Totila - Zweite Abteilung
Und fortan hielt König Totila Hof zu Rom herrlich und in Freuden. Des Krieges schwerste Aufgabe schien getan. Nach dem Falle von Rom öffneten die meisten kleinen Festungen an der Küste oder im Gebirge des Apennin die Tore, nur wenige mußten belagert und erobert werden. Dazu sandte der König seine Feldherrn aus: Teja, Guntharis, Grippa, Markja, Aligern, während er selbst zu Rom die schwere, die staatsmännische Aufgabe übernahm, das durch langjährigen Krieg und Aufstand zerrüttete Reich zu beruhigen, neu zu ordnen, beinahe neu zu gründen.
In alle Landschaften und Städte schickte er seine Herzoge und Grafen, in allen Gebieten des Staatslebens des Königs Gedanken auszuführen: zumal auch die Italier zu schützen wider die Rachsucht der siegreichen Goten. Denn er hatte eine allumfassende Verzeihung vom Kapitol herab verkündet, mit Ausnahme eines einzigen Hauptes: des Expräfekten Cornelius Cethegus Cäsarius.
Überall ließ er die zerstörten Kirchen, der Katholiken wie der Arianer, wieder herstellen, überall die Grundbesitzverhältnisse prüfen, die Steuern neu verteilen und herabsetzen.
Die segensreichen Früchte dieser Mühen blieben nicht aus. Schon seitdem Totila die Krone aufgesetzt und seinen ersten Aufruf erlassen, hatten die Italier in allen Landschaften die lang versäumte Feldarbeit wieder aufgenommen. Überall waren die gotischen Krieger angewiesen, sich jeder Störung hierin zu enthalten, Störungen durch die Byzantiner nach Kräften abzuwehren. Und eine wundersame Fruchtbarkeit der Gefilde, ein Herbstsegen an Getreide, Wein und Ö1, wie seit Menschenaltern unerhört, schien sichtbarlich die Gnade des Himmels für den jungen König zu bezeugen.
Die Kunde von der Einnahme von Neapolis und Rom durchflog das staunende Abendland, das bereits das Gotenreich in Italien als erloschen betrachtet hatte.
Mit dankbarer Bewunderung erzählten die Kaufleute, die der kräftige Rechtsschutz, die Sicherung der Landstraßen durch umherziehende Sajonen und Reitergeschwader, der See durch die immer wachsame Flotte der Goten wieder in die verödeten Städte und Häfen der Halbinsel zog, von der Gerechtigkeit und Milde des königlichen Jünglings, von dem Flor seines Reiches, von dem Glanz seines Hofes zu Rom, wo er die aus Flucht und Empörung zurückkehrenden Senatoren um sich versammelte und dem Volke reiche Spendungen und schimmervolle Zirkusfeste gab.
Die Könige der Franken erkannten den Umschlag der Dinge, sie schickten Geschenke: - Totila wies sie zurück, sie schickten Gesandte: Totila ließ sie nicht vor. Der König der Westgoten bot ihm offen Waffenbündnis gegen Byzanz und die Hand seiner Tochter; die awarischen und sclavenischen Räuber an der Ostgrenze wurden gezüchtigt: mit Ausnahme der wenigen noch belagerten Plätze, Ravenna, Perusium und einigen kleinen Kastellen, waltete Friede und Ruhe im ganzen Gotenreich, wie nur in den goldensten Tagen von Theoderichs Regiment.
Dabei verlor aber der König die Weisheit der Mäßigung nicht. Er erkannte, trotz seiner Siege, die drohende Überlegenheit des oströmischen Reiches und suchte ernstlich Frieden mit dem Kaiser. Er beschloß, eine Gesandtschaft nach Byzanz zu schicken, die den Frieden auf Grund von Anerkennung des gotischen Besitzstandes in Italien anbieten sollte; auf Sizilien, wo kein Gote mehr weilte, - nie waren die gotischen Siedlungen auf dem Eiland zahlreich gewesen - wollte er verzichten; ebenso auf die von den Byzantinern besetzten Teile von Dalmatien, dagegen sollte der Kaiser vor allem Ravenna räumen, das keine Kunst oder Ausdauer der gotischen Belagerer zu gewinnen vermocht hatte.
Als den geeignetsten Träger dieser Sendung des Friedens und der Versöhnung faßte der König den Mann ins Auge, der durch Ansehen und Würde der Person, durch hohen Ruhm der Weisheit auch im Ostreich getragen, durch Liebe zu Italien und den Goten ausgezeichnet war - den ehrwürdigen Cassiodor.
Obwohl sich der fromme Greis seit Jahren von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte, gelang es der Beredsamkeit des jungen Königs, ihn zu bewegen, für jenen hohen, gottgefälligen Zweck die Einsamkeit seiner Klosterstiftung zu verlassen und die Mühen und Gefahren einer Reise nach Byzanz zu unternehmen. Jedoch unmöglich konnte er dem alten Mann die Last einer solchen Sendung allein aufbürden: er suchte nach einem jugendkräftigen Gefährten von ähnlicher Milde christlicher Gesinnung, nach einem zweiten Apostel des Friedens. -
Wenige Wochen nach der Einnahme von Rom trug ein königlicher Bote folgendes Schreiben über die cottischen Alpen in die Provence: «An Julius Manilius Montanus, Totila, den sie der Goten und Italier König nennen.
Komm, mein geliebter Freund, komm zurück an meine Brust!
Jahre sind verstrichen: viel Blut, viele Tränen sind geflossen: in Schreck und in Freude hat sich mehr als einmal alles um mich her verwandelt, seit ich dir zum letztenmal die Hand gedrückt. Alles hat sich verwandelt um mich her: aber nichts in mir, nichts zwischen dir und mir. Noch verehre ich alle die Götter, an deren Altären wir gemeinsam in den ersten Träumen der Jugend geopfert, sind auch diese Götter mit mir selbst gereift.
Du wichest vom italienischen Boden, als Bosheit, Gewalt, Verrat, als alle dunkeln Mächte darauf wüteten. Siehe: sie sind verschwunden, hinweggefegt, hinweggesonnt: fernab ziehen grollend die besiegten Dämonen, ein Regenbogen wölbt sich schimmernd über diesem Reich.
Mich aber hat, nachdem bessere Kräfte glücklos, sieglos erlegen, mich hat der Himmel begnadigt, das Ende des furchtbaren Gewittersturmes zu schauen und die Saat zu streuen einer neuen Zeit. Komm nun, mein Julius: hilf mir jene Träume erfüllen, die du dereinst als Träume belächelt. Hilf mir, aus Goten und Italiern ein neues Mischvolk schaffen, das beider Vorzüge vereint, das beider Fehler ausschließt. Hilf mir erbauen ein Reich des Rechts und des Friedens, der Freiheit und der Schönheit, geadelt durch italische Anmut, getragen durch germanische Kraft.
Du hast, mein Julius, der Kirche ein Kloster gebaut - hilf mir nun, der Menschheit einen Tempel zu bauen.
Einsam bin ich, Freund, auf der Höhe des Glücks.
Einsam harrt die Braut der vollen Lösung des Gelübdes entgegen. Den treuen Bruder hat mir der Krieg geraubt. Willst du nicht kommen, mein dioskurischer Bruder? In zwei Monaten warte ich dein im Kloster zu Taginä mit Valeria.
Und Julius las, und mit gerührter Seele sprach er vor sich hin:
«Mein Freund, ich komme.»
*
Ehe König Totila von Rom nach Taginä aufbrach, beschloß er, eine Schuld tiefen Dankes abzutragen und ein Verhältnis würdig, das heißt schön, zu gestalten, das bisher seiner nach Harmonie verlangenden Seele nicht entsprach: sein Verhältnis zu dem ersten Helden seines Volkes, zu Teja.
Sie waren seit früher Knabenzeit befreundet. Obwohl Teja um mehrere Jahre älter, hatte er doch die Tiefe des Jüngern unter der glänzenden Hülle des Frohsinns von je erkannt und geehrt. Und ein gemeinsamer Zug zum Schwungvollen und Idealen, ja ein gewisser Stolz und Hochsinn hatte sie früh zueinander gezogen.
Später freilich hatte entgegengesetztes Geschick die von Anfang verschieden angelegten Naturen weit auseinander geführt. Die sonnenhelle Art des einen war wie blendende Verletzung grell in das nächtige Dunkel des andern gefallen.
Und Totila hatte in rascher Jugendlust das Düster des Schweigsamen, das er in seinem Wesen nicht begriff, in seinen Ursachen nicht kannte, nach wiederholten warmen Versuchen der Umstimmung als krankhaft von sich ferngehalten. Des milderen Julius, obzwar auch ernste, aber sanftere Weise, dann die Liebe, hatte den Freund aus der Knabenzeit zurückgedrängt.
Aber die letzten reifenden Jahre seit dem mächtigen Blut- und Bruderbund, die Leiden und Gefahren seit dem Tod des Valerius und Miriams, dem Brand von Neapolis, der Not vor Rom, dem Frevel zu Ravenna und Castra Nova und zuletzt die Pflichten und Sorgen des Königtums hatten den Jüngling, den ungeduldig fröhlichen, so voll gereift, daß er dem dunklen Freunde voll gerecht werden konnte.
Und was hatte dieser Freund geleistet, seit jener Bundesnacht! Wenn die andern alle müde erlahmten: Hildebads Ungestüm, Totilas Schwung, Witichis' ruhige Stete, selbst des alten Hildebrands eisige Ruhe - zu Regeta, vor Rom, nach Ravennas Fall und wieder vor Rom: was hatte er nicht geleistet! Was schuldete ihm das Reich!
Und er nahm keinen Dank. Wie eine Kränkung hatte er es abgewiesen, als ihm schon Witichis die Herzogwürde, Gold und Land bot. Einsam, schweigend schritt er schwermütig durch die Straßen Roms, im Sonnenschein von Totilas Nähe der letzte Schatten. Die schwarzen Augen tief gesenkt, stand er zunächst an des Königs Thron. Wortlos stahl er sich von des Königs Festen. Nie kamen Rüstung und Waffen von seinem Leibe. Nur im Kampfe lachte er manchmal, wann er mit den Tod verachtender oder den Tod suchender Kühnheit in die Speere der Byzantiner sprang, dann schien ihm wohl zu sein, dann war alles an ihm Leben, Raschheit und Feuer.
Man wußte im Gotenvolk, zumal Totila wußte es noch aus frühester Jünglingszeit, daß die Gabe des Gesanges in Lied und Wort dem trauervollen Helden eigen war. Aber seit er aus seiner Gefangenschaft in Griechenland zurückgekehrt war, hatte man nie ihn bewegen können, eines seiner glühenden, tief verhaltenen Lieder anzustimmen vor andern. Doch wußte man, daß die kleine dreieckige Harfe seine Begleiterin in Krieg und Frieden war, unzertrennlich wie sein Schwert an ihn gebunden. Und in der Schlacht im Ansturm hörte man ihn wohl manchmal wilde abgerissene Zeilen singen zu dem Takt der gotischen Hörner.
Und wer ihn in der Nacht beschlich, die er gern im Freien, zwischen der Wildnis von weißem Marmor und dunklem Gebüsch, in den römischen Ruinen verbrachte, der mochte wohl manchmal eine verlorene Weise seiner Harfe erlauschen, zu der er träumerische Worte sang. Fragte ihn aber einer - was selten gewagt wurde -, was ihm fehle, so wandte er sich schweigend ab. Einmal nach der Einnahme Roms antwortete er Herzog Guntharis auf die gleiche Frage: «Der Kopf des Präfekten.»
Der einzige, mit dem er häufiger verkehrte, war Adalgoth, dessen er sich in jüngerer Zeit angenommen. Der junge Hirt war vom König zu seinem Herold und zum Mundschenk erhöht worden, zum Dank für seine kühnen und rettenden Taten bei der Erstürmung des Tiberufers. Er hatte eine starke Anlage zum Singen und Sagen mitgebracht, obzwar mit geringerer Schulung. Teja hatte Freude an seiner Gabe gefunden: und man sagte, er lehre ihn geheim seine überlegne Kunst, obwohl sie zueinander stimmten wie Nacht und Morgenglanz. «Eben drum», hatte Teja gesagt, als ihm sein tapferer Vetter Aligern dies vorhielt. «Und es muß doch noch was übrigbleiben, wenn die Nacht versank.» -
Der König fühlte: das einzige, was diesem Mann zu bieten war, hatte er zu bieten, aber nicht Gold, Land und Würden.
Eines Abends - schon traten die Sterne aus dem rasch dunkelnden Himmel - machte sich der König auf von dem
Abendgelag in seinem Palast (dem Haus der Pincier, in welchem Belisarius gewohnt hatte), ohne Begleitung den scheuen Helden zu suchen in der Wildnis von Gestein und Lorbeer, welche die Gärten des Sallust erfüllten, und wo Teja, wenn er in Rom war, zu hausen pflegte.
Adalgoth, der Mundschenk, hatte sich für den Abend Urlaub von des Königs Tafel erbeten: dieser erriet, daß er die dunkelnden Stunden, wie so oft, bei dem dunklen Harfenmeister verbringen werde. Der König wußte daher, er werde Teja in seiner Gartenwildnis finden.
Wirklich weilten Lehrer und Schüler diese Nacht unter dem Schatten uralter römischer Pinien und Zypressen, gotische Harfenkunst pflegend.
«Nun horch' einmal, Graf Teja», hob der Jüngling an, «was ich da aus deinen neulich angefangenen Zeilen weiter ersonnen habe. Bei dir ist wieder alles so traurig! Das Ende, der hoffnungslose Sprung in den Strom! Ich habe das viel lustiger gewendet.»
«Wenn's nur auch so wahr ist.»
«Ei, wenn's nur schön ist! Und wahr! Ist denn nur das wahr, was traurig ist?»
«Leider: ja.»
«Gibt's keine Freude in der Welt?»
«O ja! Aber sie währt nicht lang. Der Ausgang ist immer -Untergang.»
«Nun, aber doch oft erst recht spät. Und was zwischen Aufgang und Untergang liegt - hat das keinen Wert? Ist's nicht auch ein Gang?»
«Ja, es soll sein: Heldengang.»
«Nun, so höre nur. Ich habe deinen Aufgang beibehalten: in der Mitte Trauergang: dann Siegesgang. - Aber deinen Untergang hab' ich weggelassen. Bei dir springen sie hoffnungslos in den Iserstrom. Ich aber habe unsern alten Waffenmeister Hildebrand... » -
«Wenn er doch endlich Ravenna hätte!»
«Und unseren großen König Dietrich als Kind, als geretteten Erben, habe ich ihn hineingebracht. Und das Ganze will ich nächstens bei einem großen Königsfest dem lieben Herrn vorspielen. Aber wohlverstanden: ich hab' es in der neuen Klingweise gesetzt, die du mich gelehrt hast, und die viel mehr das Ohr gewinnt und die Seele befängt, als der alte Stabreim, nach dem unsere Heldengesänge und die Vorzeitsprüche gesetzt sind. Woher hast du nur die Klingweise am Schluß der Zeilen genommen?»
«Die Mönche singen so die lateinischen Lieder und die Priester in der Kirche: ich hörte es einmal, abends, im Dämmerlicht in der Basilika Sankt Peters. Die Vorhänge der Kirche waren zurückgeschlagen, das Abendlicht flutete träumerisch herein, die Kerzen am Altar gaben ihren roten Schein dazu, Weihrauchwolken zogen duftend dazwischen, und unsichtbare Priesterknaben sangen mit hellen Stimmen aus der Krypta, wo sie einen Toten bargen. Da zuerst hörte ich den Klang, der gleich ist und doch wieder nicht ganz gleich, und zauberhaft umfing der Wohlklang mein Gehör, und ich versuchte in unsrer Sprache das gleiche nachzubilden, und siehe da: wunderbar gelang es.»
«Ja, es passen die Schlußklänge zusammen wie - wie der Helm auf das Haupt - wie das Schwert in die Scheide. Wie Lippe auf Lippe im Kuß.»
«Ei, weißt du auch davon schon? Das ist früh!»
«Ich habe nur meine schöne Schwester Gotho geküßt», sagte der Jüngling errötend.
«Nun, aber der Gleichklang! Für vieles ist er wohl lieblich. Aber du mußt der Väter Weise nicht ganz versäumen: den runenheiligen Stabreim.»
«Ja, für manches ist er wie angeboren und viel kräftiger geeignet als der hinschmelzende Klangreim. Weißt du, wenn die Stäbe, die starken, stolz anstimmen, so mahnt es mich mächtig des wehenden Windes, der im Walde durch die Wipfel dahinwogt, beugend und biegend Baum nach Baum.»
«Dir, lieber Knabe, hat der Gott des Gesangs wirklich die Lippen berührt. Auch wenn du's nicht weißt und willst, überkommt dich der Schrittgang des Wohllauts, wie die Rede ihn heischt und der Sinn ihn ersehnt. Nun sage: wie lautet mein Lied von der Gotentreue in deiner Verjüngung?»
«Ich fange an wie du:
Und so fort. Aber wenn sie dann alle verzweifeln und hoffnungslos in den Strom springen wollen, dann kommt bei mir die Hoffnung, die Erlösung, der Blick in die gerettete Zukunft. Nämlich so:
«Und tragt ihr des Königs Helm und Speer, Ihr treuen Gesellen - ich trage mehr!» Auf schlug er seinen Mantel weich: «Ich trage der Goten Hort und Reich! Und habt Ihr gerettet Speer und Kron:' Ich habe gerettet - des Königs Sohn! Erwache mein Knabe: ich grüße dich: Du König der Goten - Jung Dietrich!») «Ist auch gar nicht übel. Aber wahr ist...» «Wahr ist wohl nur, was dir in Gesichten der höchsten Trauer naht? Sage, wie geht jenes andre, das Traumgedicht weiter?» «'s kein Traum ganz. Und kein Gedicht ganz. Ich fürchte, es wird die ganze Wahrheit. Ich hatte vor dem Einschlafen lang an Gelimer, den letzten König der Vandalen gedacht, den tapfern Mann, dem zuletzt nichts geblieben von seinem schimmervollen Reich als die Harfe, darauf er in den Felsgebirgen Afrikas seine Trauer sang. Allmählich versank ich in leisen Schlummer, oder doch in Traum. Da sah ich vor mir eine Landschaft Campaniens: schön, wie kaum eine andre dieses wundersamen Landes. Die Bucht von Neapolis, die blauen Wogen von Bajä, sonnenbeglänzt im Vordergrund. Im Hintergrund der gewaltige Berg mit dem Feueratem und der Rauchwolke» - «Wie heißt er doch?» forschte begierig der Hirt. «Mons Versuvius. Von seinen Schluchten aber herab stieg, traurig, doch todestrotzig, eine Kriegerschar in unsern, in den gotischen Waffen: blutbedeckt, die Helme verhaun, die Schilde durchstoßen. Und sie trugen auf eichenen Speeren einen toten Mann - ihren König.» «Totila?» fragte erschrocken der Jüngling. - «Nein, beruhige dich», antwortete Teja, mit einem schwermütigen Lächeln, «schwarz waren die Locken des bleichen Toten. Und quer durch die ehrfurchtsvoll staunenden Feinde zogen sie langsam, in feierlichem Trauerschritt, an die Küste der See. Dort lag eine stolze, gewaltige Flotte: nicht der Goten und nicht der Griechen, mit ragenden Drachenhäuptern am Bug der Schiffe. Auf diesen Schiffen sollte der Tote geborgen werden. Dabei aber vernahm ich die Worte des Trauerliedes, des Totengesangs für den König. Und sie lauteten: Soviel vernahm ich von dem Totengesang. - Da weckte mich das Heerhorn der gotischen Wache, die der sorgsame König nachts durch die Straßen ziehen läßt. Du aber merke dir diesen Anfang: vielleicht kommt der Tag, da du's zu Ende singst. Du hast ja in kurzer Zeit soviel gelernt, daß du bald harfenkund'ger und liedkund'ger bist denn ich.» «Wenn du mich nur auch lehren könntest, solche Streiche zu führen wie du.» «Das wächst mit den Jahren, ja mit den Wochen. Du hast genug getan für deine siebzehn Jahre. Wäre dem wackern Witichis ein Helfer zur Seite gesprungen, ehe der römische Dichter den Stein auf ihn warf im Grab Hadrians, wie du dem Maienkönig Totila den von dem gleichen Mann drohenden Stoß hast abgewehrt, so hätten wir damals schon Rom gewonnen und den Präfekten verjagt, der uns leider entkam.» «Ja, leider! Weißt du: das Abenteuer, das mir in jener Nacht aufgestoßen, in des Präfekten Hause, das schwebt mir schon lang in Gedanken. Das gäbe ein wunderbares Lied - fehlt leider nur der Schluß.» «Warte nur. Vielleicht erlebst du ihn. Dann brauchst du ihn nicht zu erdichten. Übrigens zog ich schon am Morgen nach jener Siegesnacht in des Präfekten Haus zur Verfolgung der flüchtigen Legionäre aus. Ich weiß daher gar nicht, wie alles kam. Erzähle mir.»
«Nun, so höre. Nachdem ich den Präfekten nicht am Tiber und nicht am Kapitol gefunden, suchte ich ihn mit dir an seinem Herd. Und fand nur seines Blutes Spur und sein Schwert. Als du aber seinen Götzen zertrümmert und sein Haus verbrannt und alles zusammenbrach, bis in die Kellergewölbe, da fand ich, nachspürend, in dem Gebälk unter dem Sockel der Marmorstatue abermals einen hohlen Raum: mit Gold, Gestein und allerlei Geschreibsel angefüllt.
Ich brachte das Ganze auf einem breiten Schild dem König. Und der ließ seine Buchleser darin forschen und wühlen und las selbst darin. Und rief plötzlich: «Wie ward das entdeckt?» «Cethegus hatte in Geheimschrift, die König Totila entziffern ließ, selbst in seinem Tagebuch verzeichnet, daß er den Verhaßten durch Briefe, die er in des getäuschten Königs Hand spielte, den Balten des Hochverrats verdächtigt. Der Stolze, Hochgemute reizte dann durch Trotz den Amaler und verschwand zuletzt plötzlich aus dem Kerker, niemand wußte, wie und wohin. Und weiter hatt' ich auszurufen in den Straßen: Und wie ich zogen die Königsherolde durch alle Straßen und Städte Italiens, rufend und forschend nach Herzog Alarich, dem Balten, und seinem echten Erben. Und weißt du: es wäre doch wunderschön, wenn sie den verschollnen, landflüchtigen, alten Mann irgendwo fänden und wir ihn wieder mit Glanz und Ehren einführten in sein schönes Herzogtum.» «Und da er dem Hirtenknaben die Rettung seiner Ehre, seines Rechts verdankt, - dürfte er ihm wohl schenken ein schönes Schloß, etwa am blauen Meer, am Berge Carganus, nicht wahr, unter Lorbeer und Myrten?» «Nein, daran hab' ich noch nicht gedacht.» «Aber schwerlich lebt er noch, der alte Herzog.» «Nun, dann finden wir vielleicht den jungen. Herzog Guntharis sagte mir, er habe den hohen Baltenhelden noch wohl gekannt: der sei mit einem Knäblein in das Elend gegangen. Und obwohl sein Haus, die Wölsungen, mit den Balten erblichen Hader hegte, müsse er doch sagen: er habe nie an die Schuld des stolzen Mannes geglaubt, der ein Hauptfeind der Welschen war und ihnen lang ein Dorn im Auge. Und nie habe er ein schöner Kind gesehen, als jenes vierjährige Knäblein. Ich muß nun immer nachdenken: wo der wohl hingekommen sein mag? Und wie der staunende Augen machen wird, wenn er, der vielleicht in irgendeiner kleinen Stadt sich verborgen hält, unter falschem Namen, - denn die Verbannung traf bei Todesstrafe das ganze Geschlecht - wenn der den Königsherold durch die Straßen seine Berufung zum goldnen Reif des Herzogs von Apulien künden hört. Das gäbe gar einen schönen Schluß zu einer «Bei dir klingen alle Lieder glücklich aus!» «Nun aber sage mir noch den Anfang des andren Gesanges, den du selbst, erwacht von jenem Traumgesicht, gesetzt.» «Ja, denn das Totenlied, das hab' ich nur im Traum gehört, nicht selbst ersonnen. Aber nach dem Erwachen führte ich mir jene wohlbekannte Landschaft vor Augen am Vesuvius, gerade gegenüber dem Mons Lactarius, dem Milchberg: eine wunderbare Felsenschlucht, gebildet von dem Auswurf des Feuerbergs: kaltgewordnes schwarzes Feuer. Steil ragen die Schroffen: nur ein schmaler Zugang, den ein Mann mit einem Schilde leicht versperren und stundenlang verteidigen könnte wider jede Übermacht... » «Du denkst bei jedem Berg und Tal gleich, wie man sie stürmen und verteidigen mag.» «Und da kamen mir von selbst die Worte: Und er griff auf der Harfe langsam einige Akkorde: -Adalgoth antwortete, leise, wie das Echo. Diese Töne waren es, die König Totila als unsichtbare Wegführer heranleiteten. In dicht verwachsenen Pfaden folgte der König nun den Klängen, die aus dem Dunkel einer Zypressengruppe her, leise in unregelmäßigen Zwischenräumen, unterbrochen von halb gesungenen, halb gesprochnen Worten, von zwei deutlich unterscheidbaren Saiteninstrumenten ausklingend, vom Nachtwind ihm zugetragen wurden. Unbemerkt war Totila, auch von dem sanften Mondlicht nicht verraten, durch die zerfallnen Mauern, welche die weitläufigen Anlagen umgeben, in die halb verwilderten Lorbeer- und Zypressengänge gelangt, die in das Innere der Gärten führten. Teja vernahm die Schritte des Nahenden und legte die Harfe nieder. «Es ist der König», sagte er: «ich kenne seinen Gang. Was suchst du hier, mein König?» «Ich suche dich, Teja», antwortete dieser. Teja sprang auf von der gefallnen Säule, darauf er saß. «So geht's zum Kampf?» «Nein», sagte Totila, «doch verdien' ich diesen Vorwurf.» Er faßte ihn bei der Rechten und zog ihn liebevoll wieder auf den Marmorsitz, sich neben ihn niederlassend. «Ich suche nicht dein Schwert, ich suche dich. Ich brauche dich, aber nicht deinen Arm: - dein Herz. Nein, bleibe nur, Adalgoth: du darfst und sollst es hören, wie man den stolzen Mann, «Das weiß ich, seit ich ihn gesehen. Er ist wie der Dunkelwald, durch dessen Wipfel geheimnisvolles Rauschen geht: voll Schauer und voll Reiz zugleich.» Teja heftete einen langen Blick auf den König aus seinen großen, traurigen Augen. «Sieh, mein Freund, soviel ist mir geworden, so Reiches hat der gnädige Himmelsgott mir zugewendet! Ein halbverlornes Reich hab' ich zurückgewonnen: - soll ich nicht auch zurückgewinnen können des Freundes halbverlornes Herz? Freilich: der Freund hat das Beste getan bei der Wiedergewinnung des Reichs: - er muß auch hier das Beste tun. Was hat mir dein Herz entfremdet? Verzeih mir, wenn ich, wenn mein strahlendes Glück dich gekränkt. Ich weiß, wem ich die Krone danke: und ich kann sie nicht mit Freude tragen, wenn nur dein Schwert, nicht auch dein Herz mein eigen. Wir waren Freunde, Teja, ehedem - o laß uns wieder Freunde sein, denn ich kann dich nicht entbehren.» Und er wollte den Arm um seinen Nacken schlingen. Aber Teja faßte seine beiden Hände und drückte sie. «Dieser nächtige Gang ehrt dich mehr als dein Siegesgang durch Italien. Die Träne, die ich in deinem Auge zittern sah, ist mehr wert als die edelste Perle deiner Krone. Vergib du mir: ich hatte dir Unrecht getan. Das Glück und dein helles fröhliches Blut haben doch deinem Herzen nicht geschadet. Ich habe dir nie gezürnt: ich habe dich stets geliebt, und mit Schmerzen hab' ich's empfunden, wie unsere Wege immer weiter auseinander gingen. Denn im Grunde gehörst du doch zu mir: näher als zu dem wackeren Witichis: näher als zu dem leiblichen Bruder.» «Ja, ihr gehört zusammen», sprach Adalgoth, «wie Licht und Schatte.» «Wir empfinden gleich rasch, gleich feurig», sagte der König. «Wenn Witichis und Hildebad», fuhr Teja fort, «den geraden Heerweg gingen mit stetem Schritt - uns beide will der ungeduldige Schwung stets wie mit Flügeln durch die Lüfte tragen. Und weil wir so zusammengehören, darum schmerzte es mich, daß du in deinem sonnigen Glück zu glauben schienst: jeder, der nicht lachen könne wie du, sei ein kranker Tor. O mein König und mein Freund, es gibt Geschicke, Schmerzen und Gedanken - wer die einmal getragen, empfunden und gedacht, der hat des Lächelns holde Kunst für immerdar verloren.» Totila sprach voll ernster Achtung: «Wer so heldenstark wie du jeder höchsten Lebenspflicht genügt, den darf man beklagen, aber nicht schelten, wenn er des Lebens Freuden stolz verschmäht.» «Und du hast geglaubt, ich grolle deinem Glück oder deiner heiteren Art? O Totila, nicht Groll, ach Wehmut ist's, mit der ich dich und deine Art betrachte. Wie uns ein Kind zu Wehmut rühren kann, das da wähnt, Sonne, Lenz und Leben währen ewig, und Winter, Nacht und Tod nicht kennt. Du vertraust dem Sieg und Glück des Freud'gen in der Welt. Ich aber höre stets den Flügelschlag des Schicksals, das, erbarmungslos und taub für Fluch, Gebet und Dank, dahinrauscht über die Scheitel der Menschen und ihre Werke.» Und er blickte vor sich hin in die Nacht, als erspähe er den Schatten der heran schreitenden Zukunft. «Ja, ja», sagte der junge Mundschenk, «ähnlich lautete ein alter Spruch, den Iffa auf dem Berge sang, er hatte ihn vom Oheim Wargs gelernt: «Aber», fragte der Jüngling nachdenklich, «wenn wir mit bester Kraft das Unvermeidliche nicht wenden mögen, warum regen wir denn überhaupt die Hände? Warum erwarten wir dann nicht in dumpfem Brüten, was da kommt? Worin ist dann der Unterschied gelegen zwischen Held und Feigling?» «Nicht im Sieg ist er gelegen, mein Adalgoth! In der Art des Ringens und Tragens! Nicht die Gerechtigkeit entscheidet die Geschicke der Männer und Völker, sondern die Notwendigkeit. Oft schon ist der bessere Mann, das edlere Geschlecht dem Gemeineren erlegen. Wohl ist auch Edelsinn und Edelart eine Gewalt. Aber sie sind nicht immer stark genug gegen die Übermacht anderer dumpfer Gewalten. Edelsinn und Edelart und Heldentum kann immer den Untergang weihen, verherrlichen, nicht aber immer ihn wenden. Und nur das ist der letzte Trost: nicht was wir tragen, wie wir's tragen verleiht die höchste Ehre, und oft gebührt der Lorbeer nicht dem Sieger, mehr dem besiegten Helden.» Der König stützte sich nachdenklich auf sein Schwert und sah zur Erde. «Wieviel mußt du gelitten haben, Freund», sprach er dann innig, «bis du zu solch schwarzem Irrtum gelangt bist! Du hast ja deinen Gott im Himmel verloren! Mir wäre das viel ärger, als hätte ich die Sonne am Himmel eingebüßt, - als wäre ich erblindet. Ich könnte nicht mehr atmen, ich könnte nicht mehr glauben an den gerechten Gott, der vom Himmelstore aus herabschaut auf die Taten der Menschen, und der die reine, gute Sache zum Siege führt.» «Und König Witichis, was hatte er verbrochen, der Mann sonder Mal und Makel? Und ich selbst und»... er schwieg. «Dein Leben ist mir verhüllt seit unserer Trennung in frühester Jünglingszeit» - «Genug davon für heut'», sprach Teja, «Mehr hab' ich diese Nacht von tief Innerem aufgedeckt als sonst in Jahren. Es kommt wohl noch die Stunde, aufzudecken, was ich erlebt und gedacht. Ich möchte», sagte er, über Adalgoths Locken streichend, «dem jüngsten und besten Sänger unseres Volkes nicht zu früh den hellen Ton seiner Saiten verdüstern.» «Wohl», sprach der König, aufstehend. «Dein Schmerz ist mir heilig. Aber ich bitte, laß uns die erneute Freundschaft pflegen. Ich gehe morgen nach Taginä zu meiner Braut. Begleite mich -: wenn dich's nicht kränkt, mich glücklich zu sehn mit einer Römerin.» «O nein - es rührt mich - es mahnt mich an... - Ich gehe mit dir.» -
Bald darauf traf der König mit Graf Teja, Adalgoth und zahlreichem Gefolge in dem Städtlein Taginä ein, oberhalb dessen sich auf steiler, dichtbewaldeter Felshöhe das Kloster der Valerier erhob, in welchem Valeria noch immer ihren
Aufenthalt fortsetzte.
