief Johannes von ihnen: aber Totila wich nicht.
«Miriam, Miriam», rief er in tiefstem Schmerz. Da schlug sie nochmal die Augen auf, mit einem brechenden, von Liebe und Schmerz verklärten Blick: - dieser Blick sagte alles, er drang tief in Totilas Herz. «Für dich!» hauchte sie und fiel zurück. - Da vergaß er Neapolis und die Todesgefahr. «Miriam», rief er nochmals beide Hände gegen sie ausbreitend.
Da streifte ein Pfeil den Bug seines Pferdes, blitzschnell prallte das edle Tier hochschäumend zurück. Das Fallgitter fing an, sich zu heben: da faßte Thorismut nach Totilas Zügel, riß das Pferd herum und gab ihm einen Schlag mit der flachen Klinge, daß es hinwegschoß. «Auf und davon, Herr», rief er, «ja, sie müssen flink sein, die uns einholen.» Und brausend sprengten die Reiter auf der Via Capuana den Weg zurück, den sie gekommen; nicht weit verfolgte sie Johannes im Dunkel der Nacht und das Wegs unkundig. Bald begegnete ihnen die heranziehende Besatzung von Kastell Aurelians: auf einem Hügel machten sie halt, von wo man die Stadt mit ihren Zinnen, in dem Schein der byzantinischen Wachtfeuer auf den Wällen, liegen sah.
Erst jetzt raffte sich Totila aus seinem Schmerz, aus seiner Betäubung auf. «Uliaris!» seufzte er, «Miriam! Neapolis, - wir sehen uns wieder.» Und er winkte zum Aufbruch gen Rom.
Aber von Stund' an war ein Schatten gefallen in des jungen Goten Seele: mit dem heiligen Recht des Schmerzes hatte sich Miriam in sein Herz gegraben für immerdar.
Als Johannes mit den Reitern von seiner fruchtlosen
Verfolgung heimkehrte, rief er, vom Pferde springend, mit wütiger Stimme: «Wo ist die Dirne, die ihn gewarnt? Werft sie vor die Hunde.» Und er eilte zu Belisar, das Mißgeschick zu melden.
Aber niemand wußte zu sagen, wohin der schöne Leichnam geraten. Die Rosse hätten sie zertreten, meinte die Menge. Aber einer wußte es besser: Garizo, der Bajuvare. Der hatte sie im Tumult sachte, wie ein schlafend Kind, auf seinen starken Armen davongetragen in das nahe Gärtchen, hatte die Steinplatte von dem kaum geschlossenen Grabe gewälzt und die Tochter sorglich an des Vaters Seite gelegt: dann hatte er sie still betrachtet.
Aus der Ferne scholl das Getöse der geplünderten Stadt, in der die Massageten Belisars, trotz seines Verbots, brannten und mordeten und sogar die Kirchen nicht verschonten, bis der Feldherr selbst, mit dem Schwert unter sie fahrend, Einhalt schuf. -
Es lag ein edler Schimmer auf ihrem Antlitz, daß er nicht wagte, wie er so gern gewollt, sie zu küssen. So legte er denn ihr Gesicht gegen Osten und brach eine Rose, die neben dem Grabe blühte, und legte sie ihr auf die Brust. Dann wollte er fort, seinen Teil an der Plünderung zu nehmen. Aber es ließ ihn nicht fort: er wandte sich wieder um. Und er hielt die Nacht über, an seinen Speer gelehnt, Totenwacht am Grabe des schönen Mädchens.
Er sah auf zu den Sternen und betete einen uralten heidnischen Totensegen, den ihn die Mutter daheim an der Luisacha gelehrt. Aber es war ihm nicht genug: andächtig betete er noch dazu ein christlich Vaterunser. Und als die Sonne emporstieg, schob er sorgfältig den Stein über das Grab und ging.
So war Miriam spurlos verschwunden.
Aber das Volk in Neapolis, das im stillen warm an Totila hing, erzählte, schönheitstrahlend sei ein Schutzengel herabgestiegen, ihn zu retten, und wieder aufgefahren gen Himmel.
Der Fall von Neapolis war erfolgt wenige Tage nach der Versammlung zu Regeta.
Und Totila stieß schon bei Formiä auf seinen Bruder Hildebad, den König Witichis mit einigen Tausendschaften schleunig abgesandt hatte, die Besatzung der Stadt zu verstärken, bis er selbst mit einem größeren Heere zum Entsatz herbeieilen könne. Wie jetzt die Dinge standen, konnten die Brüder nichts anderes tun, als sich auf die Hauptmacht, nach Regeta, zurückzuziehen, wo Totila seinen traurigen Bericht von den letzten Stunden von Neapolis erstattete. Der Verlust der dritten Stadt des Reiches, des dritten Hauptbollwerks Italiens, mußte den ganzen Kriegsplan der Goten verändern.
Witichis hatte die zu Regeta versammelten Scharen gemustert, es waren gegen zwanzigtausend Mann. Diese, mit der kleinen Schar, die Graf Teja eigenmächtig zurückgeführt, waren im Augenblick die ganze verfügbare Macht: bis die starken Heere, die Theodahad weit weg nach Südgallien und Noricum, nach Istrien und Dalmatien entsendet, wiewohl sofort zur schnellen Rückkehr aufgefordert, einzutreffen vermochten, konnte ganz Italien verloren sein.
Gleichwohl hatte der König beschlossen, sich mit diesen zwanzig Tausendschaften in die Werke von Neapolis zu werfen und hier dem durch den Zufluß der Italiener auf mehr als die dreifache Übermacht angeschwollenen Heere der Feinde bis zum Eintreffen der Verstärkungen Widerstand zu leisten. Aber jetzt, da jene feste Stadt in Belisars Hand gefallen, gab Witichis den Plan, sich ihm entgegenzustellen, auf. Sein ruhiger Mut war
ebensoweit von Tollkühnheit wie von Zagheit entfernt.
Ja, der König mußte seiner Seele noch einen andern, schmerzlicheren Entschluß abringen. Während in den Tagen nach dem Eintreffen Totilas in dem Lager vor Rom sich der Schmerz und der Grimm der Goten in Verwünschungen über den Verräter Theodahad, über Belisar, über die Italier Luft machte, während schon die kecke Jugend hier und da anhob, auf das Zaudern des Königs zu schelten, der sie nicht gegen diese Griechlein führen wolle, deren je vier auf einen Goten gingen, während der Ungestüm des Heeres schon über den Stillstand grollte, gestand sich der König mit schwerem Herzen die Notwendigkeit, noch weiter zurückzuweichen und selbst Rom vorübergehend preiszugeben.
Tag für Tag kamen Nachrichten, wie Belisars Heer anwachse: aus Neapolis allein führte er zehntausend Mann - als Geiseln zugleich und Kampfgenossen -, von allen Seiten strömten die Welschen zu seinen Fahnen: von Neapolis bis Rom war kein Waffenplatz fest genug, Schutz gegen solche Übermacht zu gewähren, und die kleineren Städte an der Küste öffneten dem Feind mit Jubel die Tore.
Die gotischen Familien aus diesen Gegenden flüchteten in das Lager des Königs und berichteten, wie gleich am Tage nach dem Falle von Neapolis Cumä und Atella sich ergeben, darauf folgten Capua, Cajeta und selbst das starke Benevent. Schon standen die Vorposten Belisars, hunnische, sarazenische und maurische Reiter, bei Formiä. Das Gotenheer erwartete und verlangte eine Schlacht vor den Toren Roms.
Aber längst hatte Witichis die Unmöglichkeit erkannt, mit zwanzigtausend Mann einem Belisar, der bis dahin hunderttausend zählen konnte, im offnen Feld entgegenzutreten. Eine Zeitlang hegte er die Hoffnung, die mächtigen Befestigungen Roms, das stolze Werk des Cethegus, gegen die byzantinische Überflutung halten zu können, aber bald mußte er auch diesen Gedanken aufgeben.
Die Bevölkerung Roms zählte, dank dem Präfekten, mehr waffenfähige und waffengeübte Männer denn seit manchem Jahrhundert, und stündlich überzeugte sich der König, von welcher Gesinnung diese beseelt waren. Schon jetzt hielten die Römer kaum noch ihren Haß wider die Barbaren zurück, es blieb nicht bei feindlichen und höhnischen Blicken: schon konnten sich Goten in den Straßen nur in guter Bewaffnung und großen Scharen blicken lassen: täglich fand man vereinzelte gotische Wachen von hinten erdolcht.
Und Witichis konnte sich nicht verhehlen, daß diese Elemente des Volksgeistes gegliedert und geleitet waren von schlauen und mächtigen Häuptern: den Spitzen des römischen Adels und des römischen Klerus. Er mußte sich sagen, daß, sowie Belisar vor den Mauern erscheinen werde, das Volk von Rom sich erheben und mit dem Belagerer vereint die kleine gotische Besatzung erdrücken würde.
So hatte Witichis den schweren Entschluß gefaßt, Rom, ja ganz Mittelitalien aufzugeben, sich nach dem festen und verlässigen Ravenna zu werfen, hier die mangelhaften Rüstungen zu vollenden, alle gotischen Streitkräfte an sich zu ziehen und dann mit einem gleichstarken Heere den Feind aufzusuchen.
Es war ein Opfer, dieser Entschluß.
Denn auch Witichis hatte sein redlich Teil der germanischen Rauflust, und es war seinem Mut eine herbe Zumutung, anstatt frisch draufloszuschlagen, zurückweichend seine Verteidigung zu suchen. Aber noch mehr. Nicht rühmlich war es für den König, der um seiner Tapferkeit willen auf den Thron des feigen Theodahad gehoben worden, wenn er sein Regiment mit schimpflicher Flucht begann. Er hatte Neapolis verloren in den ersten Tagen seiner Herrschaft, sollte er jetzt freiwillig Rom, die Stadt der Herrlichkeiten, sollte er mehr als die Hälfte von Italien preisgeben? Und wenn er seinen Stolz bezwang um des Volkes willen - wie mußte das Volk von ihm denken? Diese Goten mit ihrem Ungestüm, ihrer Verachtung der Feinde! Konnte er irgend hoffen, ihren Gehorsam zu erzwingen? Denn ein germanischer König hatte mehr zu raten, vorzuschlagen, als zu befehlen und zu gebieten. Schon mancher germanische König war von seinem Volksheer wider seinen Willen zu Kampf und Niederlage gezwungen worden. Er fürchtete ein Gleiches: und schweren Herzens wandelte er einst des Nachts im Lager zu Regeta in seinem Zelt auf und ab.
Da nahten hastige Schritte, und der Vorhang des Zeltes ward aufgerissen: «Auf, König der Goten», rief eine leidenschaftliche Stimme, «jetzt ist nicht Zeit zu schlafen!» - «Ich schlafe nicht, Teja», sprach Witichis, «seit wann bist du zurück? Was bringst du?» - «Eben schritt ich ins Lager, der Tau der Nacht ist noch auf mir. Wisse zuerst: sie sind tot.» - «Wer?» - «Der Verräter und die Mörderin!» - «Wie? Du hast sie beide erschlagen?» -«Ich schlage keine Weiber. Theodahad, dem Schandkönig, folgte ich zwei Tage und zwei Nächte. Er war auf dem Weg nach Ravenna, er hatte starken Vorsprung. Aber mein Haß war noch rascher als seine Todesangst. Schon bei Narnia holte ich ihn ein. Zwölf Sklaven begleiteten seine Sänfte, sie hatten nicht Lust, für den Elenden zu sterben: sie warfen die Fackeln weg und flohn.
Ich riß ihn aus der Sänfte und drückte ihm sein eigenes Schwert in die Faust. Er aber fiel nieder, bat um sein Leben und führte zugleich einen heimtückischen Stoß nach mir. Da schlug ich ihn, wie ein Opfertier: mit drei Streichen. Einen für das Reich, und zwei für meine Eltern. Und ich hing ihn an seinem goldenen Gürtel auf, an der offenen Heerstraße, an einen dürren Eibenbaum: da mag er hangen, ein Fraß für die Vögel des Himmels, eine Warnung für die Könige der Erde.»
«Und was ward aus ihr?»
«Sie fand ein schreckliches Ende!» sprach Teja schaudernd.
«Als ich von hier nach Rom kam, wußte man nur, daß sie verschmäht, den Feigling zu begleiten: er floh allein. Gothelindis aber rief seine kappadokische Leibwache zusammen und verhieß den Männern goldene Berge wenn sie zu ihr halten und mit ihr nach Dalmatien und in das feste Salona sich werfen wollten.
Die Söldner schwankten und wollten erst das verheißene Gold sehen. Da versprach Gothelindis, es zu bringen, und ging. Seitdem war sie verschwunden. Wie ich wieder durch Rom kam, war sie freilich gefunden.» - «Nun?» - «Sie hatte sich in die Katakomben gewagt, allein, ohne Führer, einen dort vergrabenen Schatz zu holen. Sie muß sich in diesem Labyrinth verirrt haben, sie fand den Ausgang nicht mehr. Suchende Söldner trafen sie noch lebend, ihre Fackel war nicht abgebrannt, sondern fast völlig erhalten: sie mußte alsbald erloschen sein, nachdem sie die Höhlung beschritten. Wahnsinn sprach aus ihrem Blick, lange Todesangst, Verzweiflung haben dieses böse Weib zermürbt: sie starb, sowie sie ans Tageslicht gebracht ward.»
«Schrecklich!» rief Witichis. - «Gerecht!» sagte Teja. «Aber höre weiter.»
Eh' er beginnen konnte, eilten Totila, Hildebad, Hildebrand und andre gotische Führer ins Zelt: «Weiß er's?» fragte Totila. -«Noch nicht», sagte Teja. - «Empörung!» rief Hildebad! «Empörung! Auf, König Witichis, wehre dich deiner Krone! Lege dem Knaben das Haupt vor die Füße.»
«Was ist geschehn?» fragte Witichis ruhig.
«Graf Arahad von Asta, der eitle Laffe, hat sich empört. Er ist gleich nach deiner Wahl davongeritten gegen Florentia, wo sein älterer Bruder, der stolze Herzog von Tuscien, Guntharis, haust und herrscht. Da haben die Wölsungen viel Anhang gefunden, haben die Goten überall aufgerufen gegen dich zum Schutz der
Florentia, fiel also gleich in ihre Gewalt. Man weiß nicht, ist sie Guntharis' Gefangene oder Arahads Weib. Nur das weiß man, daß sie awarische und gepidische Söldner geworben, den ganzen Anhang der Amaler und ihre ganz Sippe und Gefolgschaft, zu all dem großen Anhang der Wölsungen, bewaffnet haben. Dich schelten sie den Bauernkönig: sie wollen Ravenna gewinnen!»
«O schicke mich nach Florentia mit nur drei Tausendschaften!» rief Hildebad zornig. «Ich will dir diese Königin der Goten samt ihrem adeligen Buhlen in einem Vogelkäfig gefangen bringen.»
Aber die andern machten besorgte Gesichter. «Es sieht finster her!» sprach Hildebrand. «Belisar mit seinen Hunderttausenden vor uns: im Rücken das schlangenhafte Rom, - all unsre Macht noch fünfzig Meilen fern - und jetzt noch Bruderkrieg und Aufruhr im Herzen des Reiches! Der Donner schlag' in dieses Land.»
Aber Witichis blieb ruhig und gefaßt wie immer. Er strich mit der Hand über die Stirn. «Es ist vielleicht gut so», sagte er dann. «Jetzt bleibt uns keine Wahl. Jetzt müssen wir zurück.»
«Zurück?» fragte Hildebrand zürnend. - «Ja! Wir dürfen keinen Feind im Rücken lassen. Morgen brechen wir das Lager ab und gehn...» - «Gegen Neapolis vor?» sagte Hildebad. «Nein! Zurück nach Rom! Und weiter, nach Florentia, nach Ravenna! Der Brand der Empörung muß zertreten sein, eh' er noch recht entglommen.» - «Wie? Du weichst vor Belisar zurück?» - «Ja, um desto stärker vorzugehen, Hildebad! Auch die Bogensehne spannt die Kraft zurück, den tödlichen Pfeil zu schnellen.» -«Nimmermehr!» sprach Hildebad, «das kannst - das darfst du nicht.»
Aber ruhig trat Witichis auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter: «Ich bin dein König. Du hast mich selbst gewählt. Hell klang vor andern dein Ruf: Heil König Witichis! Du weißt es, Gott weiß es: nicht ich habe die Hand ausgestreckt nach dieser Krone! Ihr habt sie mir auf das Haupt gedrückt: nehmt sie herunter, wenn ihr sie mir nicht mehr anvertraut. Aber solang ich sie trage, traut mir und gehorcht: sonst seid ihr mit mir verloren.»
«Du hast recht», sagte der lange Hildebad und senkte das Haupt. «Vergib mir! Ich mach' es gut im nächsten Gefecht.»
«Auf, meine Feldherrn», schloß Witichis, den Helm aufsetzend, «du, Totila, eilst mir in wichtiger Sendung zu den Frankenkönigen nach Gallien: ihr andern fort zu euren Scharen, brecht das Lager ab: mit Sonnenaufgang geht's nach Rom.»
Wenige Tage darauf, am Abend des Einzugs der Goten in Rom, finden wir die jungen «Ritter»: Lucius und Marcus Licinius, Piso, den Dichter, Balbus, den Feisten, Julianus, den jungen Juristen, bei Cethegus, dem Präfekten, in vertrautem Gespräch.
«Das also ist die Liste der blinden Anhänger des künftigen Papstes Silverius, meiner schlimmsten Argwöhner? Ist sie vollständig?» - «Sie ist es. Es ist ein hartes Opfer», rief Lucius Licinius, «das ich dir bringe, Feldherr. Hätt' ich gleich, wie das Herz mich antrieb, Belisar aufgesucht, ich hätte jetzt schon Neapolis mit belagert und bestürmt, statt daß ich hier die Katzentritte der Priester belausche und die Plebejer marschieren und in Manipeln schwenken lehre.» - «Sie lernen's doch nie wieder», meinte Marcus.
«Geduldet euch», sagte Cethegus ruhig, Ohne von einer Papyrusrolle aufzublicken, die er in der Hand hielt. «Ihr werdet euch bald genug und lang genug mit diesen gotischen Bären balgen dürfen. Vergeßt nicht, daß das Raufen doch nur Mittel ist, nicht Zweck.»
«Weiß nicht», zweifelte Lucius.
«Die Freiheit ist der Zweck, und Freiheit fordert Macht», sprach Cethegus; «wir müssen diese Römer wieder an Schild und Schwert gewöhnen, sonst» - der Ostiarius meldete einen gotischen Krieger. Unwillige Blicke tauschten die jungen Römer.
«Laß ihn ein!» sprach Cethegus, seine Schreibereien in einer Kapsel bergend. Da eilte ein junger Mann im braunen Mantel der gotischen Krieger, einen gotischen Helm auf dem Haupt, herein und warf sich an des Präfekten Brust.
«Julius!» sprach dieser kalt zurücktretend. «Wie sehn wir uns wieder! Bist du denn ganz ein Barbar geworden. Wie kamst du nach Rom?»
«Mein Vater, ich geleite Valeria unter gotischem Schutz: ich komme aus dem rauchenden Neapolis.» - «Ei», grollte Cethegus, «hast du mit deinem blonden Freund gegen Italien gestritten? Das steht einem Römer gut! Nicht wahr, Lucius?» -«Ich habe nicht gefochten und werde nicht fechten in diesem Krieg, dem unseligen. Weh denen, die ihn entzündet.» Cethegus maß ihn mit kalten Blicken. «Es ist unter meiner Würde und über meiner Geduld, einem Römer die Schande solcher Gesinnung vorzuhalten. Wehe, daß du ein solcher Abtrünniger, mein Julius. Schäme dich vor diesen deinen Altersgenossen. Seht, römische Ritter, hier ist ein Ritter ohne Freiheitsdurst, ohne Zorn auf die Barbaren!»
Aber ruhig schüttelte Julius das Haupt. «Du hast sie noch nicht gesehen, die Hunnen und Massageten Belisars, die euch die Freiheit bringen sollen. Wo sind denn die Römer, von denen du sprichst? Hat sich Italien erhoben, seine Fesseln abzuwerfen? Kann es sich noch erheben? Justinian kämpft mit den Goten, nicht wir. Wehe dem Volk, das ein Tyrann befreit.»
Cethegus gab ihm im geheimen recht, aber er wollte solche Worte nicht billigen vor Fremden: «Ich muß allein mit diesem Philosophen disputieren. Berichtet mir, wenn bei den Frommen
etwas geschieht.»
Und die Kriegstribunen gingen, mit verächtlichen Blicken auf Julius.
«Ich möchte nicht hören, was die von dir reden!» sagte Cethegus ihnen nachsehend. - «Das gilt mir gleich. Ich folge meinen eignen und nicht fremden Gedanken.» - «Er ist Mann geworden», sagte Cethegus zu sich selbst.
«Und meine tiefsten und besten Gedanken, die diesen Krieg verfluchen, führen mich hierher. Ich komme, dich zu retten und zu entführen aus dieser schwülen Luft, aus dieser Welt von Falschheit und Lüge. Ich bitte dich, mein Freund, mein Vater: folge mir nach Gallien.» - «Nicht übel», lächelte Cethegus. «Ich soll Italien aufgeben im Augenblick, da die Befreier nahen! Wisse: ich war es, der sie herbeigerufen, ich habe diesen Kampf entfacht, den du verfluchst.» - «Ich dacht' es wohl», sprach Julius schmerzlich. «Aber wer befreit uns von den Befreiern, wer endet diesen Kampf?»
«Ich», sprach Cethegus ruhig und groß. «Und du, mein Sohn, sollst mir dabei helfen. Ja, Julius, dein väterlicher Freund, den du so kalt und nüchtern schiltst, hat auch eine begeisterte Schwärmerei, wenn auch nicht für Mädchenaugen und gotische Freundschaften. Laß diese Knabenspiele jetzt, du bist ein Mann. Gib mir die letzte Freude meines öden Lebens und sei der Genosse meiner Kämpfe und der Erbe meiner Siege! Es gilt Rom, Freiheit, Macht! Jüngling, können dich diese Worte nicht rühren? Denk dir», fuhr er, wärmer werdend, fort, «diese Goten, diese Byzantiner - ich hasse sie wie du - die einen durch die andern erschöpft, aufgerieben, und über den Trümmern ihrer Macht erhebt sich Italien, Rom in alter Herrlichkeit! Auf dem kapitolinischen Hügel thront wieder der Herrscher über Morgen-und Abendland: eine neue römische Weltherrschaft, stolzer, als sie dein cäsarischer Namensvetter geträumt, verbreitet Zucht, Segen und Furcht über die Erde...»
«Und der Herrscher dieses Weltreichs heißt Cethegus Cäsarius!»
«Ja, und nach ihm: Julius Montanus! Auf, Julius, du bist kein Mann, wenn dich dies Ziel nicht lockt!»
Julius sprach bewundernd: «Mir schwindelt! Das Ziel ist sternenhoch: aber deine Wege, sie sind nicht gerade. Ja, wären sie gerade, bei Gott, ich teilte deinen Gang.
Ja, rufe die römische Jugend zu den Waffen, herrsche beiden Barbarenheeren zu:
«Und deshalb - ist's dein Ziel!» - «Tor, erkennst du nicht, daß es gewöhnlich ist, aus gutem Stoff ein Gebilde fertigen, daß es aber göttlich ist, aus dem Nichts, nur mit eigner schöpferischer Kraft, eine neue Welt zu schaffen.» - «Göttlich? Durch List und Lüge? Nein.» - «Julius,» - «Laß mich offen sprechen, deshalb bin ich gekommen.
O könnt' ich dich zurückrufen von dem dämonischen Pfade, der dich sicher in Nacht und Verderben führt. Du weißt, - wie ich dein Bild verehre und liebe. Es will mir nicht stimmen zu dieser Verehrung, was Griechen, Goten, Römer von dir flüstern.»
«Was flüstern sie?» fragte Cethegus stolz.
«Ich mag's nicht denken, aber alles, was in diesen Zeiten Furchtbares geschehen: Athalarichs, Kamillas, Amalaswinthens Untergang, der Byzantiner Landung, du wirst dabei genannt, wie der Dämon, der alles Böse schafft. Sage mir, schlicht und treu, daß du frei bist von dunkeln -»
«Knabe!» fuhr Cethegus auf, «willst du mir zur Beichte sitzen und zu Gericht? Lerne erst das Ziel begreifen, eh du die Mittel schiltst.
Meinst du, man baut die Weltgeschichte aus Rosen und Lilien? Wer das Große will, muß das Große tun, nennen's die Kleinen gut oder schlecht.» - «Nein und dreimal nein! ruft dir mein ganzes Herz entgegen. Fluch dem Ziel, zu dem nur Frevel führen. Hier scheiden sich unsere Pfade.»
«Julius, geh nicht! Du verschmähst, was noch nie einem Sterblichen geboten ward. Laß mich einen Sohn haben, für den ich ringe, dem ich die Erbschaft meines Lebens hinterlassen kann. »
«Fluch und Lüge und Blut kleben daran. Und sollt' ich sie schon jetzt antreten:- ich will sie nie! Ich gehe, daß sich dein Bild nicht noch mehr vor mir verdunkle. Aber ich flehe dich um eins: wann der Tag kommt (und er wird kommen), da dich ekelt all des Blutes und des frevlen Trachtens und des Zieles selbst, das solche Taten fordert, - - dann rufe mich: ich will herbeieilen, wo immer ich sei, und will dich losringen und loskaufen von den dämonischen Mächten und sei's um den Preis meines Lebens.»