Der Ort hatte seine Schauer für sie verloren, nicht nur durch äußere, durch innere Gewöhnung: ihre Seele geriet widerstrebend, aber sicher, unter die Einflüsse der ernsten Mächte dieser Stätte. Als sie dem König bei dessen Eintritt in den Klostergarten entgegenkam, schien ihm ihre Farbe viel bleicher, ihr Gang viel langsamer als sonst.
«Was ist mit dir?» schalt er zärtlich. «Als unser Gelübde fast nicht mehr erfüllbar schien, da hieltest du Mut und Hoffnung hoch. Und nun, da der Geliebte die Krone dieses Reiches trägt und fast nur in einer Stadt noch der Feind den Boden Italiens tritt, jetzt willst du sinken und verzagen?»
«Nicht verzagen, Freund», sprach Valeria ernst. «Aber entsagen. Nein, höre mich nur in Geduld. Weshalb verschwiegst du mir, was ganz Italien von seinem König weiß und wünscht? Der König der Westgoten zu Toledum hat dir sein Waffenbündnis gegen Byzanz und seiner Tochter Hand geboten. Das Reich wünscht und erwartet, daß du beides annimmst. Ich will nicht selbstischer sein, denn jene hochgesinnte Tochter eures Volks, Rauthgundis, des Bergbauern Kind, von der schon eure Sänger singen und sagen auf den Straßen. Und ich weiß: auch du kannst Opfer bringen, wie jener schlichte Mann, der euer glückloser König war.»
«Ich hoffe, daß ich's könnte, müßt' es sein. Zum Glück aber muß es nicht sein. Ich brauche fremde Hilfe nicht. Blick' um dich. Oder vielmehr blick' einmal hinaus über diese Klostermauern. Nie hat das Reich geblüht wie jetzt. Noch einmal biete ich dem Kaiser die Hand zum Frieden. Weist er sie abermals zurück, dann entbrennt ein Kampf, wie er ihn noch nicht gesehn. Bald muß Ravenna fallen: - wahrlich, meine Macht und mein Mut sind nicht zum Entsagen angetan. Die Luft in diesen Mauern hat endlich deine feste Kraft erweicht. Du sollst mir fort von hier: - wähle dir die schönste Stadt Italiens zum Aufenthalt: - laß uns dein Vaterhaus in Neapolis erneuern.» «Nein. Laß mich hier. Ich liebe nun diesen Ort und seine Ruhe.»
«Es ist die Ruhe des Grabes! Und weißt du wohl, daß dir entsagen dem Gedanken meines Lebens entsagen hieße? Du bist mir das lebendige Sinnbild all meiner Pläne, du bist mir Italia selbst. Du sollst des Gotenkönigs eigen werden: völlig, unentreißbar. Und Goten und Italier sollen sich ihren König und ihre Königin zum Vorbild nehmen: sie sollen eins und glücklich werden wie wir. Nein - keinen Einwand - keinen Zweifel mehr!
So erstick' ich ihn.» Und er umarmte und küßte sie.
*
Einige Tage darauf traf Julius Montanus, von Genua und Urbinum her, ein. Der König ging ihm mit seinem Gefolge vor dem Klostergarten entgegen. Lange hielten sich die Freunde sprachlos umfangen.
Teja stand an ihrer Seite und betrachtete sie mit ernstem Blicke.
«Herr», flüsterte Adalgoth, «wer ist der Mann mit den tiefliegenden Augen. Ein Mönch?»
«Innerlich, nicht von außen!»
«Ein so junger Mann mit dem Blick des Alters. Weißt du, wem er gleich sieht? Dem Bilde dort auf Goldgrund in dem Klostergang.»
«Jawohl: dem sanften, traurigen Haupte dort, dem Apostel Johannes.»
«Dein Brief», sprach Julius, «fand mich schon entschlossen, hierher zu kommen.»
«Du wolltest mich - Valeria - suchen?»
«Nein, Totila: ich kam, mich prüfen und weihen zu lassen von Cassiodor. Der fromme und heilige Mann, der unser Jahrhundert mit seinen Wundern erfüllt, Benedikt von Nursia, hat ein Kloster gegründet, das mich mächtig anzieht.»
«Julius, das darfst du nicht! Welch ein Geist der Flucht aus der Welt hat meine Nächsten ergriffen. Valeria: - du: und Teja.»
«Ich fliehe nichts», sagte dieser, «nicht einmal die Welt.»
«Wie kommst du», fuhr der König fort, den Freund am Arme gegen den Eingang des Klosters führend, «In der Blüte der Jahre zu diesem Gedanken des Selbstmords? Siehe, dort naht Valeria. Sie muß mir helfen, dich bekehren. O hättest du je die Liebe gekannt - du würdest nicht der Welt den Rücken wenden.»
Julius lächelte und schwieg. Ruhig faßte er Valerias freudig gebotene Hand und schritt mit ihr in die Klostertür, wo ihnen Cassiodor entgegenkam. -
Nur mit Mühe gewann die Beredsamkeit des Königs dem Freunde das Versprechen ab, nach einigen Tagen den greisen Cassiodor nach Byzanz zu begleiten. Julius scheute den Glanz, den Lärm, die Sünde des Kaiserhofs, bis endlich das Beispiel Cassiodors ihn überwand. «Ich meine», schloß der König, «man kann in der Welt mehr gottgefällige Werke tun als im Kloster. Ein solches frommes Werk ist diese Gesandtschaft, die zwei Reichen neuen Krieg ersparen soll.»
«Gewiß», sagte Julius. «Der König und Held kann Gott dienen wie der Mönch. Ich tadle deine Art des Dienstes nicht: -laß mir die meine. Und mir ist: diese unsre Zeit, da eine alte Welt unter schweren Schauern versinkt und eine neue unter rauhen Stürmen aufsteigt, da alle Laster des verfaulten Heidentums mit aller Wildheit der Barbaren sich vermischen, da Üppigkeit, Fleischeslust und blut'ge Gewalt das Morgen- und das Abendland erfüllen, da ist es wohlgetan, weltferne Stätten zu gründen, wo Armut, Reinheit und Demut wohnen dürfen.»
«Mir aber scheinen Pracht, Liebesglück und freudiger Stolz keine Sünde vor dem Himmelsgott. Was meinst du von unsrem Streit, Freund Teja?»
«Er hat keinen Sinn für mich», sprach dieser ruhig. «Denn euer Gott ist nicht der meine.»
*
Am Abend vor der Abreise der beiden Gesandten nach Firmum, wo sie sich nach Byzanz einschiffen sollten, führte Cassiodor die Freunde noch nach einer Kapelle, die er, dicht bei dem Kloster, auf der gerade gegenüber ragenden hohen Felskuppe des nämlichen Berges erbaut hatte. «Es wird dir dort gefallen, mein Totila», hatte Valeria gesagt.
Vor Sonnenuntergang gerade erreichten die Freunde den Gipfel des einsam ragenden, runden Felskopfes. Dieser, mitten in dem Hügelgrund zu steiler Höhe aufsteigend, gewährte den freiesten Anblick über das blühende picentinische Land. Im Norden und Osten begrenzten den Blick die prachtvollen Terrassen des Apennins mit jenen klassischen, stilvollen, großartig ruhigen Formen, wie sie nur der italischen Landschaft eigen. Im Westen schimmerte im Glanz der sinkenden Sonne, wie ein kostbarer goldner Gürtel, durch das Grün der Gefilde der Fluß Clasius, in welchen hier die beiden kleineren, Sibola und Rasina, münden. Im Süden glänzte aus den Bergen von Nuceria her der Tiniafluß durch üppiges Gelände.
Denn unter diesem lachenden Himmel hatte eine reiche Ernte - das Wunderjahr Totilas - die Spuren der früheren Verwüstung und Verödung rasch und völlig verwischt: viele Hunderte von weißen Marmorvillen, von Schlössern, von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden lauschten aus dem Dunkelgrün des Lorbeers, aus dem Silbergrau der Oliven, aus dem endlosen Gerank der Reben. Ein uralter Wartturm, vielleicht aus römischer Zeit, ragte an dem Südabfall des Hangs: dessen Gemäuer sowie der ganze Hügelrücken war von Efeu, Feigen, Wein, Kastanien in reizender Verwilderung überzogen.
Die Sonne aber, die nun rasch versank, warf ein glühendes, dunkelrotes Licht, warf einen Purpurmantel über die weite Ebene, indes auf den fernen Höhenzügen, den plastisch klaren, dem Terrassenbau der italischen Natur, eine violette Duftschicht lag. Überrascht, geblendet standen alle. Niemand fand Worte für
so viel Schönheit.
«So was dergleichen ahnte ich in Italia», flüsterte Adalgoth zu Graf Teja, «wann ich vom Iffinger oder gar von der Mentula gen Südwesten sah. Aber es ist doch viel schöner, als ich geträumt.»
Der König aber rief: «Und hab' ich nun nicht recht, Teja, daß ich dies Land liebe wie eine Braut? Daß ich es unserm Volk erhalten will um jeden Preis? Wahrlich, dieser Ort ist die beste Rechtfertigung meines Trachtens! Himmlische Lüfte! Goldenes Licht umschweben die Stätte! - -»
Und mit lebhaftem, gerührtem Blick fuhr er fort: «Ja hier, ihr Freunde, hier Cassiodor, will ich dereinst begraben sein!» Und er legte die Rechte auf einen uralten mächtigen Sarkophag von verwittertem, dunklem Marmor, der Deckel desselben lag zerbrochen daneben auf der Erde: wild wuchernder Efeu hatte das Innere des Sarges ganz erfüllt.
«Welch schönes Zusammentreffen», sprach Cassiodorus ernsthaft. «Weißt du, wie dieser Ort seit alters heißt? Spes bonorum,
«Nein», rief Totila, «vergib mir, ehrwürdiger Vater! Nicht in der dumpfen Krypta deines Baues, - hier, unter dem blauen Dach des ausonischen Himmels, hier will ich ruhn», - und er schlug auf den Sarkophag. «Auf dieser lichten Höhe, umspült vom goldnen Licht, überragt von nickendem Lorbeer, unter der Vögel süßem Gesang. Ich werde mich wohl vertragen mit den
Mannen des Friedenskönigs. Hört, ihr meine Freunde, das ist mein Wille. Höre du zumal: dessen Jugend uns alle überleben muß, Adalgoth, mein Liebling!»
«Wer denkt an die Nacht bei heller Mittagssonne!» rief Adalgoth.
«Die Ahnungsvollen», sagte Teja. «Seht, wie rasch die Sonne verschwand und ihr warmes, freudiges Goldlicht. Eine Purpurdecke, wie ein rotes, blutiges Leichentuch, deckt schon das Tal von Taginä. Und die veilchenblauen Schatten sind schon kaltes Schwarz geworden und fallen plötzlich herein! So rasch! Und rascher noch, als in diesem Land die Nacht, bricht ein, in allen Ländern, das Schicksal und der Tod.»
An dem gleichen Abend, da Adalgoth im Gefolge des Königs die Sonne sinken sah über das mittelitalische Land auf der Spes bonorum, stand auch in schimmervollem Sonnenuntergang auf dem Südabhang des Iffingerberges auf ihren Stab gelehnt Gotho, die Hirtin. -
Um sie her hüpften und weideten die Schafe und drängten sich allmählich müde zusammen um die Hüterin, der Heimkehr nach dem Sennhaus gewärtig und begierig.
Aber sie harrten und blökten umsonst.
Denn das schöne Kind beugte sich von moosigem Stein an dem Rand des silberklaren Gebirgsquells emsig vor: in ihrer Lederschürze lagen gehäuft die schönen, würzig duftenden Blumen der Berghalde: der Thymian, die Wegrose, die Minze, die am feuchten Saume des Rinnsals sprießt, und der tiefblaue Enzian. Und sie sann und sprach mit sich selbst und mit ihren Blumen und den hurtig enteilenden Wellen. Und sie warf die Blumen in den rinnenden Quell: bald einzeln, bald kleine Sträuße und halbfertige Kränze. - -
«Wie viele», sagte das Kind vor sich hin in die Wellen und warf die langen, gelben Zöpfe über die Schultern, «wie viele von euch hab' ich schon ausgesendet, ihn zu grüßen! Denn nach Süden ist er gezogen, und nach Süden hinab rinnen diese schnellen Wasser. Aber ich weiß nicht, ob ihr's bestellt: - denn er ist immer noch nicht heimgekommen. Ihr aber, wie ihr euch hebt und senkt im Tanz der Wellen, ihr winket mir, euch zu folgen. Ja, wer euch folgen könnte! Oder den Fischlein, die da hinabschießen wie dunkle Pfeile! Oder den flinken Bergschwalben, die durch die Luft schwirren, frei wie die Gedanken! Oder den rotbeschwingten Abendwolken, wenn sie der Bergwind rasch gen Süden trägt!
Aber am sichersten fände ihn freilich das Herz der Sucherin selber, dürft' ich, die Halde verlassend, ihm folgen ins ferne, ins sonnige Land. - -
Jedoch was sollte ich da unten? Die Hirtin unter den Männern des Krieges, unter den klugen Frauen des Hofs! Und ich seh' ihn ja doch wieder! So sicher ich die Sonne doch wiedersehe, ob sie verschwand hinter jenen Bergen. Man weiß, man sieht sie wieder. Und dennoch: - Sehnsucht füllt die Zeit von ihrem Scheidestrahl bis zu ihrem Wiedergruß.»
Da tönte vom Sennhaus her ein weit vernehmlicher, rauher Schall: ein Stoß in das gewundne Widderhorn.
Gotho sah auf: es war dunkler geworden, sie sah schon durch die offne Tür das rote Herdfeuer glühn. Die Schafe erwiderten das wohlbekannte Zeichen mit lauterem Blöken, die Köpfe gegen das Sennhaus und die Ställe reckend. Der braune, zottige Hund sprang bellend, mahnend an ihr hinauf.
«Ich gehe schon», lächelte sie, die Mahner beschwichtigend. «Ach, eher werden die Schafe der Weide satt, als die Schäferin ihrer Gedanken. Nun vorwärts, Weiß-Elbchen! Jetzt bist du schon stattlich!»
Und sie schritt den Hang hinab, der Talmulde zwischen den beiden Berghäuptern zu, in der das Haus und die Ställe Schutz fanden vor Wind und Lawinen. Hier blendete nicht mehr der Glanz der Sonne. Schon wurden die Sterne sichtbar. Sie sah innig zu ihnen hinauf. «Sie sind so schön, weil er so oft sie anblickt.»
Da schoß ein Stern und fiel rasch gegen Süden.
«Er ruft mich! Dorthin», sprach Gotho zusammenbebend. «Wie gern würd' ich ihm folgen!»
Und rascher trieb sie die Schafe an, versorgte sie in dem Stalle und schritt in das große, einzige Gemach des Erdgeschosses im Wohnhaus.
Da fand sie den Großvater Iffa ausgestreckt auf dem Steinsims nahe an dem Herdfeuer, die Füße zugedeckt mit zwei großen Bärenfellen. Er sah bleicher und älter als sonst aus.
«Setze dich hier neben mich, Gotho», sagte er, «und trink, hier ist Milch mit Honig gemischt, und höre mir zu. Die Zeit ist nun gekommen, von der ich dir lange gesagt. Wir müssen scheiden. Ich fahre heim. Vor meinen müden, alten Augen flimmert kaum noch trüb dein liebes Angesicht. Und als ich gestern noch selbst zum Quell hinuntersteigen wollte, Wasser zu schöpfen, brachen mir die Knie. - Da spürte ich: es ist nahe.
Und ich schickte den Gaisbuben hinüber nach Teriolis mit Botschaft. Du aber sollst nicht zugegen sein, wann die Seele aus des alten Iffa Munde fährt. Es ist nicht schön, das Menschensterben - ich meine den Strohtod. Und du hast noch nichts Trauriges gesehn. Der Schatten soll nicht fallen auf dein junges Leben.
Morgen vor Hahnenkraht kommt der tapfre Hunibad herüber von Teriolis, dich abzuholen er hat mir's zugesagt. Zwar noch nicht sind seine Wunden ausgeheilt: - er ist noch schwach - aber er sagt, es läßt ihn nicht mehr in Muße liegen, da, wie es heißt, der Kampf bald wieder losgeht mit den Feinden.
Er will zu König Totila nach Rom. Und dahin mußt auch du mit wichtiger Botschaft. Und er soll dein Wegschirmer und Wegführer sein.
Binde feste Sohlen aus Buchenrinde unter deine Füße: denn weit ist dein Weg. Und Brun, der Hund, mag euch beide begleiten. Und nimm die Tasche dort aus starkem Ziegenleder, darin sind sechs Goldstücke noch von Adalgoths - von eurem Vater. Sie sind Adalgoths, - aber du darfst schon davon gebrauchen - sie werden reichen bis Rom.
Und nimm dir ein Bündel duftigen Bergheus vom Iffinger-Hang mit und lege nachts den Kopf darauf, so wirst du besser schlafen.
Und hast du nun Rom gefunden und das goldene Haus des Königs darin, und trittst du ein in seinen Saal, so siehe, welcher der Männer einen goldnen Reif um die Stirne trägt und von wessen Brauen es milde niederglänzt wie Morgenlicht von den Berghöhen: - der ist dann König Totila.
Und dann beuge das Haupt vor ihm, - aber nur ein wenig, und nicht die Knie: denn du bist eines freien Goten freies Kind. Und dann übergibst du dem König diese Rolle, die ich hier seit vielen Sommern getreulich verwahrt: - sie ist von Oheim Wargs, den der Berg begraben hat.»
Und der Alte hob einen Ziegel aus dem steinernen Unterbau, der den Herdsockel mit dem hart gestampften Erdboden verband, und holte aus dem dunkeln Raum eine Papyrusrolle hervor, die, sorgfältig verschnürt und versiegelt, in ein gleichfalls beschriebenes und mit seltsamen Siegeln darüber gefestigtes Pergament geschlagen war.
«Hier», sagte er, «dies Geschreibsel wahre gut. Dies Äußere, was da auf der Eselhaut steht, das hab' ich dem langen Hermegisel drüben in Majä, der schreiben kann, vorgesprochen, zu schreiben. Er hat mir geschworen, davon zu schweigen, und er hat's gehalten. Nun kann er gar nicht mehr reden unter dem Kirchengang hervor, wo sie ihn begraben.
Du aber und Hunibad - ihr könnt nicht lesen. Und das ist gut. Denn gefährlich könnt' es werden für dich und - einen andern, wenn früher, bevor der milde und gerechte König Totila davon erfährt, die Leute erführen, was die Rolle da weiß. Zumal vor den Welschen birg die Rolle. Und frage in jeder Stadt, wo du einziehst, ob sie berge Cornelius Cethegus Cäsarius, den Präfekten von Rom.
Und sagen die Torwächter ja, - dann wende dich auf dem Absatz und, wie müde du bist und so spät schon die Nachtstunde oder so glühheiß der Mittag, - wandre davon, bis du drei Wasser zwischen dir hast und dem Mann Cethegus.
Und nicht minder als dies Geschreibsel - du siehst, ich drückte statt des Siegels Baumharz darauf, wie es aus den Tannen träuft, und unsre Hausmarke ritzt' ich drein, wie sie unser Vieh und unsre Fahrnis trägt - nicht minder wahre dies alte, teure Gold.»
Und er langte aus dem Hohlraum die Hälfte eines breiten Goldreifs, wie sie die Gotenhelden um die nackten Arme trugen. Ehrfurchtsvoll küßte er das Gold und die unvollständige Runenschrift darauf. «Das stammt noch von Theoderich, dem großen König, und von ihm - meinem teuren Sohne Wargs. Merke: - das gehört Adalgoth. Und ist sein allerbestes Erbe. Die andre Hälfte des Ringes - und des Spruches darauf - hab' ich dem Knaben mitgegeben, da ich ihn fortgesandt. Und hat der König das Geschreibsel gelesen, und ist Adalgoth in der Nähe, -wie er sein muß, wenn er meine Gebote befolgt - dann rufe, Adalgoth herbei, und füget Halbring an Halbring und heischet des Königs Spruch.
Er soll klug und klar und mild und alldurchschauend sein, wie der Sonnenschein. Er wird den rechten Spruch finden. Findet er ihn nicht, dann findet ihn keiner. Nun lege mir noch einen Kuß auf jedes meiner sehemüden Augen. Und nun gehe bald zum Frühschlaf. Und der Himmelsfürst und alle seine lichten Augen, Sonne, Mond und Sterne, mögen schauen auf deinen Weg.
Und hast du Adalgoth gefunden, und lebst du mit ihm in den kleinen Gemächern der dumpfen Häuser, in den engen Städtestraßen, und wird es euch dort unten zu klein und zu dumpf und zu eng, - dann denkt an eure Kindertage hier auf dem hohen Iffing. Und es wird euch anwehn wie frische Bergluft.»
Schweigend, ohne Widerrede, ohne Furcht, ohne Frage hörte und gehorchte das Hirtenkind. «Fahr wohl, Großvater!» sagte sie, ihn auf die Augen küssend. «Dank für viel Lieb' und Treue.»
Aber sie weinte nicht. Sie wußte nicht, was Sterben ist.
Und sie trat von ihm weg auf die Schwelle des Sennhauses: und sie blickte hinaus in die nun tiefernst gewordne Berglandschaft. Klar war der Himmel, die Gipfel der Berge ringsum glänzten im Mondlicht. «Lebt wohl», sprach sie, «du Iffinger und du, Wolfshaupt! Und du, alter Riesenkopf! Und du da drunten, hell aufschimmernde Passara! Wißt ihr's schon? Morgen gehe ich von euch allen. Aber ich gehe gern. Denn ich gehe zu ihm!»
Und nach vielen Wochen kamen Cassiodor und Julius zurück von Byzanz und brachten - keinen Frieden.
Cassiodor ging sogleich nach der Landung zu Brundisium, welt- und wegemüde, in sein apulisch Kloster, Julius allein die Berichterstattung an den König in Rom überlassend. Totila empfing ihn auf dem Kapitol, im Beisein der ersten Heerführer.
«Anfangs», erzählte dieser, «waren die Aussichten günstig genug. Der Kaiser, der früher gotische Gesandte von Witichis gar nicht vor sein Angesicht gelassen, konnte dem größten Gelehrten des Abendlandes, konnte Cassiodors Weisheit, Frömmigkeit und Milde seinen Palast nicht verschließen. Wir wurden ehrenvoll und freundlich empfangen. Gewichtige Stimmen, so Tribonianus und Prokopius, sprachen für den
Frieden im Rate des Imperators, der selbst dazu geneigt schien.
Seine beiden großen Feldherrn, Narses und Belisar, beschäftigten zugleich an verschiedenen Punkten der stets bedrohten Ostgrenze des Reichs die Kämpfe mit Persern und mit Sarazenen. Die Unternehmungen in Italien und Dalmatien aber hatten so große Opfer gekostet, und so lange Zeit gewährt, daß dem Kaiser der Gotenkrieg verleidet war.
Zwar gab er den Gedanken der Wiedergewinnung Italiens wohl schwerlich ganz auf. Aber er erkannte die Unmöglichkeit der Durchführung für die nächste Zukunft. Er ging daher gern auf die Friedensverhandlungen ein und nahm unsere Vorschläge zur Erwägung entgegen: ihm schwebte zunächst freilich noch, wie er uns sagte, eine vorläufige Teilung der Halbinsel bis an den Padus vor: das weitaus größte Stück des Landes im Süden dieses Flusses sollte dem Kaiser, das Gebiet im Norden den Goten zufallen.
Mit guten Aussichten hatten wir eines Mittags den Kaiser und den Palast verlassen. Die Audienz war günstiger ausgefallen als alle früheren. Aber am Abend des gleichen Tages wurden wir überrascht durch den Curopalata Marcellus, der uns von den Palastsklaven die üblichen Abschiedsgeschenke überreichen ließ: - das unverkennbare Zeichen des Abbruchs der Verhandlungen.
Bestürzt über diese plötzliche Wendung», fuhr Julius in seinem Bericht fort, «beschloß Cassiodor gleichwohl, um des Friedenswerkes willen, das Äußerste zu wagen: nämlich, nach Überreichung der Abschiedsgeschenke, nochmal Gehör bei dem Kaiser zu suchen. Der hochangesehene Tribonianus, von jeher ein Gegner dieses Kriegs und Cassiodors verehrungsvoller Freund, ließ sich bewegen, für uns um diese unerhörte Gnade nachzusuchen.
Die Antwort war die höchst ungnädige Drohung der Verbannung, wenn er noch einmal gegen den klar angedeuteten kaiserlichen Willen etwas erbitten werde. Nie, niemals werde der Kaiser mit den Barbaren Frieden schließen, bis sie nicht jede Scholle des Reiches verlassen. Nie werde er die Goten in Italien anders denn als Feinde betrachten.
Vergebens bemühten wir uns», schloß Julius seine Erzählung, «eine Ursache des plötzlichen Umschwungs zu entdecken. Nur das erfuhren wir, daß nach unserer Mittags-Audienz die Kaiserin, die jetzt vielfach leidend sein soll, ihren Gemahl zur Tafel in ihre Gemächer geladen. Aber es steht fest, daß die Kaiserin, früher bekanntlich die eifrigste Schürerin des Krieges, seit geraumer Zeit nicht mehr für den Kampf, sondern für den Frieden sprach.»
«Und was», fragte der König, der ernst, aber eher drohend als besorgt, der Erzählung zugehört hatte - «was verschafft mir die Ehre einer solchen Umstimmung der Zirkusdirne?»
«Man flüstert, für ihr Seelenheil immer mehr besorgt, will sie alle Geldmittel nicht mehr auf den Krieg verwendet wissen, dessen Ausgang sie kaum noch zu erleben hofft, sondern auf Kirchenbauten, zumal auf Vollendung der Sophienkirche - mit deren Grundriß auf der Brust will sie begraben sein.»
«Wohl als mit ihrem Schild gegen den Zorn des Herrn bei der Auferstehung der Toten! Die Dirne will den lieben Gott mit den hundert Kirchen entwaffnen und mit den bezahlten Kostenrechnungen bestechen. Welchen Wahnsinn brütet dieser Glaube aus», sprach finster für sich Teja.
«Und so fanden wir keinerlei Spur. Denn keine Spur darf ich es nennen, was nur wie ein Schatten, obendrein vielleicht eines Irrtums Schatten, an mir vorüberhuschte.»