Leichter Spott zuckte zuerst um des Präfekten Lippe, aber er dachte: «Er liebt mich noch immer. Gut, ich werde ihn rufen, wenn das Werk vollendet: laß sehen, ob er ihm dann widerstehen kann, ob er den Thron des Erdkreises ausschlägt.» -«Wohl», sagte er, «ich werde dich rufen, wenn ich dein bedarf. Leb' wohl.» Und mit kalter Handbewegung entließ er den Heißbewegten.
Aber als die Türe hinter ihm zugefallen, nahm der eisige Präfekt ein kleines Relief von getriebenem Erz aus einer Kapsel und betrachtete es lang. Dann wollte er es küssen. Aber plötzlich flog der höhnische Zug wieder um seine Lippen. «Schäme dich vor Cäsar, Cethegus», sagte er, und legte das Medaillon wieder in die Kapsel. Es war ein Frauenkopf und Julius sehr ähnlich.
Inzwischen war es dunkler Abend geworden. Der Sklave brachte die zierliche Bronzelampe, korinthische Arbeit: ein Adler, der im Schnabel den Sonnenball trägt, gefüllt mit persischem Duftöl. «Ein gotischer Krieger steht draußen, Herr, er will dich allein sprechen. Er sieht sehr unscheinbar aus. Soll er die Waffen ablegen?» - «Nein», sagte Cethegus, «wir fürchten die Barbaren nicht. Laß ihn kommen.» Der Sklave ging, und Cethegus legte die Rechte an den Dolch im Busen seiner Tunika.
Ein stattlicher Gote trat ein, die Mantelkapuze über den Kopf geschlagen: er warf sie jetzt zurück.
Cethegus trat erstaunt einen Schritt näher. «Was führt den König der Goten zu mir?»
«Leise!» sprach Witichis. «Es braucht niemand zu wissen, was wir beide verhandeln. Du weißt: seit gestern und heute ist mein Heer von Regeta in Rom eingezogen. Du weißt noch nicht, daß wir Rom morgen wieder räumen werden.
Cethegus horchte hoch auf.
«Das befremdet dich?» - «Die Stadt ist fest», sagte Cethegus ruhig. «Ja, aber nicht die Treue der Römer. Benevent ist schon abgefallen zu Belisar. Ich habe nicht Lust, mich zwischen Belisar und euch erdrücken zu lassen.»
Vorsichtig schwieg Cethegus, er wußte nicht, wo das hinaus sollte. «Weshalb bist du gekommen, König der Goten?» -«Nicht um dich zu fragen, wie weit man den Römern trauen kann. Auch nicht, um zu klagen, daß wir ihnen so wenig trauen können, die doch Theoderich und seine Tochter mit Wohltaten überhäuft; sondern um grad und ehrlich ein paar Dinge mit dir zu schlichten, zu euren wie zu unserem Frommen.»
Cethegus staunte. In der stolzen Offenheit dieses Mannes lag etwas, das er beneidete. Er hätte es gern verachtet. «Wir werden
Rom verlassen; und alsbald werden die Römer Belisar aufnehmen. Das wird so kommen. Ich kann's nicht hindern. Man hat mir geraten, die Häupter des Adels als Geiseln mit hinwegzuführen.»
Cethegus erschrak und hatte Mühe, das zu verbergen.
«Dich vor allen, den Princeps Senatus.» - «Mich!» lächelte Cethegus. - «Ich werde dich hier lassen. Ich weiß es wohl: du bist die Seele von Rom.»
Cethegus schlug die Augen nieder. «Ich nehme das Orakel an», dachte er.
«Aber eben deshalb lass' ich dich hier. Hunderte, die sich Römer nennen, wollen die Byzantiner zu ihren Herren - du, du willst das nicht.» Cethegus sah ihn fragend an.
«Täusche mich nicht! Wolle mich nicht täuschen. Ich bin der Mann verschlagner Künste nicht. Aber mein Auge sieht der Menschen Art. Du bist zu stolz, um Justinian zu dienen. Ich weiß, du hassest uns. Aber du liebst auch diese Griechen nicht und wirst sie nicht länger hier dulden als du mußt. Deshalb lass' ich dich hier. Vertritt du Rom gegen die Tyrannen: ich weiß, du liebst die Stadt.»
Es war etwas an diesem Mann, das Cethegus zum Staunen zwang. «König der Goten», sagte er, «du sprichst klar und groß wie ein König, ich danke dir. Man soll nicht sagen von Cethegus, daß er die Sprache der Größe nicht versteht. Es ist, wie du sagst: ich werde mein Rom nach Kräften römisch erhalten.»
«Gut», sagte Witichis, «sieh, man hat mich gewarnt vor deiner Tücke. Ich weiß viel von deinen schlauen Plänen, ich ahne noch mehr, und ich weiß, daß ich gegen Falschheit keine Waffe habe. Aber du bist kein Lügner. Ich wußte, ein männlich Wort ist unwiderstehlich bei dir: und Vertrauen entwaffnet einen Feind, der ein Mann.»
«Du ehrst mich, König der Goten.»
«Ich will dich warnen; weißt du, wer die wärmsten Freunde Belisars?» - «Ich weiß es: Silverius und die Priester.» - «Richtig. Und weißt du, daß Silverius, sowie der alte Papst Agapetus gestorben, den Bischofsstuhl von Rom besteigen wird?»
«So hör' ich.»
«Man riet mir, auch ihn als Geisel fortzuführen. Ich werd' es nicht tun. Die Italier hassen uns genug. Ich will nicht noch in das Wespennest der Pfaffen stoßen. Ich fürchte die Märtyrer.»
Aber Cethegus wäre den Priester gern los geworden. «Er wird gefährlich auf dem Stuhl Petri», meinte er.
«Laß ihn nur! Der Besitz dieses Landes wird nicht durch Priesterkunst entschieden.»
«Wohlan», sprach Cethegus, die Papyrusrolle vorzeigend, «ich habe hier die Namen seiner wärmsten Freunde zufällig beisammen. Es sind wichtige Männer.»
Er wollte ihm die Liste aufdringen und hoffte, die Goten sollten so seine gefährlichsten Feinde als Geiseln mitführen.
Aber Witichis wies ihn ab. «Laß das! Ich werde gar keine Geiseln nehmen. Was nützt es, ihnen die Köpfe abzuschlagen? Du, dein Wort soll mir für Rom bürgen.»
«Wie meinst du das? Ich kann Belisar nicht abhalten.»
«Du sollst es nicht: Belisar wird kommen, aber verlaß dich drauf, er wird auch wieder gehn. Wir Goten werden diesen Feind bezwingen: vielleicht erst nach hartem Kampf, aber gewiß. Dann aber gilt es den zweiten Kampf um Rom.»
«Einen zweiten?» fragte Cethegus ruhig, «mit wem?»
Aber Witichis legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm ins Antlitz mit einem Auge wie die Sonne: «Mit dir, Präfekt von Rom!»
«Mit mir!» Und er wollte lächeln, aber er konnte nicht.
«Verleugne nicht dein Liebstes, Mann: es ist deiner nicht würdig. Ich weiß es, für wen du die Türme und Schanzen um
diese Stadt erbaust, nicht für uns und nicht für die Griechen! Für dich! Ruhig! Ich weiß, was du sinnest, oder ich ahn' es: kein Wort! Es sei! Sollen Griechen und Goten um Rom kämpfen und kein Römer? Aber höre: Laß nicht einen zweiten jahrelangen Krieg unsre Völker hinraffen.
Wenn wir die Byzantiner niedergekämpft, hinausgeworfen aus unserm Italien, - dann, Cethegus, will ich dich erwarten vor den Mauern Roms; nicht zur Schlacht unsrer Völker, - zum Zweikampf: Mann gegen Mann, du und ich, wir wollen's um Rom entscheiden.»
Und in des Königs Blick und Ton lag eine Größe, eine Würde und Hoheit, die den Präfekten verwirrte.
Er wollte heimlich spotten der einfältigen Schlichtheit des Barbaren. Aber es war ihm, als könne er sich selbst nie mehr achten, wenn er diese Größe nicht zu achten, nicht zu ehren, nicht zu erwidern fähig sei. So sprach er ohne Spott: «Du träumst, Witichis, wie ein gotischer Knabe.»
«Nein, ich denke und handle wie ein gotischer Mann. Cethegus, du bist der einzige Römer, den ich würdige, so mit ihm zu reden. Ich habe dich fechten sehen im Gepidenkrieg: du bist meines Schwertes würdig. Du bist älter als ich, wohlan: ich gebe dir den Schild voraus!»
«Seltsam seid ihr Germanen», sagte Cethegus unwillkürlich: «was für Phantasien!»
Aber jetzt furchte Witichis die offene Stirn: «Phantasien? Wehe dir, wenn du nicht fähig bist, zu fühlen, was aus mir spricht. Wehe dir, wenn Teja recht behält! Er lachte zu meinem Plan sprach:
Da ergrimmte Cethegus. Er fühlte sich beschämt. Jenes Ritterliche war ihm fremd, und es ärgerte ihn, daß er es nicht verhöhnen konnte.
Es ärgerte ihn, daß man ihn mit Gewalt nötige, daß man seiner freien Wahl mißtraut habe. Wütender Haß gegen Tejas Mißachtung wie gegen des Königs brutale Offenheit loderte in ihm auf. All diese Eindrücke rangen in ihm, er hätte gern den Dolch in des Germanen breite Brust gestoßen. Fast hätte er vorhin aus soldatischem Ehrgefühl im vollen Ernst sein Wort gegeben. Jetzt durchzuckte ihn ein davon sehr verschiedenes, unschönes Gefühl der Schadenfreude. Sie hatten ihm nicht getraut, die Barbaren, sie hatten ihn gering erachtet: nun sollten sie gewiß betrogen sein! Und mit scharfem Blick vortretend faßte er des Königs Hand. «Es gilt», rief er.
«Es gilt», sprach Witichis, fest seine Hand drückend.
«Mich freut es, daß ich recht behielt und nicht Teja. Leb' wohl! Hüte mir mein Rom. Von dir fordre ich es wieder in ehrlichem Kampf.» Und er ging.
«Nun», sprach Teja draußen mit den andern Goten rasch vortretend, «soll ich das Haus stürmen?»
«Nein», sagte Witichis, «er gab mir sein Wort.»
«Wenn er's nur hält!»
Da trat Witichis heftig zurück. «Teja! Dich macht dein finstrer Sinn ungerecht! Du hast kein Recht, an eines Helden Ehre zu zweifeln, Cethegus ist ein Held.»
«Er ist ein Römer. Gute Nacht!» sagte Teja, das Schwert einsteckend.
Und er ging mit seinen Goten andren Weges.
Cethegus aber warf sich diese Nacht unwillig aufs Lager. Er war uneins in sich. Er grollte mit Julius. Er grollte bitter mit
Witichis, bittrer noch mit Teja. Am bittersten mit sich selbst.
*
Am folgenden Tage versammelte Witichis noch einmal Volk, Senat und Klerus der Stadt bei den Thermen des Titus. Von der höchsten Stufe der Marmortreppe des stolzen Gebäudes herab, die von den Großen des Heeres besetzt war, hielt der König eine schlichte Ansprache an die Römer. Er erklärte, daß er auf kurze Zeit die Stadt räumen und zurückweichen werde. Bald aber werde er wiederkehren.
Er erinnerte sie der Milde der gotischen Herrschaft, der Wohltaten Theoderichs und Amalaswinthens, und forderte sie auf, Belisar, falls er heranrückte, mutig zu widerstehen, bis die Goten zum Entsatz wieder heranrückten: der Römer wieder an die Waffen gewöhnte Legionäre und ihre starken Mauern machten langen Widerstand möglich.
Zuletzt forderte er den Eid der Treue und ließ sie nochmals feierlich schwören, daß sie ihre Stadt auf Leben und Tod gegen Belisar verteidigen wollten. Die Römer zögerten: denn ihre Gedanken waren jetzt schon im Lager Belisars, und sie scheuten den Meineid.
Da scholl dumpfer feierlicher Gesang von der Sacra Via her: und an dem slawischen Amphitheater vorbei zog eine große Prozession von Priestern mit Psalmengesang und Weihrauchschwang heran. In der Nacht war Papst Agapet gestorben, und in aller Eile hatte man Silverius den Archidiakon, zu seinem Nachfolger gewählt.
Langsam und feierlich wogte das Heer von Priestern heran: die Insignien der Bischofswürde von Rom wurden vorausgetragen: silberstimmige Knaben sangen in süßen und doch weihevollen Weisen.
Endlich nahte die Sänfte des Papstes: offen, breit, reichvergoldet, einem Schiffe nachgebildet. Die Träger gingen langsam, Schritt für Schritt, nach dem Takt der Musik, von ringsum drängendem Volk umwogt, das nach dem Segen seines neuen Bischofs verlangte.
Silverius spendete unablässig denselben, mit seinem klugen Haupte rechts und links nickend.
Eine große Zahl von Priestern und ein Zug von speertragenden Söldnern schloß die Prozession. Sie hielt inne, als sie in die Mitte des Platzes gelangt war.
Schweigend, mit trotzigen Augen, sahen die arianischen, gotischen Krieger, die alle Mündungen des Platzes besetzt hielten, den stolzen, prachtentfaltenden Aufzug der ihnen feindlichen Kirche, indes die Römer die Ankunft ihres Seelenhirten um so freudiger begrüßten, als seine Stimme ihre Gewissenszweifel wegen des zu leistenden Eides lösen sollte.
Eben wollte Silverius seine Ansprache an das versammelte Volk beginnen, als der Arm eines baumlangen Goten, über die Brüstung der Sänfte hereinlangend, ihn an dem goldbrokatnen Mantel zupfte.
Unwillig ob der wenig ehrerbietigen Störung wandte Silverius das strenge Gesicht, aber uneingeschüchtert sprach der Gote, den Ruck wiederholend: «Komm, Priester, du sollst hinauf zum König.»
Silverius hätte es angemessener gefunden, wenn der König zu ihm heruntergekommen wäre, und Hildebad schien etwas dergleichen in seinen Mienen zu lesen. Denn er rief: «'s ist nicht anders! Duck' dich, Pfäfflein!»
Und damit drückte er einen der die Sänfte tragenden Priester an der Schulter nieder: die Träger ließen sich nun auf die Knie herab, und seufzend stieg Silverius heraus, Hildebad auf die Treppe folgend.
Als er vor Witichis angelangt war, ergriff dieser seine Hand, trat mit ihm vor, an den Rand der Treppe, und sprach: «Ihr Männer von Rom, diesen hier haben eure Priester zu eurem Bischof bezeichnet. Ich genehmige die Wahl: er sei Papst, sobald er mir Gehorsam geschworen und euch den Eid der Treue für mich abgenommen hat. Schwöre, Priester!»
Nur einen Augenblick war Silverius betroffen.
Aber sogleich wieder gefaßt, wandte er sich mit salbungsvollem Lächeln zu dem Volk, dann zum König. «Du befiehlst?» sprach er.
«Schwöre», rief Witichis, «daß du in unsrer Abwesenheit alles aufbieten wirst, diese Stadt Rom in Treue zu den Goten zu erhalten, denen sie so viel verdankt; in allen Stücken uns zu fördern, unsre Feinde aber zu schädigen. Schwöre Treue den Goten.»
«Ich schwöre», sagte Silverius, sich zu dem Volke wendend. «Und so fordre ich, der ich die Macht habe, die Seelen zu binden und zu lösen, euch, ihr Römer, umstarret rings von gotischen Waffen, auf, im gleichen Sinne zu schwören, wie ich geschworen habe.»
Die Priester und einige der Vornehmen schienen verstanden zu haben und erhoben unbedenklich die Finger zum Schwur. Da besann sich auch die Menge nicht länger, und der Platz erscholl von dem lauten Ruf: «Wir schwören Treue den Goten.»
«Es ist gut, Bischof von Rom», sprach der König. «Wir bauen auf euren Schwur. Lebt wohl, ihr Römer! Bald werden wir uns wiedersehen.» Und er schritt die breiten Stufen nieder. Teja und Hildebad folgten ihm.
«Jetzt bin ich nur begierig...» - sagte Teja.
«Ob sie es halten?» meinte Hildebad.
«Nein. Gar nicht. Aber wie sie's brechen. Nun, der Priester wird's schon finden.»
Und mit fliegenden Fahnen zogen die Goten ab zur Porta Flaminia hinaus, die Stadt ihrem Papst und dem Präfekten überlassend, während Belisar in Eilmärschen auf der Via Latina nahte.
In der Stadt Florentia waltete eifriges, kriegerisches Leben. Die Tore waren geschlossen: auf den Zinnen und Mauerkronen schritten zahlreiche Wachen, in den Straßen klirrte es von Zügen reisiger Goten und bewaffneter Söldner: denn die Wölsungen Guntharis und Arahad hatten sich in diese Stadt geworfen und sie eins tweilen zum Hauptwaffenplatz des Aufstandes gegen Witichis gemacht.
In der schönen Villa, die sich Theoderich in einer Vorstadt am Ufer des Arnus, aber noch in den Ringmauern der Stadt gebaut, hausten die beiden Brüder.
Herzog Guntharis von Tuscien, der ältere, war ein gefürchteter Kriegsmann und seit Jahren Graf der Stadt Florentia: rings in ihrem Weichbild lagen die Güter des mächtigen Adelsgeschlechts, von Tausenden von Colonen und Hintersassen bebaut: ihre Macht in dieser Stadt und Landschaft war ohne Schranken, und Herzog Guntharis war entschlossen, sie völlig zu gebrauchen.
In voller Rüstung, den Helm auf dem Haupt, schritt der stattliche Mann unwillig durch das marmorgetäfelte Zimmer, indes der jüngere Bruder in schmucker Freitracht, ohne Waffen, schweigend und sinnend an dem Citrustisch lehnte, der von Briefen und Pergamenten bedeckt war.
«Entschließe dich, mach' vorwärts, mein Junge!» sprach Guntharis: «es ist mein letztes Wort. Noch heute bringst du mir das Ja des störrigen Kindes, oder ich - hörst du? - ich selbst gehe, es zu holen. Aber dann, wehe ihr. Ich weiß besser als du umzuspringen mit einem launischen Mädchenkopf.»
«Bruder, das wirst du nicht.»
«Beim Donner, das werd' ich. Meinst du, ich wage meinen Kopf, ich versäume das Glück unsres Hauses um deine schmachtende Zartheit? Jetzt oder nie ist der Augenblick, den
Wölsungen endlich die erste Stelle im Volk zu schaffen, die ihnen gebührt, und von der Amaler und Balten sie seit Jahrhunderten ausgeschlossen. Wird die letzte Amelungentochter dein Weib, kann niemand dir die Krone bestreiten, und mein Schwert soll sie schon schützen auf deinem Haupt gegen diesen Bauernkönig Witichis.
Aber nicht zu lange mehr darf's währen. Ich habe noch keine Nachricht von Ravenna: doch ich fürchte, die Stadt wird nur Mataswintha, nicht uns, zufallen, das heißt, nicht uns allein; wer sie hat, hat aber Italien, nachdem Neapolis und Rom verloren. Die mächtige Festung müssen wir haben. Deshalb muß sie dein Weib sein, eh' wir vor die Rabenmauern ziehen, sonst wird ruchbar, daß sie mehr unsre Gefangene als unsre Königin.»
«Wer wünscht das mehr, heißer als ich? Aber ich kann sie doch nicht zwingen?» - «Nicht? Warum nicht? Suche sie auf und gewinne sie im guten oder im bösen. Ich gehe, die Wachen auf den Wällen zu verstärken. Bis ich zurück bin, will ich Antwort!»
Herzog Guntharis ging, und seufzend machte sich sein Bruder nach dem Garten auf, Mataswintha zu suchen.
Der Garten war von einem kunstverständigen Freigelassenen aus Kleinasien angelegt. Er hatte im Hintergrund einen waldähnlichen Abschluß, der, frei von Beeten und Terrassen, das wunderbar reiche Wiesengrün noch erhalten hatte. Diese blumigen Wiesenufer und dichten Oleanderbüsche durchrieselte ein klarer Bach mit anmutigem Gewoge.
Dicht an dem Rande des Baches, im weichem Grase hingegossen, lag eine jugendliche Frauengestalt. Sie hatte von dem rechten Arm das Gewand zurückgeschlagen und schien bald mit den murmelnden Wellen, bald mit den nickenden Blumen am Rande zu spielen. Sinnend sah sie vor sich hin und warf wie träumend hier und da ein Veilchen oder einen Krokus in die Wellen, mit leise geöffneten Lippen der Blüte
nachsehend, die rasch die klaren Wellen entführten.
Dicht hinter ihren Schultern kniete ein junges Mädchen in maurischer Sklaventracht, eifrig beschäftigt, einen Kranz fertig zu flechten, an welchem nur die letzten Verbindungen fehlten: sorgsam spähte die anmutfeine Kleine manchmal, ob die Träumende ihre heimliche Arbeit nicht gewahre.
Aber diese schien ganz in ihre Phantasien verloren.
Endlich war der zierliche Kranz vollendet: mit lachenden Augen drückte sie ihn auf das prachtvolle feuerfarbne Haar der Herrin und bog sich um ihre Schulter, deren Blick zu suchen. Aber diese hatte gar nicht gemerkt, wie die Blumen ihr Haupt berührten. Da ward die Kleine unwillig und rief mit schmollend aufgeworfenen Lippen: «Aber Herrin, bei den Palmenwipfeln des Auras, was denkest du wieder? Bei wem bist du?»
Mataswintha schlug die leuchtenden Augen auf: «Bei ihm!» flüsterte sie. «Weiße Göttin, das trag' ich nicht mehr!» rief die Kleine aufspringend, «es ist zu arg, die Eifersucht bringt mich um! Nicht mich, deine Gazelle nur, auch die eigne Schönheit vergißt du - über dem unsichtbaren Mann. Schau' doch nur einmal in die Wellen und sieh, wie reizend dein Haar von den dunkeln Veilchen und weißen Anemonen sich hebt.»
«Dein Kranz ist schön!» sagte Mataswintha, ihn herunterlangend und dann leicht in die Wellen werfend, «welch süße Blumen! Grüßt ihn von mir.»
«Ach, meine armen Blumen!» rief die Sklavin, ihnen nachblickend; aber sie wagte nicht, weiter zu schelten. «Sag' mir nur», rief sie, sich wieder niederlassend, «wie all dies enden soll? Da sind wir jetzt schon viele Tage, wir wissen nicht recht, Königin oder Gefangene? Jedenfalls in fremder Gewalt, haben den Fuß nicht aus deinem Gemach oder diesem hochummauerten Garten gesetzt und wissen nichts von der ganzen Welt. Du aber bist immer still und selig, als müßte das alles so sein.»
«Es muß auch alles so sein.»
«So? und wie wird es enden?»
«Er wird kommen und wird mich befreien.»
«Nun, Weißlilie! Du hast einen starken Glauben. Wären wir daheim im Mauretanierland, und sähe ich dich nachts zu den Sternen blicken, so sagte ich wohl: du habest das alles in den Sternen gelesen. Aber so! Ich begreife das nicht» - und sie schüttelte die schwarzen Locken - «Ich werde dich nie begreifen.»
«Doch, Aspa, du wirst und sollst», sprach Mataswintha sich aufraffend und zärtlich den weißen Arm um den braunen Nacken schlingend, «deine treue Liebe verdient längst diesen Lohn, den besten, den ich zu spenden habe.»
In der Sklavin dunkles Auge trat eine Träne. «Lohn?» sprach sie. «Aspa ward geraubt von wilden Männern mit roten, fliegenden Locken. Aspa ist eine Sklavin. Alle haben sie gescholten, viele geschlagen. Du hast mich gekauft, wie man eine Blume kauft. Und du streichelst mir Wange und Haar. Und bist so schön wie die Göttin der Sonne und sprichst von Lohn?» Und sie schmiegte das Köpfchen an der Herrin Busen.
«Du bist meine Gazelle!» sagte diese, «und hast ein Herz wie Gold. Du sollst alles wissen, was niemand weiß, außer mir. Höre also: Ich hatte eine Kindheit ohne Freude, ohne Liebe, und doch verlangte meine junge Seele nach Weichheit, nach Liebe. Meine arme Mutter hatte einen Knaben, einen Thronerben heiß gewünscht und sicher erwartet, und mit Widerwillen, mit Kälte und Härte behandelte sie das Mädchen. Als Athalarich geboren war, nahm die Härte ab, aber die Kälte nahm zu, dem Erben der Krone allein ward alle Liebe und Sorge. Ich hätte es nicht empfunden, hätte ich nicht in meinem weichen Vater den Gegensatz gesehen. Ich fühlte, wie auch er litt unter der kalten Härte seiner Gattin, und oft drückte mich der kranke Mann mit Seufzen, mit Tränen an die Brust.
Und als er gestorben und begraben war, da war mir alle Liebe in der Welt erstorben. Wenig sah ich Athalarich, der von andern Lehrern und im andern Teil des Palastes erzogen ward, weniger noch die Mutter, fast nur, wenn sie mich zu strafen hatte. Und doch liebte ich sie so sehr, und doch sah ich, wie meine Wärterinnen und Lehrerinnen ihre eignen Kinder liebten, herzten und küßten: und nach gleicher Wärme verlangte mit aller Macht mein Herz.
So wuchs ich heran, wie eine bleiche Blume ohne Sonnenlicht!
Da war denn mein liebster Ort in der Welt das Grab meines Vaters Eutharich im stillen Königsgarten zu Ravenna. Da suchte ich bei dem Toten die Liebe, die ich bei den Lebenden nicht fand, und sowie ich meinen Wärtern entrinnen konnte, eilte ich dorthin, zu sehnen und zu weinen. Und dies Sehnen wuchs, je älter ich ward: in Gegenwart der Mutter mußte ich all meine Gefühle zusammenpressen, sie verachtete es, wenn ich sie zeigte.
Und wie ich vom Kind zum Mädchen heranwuchs, merkte ich wohl, daß die Augen der Menschen oft wie bewundernd auf mir ruhten. Aber ich dachte, sie bedauerten mich, und das tat mir weh. Und öfter und öfter flüchtete ich zum Grabe des Vaters, bis es der Mutter gemeldet ward, und ich ward verklagt, daß ich dort weinte und ganz verstört zurückkäme.
Zornig verbot mir die Mutter, ohne sie das Grab wieder zu besuchen, und sprach von verächtlicher Schwäche.
Aber dawider empörte sich mein Herz, und ich besuchte das Grab trotz dem Verbot. Da überraschte sie mich einst daselbst, und schlug mich, und ich war doch kein Kind mehr, und führte mich in den Palast zurück, und schalt mich schwer. Sie drohte, mich zu verstoßen für immer, und fragte im Scheiden zürnend den Himmel, warum er sie mit einem solchen Kinde gestraft.
Das war zuviel.
Namenlos elend beschloß ich, dieser Mutter zu entrinnen, der ich zur Strafe leben sollte, und davonzugehen, wo mich niemand kennte: ich wußte nicht wohin, am liebsten in das Grab zu meinem Vater.
Als es Abend geworden, stahl ich mich aus dem Palast, ich eilte nochmals an das geliebte Grab zu langem, tränenreichen Abschied. Schon gingen die Sterne auf, da huschte ich aus dem Garten, aus dem Palast und eilte durch die dunkeln Straßen der Stadt an das faventinische Tor. Glücklich schlüpfte ich an der Wache vorbei ins Freie und lief nun eine Strecke auf der Straße fort, gradaus in die Nacht, ins Elend.
Aber auf der Straße kam mir entgegen ein Mann im Kriegsgewand. Als ich an ihm vorüber wollte, schritt er plötzlich heran, sah mir ins Antlitz und legte die Hand leicht auf meine Schulter:
Ich erbebte unter seiner Hand, Tränen brachen aus meinen Augen, und schluchzend rief ich:
Da faßte der Mann meine beiden Hände und sah mich an, so freundlich, so mild, so besorgt. Dann trocknete er meine Tränen mit seinem Mantel und sprach in weichem Ton der tiefsten Güte:
Mir ward so weh und wohl ums Herz beim Klange dieser Stimme. Und wie ich in sein mildes Auge sah, war ich meiner selbst nicht mehr mächtig.
Ich verstand ihn nicht. Aber ich liebte ihn unendlich für diese Worte, diese Milde. Fragend, staunend, hilflos sah ich ihm ins Auge. Ich bebte und zitterte. Es mußte ihn rühren; oder er dachte, es sei die Kälte.
Er nahm seinen warmen Mantel ab, schlug ihn um meine Schultern und führte mich langsam zurück durchs Tor, auf unbelebten Straßen, durch die Stadt nach dem Palast.
Willenlos, hilflos, wankend wie ein krankes Kind folgte ich ihm, das Haupt, das er mir sorglich verhüllte, an seine Brust gelehnt. Er schwieg und trocknete mir nur manchmal die Augen. Unbemerkt, wie ich glaubte, gelangten wir an die Türe der Palasttreppe. Er öffnete sie, schob mich sanft hinein: dann drückte er mir die Hand.
Ich aber lehnte an der halbgeschlossenen Tür und konnte nicht fort. Mein Fuß versagte, mein Herz pochte.
Da hört' ich, wie eine rauhe Stimme ihn ansprach:
«Nun», fragte Aspa, sie groß ansehend, «was sagte er?»
Aber Mataswintha drückte Aspas Köpfchen nieder an ihre Brust. «Er sagte», flüsterte sie - «er sagte: -
«Da hat er recht gesagt», sprach die Kleine, «was brauchst du da rot zu werden? Ist's doch so! Nun aber weiter! Was tatest du?»
«Ich schlich auf mein Lager und weinte, weinte Tränen der Trauer, der Wonne, der Liebe, alles durcheinander. In jener Nacht stieg eine Welt, ein Himmel in mir auf: er war mir gut, das fühlte ich, und er nannte mich schön. Ja, jetzt wußte ich es: ich war schön, und ich war selig darüber. Ich wollte schön sein: für ihn! O wie glücklich war ich! Seine Begegnung brachte Glanz in mein Dunkel, Segen in mein Leben. Ich wußte jetzt, man konnte mir gut sein, man konnte mich lieben! Sorglich pflegte ich des Leibes, den er gelobt. Die süße Macht in meinem Herzen breitete eine milde Wärme über mein ganzes Wesen: ich ward weicher und inniger, und selbst der Mutter strenger Sinn ward jetzt liebevoller gegen mich, seit ich nur sanfte Liebe ihrer Härte entgegengab. Und täglich wurden alle Herzen gütiger gegen mich, wie ich weicher gegen alle.
Und all das dankte ich ihm. Er hatte mir die Flucht in Schmach und Elend erspart und mir eine ganze Welt von Liebe gewonnen. Seitdem lebte ich nur für ihn.» Und sie hielt inne und legte die Linke auf die wogende Brust.
«Aber, Herrin, wann hast du ihn wiedergesehen? Gesprochen? Lebt deine Liebe von so karger Kost?»
«Gesprochen nie mehr, gesehen nur einmal noch: am Todestage Theoderichs befehligte er die Palastwache, da sagte Athalarich seinen Namen, denn nie hätte ich gewagt, nach ihm zu forschen, aus Furcht, meine Flucht, ach, mein Geheimnis zu verraten. Er war nicht am Hof: und wann er dort erscheinen mochte, war ich auf den Villen.»
«So weißt du weiter gar nichts von ihm, von seinem Leben, von seiner Vergangenheit.»
«Wie hätt' ich forschen können! Glühende Scham hätte mich verraten! Lieb' ist des Schweigens Tochter und der Sehnsucht. Aber von seiner, von unsrer Zukunft weiß ich.»
«Von eurer Zukunft?» lächelte Aspa.
«An den Hof kam alle Sonnenwende die alte Radrun und erhielt von König Theoderich fremde Kräuter und Wurzeln, die er ihr aus Asien bringen ließ und vom Nil. Das hatte sie sich ausbedungen zum einzigen Lohn dafür, daß sie ihm als Knaben sein ganzes Schicksal geweissagt hatte, und war alles eingetroffen aufs Haar. Sie braute Salben und mischte Tränke:
Da, in der nächsten Sonnenwende, faßte auch ich mir ein Herz, lauerte der Alten auf und lockte sie, wie ich sie allein fand, in mein Gemach und bot ihr Gold und lichte Steine, wenn sie mir weissagen wollte.
Aber sie lachte und zog ein Fläschchen von Bernstein hervor und sprach:
Und sie ritzte mir eine Ader im linken Arm und fing den Strahl in ihrem Bernstein. Dann sah sie forschend in meine beiden Hände und sang endlich tonlos:
«Das ist wenig tröstlich, - soviel ich's fasse.»
«Du kennst der Alten Sprüche nicht: sie sind alle so dämmmerdunkel. Sie fügt jeder Verheißung eine Drohung bei, für alle Fälle. Ich aber halte mich an das Helle, nicht an das Dunkle. Weissagung erfüllt sich, wie man sie faßt. Ich weiß: er wird mein und bringt mir Glanz und Glück, den Schmerz daneben will ich tragen: Schmerz um ihn ist Wonne.»
«Ich bewundre dich, Herrin, und deinen Glauben. Und auf den Spruch der Hexe hin hast du ausgeschlagen all die Könige und Fürsten, vom Vandalen- und Westgoten-, Franken- und Burgunderland, die um dich freiten? Selbst Germanus, den edeln, den kaiserlichen Prinzen von Byzanz, und harrst auf
ihn?»
«Und harr' auf ihn! Aber nicht des Spruches allein wegen. In meinem Herzen lebt ein Vögelein, das singt mir alle Tage:
Rasche Schritte tönten von der Villa her. «Ah», rief Aspa, «dein schmucker Freier! Armer Arahad, du verlierst deine Mühe!»
«Ich will dem Spiel ein Ende machen heut'!» sprach Mataswintha, sich erhebend, und auf ihrer Stirn, in ihren Augen lag jetzt eine zornige Strenge, die das Blut der Amaler in ihren Adern bekundete. Es lebte eine seltsame Mischung von lodernder Leidenschaft und hinschmelzender Weichheit in dem Mädchen. Aspa staunte oft über das verhaltne Feuer in ihrer Herrin. «Du bist wie die Götterberge in meiner Heimat», sagte sie: «Schnee auf dem Gipfel: Rosen um den Gürtel: aber im Innern versengendes Feuer, das oft über Schnee und Rosen strömt.»
Indes bog Graf Arahad aus dem buschigen Wege und neigte sich vor dem schönen Weibe mit einem Erröten, das ihm wohl anstand. «Ich komme», sagte er, «Königin...», Aber herb unterbrach sie ihn. «Hoffentlich, Graf von Asta, kommst du, endlich diesem schnöden Spiel von Gewalt und Lüge ein Ende zu machen.
Nicht länger will ich's tragen. Dein kecker Bruder überfällt mich plötzlich, die wehrlose, in die Trauer um ihre Mutter versunkene Waise, in meinen Gemächern, nennt mich in einem Atem seine Königin und seine Gefangene und hält mich wochenlang in unwürdiger Haft. Er bringt mir den Purpur und nimmt mir die Freiheit. Darauf kommst du und verfolgst mich mit deiner eiteln Werbung, die dich nie zum Ziele führt. Ich habe dich verschmäht in der Freiheit: glaubst du, gefangen, in deiner Zwanggewalt, wird dich, du Tor, das Kind der Amaler erhören? Du schwörst, du liebest mich? Wohlan, so achte mich. Ehre meinen Willen, laß mich frei. Oder zittre, wenn mein Befreier naht.» Und drohend trat sie auf den Bestürzten zu, der keine Worte finden konnte.
Da eilte heftigen Schrittes Herzog Guntharis herbei, mit funkelnden Augen.
«Auf, Arahad», rief er, «komm zu Ende. Wir müssen fort, sogleich. Er naht, er dringt mit Macht heran.» - «Wer?» fragte Arahad hastig. - «Er sagt, er kommt sie zu befreien. Er hat gesiegt, der Bauernkönig, und unsre Vorposten geschlagen bei Castrum Sivium.»
«Wer?» fragte jetzt Mataswintha eifrig.
«Nun», antwortete Guntharis zornig, «jetzt magst du's erfahren: es ist doch nicht mehr zu bergen: Graf Witichis von Fäsulä.»
«Witichis!» hauchte Mataswintha mit leuchtenden Augen und hochaufatmend.
«Ja! Ihn haben die Rebellen von Regeta, das Recht des Adels vergessend, zum König der Goten erhoben.»
«Er! Er mein König!» sprach Mataswintha wie im Traume.
«Ich hätte dir's gesagt, schon da ich dich als Königin begrüßte; aber in deinem Gemach stand seine Marmorbüste, bekränzt. Das war mir verdächtig. Später sah ich's: es war ein Zufall, es ist ein Areskopf.»
Mataswintha schwieg und suchte die glühende Röte zu verbergen, die ihr Antlitz überflog.
«Nun», rief Arahad, «was ist zu tun?»
«Wir müssen fort. Wir müssen ihm zuvorkommen in Ravenna. Florentia, die Feste, hält ihn eine Weile auf, indessen gewinnen wir Ravenna, und wenn du Beilager gehalten in der Burg Theoderichs mit dessen Enkelin, ist alles Volk der Goten unser. Auf, Königin! Ich lasse deinen Wagen schirren: in einer Stunde gehst du nach Ravenna in der Mitte unsrer Scharen.» Und die Brüder eilten hinweg.
Blitzenden Auges sah ihnen Mataswintha nach:
«Ja, führt mich fort, gefangen und gebunden; wie der Adler aus der Höhe wird mein König auf euch niederstoßen und mich retten aus eurer Gewalt. Komm, Aspa, der Befreier naht.»
Kaum hatten die Goten den Mauern Roms den Rücken gewendet, so berief Papst Silverius - es war am Tage nach seinem Eide - die Spitzen der Priesterschaft, des Adels, der Beamten und der Bürgerschaft der Stadt in die Thermen des Caracalla zu einer Beratung über Heil und Gedeihen der Stadt des heiligen Petrus. Auch Cethegus war geladen und erschienen.
Mit Unbefangenheit stellte Silverius darauf den Antrag, da endlich die Stunde gekommen sei, das Joch der Ketzer abzuwerfen, eine Gesandtschaft an Belisarius, den Feldherrn des rechtgläubigen Kaisers Justinian, des einzig rechtmäßigen Herrn Italiens, abzuordnen, ihm die Schlüssel der ewigen Stadt zu überreichen und ihm und seinem Heere den Schutz der Kirche und der Gläubigen gegen die Rache der Barbaren zu empfehlen.
Den Gewissenszweifel eines noch sehr jungen Priesters und eines ehrlichen Schmiedemeisters wegen des gestern geleisteten Eides beseitigte er lächelnden Mundes mit der Berufung auf seine apostolische Macht, wie zu binden, so zu lösen, und auf die offenbare Gewalt gotischer Waffen, unter deren Eindruck sie den Schwur geleistet. Darauf ging der Antrag einstimmig durch: und der Papst selbst, Scävola, Albinus und Cethegus wurden als die Gesandten gewählt.
Aber Cethegus widersprach. Schweigend hatte er die Verhandlung mit angehört und sich der Abstimmung enthalten, jetzt stand er auf und sprach: «Ich bin gegen den Beschluß. Nicht wegen des Eides. Ich brauche deshalb apostolische Lösungsgewalt nicht in Anspruch zu nehmen. Denn ich habe nicht geschworen. Aber um der Stadt willen. Das heißt: uns ohne Not dem gerechten Zorn der Goten aussetzen, die wohl einmal wiederkommen können und dann solch offnen Abfall nicht mit apostolischer Lösung entschuldigen werden. Laßt uns gebeten oder gezwungen werden von Belisar: wer sich wegwirft, wird mit Füßen getreten.»
Silverius und Scävola tauschten bedeutsam Blicke.
«Solche Gesinnung», sprach der Jurist, «wird dem Feldherrn des Kaisers gewiß sehr gefallen, kann aber an dem Beschluß nichts ändern. Du gehst also nicht mit uns zu Belisar?»
Cethegus stand auf: «Ich gehe zu Belisar. Aber nicht mit euch», sagte er und ging hinaus.
Als die übrigen die Thermen verlassen, sprach der Papst zu Scävola: «Das gibt ihm den Rest. Er hat sich vor Zeugen gegen die Übergabe erklärt!» - «Und er geht selbst in die Höhle des Löwen.» - «Er soll sie nicht mehr verlassen. Du hast doch die Anklageakte aufgesetzt?» - «Schon längst. Ich fürchtete, er werde die Gewalt in der Stadt an sich reißen: und er geht selbst zu Belisar! Er ist verloren, der Stolze.» - «Amen!» sagte Silverius. «Und so mag jeder untergehen, der in weltlichem Trachten dem heiligen Petrus widerstreitet. Übermorgen um die vierte Stunde machen wir uns auf.»
Aber er irrte, der Heilige Vater: diesmal sollte der Stolze noch nicht untergehen.
Cethegus war sofort nach seinem Hause geeilt, wo der gallische Reisewagen angeschirrt seiner wartete. «Gleich brechen wir auf», rief er dem Sklaven zu, der auf dem vordersten Rosse saß, «ich hole nur mein Schwert.»
Im Vestibulum traf er die Licinier, die ihn ungeduldig erwarteten. «Heut' kam der Tag», rief ihm Lucius entgegen, «auf den du uns so lang vertröstet!» - «Wo ist die Probe deines Vertrauens in unseren Mut, unser Geschick, unsre Treue?» fragte Marcus. - «Geduld!» sprach Cethegus mit erhobenem Zeigefinger und schritt in sein Gemach.
Alsbald kam er wieder, sein Schwert und mehrere Pergamente unterm linken Arm, eine versiegelte Rolle in der Rechten: sein Auge leuchtete: «Ist das äußerste Eisentor der Moles Hadriani fertig?» fragte er. - «Fertig», sprach Lucius Licinius. - «Ist das Getreide aus Sizilien in dem Kapitol geborgen?» - «Geborgen.» - «Sind die Waffen verteilt und die Schanzen am Kapitol vollendet, wie ich befahl?» - «Vollendet», antwortete Marcus. -«Gut. Nehmt diese Rolle. Entsiegelt sie morgen, sowie Silverius die Stadt verlassen, und erfüllt jedes ihrer Worte genau. Es gilt nicht nur mein Leben und das eure -: es gilt Rom! Die Stadt Cäsars wird eure Taten sehen. Geht: auf Wiedersehen!»
Und aus seinen Augen sprühte Feuer in die Herzen der jungen Römer. - «Du sollst zufrieden sein!» - «Du und Cäsar!» riefen sie und eilten hinweg. Mit einem Lächeln, das selten auf seinem Antlitz mit solcher Freudigkeit spielte, sprang Cethegus in seinen Wagen. «Heiliger Vater», sagte er zu sich selbst, «ich bin noch in deiner Schuld für die letzte Versammlung in den Katakomben: ich will sie zahlen! - Die Via latina hinab!» rief er rasch dem Sklaven zu, «und laß die Rosse jagen, was sie können.»
Der Präfekt hatte einen Vorsprung von mehr als einem Tag vor der langsamer reisenden Gesandtschaft. Und er nutzte ihn wohl.
Er hatte in seinem unermüdlichen Geist einen Plan ersonnen, trotz Belisars Landung in Italien doch in Rom Herr und Meister zu bleiben. Und er ging jetzt mit all seiner Umsicht an die Ausführung.
Kaum konnte er erwarten, bis er auf die Vorposten der Byzantiner bei Capua traf, deren Führer, Johannes, ihn durch einige Reiter und seinen eignen jüngeren Bruder, Perseus, nach dem Hauptquartier geleiten ließ. Im Lager angekommen fragte Cethegus nicht nach dem Feldherrn, sondern ließ sich sofort nach dem Zelt des Rechtsrats Prokopius von Cäsarea führen.
Prokopius war sein Studiengenosse in Berytus auf der Juristenschule gewesen: und die beiden bedeutenden Geister hatten sich mächtig angezogen. Aber nicht die Wärme der Freundschaft führte den Präfekten vor allem zu diesem Mann: dieser Mann war der beste Kenner von Belisars ganzer politischer Vergangenheit, wohl auch der Vertraute seiner Pläne für die Zukunft.
Mit Freuden empfing den Jugendfreund Prokopius.
Er war ein Mann von frischem, gesundem Menschenverstand, einer von den wenigen Gelehrten jener Zeit, denen die gekünstelte Bildung in den Rhetorenschulen nicht die Fähigkeit, einfach aufzufassen und gesund zu fühlen, unter den Schnörkeln byzantinischer Gelehrtheit erstickt hatte. Heller Verstand lag auf der offnen Stirn, und in dem noch jugendlich leuchtenden Auge glänzte die Freude an allem Guten.
Nachdem Cethegus Staub und Mühsal der Reise in einem sorgfältigen Bad abgespült, machte sein Wirt, ehe er ihn zur Abendtafel in sein Zelt führte, mit ihm die Runde durch das Lager, ihm die Quartiere der wichtigsten Truppenteile, der bedeutendsten Heerführer weisend und mit ein paar Worten deren Eigenart, Verdienste und oft bunt zusammengesetzte Vergangenheit erläuternd.
Da waren die Söhne des rauhen Thrakiens, Constantinus und Bessas, die sich aus rohem Söldnerhandwerk emporgerungen, tapfre Soldaten, aber ohne Bildung, mit dem ganzen Eigendünkel selbstgemachter Männer: - sie betrachteten sich als Belisars unentbehrliche Stützen und ihn voll ersetzende Nachfolger.
Daneben der vornehme Iberier Peranius, aus dem
Königsgeschlecht der Iberier, der feindlichen Nachbarn der Perser, der aus Haß gegen die persischen Überwinder Vaterland und Hoffnung des Thrones aufgegeben und Dienste in des Kaisers Heer genommen hatte.
Dann Valentinus, Magnus und Innocentius, verwegne Führer der Reiterei, Paulus, Demetrius, Ursicinus, die Führer des Fußvolks, Enns, der isaurische Häuptling und Heerführer der Isaurier Belisars, Aigan und Askan, die Führer der Massageten, Alamundarus und König Abocharabus, die Sarazenen, Ambazuch und Bleda, die Hunnen, Arsakes, Amazaspes und Artabanes, die Armenier - der Arsakide Phaza war mit dem Rest der Armenier in Neapolis zurückgelassen worden - Azarethas und Barasmenes, die Perser, Antallas und Cabaon, die Mauren. Sie alle kannte und nannte Prokopius, karg sein Lob, reichlich und mit Behagen spitzen, aber geistvollen Tadel spendend.
Eben wandten sie sich zu dem Quartier des Martinus, des friedlichen Städteverbrenners, zur Rechten, da fragte Cethegus, stehen bleibend: «Und wessen ist das Seidenzelt dort auf dem Hügel, mit den goldnen Sternen und dem Purpurwimpel? Und seine Wachen tragen goldne Schilde?»
«Dort», sprach Prokop, «wohnt Seine unüberwindliche Köstlichkeit, des römischen Reiches
Oberpurpurschneckenintendant, Prinz Areobindos, den Gott erleuchte.»
«Des Kaisers Neffe, nicht?»
«Jawohl, er hat des Kaisers Nichte, Projecta, geheiratet: sein höchstes und einziges Verdienst. Er ist hierher gesendet mit der Kaisergarde, uns zu ärgern und dafür zu sorgen, daß wir nicht so leicht siegen. Er ist Belisarius gleichgestellt, versteht vom Krieg so wenig wie Belisar von den Purpurschnecken und soll Statthalter von Italien werden.»
«So», sprach Cethegus.
«Er wollte beim Lagerschlagen sein Zelt durchaus zur
Rechten Belisars haben. Wir gaben nicht nach. Zum Glück hat Gott in seiner Allweisheit jenen Hügel zur Lösung unsres Rangstreits schon vor Jahrtausenden hier aufgeworfen: nun lagert der Prinz zwar links, aber höher als Belisarius.»
«Und wessen sind die bunten Zelte dort, hinter Belisars Quartier? Wer wohnt darin?» - «Dort», seufzte Prokop, «ein sehr unglückliches Weib: Antonina, Belisars Gemahlin.» - «Sie unglücklich? Die Gefeierte, die zweite Kaiserin? Warum?» -«Davon ist nicht gut reden in offner Lagergasse. Komm mit ins Zelt, der Wein wird genug gekühlt sein.»
Im Zelte fanden sie die zierlichen Polster des Feldbetts um einen niedern Bronzetisch von durchbrochner Arbeit gelegt, den Cethegus lobte.
«Das ist ein afrikanisches Beutestück aus dem Vandalenkrieg: ich nahm es aus Karthago mit. Und diese weichen Kissen lagen einst auf dem Bett des Perserkönigs: ich erbeutete sie in der Schlacht von Dara.»
«Du bist mir ein praktischer Gelehrter!» lächelte Cethegus. «Wie bist du so anders geworden seit den Tagen von Athen.»
«Das will ich hoffen!» sprach Prokop und zerschnitt selbst -er hatte die aufwartenden Sklaven entfernt - die dampfende Hirschkeule vor ihm. «Du mußt wissen: ich wollte Philosophie zu meinem Beruf machen, Weltweiser werden. Drei Jahre hörte ich die Platoniker, die Stoiker, die Akademiker zu Athen, - und studierte mich krank und dumm. Auch blieb es nicht bei der Philosophie. Nach löblicher Sitte unsres frommen Jahrhunderts mußte auch die Theologie beigezogen werden, und ein weiteres Jahr hatte ich darüber nachzudenken, ob Christus, als Gott Vater, zugleich seiner eignen jungfräulichen Mutter Vater, also sein eigner Großvater sei. Nun, über all diesen Studien drohte mir mein von Natur gar nicht zu verachtender Verstand abhanden zu kommen.
Zum Glück ward ich sterbenskrank, und die Ärzte verboten mir Athen und alle Bücher. Sie schickten mich nach Kleinasien. Ich rettete nur einen Thukydides in meinen Reiseranzen. Und dieser Thukydides rettete mich.
Ich las und las in der Langeweile der Reise seine herrliche Geschichte von der Hellenen Taten in Krieg und Frieden, und nun bemerkte ich mit Staunen, daß der Menschen Tun und Treiben, ihre Leidenschaften, ihre Tugenden und Frevel eigentlich doch viel anziehender und denkwürdiger seien als alle Formeln und Figuren heidnischer Logik - von der christlichen Logik vollends zu schweigen!
Und wie ich nach Ephesos gelangte und durch die Straßen schlenderte, kam plötzlich über mich eine wunderbare Erleuchtung. Denn ich wandelte über einen großen Platz: da stand vor mir die Kirche des heiligen Geistes, und war erbaut auf den Trümmern des alten Dianatempels. Und zur Linken stand ein zerfallner Altar der Isis, und zur Rechten ragte das Bethaus der Juden.