«Was war das?» forschte Teja aufmerksam.
«Als ich spät abends den Palast verließ, Tribonians ungünstigen Bescheid bei mir erwägend, ward eine vergoldete Sänfte der Kaiserin von deren kappadokischen Sklaven rasch von dem Viereck der Gärten her - das ist Theodoras Palast - an mir vorübergetragen. Der vergitterte Laden ward etwas in die Höhe geschoben von dem Getragenen - ich sah hin, und es war mir, als erkenne ich... -»
«Nun?» fragte Teja.
«Meinen unsel'gen väterlichen Freund, den verschollnen Cethegus», schloß Julius traurig.
«Schwerlich», meinte der König. «Er ist gefallen. Es war wohl Täuschung, daß Teja in seinem Hause noch seine Stimme zu vernehmen glaubte.»
«Ich diese Stimme mißkennen! Und sein Schwert, das Adalgoth an der Straßenecke fand?»
«Kann früher, kann bei dem Forteilen des Mannes nach dem Tiber aus seinem Hause verloren sein. Deutlich sah ich ihn dort auf seinem Schiff die Verteidigung leiten. Der Speerwurf gegen meinen Hals war mit des Hasses bester Kunst und Kraft geführt. Ich traf ihn, ich sah's, mit dem zurückgeschleuderten Speer. Auch sagte mir Gundhamund, der treffliche Schütz, er sei gewiß, ihn getroffen zu haben am Halse. Man fand am Fluß seinen purpurgesäumten Mantel, von vielen Pfeilen durchlöchert und von Blut ganz überströmt.»
«Er ist wohl dort gestorben», sprach Julius tiefernst.
«Seid ihr so gute Christen», fragte Teja, «und wißt nicht, daß der Teufel unsterblich ist?»
«Mag sein», sprach der König, «aber auch das Licht!» Und mit drohenden Brauen fuhr er fort: «Auf, mein tapfrer Teja, jetzt gibt es neue Arbeit für dein Schwert. Hört, Herzog Guntharis, Wisand, Grippa, Markja, Aligern, Thorismut, Adalgoth: bald hab' ich vollauf zu schaffen für euch alle. Ihr habt's vernommen: Kaiser Justinian verweigert uns den Frieden und Italiens ruhigen Besitz. Offenbar darum, weil er uns für zu friedlich hält. Er meint, es könne ihm nie schaden, uns zu Feinden zu haben. Schlimmstenfalls säßen wir ruhig, seine Angriffe abwartend, in Italien. Und Byzanz könne jederzeit den Augenblick wählen, uns anzugreifen, sooft den Versuch wiederholend, bis er gelingt. Wohlan: zeigen wir ihm, daß wir als unversöhnliche Feinde gefährlich werden können, daß es wohl geraten sein mag, uns Italien friedlich zu belassen, um uns nicht zum Angriff zu reizen.
Er will uns nicht in Italien leben lassen? Wohlan, er soll die Goten wieder, wie unter Alarich und Theoderich, im eignen Lande sehen. Einstweilen nur dies: denn das Geheimnis ist der Mutterschoß des Siegs: auf linnenen Flügeln, auf hölzernen Brücken dringen wir, wie in Rom, in das Herz des Ostreichs ein. Jetzt, Justinianus, schirm' den eignen Herd!»
Geraume Zeit, nachdem die Abweisung der Friedensvorschläge nach Rom gelangt war, finden wir in dem Speisegemach eines einfach, aber geschmackvoll gebauten und eingerichteten Hauses auf dem Forum Strategii zu Byzanz, das, nahe gelegen dem unvergleichlichen Küstensaum des «goldnen Horns», den Blick über die Meerenge hin und auf die jenseitige, prachtvoll angelegte Neustadt «Justiniana» gewährte, zwei Männer in vertrautem Gespräch.
Der Herr des Hauses war unser alter - und hoffentlich nicht unlieber - Bekannter Prokopius, der nunmehr in hohem Ansehen als Senator zu Byzanz lebte.
Er schenkte seinem Gast eifrig ein, aber er bediente sich dabei der linken Hand. Der rechte Arm verlief in einen verhüllten Stumpf.
«Ja», sagte er, «bei jeder Bewegung mahnt mich der fehlende rechte Vorderarm an eine Torheit. Zwar bereue ich die Torheit nicht: ich folgte ihr abermals, und kostete es die Augen aus dem Kopf. Sie war eine Torheit des Herzens. Und eine solche zu haben ist des Menschen größtes Glück. Zu Frauenliebe hab' ich's nie recht gebracht. Meine Liebe heißt und hieß: Belisarius! Ich erkenne recht gut - du brauchst nicht so höhnisch den Mund zu verziehn, Freund - ich durchschaue recht gut die Schwächen und Unvollkommenheiten meines Helden. Aber das ist gerade das Süße an der Herzenstorheit: sie liebt die Fehler des Geliebten mit, ja mehr als andrer Leute Vorzüge.
Und so denn - um's kurz zu machen - warnte ich bei dem letzten Perserkrieg den Mann mit dem Löwenmut und mit dem Kindesherzen wieder einmal, mit geringer Bedeckung durch einen unsichren Wald zu reiten. Bei Dara war's. Natürlich tat er's nun erst recht, der dumme, liebe Tor. Und natürlich ritt Prokopius, der kluge Tor, nun auch mit. Und es kam alles, wie ich vorausgesehen und gesagt. Der ganze Wald ward auf einmal lebendig von lauter Persern. Es war, als schüttelte der Wind sein dürres Laub von den Wipfeln. Aber alle Blätter waren Pfeile und Speere.
Es ging wieder ganz wie vor dem tiburtinischen Tor. Balan, der treue Scheck, tat dort seinen letzten Sprung. Gespickt von Speeren brach er tot zusammen. Ich hob den Helden auf mein eigen Roß. Dabei hieb aber ein Perserfürst, der fast so lang war wie sein Name - Adrastaransalanes hieß der liebe Mann - auf den Magister Militum einen Hieb, den ich in der Eile nur mit dem rechten Arm auffangen konnte -: denn mein Schild deckte den Feldherrn gegen einen Sarazenen. Der Hieb war gut: traf er Belisars helmloses Haupt - es wäre gespalten gewesen wie eine Klaffmuschel. So schnitt er mir nur den Vorderarm so haarscharf ab, als wär' er nie angewachsen gewesen.»
«Belisarius natürlich entkam, und Prokopius natürlich ward gefangen», sagte der Gast kopfschüttelnd.
«Beides richtig, o du Gebietiger des Scharfsinns, wie dich mein Freund Adrastaransalanes nennen würde. Aber derselbe Mann mit dem langen Leibe, Säbel und Namen - auf dessen Wiederholung du nicht bestehen wirst - war so gerührt von meiner Seitdem ist es mit meinen Kriegsfahrten vorbei», fuhr Prokop ernster fort. «Ich erblicke aber in dem Verlust der Schreibhand auch eine Strafe. Ich habe manches unnütze oder nicht ganz aufrichtige Wort damit geschrieben. Freilich: träfe gleiche Strafe alle Schriftsteller von Byzanz, es gäbe keinen zweiarmigen Menschen mehr, der schreiben kann. Es geht nun etwas langsamer mit dem Schreiben und müheschwerer. Und das ist gut. Man überlegt dann länger bei jedem Wort, ob es der Mühe lohnt, und ob es zu rechtfertigen ist, es niederzuschreiben.» «Ich habe mit wahrem Genuß», sagte der Gast, «deinen Vandalenkrieg, Perserkrieg und, soweit er vollendet ist, den Gotenkrieg gelesen. Es war bei meiner langwierigen Heilung mein Lieblingsbuch. Aber mich wundert, daß du nicht zu unsrem Freunde Petros, zu den ultziagirischen Hunnen und den Bergwerken von Cherson, geschickt wurdest. Wenn Justinian die Urkundenfälschung so schwer bestraft, - wie schwer muß er erst die Wahrhaftigkeit in Geschichtsurkunden strafen! Und du hast seinen Wankelmut, seinen Geiz, seine Fehlgriffe in Wahl der Feldherrn und Beamten so schonungslos gegeißelt: - mich wundert, daß du noch ungestraft bist.» «Oh, ich bin nicht ungestraft», sprach grimmig der Historiker. «Er ließ mir den Kopf, aber er wollte mir die Ehre nehmen. Und noch mehr sie, diese schöne Teufelin. Denn ich hatte angedeutet, daß Justinian ganz in ihrem Gängelbande geht. Und gleich leidenschaftlich will sie diese Herrschaft fortsetzen und -verbergen. So ließ sie mich kommen, als meine Bücher erschienen waren. Als ich eintrat und diese Blätter auf ihrem Schoße liegen sah, dachte ich: Adrastaransalanes nahm die Hand, die es geschrieben, dies Weib nimmt den Kopf, der es gedacht. Aber sie begnügte sich, mir von der Kline her den kleinen goldnen Schuh zum Kusse darzureichen, lächelte sehr schön und sprach: Der beste Tadler Justinians wird sein bester Lobredner werden. Deine Strafe für dein Buch über Justinians Kriegswerke sei - ein Buch über Justinians Friedenswerke. Du schreibst im kaiserlichen Auftrag ein Buch über des Kaisers Bauwerke. Du kannst nicht leugnen, daß er darin Großartiges geleistet hat. Wärest du ein besserer Jurist, als dich dein Lagerleben bei dem großen Belisar hat leider werden lassen, - du müßtest sein großartigstes Mosaikbauwerk, seine Pandekten, schildern. Aber dazu reicht deine Rechtsausbildung nicht aus, tapfrer Schildknappe Belisars. (Und sie hatte recht, der schöne Dämon!) Du wirst also die Bauwerke Justinians schreiben, du selbst ein lebend Denkmal seiner Großmut. Denn du wirst gestehn, für viel gelindre Dinge hat unter früheren Kaisern mancher Schriftsteller Augen, Nase und anderes verloren, was nicht angenehm zu entbehren ist. Solche Dinge hat sich noch kein Imperator sagen lassen und den Freimut obenein durch neue Aufträge belohnt. Sollten dir aber freilich die Und nochmals ein Kuß ihres Fußes, wobei sie mir, mutwillig schäkernd, den kleinen, goldnen Schuh auf den Mund schlug. -Ich hatte vor der Audienz mein Testament gemacht. Nun siehst du also, wie dieser Dämon in Weibergestalt sich an mir rächt! Man kann ja wirklich die Bauten Justinians nicht schelten: man kann sie nur verschweigen oder - loben. Schweige ich, kostet's mein Leben. Rede ich und lobe ich nicht, kostet's mein Leben und meine Wahrhaftigkeit. Ich muß also loben oder sterben. Und so schwach bin ich», seufzte der Hausherr, «daß ich lieber lobe und lebe.» «Soviel Thukydides und Tacitus genossen - trocken und flüssig» sprach der Gast und schenkte beide Becher voll - «und doch kein Thukydides oder Tacitus geworden.» «Ich ließe mir lieber die linke Hand auch noch abhauen von meinem langnamigen Freund, als diese Bauwerke damit zu schreiben!» «Behalte die Hand! Und schreibe mit derselben, nach der offnen Lobschrift der Bauwerke: eine Geheimschrift der Schandwerke Justinians und Theodoras.» Prokopius sprang auf. «Das ist teuflisch! Aber groß! Der Rat ist deiner würdig, Freund. Dafür schenke ich dir eine der neun Musen des Herodot in meinem Keller - mein ältester, lauterster, edelster Trank. - Oh, man soll staunen über diese Geheimschrift. Das Unglück ist nur: ich kann das Äußerste von Mord und Schmutz gar nicht erzählen. Der Ekel brächte mich um. Und man wird schon das, was ich erzählen kann, für maßlos übertrieben halten. Und was wird die Nachwelt sagen von Prokopius, der ihr einen Panegyrikus, eine Kritik, und eine Klagschrift über Justinian überliefert?» «Sie wird sagen: er war der größte Geschichtsschreiber, aber auch der Sohn und das Opfer des Kaiserreichs Byzanz. Räche dich, sie ließ dir deinen gescheiten Kopf und deine linke Hand: wohlan, deine Linke soll ja nicht wissen, was vordem deine Rechte schrieb. Zeichne das Bild dieser Kaiserin und ihres Gatten für alle kommenden Geschlechter auf! Dann haben nicht sie gesiegt mit ihren Bauwerken, sondern du mit deiner Geheimgeschichte. Den maßvollen Freimut wollte sie strafen: nun strafe du sie durch maßlose Enthüllung der Wahrheit. Jeder rächt sich durch seine Waffe: der Stier durch das Horn, der Krieger durch das Schwert, der Schriftsteller durch die Feder.» «Zumal», sprach Prokop, «wenn ihm nur die Linke blieb. Ich danke und folge deinem Rat. Cethegus: ich werde als Rache für die Bauwerke die «Sogleich», sprach Cethegus. «Sage mir nur noch: wie ging es mit Belisarius weiter in dem letzten Perserfeldzug?» «Nun, wie gewöhnlich. Das solltest du gar nicht mehr fragen müssen! Belisar hatte die Feinde wirklich geschlagen und war eben daran, den Perserkönig Chosroes, des Kabades Sohn, zu dauerndem Frieden zu nötigen. Da erschien in seinem Lager Areobindos, der Schneckenprinz, mit einem hinter Belisars Rücken zu Byzanz bewilligten Waffenstillstand auf ein halbes Jahr. Justinian hatte längst Verhandlungen mit Chosroes angeknüpft. Er brauchte gerade Geld; er stellte sich wieder, als ob er Belisarius nicht traue, und ließ für fünfhundert Zentner Gold den Perserkönig entschlüpfen, als wir eben das Netz über ihn zusammenschlagen wollten. Narses war klüger. Als der Schneckenprinz zu ihm kam, auf den sarazenischen Teil des Kriegsschauplatzes, erklärte er: der Bote müsse ein Fälscher oder verrückt sein, nahm ihn gefangen und führte den Krieg fort, bis er die Sarazenen völlig geschlagen hatte. Dann schickte er den kaiserlichen Boten mit einer Entschuldigung nach Byzanz. Die beste Entschuldigung aber waren die Schlüssel und Schätze von siebzig Burgen und Städten, die er dem Feind während des von Belisar befolgten Waffenstillstands entrissen hatte.» «Dieser Narses ist... -» «Der größte Mensch der Zeit», sagte Prokop. «Auch den Präfekten von Rom nicht ausgenommen. Denn er will nicht, wie dieser, das Unmögliche. - Wir aber, das heißt Belisar und der Krüppel Prokop, wir kehrten, immer grollend und scheltend und immer pudeltreu und nie gewitzigt, den Waffenstillstand mit Zähneknirschen einhaltend, nach Byzanz zurück. Und harren nun hier neuer Aufträge, Lorbeern und Fußtritte. Glücklicherweise hat Antonina ihre Neigungen für Blumen und Verse anderer Männer aufgegeben, und so lebt denn das Ehepaar, der Löwe und die Taube, ganz glücklich hier in Byzanz. Belisar natürlich Tag und Nacht nur sinnend, wann er wieder seinem Kaiserlichen Herrn seine Treue und Heldenschaft bewähren darf - Justinian ist seine Torheit wie die meine Belisar. Nun aber endlich erzähle du.»
Cethegus tat einen tiefen Zug aus dem vor ihm stehenden Becher, der in getriebenem Golde einen Turm darstellte.
Er war wesentlich verändert seit jener Nacht zu Rom.
Schärfer waren die Furchen an den Schläfen, noch fester geschlossen der Mund, die Unterlippe herb emporgehoben, seltener spielte jenes ironische Lächeln um die Mundwinkel, das ihn verjüngte und verschönte. Die Augen waren nun gewöhnlich halb geschlossen.
Nur manchmal öffneten sie sich voll, den gefürchteten Blick zu sprühen, der noch grimmiger durchbohrend traf.
Nicht älter, aber eiserner, schärfer, schonungsloser noch schien er geworden.
«Du kennst», hob er an, «den Lauf der Dinge bis zum Fall von Rom. Ich sah in jener Nacht fallen die Stadt, das Kapitol, mein Haus, meinen Cäsar. Der krachende Sturz dieses Bildes schmerzte brennender als die Pfeile der Goten und selbst der Römer.
Die Sinne schwanden mir vor Schmerz und Zorn, als ich den Mörder meines Cäsar strafen wollte. Ich brach in der Bibliothek an der Statue des Zeus zusammen.
Ich erwachte wieder durch den kühlen Hauch der Nachtluft und des Tiberstromes, der schon einmal, - vor zwanzig Jahren! -den Todwunden neu belebt.»
Eine finstre Wolke zog über die mächtige Stirn.
«Davon ein andermal vielleicht - vielleicht auch nie», sprach er, eine Frage seines Wirtes abschneidend.
«Diesmal hatten mich gerettet Lucius Licinius - sein Bruder ist für Rom und mich gefallen - und der treue Maure, der wie durch ein Wunder dem schwarzen Wüterich Teja entgangen war. Zur Vordertüre von diesem hinausgeschleudert - in seiner Gier, den Herrn zu erreichen, nahm sich der Barbar nicht die Zeit, den Diener zu morden - eilte er an die Hintertüre. Dort traf er auf Lucius Licinius, der, von mir getrennt durch die Volkshaufen, erst jetzt mein Haus von der Seitengasse her erreichte.
Beide eilten nun durch die geöffneten Türen auf der Spur meines Blutes bis in den Zeussaal mir nach.
Dort fanden sie mich bewußtlos: und hatten gerade noch Zeit, mich in meinem Mantel wie eine leblose Ware zum Fenster hinaus in den Hof hinabzulassen. Syphax war zuerst hinabgesprungen und fing mich im Herabgeiten auf aus den Händen des Tribuns. Dieser sprang nach, und rasch trugen sie mich in meinem Mantel aus der Hintertür des brennenden Hauses hinab an den Fluß.
Dort war es nun ziemlich leer. Denn alle Goten und die gotenfreundlichen Römer waren dem König auf das Kapitol gefolgt, dort den Brand zu löschen. Er hatte ausdrücklich befohlen - ich hoffe zu seinem blutigen Verderben! - alle Nichtkämpfenden zu verschonen und nicht zu behelligen. So ließ man denn auch meine beiden Träger überall durch mit ihrer Last. Man glaubte, sie trügen einen Toten.
Und sie glaubten es selbst eine Zeitlang.
Im Fluß fanden sie einen leeren Fischerkahn voller Netze. Sie legten mich hinein, Syphax warf meinen blutigen Mantel mit dem purpurnen Abzeichen des
Mein erster Blick fiel auf das brennende Kapitol.
Sie sagen, mein erster Ruf war:
Im Hafen Portus trafen wir ein italisches Getreideschiff. Darauf waren sieben Ruderer. Meine Retter hielten an dem Schiff, sich Brot und Wein zu erbitten. Denn beide waren auch verwundet. Da erkannten mich die Ruderer.
Einer wollte mich gefangen den Goten ausliefern, hoher Belohnung gewiß. - Aber die andern sechs waren alte Schanzarbeiter von mir an dem Grabmal Hadrians, ich hatte sie jahrelang genährt. Sie erschlugen den siebenten, der laut die Goten heranrief, und sie versprachen Lucius, mich zu retten, wenn sie irgend vermochten.
In hohen Getreidehaufen bargen sie mich vor den gotischen Wachtschiffen, welche die Ausfahrt des Hafens hüteten. Lucius und Syphax ruderten mit in Schiffertracht. So entkamen wir. Aber an Bord dieses Schiffes war ich dem Tode nahe durch meine Wunden. Nur des Mauren Pflege und die Seeluft haben mich gerettet. Tagelang, sagen sie, sprach ich nur die Worte:
Gelandet auf Sizilien bei Panormos im Schutz der Byzantiner, genas ich rasch. Mein alter Freund Cyprianus, der mich einst zu Ravenna in den Palast Theoderichs eingelassen, da ich Präfekt von Rom werden sollte, empfing mich dort als Hafenarchon. Kaum genesen, ging ich von Sizilien nach Kleinasien oder, wie ihr sagt, Asiana, auf meine Güter - du weißt, ich hatte herrliche Latifundien bei Sardes, Philadelphia und Tralles...» -
«Du hast sie nicht mehr, - die säulenreichen Villen?»
«Ich verkaufte sie alle. Denn ich mußte doch sofort aufs neue Söldner werben, Rom und Italien zu befreien.»
«Tenax propositi!» rief staunend Prokopius. «Du hast die Hoffnung noch nicht aufgegeben?»
«Kann ich mich selbst aufgeben? Mit dem Erlös - er war nicht klein: die Villen an der Küste bei Ephesos und Jassos ließ Furius Ahalla kaufen - ging ich zu meinen alten Gastfreunden im Lande der Isaurier, Armenier und Abasgen. Einen Isaurerfürsten mußte ich totschlagen, weil er nachts mein Zelt überfiel und mein Gold ohne andere Gegenleistung als einen Dolchstoß gewinnen wollte. Darauf warb ich der Söldner eine gute Zahl.
Aber freilich: Narses hat sie teuer gemacht, er verwöhnt sie und verdirbt das Geschäft. Sie sterben nicht mehr so billig wie früher. Er hat viele tapfre Häuptlinge für sich gewonnen.
Ich mußte mich noch nach andern Völkern umtun.
Nun sitzt da unten in Pannonien ein nicht gar volkreicher, aber sehr wilder und tapfrer Germanenstamm, den ich durch deine Schilderungen, o Vortrefflicher, erst recht entdeckt - durch seine blutigen Kriege mit den Gepiden bekannt.»
«Ah», rief Prokop, «die wilden Langobarden! Gott gnade deinem Italien, wenn die je einen Fuß hineinsetzen. Der Langobarde ist wie der Wolf im Vergleich mit dem Schäferhund, dem Goten, gegen das goldvließige Schaf Italien.»
«Rom soll aber selber wieder die alte Wölfin werden.
Ich würde sie schon wieder hinausschaffen aus meinem Vaterland, die Barbaren des Alboin! Zu diesen Langbärten -denn das soll des Namens Sinn sein - hab' ich Licinius auf Werbung geschickt. Mich freut es ganz besonders», schloß er grimmig, «Germanen durch Germanen zu verderben. Rom gewinnt bei jeder Wunde, die sich Langobarde und Gote hauen.»
«Du hast die Weisheit des Tiberius aus deinem Tacitus gelernt. Aber laß den Tacitus stehn - er ist zu herbe. Hier ist ein ausgezeichnetes Getränk: Ammianus Marcellinus! Wirklich ein geistreicher Gesell!»
«Wie wird man dereinst
«Bauwerke», sagte dieser «
«Perser- und Vandalenkrieg:
«Gotenkrieg -
«Aber Geheimgeschichte», lächelte Cethegus ««prickelnd -am Schluß der Mahlzeit nur tropfenweise zu schlürfen>.»
«Bah, ein Brechmittel», sagte Prokop, sich schüttelnd.
«Ich selbst aber», fuhr Cethegus fort, «eilte hierher in die Höhle eures - soll ich sagen: Löwen?»
«Das wäre zuviel gesagt», meinte Prokop: «selbst in den Bauwerken soll keine solche Lüge stehn.»
«Nun also: eures Fuchses oder Hamsters. Denn ich bin nicht so kühn wie der große Belisarius, mir einzubilden, mit Söldnerhaufen allein die Goten zu besiegen. Diese Barbaren haben das unverschämte Glück, ein Volk zu sein. Ihr König ist ihres Volkstums lebendiges Symbol. Es ist aber sehr schwer, ein Volk zu besiegen. Auch ein so plumpes, törichtes, dumpfes Volk wie diese Barbaren.» - «Namentlich», sprach Prokop
beipflichtend, «ein Volk zu besiegen - ohne ein Volk.»
«Aber Byzanz ist, wenn kein Volk, ein Staat. Dieser Staat ohne Volk kann das Volk ohne Staat vernichten. Denn das ist ja kein Staat, was diese Goten ihr
«Da wirst du lang noch mahnen müssen.»
«So scheint's. Religion, Ruhm, Gold - nichts scheint ihn mehr zu rühren.
Laß sehn, ob nicht die Furcht ihn rührt.»
«Die Furcht? Vor wem?»
«Vor Cethegus - und vor dem Unbekannten. Ungenanntes Grauen ist stets das stärkste. Natürlich hoffte ich lebhaft auf die Kaiserin. Wir kannten uns in der Jugendzeit. - Und wir wußten unsre Vorzüge zu schätzen schon damals. - Sie war das schönste Weib, das ich - bis damals gesehn. Und ich - nun: ich... -»
«War Cethegus», sagte Prokop.
«Aber bei aller alten Neigung, die sie nicht verleugnete, als ich nun wieder vor sie trat: die Kaiserin war nicht für meinen Krieg. Ich verstehe sie darin nicht recht. Sie hält es plötzlich für christlicher, Kirchen zu bauen als Städte zu verbrennen. - Woher diese Wandlung? Sie ist doch noch zu jung für die allgemeine Wanderung ihresgleichen von - nun, sagen wir, von Kypros nach Golgatha.»
«So weißt du nicht», fiel Prokop ein, «was außer Justinian und dir - verzeih: Rom geht vor Byzanz: was außer dir und Justinian - das ganze Ostreich weiß?»
Die schöne Kaiserin ist krank, ist innerlich verzehrt von einem furchtbaren Leiden. Du staunst? Ja, sie erträgt nicht nur, sie verbirgt es auch mit unerreichter Willenskraft vor Justinian. Denn dieser größte und kleinste aller Selbstlinge haßt die Kranken: er kann nichts in seiner Nähe haben, was an Leiden und Sterben mahnt.
So gewaltig ihn die Kaiserin beherrscht, - ich bin gewiß, entdeckte er ihr Leiden, er schickte sie, zärtlich besorgt, zur Heilung in die fernste Stadt der Reiches. Hat er es doch mit Germanus ähnlich gemacht, den er aufrichtig geliebt.
Darum trägt die Kaiserin Höllenqualen mit lächelndem Munde. Furchtbar sollen ihre Nächte sein. Aber bei Tage, in der Nähe des Kaisers, an der Tafel, in der Kirche, bei den Zirkusfesten birgt sie ihre Schmerzen mit übermenschlicher Kraft. Auch ihre Schönheit hat kaum merklich gelitten. Denn unerschöpflich ist das Arsenal ihrer Schönheitskünste. Nur noch zarter ist sie geworden. Aber fast noch gewaltiger an beherrschendem Geist.»
«Ein wunderbares Weib.»
«Ja, und so sehr sie im kleinen ihre Listen und Ränke pflegt: in großen Dingen, in Fragen des Staats läßt sie nie von hrer Überzeugung.»
«Nie. Oder doch nur schwer. Schon wollte der Kaiser die Friedensvorschläge der Goten annehmen: Cassiodor und - ein andrer sollten siegen über mich. - Theodora sprach nicht für den Krieg - und alles schien für mich verloren.
Da fiel mir noch im letzten Augenblick ein, auf ihre Frömmigkeit zu wirken.
Ich erfuhr durch sie selbst, daß Justinian die beiden Gesandten zu günstigem Bescheid in den Palast berufen.
Am gleichen Mittag eilte ich zu ihr und sprach: Christus, dem Gottessohn, und überweisest sie seinen verhaßten Feinden, den arianischen Ketzern. Glaubst du das wiegen deine hundert Bauten auf?> Das wirkte. Erschrocken sprang sie von dem Lager auf und rief: Sind wir zu schwach, jene Kirchen den Ketzern zu entreißen, wollen wir doch nimmermehr sie ihnen ausdrücklich zuerkennen. Niemals darf der Kaiser ihnen Italien friedlich überlassen! Danke dir, Cethegus: manche gemeinsame Sünde unsrer Jugend werden uns die Heiligen vergeben, weil du mich abgehalten von dieser schwersten Sünde.> Und sie lud ihren Gemahl zu sich zur Tafel: und unter ihren Blumen, Gebeten und Küssen entbrannte Justinianus aufs neue für die Sache Christi, verwarf die Friedensvorschläge, und der weise Cassiodor zog unverrichteter Dinge ab. Der Friede ist verhütet. Den Krieg sofort zu erzwingen hab' ich noch kein Mittel. Aber ich werde es finden. Denn Rom muß frei werden von den Barbaren.» Und ruhig hielt Cethegus inne, ergriff den Becher und trank: aber in ihm loderte tief verhaltne Leidenschaft.
Prokopius legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach: «Höre, Cethegus, ich staune. Ich staune, daß in unsrer Zeit des Niedergangs in einer Männerbrust noch solche Kraft wohnt.
Und solches Feuer glüht für ein hohes, uneigennütziges Ziel, wie die Freiheit Roms. Sei dieses Ziel immerhin, wie ich glaube, ein glänzendes Traumbild. Und weil dies Ziel nicht ein selbstisches: darum verzeihe ich dir die mancherlei krummen, dunkeln Pfade, auf denen du gewandelt bist. Und andre Leute, wie zum Beispiel Belisar und mich, hast wandeln lassen, durch
Arglist und Frevel hindurch. Von dem Tage an, da ich dein Ziel als ein selbstisches erkennen müßte - bei aller Bewunderung deines Geistes, deiner Kraft - ich müßte dir die alte Freundschaft kündigen.»
Cethegus aber lachte. «Hör' ich noch immer aus deinem Mund die halb platonische, halb christliche Ethik, wie in der Schule zu Athen! Alter Zögling du des Kaiserhofes und des Feldlagers? -Hast du noch immer diese Mädchen-Moral?
Selbstisch - Unselbstisch? - Was, wer ist denn unselbstisch? Wer kann es sein? Jeder will in jedem Augenblick, was er wollen muß.
Ob ich der Befreier Roms werden will oder etwa sein Tyrann -: beides ist gleich selbstisch. Denn die Liebe ist die größte, weil die süßeste Selbstsucht.»