Da ergriff mich plötzlich der Gedanke: Und das ist doch unmöglich: das höchste Wesen hat, wie es scheint, gar kein Bedürfnis, von uns erkannt zu werden - ich hätte es auch nicht, an seiner Statt! - und es hat die Menschen geschaffen, daß sie leben, tüchtig handeln und sich wacker umtreiben auf Erden. Und dies Leben, Handeln, Genießen und Sichumtreiben ist eigentlich alles, worauf es ankommt. Und wenn einer forschen und denken will, so soll er der Menschen Leben und Treiben erforschen.) Und wie ich so stand und sann, da schmetterten Trompeten: ein glänzender Reiterzug trabte heran. An seiner Spitze ein herrlicher Mann auf einem Rotscheck, schön und stark wie der Kriegsgott. Und ihre Waffen blitzten, und die Fahnen flogen, und die Rößlein sprangen. Und ich dachte mir: Und wie ich mit verwunderten Augen den Reitern zusah, schlug mich ein Bürger von Ephesos auf die Schulter und sprach: Und Belisarius bestellte mich bald zu seinem Rechtsrat und Geheimschreiber. Und seither habe ich einen doppelten Beruf: bei Tage mach' ich Weltgeschichte oder helfe sie machen, und bei Nacht schreibe ich Weltgeschichte.» - «Und welches ist deine bessere Arbeit?» - «Freund, leider das Schreiben! Und das Schreiben wäre noch besser, wenn die Geschichte besser wäre. Denn ich bin meistens gar nicht einverstanden mit dem, was wir tun: und tu's nur mit, weil's doch besser ist, als gar nichts tun oder philosophieren. Bringe den Tacitus, Sklave!» rief er zu Zelttür hinaus. «Den Tacitus?» «Ja, Freund, vom Livius haben wir jetzt genug getrunken. Du mußt wissen: ich nenne meine Weine je nach ihrer geschichtlichen Eigenart. - Zum Beispiel dieses lärmende Stück Weltgeschichte, das wir hier aufführen, dieser Gotenkrieg ist ganz gegen meinen Geschmack: Narses hat ganz recht, erst sollten wir die Perser abwehren, eh wir die Goten angreifen.» «Narses! Was treibt mein kluger Freund?» «Er beneidet Belisar und läßt sich's selbst nicht merken. Außerdem macht er Kriegs- und Schlachtenpläne. Ich wette, er hatte Italien schon erobert, ehe wir landeten.» «Du bist nicht sein Freund. Er ist doch ein hoher Geist. Warum ziehst du Belisar vor?» «Das will ich dir sagen», sprach Prokop, den Tacitus einschenkend. «Mein Unglück ist, daß ich nicht Geschichtsschreiber Alexanders oder Scipios geworden. Mein ganzes Herz sehnt sich, seit ich der Philosophie - und Theologie! - genesen, nach Menschen, nach dem vollen ganzen Menschen, mit Fleisch und Blut. Da widern mich diese spindeldürren Kaiser und Bischöfe und Feldherrn an, die alles mit dem Verstand erklügeln; wir sind ein verkrüppeltes Geschlecht geworden: die Heroenzeit liegt hinter uns! Nur Belisarius, der Biedre, ist noch ein Heros, wie aus der alten Zeit. Er könnte mit Agamemnon vor Troja liegen. Er ist nicht dumm; er hat Verstand; aber nur den Naturverstand des edlen, wilden Tieres zu seinem Beutefang, zu seinem Handwerk. Belisars Handwerk nun ist die Heldenschaft! Und ich habe meine Freude an seiner breiten Brust und seinen blitzenden Augen und den mächtigen Schenkeln, mit denen er die stärksten Hengste zwingt. Und mich freut's, wenn ihm manchmal die blinde Lust, dreinzuschlagen, durch alle seine Feldherrnpläne braust. Mich freut's, wenn ich ihn in der Schlacht mitten unter die Feinde jagen sehe und kämpfen, wie ein schäumender Eber haut. Freilich, sagen darf ich's ihm nicht, daß mir das gefällt; denn sonst wär's nicht auszuhalten: in drei Tagen wär' er in Stücke gehauen. Im Gegenteil; ich halte ihn zurück, ich bin sein Verstand, wie er mich nennt. Und er läßt sich meine Verständigkeit gefallen, weil er weiß, daß sie nicht Feigheit ist. Hab' ich ihn doch mehr als einmal mit meiner Laienklugheit aus einer Verlegenheit ziehen müssen, in die ihn der Trotz seines Heldentums gebracht! Die lustigste dieser Geschichten ist die von Horn und Tuba.» «Welche von beiden bläsest du, o mein Prokopius?» «Keine, nur die Posaune des Ruhms und die Pfeife des Spottes!» «Aber was war's mit Horn und Trompete?» «Ei, wir lagen vor einem Felsennest in Persien, das wir haben mußten, weil es die Straße beherrscht. Wir hatten uns aber schon mehrmals unsere heroischen Köpfe übel daran zerstoßen, und mein zorniger Herr schwor, Aber da kam ich übel an! Der Schlummer Justinians sei ein solches Heiligtum, daß man an einem darauf geleisteten Schwur nicht makeln dürfe! Und so mußten sich denn unsre armen Burschen von den Persern unversehens überrumpeln lassen! Bis ich auf den scharfsinnigen Ausweg kam, meinem Helden vorzuschlagen, er solle, um die Unsern zum Rückzug zu mahnen, das Angriffszeichen mit dem Horn, statt mit der Tuba, blasen lassen. Das leuchtete ihm ein, dem biedern Belisarius. Und wenn wir nun lustig die Hörner zum Angriff schmettern ließen, liefen unsre Leute schleunigst wie geschreckte Hasen davon! Es war zum Totlachen, jene mutigen Klänge so schnöde wirken zu sehen! Aber es half: Justinians Schlummer und Belisars Eid blieben ungeschwächt, unsre Vorposten wurden nicht mehr abgeschlachtet, und das Felsnest fiel endlich. Also schelt' ich ihn immer spottend aus für seine Heroentaten. Aber im stillen erwärme und erfreue ich mein tiefstes Herz dran: er ist der letzte Heros!» «Nun», meinte Cethegus, «bei den Goten findest du gar manchen solchen Schlagetot.» Prokop nickte bedächtig: «Kann auch nicht leugnen, daß ich großes Wohlgefallen habe an diesen Goten. Sind aber doch zu dumm.» «Wie? Warum?» «Dumm sind sie, daß sie, anstatt hübsch langsam, Schritt für Schritt, im Zusammenhang mit ihren gelbhaarigen Brüdern, sich gegen uns vorzuschieben - sie wären unaufhaltsam! - in dieses Italien sich ohne allen Verstand vereinzelt hereingedrängt haben, wie ein Stück Holz mitten in einen glimmenden Herd. Daran werden sie untergehen: sie werden verbrennen, du wirst es sehen.» «Ich hoffe, es zu sehen. Und was dann?» fragte Cethegus ruhig. «Ja», antwortete Prokop verdrießlich, «was dann! Das ist das Ärgerliche! Dann wird Belisar Statthalter von Italien - denn mit dem Schneckenprinzen dauert es kein Jahr - und er verliert hier seine schönste Kraft, während es Arbeit vollauf gäbe bei den Persern. Und ich werde dann als sein Hofhistoriograph nur zu schreiben haben, wie viele Schläuche Wein wir jährlich vertilgen.» «Du willst also, wenn die Goten beseitigt sind, Belisar wieder fort haben aus Italien?» «Freilich! Im Perserland blühn seine Lorbeern und die meinen! Ich sinne schon lange auf ein Mittel, ihn von hier dann wieder fortzubringen.» Cethegus schwieg. Er freute sich, einen so wichtigen Bundesgenossen für seinen Plan gefunden zu haben. «Und so beherrscht also sein Verstand Prokopius den Löwen Belisar», sagte er laut. «Nein»! seufzte Prokop, «vielmehr sein Unverstand, sein Weib.» - «Antonina! Sage, weshalb nanntest du sie unglücklich.» «Weil sie halb ist und ein Widerspruch. Die Natur hat sie zu einem braven, treuen Weib angelegt: und Belisar liebt sie mit der vollen Kraft seiner Heroenseele. Da kam sie an den Hof der Kaiserin. Theodora, diese schöne Teufelin, ist von Natur ebenso zur Buhlschaft angelegt wie Antonina zur Tugend. Die Zirkusdirne hat gewiß noch nie einen Stachel des Gewissens empfunden. Aber ich glaube, sie erträgt es nicht, ein ehrsam Weib in ihrer nächsten Nähe zu haben, das sie verachten müßte. Sie ruhte nicht, bis es ihr gelungen, durch ihr höllisches Beispiel Antoninas Gefallsucht zu wecken. Gewissensqual empfindet diese über ihr Spiel mit ihren Verehrern: denn sie liebt ihren Mann, sie betet ihn an.» «Und doch? Wie mag ihr ein Held, wie Belisar, nicht genügen?» «Eben, weil er ein Held ist! Er schmeichelt ihr nicht, bei all seiner Liebe. Sie konnt' es nicht tragen, die Buhler der Kaiserin in Versen, Blumen, Geschenken sich erschöpfen zu sehen und selbst solcher Huldigung zu entbehren. Eitelkeit war ihr Fallstrick. Aber es ist ihr gar nicht wohl bei all dem Getändel.» «Und ahnt Belisar?» - «Keinen Schatten! Er ist der einzige im ganzen römischen Kaiserreich, der es nicht weiß, was ihn doch zumeist angeht. Ich glaube, es wäre sein Tod. Und auch deshalb schon darf Belisar nicht hier im Frieden Statthalter von Italien werden. Im Lager, im Getümmel des Krieges, da fehlen dem gefallsüchtigen Weib die Schmeichler und auch die Muße, sie zu hören. Denn, gleichsam zur freiwilligen Buße für jene süßen Verbrechen der heimlichen Gedichte und Blumen - gröberer Schuld ist sie gewiß nicht fähig - überbietet Antonina alle Frauen an Pflichtstrenge; sie ist Belisars Freund, sein Mitfeldherr; sie teilt die Beschwerden und Gefahren des Meeres, der Wüste, des Krieges mit ihm: sie arbeitet mit ihm Tag und Nacht, wenn sie nicht gerade Verse andrer auf ihre schönen Augen liest! - Schon oft hat sie ihn gerettet aus den Schlingen seiner Feinde am Hofe zu Byzanz. Kurz, nur im Krieg, im Lager tut sie gut, da, wo auch seine Größe allein gedeiht.» «Nun», sprach Cethegus, «weiß ich genug, wie die Dinge hier stehen. Laß mich offen mit dir reden: du willst Belisar nach seinem Sieg aus Italien wieder forthaben; ich auch: du um Belisars, ich um Italiens willen. Du weißt, ich war von jeher Republikaner... » Da schob Prokop den Becher zur Seite und sah seinen Gast bedeutsam an: «Das sind alle jungen Leute zwischen vierzehn und einundzwanzig Jahren. Aber daß du's noch bist - find' ich sehr - sehr - unhistorisch. Aus diesem italischen Gesindel, unsern höchst liebwerten Bundesgenossen gegen die Goten, willst du Bürger einer Republik machen? Sie sind zu nichts mehr gut als zur Tyrannis!» «Ich will darüber nicht streiten!» lächelte Cethegus. «Aber vor eurer Tyrannis möcht' ich mein Vaterland bewahren.» «Kann dir's nicht verdenken!» lächelte Prokop, «die Segnungen unserer Herrschaft sind erdrückend!» «Ein eingeborner Statthalter unter dem Schutz von Byzanz genügt zunächst.» «Jawohl. und dieser würde Cethegus heißen!» «Wenn's sein muß, - auch das!» «Höre», sprach Prokop ernsthaft, «ich warne dich dabei nur vor einem. Die Luft von Rom heckt stolze Pläne aus. Man ist dort, als Herr von Rom, nicht gern der Zweite auf Erden. Und glaube dem Historikus: es ist doch nichts mehr mit der Weltherrschaft Roms.» Cethegus ward unwillig. Er gedachte der Warnung König Theoderichs. «Historikus von Byzanz, meine römischen Dinge kenne ich besser als du. Laß dich jetzt einweihen in unsre römischen Geheimnisse; dann verschaffe mir morgen früh, eh' die Gesandschaft von Rom anlangt, ein Gespräch mit Belisar und - sei eines großen Erfolges gewiß.» Und nun begann er, dem staunenden Prokop mit raschen Strichen ein Bild der Geheimgeschichte der jüngsten Vergangenheit und seine Pläne der Zukunft zu entwerfen, sein letztes Ziel wohlweislich verhüllend. «Bei den Manen des Romulus!» rief Prokop, als er geendet hatte. «Ihr macht noch immer Weltgeschichte an dem Tiber. Nun, hier meine Hand. Meine Hilfe hast du! Belisar soll siegen, doch nicht herrschen in Italien; darauf laß uns noch einen Krug herben Sallustius leeren!» Früh am andern Tage vermittelte Prokop seinem Freunde eine Unterredung mit Belisar, von welcher jener sehr befriedigt zurückkam. «Nun, hast du ihm alles gesagt?» fragte der Historiker. «Nicht eben alles!» sprach Cethegus mit feinem Lächeln: «Man muß immer noch etwas zu sagen übrig behalten.»
Bald darauf ward das Lager von seltsamer Aufregung erfüllt.
Das Gerücht von der Ankunft des Heiligen Vaters, das seiner reich vergoldeten Sänfte voranflog, riß die Tausende von Soldaten mit Kräften der Andacht, der Ehrfurcht, des Aberglaubens, der Neugier aus ihren Zelten, von Schlaf und Schmaus und Spiel hinweg, ihm entgegen. Kaum, daß die Anführer die Mannschaft im Dienst und auf den Wachen zurückhalten konnten; meilenweit waren ihm die Gläubigen entgegengeeilt und geleiteten jetzt, mit Haufen des Landvolks der Umgegend gemischt, seinen Zug ins Lager. Längst hatten sich Bauern und Soldaten an der Eselinnen Statt, die seine Sänfte trugen, eingespannt: - vergebens hatte sich die Bescheidenheit des Papstes dagegen gesträubt - und unter unaufhörlichem Jubelruf: «Heil dem Bischof von Rom, Heil dem heiligen Petrus!» wälzte sich der Strom der Tausende heran, über die Silverius unermüdlich Segen sprach. Seiner beiden Mitgesandten, Scävola und Albinus, dachte kein Mensch.
Belisar sah von seinem Zelthügel aus mit ernsten Augen das mächtige Schauspiel. «Der Präfekt hat recht!» sprach er dann, «dieser Priester ist gefährlicher als die Goten. Es ist ein Triumphzug! Prokop, laß die byzantinische Leibwache an meinem Zelt ablösen, sowie die Unterredung beginnt: sie sind allzugute Christen. Laß die Hunnen aufziehn und die heidnischen Gepiden.»
Damit schritt er in sein Zelt zurück, wo er alsbald von seinen Heerführern umgeben, die römische Gesandtschaft empfing. Den Prinzen Areobindos hatte Prokop von der Notwendigkeit einer Rekognoszierung überzeugt, die nur heute und nur von ihm vorgenommen werden konnte.
Umwogt von einem glänzenden geistlichen Gefolge nahte der Papst dem Feldherrnzelt. Große Massen Volkes drängten nach, aber sowie der Papst mit Scävola und Albinus die Mündung der engen Lagergasse hinter sich hatten, sperrten die Wachen mit gefällten Lanzen den Weg und ließen weder Priester noch Soldaten folgen.
Lächelnd wandte sich Silverius zu dem Führer der Schar und hielt ihm eine schöne Rede über den Text: «Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret ihnen nicht.» Aber der Germane schüttelte den zottigen Kopf und wandte ihm den Rücken: der Gepide verstand kein Latein, außer dem Kommando.
Da lächelte Silverius wieder, segnete nochmals seine Getreuen und schritt dann ruhig weiter in das Zelt. Belisar saß auf einem Feldsessel, darüber war eine Löwenhaut gebreitet. Ihm zur Linken thronte die schöne Antonina auf einem Pardelfell. Ihre wunde Seele hatte in dem Nachfolger des heiligen Petrus einen Arzt und Helfer zu finden gehofft. Aber bei dem Anblick der weltklugen Züge des Silverius zog sich ihr
Herz zusammen.
Belisar erhob sich beim Eintritt des Papstes.
Dieser schritt, ohne sich zu neigen, gerade auf ihn zu und legte ihm - er mußte sich mühsam dazu aufrichten - wie segnend beide Hände auf die Schultern. Er wollte ihn leise niederdrücken auf die Knie: - aber eichenfest blieb der Feldherr aufrecht stehen, und Silverius mußte dem Stehenden den Segen erteilen.
«Ihr kommt als Gesandte der Römer?» begann Belisar.
«Ich komme», unterbrach Silverius, «im Namen des heiligen Petrus, als Bischof von Rom dir und dem Kaiser Justinian meine Stadt zu übergeben. Diese guten Leute», fuhr er fort, auf Scävola und Albinus weisend, «haben sich mir angeschlossen wie die Glieder dem Haupt.» Unwillig wollte Scävola einfallen -so hatte er seinen Bund mit der Kirche nicht verstanden! -, aber Belisar winkte ihm, zu schweigen.
«Und so heiße ich dich willkommen in Italien und Rom im Namen des Herrn. Ziehe ein in die Mauern der ewigen Stadt zum Schirme der Kirche und der Gläubigen wider die Ketzer! Erhöhe dort den Namen des Herrn und das Kreuz Jesu Christi und vergiß nie, daß es die Heilige Kirche war, die dir die Wege gebahnt und die Pfade gebaut. Ich bin es gewesen, den Gott zum Werkzeug gewählt, die Goten in törichte Sicherheit zu wiegen und blinden Auges aus der Stadt zu führen, ich bin es gewesen, der die schwankende Stadt, die Bürger für dich gewonnen und die Anschläge deiner Feinde vernichtet hat. Der heilige Petrus ist es, der dir mit meiner Hand die Schlüssel seiner Stadt überreicht, auf daß du sie ihm beschirmest und beschützest. Vergiß niemals diese Worte.» Und er reichte ihm die Schlüssel des asinarischen Tores.
«Ich werde sie nie vergessen!» sprach Belisar und winkte Prokop, der den Schlüssel aus der Hand des Papstes nahm. «Du sprachst von Anschlägen meiner Feinde. Hat der Kaiser Feinde in Rom?»
Da sprach Silverius mit Seufzen: «Laß ab, Feldherr, zu fragen.
Ihre Netze sind zerrissen: sie sind unschädlich, und der Kirche steht nicht an, zu verklagen, sondern zu entschuldigen und alles zum besten zu kehren.»
«Es ist deine Pflicht, Heiliger Vater, dem rechtgläubigen Kaiser die Verräter zu entdecken, die unter seinen römischen Untertanen sich bergen, und ich fordre dich auf, seinen Feind zu entlarven.»
Silverius seufzte: «Die Kirche dürstet nicht nach Blut.» -«Aber sie darf den Arm der weltlichen Gerechtigkeit nicht hemmen», sprach Scävola. Und der Jurist trat vor und überreichte Belisar eine Papyrusrolle. «Ich hebe Klage gegen Cornelius Cethegus Cäsarius, den Präfekten von Rom, wegen Majestätsbeleidigung und Empörung gegen Kaiser Justinian. Diese Schrift enthält die Klagepunkte und die Beweise. Er hat des Kaisers Regierung eine Tyrannei gescholten. Er hat sich der Landung kaiserlicher Heere nach Kräften widersetzt. Er hat endlich noch vor wenig Tagen, er allein, dafür gestimmt, die Tore Roms dir nicht zu öffnen.«
«Und welche Strafe beantragt ihr?» fragte Belisar, in die Schrift blickend.
«Nach dem Gesetz den Tod», sprach Scävola. - «Und seine Güter verfallen nach dem Gesetz», sprach Albinus, «halb dem Fiskus, halb den Klägern.» - «Und seine Seele der Barmherzigkeit Gottes», schloß der Bischof von Rom.
«Wo ist der Angeklagte?» fragte Belisar.
«Er verhieß, dich aufzusuchen; aber ich fürchte, sein böses Gewissen wird ihn nicht haben kommen lassen.»
«Du irrst, Bischof von Rom», sprach Belisar, «er ist schon hier.»
Bei diesem Wort fiel der Vorhang im Hintergrund des Zeltes, und vor den erstaunten Anklägern stand Cethegus, der Präfekt. Überrascht fuhren die Ankläger auf; schweigend, mit vernichtendem Blick, trat Cethegus einige Schritte vor, bis er zur Rechten Belisars stand.
«Cethegus hat mich früher aufgesucht als du», fuhr der Feldherr nach einer Pause fort: «und er ist dir zuvorgekommen -auch im Anklagen. Du stehst als schwer Beschuldigter vor mir, Silverius. Verteidige dich, ehe du verklagst.»
«Ich als Beschuldigter?» lächelte der Papst. «Wo wäre ein Kläger oder ein Richter für den Nachfolger des heiligen Petrus?»
«Der Richter bin ich: an deines Herrn, des Kaisers Statt.»
«Und der Kläger?» fragte Silverius.
Cethegus wandte sich halb gegen Belisar und sprach: »Der Kläger bin ich! Ich habe Silverius, den Bischof von Rom, des Verbrechens der verletzten Majestät des Kaisers und des Hochverrats am Römischen Reich geziehen. Ich beweise sofort meine Klage. Silverius hat die Absicht, die Herrschaft der Stadt Rom und einen großen Teil Italiens dem Kaiser Justinian zu entreißen und lächerlich zu sagen! - ein Priesterreich zu gründen in dem Vaterlande der Cäsaren. Und schon hat er den nächsten Versuch getan zur Ausführung dieses - soll ich sagen: seines Wahnsinns oder seines Verbrechens? Hier überreiche ich einen Vertrag, - hier steht die Unterschrift seiner Hand den er mit Theodahad, dem letzten Fürsten der Barbaren, geschlossen. Der König verkauft darin für ewige Zeiten für die Summe von tausend Pfund Gold an den heiligen Petrus und seine Nachfolger, für den Fall, daß Silverius Bischof von Rom werde, die Herrschaft der Stadt und das Weichbild von Rom und dreißig Meilen in der Runde. Es sind aufgezählt alle Hoheitsrechte: Gerichtsbarkeit, Gesetzgebung, Verwaltung, Steuern, Zölle und selbst Kriegsgewalt. Dieser Vertrag ist nach seinem Datum drei Monate alt. Also im selben Augenblick, da der fromme Archidiakon, hinter Theodahads Rücken, die Waffen des Kaisers herbeirief, schloß er, hinter des Kaisers Rücken, einen Vertrag, der diesem die Früchte seiner Anstrengung rauben und den Papst für alle Fälle sichern sollte. Ich überlasse es dem Stellvertreter des Kaisers, wie solche Klugheit zu würdigen sei. Für die Erwählten des Herrn gilt als besondre Klugheit der Schlangen Moral, - unter uns Laien ist solches Tun... »
«Der schändlichste Verrat!» fiel Belisar donnernd ein, sprang auf und nahm die Urkunde aus des Präfekten Hand. - «Hier sieh, Priester, deinen Namen: kannst du noch leugnen?»
Der Eindruck dieser Anklage, dieses Beweises auf alle Anwesenden war ein gewaltiger. Staunen und Unwillen, gemischt mit Spannung auf des Papstes Verteidigung, lag auf den Zügen aller Gesichter; am meisten aber war Scävola, der kurzsichtige Republikaner, überrascht von diesen Herrscherplänen seines gefährlichen Verbündeten. Er hoffte, Silverius werde die Verleumdung siegreich niederschlagen.
Die Lage des Papstes war in der Tat höchst gefährlich, die Anklage schien unwiderleglich, und das zornlohende Antlitz Belisars hätte manch tapfres Herz erschreckt. Aber Silverius zeigte in diesem Augenblick, daß er kein unebenbürtiger Gegner des Präfekten und des Helden von Byzanz war. Nicht eine Sekunde hatte er die Fassung verloren, nur als Cethegus die Urkunde aus dem Gewand hervorzog, hatte er einen Moment die Augen niedergeschlagen, wie aus Schmerz. Aber dem donnernden Ruf wie den blitzenden Augen Belisars hielt er ein unerschütterlich ruhiges Angesicht entgegen. Er fühlte, daß er in dieser Stunde den Gedanken seines Lebens verfechten mußte: dies gab ihm kühne Kraft, keine Wimper zuckte ihm.
«Wie lange wirst du noch schweigen?» fuhr ihn Belisar an.
«Bis du fähig und würdig bist, mich zu hören. Du bist besessen von Urchitophel, dem Dämon des Zornes.»
«Sprich! Verteidige dich!» sagte Belisar, sich setzend.
«Die Klage dieses gottlosen Mannes», hob Silverius an, «bringt nur ein Recht der heiligen Kirche noch früher ans Licht, als sie es in dieser unruhigen Zeit geltend machen wollte. Es ist wahr, ich habe diesen Vertrag mit dem Barbarenkönig geschlossen.»
Eine Bewegung der Entrüstung ging durch die Reihen der Byzantiner.
«Nicht aus weltlicher Herrschsucht, nicht, um neues Recht zu erwerben, habe ich mit dem König der Goten, als dem damaligen Besitzer der Stadt, verhandelt. Nein! die Heiligen sind mir Zeugen! Nur weil es meine Pflicht, ein uraltes Recht des heiligen Petrus nicht fallen zu lassen.»
«Ein uraltes Recht?» fragte Belisar unwillig.
«Ein uraltes Recht!» wiederholte Silverius, «das geltend zu machen die Kirche nur bisher unterlassen hat. Ihre Feinde nötigen sie, in diesem Augenblick damit hervorzutreten. Wisse denn, du Vertreter des Kaisers, höret es, ihr Kriegsobersten und Schwertgewaltigen, was sich die Kirche von Theodahad hat einräumen lassen, ist schon seit zwei Jahrhunderten ihr Eigentum: der Gote hat es nur bestätigt.