«Und Christus? Starb er vielleicht auch aus Selbstsucht?»
«Gewiß: aus einer edeln Schwärmerei! Sein Egoismus galt der Menschheit! Sie hat ihm danach vergolten: gekreuzigt haben sie ihn für seine Liebe. Wie Justinian Belisar, wie Rom Cethegus vergilt. Die Selbstsucht der Schwächlinge ist erbärmlich: die der Starken großartig. Das ist der einzige Unterschied der Menschen.»
«Nein, Freund! Das ist die Sophistik einer starken Leidenschaft. Das Höchste ist: das Gute nur durch gute Mittel anstreben. Zu diesem Höchsten ist Prokop zu klein, die Zeit zu schwach.
Aber laß uns wenigstens durch böse Mittel nur dem Guten dienen: nicht dem Bösen, nicht der Selbstsucht. Wehe mir, wenn ich einst an dir irre werden müßte. Ich glaube an den Schwerthelden Belisar, an den Geisteshelden Cethegus. Wehe, wenn mir aus meinem Heros Cethegus einst ein Dämon würde. Ich begreife, daß die Menschen dich scheuen, dich fürchten wie Luzifer, den gefallnen Engel des Morgensterns.
«Ich könnte die Beispiele noch mehren», sagte Cethegus, die Brauen zusammenziehend. «Aber ich will die zürnenden Schatten nicht heraufbeschwören aus ihrer Grabesruhe. Nur den dicken Balbus», lachte er, «will ich erwähnen. Ich hatte ihm die Ehre zugedacht, wie Gottes Sohn zu sterben.
Aber er hat sich seinem Gott, d. h. seinem Bauch freiwillig geopfert. Von Quintus Piso, den der Barbarenkönig aus der Gefangenschaft ohne Lösegeld entließ, wie Marcus Massurius und Salvius Julianus, erfuhr ich sein Ende.
Er bestach die gotischen Wachen, die das Unmaß des Fressens der Heißhungrigen verhüten sollten, mit seinen letzten Goldstücken, ihn essen zu lassen, solang er wollte. Er aß drei Stunden. In der vierten war er tot. Er starb im Dienst! Aber was hilft all das Verderben meiner kleinen Feinde? Solang in Rom ein Feind triumphierend thront, der wahrlich groß ist» - und er hielt inne, dann fuhr er grimmig fort - «aber nur an sinnlosem, maßlosem Glück.»
«Bist du nicht ungerecht gegen diesen König Totila? Wird nicht dereinst sein Geschichtsschreiber anders... -»
«Ich aber bin nicht dereinst sein Geschichtsschreiber. Ich bin jetzt sein Feind bis zum Tode. Ha, der Tag, da dieses Knaben Herzblut mir von des Speeres Spitze träuft - ich muß ihn noch erleben.
Begreifen kann ich Achilleus, der die Leiche des erschlagnen Hektor dreimal um die Wälle schleift. Seit ich kämpfe um mein Rom, steht immer und immer wieder, und meistens sieghaft, dieser Blondkopf mit dem Mädchenantlitz mir entgegen.
Er hat mir meinen Liebling und mein Rom und zuletzt noch meinen edeln Pluto genommen. Wie Piso erzählt, fanden sie, den Reiter verfolgend, das Roß, wo es Syphax geborgen am Tiber: und der Barbar hat von aller römischen Beute nur das Roß des Präfekten für sich genommen. Schleudre ihn doch, mein Pluto, kopfüber und zerstampfe ihm mit den Hufen das Hirn.»
«Du hassest heiß!»
«Ja, diesen hass' ich nicht nur aus Vernunft: aus angebornen Feindschaft der Natur. Als ich ihm das Forum romanum räumen mußte, habe ich's ihm gelobt: er stirbt von meiner Hand.
Aber», schloß er, sich beruhigend, «wann? wann?
Wann find' ich das Mittel, diesen trägen Koloß, den man Justinianus, den Kaiser der Romäer nennt, auf das Gotenreich zu stürzen? Wann ruft das Schicksal wieder mit ehernem Tubaton mich auf mein großes Schlachtfeld Italien?»
Da drängte sich eilfertig Syphax durch die Vorhänge des Gemachs. «Herr», sprach er, sich neigend, «ich heische Botenlohn. Es hat irgendwo gewittert: - es zieht wohl rasch gegen diese Stadt. Es braut und spinnt was in der Luft. Im goldnen Palast ist geschäftige, unheimliche Bewegung. Wachen sind an alle Tore geschickt, eintreffende Boten sogleich in geschlossenen Sänften zum Kaiser zu führen. Die Boten sollen mit niemand sprechen. Und soeben gab in deinem Hause ein goldgleißender Sklave diesen Brief ab - von der Kaiserin.»
Hastig riß Cethegus die Purpurschnüre hinweg von dem Siegel, der Taube - war es die von Kypros oder die vom Pfingstfest? - und las: «An den Jupiter des Kapitols. Verlasse morgen dein Haus nicht, bis ich dich entbiete. Morgen rufen dich dein Schicksal und - Kypris.»
Am andern Morgen stand Kaiser Justinian in tiefem Nachdenken vor dem hohen, heiligen Goldkreuz in seinem Gemach.
Sein Ausdruck war sehr ernst, aber nicht bestürzt und nicht zweifelig. Entschlossene Ruhe lag heute auf seinen Zügen, die, sonst nicht schön oder edel, in diesem Augenblick Geistesschärfe und Überlegenheit verrieten. Er erhob Stirn und Augen fast drohend gegen das Goldkreuz und sprach: «Auf harte Proben, Gott des Kreuzes, stellst du deinen treuen Knecht! Mir ist, Herr Christus, ich hätte Besseres um dich, von dir verdient! Du weißt ja doch, was alles ich getan, zu deines Namens Ehre! Warum triffst du mit deinen Schlägen nicht deine Feinde, die Heiden, die Ketzer? Warum mich? Aber da du's nun einmal so gewollt, sollst du erfahren: Justinianus kann noch mehr als Kirchen baun und Bilder weihn.»
Und er schritt durch das Gemach: sein Blick fiel auf die Büsten der Kaiser, welche hier an den Wänden auf kleinen Sockeln prangten.
«Großer Constantinus, Gründer dieses Ostreichs, Schirmherr des rechten Glaubens! Bangst du für dein Werk? Bange nicht: getrost! du hast's gebaut, und Justinianus wird's erhalten. Ihr andern alle hattet's leicht, groß sein, Großes schaffen: -Augustus - die Antonine - Trajanus - Hadrianus: ihr alle wart noch im Anfang oder auf den Höhen. Ich aber soll das Rad aufhalten, das von dem Gipfel niederrollt. Und ich will's aufhalten. Und ich hab' es schon aufgehalten. Und hab' es mühevoll auch wieder ein gut Stück emporgehoben. Ich sehe euch getrost ins Antlitz: ich schäme mich nicht vor euch. Wo ist der wilden, ketzerischen Vandalen Reich? Der Enkel Geiserichs, des gefürchteten Seekönigs, kniete vor mir im Hippodrom. Laß sehen, ob Justinian nicht wie Karthago auch Rom zurückgewinnt. Sie wollen den Frieden ertrotzen, die Barbaren, in Italien: sie sollen ihn finden, den Frieden des Grabes!»
Da meldete der Velarius: «Herr, der Senat ist versammelt im Saale von Jerusalem. Die Kaiserin betritt soeben die Löwentreppe.»
«Gut», sagte Justinian, «geh. Die Stunde der Prüfung ist gekommen für Theodora. Und für sie alle, die sich meine Räte nennen. Sie sind nie verlegen, wenn es kleine Mittel gilt für kleine Ziele. Wenn sie, behaglich auf den Seidenpolstern sitzend, Verbannung und Konfiskation über ihre Amtsgenossen rechtfertigen sollen, wie scharfsinnig, wie erfinderisch sind sie! Des Reiches und des Kaisers Majestät ist das Alpha und Omega dieser Sklavenlippen. Laß sehen, ob sie auch heute dran gedenken. Nur heute versage mir nicht, du höchste Kunst des Herrschers: undurchschaubare, tief ausholende Verstellung. Heute gilt es, eure Kraft erproben, ihr Staatsmänner von Byzanz. Ich ahne, wie ihr bestehn werdet. Und mich freut's. Eure Erbärmlichkeit ist die beste Stütze meines Throns. Und die beste Rechtfertigung meines Regiments. Klar soll euch werden in eure erschrockenen Herzen hinein, daß ihr einen Zwingherrn braucht, ihr feigen, ehrlosen, ratlosen Sklaven!» -
Da erschienen die Kämmerer, das Ankleidepersonal.
Justinian vertauschte nun das Morgengewand mit der kaiserlichen Staatstracht. Kniend halfen ihm dabei die Vestiarii.
Er legte die weiße, bis an die Knie reichende Tunika an von weißer Seide, an beiden Seiten mit Gold besetzt und durch einen purpurfarbenen Gürtel gehalten: auch die ganz eng anschließenden Beinkleider waren von Seidenstoff und Purpurfarbe. Über die Schulter warf ihm der Mantelsklave den prachtvollen Kaisermantel von hellerer Purpurfarbe mit breitem Clavus (Saum) von Gold, in welchem rote Kreise und in grüner Seide gestickte symbolische Tiergestalten, zumal Vögel, wechselten; aber die verschwenderisch darübergestreuten Perlen und Edelsteine machten die Zeichnung kaum erkennbar und den ganzen Mantel so schwer, daß die Hilfe der Schleppträger nicht unerwünscht sein mußte.
Jeden Unterarm bedeckten drei breite goldne Armringe. Das Diadem, links und rechts breit vom Kopf abstehend, von massivem schwerem Golde, war von zwei Perlenbogen überwölkt. Den Mantel hielt auf der rechten Schulter eine kostbare Spange mit großen Edelsteinen. In die Hand gab ihm der Zepterverwahrer den über mannslangen goldnen Herrscherstab, der oben die Weltkugel aus einem einzigen Smaragd und darauf das Goldkreuz trug.
Fest ergriff ihn der Kaiser und sprang von der Kline auf.
«Noch die Sandalen, Herr, die Kothurn-Sandalen», mahnte ein kniender Kämmerer.
«Nein, heute brauch' ich keine Kothurn», sprach Justinian und schritt aus dem Gemach.
Über die Löwentreppe, benannt von vierundzwanzig aus Karthago von Belisar eingebrachten hohen Marmorlöwen, welche die zwölf Stufen von beiden Seiten bewachten, stieg der Kaiser in ein tieferes Geschoß und in den großen Beratungssaal des Palastes, den «Saal von Jerusalem».
Dieser trug seinen Namen von den Porphyrsäulen, Onyxschalen, Goldtischen und zahllosen Goldgeräten, die an den Wänden und auf Halbsäulen angebracht, der Überlieferung nach dereinst den Tempel von Jerusalem geschmückt. Von dort hatte Titus nach der Eroberung der Stadt diese Schätze nach Rom entführt. Aus Rom hatte sie der Meerkönig Geiserich auf seinen vandalischen Drachenschiffen, gleichzeitig mit der Kaiserin Eudoxia, nach seiner Hauptstadt Karthago getragen. Und nun hatte sie Belisar aus Afrika dem Kaiser des Ostreichs zugeführt.
Die Kuppel des Saales war dem Himmelsgewölbe nachgebildet, aus kostbaren blauen Halbedelsteinen zusammengefügt: und außer der Sonne, dem Mond, dem Auge Gottes, dem Lamm, dem Fisch, den Vögeln, der Palme, der Rebe, dem Einhorn und andern christlichen Sinnbildern war der ganze Zodiakus, und waren zahllose Sterne aus massivem Golde in die Mosaikarbeit eingelassen. Die Kosten dieser Kuppel allein schlug man in Byzanz so hoch an als das Gesamterträgnis der Grundsteuer des ganzen Reiches für fünfundvierzig Jahre.
Gegenüber den drei hohen Eingangsbogen, die von Vorhängen geschlossen und außerhalb des Saales - er war der einzige Eingang - von der kaiserlichen Leibwache der «Goldschildner» in dreifacher Kette gehütet waren, erhoben sich in der Tiefe des halbrunden Saales der Thron des Kaisers und, links von diesem, etwas niedrer, der der Kaiserin.
Als Justinian den Saal betrat mit großem Gefolge der Palastdiener, warfen sich alle Versammelten, die höchsten Würdenträger des Reiches, auf das Antlitz zu demütiger Proskynese.
Auch die Kaiserin erhob sich, beugte tief das Haupt und kreuzte die Arme auf der Brust. Ihre Kleidung war der des Gemahls ganz ähnlich: auch ihre weiße Stola überwallte der Purpurmantel, dem jedoch der kaiserliche Clavus fehlte. Auch sie trug ein Zepter, aber nur ein ganz kurzes, aus Elfenbein.
Einen matten, aber verachtungsvollen Blick warf die Herrscherin über die Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Patrizier und Senatoren, welche, über dreißig an der Zahl, die im Halbkreis ausgestellten goldnen Stühle mit den Seidenpolstern füllten.
Durch den in der Mitte den Saal teilenden Gang schritt nun Justinianus und bestieg mit raschem, sicherem Schritt seinen Thron, das Zepter schwingend.
Zwölf der ersten Palastbeamten standen auf den Stufen der beiden Throne, weiße Stäbe in den Händen. Trompetenschall gab nun den auf das Antlitz Gesunkenen das Zeichen, sich zu
erheben.
«Wir haben auch berufen», hob der Kaiser an, «heilige Bischöfe und erlauchte Senatoren, in schwerer Sache euren Rat zu hören. Aber warum fehlt unser Magister Militum per Orientem, Narses?»
«Er ist gestern erst aus Persien eingetroffen - er liegt schwer krank zu Bett», meldete der Proto-Keryx.
«Unser Quästor sacri palatii Tribonianus?»
«Ist noch nicht zurück von deiner Sendung nach Berytus um die Codices.»
«Warum fehlt Belisarius, unser Magister Militum per Orientem extra Ordinem?»
«Er wohnt nicht in Byzanz, sondern drüben in Asien, in Sycae, im roten Hause.»
«Er hält sich sehr abseits im roten Hause. Das mißfällt uns. Was entzieht er sich unserem Blick?»
«Er war dort nicht zu finden.»
«Auch nicht im Hause seines Freigelassenen Photius, im Muschelhaus?»
«Er war auf die Jagd geritten, die persischen Jagd-Leoparden zu erproben», sagte Leo, der comes spathariorum.
«Er ist nie da, wenn man ihn braucht. Und immer, wenn man ihn nicht braucht. Ich bin nicht zufrieden mit Belisarius. - -Vernehmt nun, was geschehen, was uns in den letzten Tagen durch viele Briefe zuging: zuletzt sollt ihr auch mündlichen Bericht der Boten hören. -
Ihr wißt: wir haben den Krieg in Italien einschlafen lassen, weil wir andre Aufgaben hatten für unsre Feldherrn. Ihr wißt: der Barbarenkönig bat um Frieden, um Überlassung Italiens. Wir wiesen das damals ab, gelegene Zeit erwartend.
Antwort hat der Gote nicht in Worten, in sehr verwegnen Taten gegeben. Ihr wißt noch nicht davon: - niemand in Byzanz
- wir behielten die Nachricht für uns, sie unmöglich, oder doch übertrieben erachtend. Aber wahr ist alles, was gemeldet ward: vernehmt, und dann erteilet Rat.
Eine Flotte und ein Heer hatte der Barbarenkönig nach Dalmatien geschickt in aller Heimlichkeit und Eile. Die Flotte lief in den Hafen von Muicurum bei Salona, und das gelandete Heer nahm die feste Stadt mit Sturm. Ebenso überraschte die Flotte die Seestadt Laureata.
Claudianus, unser Befehlshaber zu Salona, schickte zahlreiche und stark bemannte Dromonen, den Goten die Stadt wieder zu entreißen. Aber in einer großen Seeschlacht schlug ein Gotenherzog - Guntharis - diese unsere Flotte dermaßen, daß er alle Dromonen ohne Ausnahme eroberte und siegreich in den Hafen von Laureata einführte.
Eine zweite Flotte von vierhundert großen Schiffen rüstete der König bei Centumcellä aus. Sie war meistenteils gebildet aus unsern Dromonen, die, vom Orient aus nach Sizilien für Belisar gesendet, in Unkenntnis, daß die italischen Häfen wieder in der Hand der Goten, mit aller Bemannung und Ladung waren weggenommen worden von einem Gotengrafen - Grippa. Das Ziel auch dieser neu geschaffenen Flotte war unbekannt.
Plötzlich erschien der Barbarenkönig selbst mit dieser Flotte vor Regium, der festen Hafenstadt an der äußersten Südspitze Bruttiens, die wir gleich bei der ersten Landung gewonnen und seither nicht wieder verloren hatten. Nach tapferm Widerstand ergaben sich die Heruler und Massageten unserer Besatzung.
Der Tyrann Totila aber wandte sich nun rasch nach Sizilien, diese früheste Eroberung Belisars uns wieder zu entreißen. Er schlug den Römer Comes Dommentiolus, der ihm ins offene Feld entgegentrat, und gewann rasch das ganze Eiland. Nur Messana, Panormos und Syracusä schützten noch ihre festen Mauern. Eine Flotte, die wir zum Schutze, zur Wiedergewinnung von Sizilien aussandten, zerstreute der Sturm.
Eine zweite blies der Nordwest in den Peloponnes zurück.
Gleichzeitig segelte eine dritte Trierenflotte dieses unerschöpflichen Königs unter einem Grafen Haduswinth gegen Corsica und Sardinia. Die erstere Insel fiel alsbald den Goten zu, nachdem die kaiserliche Besatzung ihrer Hauptstadt Aleria in offener Schlacht geschlagen war. Der reiche Corse Furius Ahalla, dem der größte Teil des Eilands gehörte, war zwar fern in Indien. Aber seine Institoren und Colonen waren angewiesen, im Fall einer Landung der Goten diesen keinen Widerstand, sondern beste Förderung zu leisten.
Von Corsica wandten sich die Barbaren nach der Insel Sardinia. Hier schlugen sie bei Karalis die Truppen, die unser Magister Militum von Afrika zur Beschützung der Insel herübergeschickt. Und sie nahmen diese Stadt, wie Sulci, Castra Trajani und Turres in Besitz.
Auf beiden Eilanden aber, auf Corsica und auf Sardinia, richten sich die Goten häuslich ein. Sie behandeln dieselben als dauernd erworbene Zubehörden ihres Reiches in Italien. Sie setzen Gotengrafen in allen Städten ein. Und sie erheben nach gotischem Verfassungsrecht die Steuern. Diese sind -unbegreiflich -! - viel geringer als die unseren. Und die Untertanen dort erklären schamlos: sie zahlen lieber den Barbaren fünfzig als uns neunzig.
Aber nicht genug.
Nordöstlich heraufsegelnd von Sizilien vereinte der Tyrann Totila sein Geschwader mit einer vierten Flotte unter Graf Teja auf der Höhe von Hydrus. Eine dieser vereinten Flotten, unter Graf Thorismut, landete auf Corcyra, nahm die Insel in Besitz und gewann von dort aus alle umliegenden Eilande, zumal die Sybotischen Inseln.
Aber noch nicht genug.
Der Tyrann Totila und sein Graf Teja griffen bereits das Festland unseres Reiches an.»
Ein Murmeln des Schreckens unterbrach hier den kaiserlichen Redner.
Finster und grimmig fuhr dieser fort: «Sie landeten in dem Hafen von Epirus vetus, eroberten die Städte Nikopolis und Anchisus, südwestlich von dem alten Dodona, und nahmen eine Menge unserer Schiffe in jenen Küstengewässern weg. Das bisher Mitgeteilte mochte nur euren Unwillen erregen über die Verwegenheit der Barbaren. Aber nun vernehmt, was euch anders ergreifen mag. Kurz gesagt und klar, - nach den gestern hier eingetroffenen Boten ist es gewiß: Die Goten sind in vollem Anzug auf Byzanz.»
Da sprangen einzelne der Senatoren von ihren Stühlen.
«In doppeltem Angriff. Ihre versammelten Geschwader, von Herzog Guntharis, den Grafen Markja, Grippa und Thorismut geführt, haben in zweitägiger Seeschlacht unsre Flotte der Inselprovinz geschlagen und in die Meerenge von Sestos und Abydos getrieben.
Ihr Landheer aber, unter Totila und Teja, zieht quer durch Thessalien über Dodona gegen Makedonien: schon ist Thessalonike bedroht. Die
Die Straße nach Byzanz liegt ihnen offen. Und kein Heer steht mehr zwischen uns und den Barbaren. All unsere Truppen liegen an der Persergrenze.
Und nun vernehmt, was uns der Barbarenkönig bietet. Glücklicherweise hat ihn ein Gott betört und unsre Schwäche ihm verhüllt.
Hört es: er bietet uns abermals den Frieden unter den gleichen Bedingungen wie vor Monaten.
Nur Sizilien verlangt er jetzt dazu. Aber alle andern Eroberungen will er ohne Schwertstreich räumen, wenn wir ihn nur in Italien anerkennen.
Da ich gar kein Mittel, weder Segel noch Kohorte, hatte, ihn aufzuhalten, rückte er vor, so habe ich einstweilen Waffenstillstand gefordert. Diesen nahm er an, unter der Voraussetzung, daß der Friede unter jenen Bedingungen geschlossen werde.
Das sagte ich zu.»---
Hier warf er einen prüfenden Blick auf die Versammlung, auch einen Seitenblick auf seine Kaiserin.
Die Versammelten atmeten sichtlich auf.
Die Kaiserin schloß die Augen, deren Ausdruck zu verbergen. Sie drückte die kleine Hand krampfhaft auf die goldne Lehne ihres Throns.
«Nur unter dem Vorbehalt, noch meiner Gemahlin, die zuletzt nur noch für den Frieden sprach, und meines weisen Senates Meinung zu vernehmen. Ich fügte bei, ich sei dem Frieden geneigt.»
Da glätteten sich die Gesichter bedeutend.
«Und ich glaubte, das Urteil meiner Räte voraussagen zu können. Daraufhin machten die vordringenden Reiter Graf Tejas auf Befehl des Königs widerwillig halt vor Thessalonike: leider nahmen sie noch vorher den Bischof der Stadt gefangen. Aber sie sandten ihn mit andern Gefangnen, mit Boten und Briefen hierher, vernehmt sie selbst. Dann fasset euren Entschluß. Bedenkt aber dabei, daß die Barbaren in wenigen Tagen vor unsern Toren stehen, verwerfen wir den Frieden.
Und daß wir nur abtreten sollen, was das Reich seit vielen Jahrzehnten aufgegeben hatte, und was zwei Feldzüge Belisars nicht wiedergewinnen konnten: Italien. Führt nun die Boten ein.»
Durch die Eingangsbogen wurden nun von den Leibwachen hereingeleitet Männer in geistlicher, in Amts- und Kriegertracht.
Sie warfen sich vor Justinians Thron nieder unter Zittern und
Seufzen, auch Tränen fehlten nicht. Auf einen Wink erhoben sie sich wieder und stellten sich vor den Stufen des Thrones auf.
«Eure Bittbriefe und Klageberichte», sprach der Kaiser, «hab' ich gestern schon durchlesen. Protonotarius, verlies nur den einen, den gemeinsamen des gefangenen Bischofs von Nikopolis und des verwundeten Comes von Illyricum, - der ist seither seinen Wunden erlegen. -»
«An Justinianus, den unbesiegbaren Kaiser der Romäer. Dorotheos, Bischof von Nikopolis, und Nazares, comes per Illyricum.
Der Ort, wo wir dies schreiben, ist der beste Beweis für den Ernst unsrer Worte. Wir schreiben dies an Bord des Königsschiffs des Gotenfürsten,
Rascher als die Boten, rascher als die Flüchtlinge von diesen großen Schlachten haben uns die gotischen Verfolger erreicht. Nikopolis hat der Gotenkönig erobert und verschont. Anchius hat Graf Teja erobert und verbrannt.
Ich, Nazares, diene dreißig Jahre in Waffen: nie hab' ich solchen Angriff gesehen, wie den, bei welchem Graf Teja mich im Tore von Anchisus niederschlug. - Er ist unbezwingbar! Seine Reiter fegen durch alles Land von Thessalonike bis Philippi.
Die Goten im Herzen von Illyricum! Seit sechzig Jahren ist es unerhört! Und der König hat geschworen, alle Jahre wiederzukehren, bis er den Frieden hat oder - Byzanz. Seit er Corcyra hat und die Syboten, steht er auf der Brücke in dein Reich. Und da Gott das Herz dieses Königs gerührt hat, daß er dir Frieden bietet um billigen Preis - ja nur um den Preis, den er schon hat flehen wir dich an, im Namen deiner zitternden Untertanen, deiner rauchenden Städte: schließe Frieden. Rette
uns und rette Byzanz!
Denn eher werden deine Feldherrn Belisar und Narses die Morgensonne und den Nordsturm aufhalten auf ihren Bahnen als den König Totila und diesen fürchterlichen Teja.»
«Beide Briefschreiber waren gefangen», unterbrach der Kaiser. «Sie reden vielleicht aus Furcht vor der Barbaren Todesbedrohung. Sprecht nun ihr: du, ehrwürdiger Bischof Theophilos von Thessalonike, du, Logothetes von Dodona, Anatolius, du, Parmenio, tapfrer Führer der makedonischen Lanzen, ihr seid hier sicher in unsrem kaiserlichen Palast, aber ihr habt die Barbarenführer gesehn: - was ratet ihr?»
Da warf sich der greise Bischof von Thessalonike abermals auf die Knie und sprach:«O Kaiser der Romäer: der Barbarenkönig Totila ist ein Ketzer. Und ewig verdammt. Das könnte mich irre machen an den Grundlehren der Kirche. Denn nie sah ich einen Mann so reich geschmückt mit allen christlichen Tugenden. Ringe nicht mit ihm! Im Jenseits ist er verworfen auf ewig. Aber - ich kann es nicht fassen - auf Erden segnet die Gnade Gottes alle seine Schritte: er ist unwiderstehlich.»
«Ich fass' es wohl», fiel Anatolius, der Logothetes, ein, «Schlauheit gewinnt ihm die Herzen: tiefste Heuchelei, Verstellung, die all unsre viel gerühmte und gescholtene Griechenklugheit übertrifft. Der Barbar spielt die Rolle des erbarmenden Menschenfreundes so unübertrefflich täuschend, daß er beinahe auch mich getäuscht hätte, bis ich mir sagte, daß es dergleichen in der Welt nicht geben könne, was dieser Gote spielt wie ein Mime. Er tut, als ob er wirklich Erbarmen habe mit besiegten Feinden! Er speist die Hungernden, er läßt das erbeutete Geld deiner Steuerkassen, o Kaiser, unter die Landleute verteilen, deren Felder durch den Krieg gelitten. Er gibt den Männern die Weiber unversehrt zurück, die diese in die Wälder geflüchtet und seine Reiter, die allgegenwärtigen, gefunden haben. Er reitet unter Harfenspiel eines schönen
Knaben, der ihm des Rosses Zügel führt, in die Dörfer ein. Weißt du, was die Folge ist? Deine eignen Untertanen, o Kaiser der Romäer, fallen ihm zu, tragen ihm Kundschaft, liefern ihm deine Beamten, die deinen strengen Steuergeboten gehorchten, in Ketten aus. So mich selber die Bauern und Colonen von Dodona.
Dieser Barbar ist der größte Schauspieler des Jahrhunderts. Denn Wahrheit kann's nicht sein.
Dieser kluge Heuchler hat aber zu noch viel mehr Dingen Verstand als zum Zuschlagen. Er hat mit den fernen Persern, mit deinem Erzfeind Choroes, Verbindungen angeknüpft zu gegenseitiger Waffenhilfe wider dich. Wir haben selbst die persischen Gesandten gesehen, die aus seinem Lager wieder ostwärts ritten.»
Der Makedonen-Hauptmann aber sprach: «Beherrscher der Romäer: seit Graf Teja die Heerstraße von Thessalonike gewonnen hat, steht nichts mehr zwischen deinem Thron und seiner schrecklichen Streitaxt als die Mauer dieser Stadt. Wer die
«Friede! Friede! Wir flehen dich an im Namen deiner zitternden Provinzen Epirus, Thessalien, Makedonien.»
«Schaff uns die Goten aus dem Lande!»
«Laß nicht Alarichs, Theoderichs Tage sich schrecklicher erneuern.»
«Friede mit den Goten! Friede! Friede!»
Und alle die Gesandten, Bischöfe, Beamten, Krieger sanken auf die Knie mit dem flehenden Rufe: «Friede!»
Denn furchtbar war der Eindruck dieser Nachrichten auf die Versammlung.
Wohl kam es oft vor, daß an den äußersten Marken des Reiches Perser und Sarazenen im Osten, Mauern im Süden, Bulgaren und Slawen im Nordwesten plündernd über die Grenze brache n, auch wohl die nächsten Truppen schlugen und mit ihrem Raub ungestraft wieder entkamen.
Aber, daß auf die Dauer griechische Inseln von den Feinden besetzt, daß griechische Küstenstädte von Barbaren gewonnen und verwaltet, daß die Straßen von Byzanz von Germanen beherrscht wurden, - das war seit acht Jahrzehnten unerhört.
Mit Entsetzen gedachten die Senatoren der Tage, da gotische Schiffe und gotische Heere alle griechischen Inseln überzogen und wiederholt die Wälle von Byzanz bestürmten, nur durch Erfüllung aller ihrer Forderungen von der Erstürmung abzubringen: schon hörten sie die Beilschläge des schwarzen Teja an die Tore pochen. So lag der Ausdruck hilfloser Furcht auf allen Gesichtern.