An demselben Ort, wo des Präfekten tempelschänderische Hand diese Bestätigung entwendet, hätte er auch die Urkunde finden können, die ursprünglich unser Recht begründet hat. Der fromme Kaiser Constantinus, der sich zuerst von den Vorgängern Justinians der Lehre des Heils zugewandt, hat auf Bitten seiner gottseligen Mutter Helena, nachdem er alle seine Feinde mit sichtbarer Hilfe der Heiligen, besonders des heiligen Petrus, unter seine Füße getreten, zur dankbaren Anerkenntnis solchen Beistandes und um vor aller Welt zu bezeugen, daß Krone und Schwert sich vor dem Kreuz der Kirche zu beugen haben, die Stadt Rom mit ihrem Weichbild und die benachbarten Städte und Marken durch eine feierliche
Schenkungsurkunde für ewige Zeiten dem heiligen Petrus zu eigen übertragen, mit Gericht und Verwaltung, Steuer und Zoll und allen Kronrechten irdischer Herrschaft, auf daß die Kirche auch einen weltlichen Boden habe zur leichteren Vollführung ihrer weltlichen Aufgaben. Diese Schenkung ist durch eine rechtsgültige Urkunde in aller Form verbrieft: der Fluch von Gehenna ist jedem gedroht, der sie anstreitet. Und ich frage im Namen des dreieinigen Gottes den Kaiser Justinian, ob er diese Rechtshandlung seines Vorgängers, des in Gott seligen Kaisers Constantinus, anerkennen oder ob er sie, aus weltlicher Habgier, umstoßen und damit den Fluch der Gehenna und die ewige Verdammnis auf sein Haupt laden will?»
Diese Rede des Bischofs von Rom, mit aller Kraft geistlicher Würde und aller Kunst weltlicher Rhetorik vorgetragen, war von unwiderstehlicher Wirkung. Belisar, Prokop und die Feldherren, die eben noch über den verräterischen Priester ein zorniges Gericht hatten halten wollen, fühlten sich jetzt durch den plötzlich ihnen entgegengehaltenen Rechtstitel selbst wie verurteilt.
Der Kern Italiens schien unwiderbringlich dem Kaiser verloren und der Herrschaft der Kirche anheimgegeben. Ein banges Schweigen lagerte über den jüngst noch so herrischen Byzantinern, und triumphierend stand der Priester als Sieger in ihrer Mitte. Endlich sprach Belisar, der die Aufgabe der Bekämpfung oder die Schmach der Niederlage von sich abwälzen wollte: «Präfekt von Rom, was hast du zu erwidern?»
Mit einem kaum bemerkbaren Zucken des Spottes um die feinen Lippen verneigte sich Cethegus und begann: «Der Angeklagte beruft sich auf eine Urkunde.
Ich könnte, glaub' ich, ihn in große Verlegenheit versetzen, wenn ich ihr Vorhandensein bestritte, und die sofortige Vorlage der Urschrift von ihm verlange. Indessen will ich dem Manne, der sich das Haupt der Christenheit nennt, nicht wie ein gehässiger Anwalt begegnen. Ich räum ein, die Urkunde
existiert.»
Belisar macht eine Bewegung hilflosen Verdrusses.
«Mehr noch! Ich habe dem Heiligen Vater die Mühe der Vorlage derselben, die ihm sonst sehr schwer fallen dürfte, erspart, und die Urkunde selbst mitgebracht in meiner tempelschänderischen Hand.» Er zog ein vergilbtes Pergament aus dem Sinus und sah lächelnd bald in dessen Zeilen, bald auf des Papstes, bald auf Belisars Gesicht, an deren Spannung sich weidend.
«Ja, noch mehr. Ich habe die Urkunde viele Tage lang mit feindselig forschenden Augen, mit Zuziehung noch schärferer Juristen, als ich es leider bin, - so meines jungen Freundes Salvius Julianus, - bis auf jeden Buchstaben nach ihrer formellen Gültigkeit geprüft. Vergebens. - Selbst der Scharfsinn meines verehrten und gelehrten Freundes Scävola könnte keinen Mangel herausinterpretieren. Alle Formen des Rechts, alle Klauseln höchster unanfechtbarer Sicherheit sind in der Schenkungsakte haarscharf gewahrt; und in der Tat: ich hätte den Protonotarius des Kaisers Constantin kennen mögen, er muß ein Jurist ersten Ranges gewesen sein.» Er hielt inne: höhnisch ruhte sein Auge auf dem Antlitz des Silverius, der sich den Schweiß von den Schläfen wischte.
«Also», fragte Belisar in höchster Aufregung: «die Urkunde ist formell ganz richtig - daher beweiskräftig?»
«Jawohl!« seufzte Cethegus, »die Schenkung ist ganz makelloser Ordnung. Schade nur, daß... -»
«Nun?» unterbrach Belisar.
«Schade nur, daß sie falsch ist.»
Da flog ein Schrei von aller Lippen. Belisar, Antonina sprangen auf, alle Anwesenden traten einen Schritt näher zu dem Präfekten. Nur Silverius wankte einen Schritt zurück.
«Falsch?» fragte Belisar mit einem Ruf, der wie ein Jubel
klang. «Präfekt, - Freund, - kannst du das beweisen?»
«Sonst hätte ich mich gehütet, es zu behaupten. Das Pergament, auf das die Schenkung geschrieben ist, zeigt alle Spuren eines hohen Alters: Brüche, Wurmstiche, Flecken jeder Art, alles, was man von Ehrwürdigkeit verlangen kann, - so daß es manchmal sogar schwierig ist, die Buchstaben zu erkennen. Gleichwohl stellt sich die Urkunde nur so alt: mit so großem Aufwand von Kunst, als manche Frauen sich den Schein der Jugend geben, lügt sie die Heiligkeit des Alters. Es ist echtes Pergament aus der alten, von Constantin begründeten, noch heute bestehenden kaiserlichen Pergamentfabrik zu Byzanz.»
«Zur Sache», rief Belisar.
«Aber es ist wohl nicht jedem bekannt, - und es scheint auch leider dem heiligen Bischof entgangen zu sein! - daß bei diesem Pergament ganz unten - links, am Rande - durch Stempelschlag das Jahr der Fertigung durch Angabe der Jahreskonsuln in allerdings kaum wahrnehmbaren Buchstaben bezeichnet wird. Nun gib wohl acht, o Feldherr!
Die Urkunde will, wie sie im Text sagt, gefertigt sein im sechzehnten Jahre von Constantins Regierung, im gleichen Jahre, da er die Heidentempel schließen ließ, wie das fromme Pergament besagt, ein Jahr nach der Erhebung von Constantinopolis zur Hauptstadt, und nennt richtig die richtigen Konsuln dieses Jahres, Dalmatius und Xenophilos.
Da ist es nun wirklich durch ein Wunder zu erklären, - aber hier hat Gott der Herr ein Wunder gegen seine Kirche getan! -daß man jenem Jahre, also im Jahre dreihundertfünfunddreißig nach der Geburt des Herrn, schon ganz genau wußte, wer im Jahr nach dem Tode des Kaisers Justinus und des Königs Theoderich Konsul sein würde; denn seht, hier unten am Rande der Stempel besagt: der Schreiber hatte ihn nicht beachtet - er ist wirklich sehr schwer wahrzunehmen, wenn man das Pergament nicht gegen das Licht hält - so etwa, siehst du, Belisar? und er hatte blindlings drei Kreuze darauf gemalt; ich aber habe diese Kreuze mit meiner - wie hieß es doch? Silverius wankte und hielt sich an dem Stuhl, den man für ihn bereit gestellt. «Das Pergament der Urkunde, auf welches der Protonotar des Kaisers Constantin vor zweihundert Jahren die Schenkung niederschrieb, ist also erst vor einem Jahr zu Byzanz einem Esel von den Rippen gezogen worden. Gesteh, o Feldherr, daß hier das Gebiet des Begreiflichen endet, und des Übernatürlichen beginnt, daß hier ein Wunder der Heiligen geschah, und verehre das Walten des Himmels.» Er reichte Belisar die Urkunde. «Das ist auch ein tüchtig Stück Weltgeschichte, heilige und profane, was wir da erleben!» sagte Prokop zu sich selbst. «Es ist so, beim Schlummer Justinians!» frohlockte Belisar. «Bischof von Rom, was hast du da zu erwidern?» Mühsam hatte sich Silverius gefaßt; er sah den Bau seines Lebens vor seinen Augen in die Erde versinken. Mit halb versagender Stimme antwortete er: «Ich fand die Urkunde im Archiv der Kirche vor wenigen Monden. Ist dem so, wie ihr sagt, so bin ich getäuscht, wie ihr.» «Wir sind aber nicht getäuscht», lächelte Cethegus. «Ich wußte nichts von jenem Stempel, ich schwöre es bei den Wunden Christi.» - «Das glaub' ich dir ohne Schwur, Heiliger Vater», fiel Cethegus ein. - «Du wirst einsehn, Priester», sprach Belisar, sich erhebend, «daß über diese Sache die strengste Untersuchung... » - «Ich verlange sie», sprach Silverius, «als mein Recht.» «Es soll dir werden, zweifle nicht! Aber nicht ich darf es wagen, hier zu richten: nur die Weisheit des Kaisers selbst kann hier das Recht finden. Vulkaris, mein getreuer Heruler, dir übergeb' ich die Person des Bischofs. Du wirst ihn sogleich auf ein Schiff bringen und nach Byzanz führen.» «Ich lege Verwahrung ein», sprach Silverius. «Über mich kann niemand richten auf Erden als ein Konzil der ganzen rechtgläubigen Kirche. Ich verlange, nach Rom zurückzukehren.» «Rom siehst du niemals wieder! Und über deine Rechtsverwahrung wird der Kaiser Justinian, der Kaiser des Rechts, mit Tribonian entscheiden. Aber auch deine Genossen, Scävola und Albinus, die falschen Mitankläger des Präfekten, der sich als des Kaisers treuster, klügster Freund erwiesen, sind hoch verdächtig. Justinian entscheide, wieweit sie unschuldig. Auch sie führt in Ketten nach Byzanz. Zu Schiff! Dort hinaus, zur Hintertür des Zeltes, nicht durchs Lager. Vulkaris, dieser Priester aber ist des Kaisers gefährlichster Feind. Du bürgst für ihn mit deinem Kopf.» «Ich bürge», sprach der riesige Heruler, vortretend und die gepanzerte Hand auf des Bischofs Schulter legend. «Fort mit dir, Priester, zu Schiff! Er stirbt, eh' er mir entrissen wird.» Silverius sah ein, daß weiteres Widerstreben nur seine Würde gefährdende Gewalt hervorrufen werde. Er fügte sich und schritt neben dem Germanen, der die Hand nicht von seiner Schulter löste, nach der Tür im Hintergrund des Zeltes, die eine der Wachen auftat. Er mußte hart an Cethegus vorbei. Er beugte das Haupt und sah ihn nicht an, aber er hörte, wie dieser ihm zuflüsterte: «Silverius, diese Stunde vergilt deinen Sieg in den Katakomben. Nun sind wir wett!»
Sowie der Bischof das Zelt verlassen, erhob sich Belisar lebhaft von seinem Sitze, eilte auf den Präfekten zu, umarmte und küßte ihn: «Nimm meinen Dank, Cethegus Cäsarius! Ich werde dem Kaiser berichten, daß du ihm heute Rom gerettet hast. Dein Lohn wird nicht ausbleiben.»
Aber Cethegus lächelte: «Meine Taten belohnen sich selbst.»
Den Helden Belisarius hatte der geistige Kampf dieser Stunde, der rasche Wechsel von Zorn, Furcht, Spannung und Triumph mehr als ein halber Tag des Kampfes unter Helm und Schild angestrengt und erschöpft.
Er verlangte nach Erholung und Labung und entließ seine Heerführer, von denen keiner ohne ein Wort der Anerkennung an den Präfekten das Zelt verließ. Dieser sah seine Überlegenheit von allen, auch von Belisar, anerkannt; es tat ihm wohl, in dieser Stunde den schlauen Bischof vernichtet und die stolzen Byzantiner gedemütigt zu haben. Aber er wiegte sich nicht müßig in dieser Siegesfreude. Dieser Geist kannte die Gefährlichkeit des Schlafes auf Lorbeer: Lorbeer betäubt.
Er beschloß, sofort den Sieg zu verfolgen, die geistige Übergewalt, die er in diesem Augenblick über den Helden von Byzanz unverkennbar besaß, jetzt, unter ihrem ersten frischen Eindruck, mit aller Kraft zu benutzen und den lang vorbereiteten Hauptstreich zu führen. Während er mit solchen Gedanken dem Zug der Heerführer nachsah, die sich aus dem Zelt entfernten, merkte er nicht, daß zwei Augen mit eigentümlichem Ausdruck auf ihm ruhten. Es waren Antoninas Augen. Die Vorgänge, deren Zeugin sie gewesen, hatten einen seltsam gemischten Eindruck auf sie gemacht. Zum erstenmal hatte sie den Abgott ihrer Bewunderung, ihren Gatten, ohne alle eigne Kraft sich zu helfen und zu wehren, in den Schlingen eines andern, des klugen Priesters, liegen und nur durch die überlegene Kraft dieses dämonischen Römers gerettet gesehen. Anfangs hatte ihr in dem Gatten verletzter Stolz diese Demütigung mit schmerzlichem Haß gegen den Übermächtigen empfunden.
Aber dieser Haß hielt nicht vor, und unwillkürlich trat, wie immer gewaltiger sich die Macht seiner Überlegenheit entfaltete, Bewunderung an des Verdrusses Stelle und erschreckte Unterordnung; sie empfand nur noch das eine: ihren Belisar hatte die Kirche und Cethegus hatte ihren Belisar und die Kirche verdunkelt. Und daran knüpfte sich unzertrennlich der ängstliche Wunsch, diesen Mann nie zum Feind, immer zum Verbündeten ihres Gatten zu haben. Kurz, Cethegus hatte an dem Weibe Belisars eine geistige Eroberung von größter Wichtigkeit gemacht: und er sollte es noch dazu sofort merken.
Mit gesenkten Augen trat das schöne, sonst so sichre Weib auf ihn zu; er sah auf: da errötete sie über und über und reichte ihm eine zitternde Hand. «Präfekt von Rom», sagte sie, «Antonina dankt dir. Du hast dir ein großes Verdienst erworben um Belisarius und den Kaiser. Wir wollen gute Freundschaft halten.»
Mit Staunen sah Prokop, der im Zelt zurückgeblieben, diesen Vorgang: «Mein Odysseus überzaubert die Zauberin Circe», dachte er.
Cethegus aber erkannte im Augenblick, wie sich diese Seele vor ihm beugte, und welche Gewalt er dadurch über Belisar gewonnen. «Schöne Magistra Militum», sagte er, sich hoch aufrichtend, «deine Freundschaft ist der reichste Lorbeer meines Sieges. Ich stelle sie sogleich auf die Probe. Ich bitte dich und Prokop, meine Zeugen, meine Verbündeten zu sein in der Unterredung, die ich jetzt mit Belisar zu führen habe.»
«Jetzt?» sagte Belisar ungeduldig. «Kommt, laßt uns erst zu Tische gehen und im Cäkuber den Sturz des Priesters feiern.» Und er schritt zur Türe.
Aber Cethegus blieb ruhig stehen in der Mitte des Zeltes, und Antonina und Prokop lagen so ganz unter dem Bann seines Einflusses, daß sie nicht ihrem Herrn zu folgen wagten. Ja, Belisar selbst wandte sich und fragte: «Muß es denn jetzt gerade
sein?»
«Es muß», sagte Cethegus, und führte Antonina an der Hand nach ihrem Sitz zurück.
Da schritt auch Belisar wieder zurück. «Nun, so sprich», sagte er, «aber kurz.»
«So kurz als möglich. Ich habe immer gefunden, daß gegenüber großen Freunden oder großen Feinden Aufrichtigkeit das stärkste Band oder die beste Waffe ist. Danach werd' ich in dieser Stunde handeln. Wenn ich sagte: mein Tun lohnt sich selbst, so wollt' ich damit ausdrücken, daß ich dem falschen Priester die Herrschaft über Rom nicht eben um des Kaisers Willen entrissen.»
Belisar horchte hoch auf. Prokop, erschrocken über diese allzu kühne Offenheit seines Freundes, machte ihm ein abmahnendes Zeichen.
Antoninas rasches Auge hatte das bemerkt und stutzte, mißtrauisch über das Einverständnis der beiden. Cethegus entging dies nicht. «Nein, Prokop, sagte er zu Belisars Erstaunen, «unsere Freunde hier würden doch allzubald erkennen, daß Cethegus nicht der Mann ist, seinen Ehrgeiz in einem Lächeln Justinians befriedigt zu finden. Ich habe Rom nicht für den Kaiser gerettet.»
«Für wen sonst?» fragte Belisar ernst.
«Zunächst für Rom. Ich bin ein Römer. Ich liebe mein ewiges Rom. Es sollte nicht dem Priester dienstbar werden. Aber auch nicht die Sklavin des Kaisers. Ich bin Republikaner», sprach er, das Haupt trotzig aufwerfend.
Über Belisars Antlitz flog ein Lächeln: der Präfekt schien ihm nicht mehr so bedeutend. Prokop sagte achselzuckend: «Unbegreiflich.» Aber Antoninen gefiel dieser Freimut.
«Zwar sah ich ein, daß wir nur mit dem Schwerte Belisars die Barbaren niederschlagen können. Leider auch, daß unsere Zeit nicht ganz reif ist, mein Traumbild republikanischer Freiheit zu verwirklichen. Die Römer müssen erst wieder zu Catonen werden, dies Geschlecht muß aussterben, und ich erkenne, daß Rom einstweilen nur unter dem Schilde Justinians Schutz findet gegen die Barbaren. Drum wollen wir uns diesem Schilde beugen - einstweilen.»
«Nicht übel!» dachte Prokop, «der Kaiser soll sie so lang schützen, bis sie stark genug sind, ihn zum Dank davonzujagen.»
«Das sind Träume, mein Präfekt», sagte Belisar mitleidig, «was haben sie für praktische Folgen?»
«Die, daß Rom nicht mit gebundenen Händen, ohne Bedingung, der Willkür des Kaisers überliefert werden soll. Justinian hat nicht nur Belisar zum Diener. Denke, wenn der herzlose Narses dein Nachfolger würde!» - Die Stirn des Helden faltete sich. - «Deshalb will ich dir die Bedingungen nennen, unter denen die Stadt Cäsars dich und dein Heer in ihre Mauern aufnehmen wird.»
Aber das war Belisar zuviel. Zürnend sprang er auf, sein Antlitz glühte, sein Auge blitzte. «Präfekt von Rom», rief er mit seiner rollenden Löwenstimme, «du vergißt dich und deine Stellung. Morgen brech' ich auf mit meinem Herr von siebzigtausend Mann nach Rom. Wer wird mich hindern, einzuziehen in die Stadt, ohne Bedingung?»
«Ich», sagte Cethegus ruhig. «Nein, Belisar, ich rase nicht. Sieh hier, diesen Plan der Stadt und ihrer Werke. Dein Feldherrnauge wird rascher, besser als das meine, ihre Stärke erkennen.» Er zog ein Pergament hervor und breitete es auf dem Zelttisch aus.
Belisar warf einen gleichgültigen Blick darauf, aber sofort rief er: «Der Plan ist irrig! Prokop, reiche mir unsern Plan aus jener Capsula. -
Sieh her, diese Gräben sind ja jetzt ausgefüllt, diese Türme eingefallen, hier die Mauer niedergerissen, die Tore wehrlos. Dein Plan stellt sie alle noch in furchtbarer Stärke dar. Er ist veraltet, Präfekt von Rom.»
«Nein, Belisar, der deine ist veraltet: diese Mauern, Gräben, Tore sind hergestellt.» - «Seit wann?» - «Seit Jahresfrist.» -«Von wem» - «Von mir.» Betroffen sah Belisar auf den Plan.
Antoninas Blick hing ängstlich an den Zügen ihres Gatten.
«Präfekt», sagte dieser endlich, «wenn dem so ist, so verstehst du den Krieg, den Festungskrieg. Aber zum Krieg gehört ein Heer, und deine leeren Wälle werden mich nicht aufhalten.»
«Du wirst sie nicht leer finden. Du wirst einräumen, daß mehr als zwanzigtausend Mann Rom nämlich dies mein Rom hier auf dem Plan - über Jahr und Tag selbst gegen Belisar zu halten vermögen. Gut: so wisse denn, daß jene Werke in diesem Augenblick von fünfunddreißigtausend Bewaffneten gedeckt sind.»
«Sind die Goten zurück?» rief Belisar. Prokop trat erstaunt näher.
«Nein, jene fünfunddreißigtausend stehen unter meinem Befehl. Ich habe seit Jahren die lang verweichlichten Römer zu den Waffen zurückgerufen und unablässig in den Waffen geübt. So habe ich zur Zeit dreißig Kohorten, jede fast zu tausend Mann, schlagfertig.»
Belisar bekämpfte seinen Unmut und zuckte verächtlich die Achseln.
«Ich geb' es zu» - fuhr Cethegus fort -, «diese Scharen würden in offener Feldschlacht einem Heere Belisars nicht stehen. Aber ich versichre dich: von diesen Mauern herab werden sie ganz tüchtig fechten. Außerdem hab' ich aus meinen Privatmitteln siebentausend auserlesene isaurische und abasgische Söldner geworben und allmählich in kleinen Abteilungen ohne Aufsehen nach Ostia, nach Rom und in die Umgegend gebracht. Du zweifelst? Hier sind die Listen der dreißig Kohorten, hier der
Vertrag mit den Isauriern. Du siehst deutlich, wie die Sachen stehen. Entweder du nimmst meine Bedingungen an - dann sind jene fünfunddreißigtausend dein, dein ist Rom, mein Rom, dieses Rom auf dem Plan, von dem du sagtest, es sei von furchtbarer Stärke, und dein ist Cethegus. Oder du verwirfst meine Bedingung: dann ist dein ganzer Siegeslauf, dessen Gelingen auf der Raschheit deiner Bewegung ruht, gehemmt. Du mußt Rom belagern, viele Monde lang. Die Goten haben alle Zeit, sich zu sammeln. Wir selber rufen sie zurück: sie ziehen in dreifacher Übermacht zum Entsatz der Stadt heran, und nichts errettet dich vom Verderben als ein Wunder.»
«Oder dein Tod in diesem Augenblick, du Teufel», donnerte Belisar und riß, seiner nicht mehr mächtig, das Schwert aus der Scheide. «Auf, Prokop, in des Kaisers Namen! Ergreife den Verräter! Er stirbt in dieser Stunde!»
Entsetzt, unschlüssig trat Prokop zwischen die beiden, indes Antonina ihrem Gatten in den Arm fiel und seine rechte Hand zu fassen suchte.
«Seid ihr mit im Bunde?» schrie der Ergrimmte. «Wachen, Wachen herbei!»
Aus jeder der beiden Türen traten zwei Lanzenträger in das Zelt: aber noch zuvor hatte sich Belisar von Antonina losgerissen und mit dem linken Arm den starken Prokop, als wär' er ein Kind, zur Seite geschleudert. Mit dem Schwert zu furchtbarem Stoß ausholend, stürzte er auf den Präfekten los.
Aber plötzlich hielt er inne und senkte die Waffe, die schon des Bedrohten Brust streifte.
Denn unbeweglich, wie eine Statue, ohne eine Miene zu verziehen, den kalten Blick durchbohrend auf den Wütenden gerichtet, war Cethegus stehen geblieben, ein Lächeln unsäglicher Verachtung um die Lippen.
«Was soll der Blick und dieses Lachen?» fragte Belisar innehaltend.
Prokop winkte leise den Wachen, abzutreten.
«Mitleid mit deinem Feldherrnruhm, den ein Augenblick des Jähzorns für immer verderben sollte. Wenn dein Stoß traf, warst du verloren.»
«Ich!» lachte Belisar. «Ich sollte meinen du.»
«Und du mit mir. Glaubst du, ich stecke tolldreist den Kopf in den Rachen des Löwen? Daß einem Helden deiner Art zuallererst der feine Einfall kommen werde, dich mit einem guten Schwertstreich herauszuhauen, das vorauszusehen war nicht schwer. Dagegen hab' ich mich geschützt. Wisse: seit diesem Morgen ist infolge eines versiegelten Auftrages, den ich zurückließ, Rom in den Händen, in der Gewalt meiner blindergebnen Freunde. Das Grabmal Hadrians, das Kapitol und alle Tore und Türme der Umwallung sind besetzt von meinen Isauriern und Legionären. Meinen Kriegstribunen, todesmutigen Jünglingen, hab' ich diesen Befehl hinterlassen für den Fall, daß du ohne mich vor Rom eintriffst.» Er reichte Prokop eine Papyrusrolle.
Dieser las: «An Lucius und Marcus, die Licinier, Cethegus, der Präfekt. Ich bin gefallen, ein Opfer der Tyrannei der Byzantiner. Rächet mich! Ruft sofort die Goten zurück. Ich fordre es bei eurem Eid. Besser die Barbaren als die Schergen Justinians. Haltet euch bis auf den letzten Mann. Übergebt die Stadt eher den Flammen als dem Heer des Tyrannen.»
«Du siehst also», fuhr Cethegus fort, «daß dir mein Tod die Tore Roms nicht öffnet, sondern für immer sperrt. Du mußt die Stadt belagern: oder mit mir abschließen.»
Belisar warf einen Blick des Zornes, aber auch der Bewunderung auf den kühnen Mann, der ihm mitten unter seinen Tausenden Bedingungen vorschrieb. Dann steckte er das Schwert ein, warf sich unwillig auf seinen Stuhl und fragte: «Welches sind deine Bedingungen für die Übergabe?»
«Nur zwei. Erstens gibst du mir Befehl über einen kleinen
Teil deines Heeres. Ich darf deinen Byzantinern kein Fremder sein.»