Ruhig prüfend blickte Justinian zur Rechten und zur Linken auf die Reihen.
«Ihr habt gehört», begann er dann, «was Kirche, Staat und Heer verlangen. Ich fordre nun euren Rat. Waffenstillstand haben wir schon erreicht. Soll neuer Krieg, soll Friede daraus werden? Ein Wort erkauft den Frieden: Abtretung des doch verlornen Italiens. Wer von euch für den Krieg, erhebe seinen Arm.»
Kein Arm erhob sich.
Denn die Senatoren bangten für Byzanz; und sie hatten an der Friedensneigung des Kaisers keinen Zweifel.
«Einstimmig wählt mein Senat den Frieden. Ich sah's voraus», sagte Justinian mit einem seltsamen Lächeln. «Ich bin gewohnt, stets meinen weisen Räten zu folgen. Und meine Kaiserin?»
Da sprang Theodora wie eine bäumende Schlange von ihrem Sitz und schleuderte ihr elfenbeinernes kurzes Zepter so heftig von sich, daß es weit in den Saal hinabflog.
Schreck malte sich in den Zügen der Senatoren.
«So fahre hin», rief sie mit aller Anstrengung, «was mein Stolz gewesen, jahrelang: mein Glaube an Justinian und seine Kaiserhoheit! So fahre hin jeder Anteil an der Sorge für das Reich und seine Ehre. Wehe, Justinianus, wehe mir und dir, daß ich solche Worte hören mußte aus deinem Mund!»
Und sie verhüllte das Haupt in ihren Purpurmantel, die Schmerzen bergend, welche die Erregung ihr verursacht.
Der Kaiser wandte sich zu ihr: «Wie, die Augusta, unsre Gemahlin, die seit Belisars zweiter Heimkehr immer zum Frieden riet - mit kurzer Ausnahme -, sie rät, jetzt, in solchen Gefahren...?»
«Krieg!» rief Theodora, den Purpur fallenlassend.
Und ihr Angesicht wurde schön in hohem Ernst, wie es nie war in spielendem Scherz.
«Muß ich, dein Weib, dich mahnen an deine Ehre?
Du willst es dulden, daß Barbaren in deinem Reiche sich festsetzen, dich durch Bedrohung zu ihrem Willen zwingen? Du, der geträumt von Wiederherstellung des Reiches Constantins? Du, Justinianus, der du die Namen Persicus, Vandalicus, Alanicus und Goticus dir zugelegt, willst dulden, daß dieser gotische Jüngling dich am Barte dahin zerrt, wohin er will? Dann bist du nicht der Justinianus, den seit Jahren die Welt, Byzanz, Theodora bewundert. Ein Irrtum war unsere Verehrung.»
Da ermannte sich der Patriarch von Byzanz - er glaubte immer noch, der Kaiser habe den Frieden bereits unwiderruflich beschlossen - zum Widerstand gegen die Kaiserin, die leider nicht immer haarscharf die von ihm gerade vertretene, feine Schattierung der Rechtgläubigkeit traf.
«Wie», sprach er, «die erhabne Frau rät zum blutigen Krieg? Wahrlich, die heil'ge Kirche hat nicht Ursache, für die Ketzer zu sprechen. Indessen: der neue König ist wunderbar mild gegen die Katholiken in Italien, und man kann ja gelegnere Zeit abwarten, bis... »
«Nein, Priester», unterbrach Theodora, «die beschimpfte Ehre dieses Reiches kann nicht warten. O Justinianus» dieser schwieg immer noch beharrlich und schloß die Augen, auf daß deren Ausdruck nicht seine Stimmung verrate. «O Justinianus, laß mich, laß die Welt nicht irre an dir werden. Du darfst dir nicht schimpflich abtrotzen lassen, was du der Bitte verweigert! Muß ich dich mahnen, wie schon einmal deines Weibes Rat und Kraft und Mut dich, deine Ehre, deinen Thron gerettet hat?
Hast du vergessen den furchtbaren Aufstand der Nika?
Vergessen, wie die vereinten Parteien des Zirkus, die Grünen und die Blauen, der rasende Pöbel von Byzanz heranwogte gegen dieses Haus?
Die Flammen und die Rufe:
Alle verzagten sie, die Männer.
Da war dein Weib, Theodora, der einzige Held an deiner Seite. Gabst du nach oder flohest du, so war dein Thron, dein Leben, ganz gewiß aber deine Ehre verloren. Du schwanktest, du neigtest zur Flucht.
Und du bliebest, und dein Mut hat dich gerettet. Du harrtest aus, den Tod auf dem Thron erwartend mit mir - aber - Gott sandte Belisar zum Entsatz und Sieg.
So spreche ich auch jetzt. Weiche nicht, Kaiser der Romäer, gib nicht nach den Barbaren. Bleibe fest: laß dich von den Trümmern des goldnen Tors begraben, sprengt es jenes wütigen Goten Beil.
Aber stirb als Kaiser!
Befleckt ist dieser Purpur von maßloser Frechheit der Germanen. Hier werf' ich ihn von mir, und ich schwör's, bei der heiligen Weisheit Gottes: nicht eher wieder leg' ich ihn an, bis kein Gote mehr auf dieses Reiches Boden steht.»
Und sie riß den Purpurmantel ab und schleuderte ihn auf die Stufen des Thrones: dann aber, tief erschöpft, war sie im Begriff, auf den Sitz zurückzusinken.
Allein Justinianus fing sie auf in seinen Armen und drückte sie an seine Brust. «Theodora», rief er mit leuchtenden Augen, «mein herrlich Weib!
Du brauchst keinen Purpur um die Schultern: dein Geist ist in Purpur gekleidet. Du allein verstehst Justinianus. Krieg und Verderben den Barbaren!»
Schrecken und Staunen befiel die bebenden Senatoren bei diesem Schauspiel.
«Ja», sprach der Kaiser, zu diesen gewendet, «weise Väter, diesmal waret ihr allzuklug, um weise, um Männer zu sein. Wohl ist es eine Ehre, der Nachfolger Constantins zu heißen. Aber keine Ehre ist es, euer Herr zu sein. Recht haben, fürcht' ich, unsre Feinde: nur den Namen, die tote Mumie Romas hat Constantin hierher verpflanzt, die Seele Romas war bereits entflohn.
Weh um dies Reich! Wär' es frei, wär' es Republik: - es wäre heute versunken in Schande. Einen Herrn muß es haben, der es, wie ein faules Roß, aus dem Sumpf, darin es zu versinken droht, emporreißt, ein scharfer Reiter mit Peitsche, Zügel und Sporn.»
Da drängte sich durch die Eingangstüren ein kleiner, gebückter Mann, auf eine Krücke gestützt, und hinkte durch den
Saal bis vor den Thron.
«Kaiser der Romäer», hob er an, von seiner Proskynese sich erhebend, «auf meinem Schmerzenslager erreichte mich dunkle Kunde, von dem, was die Barbaren gewagt, von dem, was hier entschieden werden soll in dieser Stunde. Da rafft' ich mich empor und schleppte mich mühsam hierher: denn ich muß es erfahren, durch ein Wort deines Mundes, ob ich von jeher ein Narr gewesen, daß ich dich, trotz vieler Kleinheiten, für einen großen Herrscher hielt, ob ich deinen Feldherrnstab in den tiefsten Brunnen werfen muß, oder ob ich ihn noch tragen kann mit Ehren? Sprich nur ein Wort. Krieg oder Friede?»
«Krieg, Magister Militum!» sagte Justinian, und sein hehres Antlitz strahlte.
«Sieg, Justinianus», rief der Feldherr und warf die Krücke weg. «Oh, laß mich deine Hand küssen, Imperator.» Und er hinkte die Stufen des Thrones hinauf.
«Aber Patricius», höhnte Theodora, «du bist ja auf einmal ein Mann? Du warst doch immer gegen den Gotenkrieg! Hast du plötzlich Sinn für Ehre?»
«Was Ehre!» rief Narses. «Dieser bunten Seifenblase mag Belisarius, das große Kind, nachlaufen. Nicht die Ehre: das Reich steht auf dem Spiel.
Solang ernste Gefahr vom Osten drohte, riet ich zum Perserkrieg. Von den Goten drohte nichts. Nun aber haben deine Frömmigkeit, o Kaiserin, und des Belisarius Heldenschwert so lang in dies Hornissennest gestochen, bis uns der Schwarm gefährlich um das Antlitz fliegt. Jetzt droht die Gefahr dringend, brennend von dort: und Narses rät zum Gotenkrieg. Die Goten stehen näher bei Byzanz, als Chosroe unsrer Ostgrenze steht. Wer, wie dieser Totila, ein Reich aus dem Abgrund zieht, kann viel leichter ein andres in den Abgrund stürzen. Dieser junge König ist ein Wundertäter, dem man beizeiten die Mirakel legen muß.»
«Diesmal erlebe ich», sprach Justinian, «die seltene Freude, daß meine Kaiserin und Narses eines Sinnes sind.» Und er war im Begriff, die Versammlung zu entlassen.
Da ergriff die Kaiserin seinen Arm: «Halt», sprach sie, «mein Gemahl, ich habe mir heute zum zweitenmal die Ehre erworben, dein bester Berater zu sein. Nicht wahr? Wohlan, so höre mich weiter und folge auch meinem weitern Rat.
Halte diese ganze weise Versammlung außer Narses bis morgen im Palast gefangen. Zittert nicht, ihr Illustrissimi: es gilt diesmal nicht das Leben. Aber ihr könnt nicht schweigen, ausgenommen mit abgeschnittenen Zungen. Dieses Mittel mag für diesmal durch Einsperrung ersetzt werden. Höre, Justinianus: es besteht eine Verschwörung wider dein Leben oder doch wider deine freien Entschlüsse.
Man wollte dich zum Kriege mit den Goten zwingen. Dieser ist nun zwar beschlossen. Aber heute in der Nacht oder morgen früh schon bricht die Verschwörung los: es gilt, die Verschwornen gewähren zu lassen.
Man darf sie nicht durch die Mitteilung, daß ihr Zweck ohnehin erreicht sei, abhalten von ihrem Tun.
Gefährliche, längst verdächtige und - o Justinianus - sehr, sehr reiche Leute sind darunter. Es wäre schade, wenn sie meinem aufgestellten Netz entgingen.»
Justinianus war nicht erschrocken bei dem Wort Verschwörung.
«Auch ich wußte davon», sagte er. «Aber schon so weit gediehn? Morgen früh schon? Theodora», rief er, «du bist mehr für das Reich als Belisar und Narses. Auf, Archon der Goldschildner, du hältst alle hier Versammelten gefangen, bis Narses kommt, sie abzuholen. Denkt nach indessen über diese Stunde, fromme und weise Väter, und ihre Lehren. Narses, folge uns und der Kaiserin.»
Und er schritt die Stufen des Thrones hinab.
Die Eingangsbogen wurden von starrenden Speeren erfüllt.
Der Kaiser beschied seine Kaiserin und Narses mit sich in sein Gemach.
Dort angelangt, umarmte er abermals, ohne des Zeugen Gegenwart zu scheuen, innig und herzlich seine Gemahlin. «Wie freut, wie erhebt mich die Begeisterung! Ich bin stolz auf ein solches Weib! Wie schön stand dir, o Theodora, der edle Zorn. Wie kann ich dir lohnen! Wähle dir jede Gunst, jedes Zeichen meines Dankes, du meine beste Beraterin, ja meine Mitregentin!»
«Soll ich, das schwache Weib, wirklich glauben dürfen, daß ich Anteil nehmen darf an deinen Plänen und Gedanken, an diesem Kriege, so vertraue mir, wie du ihn zu leiten gedenkst.»
«Jedenfalls sende ich zwei Feldherren nach Italien, nie mehr einen, seit Belisarius in jenem Land mit einer Krone gespielt. Aber ihn sende ich wieder, das steht mir fest.»
«So erbitte ich mir die Gnade», sprach Theodora, «den andere Feldherrn vorschlagen zu dürfen. - Narses», fuhr sie fort, ehe Justinian antworten konnte, «willst du der andere sein?» Sie wollte ihn rasch unmöglich machen. -
«Ich danke», sagte dieser bitter. - «Du weißt: ich bin ein störrig unverträglich Roß, ich tauge nicht, mit einem andern zusammen zu ziehn. Den Feldherrnstab und ein Weib, Justinianus, muß man in gleicher Weise haben.»
«Nämlich wie?»
«Allein oder gar nicht.»
«Dann du gar nicht», sagte Justinianus herb. «Du mußt nicht wähnen, unentbehrlich zu sein, Magister Militum.»
«Das ist niemand auf Erden, Justinianus. Sende nur wieder den großen Belisar! Er mag sein Glück zum drittenmal versuchen in jenem Lande, wo die Lorbeern so dicht wachsen. Meine Stunde kommt schon noch.
Als Zeuge eures Eheglückes bin ich wohl überflüssig hier. Und zu Hause, meinem Krankenbett gegenüber, ist die Straßenkarte von Italien angeheftet: vergönne, daß ich in meinem Studium derselben fortfahre: sie ist jetzt interessanter als die Karte unsrer Persergrenze.
Nur noch einen Rat. Zuletzt mußt du doch Narses nach Italien senden.
Je früher du ihn sendest, desto mehr ersparst du an Niederlagen, Verdruß und - Geld. Und wenn nun die Gicht oder jene niederträchtige Epilepsis Narses hinraffen sollte, ehe dieser König Totila auf seinem Schilde liegt, wer wird dir dann den König Totila besiegen? Du glaubst ja an Prophezeiungen. Wohlan, in Italien geht schon lange der Spruch:
«Soll das vielleicht heißen: Theodora schlug Belisar, Narses schlägt Theodora?» höhnte die Kaiserin.
«Das war nicht meine Lösung des Rätselspruchs.
Es war die deine. Aber wohlan, auch diese Lösung nehm' ich an. Weißt du, welches das weiseste deiner vielen Gesetze war, o Justinianus?»
«Nun?»
«Jenes, das den Tod auf jede Anklage gegen deine Kaiserin setzte: denn er war das einzige Mittel, sie dir zu erhalten.» Und er ging.
«Der Unverschämte», sprach Theodora, ihm einen giftigen Blick nachsendend. «Er wagt zu drohn! Wenn erst einmal Belisar unschädlich ist, dann muß rasch Narses folgen.»
«Einstweilen aber brauchen wir noch beide», meinte Justinian. «Und du schlägst - in Wahrheit! vermutlich zum
andern Feldherrn für Italien wieder denselben Namen vor wie bei Cassiodors Abweisung?»
«Denselben.»
«Aber die Gründe meines Mißtrauens gegen jenen Ehrgeizigen sind seither noch verstärkt.»
«Hast du vergessen, wer dir Silverius entlarvt und entwaffnet, wer vor Belisars gefährlichem Kronenspiel geheim und zuerst gewarnt hat?»
«Aber er verkehrt hier mit denselben Männern, welche die Verschwörung gegen mich betreiben.»
«Ja: aber, o Justinianus, auf mein Geheiß, als ihr Verderber.»
«Das wäre! Wenn er aber auch dich täuscht?»
«Wirst du ihm glauben und mir und ihn nach Italien senden, wenn er dir morgen die Verschwörer in Ketten zuführt und darunter ihr geheimes, auch dir noch unbekanntes Haupt?»
«Ich weiß: es ist Photius, Belisars Freigelassener.»
«Nein, o Justinianus: - Er ist es, den du wieder nach Italien senden wolltest, wenn ich nicht warnte, Belisarius selbst.»
Da erbleichte der Kaiser, wankte und griff nach der Armlehne des Thrones.
«Wirst du dann an des wunderbaren Römers Ergebenheit glauben und, statt des Verräters Belisar, ihn nach Italien senden mit deinem Heer?»
«Alles, alles», sprach Justinianus, «gewiß! Belisarius also doch ein Verräter? Dann tut Eile not. Handeln wir.»
«Ich habe schon gehandelt, Justinian. Mein Netz ist unentrinnbar schon gestellt. Gib mir die Vollmacht, es zusammenzuziehn.»
Der Kaiser winkte Gewährung.
Und Theodora befahl, indem sie aus den Vorhängen schritt, dem Velarius: «Hole sogleich aus seinem Hause in mein
Gemach Cethegus, den Präfekten von Rom.»
Und alsbald stand Cethegus vor seiner noch immer verführerisch schönen Jugendfreundin, die in dem uns wohlbekannten Gemach auf ihrem Pfühl ausgestreckt lag.
Galatea reichte ihr manchmal in kleiner Onyxschale die Tropfen, die ihr der persische Arzt griechische reichten nicht mehr aus - verordnet hatte.
«Ich danke, dir, Theodora», sagte Cethegus. «Und muß ich's doch einem andern - nicht mir selber - danken - einem Weibe! -dank' ich's am liebsten doch der Jugendgenossin.»
«Höre, Präfekt», sprach Theodora, ihn ernsthaft betrachtend, «du wärest ganz der Mann - soll ich sagen der Barbar oder der Römer? - eine Kleopatra, der Cäsar und Antonius gehuldigt, erst zu küssen und dann doch im Triumph nach dem Kapitol zu führen zur Erdrosselung, wie Octavian vielleicht geplant. Wenn ihm nicht jene Schlangenkönigin zuvorkam. Kleopatra war immer mein Vorbild. Einen Cäsar hab' ich nicht gefunden. Aber die Schlange - bleibt vielleicht nicht aus. -
Du hast mir nicht zu danken. Ich habe aus voller Überzeugung gesprochen und gehandelt. Diese gotische Gefahr und Beschimpfung muß in Blut erstickt werden.
Ich war vielleicht nicht immer so treu als Gattin, wie Justinian geglaubt.
Aber ich war sein bester, treuster Senator von jeher.
Belisar und Narses sind nicht wohl zusammen und noch weniger jeder allein nach Italien zu senden. Du sollst gehen: du bist ein Held, ein Feldherr, ein Staatsmann, und du bist doch zu ohnmächtig, Justinian zu schaden.»
«Ich danke für die gute Meinung», sagte Cethegus.
«Freund, du bist ein Feldherr ohne Heer, ein Kaiser ohne Reich, ein Steuermann ohne Schiff.
Doch lassen wir's -: du willst mir nicht glauben.
Ich sende dich nach Italien aus tiefster Überzeugung: - du hassest grimmig die Barbaren. Der zweite Feldherr, den unvermeidlich dir kaiserliches Mißtrauen nachsendet, soll Areobindos sein, der Schneckenprinz: er wird dich nicht viel stören. Aber Freude macht mir's, daß ich zugleich den Jugendgenossen dabei fördern kann wie das Reich.
Ach Cethegus, die Jugend! Euch Männern ist sie goldne Hoffnung oder goldne Erinnerung: dem Weib ist sie -: das Leben. Ah, nur noch einen Tag aus jener Zeit, da ich dir Rosen schenkte und du mir Verse.»
«Deine Rosen waren schön, Theodora, aber meine Verse waren nicht schön.»
«Mir schienen sie schön: - sie waren an mich! Aber wie alte Liebe versüßt auch alter und neuer Haß mir die Wahl, die ohnehin des Reiches Wohl erheischt. Belisar soll nicht mehr zu neuen Ehren steigen. Nein, fallen soll er, diesmal tief und für immerdar. So wahr ich herrsche in Byzanz.»
«Und Narses? Mir wäre lieber und begreiflicher, du stürztest diesen Kopf ohne Arm als jenen Arm ohne Kopf.»
«Geduld - einer nach dem andern.»
«Was hat dir der gutherzige Held getan?»
«Er? Nichts, aber sein Weib! Diese plumpe Antonina, deren ganzer Triumph in ihrem gesunden Blute liegt.» Und grimmig ballte die zierliche Kaiserin die kleine, weiße Hand, die noch durchsichtiger geworden. «Ha, wie ich sie hasse! Ja, beneide! Dumme Leute bleiben immer gesund. Aber sie soll nicht frohlocken, während ich leide.»
«Und an solchem Weiberhaß hängt das Schicksal des Kapitols», sagte Cethegus zu sich selbst. «Nieder mit Kleopatra!
Die Närrin ist vernarrt in Ruhm und Größe ihres Mannes: -hier kann ich sie am tödlichsten treffen! Warte!»
Ein Zucken durch ihr feines Gesicht verriet einen Anfall heftiger Schmerzen: sie warf sich in die Kissen zurück.
«Aber Täubchen», mahnte Galatea, «laß doch den Ärger! Du weißt, was der Perser sagt. Jede Erregung von Liebe, von Haß» -- «Ha, Hassen und Lieben ist Leben. Und der Haß wird im Alter fast noch süßer denn die Liebe. Liebe ist treulos, Haß ist treu.»
«Ich bin in beiden», sprach Cethegus, «ein Stümper gegen dich.
«Tugendhaft ist sie geworden, die Heuchlerin! Oder ist sie wirklich so schwachköpfig? Auch möglich! Ihr Fischblut hat sich nie in Wallung bringen lassen: für eine starke Leidenschaft und für ein starkmütiges Verbrechen war sie stets zu feig. Sie ist zu eitel, die Huldigung der Liebe entbehren, zu armselig, sie erwidern zu können. Seit sie ihren Gatten in seine Kriege begleitet, ist sie wieder ganz tugendsam geworden. Ha, ha, ha, aus Not: wie der Teufel fastet, wenn er nichts zu essen hat. Weil ich ihren Verehrer hier eingesperrt behalten!»
«Anicius, den Sohn des Boethius? Ich hörte davon.»
«Ja, in Italien hat sie sich wieder ganz ihrem Mann angeschlossen, seinen Ruhm und sein Unglück geteilt. Und sie ist seitdem ganz Penelope, ganz die gute Ehefrau. Und hierher zurückgekehrt, was tut sie, die Gans? Macht mir Vorwürfe, daß ich sie vom Pfad der Tugend abgelockt! Und schwört, sie werde Anicius aus meinen Banden lösen. Und es gelingt ihr, der Schlange. Sie weckt dem Toren das Gewissen, reißt ihn täglich mehr von mir los, meinen ungetreuen Kämmerer natürlich, um ihn für sich zu behalten!»
«Du kannst dir also nicht vorstellen», fragte Cethegus, «daß
ein Weib eine Seele für den Himmel wirbt ohne: -?»
«Ohne Prozente Bergelohn zu erheben? Nein! - Dabei täuscht sie aber sich und ihn mit frommen Reden. Und o wie gern läßt sich der Jüngling retten von der jugendlich blühenden Erretterin aus meinen Armen, der Verwelkenden, der Krankenden - der vor der Zeit Verzehrten. Ah», rief sie leidenschaftlich und sprang von dem Pfühl, «daß der Leib ermüdet erliegen muß, ehe noch die Seele sich zum tausendsten Teil ihres Dursts nach Leben ersättigt hat. Leben aber ist Herrschen, Hassen, Lieben.»
«Du scheinst unersättlich in diesen Künsten und Genüssen.»
«Ja, und ich rühme mich dessen. Und ich soll fort von des Daseins reichbesetzter Tafel, herab von diesem Kaiserthron, mit dem brennenden Heißhunger nach Freude und Macht! Und nur wenige Tropfen noch soll ich schlürfen! Oh, die Natur ist eine elende, schmähliche Pfuscherin!
Alle Äonen einmal zeugt sie, neben Myriaden von Krüppeln, häßlich an Leib und ohnmächtig an Geist, einmal zeugt sie einen Leib, eine Seele wie Theodoras, schön und stark und verlangend, die Ewigkeit hindurch zu leben und zu genießen. Und nach drei Jahrzehnten, nachdem ich kaum genippt am vollen Becher, versagt die Natur dem lechzenden Lebensdrang! Fluch über den Neid der Götter! Aber auch Menschen können beneiden: und der Neid macht sie zu Dämonen. Nicht sollen andre genießen, wo ich nicht mehr genießen kann. Nicht sollen andre lachen, wenn ich mich in Schmerzen winde Nächte durch! Nicht frohlocken soll die strotzend Gesunde mit dem Treulosen, der Theodoras war und dabei noch einer andern denken konnte, oder der Tugend, oder des Himmels.
Erst heute hat er mir gesagt, er trage nicht länger dies ruhmund ehrlose Leben in meinen Frauengemächern: - Himmel und Erde riefen ihn hinweg. Er soll es büßen - mit ihr -! Komm, Cethegus», sprach sie grimmig, seinen Arm ergreifend, «wir wollen sie beide verderben.»
«Du vergißt», sagte Cethegus kalt, «ich habe keinen Grund, sie oder ihn zu hassen. Was ich also hierin tue, tue ich um deinetwillen.»
«Doch nicht, du kluger, eisiger Römer. Glaubst du, ich durchschaue dich nicht?»
«Hoffentlich nicht», dachte Cethegus.
«Du willst Belisar fernhalten von Italien. Allein willst du dort kriegen und siegen. Höchstens einen Schatten neben dir haben, wie Bessas war und Areobindos sein wird. Meinst du, ich habe das nicht durchschaut, als du damals vor Ravenna die Abberufung Belisars so meisterhaft eingefädelt hast? Sorge um Justinian! Was liegt dir an Justinian!»
Cethegus pochte das Herz.
«Freiheit Roms! Zum Lachen! Du weißt, daß nur starke, einfache Männer die Freiheit ertragen. Du kennst deine Quiriten. Nein, dein Ziel liegt höher.»
«Sollte dies Weib durchschauen, was alle meine Feinde und Freunde nicht geahnt?» bangte Cethegus.
«Du willst Italien allein befreit haben und allein als Justinians Statthalter Italien regieren, der nächste an seinem Thron, hoch über Belisar und Narses, der nächste nach Theodora: und, gäb es Höheres, du wärst der Geist, danach zu fliegen.»
Cethegus atmete auf. «Das wäre doch nicht all der Mühe wert», dachte er.
«Oh, es ist ein stolzes Gefühl, der erste Diener Justinians zu sein.»
«Natürlich, über ihren Mann hinaus, ob sie ihn täglich verrät, vermag sie nicht zu denken.»
«Und, als der Gehilfe Theodoras, ihn, den Kaiser, - zu regieren.»
«Die Schmeichelluft dieses Hofes betäubt zuletzt auch den hellsten Verstand», dachte Cethegus. «Das ist der Wahnsinn des
Purpurs. Sie kann sich selber nur als Allbeherrscherin denken.»
«Ja, Cethegus, keinem andern gönnt' ich es, solches nur zu denken. Dir will ich's erringen helfen: - mit dir will ich die Herrschaft der Welt teilen: - Vielleicht nur um törichter Jugenderinnerungen willen: weißt du noch, wie wir vor Jahren zwei Kissen verteilten in meiner kleinen Villa? Wir nannten sie Orient und Okzident. Das war ein Omen. So laß uns jetzt Orient und Okzident verteilen. Durch meinen Justinian beherrsch' ich den Orient. Durch meinen Cethegus will ich den Okzident beherrschen.»
«Hochmütig, unersättlich Weib!» dachte Cethegus. «Wäre mir nur Mataswintha nicht gestorben, die jungfräuliche. Sie an diesem Hof - und du versankst.»
«Aber dazu», fuhr Theodora fort, «muß erst Belisar für immer aus dem Wege. Justinian war entschlossen, ihn abermals, und zwar als deinen Oberfeldherrn, zu senden.»
Cethegus furchte die Brauen. -
«Er vertraut immer wieder seiner hündischen Treue. Er muß von seiner Untreue greifbar überzeugt werden.»
«Das wird schwerhalten», meinte Cethegus. «Eher lernt Theodora die Treue, als Belisar die Untreue.» Ein Schlag der kleinen Hand auf den Mund war seine Strafe.
«Dir bin ich, törichterweise, treu geblieben, - d. h. im Wohlwollen. Willst du Belisar wieder in Italien haben?»
«Um keinen Preis.»
«Dann hilf, ihn verderben samt dem Sohn des Boethius.» -«Sei's», sagte der Präfekt. «Ich habe keinen Grund, den Bruder des Severinus zu schonen. Aber wie? Wie willst du den Beweis von Belisars Untreue führen? Darauf bin ich gespannt. Wenn du das vermagst, erkläre ich mich, wie im Lieben und Hassen, so im Planen einen Stümper gegen Theodora.»
«Das bist du auch, schwerfälliger Sohn von Latium.
Nun höre: aber das ist so gefährlich, daß ich selbst dich, Galatea, bitten muß, Wache zu stehen, daß niemand kommt und lauscht. Nein, Goldmütterchen, nicht innerhalb, - ich bitte recht schön: außerhalb der Türe. - Laß mich nur allein mit dem Präfekten - es gilt - leider! - nur ein Geheimnis des Hasses.»
Als nach geraumer Zeit der Präfekt das Gemach verließ, sagte er zu sich selber: «Wenn dieses Weib ein Mann wäre, - der müßte mir sterben. - Er wäre gefährlicher als die Barbaren, samt Byzanz. Aber dann freilich, dann wäre die Bosheit nicht so unergründlich teuflisch.»
Bald nachdem der Präfekt nach Haus gekommen, meldete Syphax den Sohn des Boethius: die Kaiserin sende ihn.
«Laß ihn ein und niemand sonst, bis er fort ist. Einstweilen aber schicke schleunigst nach Piso, dem Tribun.»
Der junge Anicius, einstweilen zum Mann herangereift, trat ein. Er trug einfache Kleidung, und sein Haar, sonst künstlich gelockt und gesalbt, hing heute schlicht herab. Seine weichen Züge - sie erinnerten den Präfekten lebhaft an Kamilla -gewannen sehr durch den Ausdruck von Entschlossenheit, der heute darauf ruhte.
«Du mahnst mich an deine schöne Schwester, Anicius», mit diesen Worten empfing ihn der Präfekt.
«Ihretwegen, Cethegus, bin ich gekommen», sprach der Jüngling ernst. «Du bist der älteste Freund meines Vaters, meines Hauses. Du hast mich und Severinus in deinem eignen Hause geborgen gehalten und, mit Gefahr für dich selbst, geflüchtet, als man nach uns forschte. Du bist der einzige in Byzanz, von dem ich väterliche n Rat in einer dunkeln Pflicht erbitten kann. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich diesen rätselhaften Brief.»
«Anicius, dem Sohne meines Patronus, Corbulo, der Freigelassene... -»
«Corbulo? Ich kenne den Namen.»
«Der Freigelassene meines Vaters, bei welchem meine Mutter und Schwester Zuflucht gefunden, und der... -»
«Mit deinem Bruder vor Rom gefallen ist.»
«Ja, aber er starb erst im gotischen Lager, wohin er, selbst schwerverwundet, mit meinem sterbenden Bruder aus dem Dorf ad aras Bacchi, gefangen gebracht wurde. So erzählt mir ein mitgefangener armenischer Söldner Belisars, Sutas, der mir den Brief überbrachte, den Corbulo nicht mehr vollenden konnte.
Lies selbst.»
Und Cethegus nahm das kleine Wachstäfelchen mit den kaum leserlichen Zügen und las: «Das letzte Wort, das Vermächtnis deines sterbenden Bruders war: Anicius soll nun rächen die Mutter, die Schwester, mich: uns alle hat derselbe Dämon unseres Hauses... - -»
«Hier endet leider der Brief», sagte Cethegus, Anicius die Tafel zurückgebend.
«Ja, dem treuen Corbulo vergingen die Sinne, und er erwachte nicht mehr aus seiner Ohnmacht, sagt der Söldner.»
«Damit ist nicht viel zu machen», meinte achselzuckend Cethegus.
«Gewiß, aber der Söldner Sutas hörte noch ein Wort meines sterbenden Bruders zu Corbulo sie lagen in einem Zelte -: das kann ein Schlüssel werden.»
«Nun?» fragte Cethegus, teilnehmend gespannt.
«Severinus sagte: Ich ahn' es. Er wußte von diesem Hinterhalt. - Er hat uns in den Tod geschickt.'» - «Wer?» fragte Cethegus ruhig. «Ja, das eben fragt sich.» - «Du hast keine Ahnung?» -«Nein, aber es kann nicht unmöglich sein, den Gemeinten zu entdecken.» - «Wie willst du das anfangen?»
«In den Tod geschickt?: - das kann nur einen Anführer, einen Feldherrn meinen, der meinen Bruder veranlaßte, an jenem Morgenritt Belisars aus dem tiburtinischen Tor sich zu beteiligen. Denn Severinus gehörte damals nicht zu dem Gefolge Belisars. Er war Tribun deiner Legionäre. Es muß gelingen, wenn du, Belisar, Prokop ernstlich nachspüren, den zu ermitteln, der ihn veranlaßte. Denn er ging nicht etwa auf deinen Befehl mit andern Legionären: keiner deiner Legionäre und Reiter war sonst dabei.»
«Das ist richtig», sagte Cethegus, «soviel ich mich entsinne.»
«Nein, nicht einer. Prokop - leider ist er nun verreist, Bauwerke Justinians in Asien kennenzulernen - war ja selbst dabei: oft zählte er mir die Namen aller auf. Wenn er wiederkehrt, werde ich sorgfältig forschen, mit wem etwa mein Bruder vor dem Ausfall zuletzt verkehrt, in wessen Haus oder Zelt er war: - ich werde nicht ruhen und rasten -, ich werde Severins noch lebende Kameraden befragen, wo sie ihn zuletzt, vor dem Ausritt, gesehn.»
«Du bist scharfsinnig für deine Jahre», sagte der Präfekt mit seltsamem Lächeln. «Wenn solche Klugheit erst zu Reife kommt! Aber freilich: du lebst in guter Schule für die Schlauheit. Weiß die Kaiserin von deinem Rätselbrief?»
«Nein, und sie soll nie davon erfahren. Nenne mir ihren Namen nicht! Diese Rachepflicht sendet mir Gott als letzten Mahnruf, mich von ihr zu reißen.»
«Aber sie sendet dich zu mir?»
«In einer andern Sache - die aber sehr gegen ihre Meinung enden soll. Vor kurzem ließ sie mich heute rufen: noch einmal fragte sie mich lächelnd, ob es denn gar so schwer im goldigsten Käfig auszuhalten sei? Mich aber ekelt des Weibes. Und mich reut schmerzlich der Monate, die ich bei ihr verloren, indes mein Bruder für das Vaterland gefochten und gefallen. Ich gab ihr so herbe Antwort, daß ich einen Sturm des Zorns erwartete. Aber zu meinem Staunen blieb sie ganz ruhig und sprach lächelnd: Es besteht in Byzanz eine Verschwörung römischer und griechischer Jünglinge gegen Justinians Leben oder Freiheit. Sie wollen ihn zwingen zum Gotenkrieg und zu Belisars Ernennung zum Feldherrn. Still, ich weiß es. Ich weiß auch, daß man dich schon halb gewonnen, daß du zwar noch keine der Versammlungen besucht hast, aber die Dokumente der Verschwörung verwahrst. Ich habe sie gewähren lassen, weil einige alte Übelgönner von mir darunter sind, die ich sicher diesmal zu verderben hoffe. In einigen Tagen ziehe ich das Netz zusammen. Du aber sollst gewarnt und gerettet sein. Geh zum Präfekten: er soll dich unter der Schar seiner Söldner aus Byzanz führen. Sage ihm nur: dir drohe Gefahr, und dich sende Theodora. Aber von der Verschwörung verrate ihm nichts: auch seiner Kriegstribunen sind etliche dabei, die er gern retten würde, ich aber verderben will.> Und ich kam zu dir: aber nicht, um zu fliehen: um dich und meine römischen Waffenbrüder zu warnen. Ich werde auch die Versammlung besuchen - heute droht noch keine Gefahr, versicherte die Kaiserin -, sie alle zu warnen, ihnen zu sagen, daß die Verschwörung entdeckt ist. Du darfst nicht hin, Präfekt, du darfst dich nicht weiter bloßstellen: Justinian mißtraut dir bereits. Die Unsinnigen wollen warten, bis sie Belisar gewonnen haben! Und vielleicht morgen schon sind sie alle gefangen, wenn man sie nicht warnt. Ich eile heute, die Freunde zu warnen. Dann aber ruhe und raste ich nicht, bis ich den Mörder meines Bruders herausgefunden.» «Beides sehr löblich», sprach Cethegus. - «Nebenbei gesagt, wo birgst du die Briefe der Verschworenen?» «Wo ich», sprach der Jüngling errötend, «alle Geheimnisse, andre, heiligere barg - mir unendlich teure Briefe und auch diese Tafel bergen will -, du sollst darum wissen: denn du, der älteste Freund unsres Hauses, du sollst mein Rachewerk mit vollenden helfen. Auch die Aussagen des Söldners Sutas über kaum verständliche Reden der beiden Sterbenden habe ich am gleichen Ort geborgen. Sie lauteten von «Und so weiter», unterbrach Cethegus. «Wo ist der Versteck? Du kannst einmal wirklich rasch entfliehen müssen, denn ich rate dir doch sehr, der Kaiserin nicht zu traun, du erreichst vielleicht einmal dein Haus nicht mehr.» «Und dann ist es notwendig, daß du mein Werk aufnehmest. Ich wollte dir schon selbst sagen: in der Zisterne im Hof meines Wohnhauses - der dritte Ziegel links vom Schöpfrad ist hohl. Auch schon deshalb», fuhr er finsterer fort, «sollst du davon wissen... Wenn die Freunde, die Verschwornen nicht zu retten sein sollten - wenn meine eigne Freiheit bedroht wird - denn du hast recht mit deiner Warnung: ich bemerke schon lange, daß mir Späher nachschleichen - des Kaisers oder der Kaiserin? -dann mach' ich rasch ein blutig Ende -: Was liegt dann an meinem Leben? Wenn ich den Auftrag Severins doch nicht mehr erfüllen kann - dann - ich habe dem Kaiser jeden Morgen zu melden, wie die Kaiserin geruht - stoß' ich den Tyrannen nieder in Mitten seiner Sklaven.» «Wahnsinniger!» rief Cethegus in aufrichtigem Schreck -denn nun wollte er Justinian am Leben und in Herrschaft erhalten - «wohin reißt dich die Reue und ein planlos zerfahrenes Leben? Nein, der Sohn des Boethius darf nicht als Mörder enden. Willst du in Blut deine ruhmlose Vergangenheit sühnen, - wohlan, so kämpfe unter meinen Legionären: im Blut der Barbaren reinige dich, mit dem Schwerte des Helden, nicht mit dem Dolch des Meuchlers.» «Du sprichst groß und wahr. Und du willst mich, den Unerprobten, deinen Rittern beigesellen! Wie kann ich dir danken?» «Spare den Dank, bis alles vollendet -: bis wir uns wiedergesehn. Einstweilen warne heute abend die Verschwornen. Das ist schon eine Probe des Mutes. Denn ich halte es nicht für ungefährlich, da man dir nachschleicht. Wenn du die Gefahr scheust - sag' es offen.» «Ich soll die erste Probe des Mutes scheuen? Ich komme, zu warnen: und ob mich drum der sichre Tod erwarte.» Und er drückte des Präfekten Hand und eilte hinweg. Sowie er entfernt war, - nur einen Blick warf ihm der Präfekt nach - führte Syphax den Tribun Piso aus einem andern Eingang in das Gemach. «Tribun der Jamben», rief ihm Cethegus zu, «jetzt heißt es raschfüßig sein, wie deine Verse. Genug der Verschwörungen und der Katzentritte hier in Byzanz! Augenblicklich suchst du alle jungen Römer auf, die im Hause des Photius verkehrten. Keinen von euch darf die Abendsonne mehr in diesen Mauern finden. Es gilt das Leben. Keiner darf zu dem Die Verschwörung ist überflüssig. Bald ruft wieder schmetternd die Tuba zum Kampf gegen die Barbaren in Latium. Fort mit euch allen! Harret meiner zu Epidamnus. Von da hol ich euch mit meinen Isauriern ab: zum dritten Kampf um Rom. Fort mit dir! Syphax», forschte er, mit diesem jetzt im Gemach allein, «hast du nachgefragt in des großen Feldherrn Hause? Bis wann wird er zurückerwartet?» «Bis Sonnenuntergang.» «Die treue Gattin harret in seinem Hause? Gut. Eine Sänfte, -nicht die meine -: miete die nächste vor dem Hippodrom, deren Läden ganz verschließbar sind. Führe sie in die Hafenstadt, in die Hinterstraße der Trödler.» «Herr, dort wohnt das ärgste Gesindel dieser gesindelreichen Bettlerstadt. Was willst du dort?» «Einsteigen in die Sänfte. Dann nach dem roten Hause.»
In dem roten Hause, dem Palaste Belisars, in der Neustadt «Justinina» (Sycä) saß Antonina in dem Frauengemach, emsig in Arbeit vertieft. Sie stickte an einem mit goldnen Lorbeeren verbrämten Mantel für den Helden Belisarius.
Auf dem Citrustischlein neben ihr lag, in kostbarem Umschlag, mit Edelsteinen besetzt, ein mit Purpurtinte geschriebenes Prachtexemplar von Prokops «Vandalenkrieg», dem kürzlich erschienenen Werke, das den glänzendsten Feldzug ihres Gemahls beschrieb.
Zu ihren Füßen lag ein herrlich Tier, einer aus dem Doppelpaar der zahmen Jagdleoparden, die der Perserkönig nach dem letzten Frieden dem Sieger Belisar geschenkt -: eine höchst kostbare Gabe, da nur selten die Zähmung völlig sicher gelang und viele hundert der jung eingefangenen oder auch in der Gefangenschaft geworfenen Jungen nach jahrelanger Ablichtung als unzähmbar getötet werden mußten.
Das wunderschöne, große und starke Tier - es verwilderte zu leicht auf der Jagd durch Genuß warmen Blutes und war deshalb zu Hause gelassen worden - streckte sich behaglich, wie eine Hauskatze, auf Antoninens Gewand, spielte mit dem Knäuel von Goldfaden, ringelte den Schweif und rieb den runden, klugen Kopf und den Bug an der Gebieterin Füßen.
Da meldete die Sklavin einen fremden Mann, - in unscheinbarer Mietsänfte sei er angekommen und in schlechtem Mantel - : man habe ihn abweisen wollen, da der Hausherr fern und Antonina in seiner Abwesenheit keinen Besuch mehr empfange. «Aber man kann ihm nicht widerstehn! Er befahl:
«Cethegus!» rief Antonina: sie erbleichte und zitterte.
«Laßt ihn schleunigst ein.»
Die Überlegenheit, die der gewaltige Geist in jener ersten Stunde ihrer Begegnung über sie gewonnen und nie wieder verloren hatte, die Erinnerung, wie dieser Mann, als ihr Gatte und der kluge Prokop und all die Heerführer vor dem Priester widerstandslos erlegen waren, den Überwinder überwunden und gedemütigt hatte, wie er dann, bei dem Einzug in Rom, in der Schlacht an der Aniobrücke, in Roms Verteidigung gegen Witichis, in dem Lager vor Ravenna, bei der Gewinnung dieser Stadt, immer und überall seine Obmacht bewährt und sie doch nie feindlich gegen Belisar gebraucht hatte - wie Unheil nur aus dem Widerstreben gegen seine Warnungen gefolgt - wie jeder seiner Ratschläge an sich siegreich gewesen war - all diese Erinnerungen schossen nun verwirrend und betäubend in ihrem Haupte zusammen.
Die Schritte des Präfekten nahten. Sie stand hastig auf.
Der Leopard, unsanft weggeschoben und um des Eindringlings willen aus seinem behaglichen Spiel aufgestört, richtete sich leise knurrend auf, drohend gegen den Eingang blickend, und die gelben Zähne fletschend.
Ungestüm schlug der Eintretende die Vorhänge zurück und steckte das halb von der Kapuze bedeckte Haupt herein.
Das erschreckte oder reizte den Leopard: - bei der ersten Bändigung bedienten sich die persischen Löwen- und Tigerzüchter langer Wollteppiche und Gesicht und Hals schirmender Vermummungen: - Erinnerung an einen alten Feind mochte in dem grimmen, nie ganz gebändigten Tier erwacht sein: mit furchtbarem Wutgeschrei duckte es sich zum tödlichen Ansprung, den Boden mit der langen Rute peitschend und Geifer spuckend -: das sichere Anzeichen grimmigster Wut.
Entsetzt erkannte das Antonina. «Flieh, flieh, o Cethegus», schrie sie.
Tat er das, wandte er den Rücken, so war er verloren -, so saß ihm das Untier festgebissen auf dem Nacken.
Denn keine verschließbare Tür, nur Vorhänge sperrten den Rückweg.
Er trat rasch vor, warf die Kapuze zurück, blickte scharf in des Leoparden Augen, den Zeigefinger der Linken gebietend erhoben und ein breites, blitzendes Dolchmesser gerade vor sich hin streckend.
«Nieder! Nieder! Heiß Eisen sonst droht!» So rief er in persischer Sprache dem knurrenden Untier entgegen, noch einen Schritt vortretend.
Da brach der Leopard in ein winselndes Heulen der Furcht aus: die zum Sprung gekrümmten Muskeln erschlafften: winselnd kroch er, auf allen vieren sich vorschiebend, heran und leckte, zitternd vor Furcht, dem Manne die Sandale des linken Fußes, indes ihm dieser den rechten Fuß fest auf den Nacken setzte.
Antonina war vor Entsetzen auf die Knie gesunken: starr blickte sie jetzt auf das furchtbar schöne Bild.
«Das Tier - die Proskynese!» stammelte sie. «Dareios hatte sie immer verweigert: - er wurde wütend, wann Belisar sie erzwingen wollte: - Wo hast du, Cethegus, das gelernt?»
«In Persien natürlich», sagte dieser. Und er stieß dem ganz gebrochenen Tier so heftig den Fuß in die Rippen, daß dieses, laut aufschreiend vor Schmerz, hinwegfuhr und in der fernsten Ecke des Zimmers Schutz suchte, wo es zitternd, die Augen
ängstlich auf den Mann gerichtet, liegen blieb.
«Belisarius hat nur die Burgen, nie die Sprache der Perser bemeistert», sagte Cethegus: «diese Bestien aber verstehen nicht griechisch. Du bist ja grimm gehütet, wenn Belisar fern ist», fuhr er fort, den Dolch wieder in den Brustfalten bergend.
«Was führt dich in sein Haus?» fragte, noch bebend, Antonina.
«Die oft verkannte Freundschaft. Es gilt, deinen Gatten zu retten, der den Mut des Löwen, aber nicht die Geschicklichkeit der Maus besitzt! Prokop ist leider fern. Sonst hätt' ich diesen ihm vertrauteren Berater gesendet. Ich weiß, daß Belisar von dem Kaiser ein schwerer Schlag droht. Es gilt ihn abzuwenden. Des Kaisers Gunst... -»
«Ist wankelhaft, ich weiß es. Aber die Verdienste Belisars -»
«Gerade diese sind sein Verderben. Einen Unbedeutenden würde Justinian nicht fürchten. Aber er fürchtet Belisarius.»
«Das haben wir oft erfahren», seufzte Antonina.
«Wisse denn - du zuerst von allen, was niemand außerhalb des Palastes ahnt -: des Kaisers Schwanken ist seit heut' entschieden -: für den Gotenkrieg.»
«Endlich!» rief Antonina, und ihr Antlitz hellte sich auf. - «Ja, aber - bedenke die Schmach! -: nicht Belisar ist zum Feldherrn bestimmt.» - «Wer sonst?» fragte Antonina zornig. «Ich bin der eine Feldherr... -» Mißtrauisch blickte sie auf ihn.
«Ja, das war mein Streben schon lang: ich gestehe es.
Aber der zweite soll Areobindos sein. Ich kann mit diesem Schattenmann nichts anfangen. Ich kann nicht neben ihm, mit ihm, gehemmt durch seinen Unverstand, die Goten besiegen. Die Goten besiegt niemand als Belisarius. Deshalb muß ich ihn wieder neben mir, meinetwegen über mir, als Oberfeldherrn, mit mir haben. Sieh, Antonina, ich halte mich für den größeren Staatsmann -»
«Mein Belisar ist ein Held, kein Staatsmann», sagte die stolze Gattin.
«Aber lächerlich wäre es, mich als Feldherrn mit dem Vandalen-, Perser- und Goten-Besieger zu vergleichen. Sieh, ich gestehe dir ja ganz offen: nicht bloß Wohlwollen für Belisarius, auch Selbstsucht leitet mich dabei.
Ich muß Belisar zum Waffengenossen haben.» - «Das leuchtet mir ein», sagte sie wohlgefällig.
«Justinian ist aber nicht zu bewegen, Belisarius zu ernennen. Noch mehr: er mißtraut ihm aufs neue: und zwar mehr denn je.»
«Weshalb aber, bei allen Heiligen?»
«Belisarius ist zwar unschuldig, aber sehr unvorsichtig. Seit Monden erhält er heimlich Briefe, Zettel, Mahnungen zugesendet, in den Mantel im Bade gesteckt, in den Garten geworfen, - die ihn zur Teilnahme an einer Verschwörung auffordern.»
«Himmel, du weißt davon?» stammelte Antonina.
«Leider nicht nur ich, auch andre Leute -: der Kaiser selbst!» -«Es gilt aber nicht des Kaisers Leben oder Thron», beschwichtigte Antonina. «Nein, nur seiner Freiheit, seiner Selbstbestimmung:
«O alle Heiligen!» rief Antonina händeringend, «er unterließ es auf meinen Rat, auf mein Bitten. Prokop riet ihm - wie du jetzt - gleich alles dem Kaiser zu melden. Aber ich zitterte vor des Kaisers Mißtrauen, das schon in der Aufforderung an Belisar einen Schein der Schuld erblicken konnte.» «Das war es wohl nicht allein», sprach Cethegus vorsichtig, erst nach Lauschern sich umblickend, «was deinen Rat bestimmte, dem Belisar, wie immer, folgte.»
«Was sonst? Was kannst du meinen?» forschte Antonina leise. Sie errötete über und über.
«Du wußtest, daß gute Freunde eures Hauses beteiligt waren: - diese wolltest du erst warnen, erst lösen von den Schuldigen, ehe sie angezeigt würden.» -
«Ja», stammelte sie, «Photius, sein Freigelassener -»
«Und noch ein andrer», flüsterte Cethegus, «der doch nicht, aus Theodoras goldnem Kerker kaum befreit, gleich in die Gewölbe des Bosporus wandern sollte.»
Antonina schlug beide Hände vor das Antlitz.
«Ich weiß alles, Antonina: - die geringe Schuld von früher -die starken guten Vorsätze späterer Zeit.
Aber hier hat dich die alte Neigung bestrickt. Statt nur an Belisar zu denken, hast du auch an sein Wohl gedacht. Und wenn nun darüber Belisar untergeht - wes ist die Schuld?»
«O halt ein, erbarme dich», flehte Antonina.
«Verzage nicht», fuhr Cethegus fort. «Dir bleibt ja eine starke Stütze - eine Fürsprecherin bei Justinian. Wenn auch vielleicht Verbannung droht - das Äußerste wird doch die Fürbitte deiner Freundin abwenden, der Allmächtigen.»
«Die Kaiserin! Weh uns!» rief Antonina entsetzt. «Wie wird sie alles darstellen! Ach, sie hat uns den Untergang geschworen.»
«Dann ist's schlimm», sprach Cethegus, «sehr schlimm. Denn auch die Kaiserin weiß von der Verschwörung und von den Ladungen an Belisar. Und du weißt: viel geringere Schuld als die, zu einer Verschwörung aufgefordert zu sein, genügt...»
«Die Kaiserin weiß es? Dann sind wir verloren! O du, der du Auswege zu finden weißt, wo kein Auge sonst sie sieht: - hilf,
rette.»
Und die stolze Gestalt sank flehend vor dem Präfekten nieder.
Aus der Zimmerecke erscholl ein klägliches Geheul, bei diesem Anblick schüttelte den Leoparden aufs neue die Furcht.
Einen raschen Blick warf der Präfekt auf den heulenden Gegner - dann erhob er sanft die Kniende.
«Auf, Gattin Belisars, verzage nicht. Ja, es gibt ein Mittel, Belisar zu retten. Aber nur eines.»
«Soll er jetzt die Anzeige machen, sobald er heimkehrt?»
«Das ist zu spät. Und zu wenig. Man würde ihm nicht glauben, daß es ihm Ernst mit bloßen Worten. Nein, er muß in Taten seine Treue beweisen. Er muß die Verschworenen alle zusammen fassen und alle zusammen dem Kaiser ausliefern.»
«Wie kann er sie zusammen fassen?»
«Sie laden ihn ja selbst. Heute nacht, in des Photius, seines Freigelassenen, Hause versammeln sie sich. Wohlan: er sage zu, ihr Haupt zu werden. Er erscheine und nehme sie dort alle gefangen. Anicius», fügte er rasch bei, «ist von der Kaiserin selbst gewarnt für heute nacht - er war bei mir.»
«Oh, und müßt' er sterben: - es gilt ja, Belisar zu retten. Er muß es tun! Ich seh' es ein. Und es ist kühn, gefährlich - es wird ihn reizen.»
«Wird er seinen Freigelassenen opfern?» -
«Siebenmal haben wir den Toren vergebens gewarnt. Was liegt an Photius, wenn es Belisar gilt. Wenn ich je Gewalt über ihn gehabt: - heute werd' ich ihn überzeugen. Schon früher riet ihm Prokop, einmal einen solchen, wie er sagte, brutalen Beweis seiner Treue zu führen, nachdem er nicht gleich die erste Aufforderung dem Kaiser mitgeteilt. Ich werde ihn dieses Rats Prokops erinnern. Sei gewiß: er folgt meinem, unsrem übereinstimmenden Rat.»
«Gut, er soll vor Mitternacht dort sein. Wann der Wächter auf den Mauern die zwölfte Stunde ausruft, breche ich in den Saal: und, auf daß er ganz sicher geht, soll er nur eintreten, wenn er meinen Mauren Syphax in der Nische des Hauses hinter der Petrus-Statue sieht. Auch kann er einige seiner Leibwächter vor das Haus stellen: sie sollen ihn decken für den Notfall und Zeugnis ablegen für ihn. Große Verstellungskunst wird ihm nicht zugemutet. Er soll erst kurz vor Mitternacht eintreten: er braucht dann nur zu hören, nicht zu reden. Unsere Wachen harren im Hain des Constantinus vor der Hintertür des Muschelhauses des Photius: mit dem Ausruf der Mitternacht -die Tuba bläst die Ablösung der Wachen, du weißt, man hört es deutlich - brechen wir ein. Er braucht also gar nicht das Wagnis zu übernehmen, ein Zeichen zu geben.»
«Und du, - du kommst gewiß?»
«Ich werde nicht fehlen. Leb' wohl, Antonina.»
Und rasch war er, rückwärts schreitend, das Antlitz dem gebändigten Tiere zugekehrt, das Messer zückend, an dem Ausgang. Der Leopard hatte auf den Moment gewartet: er regte sich leise in der Ecke, sich aufrichtend.
Da aber, zwischen den Vorhängen, erhob Cethegus nochmal den Stahl und drohte. «Nieder, Dareios! Heiß Eisen sonst droht.»
Und er war hinaus.
Der Leopard duckte den Kopf auf den Mosaikestrich und stieß ein kläglich Geheul ohnmächtiger Wut aus.
König Totila war mit Flotte und Heer nach Rom zurückgekehrt, in den eroberten Städten nur kleine Besatzungen lassend, nachdem der Kaiser auf Grund seiner Forderungen Friedensverhandlungen eröffnet und einen Waffenstillstand von sechs Monaten erbeten hatte, vor dessen Ablauf der Friede durch byzantinische Gesandte geschlossen werden sollte, die er in Bälde nach Rom zu schicken versprach.
Das Glück Totilas und der Glanz seiner Herrschaft standen nun auf der Höhe des Ruhmes.
Der siegreiche Angriff auf das byzantinische Reich hatte seinem Namen weithin leuchtenden Schimmer verliehen. Auch auf Italien warf er wirkungsvolle Strahlen.
Die beiden letzten, von den Byzantinern behaupteten Städte waren Perusia in Tuscien und Ravenna, das unbezwingbare. Perusia ergab sich nun nach langer, zäher Verteidigung dem Grafen Grippa: und selbst von Ravenna fiel der wichtigste Teil, die Hafenstadt Classis, endlich in die Hand des alten Hildebrand, der nun seit mehr als achtzehn Monden die Feste umschlossen hielt.
Da jetzt die Verpflegung der Stadt von der See her abgeschnitten werden konnte, - der König hatte den Auftrag gegeben, alle bisher vereinzelten Geschwader zu einer starken Flotte bei Ancona zu sammeln und den Hafen Classis zu sperren - war ihr baldiger Fall durch Aushungerung zu erwarten.
So war denn nur noch ein einziger Schritt zu tun zur vollen Lösung des Gelübdes, das Totila dereinst dem sterbenden Vater Valerias geleistet. Nur in der Landseite von Ravenna noch standen Byzantiner auf italischem Boden: in wenigen Wochen mußte die Stadt die Tore öffnen, und nichts stand mehr der Vermählung des Gotenkönigs mit der schönsten Tochter Italiens im Wege.
Totila beschloß, diesen Schritt vorzubereiten durch eine öffentliche, feierliche Verlobung mit seiner Braut, durch ein glanzvolles Siegesfest, das die errungenen Erfolge verherrlichen, die Geliebte dem ihm nicht wohlgefälligen Einfluß des Klosters entziehen und sie, die künftige Königin, dem Hofe, dem Reiche zeigen sollte: denn bisher hatten ja nur
Graf Teja und die vertrautesten Freunde Totilas Brautschaft und Braut gekannt. Cassiodor und Julius hatten als hohe Ehre den Auftrag angenommen, die Verlobte des Königs aus Taginä abzuholen und nach Rom zu führen.
Südwestlich vom jetzigen Monte Testaccio, wo der Tiber längs der aurelianischen Umwallung hinläuft und die Stadt verläßt, ragte auf sanftem Hügel eine alte kaiserliche Villa aus der Zeit der Antonine.
Totila liebte den Ort, der von der Höhe einen wundervollen Ausblick den Fluß hinab und in die Campania gewährte: den Fluß, den jetzt wieder zahlreiche kleine Handelsschiffe bevölkerten, die von dem Hafen Portus herauf die Frachten der großen Seeschiffe in die Stadt führten: die Campania mit ihren wieder aus dem Schutt und der Zerstörung von zwei Belagerungen emporsteigenden Landhäusern.
Mit geringer Nachhilfe hatte der König den alten Cäsarenpalast wieder wohnlich herstellen lassen, auf der prachtvollen, breiten Terrasse vor der Villa, welche die Krone der bis an den Fluß hinabsteigenden Marmortreppe bildete, sollte die Festfeier ihre reich geschmückte Stätte finden.
Totila hatte von Neapolis den alten Bildhauer Xenarchos, der zuerst die Dioskuren zusammengefügt, entboten und ihn beauftragt, aus der Fülle von verfügbaren Statuen in Rom und den nächsten Städten die vorzüglichsten zu wählen und sie auf den leeren Postamenten zu beiden Seiten der Marmortreppe aufzustellen. Mit liebevollem Eifer hatte sich der Alte seines Auftrags entledigt: und eine herrliche Doppelreihe von Göttern, Göttinnen und Heroen schloß bald von beiden Seiten die Mamorstufen ein.
Die Terrasse war überwölbt von einem weiten Purpurzelt, wie man sie über die Räume des Amphitheaters spannte, zum Schutz gegen die Sonne, geöffnet aber gegen den kühlenden Wind vom Flusse her: nach rückwärts verlief die Terrasse in das
säulengetragene Vestibulum der Villa.