«Zugestanden. Du erhältst als Archon zweitausend Mann illyrischen Fußvolks und eintausend sarazenische und maurische Reiter. Genügt das?»
«Vollkommen. Zweitens.
Meine Unabhängigkeit vom Kaiser und von dir ruht einzig auf der Beherrschung Roms. Diese darf durch deine Anwesenheit nicht aufhören. Deshalb bleibt das ganze rechte Tiberufer mit dem Grabmal Hadrians, auf dem linken aber das Kapitol, die Umwallung im Süden bis zum Tore Sankt Pauls einschließlich, bis zum Ende des Kriegs in der Hand meiner Isaurier und Römer; von dir aber wird der ganze Rest der Stadt auf dem linken Tiberufer besetzt, von dem flaminischen Tor im Norden bis zum appischen Tor im Süden.»
Belisar warf einen Blick auf den Plan. «Nicht übel gedacht! Von jenen Punkten aus kannst du mich jeden Augenblick aus der Stadt drängen oder den Fluß absperren. Das geht nicht an.»
«Dann rüste dich zum Kampf mit den Goten und mit Cethegus zusammen vor den Mauern Roms.»
Belisar sprang auf. «Geht! Laßt mich allein mit Prokop! Cethegus, erwarte meine Entscheidung.»
«Bis morgen», sagte dieser. «Bei Sonnenaufgang kehr' ich
nach Rom zurück, mit deinem Heer oder - allein.»
*
Wenige Tage darauf zog Belisar mit seinem Heer in der ewigen Stadt ein durch das asinarische Tor.
Endloser Jubel begrüßte den Befreier, Blumenregen überschüttete ihn und seine Gattin, die auf einem zierlichen weißen Zelter an seiner Linken ritt. Alle Häuser hatten ihren Festschmuck von Teppichen und Kränzen angetan.
Aber der Gefeierte schien nicht froh: verdrossen senkte er das
Haupt und warf finstre Blicke nach den Wällen und dem Kapitol, von denen, den alten römischen Adlern nachgebildet, die Banner der städtischen Legionäre, nicht die Drachenfahnen von Byzanz, herniederschauten.
Am asinarischen Tor hatte der junge Lucius Licinius den Vortrab des kaiserlichen Heeres zurückgewiesen: und nicht eher hob sich das wuchtige Fallgitter, bis neben Belisars Rotscheck, getragen von seinem prachtvollen Rappen, Cethegus der Präfekt erschienen war. Lucius staunte über die Verwandlung, die mit seinem bewunderten Freunde vorgegangen. Die kalte, strenge Verschlossenheit war gewichen: er erschien größer, jugendlicher, ein leuchtender Glanz des Sieges lag auf seinem Antlitz, seiner Haltung und seiner Erscheinung. Er trug einen hohen, reich vergoldeten Helm, von dem der purpurne Roßschweif niederwallte bis auf den Panzer. Dieser aber war ein kostbares Kunstwerk aus Athen und zeigte auf jeder seiner Rundplatten ein fein gearbeitetes Relief von getriebenem Silber, jedes einen Sieg der Römer darstellend.
Der Siegesausdruck seines leuchtenden Gesichts, seine stolze Haltung und sein schimmernder Waffenschmuck überstrahlte, wie Belisar, den kaiserlichen Magister Militum selbst, so das glänzende Gefolge von Heerführern, das sich, geführt von Johannes und Prokop, hinter den beiden anschloß. Und dies Überstrahlen war so augenfällig, daß sich, sowie der Zug einige Straßen durchmessen hatte, der Eindruck auch der Menge mitteilte und der Ruf «Cethegus!» bald so laut und lauter als der Name «Belisar» ertönte.
Das feine Ohr Antoninas fing an, dies zu bemerken: mit Unruhe lauschte sie bei jeder Stockung des Zuges auf das Rufen und Reden des Volks. Als sie die Thermen des Titus hinter sich gelassen und bei dem flavischen Amphitheater die sacra Via erreicht hatten, wurden sie durch das Wogen der Menge zum Verweilen gezwungen: ein schmaler Triumphbogen war errichtet, den man nur langsam durchschreiten konnte.
«Sieg dem Kaiser Justinian und Belisarius, seinem Feldherrn» stand darauf geschrieben. Während Antonina die Aufschrift las, hörte sie einen Alten, der wenig in den Lauf der Dinge eingeweiht schien, an seinen Sohn, einen der jungen Legionäre des Cethegus, Fragen um Auskunft stellen. «Also, mein Gajus, der Finstre mit dem verdrießlichen Gesicht auf dem Rotscheck... »
«Ja, das ist Belisarius, wie ich dir sage», antwortete der Sohn. «So? Nun - aber der stattliche Held, ihm zur Linken, mit dem triumphierenden Blick, der auf dem Rappen, das ist gewiß Justinianus selbst, sein Herr, der Imperator?» - «Beileibe, Vater! Der sitzt ruhig in seinem goldnen Gemach zu Byzanz und schreibt Gesetze. Nein, das ist ja Cethegus, unser Cethegus, mein Cethegus, der Präfekt, der mir das Schwert geschenkt. Ja, das ist ein Mann. Licinius, mein Tribun, sagte neulich: wenn der nicht wollte, Belisar sähe nie ein römisch Tor von innen.»
Antonina gab ihrem Apfelschimmel einen heftigen Schlag mit dem Silberstäbchen und sprengte rasch durch den Triumphbogen.
Cethegus geleitete den Feldherrn und dessen Gattin bis an den Palast der Pincier, der prachtvoll zu ihrer Aufnahme instand gesetzt war. Hier verabschiedete er sich, den byzantinischen Heerführern seinen Beistand zu leihen, die Truppen teils in den Häusern der Bürger und den öffentlichen Gebäuden, teils vor den Toren in Zelten unterzubringen.
«Wenn du dich von den Mühen - und Ehren! - dieses Tages erholt, Belisarius, erwarte ich dich und Antonina und deine ersten Heerführer zum Mahl in meinem Hause.»
Nach einigen Stunden erschienen Marcus Licinius, Piso und Balbus, die Geladenen abzuholen. Sie begleiteten die Sänften, in denen Antonina und Belisar getragen wurden, die Heerführer gingen zu Fuß.
«Wo wohnt der Präfekt?» fragte Belisar beim Einsteigen in die Sänfte. «Solang du hier bist: tags im Grabmal Hadrians, und nachts - auf dem Kapitol.»
Belisar stutzte. Der kleine Zug näherte sich dem Kapitol.
Mit Staunen sah der Feldherr alle die Werke und Wälle, die seit mehr denn zweihundert Jahren in Schutt gelegen waren, zu gewaltiger Stärke wiederhergestellt.
Nachdem sie durch den langen, schmalen und dunklen Zickzackgang, den engen Zugang zu der Feste, sich gewunden, gelangten sie an ein gewaltiges Eisentor, das fest geschlossen war, wie in Kriegszeit.
Marcus Licinius rief die Wachen an.
«Gib die Losung!» sprach eine Stimme von innen.
«Cäsar und Cethegus!» antwortete der Kriegstribun. Da sprangen die Torflügel auf: ein langes Spalier der römischen Legionäre und der isaurischen Söldner ward sichtbar, letztere in Eisen gehüllt bis an die Augen und mit Doppeläxten bewaffnet. Lucius Licinius stand an der Spitze der Römer, mit gezücktem Schwert in der Hand, Sandil, der isaurische Häuptling, an der Spitze seiner Landsleute. Einen Augenblick blieben die Byzantiner unentschlossen stehen, von dem Eindruck dieser Machtentfaltung von Granit und Eisen überwältigt.
Da wurde es hell in dem matt erleuchteten Raum: man vernahm Musik aus dem Hintergrund des Ganges, und, von Fackelträgern und Flötenspielern begleitet, nahte Cethegus, ohne Rüstung, einen Kranz auf dem Haupt, wie ihn der Wirt eines Festgelages zu tragen pflegte, im reichen Hausgewand von Purpurseide. So trat er lächelnd vor und sprach: «Willkommen! Und Flötenspiel und Tubaschall verkünde laut: daß die schönste Stunde meines Lebens kam: Belisar, mein Gast im Kapitol.»
Und unter schmetterndem Klang der Trompeten führte er den Schweigenden in die Burg.
Während dieser Vorgänge bei den Römern und Byzantinern bereiteten sich auch auf Seite der Goten entscheidende Ereignisse vor.
In Eilmärschen waren Herzog Guntharis und Graf Arahad von Florentia, wo sie eine kleine Besatzung zurückließen, mit ihrer gefangenen Königin nach Ravenna aufgebrochen. Wenn sie diese für uneinnehmbar geltende Feste vor Witichis, der heftig nachdrängte, erreichten und gewannen, so mochten sie dem König jede Bedingung vorschreiben. Zwar hatten sie noch einen starken Vorsprung und hofften, die Verfolger durch die Belagerung von Florentia noch eine gute Weile aufzuhalten. Aber sie büßten jenen Vorsprung beinahe völlig dadurch ein, daß die auf der nächsten Straße nach Ravenna gelegenen Städte und Kastelle sich für Witichis erklärten und so die Empörer nötigten, auf großem Umweg im rechten Winkel zuerst nördlich nach Bononia (Bologna), das zu ihnen abgefallen war, und dann erst östlich nach Ravenna zu marschieren.
Gleichwohl war, als sie in der Sumpflandschaft der Seefestung anlangten und nur noch einen halben Tagesmarsch von ihren Toren entfernt waren, von dem Heer des Königs nichts zu sehen. Guntharis gönnte seinen stark ermüdeten Truppen den Rest des ohnehin schon gegen Abend neigenden Tages und schickte nur eine kleine Schar Reiter unter seines Bruders Befehl voraus, den Goten in der Festung ihre Ankunft zu verkünden.
Aber schon in den ersten Morgenstunden des nächsten Tages kam Graf Arahad mit seiner stark gelichteten Reiterschar flüchtend ins Lager zurück. «Bei Gottes Schwert», rief Guntharis, «wo kommst du her?»
«Von Ravenna kommen wir. Wir hatten die äußersten Werke der Stadt erreicht und Einlaß begehrt, wurden aber entschieden abgewiesen, obwohl ich selbst mich zeigte und den alten Grippa, den Grafen von Ravenna, rufen ließ. Der erklärte trotzig, morgen würden wir seine und der Goten in Ravenna Entscheidung erfahren: wir sowohl wie das Heer des Königs, dessen Spitze sich bereits von Südosten her der Stadt näherte.»
«Unmöglich!» rief Guntharis ärgerlich.
«Mir blieb nichts übrig, als abzuziehen, so wenig ich dies Benehmen unseres Freundes begriff. Die Nachricht von der Nähe des Königs hielt auch ich für eine leere Drohung des Alten, bis meine im Süden der Stadt schwärmenden Reiter, die nach einer trockenen Beiwachstelle suchten, plötzlich von feindlichen Reitern unter dem schwarzen Grafen Teja von Tatentum mit dem Ruf: «Du rasest», rief Guntharis. «Haben sie Flügel? Ist Florentia aus ihrem Wege fortgeblasen?» «Nein! Aber ich erfuhr von picentinischen Bauern, daß Witichis auf dem Küstenweg über Auximum und Ariminum nach Ravenna eilt.» - «Und Florentia ließ er im Rücken unbezwungen? Das soll ihm schlecht bekommen.» - «Florentia ist gefallen! Er schickte Hildebad gegen die Stadt, der sie im Sturme nahm. Er rannte mit eigener Hand das Marstor ein - der wütige Stier!» Mit finsterer Miene vernahm Herzog Guntharis diese Unglücksbotschaften; aber rasch faßte er seinen Entschluß. Er brach sofort mit all seinen Truppen gegen die Stadt auf, sie durch einen raschen Streich zu nehmen. Der Überfall mißlang. Aber die Empörer hatten die Befriedigung, zu sehen, daß die Festung, deren Besitz den Bürgerkrieg entschied, wenigstens auch dem Feind sich nicht geöffnet hatte. Im Südosten, vor der Hafenstadt Classis, hatte sich der König gelagert. Des Herzogs Guntharis geübter Blick erkannte alsbald, daß auch die Sümpfe im Nordwesten eine sichere Stellung gewährten, und rasch schlug er hier ein wohlverschanztes Lager auf. So hatten sich die beiden Parteien, wie zwei ungestüme Freier um eine spröde Braut, hart an beide Seiten der gotischen Königsstadt gedrängt, die keinem ein günstiges Gehör schenken zu wollen schien. Tags darauf gingen zwei Gesandtschaften, aus Ravennaten und Goten bestehend, aus dem nordwestlichen und aus dem südöstlichen Tor der Festung, dem Tor der Honorius und dem des Theoderich, und brachten, jene in das Lager der Wölsungen, diese zu den Königlichen, den verhängnisvollen Entscheid von Ravenna. Dieser mußte sehr seltsam lauten. Denn die beiden Heerführer, Guntharis und Witichis, hielten ihn, in merkwürdiger Übereinstimmung, streng geheim und sorgten eifrig dafür, daß kein Wort davon unter ihre Truppen gelangte. Die Gesandten wurden sofort aus den Feldherrnzelten beider Lager unter Bedeckung von Heerführern, die jede Unterredung mit den Heermännern verwehrten, nach den Toren der Stadt zurückgebracht. Aber auch sonst war die Wirkung der Botschaft in den beiden Heerlagern auffallend genug. Bei den Empörern kam es zu einem heftigen Streit zwischen den beiden Führern: dann zu einer sehr lebhaften Unterredung von Herzog Guntharis mit seiner schönen Gefangenen, die, wie es hieß, nur durch Graf Arahad vor dem Zorne seines Bruders geschätzt worden war. Darauf versank das Lager der Rebellen in die Ruhe der Ratlosigkeit. Folgenreicher war das Erscheinen der ravennatischen Gesandten in dem Lager gegenüber. Die erste Antwort, die König Witichis auf die Botschaft erließ, war der Befehl zu einem allgemeinen Sturm auf die Stadt. Überrascht vernahmen Hildebrand und Teja, vernahm das ganze Heer diesen Auftrag. Man hatte gehofft, in Bälde die Tore der starken Festung sich freiwillig auftun zu sehen. Gegen das gotische Herkommen und ganz gegen seine sonst so leutselige Art gab der König niemand, auch seinen Freunden nicht, Rechenschaft von der Mitteilung der Gesandten und von den Gründen dieses zornigen Angriffs. Schweigend, aber kopfschüttelnd und mit wenig Hoffnung auf Erfolg, rüstete sich das Heer zu dem unvorbereiteten Sturm: er ward blutig zurückgeschlagen. Vergebens trieb der König seine Goten immer wieder aufs neue die steilen Felswände hinan. Vergebens bestieg er dreimal, der erste, die Sturmleitern: vom frühen Morgen bis zum Abendrot hatten die Angreifer gestürmt, ohne Fortschritte zu machen, die Festung bewährte ihren alten Ruhm der Unbezwingbarkeit. Und als endlich der König, von einem Schleuderstein schwer betäubt, aus dem Getümmel getragen wurde, führten Teja und Hildebrand die ermüdeten Scharen ins Lager zurück. Die Stimmung des Heeres in der darauffolgenden Nacht war sehr trübe und gedrückt. Man hatte empfindliche Verluste zu beklagen und nichts gewonnen, als die Überzeugung, daß die Stadt mit Gewalt nicht zu nehmen sei. Die gotische Besatzung von Ravenna hatte neben den Bürgern auf den Wällen gefochten; der König der Goten lag belagernd vor seiner Hauptstadt, vor der besten Festung seines Reichs, in der man Schutz und Zeit zur Rüstung gegen Belisar zu finden gehofft! Das schlimmste aber war, daß das Heer die Schuld des ganzen Unglückskampfes, die Notwendigkeit des Bruderstreits auf den König schob. Warum hatte man die Verhandlung mit der Stadt plötzlich abgebrochen? Warum nicht wenigstens die Ursache dieses Abbrechens, war sie eine gerechte, dem Heere mitgeteilt? Warum scheute der König das Licht? Mißmutig saßen die Leute bei ihren Wachtfeuern oder lagen in den Zelten, ihre Wunden pflegend, ihre Waffen flickend: nicht, wie sonst, scholl Gesang der alten Heldenlieder von den Lagertischen, und wenn die Führer durch die Zeltgassen schritten, hörten sie manches Wort des Ärgers und des Zornes wider den König. Gegen Morgen traf Hildebad mit seinen Tausendschaften von Florentia her im Lager ein. Er vernahm mit zornigem Schmerz die Kunde von der blutigen Schlappe und wollte sofort zum König; aber da dieser noch bewußtlos unter Hildebrands Pflege lag, nahm ihn Teja in sein Zelt und beantwortete seine unwilligen Fragen. Nach einiger Zeit trat der alte Waffenmeister ein, mit einem Ausdruck in den Zügen, daß Hildebad erschrocken von seinem Bärenfell, das ihm zum Lager diente, aufsprang und auch Teja hastig fragte: «Was ist mit dem König? Seine Wunde? Stirbt er?» Der Alte schüttelte schmerzlich sein Haupt: «Nein: aber wenn ich richtig rate, wie ich ihn kenne und sein wackres Herz, wär' ihm besser, er stürbe.» «Was meinst du? Was ahnst du?» «Still, still», sprach Hildebrand traurig, sich setzend, «armer Witichis! Es kommt noch, fürcht' ich, früh genug zur Sprache.» Und er schwieg. «Nun», sagte Teja, «wie ließest du ihn?» - «Das Wundfieber hat ihn verlassen, dank meinen Kräutern. Er wird morgen wieder zu Roß können. Aber er sprach wunderbare Dinge in seinen wirren Träumen - ich wünsche ihm, daß es nur Träume sind, sonst: weh dem treuen Manne.» Mehr war aus dem verschlossenen Alten nicht zu erforschen. Nach einigen Stunden ließ Witichis die drei Heerführer zu sich rufen. Sie fanden ihn zu ihrem Staunen in voller Rüstung, obwohl er sich im Stehen auf sein Schwert stützen mußte; seitwärts auf einem Tisch lag sein königlicher Kronhelm und der heilige Königsstab von weißem Eschenholz mit goldner Kugel. Die Freunde erschraken über den Verfall dieser sonst so ruhigen, männlich schönen Züge. Er mußte innerlich schwer gekämpft haben. Diese kernige, schlichte Natur aus einem Guß konnte ein Ringen zweifelsvoller Pflichten, widerstreitender Empfindungen nicht ertragen. «Ich hab' euch rufen lassen», sprach er mit Anstrengung, «meinen Entschluß in dieser schlimmen Lage zu vernehmen und zu unterstützen. Wie groß ist unser Verlust in diesem Sturm?» «Dreitausend Tote», sagte Teja sehr ernst. «Und über sechstausend Verwundete», fügte Hildebrand hinzu. Witichis drückte schmerzlich die Augen zu. Dann sprach er: «Es geht nicht anders. Teja, gib sogleich Befehl zu einem zweiten Sturm.» «Wie? Was?» riefen die drei Führer wie aus einem Munde. «Es geht nicht anders», wiederholte der König. «Wie viele Tausendschaften führst du uns zu, Hildebad?» - «Drei, aber sie sind todmüde vom Marsch. Heut' können sie nicht fechten.» «So stürmen wir wieder allein», sagte Witichis, nach seinem Speer langend. «König», sagte Teja, «wir haben gestern nicht einen Stein der Festung gewonnen, und heute hast du neuntausend weniger...» - «Und die Unverwundeten sind matt, ihre Waffen und ihr Mut zerbrochen», mahnte der alte Waffenmeister. «Wir müssen Ravenna haben!» «Wir werden es nicht mit Sturm nehmen!» sagte Teja. «Das wollen wir sehen!» meinte Witichis. «Ich lag vor der Stadt mit dem großen König», warnte Hildebrand: «er hat sie siebzigmal umsonst bestürmt: wir nahmen sie nur durch Hunger - nach drei Jahren.» - «Wir müssen stürmen», sagte Witichis, «gebt den Befehl.» Teja wollte das Zelt verlassen. Hildebrand hielt ihn. «Bleib», sagte er, «wir dürfen ihm nichts verschweigen. König! Die Goten murren: sie würden dir heut' nicht folgen: der Sturm ist unmöglich.» «Steht es so?» sagte Witichis bitter. «Der Sturm ist unmöglich? Dann ist nur eins noch möglich: der Weg, den ich gestern schon hätte einschlagen sollen - dann lebten jene dreitausend Goten noch. Geh, Hildebad, nimm dort Krone und Stab! Geh ins Lager der Empörer, lege sie dem jungen Arahad zu Füßen: er soll sich mit Mataswintha vermählen; ich und mein Heer, wir grüßen ihn als König.» Und er warf sich erschöpft aufs Lager. «Du sprichst wieder im Wundfieber», sagte der Alte. «Das ist unmöglich!» schloß Teja. «Unmöglich! Alles unmöglich? Der Kampf unmöglich? Und die Entsagung? Ich sage dir, Alter: es gibt nichts andres nach der Botschaft aus Ravenna.» Er schwieg. Die drei warfen sich bedeutende Blicke zu. Endlich forschte der Alte: «Wie lautet sie? Vielleicht findet sich doch ein Ausweg? Acht Augen sehen mehr als zwei.» «Nein», sagte Witichis, «hier nicht, hier ist nichts zu sehen: sonst hätt' ich's euch längst gesagt, aber es konnte zu nichts führen. Ich hab's allein erwogen. Dort liegt das Pergament aus Ravenna, aber schweigt vor dem Heer.» Der Alte nahm die Rolle und las: «Die gotischen Krieger und das Volk von Ravenna an den Grafen Witichis von Fasulä!» «Die Frechen!» rief Hildebrand dazwischen. «Den Herzog Guntharis von Tuscien und den Grafen Arahad von Asta. Die Goten und die Bürger dieser Stadt erklären den beiden Heerlagern vor ihren Toren, daß sie getreu dem erlauchten Hause der Amalungen und eingedenk der unvergeßlichen Wohltaten des großen Königs Theoderich, bei diesem Herrscherstamm ausharren werden, solang noch ein Reis desselben grünt. Wir erkennen deswegen nur Mataswintha als Herrin der Goten und Italier an. Nur der Königin Mataswintha werden wir diese festen Tore öffnen und gegen jeden andern unsre Stadt bis zum äußersten verteidigen.» «Diese Rasenden», sagte Teja. «Unbegreiflich», versetzte Hildebad. Aber Hildebrand faltete das Pergament zusammen und sagte: «Ich begreife es wohl. Was die Goten anlangt, so wißt ihr, daß Theoderichs ganze Gefolgschaft die Besatzung der Stadt bildet; diese Gefolgen aber haben dem König geschworen, seinen Stamm nie einem fremden König vorzuziehen. Auch ich hab' diesen Eid getan; aber ich habe dabei immer an die Speerseite, nicht an die Spindeln, nicht an die Weiber, gedacht. Darum mußt' ich damals für Theodahad stimmen, darum konnt' ich nach dessen Verrat Witichis huldigen. Der alte Graf Grippa von Ravenna nun und seine Gesellen glauben sich auch an die Weiber des Geschlechts durch jenen Eid gebunden: und verlaßt euch darauf, diese grauen Recken, die ältesten im Gotenreich und Theoderichs Waffengenossen, lassen sich in Stücke hauen, Mann für Mann, eh' sie von ihrem Eide lassen, wie sie ihn einmal deuten. Und, bei Theoderich, sie haben recht! Die Ravennaten aber sind nicht nur dankbar, sondern auch schlau: sie hoffen, Goten und Byzantiner sollen den Strauß vor ihren Wällen ausfechten. Siegt Belisar, der, wie er sagt, Amalaswintha zu rächen kommt, so kann er die Stadt nicht strafen, die zu ihrer Tochter gehalten: und siegen wir, so hat sie die Besatzung in der Burg gezwungen, die Tore zu sperren.» «Wie immer dem sei», fiel der König ein, «ihr werdet jetzt mein Verfahren verstehn. Erfuhr das Heer von jenem Bescheid, so mochten viele mutlos werden und zu den Wölsungen übergehn, in deren Gewalt die Fürstin ist. Mir blieben nur zwei Wege: die Stadt mit Gewalt zu nehmen - oder nachgeben: jenes haben wir gestern vergebens versucht, und ihr sagt, man könne es nicht wiederholen. So erübrigt nur das andre: nachgeben. Arahad mag die Jungfrau freien und die Krone tragen; ich will der Erste sein, ihm zu huldigen und mit seinem tapfren Bruder sein Reich zu schirmen.» «Nimmermehr!» rief Hildebad, «du bist unser König und sollst es bleiben. Nie beug' ich mein Haupt vor jenem jungen Fant. Laß uns morgen hinüberrücken gegen die Rebellen, ich allein will sie aus ihrem Lager treiben und das Königskind, vor dessen Hand wie durch Zauber jene festen Tore aufspringen sollen, in unsre Zelte tragen.» «Und wenn wir sie haben?» sagte Teja, «was dann? Sie nützt uns nichts, wenn wir sie nicht als Königin begrüßen. Willst du das? Hast du nicht genug an Amalaswintha und Gothelindis? Nochmals Weiberherrschaft?» «Gott soll uns davor schützen!» lachte Hildebad. «So denke ich auch», sprach der König, «sonst hätt' ich längst diesen Weg ergriffen.» «Ei, so laß uns hier liegen und warten, bis die Stadt mürbe wird.» «Geht nicht», sagte Witichis, «wir können nicht warten. In wenigen Tagen kann Belisar von jenen Hügeln steigen und nacheinander mich, Herzog Guntharis und die Stadt bezwingen; dann ist's dahin, das Reich und das Volk der Goten. Es gibt nur zwei Wege: Sturm -» «Unmöglich», sprach Hildebrand. «Oder nachgeben. Geh, Teja, nimm die Krone. Ich sehe keinen Ausweg.» Die beiden jungen Männer zauderten. Da sprach mit einem ernsten, trauervollen Blick der Liebe auf den König der alte Hildebrand: «Ich sehe den Ausweg, den schmerzvollen, den einzigen. Du mußt ihn gehen, mein Witichis, und bricht dir siebenmal das Herz.» Witichis sah ihn fragend an, auch Teja und Hildebad staunten ob der Weichheit des felsharten Alten. «Geht ihr hinaus», fuhr dieser fort, «ich muß allein sprechen mit dem König.»