Das Königszelt, die Treppe, das Vestibulum, die ganze Villa waren aber umschlungen von zahllosen Gewinden des immergrünen Laubes, das im Winter und Sommer den Garten Italias schmückt.
Von der Spitze des Königszeltes wallte stolz durch die römischen Lüfte das neue, prachtvolle Banner Totilas, das Valeria und ihre Genossinnen zu Taginä kunstvoll mit Gold und Silber in hellblaue Seide gestickt: den goldnen Schwan zeigend, der gegen den blauen, von silbernen Sternen besäten Himmel mit ausgespannten Schwingen auffliegt. Höher noch ragte zur Rechten das alte, ruhmvolle Amalungenbanner Dietrichs von Bern, mit dem steigenden goldnen Löwen. Niedriger, zur Linken, eine Trophäe: das Banner Belisars, das Totila vor dem tiburtinischen Tor erbeutet hatte, das war als Siegeszeichen mit gesenkter Spitze aufgesteckt.
Es war der Tag der Juni-Kalenden, auf den das Siegesfest angesetzt war.
Die Bevölkerung Roms wogte von den frühesten Morgenstunden an durch die geschmückten Straßen und Plätze der Stadt gegen den aventinischen Hügel und den Fluß, der von zahllosen Gondeln belebt war: rings um die Villa hin waren Zelte, Laubhütten, Tische aufgeschlagen, an denen das Volk von Rom gespeist wurde.
Nachdem Cassiodor in der Sankt Peterskirche unter den Gebeten eines arianischen und eines katholischen Priesters - der letztere war Julius - die Tochter seines alten Freundes dem König verlobt und sie die Ringe getauscht hatten, schritt das Paar in glänzendem, feierlichem Aufzug über den Janiculus gegen das rechte Tiberufer, überschritt den Fluß auf der festlich geschmückten, von Laubbogen überwölbten Brücke des Theodosius und Valentinian und erreichte dann, dem Laufe des Stromes folgend, unterhalb des Emporiums die Festhalle der Villa.
Hier, im Angesicht des versammelten Volksheeres, unter dem an seinem Speer aufgehängten Goldschild des Königs, trat die Römerin in den linken Schuh des gotischen Bräutigams, und er legte die gepanzerte Rechte auf ihr dunkles, von durchsichtigem Schleier bedecktes Haar.
So war die Verlobung nach kirchlichem, nach römischem und nach germanischem Brauch geschlossen.
Nun nahm das Brautpaar an dem Mitteltisch der Terrasse Platz, Valeria von edeln Römerinnen und Gotinnen, Totila von Herzogen und Grafen seines Heeres umgeben; abwechselnd spielten und sangen griechische und römische Flötenspieler: und römische Tänze wechselten mit dem Schwertersprung gotischer Jünglinge, indessen auf dem Fluß, an beiden Ufern desselben und rings um die Villa her die römischen und gotischen Gäste des Königs gemeinsam schmausten, tranken und den milden Herrn und seine schöne Braut um die Wette feierten.
Ernst sinnend blickte Valeria in die Ferne, sie öffnete leise die Lippen. «Welchen Namen nanntest du?» fragte sie der König, ihr seinen Becher zum Vortrinken reichend. Sie tat Bescheid und sprach, die goldne Schale zurückgebend: «Miriam!» -«Miriam Dank und Ehre!» sagte der König, ernst den Becher hebend.
Aber da klang es goldhell von Harfensaiten: und in ganz weißem, goldgesäumtem Festgewand, einen Kranz von Lorbeern und Eichenblättern um die Schläfe, trat Adalgoth vor das Paar, warf noch einen fragenden Blick auf seinen Harfen-und Waffenlehrer, Graf Teja, der dem König zur Rechten saß, und sang mit heller Stimme zu den Akkorden seiner Harfe:
«Hört, alle Völker, fern und nah, Byzanz, vernimm es wohl:
Der Gotenkönig Totila Thront hoch im Kapitol!
Wie weit ist doch vom Tiberstrom Held Belisar verschreckt: Vom Orkus ist, nicht mehr von Rom, Cethegus nun Präfekt.
Aus welchen Blättern ziemt ein Kranz Dem König Totila? An seiner Brust in Rosen Glanz Erglüht Valeria.
Den Frieden schirmet und das Recht Sein Schwert, sein Schild, sein Stern: Olive, leih dein fromm Geflecht Mir für den Friedensherrn!
Wer trug den Schreck des Rachekriegs Gewaltig bis Byzanz? Komm, Lorbeer, welsches Kraut des Siegs Komm reich in meinen Kranz!
Doch nicht wuchs ihm die Siegeskraft Aus Romas Moderstaub: Frisch kröne seine Heldenschaft Germanisch Eichenlaub.
Hört, alle Völker, fern und nah, Byzanz, vernimm es wohl: Der Gotenkönig Totila Thront hoch im Kapitol!»
Rauschender Beifall folgte seinem Lied, indes ein römischer Knabe und ein gotisches Mädchen, vor dem Brautpaare kniend, je einen Kranz von Rosen, Oliven, Lorbeern und Eichenblättern überreichten.
«Auch unsere Sänger, Valeria», lächelte Totila, «sind nicht ganz ohne Wohllaut. Und nicht ohne Kraft und Treue. Mein Leben dank' ich dem Sänger da.» Und er legte die Hand auf Adalgoths Haupt. - «Gar unsanft schlug er deinem Landsmann Piso, seinem Kollegen in Apollo, auf die geschickt skandierenden Finger: - zur Strafe, daß er an meine Valeria mit diesen Fingern wohl manchen Vers geschrieben und in derselben Hand nun das tödliche Eisen gegen mich schwang.»
«Nur eins hätt' ich noch lieber gehört, mein Adalgoth», sagte Teja leise zu diesem, «als dein Jubellied.»
«Was, mein Schwert- und Harfen-Graf?»
«Den Todesschrei des Präfekten, den du leider nur im Gesang
in die Hölle geschickt hast.»
Aber Adalgoth ward von einer Menge von gotischen Kriegern die Treppe hinabgerufen und lange nicht wieder freigegeben: denn seinen gotischen Hörern, welche die Siege Totilas mit erfochten, gefiel sein Lied viel besser als es vielleicht dir, liebe Leserin, gefällt.
Herzog Guntharis umarmte und küßte ihn und sprach, indem er ihn zur Seite führte: «Mein junger Held! Das ist ein Ähnlichkeit! So oft ich dich sehe, ist mein erster Ausruf, Alarich.»
«Ei, das ist mein Schlachtruf», sagte Adalgoth, und im Gespräch verschwanden sie unter der Menge.
Gleichzeitig blickte der König nach der Säulenhalle der Villa zurück, da plötzlich das Spiel der dort aufgestellten Flötenbläser abbrach. Er erkannte den Grund wohl: und er selbst sprang, mit einem Rufe des Staunens, von seinem Sitz.
Denn zwischen den beiden kranzumwundenen Mittelsäulen des Eingangs stand eine Gestalt, die nicht irdisch schien. Ein wunderholdes Mädchen in ganz weißem Gewand, einen Stab in der Hand und einen Kranz von weißen Sternblumen um das Haupt.
«Ah, was ist das? Lebt dies reizvolle Bild?» fragte erstaunt der König.
Und alle Gäste, all' die Frauen und Männer umher, folgten dem Blick seines Auges, der Bewegung seiner Hand mit Staunen. Denn was an der schmalen Öffnung die Blumengewinde übriggelassen, war ausgefüllt von einer lieblichen Erscheinung, derengleichen sie nie geschaut.
Das Kind - oder Mädchen - hatte das glänzend weiße
Linnenkleid auf der linken Schulter mit einer Saphirspange geheftet: den breiten, goldnen Gürtel schmückte ein großer Kreis von Saphiren: wie zwei weiße Flügel fielen die langen weißen Zipfelärmel von ihren Schultern: Efeuranken umwoben die ganze Gestalt, die Rechte hielt, auf der Brust ruhend, den blumenumwundenen, gekrümmten Hirtenstab: die Linke hielt einen wundervollen Kranz von Waldblumen und ruhte auf dem mächtigen Haupt eines großen, braunzottigen Hundes, der um den Hals auch einen Blumenkranz trug. Ohne Furcht, sinnig, forschend fiel ihr Blick über die glänzende Versammlung. Staunend harrten eine Weile die Gäste, regungslos stand das Mädchen.
Da stand der König auf von seinem Thron, schritt auf sie zu und sprach: «Willkommen in der Goten Königssaal, bist du ein irdisch Wesen», lächelte er. «Bist du aber, - was ich fast lieber glauben möchte - der Licht-Elben wundervolle Königin, - nun, so sei uns auch willkommen: dann muß dir ein Thron hoch über des Königs Sitz gerüstet werden.» Und anmutig begrüßend lud er sie, mit beiden Armen winkend, näher.
Sie aber trat nun, schwebenden Schrittes, über die Schwelle der Säulenhalle auf die Terrasse, errötete und sprach: «Wie sprichst du doch liebliche Torheit, Herr König! Ich bin keine Königin. Ich bin ja Gotho, die Hirtin. Du aber bist - ich seh's mehr an deiner lichten Stirn als an dem Goldreif - du bist Totila, der Gotenkönig, den sie den Freudenkönig nennen.
Da hast du Blumen, du und deine schöne Braut - ich hörte: eurer Verlobung gilt dies Fest Gotho hat nichts andres zu spenden: ich pflückte und wand sie, wie ich des Weges durch die letzten Haine kam. Und nun, König, der Waisen Schirmherr und des Rechtes Schutz, nun höre mich und hilf mit deinem Schutz.»
Der König nahm wieder neben Valeria Platz: das Mädchen stand zwischen beiden: die Braut faßte ihre Hand: der König legte ihr die Hand aufs Haupt und sprach: «Bei deinem eignen wundersamen Haupte schwör' ich dir Schutz und Recht. Wer bist du? und was ist dein Begehr?»
«Herr, ich bin eines Bergbauern Enkelin und Kind. Ich bin erwachsen auf dem Iffaberg unter Blumen und Einsamkeit. Ich hatte nichts Herzliebes auf Erden als einen Bruder. Der ist mir davon gezogen, dich zu suchen. Und als der Großvater zu sterben kam, schickte er mich zu dir: bei dir soll ich den Bruder, Recht und Schicksalslösung finden.
Und er gab mir zu Begleitung den alten Hunibad mit von Teriolis: aber dessen Wunden waren nicht ausgeheilt, und sie brachen bald wieder auf, und schon in Verona blieb er liegen. Und lange Zeit hatt' ich ihn zu pflegen, bis auch er starb.
Und dann zog ich ganz allein, nur mit Brun, dem treuen Hunde, quer durch all dies weite, heiße Land, bis ich endlich Romaburg und dich gefunden.
Und gute Ordnung hältst du, Herr König, in deinem Land: -man muß dich loben. Deine Königsstraßen sind Tag und Nacht bewacht von deinen Sajonen und Lanzenreitern. Und gar freundlich und gut waren sie mit dem einsam wandernden Kinde. Und wiesen mich jede Nacht zu einem Hause guter Goten, wo die Hauswirtin mein pflegte. Und sie sagen ja: solchen Rechtsfrieden schirmst du im Lande, daß man goldne Spangen auf deine Königsstraßen legen und sie nach vielen, vielen Nächten dort sicher wieder finden kann.
Und in einer Stadt, Mantua glaub' ich, hieß sie, war, gerade als ich über den Markt schritt, groß Gedräng, und alles Volk lief zusammen. Und deine Sajonen führten einen Römer in ihrer Mitte zum Tode und riefen:
Nun, treuer Brun, hier darfst du schon rasten, hier tut mir niemand was zuleide. Auch seinen Hals hatt' ich, euch zu Ehren, heut' mit Blumen bekränzt.»
Und sie schlug dem gewaltigen Hund leise auf sein zottiges Haupt: mit einem klugen Blick trat er vor an des Königs Thron und legte die linke Vorderpranke zutraulich auf dessen Knie. Und der König gab ihm Quellwasser zu trinken aus flacher, goldner Schale. «Für goldne Treue», sprach er, «goldnen Becher. Wer aber ist dein Bruder?»
«Ja», sagte sie nachdenklich, «nach vielem, was mir Hunibad unterwegs und auf dem Krankenbett erzählt, glaub' ich, daß sein Name nicht der rechte. Aber er ist leicht zu kennen», fuhr sie errötend fort.
«Goldbraun wogt sein Gelock: und sein Auge ist blau wie dieser lichte Stein: und seine Stimme ist hell wie die der Lerche: und wenn er Harfe schlägt, blickt er nach oben, als sähe er den Himmel offen... -» -
«Adalgoth», rief der König! - «Adalgoth!» wiederholten alle Goten.
«Ja, Adalgoth heißt er», sprach sie.
Da flog dieser - sein Name schlug, laut gerufen, an sein Ohr -die Stufen herauf: «Meine Gotho!» jubelte er. Und sie hielten sich umschlungen.
«Die gehören zusammen», sagte Herzog Guntharis, der dem Jüngling gefolgt war.
«Wie Morgenrot und Morgensonne», sprach Teja.
«Nun aber laß mich», sprach das Mädchen, sich losmachend, «meinen Auftrag erfüllen: des sterbenden Großvaters Gebot. Hier, Herr König, nimm diese Rollen und lies sie: Da soll alles Schicksal drin stehen für Adalgoth und Gotho: Vergangenheit und Zukunft sprach der Ahn.»
Und der König entsiegelte die äußeren Schnüre und las:
«Dies hat geschrieben Hildegisel, des Hildemut Sohn, den sie den Langen nennen, ehemals Priester, dermalen Burgmann zu Teriolis. Geschrieben auf Vorsprechen des alten Iffa: und ist alles wahrhaftig aufgeschrieben. Also: nun kommt's.
Das Latein ist wohl oft nicht, wie es in der Kirche gesungen wird. Aber Ihr werdet's schon verstehn, Herr König.
Denn wo's schlecht Latein, da ist's gut Gotisch. Also nun kommt's aber wirklich.
So spricht Iffa, der Alte:
Ein Ruf des Staunens ging durch die Versammlung der Goten. Der König hielt inne. Herzog Guntharis aber sprach:
«Dann ist Adalgoth, der sich den Sohn des Wargs nannte, der Sohn des Balten Alarich, den er selber als des Königs Herold, umreitend in allen Städten auf weißem Roß, mit lautem Heroldspruch gesucht. Und niemals sah ich größere Ähnlichkeit als die zwischen Vater Alarich und Sohn Adalgoth.»
«Heil dir, Herr Herzog von Apulien!» rief lächelnd Totila und schloß den Knaben in die Arme.
Sprachlos vor Staunen sank Gotho nieder in die Knie, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und zu Adalgoth aufblickend seufzte sie: «Also nicht mein Bruder? O Gott! - Heil dir, Herr Herzog von Apulien. Leb' wohl, auf immer!» und sie stand auf und wandte sich, zu gehen.
«Nicht meine Schwester?» jubelte Adalgoth. «Das ist das Beste an dem ganzen Herzogtum Apulien! Halt da» - und er fing sie auf, drückte ihr Köpfchen an die Brust, küßte sie herzhaft auf den Mund und sprach zum König: «Herr König Totila, nun gebt uns zusammen. Hier ist meine Braut - hier steht meine Herzogin.»
Totila aber, welcher einstweilen beide Urkunden durchflogen hatte, lächelte: «Ja, da braucht's nicht Salomons Königsweisheit dazu, hier das Rechte zu finden. - Junger Herzog von Apulien, so verlob' ich dir die Braut.»
Und er legte das weinende, lachende Kind in seine Arme. Zu den Goten umher aber sprach er: «Vergönnt, daß ich euch aus dem etwas ungeschlachten Latein von Hildemuts Sohn - ich kannte ihn: besser war er mit dem Speer als mit der Feder zu brauchen - und dem Testament des Herzogs die Wunder kurz erkläre, die wir hier sehen. Herzog Alarich beteuert hier seine Unschuld.»
«Die ist jetzt erwiesen: durch seinen Sohn», rief Herzog Guntharis, «und ich hatte nie an seine Schuld geglaubt.»
«Er erfuhr erst spät den geheimen Ankläger. Unser Adalgoth hat dessen Namen aus der zertrümmerten Cäsarstatue ans Licht gebracht. Cethegus der Präfekt hatte eine Art Tagebuch geführt, in geheimer Schrift: aber Cassiodorus hat sie, mit Staunen und Entsetzen über die Frevel des so lang von ihm bewunderten Mannes, entziffert. Da fand sich ein Eintrag folgenden Inhalts in dem vor etwa zwölf Jahren geschriebenen Anfang: Geheimnis schwebt noch auf den Gründen dieser Rachsucht: doch müssen sie irgendwie zusammenhängen mit Julius Manilius Montanus, unserem Freund. Wo ist er? -» «Er hat sich mit Cassiodorus schon wieder in die Peterskirche zurückbegeben», sprach Graf Teja: «du mögest sie entschuldigen: sie beten um diese Stunde jeden Tag um den Frieden mit Byzanz. Und Julius auch für des Präfekten Seele», fügte er mit bittrem Lächeln bei. «Nur schwer hatte König Theoderich an die Schuld des tapfren Herzogs geglaubt, mit welchem innige Freundschaft ihn verbunden.» «Hatte er ihm doch», fiel Herzog Guntharis ein, «einst einen breiten, goldnen Armreif geschenkt mit einer Runenschrift.» Der König fuhr fort, aus der Rolle lesend: «Und diesen Armreif hier habe ich mitgenommen in Verbannung und Flucht mit meinem kleinen Knaben. Dieser Armreif, entzweigebrochen zwischen dem Runenspruch, mag einstmals die echte Geburt meines Sohnes als Wahrzeichen beweisen.» «Er trägt das Wahrzeichen im Antlitz», meinte Herzog Guntharis. «Aber es fehlt auch an dem goldnen nicht», sprach Adalgoth: «wenigstens ein Stück hat mir der alte Iffa mitgegeben: hier ist's», und er holte nun den halben Armreif, den er an einer Schnur auf der Brust trug, hervor. «Ich habe nie den Sinn der Runen enträtseln können: «Ja, dir fehlte die andre Hälfte, Adalgoth», sprach die Hirtin und holte aus dem Busentuch das zweite Stück. «Sieh, hier lauten die Runen: « So las, nun beide Halbringe zusammenhaltend, Teja. Totila aber fuhr fort: «Endlich aber hatte mich der König nicht mehr schützen können, als ihm Briefe vorgelegt wurden, so meisterhaft gefälscht und meiner Handschrift nachgebildet, daß ich selbst, als mir zuerst ein harmloser Satz aus dem Inhalt, auf einem herausgeschnittenen Pergamentstreifen, vorgelegt wurde, ohne weiteres anerkannte Als ich aus dem Saal geführt wurde, traf ich auf dem Gange Cethegus Cäsarius, meinen langjährigen Feind -: es war mir gelungen, ein Mädchen, um das er warb, dem unheimlichen Mann zu entziehen und einem wackern Freund in Gallien als Gattin zuzuführen - er drängte sich durch die Wachen, schlug mir die Schulter und sprach: Als letzte Gnade gewährte mir der König die Mittel, aus dem Kerker zu entfliehen. Aber ich ward geächtet, friedlos gehetzt mit meinem ganzen Haus; mein Erbe eingezogen. Lang zog ich unstet in den Nordbergen umher, bis ich mich entsann, daß auf dem Berg der Iffinger bei Teriolis altgetreue Gefolgen meines Geschlechts siedelten: dorthin wanderte ich mit meinem Knaben und wenigen Schatzstücken des Baltenhauses. Und die Getreuen nahmen mich auf und meinen Knaben und bargen mich unter dem Namen Wargs - Meinen Sohn aber will ich und sollen nach mir die Iffinger erziehen zur Rache an Cethegus, dem Verräter. Ich hoffe, einst kommt der Tag, der meine Unschuld aufdeckt. Bleibt er aber allzulang aus, dann soll mein Sohn, wann er schwertreif geworden, hinunterziehen vom Iffaberg gen Italien, den Vater zu rächen an Cethegus Cäsarius. Dies ist mein letztes Wort an meinen Sohn.» «Bald aber, nachdem der Herzog dies geschrieben hatte», las der König aus der andern Rolle weiter, «verschüttete ihn mit einigen meiner Gesippen der Berg in einem Felsenrutsch. Ich aber, Iffa der Alte, habe den Knaben als meinen Enkel auferzogen und als Gothos Bruder, weil immer noch die Friedlosigkeit lastete auf dem Geschlecht des Herzogs Alarich und ich nicht auch auf ihn die Rache des Höllenmannes lenken wollte. Und auf daß der Junge andern ganz gewiß nichts von seiner gefährlichen Abkunft sagen könne, habe ich ihm selber nichts davon gesagt. Als er aber nun schwertreif geworden und ich vernahm, daß in Romaburg ein milder und gerechter König walte, der den höllischen Präfekten niederkämpfe wie der Morgengott den Nachtriesen, da sandte ich jung Adalgoth zur Rache aus und erzählte ihm, daß er ein edles Adelshaupt, den Schutzherrn unsres Geschlechts, nach seines Vaters Auftrag an Cethegus, dem grimmen Verfolger und Verderber, zu rächen habe. Aber daß er Alarichs, des Baltenherzogs Sohn, verschwieg ich ihm, denn ich scheute die Acht, die noch auf ihm lag. Seines Vaters Name konnte ihm, solang die Schuld darauf haftete, nichts nützen, nur schaden. Ganz eilfertig aber schickte ich ihn fort, seit ich erkannte, daß ihn selbst die geglaubte Schwesterschaft nicht abgehalten, meine Enkelin Gotho gar unbrüderlich lieb zu gewinnen. Ich hätte ihm nun zwar wenigstens sagen können, daß Gotho nicht seine Schwester. Das aber soll mir fern sein, daß ich meines alten Herrn-Hauses altadligen Sproß, gleichsam durch Betrug, mit meinem Blut, mit dem schlichten Hirtenkind, verbände. Nein: er wird, wenn Recht auf Erden lebt, dereinst der Herzog von Apulien, wie sein Vater vor ihm. - Und da ich fürchte, daß ich zu sterben komme und Adalgoth noch keine Kunde von des Präfekten Untergang geschickt hat, habe ich den langen Hildegisel gebeten, dies alles aufzuschreiben. (Und ich, Hildegisel, habe für die Schreibung zwanzig Pfund besten Käse erhalten und zwölf Krüge Honig, was ich dankbar bekenne, und beide waren sehr gut.) Und mit alle dem und mit den Schatzstücken, mit den blauen Steinen und feinen Gewändern aus dem Balten-Erbe, und den Goldsolidi sende ich das Kind Gotho an den gerechten König Totila: ihm soll sie alles aufdecken. Er wird die Acht, die Friedlosigkeit nehmen von dem unschuldigen Sohn des unschuldigen Mannes. Und wenn Adalgoth weiß, daß er der edeln Balten Sproß und daß Gotho nicht seine Schwester - dann mag er tun nach seinem Willen: er soll dann frei die Hirtin wählen oder meiden. Nur das wisset, daß der Iffinger Geschlecht nie unfrei war, sondern vollfrei von jeher, wenn auch in des Baltenhauses Schutz. König Totila, du entscheide über sie.»
«Nun», lächelte der König, «diese Mühe hast du mir schon abgenommen, Herr Herzog von Apulien.» - «Und die junge Herzogin», schaltete Valeria ein, «hat sich gleich, als hätte sie's geahnt, bräutlich für diesen Tag geschmückt.»
«Für euer Brautfest», erwiderte die Hirtin. «Als ich vor den Toren der Romaburg erfuhr von dieser Feier, da öffnete ich, wie der Ahn befohlen, das Bündel und schmückte mich für euch.» -
«Unser Verlöbnis», sprach Adalgoth zu seiner Braut, «fiel auf den Verlobungstag des Königspaars - soll auch unser Hochzeitstag der des Königspaares sein?»
«Nein, nein», fiel Valeria hastig, fast ängstlich ein. «Nicht noch ein Gelübde, geknüpft an ein älteres, noch ungelöstes! Ihr Kinder des Glückes: seid weise. Heute habt ihr euch gefunden, haltet das Heute fest, das Morgen gehört den ungewissen
Göttern.»
«Recht sprichst du», jubelte Adalgoth, «heute noch soll Hochzeit sein», und er hob Gotho hoch auf seinen linken Arm, sie allem Volke zeigend, «seht hier, ihr guten Goten, meine kleine Frau Herzogin.»
«Mit Vergunst», sprach da eine bescheidene Stimme, «wo so viel Glück und Sonnenschein auf die Gipfel und Höhen des Volkes fällt, da möchte sich auch niederes Gewächs dran laben.» Vor den König trat ein schlichter Mann, an der Hand ein hübsches Mädchen.
«Du bist es, wackrer Wachis», rief Graf Teja, zu ihm tretend, «und nicht mehr Knecht, im langen Haar der Freien?»
«Ja, Herr: König Witichis, mein armer Herr, hat mich freigelassen, als er mich mit Frau Rauthgundis und Wallada entließ. Seither ließ ich das Haar als Freier wachsen. Und Frau Rauthgundis wollte - ich weiß es ganz gewiß - ihre Magd Liuta hier auch freilassen: und wir sollten nach Volksrecht Ehe schließen als Freie: aber sie kam ja nicht mehr zurück in das Haus bei Fäsulä. Wohl aber ich aus unsrer Waldhütte: und gerade zur rechten Zeit noch flüchtete ich meine Liuta aus der Villa. Tags drauf kamen die Sarazenen Belisars und brannten und mordeten die Stätte aus. Nach Frau Rauthgundis erblosem Tode - denn ihrem Vater Athalwin hatte schon vor ihrem Untergang der Südsturm eine Lawine über Haus und Haupt geworfen - ist nun Liuta dem König als Eigentum zugefallen: und ich möchte daher den König bitten, daß er auch mich wieder zum unfreien Knecht aufnehme, auf daß wir nicht gestraft werden, wenn wir uns freien - und -»
Totila ließ ihn nicht aussprechen: «Wachis, du bist treu», rief er gerührt. «Nein, nach Vo lksrecht sollt ihr die Freien-Ehe schließen. Reicht mir ein Goldstück.»
«Hier, Herr König», rief eifrig Gotho, aus ihrer Hirtentasche eins hervorholend - «es ist mein letztes, von den sechsen.»
Der König nahm es lächelnd, legte es auf Liutas rechte, offne Handfläche und schlug es dann, von unten nach oben, aus ihrer Hand, daß es klingend auf das Mosaikgetäfel sprang und sprach:
«Frei und frank Laß ich dich, Liuta, Ledig und lastlos! Freie du fröhlich In Königsfrieden.»
Da trat Graf Teja vor und sprach: «Wachis, du trugst schon einmal glücklosem Herrn den Schild. Willst du nun mein Schildträger werden?» Feuchten Auges ergriff der Treue des Grafen Rechte mit beiden Händen. Und nun erhob Teja den Goldpokal und sprach feierlich:
«Ihr glänzet im Glück: Schön scheint euch der Schimmer Der seligen Sonne: Doch denket drum doch Treu traurig der Toten! Ohne Glanz, ohne Glück, Doch treu, tapfer und trefflich Rang ruhmvoll der Recke: Witichis, Waltharis wehrlicher Sohn Feiert ihr festfroh, Lichte Lieblinge Gütiger Götter, Goldne Gelage, Ehre doch immer Der Goten Geschlecht Der glücklosen Gatten Geweihtes Gedächtnis. Ich mahne euch, Minne Traurig zu trinken Des mutigen Mannes, Des wackersten Weibes: Witichis' und Rauthgundens Minne trink ich.»
Und alle taten, schweigend, freiervoll und trauervoll, Bescheid.
Dann hob König Totila nochmal den Becher und sprach laut vor allem Volk: «Er hatte es verdient - ich habe es erreicht: ihm bleibt unvergessene Ehre!»