Schweigend verließen die beiden Goten das Zelt und schritten draußen, den Ausgang abwartend, die Lagergasse auf und nieder. Aus dem Zelt drang hin und wieder Hildebrands Stimme, der in langer Rede den König zu ermahnen und zu drängen schien, und hin und wieder ein Ausruf des Königs.
«Was kann nur der Alte sinnen?» fragte Hildebad, stillhaltend, «weißt du's nicht?» - «Ich ahn' es», seufzte Teja, «armer Witichis!» - «Zum Teufel, was meinst du?» - «Laß», sagte Teja, «es wird bald genug auskommen.»
So verging geraume Zeit.
Heftiger und schmerzlicher klang die Stimme des Königs, der sich der Reden Hildebrands mächtig zu erwehren schien.
«Was quält der Eisbart den wackern Helden?» rief Hildebad ungeduldig. «Es ist, als wollt' er ihn ermorden. Ich will hinein und helf ihm.»
Aber Teja hielt ihn an der Schulter.
«Bleib», sagte er. «Es muß wohl sein.»
Während sich Hildebad losmachen wollte, nahte Lärm von Stimmen aus dem oberen Ende der Lagergasse. Zwei Wachen bemühten sich vergebens, einen starken Goten zurückzuhalten, der, mit allen Zeichen langen und eiligen Rittes bedeckt, sich gegen das Zelt des Königs drängte.
«Laß mich los», rief er, «guter Freund, oder ich schlage dich nieder.»
Und drohend hob er eine wuchtige Streitaxt.
«Es geht nicht. Du mußt warten. Die großen Heerführer sind bei ihm im Zelt.»
«Und wären alle großen Götter Walhalls samt dem Herrn Christus bei ihm im Zelt, ich muß zu ihm. Erst ist der Mensch Vater und Gatte und dann König. Laß los, rat' ich dir.»
«Die Stimme kenn' ich», sagte Graf Teja, nähertretend - «und den Mann. Wachis, was suchst du hier im Lager?»
«O Herr», rief der treue Knecht, «wohl mir, daß ich euch treffe. Sagt diesen guten Leuten, daß sie mich loslassen. Dann brauch' ich sie nicht niederzuschlagen. Ich muß gleich zu meinem armen Herrn.»
«Laßt ihn los, sonst hält er Wort: ich kenne ihn. Nun, was willst du bei dem König?»
«Führt mich nur gleich zu ihm. Ich bring' ihm schwarze, schwere Kunde von Weib und Kind.»
«Von Weib und Kind?» fragte Hildebad erstaunt. «Ei, hat Witichis ein Weib?»
«Die wenigsten wissen es», sagte Teja. «Sie verließ fast nie ihr Gut, kam nie zu Hof. Fast niemand kennt sie: aber wer sie kennt, der ehrt sie hoch. Ich weiß nicht ihresgleichen.»
«Da habt ihr recht, Herr, wenn ihr je recht gehabt», sprach Wachis mit erstickter Stimme. «Die arme, arme Frau und ach, der arme Vater. Aber laßt mich hinein. Frau Rauthgund folgt mir auf dem Fuß. Ich muß ihn vorbereiten.»
Teja, ohne weiter zu fragen, schob den Knecht in das Zelt und folgte ihm mit Hildebad.
Sie trafen den alten Hildebrand ruhig, wie die Notwendigkeit, auf dem Lager des Königs sitzen, das Kinn mit dem mächtigen Bart in die Hand und diese auf das Steinbeil gestützt. So saß er unbeweglich und richtete fest die Augen auf den König, der, in höchster Aufregung, mit hastigen Schritten, auf und nieder ging und im Sturm seiner Gefühle die Eintretenden gar nicht
bemerkte: «Nein! nein! niemals!» rief er, «das ist grausam, frevelhaft, unmöglich!»
«Es muß sein», sagte Hildebrand, ohne sich zu rühren.
«Nein, sag' ich», rief der König und wandte sich.
Da stand Wachis dicht vor ihm. Er starrte ihn wirr an: da warf sich der Knecht laut weinend vor ihm nieder.
«Wachis», rief erschreckend der König, «was bringst du? Du kommst von ihr! Steh auf - was ist geschehen?»
«Ach Herr»,.jammerte dieser, immer noch kniend, «euch sehen, zerreißt mein Herz! Ich kann nichts dafür! Ich hab's vergolten und gerächt nach Kräften.»
Da riß ihn Witichis bei den Schultern auf: «Rede, Mensch, was ist zu rächen? Mein Weib -?»
«Sie lebt, sie kommt hierher, aber euer Kind...»
«Mein Kind», sprach er erbleichend, «Athalwin, was ist mit ihm -?»
«Tot, Herr - ermordet!»
Da brach ein Schrei wie eines Schwerverwundeten aus des gequälten Vaters Brust. Er bedeckte das Antlitz mit beiden Händen, teilnehmend traten Teja und Hildebad näher. Nur Hildebrand blieb unbeweglich und sah starr auf die Gruppe.
Wachis ertrug die lange Pause des Schmerzes nicht. Er suchte die Hände seines Herrn zu fassen. Da senkte sie dieser von selbst. Zwei große Tränen standen auf den braunen Wangen des Helden: er schämte sich ihrer nicht.
«Ermordet!» sagte er, «mein schuldlos Kind! Von den Römern!»
«Die feigen Teufel», rief Hildebad.
Teja ballte die Faust und seine Lippen bewegten sich lautlos.
«Calpurnius!» sprach Witichis mit einem Blick auf Wachis.
«Ja, Calpurnius! Die Nachricht von deiner Wahl war aufs Gut
gelangt und dein Weib und Sohn in dein Lager entboten. Wie jauchzte jung Athalwin, daß er nun ein Königssohn sein werde, wie Siegfried, der den Drachen schlug! Nun wolle er bald ausziehen auf Abenteuer und auch Drachen schlagen und wilde Riesen. Da kam der Nachbar von Rom zurück. Ich merkt' es wohl, daß er noch finsterer sah und neidischer als je, und hütete dir Haus und Stall. Aber das Kind hüten - wer hätte daran gedacht, daß Kinder nicht mehr sicher!»
Witichis schüttelte schmerzlich das Haupt.
«Der Knabe konnte nicht erwarten, daß er seinen Vater sehen solle im Kriegslager und all die Tausende von gotischen Heermännern, und daß er Schlachten solle in der Nähe sehen. Er warf sein Holzschwert weg von Stund' an und sagte: ein Königssohn müsse ein eisernes tragen, zumal in Kriegszeiten. Und ich mußte ihm ein Jagdmesser suchen und schleifen dazu.
Mit diesem seinem Schwert nun rannte er Frau Rauthgunden jeden Morgen früh davon. Und fragte sie,
Ich hatte aber meine eigenen Gedanken. Und als ich gar einst an seinem Schwert Blutflecken bemerkte, schlich ich ihm nach zu Walde. Richtig, es war, wie ich gedacht. Ich hatte ihm einst warnend eine Höhle im schroffen Felsgeklüft gezeigt, das steil über den Gießbach hangt, weil dort die giftigen Vipern zu Dutzenden nisten.
Er fragte mich damals nach allem aus, und als ich sagte, jeder Biß sei tödlich, und gleich gestorben sei eine arme Beerensammlerin, die der Beißwurm in den nackten Fuß gestochen, da zog er flugs sein Holzschwert und wollte mitten darunter springen. Mit Mühe und schwer erschrocken hielt ich ihn damals ab.
Und jetzt fielen mir die Vipern ein, und ich zitterte, daß ich ihm eine Eisenwaffe gegeben. Und bald fand ich ihn im Walde, mitten im Steingeklüft, unter Dornen und Gestrüpp: da holte er einen mächtigen Holzschild hervor, den er sich selbst gezimmert und dort versteckt hatte. Und eine Krone war frisch drauf gemalt.
Und er zog sein Schwert und sprang laut jauchzend in die Höhle.
Ich sah mich um: da lag das lang mächtige Gewürm zu halben Dutzenden von frühern Schlachten her mit zerhauenen Häuptern umhergestreut. Ich folgte, und so besorgt ich war, ich konnt' ihn nicht stören, wie er so heldenmütig focht! Er trieb eine dickgeschwollene Natter mit Steinwürfen aus ihrem Loch, daß sie sich züngelnd aufringelte: gerade wie sie zischend gegen ihn sprang, warf er blitzschnell den Schild vor und hieb sie mit einem Streich mitten entzwei. Da rief ich ihn an und schalt ihn herzhaft aus. Er aber sah trotzig drein und rief:
Da nahm ich ihn die nächsten Tage mit mir zum Einfangen der Rosse auf die Wildweide. Das vergnügte ihn sehr: und nächstens, dacht' ich, brechen wir ja auf.
Aber eines Morgens war er mir wieder entschlüpft, und ich ging allein an die Arbeit. Den Rückweg nahm ich den Fluß entlang, gewiß, ihn an der Felshöhle zu finden. Aber ihn fand ich nicht. Nur das Gehäng seines Schwertes, zerrissen, an den Dornen hangen und seinen Holzschild zertreten auf der Erde. Erschrocken sah ich umher und suchte, aber -»
«Rascher, weiter», rief der König.
«Aber?» fragte Hildebad.
«Aber in den Felsen war nichts zu sehen. Da gewahrte ich große Fußspuren eines Mannes im weichen Sande. Ich folgte ihnen.
Sie führten bis an den steilen Rand des Felsens. Ich sah hinab. Und unten» -
Witichis wankte.
«Ach, mein armer Herr! Da lag am Ufer des Flusses hingestreckt die kleine Gestalt.
Wie ich die steilen Felsschroffen hinabkam, ich weiß es nicht, im Flug war ich unten. - Da lag er, das kleine Schwert noch fest in der Hand, von den Felsspitzen zerrissen, das lichte Haar von Blut überströmt -»
«Halt ein», sprach Teja, die Hand auf seine Schultern legend, indes Hildebad des armen Vaters Hand faßte, der stöhnend auf sein Lager sank.
«Mein Kind, mein süßes Kind, mein Weib!» rief er.
«Ich fühlte das kleine Herz noch schlagen. Wasser aus dem Fluß brachte ihn nochmal zu sich. Er schlug die Augen auf und erkannte mich.
Teja biß die Lippen. «O der Neidling», rief Hildebad. Und
Witichis riß sich mit einem Schrei des Schmerzes los.
«Mach's kurz», sagte Teja. - «Er verlor wieder die Sinne. Ich trug ihn auf meinen Armen nach Hause zur Mutter. Noch einmal schlug er die Augen auf, in ihrem Schoß. Ein Gruß an dich war sein letzter Hauch.»
«Und mein Weib - ist sie nicht verzweifelt?»
«Nein, Herr, das ist sie nicht: die ist von Gold, aber auch von Stahl. Wie der Knabe die Augen geschlossen, zeigte sie schweigend zum Fenster hinaus, nach rechts.
Ich verstand sie: dort stand des Mörders Haus.
Und ich waffnete alle deine Knechte und führte sie hinüber zur Rache: wir legten den ermordeten Knaben auf deinen Schild und trugen ihn in unsrer Mitte zur Mordklage. Und Rauthgundis ging mit, ein Schwert in der Hand, hinter der Leiche. Vor dem Tor der Villa legten wir den Knaben nieder.
Calpurnius selbst war entflohn auf dem schnellsten Roß zu Belisar. Aber sein Bruder und sein Sohn und zwanzig Sklaven standen im Hof: sie wollten eben zu Pferd steigen und ihm folgen. Wir erhoben dreimal den Mordruf. Dann brachen wir ein.
Wir haben sie alle erschlagen, alle, und das Haus niedergebrannt über den Bewohnern. Frau Rauthgundis aber sah dem allen zu, an der Leiche Wacht haltend, auf ihr Schwert gestützt, und sprach kein Wort. Und mich schickte sie tags darauf voraus, nach dir zu suchen. Sie folgte mir bald darauf, sowie sie die kleine Leiche verbrannt. Und da ich einen Tag verloren, durch die Empörer vom nächsten Wege abgesperrt, so kann sie stündlich da sein.»
«Mein Kind, mein Kind, mein armes Weib! Das ist der erste Ertrag, den mir diese Krone bringt. Und nun», rief er mit aller Heftigkeit des Schmerzes den Alten an, «willst du noch das Grausame fordern, das Untragbare?»
Hildebrand stand langsam auf: «Nichts ist untragbar, was notwendig ist. Auch der Winter ist tragbar. Und das Alter. Und der Tod. Sie kommen, ohne zu fragen, wollt ihr's tragen? Sie kommen. Und wir tragen's. Weil wir müssen. Aber ich höre Frauenstimmen und rauschende Gewande. Gehen wir.»
Witichis wandte sich von ihm zur Tür.
Da stand, unter dem Zeltvorhang, in grauem Gewand und schwarzem Schleier Rauthgundis, sein Weib, eine kleine, schwarze Marmorurne an die Brust drückend.
Ein Ruf liebereichen Schmerzes und schmerzreicher Liebe: - -und die Gatten hielten sich umfangen.
Schweigend verließen die Männer das Zelt.
Draußen hielt Teja den Alten leise am Mantel zurück: «Du quälst den König umsonst», sagte er. «Er wird nie darein willigen. Er kann's auch nicht. Jetzt am wenigsten.»
«Woher weißt du...?» unterbrach der Greis. - «Still; ich ahn' es: wie ich alles Unglück ahne.»
«Dann wirst du auch einsehen, daß er muß.» - «Er, er wird's nie tun.» - «Aber - du meinst sie selbst?» - «Vielleicht!» - «Sie wird», sagte Hildebrand.
«Ja, sie ist ein Wunder von einem Weib», schloß Teja.
Während in den nächsten Tagen das jetzt kinderlose Paar seinem stillen Schmerze lebte und Witichis kaum sein Zelt verließ, geschah es, daß die Vorposten der königlichen Belagerer und die Außenwachen der gotischen Besatzung von Ravenna, den eingetretenen tatsächlichen Waffenstillstand benutzend, in mannigfachen Verkehr traten.
Sie warfen sich, scheltend und zankend, gegenseitig die Schuld an diesem Bürgerkrieg vor.
Die Belagerer klagten, daß die Besatzung in der höchsten Not des Reiches dem gewählten König der Goten seine Königsburg verschlossen. Die Ravennaten schmähten auf Witichis, der der Tochter der Amaler nicht gönne, was ihr gebühre.
Einer solchen Unterredung hörte unbemerkt der alte Graf Grippa von Ravenna selber zu, der die Runde auf den Wällen machte. Plötzlich trat er vor und rief zu den Leuten des Witichis hinunter, die ihren König lobten und rühmten:
«So? Ist das euch edel und königlich gehandelt, daß er statt aller Antwort auf unsern billigen Spruch Sturm lief wie ein Rasender? Und hatte doch ein so leichtes Mittel, das Gotenblut zu sparen! Wir wollen ja nur, daß Mataswintha Königin sei! Nun, kann er deshalb nicht König bleiben? Ist's ein zu hartes Opfer, mit dem schönsten Weib der Erde, mit der Fürstin Schönhaar, von deren Reiz die Sänger singen auf den Straßen, Thron und Lager zu teilen? Mußten lieber soviel tausend tapferer Goten sterben? Nun, er soll nur so fortstürmen! Laß sehn, was eher bricht: sein Eigensinn oder diese Felsen.»
Diese Worte des Alten machten den größten Eindruck auf die Goten vor den Wällen.
Sie wußten nichts zu erwidern zu ihres Königs Verteidigung. Von seiner Ehe wußten sie so wenig wie das ganze Heer, daran hatte auch Rauthgundens Anwesenheit im Lager wenig geändert; denn, wahrlich, nicht gleich einer Königin war sie eingezogen.
In großer Erregung eilten sie zurück ins Lager und erzählten, was sie vernommen, wie der Eigensinn des Königs ihre Brüder hingeopfert. «Darum also hat er die Botschaft aus der Stadt verheimlicht!» riefen sie.
Bald bildeten sich in jeder Gasse des Lagers Gruppen, lebhaft bewegte, die anfangs leiser, bald immer lauter die Sache besprachen und auf den König schalten. Die Germanen jener Zeit behandelten ihre Könige mit einem Freimut der Rede, der
die Byzantiner entsetzte.
Hier wirkten der Verdruß über den Rückzug von Rom, die Schmach der Niederlage vor Ravenna, der Schmerz um die geopferten Brüder, der Zo rn über sein Geheimtun zusammen, einen Sturm des Unwillens gegen den König zu erregen, der deshalb nicht minder mächtig, weil er noch nicht offen ausgebrochen.
Nicht entging diese Stimmung den Heerführern, wann sie durch die Gassen des Lagers schritten und bei ihrem Nahen die Drohworte kaum mehr verstummten. Aber sie konnten die Gefahr nur entfesseln, wenn sie strafend sie beim Namen nannten.
Und oft, wann Graf Teja oder Hildebad beschwichtigend einschreiten wollten, hielt sie der alte Waffenmeister zurück.
«Laßt es nur noch anschwellen», sagte er, «wenn's genug ist, werd' ich's dämmen. Die einzige Gefahr wäre», murmelte er halblaut vor sich hin -
«Daß uns die drüben im Rebellenlager zuvorkämen», sagte Teja.
«Richtig, du alles Erratender. Aber das hat gute Wege. Überläufer erzählen, daß sich die Fürstin standhaft weigert. Sie droht, sich eher zu töten als Arahad die Hand zu reichen.»
«Pah», meinte Hildebad, «daraufhin würd' ich's wagen.»
«Weil du das leidenschaftliche Geschöpf nicht kennst, das Amalungenkind. Sie hat das Blut und die Feuerseele Theoderichs und wird auch uns am Ende böses Spiel machen.»
«Witichis ist ein anderer Freier als jener Knabe von Asta», flüsterte Teja. «Darauf vertrau' ich auch», meinte Hildebad. «Gönnt ihm noch einige Tage Ruhe», riet der Alte. «Er muß seinem Schmerz sein Recht antun: eh' ist er zu nichts zu bringen. Stört ihn nicht darin: laßt ihn ruhig in seinem Zelt und bei seinem Weibe. Ich werde sie bald genug stören müssen.»
Aber der Greis sollte bald genötigt sein, den König früher und anders, als er gemeint, aus seinem Schmerz aufzurufen.
Die Volksversammlung zu Regeta hatte gegen diejenigen Goten, die zu den Byzantinern übergingen, ein Gesetz erlassen, das schimpflichen Tod drohte. Solche Fälle kamen zwar im ganzen selten, aber doch in den Gegenden, wo wenige Germanen unter dichter Bevölkerung lebten und häufige Mischheiraten stattgefunden hatten, häufiger vor.
Der alte Waffenmeister trug diesen Neidingen, die sich und ihr Volk entehrten, ganz besonderen Zorn. Er hatte jenes Gesetz beantragt gegen Heereslitz und Fahnenwechsel. Noch war eine Anwendung desselben nicht nötig gewesen, und man hatte der Bestimmung fast vergessen.
Plötzlich sollte man ernst genug daran gemahnt werden.
Belisar selbst hatte zwar Rom mit seinem Hauptheer noch nicht verlassen. Aus mehr als einem Grunde wollte er vorläufig noch diese Stadt zum Stützpunkt all seiner Bewegungen in Italien machen.
Aber er hatte den weichenden Goten zahlreiche Streifscharen nachgesandt, sie zu verfolgen, zu beunruhigen und insbesondere die zahlreichen Kastelle, Burgen und Städte zu übernehmen, in welchen die Italier die barbarischen Besatzungen vertrieben oder erschlagen hatten oder, von keiner Besatzung im Zaum gehalten, einfach zum «Kaiser der Romäer», wie er sich auf griechisch nannte, abgefallen waren.
Solche Vorfälle ereigneten sich, besonders seit der gotische König in vollem Rückzug und nach Ausbruch der Empörung die gotische Sache halb verloren schien, fast alle Tage. Teils mit dem Druck, teils ohne den Druck oder die Erscheinung byzantinischer Truppen vor den Toren ergaben sich viele Schlösser und Städte an Belisar.
Da nun die meisten doch lieber den Schein einer Nötigung abwarteten, um, falls die Goten gleichwohl unverhofft wieder siegen sollten, eine Entschuldigung zu finden, war dies für den Feldherrn ein weiterer Grund, solche kleinen Abteilungen, meist aus Italiern und Byzantinern gemischt, unter Führung der Überläufer, die der Gegend und der Verhältnisse kundig waren, auszusenden. Und diese Scharen, ermutigt durch den fortgesetzten Rückzug der Goten, wagten sich weit ins Land; jedes gewonnene Kastell wurde ein Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen.
Eine solche Streifschar hatte jüngst auch Castellum Marcianum gewonnen, das bei Cäsena, ganz in der Nähe des königlichen Lagers, eine Felshöhe oberhalb des großen Pinienwaldes krönte. Der alte Hildebrand, an den Witichis seit seiner Verwundung den Oberbefehl abgegeben, sah diese gefährlichen Fortschritte der Feinde und den Verrat der Italier mit Ingrimm: und da er ohnehin die Truppen nicht gegen Herzog Guntharis oder gegen Ravenna beschäftigen wollte - er hoffte auf eine friedliche Lösung des Knotens -, beschloß er, gegen diese kecken Streifscharen einen züchtigenden Streich zu tun.
Späher hatten gemeldet, daß, am Tage nach Rauthgundens Ankunft im Lager, die neue, byzantinische Besatzung von Castellum Marcianum sogar Cäsena, diese wichtige Stadt im Rücken des gotischen Lagers, zu bedrohen wagte.
Grimmig schwur der alte Waffenmeister diesen Frechen das Verderben. Er selbst stellte sich an die Spitze einer Tausendschaft von Reitern, die in der Stille der Nacht, Stroh um die Hufe der Rosse gewickelt, in der Richtung gegen Cäsena aufbrachen.
Der Überfall gelang vollkommen.
Unbemerkt gelangten sie bis in den Wald, an den Fuß des hoch auf dem Fels gelegenen Kastells. Hier verteilte Hildebrand die Hälfte seiner Reiter auf alle Seiten des Waldes, die andere Hälfte ließ er absitzen und führte sie leise die Felswege des
Kastells hinan. Die Wache am Tor ward überrascht, und die Byzantiner, von einer überlegenen Macht überfallen, flohen nach allen Seiten den Fels hinab in den Wald, wo der große Teil von den Berittenen gefangen wurde. Die Flammen des brennenden Schlosses erleuchteten die Nacht.
Eine kleine Gruppe aber zog sich fechtend über das Flüßchen am Fuß des Felsens zurück, über das nur eine schmale Brücke führte. Hier wurden die verfolgenden Reiter Hildebrands von einem einzelnen aufgehalten, einem Anführer, nach dem Glanz der Rüstung zu schließen.
Dieser hochgewachsene und schlanke, wie es schien noch junge Mann - sein Visier war dicht geschlossen - focht wie ein Verzweifelter, deckte die Flucht der Seinen und hatte schon vier Goten niedergestreckt.
Da kam der alte Waffenmeister zur Stelle und sah eine Weile den ungleichen Kampf mit an.
«Gib dich gefangen, tapferer Mann!» rief er dem einsamen Krieger zu, «dein Leben sichr' ich dir.»
Bei diesem Ruf zuckte der Byzantiner zusammen: einen Augenblick senkte er das Schwert und sah auf den Alten. Aber schon im nächsten Moment sprang er wütend vor und wieder zurück; er hatte dem vordersten Angreifer mit gewaltigem Streich den Arm vom Leibe geschlagen. Entsetzt wichen die Goten etwas zurück.
Hildebrand ergrimmte. «Drauf!» schrie er, vorspringend, «jetzt keine Gnade mehr! Zielt mit den Speeren.» - «Er ist gefeit gegen Eisen!» rief einer der Goten, ein Vetter Tejas, «dreimal hab' ich ihn getroffen - er ist nicht zu verwunden.»
«Meinst du, Aligern?» lachte der Alte grimmig, «laß sehen, ob er auch gegen Stein gefeit ist.»
Und er schleuderte seinen steinernen Wurfhammer - er war fast der einzige, der nicht von dieser heidnisch alten Waffe gelassen - sausend gegen den Byzantiner.
Die wuchtige Steinaxt schlug krachend grad auf den stolz geschweiften Helm, und wie blitzgetroffen fiel der Tapfere nieder. Zwei Männer sprangen rasch hinzu und lösten ihm den Helm.
«Meister Hildebrand», rief Aligern erstaunt, «das war kein Byzantiner.» - «Und kein Italier», sagte Gunthamund. «Sieh die Goldlocken - das war ein Gote!» meinte Hunibad. Hildebrand trat hinzu - - und schrak zusammen.
«Fackeln her», rief er - «Licht! - - Ja», sprach er finster, seinen Steinhammer wieder aufhebend, «das war ein Gote. Und ich - ich hab' ihn erschlagen», fügte er mit eisiger Ruhe hinzu. Aber seine Faust zitterte am Hammerschaft.
«Nein, Herr», rief Aligern, «er lebt. Er war nur betäubt! Er schlägt die Augen auf.»
«Er lebt?» fragte der Alte mit Grauen, «das woll'n die Götter nicht!» - «Ja, er lebt!» wiederholten die Goten, ihren Gefangenen aufrichtend. «Dann weh über ihn und mich! Aber nein! Ihn senden die Götter der Goten in meine Gewalt! Bind ihn auf dein Roß, Gunthamund, aber fest! Und wenn er entwischt, gilt es deinen Kopf statt des seinen. Auf, zu Pferd und nach Hause!»
Im Lager angelangt, fragte die Bedeckung den Waffenmeister, was sie für diesen Gefangenen rüsten sollten.
«Einen Bund Stroh für heute nacht», sagte der, «und für morgen früh - einen Galgen.» Mit diesen Worten ging er in das Zelt des Königs und berichtete den Erfolg seines Zuges.
«Wir haben unter den Gefangenen», schloß er finster, «einen gotischen Überläufer. Er muß hängen, ehe die Sonne morgen niedergeht.» - «Das ist sehr traurig», sagte Witichis seufzend. -«Ja, aber notwendig. Ich berufe das Kriegsgericht der Heerführer auf morgen. Willst du den Vorsitz führen?» -«Nein», sagte Witichis, «erlaß mir's: ich bestelle Hildebad an meiner Statt.» - «Nein», sagte der Alte, «das geht nicht an. Ich bin Oberfeldherr, solang du im Zelte liegst: ich fordere den Vorsitz als mein Recht.» Witichis sah ihn an: «Du siehst grimmig und so kalt! Ist's ein alter Feind deiner Sippe?» -«Nein», sprach Hildebrand. - «Wie heißt der Gefangene?» -«Wie ich, Hildebrand.» - «Höre, du scheinst ihn zu hassen, diesen Hildebrand! Du magst ihn richten, aber hüte dich vor übertriebener Strenge. Vergiß nicht, daß ich gern begnadige.»
«Das Wohl der Goten fordert seinen Tod», sagte Hildebrand ruhig, «und er wird sterben.»
Früh am andern Morgen wurde der Gefangene verhüllten Hauptes hinausgeführt auf eine Wiese, im Norden, «an der kalten Ecke» des Lagers, wo sich die Heerführer und ein großer Teil der Heermänner versammelt hatten.
«Höre», sagte der Gefangene zu einem seiner Begleiter, «ist der alte Hildebrand auf dem Dingplatz?»
«Er ist das Haupt des Dings.»
«Barbaren sind und bleiben sie! Tu mir den Gefallen, Freund -ich schenke dir dafür diese purpurne Binde - und geh zu dem Alten. Sag' ihm: ich wisse, daß ich sterben muß. Aber er möge doch mir - und mehr noch meinem Geschlecht - hörst du? -meinem Geschlecht - die Schande des Galgens ersparen. Er möge mir heimlich eine Waffe senden.» Der Gote, Gunthamund, ging, Hildebrand zu suchen, der das Gericht bereits eröffnet hatte. Das Verfahren war sehr einfach. Der Alte ließ zuerst das Gesetz von Regeta vorlesen, dann von Zeugen feststellen, wie man sich des Gefangenen bemächtigt, darauf diesen selbst vorführen. Noch immer bedeckte ein Wollsack sein Haupt und seine Schultern. Eben sollte dieser abgenommen werden, als Gunthamund sich zu Hildebrand drängte und in sein Ohr flüsterte.
«Nein», sagte dieser, die Stirn runzelnd. «Ich laß ihm sagen: die Schmach für sein Geschlecht sei seine Tat, nicht seine Strafe.» Und laut fuhr er fort: «Zeigt das Antlitz des Verräters! Er ist Hildebrand, der Sohn des Hildegis!»
Ein Ruf des Staunens und Schreckens lief durch die Menge.
«Sein eigner Enkel!» - «Alter, du sollst nicht weiter richten! Du bist grausam gegen dein Fleisch und Blut!» rief Hildebad aufspringend. «Nur gerecht, aber gegen alle», sagte Hildebrand, den Stab auf die Erde stoßend. «Armer Witichis!» flüsterte Graf Teja.
Aber Hildebad sprang auf und eilte hinweg nach dem Lager.
«Was kannst du für dich vorbringen, Sohn des Hildegis?» fragte Hildebrand.
Der junge Mann trat hastig vor: sein Antlitz war von Zorn gerötet, nicht von Scham, keine Spur von Furcht lag auf seinen Zügen. Sein langes, gelbes Haar flog im Wind. Die Menge war von Mitgefühl ergriffen. Schon der Bericht seines todesmutigen Widerstandes, dann die Entdeckung seines Namens, endlich jetzt seine Jugend und Schönheit sprachen mächtig für ihn. Er ließ sein Auge flammend die Reihen durchfliegen und mit Stolz auf dem Alten haften.
«Ich verwerfe dies Gericht! Euer Gesetz trifft mich nicht! Ich bin Römer, kein Gote! Mein Vater starb vor meiner Geburt, meine Mutter war eine Römerin, die edle Cloelia. Diesen barbarischen Alten hab' ich nie als mir verwandt empfunden. Seine Strenge hab' ich verachtet, wie seine Liebe. Seinen Namen hat er mir, dem Kinde, aufgezwungen, mich meiner Mutter entrissen. Ich aber entlief ihm, sobald ich konnte: nicht Hildebrand, Flavus Cloelius habe ich mich von je genannt. Römisch waren meine Freunde, römisch von jeher meine Gedanken, römisch mein Leben. All meine Freunde gingen zu Belisar und Cethegus: sollt' ich zurückbleiben? Tötet mich, ihr könnt es und ihr werdet's. Aber gesteht, daß es Mord ist, nicht
Rechtsvollzug. Ihr richtet keinen Goten, ihr ermordet einen gefangenen Römer. Denn römisch ist meine Seele.»
Schweigend, mit gemischten Empfindungen, hörte die Menge diese Verteidigung.
Da erhob sich ingrimmig der Alte, sein Auge sprühte Blitze, seine Hand zitterte vor Zorn an dem Stabe. «Elender!» schrie er, «du bist eines gotischen Mannes Sohn, das räumst du ein. So bist du denn ein Gote, und wenn du dich als Römer fühlst, verdienst du, schon dafür zu sterben. Sajonen, fort mit ihm, an den Galgen.»
Da trat der Gefangene nochmals an die Schranken der Stufe. «So sei verflucht», schrie er, «du tierisch rohes Volk! Verflucht, ihr Barbaren allesamt, und zumeist du, Greis, mit dem Wolfsherzen! Glaubt nicht, daß all eure Wildheit euch frommt und eure Grausamkeit! Hinweggetilgt sollt ihr werden aus diesem schönen Land, und keine Spur soll von euch künden.»
Auf einen Wink des Alten warfen ihm die Bannboten wieder die Hülle ums Haupt und führten ihn ab nach einem Hügel, wo ein starker Eibenbaum aller seiner Zweige und Blätter beraubt war. Da wurden die Augen der Menge von ihm nach dem Lager abgelenkt, aus dem Lärm und Hufschlag eilender Rosse nahte.
Es war ein Zug Reiter mit dem königlichen Banner, Witichis und Hildebad an der Spitze. «Haltet ein», rief der König von weitem, «schont den Enkel Hildebrands: Gnade, Gnade!»
Aber der Alte wies nach dem Hügel.
«Zu spät, Herr König», rief er laut, «es ist aus mit dem Verräter. So geh' es jedem, der seines Volkes vergißt. Erst kommt das Reich, König Witichis, und dann kommen Weib und Kind und Kindeskind.»
Groß war der Eindruck dieser Tat Hildebrands auf das Heer, größer noch auf den König. Witichis fühlte das Gewicht, das durch dieses Opfer jede Forderung des Alten gewonnen hatte. Und mit dem Gefühl, daß jetzt jeder Widerstand viel schwerer geworden, kehrte er in sein Zelt zurück. Und Hildebrand benutzte seinen Vorteil, die Stimmung. Er trat am Abend mit Teja in das Zelt des Königs.
Schweigend, Hand in Hand saßen die Gatten auf dem Feldbett; auf dem Tisch vor ihnen stand die schwarze Urne, daneben lag eine Goldkapsel nach Art der Amulette an blauem Bande: die kleine römische Bronzelampe verbreitete nur trübes Licht. Als Hildebrand dem König die Hand reichte, sah ihm dieser ins Antlitz: ein Blick sagte ihm, daß Hildebrand mit dem festen Entschluß eingetreten sei, jetzt seinen Gedanken durchzusetzen um jeden Preis.
Alle Anwesenden schienen stillschweigend von dem Eindruck des bevorstehenden Seelenringens durchschauerte
«Frau Rauthgundis», hob der Alte an, «ich habe Hartes mit dem König zu reden. Es wird euch kränken, es zu hören.»
Die Frau erhob sich, aber nicht um zu gehen. Der Ausdruck tiefen Schmerzes und tiefer Liebe zu ihrem Gatten gab den regelmäßigen, festen Zügen eine edle Weihe. Sie legte, ohne die Rechte aus der Hand des Gatten zu ziehen, leise die Linke auf seine Schulter.
«Sprich nur fort, Hildebrand, ich bin sein Weib und fordre die Hälfte dieser Härte.»
«Frau» mahnte der Alte nochmal.
«Laß sie bleiben», sprach der König, «fürchtest du, ihr ins Angesicht deine Gedanken zu sagen?» - «Fürchten? Nein! Und sollt' ich einem Gott ins Antlitz sagen, das Volk der Goten ist mir mehr als du - ich tät's ohne Furcht: Wisse denn...»
«Wie? Du willst? Schone, schone sie», sprach Witichis, den Arm um seine Frau schlingend. Aber Rauthgundis sah ihn groß und fest an: «Ich weiß alles, mein Witichis. Wie ich gestern abend durchs Lager wandelte, unerkannt, im Schutz der Dämmerung, hörte ich die Heermänner an den Feuern auf dich schelten und diesen Alten hoch erheben. Ich lauschte und hörte
alles, was dieser fordert und was du weigerst.»
«Und du hast mir nichts gesagt?» - «Hat es doch keine Gefahr. Weiß ich doch, daß du dein Weib nicht verstoßen wirst. Nicht um eine Krone und nicht um jenes zauberschöne Mädchen. Wer will uns scheiden? Laß diesen Alten drohn: ich weiß ja doch, es hängt kein Stern am Himmel fester als ich an deinem Herzen.»
Diese Sicherheit wirkte auf den Alten.
Er furchte die Stirn: «Nicht mit dir hab' ich zu rechten. Witichis, ich frage dich vor Teja: du weißt, wie es steht. Ohne Ravenna sind wir verloren - Ravenna öffnet dir nur Mataswinthens Hand. - Willst du diese Hand fassen oder nicht?»
Da sprang Witichis auf. «Ja, unsre Feinde haben recht! Wir sind Barbaren! Da steht vor diesem fühllosen Alten ein herrlich Weib, an Schmerzen wie an Treue unerreicht, vor ihm steht die Asche unseres gemordeten Kindes, und er will von diesem Weib, von dieser Asche weg den Gatten zu neuer Ehe rufen. Nie, niemals!»
«Vor einer Stunde waren Vertreter aller Tausendschaften des Heeres auf dem Weg in dein Zelt», sprach der Greis. «Sie wollten erzwingen, was ich fordre. Ich hielt sie mit Mühe ab.»
«Laß sie kommen!» rief Witichis, «sie können mir nur die Krone nehmen, nicht mein Weib.»
«Wer die Krone trägt, ist seines Volkes, nicht mehr sein eigen.»
«Hier», da ergriff Witichis den Kronhelm und legte ihn auf den Tisch vor Hildebrand, «noch einmal geb' ich euch zum letztenmal die Krone zurück. Ich habe sie nicht verlangt, weiß Gott. - Sie hat mir nichts gebracht als diese Aschenurne. -Nehmt sie zurück: laßt König sein, wer will und Mataswintha frein.»
Aber Hildebrand schüttelte das Haupt. «Du weißt, das führt zum sichersten Verderben. Schon jetzt sind wir in drei Parteien gespalten. Viele Tausende würden Arahad nie anerkennen. Du bist's allein, der noch alles zusammenhält. Fällst du weg, so lösen wir uns auf, ein Bündel losgebundner Ruten, die Belisar im Spiele bricht. Willst du das?»
«Frau Rauthgundis, kannst du kein Opfer bringen für dein Volk?» sprach Teja nähertretend.
«Auch du, hochsinniger Teja, gegen mich? Ist das deine Freundschaft?» - «Rauthgundis», sprach dieser ruhig, «ich ehre dich vor allen Frauen hoch, und Hohes fordre ich darum von dir.» -
Hildebrand aber begann: «Du bist die Königin dieses Volkes. Ich weiß von einer Gotenkönigin aus unsrer Ahnen Heidenzeit. Hunger und Seuchen lasteten auf ihrem Volk. Ihre Schwerter waren sieglos. Die Götter zürnten den Goten. Da fragte Swanhild die Eichen des Waldes und die Wellen des Meeres, und sie rauschten zur Antwort:
Und Swanhild wandte den Fuß nicht mehr nach Hause. Sie dankte den Göttern und sprang in die Flut. Aber freilich, das war die Heidenzeit.» Rauthgundis blieb nicht unbewegt. «Ich liebe mein Volk», sprach sie, «und seit von Athalwin nur diese Locke übrig», sie wies auf die Kapsel, «glaub' ich, gäb' ich mein Leben für mein Volk. Sterben will ich - ja», rief sie, «aber leben und diesen Mann meines Herzens in andrer Liebe wissen - nein.» «In andrer Liebe!» rief Witichis, «wie redest du mir so? Weißt du's denn nicht, wie ewig dies gequälte Herz nur nach dem Wohlklang deines Namens schlägt? Hast du's denn nicht empfunden, noch nicht, an dieser Urne nicht, wie ewig unsre Herzen eins? Was bin ich ohne deine Liebe? Reißt mir das Herz aus der Brust, setzt mir ein andres ein: dann etwa laß' ich von dieser Seele. Ja, wahrlich», rief er den beiden Männern zu, «ihr wißt nicht, was ihr tut, und kennt euren Vorteil schlecht. Ihr wißt nicht, daß meine Liebe zu diesem Weib und dieses Weibes Liebe das Beste ist am armen Witichis. Sie ist mein guter Stern. Ihr wißt nicht, daß ihr zu danken ist, ihr allein, wenn etwas euch an mir gefällt. An sie denk' ich im Getümmel der Schlacht, und ihr Bild stärkt meinen Arm. An sie denk' ich, an ihre Seele, klar und ruhig, an ihre makellose Treu', wenn's gilt, im Rat das Edelste zu finden. - O dieses Weib ist meines Lebens Seele, nehmt sie hinweg, und ein Schatte ohne Glück und Kraft ist euer König.» Und in leidenschaftlicher Erregung schloß er Rauthgundis in die Arme. Sie war erstaunt, selig erschrocken. Noch nie hatte der stete, ruhige Mann, der sein Gefühl gern scheu in sich verschloß, so von ihr, von seiner Liebe gesprochen. Nicht, da er um sie warb, wie jetzt, da er sie lassen sollte. Aufs mächtigste erschüttert sank sie an seine Brust: «Dank, Dank Gott, für diese Schmerzensstunde», flüsterte sie, «ja, jetzt weiß ich, dein Herz, deine Seele sind ewig mein.» «Und bleiben dein», sagte Teja leise, «wenn auch eine andre seine Königin heißt, sie teilt nur seine Krone, nicht sein Herz.» Das schlug tief in Rauthgundis' Seele. Sie sah, ergriffen von diesem Wort, mit großen Augen auf Teja. Hildebrand erkannte es wohl und sann darauf, jetzt seinen Hauptschlag zu führen. «Wer will, wer kann an eure Herzen rühren?» sprach er. «Ein Schatte ohne Glück und Kraft das wirst du nur, wenn du mein Wort verwirfst und brichst deinen heiligen, heiligen Eid. Denn der Meineidige ist hohler als ein Schatte.» «Seinen Eid?» fragte Rauthgundis erbebend. «Was hast du geschworen?» Witichis aber sank auf den Sitz und sein Haupt auf seine Hände. «Was hat er geschworen?» wiederholte sie. Da sprach Hildebrand, langsam jedes Wort in die Seele der Gatten zielend. «Wenige Jahre sind's. Da schloß ein Mann, in mitternächtiger Stunde, mit vier Freunden einen mächtigen Bund. Unter heiliger Eiche ward der Rasen geritzt, und er tat einen Eid bei der alten Erde, dem wallenden Wasser, dem flackernden Feuer und der leichten Luft. Und sie mischten ihr rotes Blut zu einem Bund von Brüdern auf immer und ewig und alle Tage. Sie schworen den schweren Schwur, zu opfern alles Eigen: Sohn und Sippe, Leib und Leben, Waffen und Weib dem Glück und Glanz des Geschlechtes der Goten. Und wer von den Brüdern sich wollte weigern, den Eid zu ehren mit allen Opfern, des rotes Blut sollte rinnen ungerecht wie dies Wasser unter dem Waldrasen. Auf sein Haupt solle die Himmelshalle niederdonnern und ihn erdrücken. Und wer vergißt dieses Eides, und wer sich weigerte alles zu opfern dem Volk der Goten, wenn die Not es gebeut und ein Bruder ihn mahnt, der soll verfallen sein auf immer den dunkeln Gewalten, die da hausen unter der Erde. Gute Menschen sollen mit Füßen schreiten über des Neidings Haupt und sein Andenken verschlungen sein spurlos in der Tiefe - oder wer seiner gedenkt, gedenke sein mit Fluchen, und verdammt soll sein seine Seele zu ewiger Qual. Und ehrlos soll sein Name, so weit Christenleute Glocken läuten und Heidenleute Opfer schlachten, so weit der Wind weht über die weite Welt. So ward geschworen in jener Nacht von fünf Männern: von Hildebrand und Hildebad, von Totila und Teja. Wer aber war der fünfte? Witichis, Waltaris Sohn.» Und - rasch streifte er dem König das Gewand über den linken Knöchel zurück. «Sieh her, Rauthgundis, noch ist die Narbe des Blutschnitts nicht verwischt. Aber der Schwur ist verwischt in seiner Seele. So schwor er damals, als er noch nicht König war. Und als ihn die Tausende von gotischen Männern auf dem Feld von Regeta auf den Schild erhoben, da tat er einen zweiten Schwur: Und habe meinen Enkel, den letzten Sproß meines Geschlechtes, geopfert, gerichtet für die Goten, ohne Zucken mit den Wimpern. Sprich, willst du das gleiche tun? Willst du halten deinen Eid, oder ihn brechen und ehrlos unter den Lebendigen, verflucht sein unter den Toten, willst du?» Witichis wand sich im Schmerz unter den Worten des furchtbaren Alten. Da erhob sich Rauthgundis. Die Linke auf ihres Mannes Herz gelegt, die Rechte wie abwehrend gegen Hildebrand ausstreckend, sprach sie: «Halt ein. Laß ab von ihm. Es ist genug, schon längst. Er tut, was du begehrst. Er wird nicht ehrlos und eidbrüchig an seinem Volke, um sein Weib.» Aber Witichis sprang auf und umfaßte sie, als wollte man ihm sein Weib sogleich entreißen. «Geht jetzt», sprach sie zu den Männern, «laßt mich allein mit ihm.» Teja wandte sich zum Ausgang, Hildebrand zögerte. «Geh nur, ich gelobe es dir», sprach sie, die Hand auf die Marmorurne legend, «bei der Asche meines Kindes: mit Sonnenaufgang ist er frei.» «Nein», sprach Witichis, «ich stoße mein Weib nicht von mir, nie.» «Das sollst du nicht. Nicht du vertreibst mich: ich wende mich von dir. Rauthgundis geht, ihr Volk zu retten und ihres Gatten Ehre. Du kannst dein Herz nie von mir lösen: ich weiß es, es bleibt mein, seit heute mehr denn je. Geht, was jetzt zwischen uns beiden zu reden ist, trägt keinen Zeugen.» Schweigend verließen die Männer das Zelt, schweigend gingen sie miteinander die Lagergasse hinab, an der Ecke hielt der Alte. «Gute Nacht, Teja», sagte er, «jetzt ist's getan.» «Ja, doch wer weiß, ob wohlgetan. Ein edles Opfer, noch viele andre werden folgen, und mir ist, dort in den Sternen steht geschrieben: umsonst. Doch gilt's die Ehre noch, wenn nicht den Sieg. Leb' wohl.» Und er schlug den dunklen Mantel um die Schulter und verschwand wie ein Schatten in der Nacht.
Am andern Morgen noch vor Hahnenschrei ritt ein verhülltes Weib aus dem Gotenlager. Ein Mann im braunen Kriegermantel schritt neben ihr, das Roß am Zügel führend und immer wieder in ihr verschleiertes Antlitz schauend. Einen Pfeilschuß hinter ihnen ritt ein Knecht, ein Bündel hinter sich auf dem Sattel, an dem die schwere Streitaxt hing.
Lange verfolgten sie schweigend ihren Weg.
Endlich hatten sie eine Waldhöhe erreicht: hinter ihnen die breite Niederung, in der das Gotenlager und die Stadt Ravenna ruhten, vor ihnen die Straße, die nach der Villa Aemilia im Nordwesten führte.
Da hielt das Weib den Zügel an.
«Die Sonne steigt soeben auf: ich hab's gelobt, daß sie dich frei und ledig findet. Leb' wohl, mein Witichis.» - «Eile nicht so hinweg von mir», sagte er, ihre Hand drückend. - «Wort muß man halten, Freund, und bricht das Herz darob. Es muß sein.» -«Du gehst leichter, als ich bleibe.» Sie lächelte schmerzlich. «Ich lasse mein Leben hinter dieser Waldhöhe: Du hast noch ein Leben vor dir.» - «Was für ein Leben!» - «Das Leben eines Königs für sein Volk, wie dein Eid es gebeut.»
«Unseliger Eid.» - «Es war recht, ihn zu schwören: es ist Pflicht, ihn zu halten. Und du wirst mein gedenken in den Goldsälen von Rom, wie ich dein in meiner Hütte tief im Steingeklüft. Du wirst sie nicht vergessen, die zehn Jahre der Lieb' und Treu, und unsern süßen Knaben.»
«O mein Weib, mein Weib», rief der Gequälte und umschlang sie mit beiden Armen, das Haupt auf den Sattelknopf gedrückt. Sie beugte das Haupt über ihn und legte die Rechte auf sein braunes Haar.
Inzwischen war Wachis herangekommen: er sah der Gruppe eine Weile zu, dann hielt er's nicht mehr aus. Er zog leise seinen Herrn am Mantel: «Herr, paßt auf, ich weiß euch guten Rat, hört ihr nicht?»
«Was kannst du raten?»
«Kommt mit, auf und davon! Werft euch auf mein Pferd und reitet frisch davon mit Frau Rauthgundis. Ich komme nach. Laßt ihnen doch, die euch so quälen, daß euch die hellen Tropfen im Auge stehen, laßt ihnen doch den ganzen Plunder von Kron' und Reich. Euch hat's kein Glück gebracht: sie meinen's nicht gut mit euch: wer will Mann und Weib scheiden um eine tote Krone? Auf und davon, sag' ich! Und ich weiß euch ein Felsennest, wo euch nur der Adler findet oder der Steinbock.»
«Soll dein Herr von seinem Reich entlaufen, wie ein schlechter Sklave aus der Mühle? Leb' wohl, Witichis, hier nimm die Kapsel mit dem blauen Band: des Kindes Stirnlocken sind darin und eine», flüsterte sie, ihn auf die Stirn küssend und das Medaillon umhängend, «und eine von Rauthgundis. Leb'
wohl, du mein Leben!»
Er richtete sich auf, ihr ins Auge zu sehen.
Da trieb sie das Pferd an: «Vorwärts, Wallada», und sprengte hinweg: Wachis folgte im Galopp, Witichis stand regungslos und sah ihr nach.
Da hielt sie, ehe die Straße sich ins Gehölz krümmte -nochmals winkte sie mit der Hand und war gleich darauf verschwunden.
Witichis lauschte wie im Traum auf die Hufschläge der eilenden Rosse. Erst als diese verhallt, wandte er sich.
Aber es ließ ihn nicht von der Stelle.
Er trat seitab der Straße, dort lag jenseits des Grabens ein großer moosiger Felsblock: darauf setzte sich der König der Goten und stützte die Arme auf die Knie, das Haupt in beide Hände. Fest drückte er die Finger vor die Augen, die Welt und alles draußen auszuschließen von seinem Schmerz.
Tränen drangen durch die Hände, er achtete es nicht. Reiter sprengten vorüber, er hörte es kaum. So saß er stundenlang regungslos, so daß die Vögel des Waldes bis dicht an ihn heran spielten.
Schon stand die Sonne im Mittag.
Endlich - hörte er seinen Namen nennen. Er sah auf: Teja stand vor ihm.
«Ich wußt' es wohl», sagte dieser, «du bist nicht feig entflohn. Komm mit zurück und rette das Reich. Als man dich heut' nicht in deinem Zelte fand, kam's gleich im ganzen Lager aus: du habest, an Krone und Glück verzweifelnd, dich davongemacht.
Bald drang's in die Stadt und zu Guntharis: die Ravennaten drohen einen Ausfall, sie wollen zu Belisar übergehn. Arahad buhlt bei unsrem Heer um die Krone. Zwei, drei Gegenkönige drohn. Alles fällt in Trümmer auseinander, wenn du nicht kommst und rettest.»
«Ich komme», sagte er, «sie sollen sich hüten! Es brach das beste Herz um diese Krone; sie ist geheiligt, und sie soll'n sie nicht entweihn. Komm, Teja, zurück ins Lager.»