Als er sich niedergelassen - die beiden andern Paare wurden mit an des Königs Tisch gesetzt -, stieg Graf Thorismut von Thurii (seine treue Tapferkeit war durch die Grafenwürde belohnt, aber das Amt des Herolds und Waffenträgers ihm auf seinen Wunsch belassen worden) die Stufen herauf, neigte vor dem König seinen Heroldstab und sprach: «Fremde, fernher gesegelte Gäste meld' ich, König der Goten. Jene große Flotte, die, leicht hundert Segel stark, schon seit mehreren Tagen von deinen Seewarten und Hafentürmen gemeldet wurde, ist nun in
Portus eingelaufen. Nordleute sind es: wogenkundig, kühnes Volk, aus fernstem Thule-Land. Hochbordig ragen ihre Drachenschiffe, und Schreck verbreiten deren ungetüme Bugsprietbilder. Aber zu dir kommen sie friedlich. Und das Königsschiff hatte gestern schon Boote ausgesetzt, und hohe Gäste segeln den Fluß herauf. Ich rief sie an und erhielt zur Antwort: «Führ sie herauf. Herzog Guntharis, Herzog Adalgoth, Graf Teja, Graf Wisand, Graf Grippa, geht ihnen entgegen und geleitet sie.» Und alsbald erschienen, unter den kriegerischen Tönen ihrer fremdartigen, gewundenen Muschelhörner, umgeben von zwanzig ihrer ganz in Stahlringen gepanzerten Helden und Segelbrüder, auf der Terrasse zwei hohe Gestalten, die selbst den schlanken Totila und seine Tafelgenossen überragten. König Harald trug auf dem Helm die beiden fußlangen Schwingen des schwarzen Seeadlers: das Federkleid desselben Vogels bedeckte das eherne Helmdach. Vom Rücken floß ihm eines ungeheuren schwarzen Bären Fell, dessen Rachen und Vorderpranken vorn über den Brustharnisch von handbreiten Erzringen herabhingen. Ein eisendrahtgeflochtener Wappenrock, der bis an die Knie reichte, wurde durch einen breiten, muschelbesetzten Gurt von Seehundfell um die Hüften gehalten, Arme und Beine waren nackt, doch von breiten Goldringen geschmückt zugleich und geschirmt. Ein kurzes Messer hing an stählerner Kette an seiner Seite: in der Rechten aber trug er einen langen, harpunengleichen Widerhakenspeer. Seine dicken, hellgelben Locken fluteten, mähnengleich, tief über seine Schultern. Zu seiner Linken stand, nicht um eine Fingersbreite kleiner, die Walkürengestalt seiner Begleiterin. Das hellrote, metallisch schimmernde Haar floß, in langem, schlichtem Schweife, bis fast an ihre Knöchel, hervor unter dem goldnen, offnen Helme mit den kleinen Flügeln der Silbermöwe, über einen schmalen Streif von dem weißen Pelze des Eisbären, der, mehr als Schmuck denn als Mantel, ihren Rücken bedeckte. Ein ganz eng anschließender Panzer von kleingeschupptem Golde zeigte den unvergleichlichen Wuchs der Schildjungfrau, jeder Bewegung der atmenden Brust elastisch folgend. Ihr bis an die halbe Wade reichendes Untergewand war aus den weißen Haaren des Schneehasen kunstvoll gefertigt. Die Arme schmückten, halb sie verhallend, Ärmel aus aneinandergereihtem und durchbohrtem, goldgelbem Bernstein, der in der Abendglut der römischen Sonne funkelte. Auf ihrer linken Schulter aber saß gravitätisch der zierliche weiße Falke von Island. Ein kurzes Handbeil stak in ihrem Gurt: die Rechte trug die über die Schulter gelehnte, langgeschweifte Harfe mit dem Schwanenbug von Silber. Gaffend folgten, nachdrängend, die Römer, die Augen weit aufreißend über solche Gestalten: aber auch die Goten bewunderten das so viel hellere Weiß dieser Arme, die eigenartig hellen, blitzenden Augen. «Nachdem der schwarze Held, der mich empfing», sprach der Wiking, «sagt: er sei's nicht, kannst nur du der König sein», und er reichte Totila die Hand, erst den Kampfhandschuh aus Haifischhaut abstreifend. «Willkommen am Tiberstrom, ihr Vettern aus Thuleland», rief Totila, zutrinkend. Und auf rasch bereiteten Stühlen nahm das Fürstenpaar am Königstische Platz, ihre Gefolgen an den nächsten Tafeln: Adalgoth schenkte Wein aus hohen Henkelkrügen. König Harald trank und schaute bewundernd umher. «Bei Asathor», rief er dann, «hier ist es schön!» - «So denk' ich mir Walhalla!» sprach seine Begleiterin. Kaum verstanden sich die Goten und die Nordleute untereinander. «Gefällt es dir bei mir, Bruder», sprach Totila langsam, «dann weile lang unter uns mit deiner Gattin.» «Hoho, Romkönig», lachte die Riesin und warf das Haupt zurück in den Nacken, daß die rote Haarwelle flutete -kreischend umflog sie dreimal der Falke: dann kehrte er ruhig auf ihre Schulter zurück: - «Noch ist kein Mann gekommen, der Haraldas Herz und Hand bezwungen: nur Harald, mein Bruder, biegt mir den Arm, überspringt meinen Sprung, überwirft meinen Speer.» «Geduld, klein Schwesterlein, ich vertraue: bald meistert ein markiger Mann dir das trotzige Magdtum. Hier dieser König, blickt er auch mild wie Baldur, gleicht doch Sigurd, dem Fafnirschläger. Ihr solltet euch messen im Speerwurf.» Haralda warf einen langen Blick auf den Gotenkönig, errötete und drückte einen Kuß auf ihres Falken glattes Köpfchen. Totila aber sprach: «Übles gedieh, nach der Sänger Bericht, aus Sigurds Wettkampf mit der Schildjungfrau. Begrüße vielmehr friedlich Weib das Weib: reiche die Hand, Haralda, meiner Braut.» Und er winkte Valeria, der nur unvollständig Herzog Guntharis das Gesprochene in Latein vermittelte. Valeria erhob sich in edler, anmutvollen Hoheit von ihrem Sitz, im weißen, langwallenden, römischgriechischen Gewand mit goldnem Gürtel und einer Kamee als Schulterspange, nur einen Lorbeerzweig um die edlen Schläfen, den Totila aus Adalgoths Kranz genommen und durch ihr schwarzes Haar geschlungen: wie Musik umfloß sie die Schönheit, der Rhythmus ihres Faltenwurfs und ihrer Bewegungen: so reichte sie schweigend der nordischen Schwester die Hand. Einen scharfen, nicht eben freundlichen Blick hatte diese auf die Römerin geschleudert: aber Bewunderung verdrängte zornige Überraschung von ihrem Antlitz, und sie sprach: «Bei Freias Halsgeschmeide, du bist das schönste Weib, das ich je gesehen. Ich zweifle, ob dir ein Wunschmädchen in Walhall gleichen mag. Weißt du, Harald, wem diese Fürstin gleicht? Vor zehn Nächten haben wir im blauen Griechenmeer auf einer Insel geheert und einen Säulentempel ausgeleert -. Da stand ein hohes Marmorweib aus weißem Stein, auf der Brust ein schlangenumlocktes Haupt, zu Füßen den Nachtvogel, in faltenreichem Gewand - - Sven hat sie leider zerschlagen, wegen der Edelsteine, die sie in den Augen trug -: dieser MarmorGöttin gleicht die Königsbraut.» «Das muß ich dir dolmetschen», lächelte Totila der Geliebten zu: «nicht dein poetischer Verehrer Piso hätte dir ausgesuchter schmeicheln können als diese Bellona des Nordens. - Sie haben - so ward uns gemeldet - auf Melos gelandet und dort die schöne Athena-Statue des Pheidias zerschlagen. Der bist du ähnlich, sagt sie! Ihr habt übel gehaust», fuhr Totila fort, «ich hörte es, auf allen Inseln zwischen Kos, Chios und Melos. Was führte euch dann so friedlich zu uns?» «Das will ich dir sagen, Bruder. Aber erst nach einem neuen Trunk.» Und er hielt Adalgoth den tiefen Becher hin. «Nein! -nicht mit Wasser verderben den herrlichen Saft! Wasser muß salzig sein - damit man's gar nicht trinken kann - außer man ist ein Hai oder Walroß. Wasser ist gut, daß es uns trage auf seinem Rücken, nicht, daß wir es tragen in unsrem Bauche. Und es ist ein wunderbarer Trank, dieses euer Reben-Bier. Unsern Met habe ich mir immer bald satt getrunken: - der ist wie fade, süße Speise. Aber dieser Reben-Met: - je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man. Und trank man zuviel - was kaum denkbar -, ist's nicht wie beim Ael- oder Metrausch, daß man Asathor bitten möchte, einem um den Schädel mit seinem Hammer einen Eisenring zu schmieden - nein, der Rebenrausch ist wie süßer Wahnsinn der Skalden: den seligen Göttern dünkt man sich gleich. Nun also so viel vom Weinrausch. Wie wir aber hierher gekommen sind, das will ich dir erzählen.»
«Also: wir sind daheim in Thuleland, wie es die Skalden nennen, in Götaland, wie wir es heißen. Denn Thuleland ist das Land, wo man nicht wohnt, wo nur, noch weiter nach den Eisbergen hin, andre Männer wohnen.
Unser Reich reicht gegen Aufgang an die See und unsre Insel Gotland. Gegen Niedergang an Hallin und das Skioldunga-Haff. Gegen Mitternacht an Svealand. Gegen Mittag an Smaland, Skone und der See-Dänen Reiche.
König aber ist mein Vater, Frode, den Odin liebt.
Er ist viel weiser denn ich.
Er hat mich aber jetzt zum Mit-König krönen lassen auf dem heiligen Stein zu Kind-Sala, weil er schon bald hundert Jahre alt ist und blind.
In unsern Hallen aber singen die Sänger noch immer die Wandersage, daß ihr Goten mit den Amalerfürsten und den Balten ursprünglich unsre Brüder wart, und nur durch Verirrung auf der Wanderung seiet ihr allmählich immer weiter nach Süden abgekommen: denn ihr folgtet der Kraniche Flug vom Kaukasus ab, wir aber dem Rennen der Wölfe.»
«Wenn dem so ist» lächelte Totila, «zieh' ich die Kraniche als Wegweiser vor.»
«So mag dir das jetzt wohl noch scheinen hier in dieser stolzen Methalle», sprach König Harald ernst.
«Aber mein weiser Vater Frode meint anders. Wie dem nun sei - (ich glaub's nicht recht, denn sonst müßten wir unsre Worte leichter verstehen) -. Wir ehren hoch und treu die alte Blutsgemeinschaft, sind wir nicht Brüder, sind wir doch sicher Vettern.
Und lange Zeit kam von eurem warmen Gotaland in unser kaltes immer nur frohe, stolze Kunde höchsten Ruhms: und mein Vater und euer König Thidrekr, den unsrer Skalden Harfenlieder preisen, tauschten einmal Gesandte und Geschenke, vermittelt durch die Bernstein-Esthen, die an dem Austrweg wohnen. Diese führten unsre Boten zu den Wenden an der Wyzla: diese zu den Langobarden an der Tisia: diese zu den Herulern am Dravus: diese durch Savien nach Salona und Ravenna.»
«Du bist ein weg- und länderkundiger Mann», meinte Totila.
«Das muß der Wiking sein. Sonst kommt er erst nicht vorwärts. Und dann oft nicht mehr zurück. - Lange also hörten wie nur vom Glück und Glanz bei euch.
Aber einmal und dann öfter kam durch Kaufleute, die von uns Pelz, Eiderdunen und Bernstein kaufen und den Friesen, Sachsen und Franken zuführen und uns künstlich Gerät und Gold und Silber zubringen - und immer trauriger kam zu uns die Kunde, daß König Thidrekr gestorben und nach seinem Tod groß Unheil ausgebrochen sei in eurem Reich. Unsieg, Verrat, Königsmord, Krieg von Goten wider Goten und der falschen Fürsten Grekaland Übergewalt.
Und es hieß: zu vielen Tausenden hättet ihr euch die Schädel eingerannt an den hohen Mauern eurer eignen Romaburg, die aber nicht ihr hättet, sondern ein Mann wie Asathor und ein zweiter, noch schlimmerer, wie Loki der Feuer-Arge.
Und wir forschten, ob euch denn gar niemand Hilfe leiste von den vielen Königen und Fürsten, die um Thidrekrs von Raven Gunst gebettelt. Aber da lachte der fränkische Kaufmann, der in meines Vaters Halle feines Gewebe feilbot von der Wahala, und sprach:
Da warf aber mein Vater, König Frode, seinen Stab zürnend zur Erde und rief:
Auf, mein starker Harald und du, meine kühne Haralda, rüstet hundert Drachenschiffe aus und füllt sie mit Männern und Waffen - greift tief in meinen Königshort zu Kingsala und schonet nicht die gehäuften Goldringe - und fahret aus mit Odins Hauch in den Segeln. - Von Konghalla erst an den Inseldänen und den Jüten vorüber gen Niedergang, dann entlang den Küsten der Friesen und Franken durch den Schmalpfad der See. Weiter segelt um das Reich der Sueven in dem Bergland, das da Asturia heißt: und um der Westgoten Land biegt nach Süden: dann windet euch wieder durch den Schmalpfad der Weit-See, wo Asathor und Odin zwei Säulen gesetzt haben: dann seid ihr schon im Meer von Midilgardh, wo zahllose Eilande liegen in immergrünen Büschen, daraus weiße Marmorhallen schimmern, getragen von hohen, runden Steinbalken. Auf diesen Eilanden heeret: denn sie gehören den falschen Fürsten von Grekaland. Und dann fahret gen Romaburg oder gen Raven und helfet dem Volke Thidrekrs wider seine Feinde und kämpfet für sie zu Wasser und zu Lande und stehet treu zu ihnen, bis niedergekämpft sind alle ihre Feinde. Dann aber sprecht zu ihnen: So rät euch König Frode, der bald hundert Winter gesehn hat und vieler Fürsten und Völker Geschicke hat aufsteigen sehn und wieder sinken, und der selber in jungen Jahren jenes Südland gesehn hat als Wiking. So rät euch König Frode: Räumet das Südland, so herrlich es ist. Ihr werdet nicht darin dauern. So wenig die Eisscholle dauert, die im Südmeer treibt. Es zehren schmelzend an ihr unablässig Sonne, Luft und leise nagende Wellen. Und mag sie noch so mächtig sein - sie muß zerrinnen, und keine Spur wird bleiben ihres Daseins. Es ist aber besser, im armen Nordland leben als im reichen Südland sterben. Besteigt unsre Drachenschiffe und rüstet eigne und ladet darauf all euer Volk, Männer, Frauen, Kinder, Knechte und Mägde, und Rinder und Rosse und Waffen und Edelgerät, und räumet den heißen Boden, der euch sicher verschlingen wird: und fahret von dannen und kommt zu uns. Wir wollen zusammenrücken oder den Finnen, den Wenden und Esthen so viel Land nehmen als ihr braucht. Und ihr sollt erhalten bleiben, frisch und grünend. Dort unten verwelkt und versengt euch die Südsonne. So rät euch König Frode, den die Menschen den Weisen nennen seit fünfzig Jahren.> Und wir hörten nun freilich schon, wie wir einfuhren in das Meer von Midilgardh, von den Seefahrern, daß eure Not gewendet sei durch einen neuen König, den sie schilderten wie den Gott Baldur, daß ihr Romaburg und alles Land von Gardarike wiedergewonnen und siegreich in Grekaland selbst geheert habt. Und wir sehen ja jetzt mit Augen, daß ihr unsre Waffenhilfe nicht braucht. Ihr lebt herrlich und in Freuden in dieser Methalle: und alles ist voll roten Goldes und weißen Gesteins. Aber doch muß ich wiederholen meines Vaters Wort und Rat: folgt ihm! Er ist weise! Noch jeder hat's bereut, der König Frodes Rat verschmäht.» Allein Totila schüttelte lächelnd das Haupt und sprach: «Großen Dank sagen wir König Frode und euch für edle, seltne Treue. Unvergessen soll in der Goten Gesänge solche Brudertreue sein der Nordland-Helden. Aber, o König Harald, folge mir und blick' um dich her.» - Und er stand auf, nahm den Gast an der Hand und führte ihn an den Eingang des Zeltes, die Vorhänge zurückschlagend: da lagen Strom und Land und Stadt in glühendem Licht des Sonnenuntergangs: «Sieh dies Land, unvergleichlich an Herrlichkeit des Himmels und des Bodens und der Kunst: -siehe diesen Tiberstrom von glücklichen, jubelnden, schönen Menschen bedeckt, schau' diese Büsche von Lorbeer und Myrten: blicke hin auf die Säulenpaläste, die dort von Rom her im Abendstrahl schimmern, auf die hohen Marmorbilder auf diesen Stufen -: und sage du selbst, würdest du dies Land räumen, wenn es dein wäre? Würdest du diese Herrlichkeit vertauschen mit Nordes Fichten und Föhren und frühlingslosem Eise, mit den rauchgeschwärzten Holzhütten auf nebliger Heide?» «Ja, das würd' ich, beim Hammer Thors! Dies Land hier ist gut, drin zu heeren, drin zu schwelgen, drin zu siegen: jedoch dann schleunig auf und davon gefahren mit der Siegesbeute nach Hause! Ihr aber seid hier hereingeworfen wie Wassertropfen auf heißes Eisen. Und wenn jemals wir Odins-Söhne dieses Südland beherrschen, dann werden das doch nur solche von uns, die einen breiten Rückhalt haben an andern Odins-Söhnen. Ihr aber -: ihr seid ja selbst schon ganz anders geworden als wir. Welsche Frauen haben eure Großväter, eure Väter, ihr selbst gefreit: in wenigen Geschlechtern, wenn das so fortgeht, seid ihr verwelscht: schon seid ihr kleiner, dunkler an Haut und Augen und Haar geworden als wir, wenigstens viele von euch. Ich sehne mich aus dieser schwülen, weichen Luft nach dem Nordwind, der über unsre Wälder und Wogen braust. Ja, und auch nach der rauchgeschwärzten Holzhalle, wo die Götterrunen eingebrannt sind in die Firstbalken und die Harfen der Skalden an den Holzpfeilern hangen und das heilige Herdfeuer immer gastlich lodert. Ich sehne mich nach unsrem Nord zurück: - denn er ist unsre Heimat.» «So vergönne, daß auch wir unsre Heimat lieben, dies Land Italia!» «Nie wird's eure Heimat, nur vielleicht euer Grab. Fremd seid ihr, und fremd bleibt ihr. Oder ihr verwelscht. Aber eures Bleibens, als Odins-Söhnen, ist nicht in diesem Land.» «Mein Bruder Harald, laß es uns doch versuchen», lächelte Totila. «Ja, wir sind verändert seit den zwei Menschenaltern, die unser Volk nun unter Lorbeern lebt. Aber sind wir verschlechtert? Muß man notwendig ein Bärenfell tragen, um ein Held zu sein? Muß man Goldbilder rauben, Marmorbilder zerschlagen, um sich an ihnen zu erfreuen? Kann man nur Barbar sein oder Welscher? Können wir nicht der Germanen Vorzüge behalten, ihre Fehler ablegen, der Welschen Vorzüge uns aneignen, ohne ihre Fehler?» Aber Harald schüttelte das mähnenumwallte Haupt. «Mich soll's freuen, wenn's euch gelingt. Aber ich glaub's nicht. Die Pflanze nimmt die Art des Bodens und des Himmels an, darauf und darunter sie wächst. Und ich möcht' es gar nicht, selbst wenn's mir und den Meinen gelänge. Mir sind unsre Fehler lieber als der Welschen Vorzüge: wenn sie welche haben.» Totila mußte der Worte gedenken, die er einst selber Julius entgegnet. - - «Vom Nordland geht alle Kraft aus - dem Nordvolk gehört die Welt.» «Sag's ihnen doch», fiel seine Schwester ein, «in deines Lieblingsliedes Worten.» Und sie reichte ihm die Harfe hin: Harald aber spielte und sang eine Stabreim-Weise, die Adalgoth, in Schlußreime übertragen, Valeria folgendermaßen verdolmetschte: «Thor stand am Mitternachts-Ende der Welt: Die Streitaxt warf er, die schwere: Lauter Beifall der gotischen Hörer dankte dem königlichen Sänger, der ganz danach aussah, das stolze Lied verwirklichen zu wollen und zu können. Harald leerte nochmals den tiefen Goldbecher. Dann rief er: «Nun wohlauf, klein Schwesterlein Haralda, auf, ihr meine Segelbrüder da drüben. Nun brechen wir auf. Auf Deck der Midgardschlange müssen wir sein, bevor der Mond drauf scheint. Wie lautet der Wikingabalk? Lange Freundschaft - kurzer Abschied, so ist's NordlandBrauch.» Totila legte die Hand auf seines Gastes Arm. «Eilt's dir so sehr? Du fürchtest wohl, mit zu verwelschen? Bleibe nur noch: so rasch geht's nicht: und bei dir hat's damit gute Wege.» «Ja, da hast du recht, Romkönig», lachte der Riese, «und beim Hammer Thors: ich rühme mich dessen. Aber wir müssen fort. Drei Dinge hatten wir hier zu tun nach König Frodes Gebot: Euch zu helfen im Kampf. Ihr braucht uns nicht. Oder braucht ihr uns noch? Sollen wir bleiben, bis neuer Kampf entbrannt?» «Nein», lächelte Totila, «Friede, nicht neuer Kampf steht bevor. Und käm' es wirklich abermals zum Krieg - soll ich dir dann recht geben, Bruder Harald, daß wir Goten zu schwach, uns allein in Italia zu halten? Haben wir nicht die Feinde geschlagen ohne eure Hilfe? Können wir sie nicht wieder schlagen, wir Goten allein?» «Ich dachte mir's wohl», entgegnete der Wiking. - «Zum zweiten kamen wir, euch zurückzuholen ins Nordland: Ihr wollt es nicht. Und zum dritten: zu heeren auf des Kaisers von Grekaland Inseln. Das ist ein lustig Geschäft und noch lange nicht genug geübt. Kommt mit: helft dabei, rächt euch.» -«Nein, ein Königswort ist heilig. Wir haben Waffenstillstand noch auf Monde. Und höre, Freund Harald. Verwechsle mir ja nicht aus Versehen unsre Inseln mit denen des Kaisers. Unlieb wäre mir, wenn -» «Nein, nein», lächelte Harald, «sorge nicht. Wir haben's schon gemerkt. Vortrefflich gehütet sind eure Häfen und Küsten. Und hier und da hast du ja hohe Galgen aufrichten lassen und Tafeln daran in römischen Runenzeichen - dein Seegraf zu Panormus hat sie uns gedolmetscht: Da haben meine Segelbrüder einen heftigen Abscheu bekommen vor deinen Stangen und Tafeln und Runen. Leb' wohl nun, Romkönig der Goten: möge dein Glück dauern: leb' wohl, schöne Schwarzkönigin. Lebt wohl, all ihr Helden: wenn nicht früher - in Walhall treffen wir uns wieder.» Und rasch sich verabschiedend schritten die Nordleute hinweg. Haralda warf ihren Falken in die Luft. «Flieg voraus, Snotr, auf Deck!» und pfeilschnell schoß der kluge Vogel hinweg, gerade über den Fluß hinabfliegend. Der König und Valeria geleiteten die Gäste bis auf die vorletzte Stufe der Treppe: dort tauschten sie den letzten Händedruck. Noch einen raschen Blick warf die Jungfrau auf Totila. Harald bemerkte es, und er flüsterte ihr zu, als sie allein die letzte Stufe herabstiegen: «Klein Schwesterlein, deinetwegen scheid' ich so rasch. Gräme dich nicht um diesen schönen König. Du weißt, ich habe vom Vater die Gabe geerbt, todverfallne Männer zu erkennen. Ich sage dir: auf dieses Königs sonnigen Brauen sitzt der Speertod. Er wird den Mond nicht mehr wechseln sehn.» Da zerdrückte die Kriegerin eine Träne in den stolzen Augen. Graf Teja, Herzog Guntharis und Herzog Adalgoth geleiteten die Gäste bis an ihre Boote im Tiber und verweilten, bis sie abgestoßen. Mit ernstem Blick sah ihnen Teja nach. «Ja, König Frode ist weise», sagte er. «Aber oft ist die Torheit süßer als die Wahrheit. Und großartiger. - Geh nur voran zum Zelt zurück, Herzog Guntharis. Ich sehe da den Fluß herauf das Botenschiff des Königs eilen. Ich will sehen, welche Nachricht es bringt.» «Ich bleibe bei dir, mein Meister», sprach Adalgoth besorgt, «du siehst so furchtbar ernst. Was hast du?» «Eine Ahnung, mein Adalgoth», sprach Teja, den Arm um des Jünglings Nacken schlingend. «Sieh, wie rasch die Sonne sinkt. Mich schauert. - Laß uns dem Botenschiff entgegengehen - da unten wird es landen, wo die alten, gestürzten Marmorsäulen liegen.» Totila und Valeria waren nach dem Zelte zurückgewandelt. «Hat dich bewegt», fragte die Römerin erschüttert, «mein Geliebter, was jener Fremdling sprach? Es war - Guntharis und Teja haben mir's erklärt -, es war sehr ernst.» Aber Totila erhob rasch das nachdenklich gesenkte Haupt. «Nein, Valeria, es hat mich nicht erschüttert. Des großen Theoderichs großes Werk hab' ich auf meine Schultern genommen. Der Traum meiner Jugend, der Gedanke meines Königtums: - ich will für ihn leben und sterben. Komm: - wo bleibt Adalgoth, mein Mundschenk? - Komm, noch einmal tu Bescheid mit dem Becher, Valeria - laß mich trinken auf das Glück des Gotenreichs.» Und hoch erhob er den Pokal. Aber er vermochte nicht, ihn zu Munde zu führen, denn Adalgoth eilte, laut rufend, die Stufen hinan, gefolgt von Teja. «König Totila», rief jetzt Adalgoth atemlos, «bereite dich, ein Furchtbares zu hören, fasse dich... » Totila setzte den Pokal nieder und fragte erbleichend: «Was ist geschehn?» «Dein Botenschiff brachte die Kunde von Ancona her: Der Kaiser hat den Waffenstillstand gebrochen - er hat... » Da war Teja heran: sein langes, schwarzes Haar flatterte im Winde. Geisterblaß war sein Antlitz, und sein Auge sprühte: «Auf, König Totila», rief er, «den Kranz aus dem Haar, und den Helm auf das Haupt! Auf der Höhe von Senogallia, nahe bei Ancona, hat eine Flotte des Kaisers die unsere, die im Schutz des Waffenstillstandes lag, plötzlich feindlich überfallen. Unsere Flotte ist nicht mehr. Von unsern vierhundertsiebzig Segeln sind nur elf gerettet. Ein starkes Heer des Kaisers ist gelandet. Und Feldherr ist -: Cethegus, der Präfekt.»
In dem Lager Cethegus' des Präfekten bei Setinum, am Fuß des Apenninus, wenige Meilen nördlich von Taginä, schritt Lucius Licinius, der soeben von Epidamnus her zur See eingetroffen war, in eifrigem Gespräch mit Syphax vor dem Zelt des Feldherrn auf und nieder.
«Mit Schmerzen erwartet dich mein Herr, o Kriegstribun. Schon seit mehreren Tagen. Hoch erfreut wird er sein, dich zu finden im Lager», sprach der Numider. «Er muß bald zurückkehren von einem Ritt der Kundschaftung.»
«Wohin ritt er?»
«Mit Piso und den andern Kriegstribunen gegen Taginä.»
«Ja, das ist die nächste, feste Stadt der Goten nach Süden zu. Nun aber erzähle mir, kluger Maure, von den letzten Dingen, die zu Byzanz geschahen. Du weißt: mich hatte dein Herr zu den Langobarden auf Werbung geschickt, lange bevor in Byzanz eine Entscheidung erreicht war. Als ich nun, nach gefahrvoller Reise durch das Land der Langobarden und der Gepiden, bei Novä über den reißenden Ister wieder glücklich in das Reich Justinians gelangt war und bei dem Gastfreund in Nikopolis die verabredete Weisung des Präfekten abholte, die meine weiteren Schritte lenken sollte, fand ich nur den lakonischen Befehl: ihn in Senogallia zu treffen.
Ich staunte. Denn daß er, an der Spitze von Flotte und Heer des Kaisers, als Sieger, den Boden Italiens wieder beschreiten würde, wagte ich kaum zu hoffen. Von Senogallia her eilte ich eurem Marsche bis hierher nach. Die Heerführer, die ich bisher im Lager getroffen, haben mir nun zwar den Lauf der Dinge ungefähr erzählt bis kurz vor Belisars Verhaftung. Aber von dem Hergang bei dieser und von den späteren Dingen haben sie offenbar keine genauere Kunde. Du aber... -»
«Ja, ich weiß diese Sachen: so gut fast wie mein Herr. Denn ich war selbst dabei.»
«Ist's möglich? Belisar wirklich ein Verschwörer gegen Justinian? Nie hätt' ich's geglaubt.»
Syphax lächelte schlau: «Darüber hat Syphax kein Recht, zu urteilen: ich kann nur genau sagen, was geschah.
Nun höre, aber tritt ins Zelt und labe dich, mein Herr würde schelten, ließ ich dich hier draußen, unverpflegt, und es spricht sich auch sichrer drinnen», fuhr er fort, den Zeltvorhang hinter dem Eintretenden schließend.
Während er nun den Gast seines Herrn auf den Feldstuhl nötigte und mit Früchten und Wein versah und bediente, hub er an zu erzählen: «Bei Einbruch der Nacht jenes Schicksalstages kauerte ich in einer Nische des Muschelhauses des Photius, des Freigelassenen Belisars, hinter der hohen Statue eines Christenheiligen, dessen Namen ich nicht weiß, der aber einen sehr löblich breiten Rücken hat. Zugedeckt von seinen Schultern konnte ich durch eine Lücke oben in der Mauer spähen, die dem Saale frische Luft zuführen soll.
Bei schwacher Beleuchtung erkannte ich Photius und eine Anzahl vornehmer Männer, die ich oft in dem Kaiserpalast oder in Belisars Haus oder bei Prokopius hatte aus- und eingehen sehen. Das erste, was ich verstand - denn mein Herr hat mich die Sprache der Griechen, die sich
Da trat Belisarius ein. Er trug einen weiten, seine Gestalt verhüllenden Mantel.
Der Hausherr eilte ihm entgegen, alle drängten sich ehrfurchtsvoll um ihn.
Und er drängte ihm den kleinen Elfenbeinstab auf, den der Leiter der Versammlungen führt, und geleitete ihn an den erhöhten Sitz des Vorstehers der Gesellschaft, den er selbst eben verlassen.
Da eilte verwirrten Haares und fliegenden Gewandes der junge Anicius in das Gemach, ein Schwert in der Hand.
Belisar erhob sich gespannt.
Die Verschwornen stoben nach den Türen.
Nur Belisarius blieb ruhig stehen vor dem Ehrensitz.
Aber da scholl vor der großen Haustüre der Ruf der Tuba: für mich das Zeichen, meinen Späherposten zu verlassen und mich meinem Herrn anzuschließen, der an der Spitze der kaiserlichen Lanzenträger und Goldschildner mit dem Präfekten von Byzanz und mit Leo, dem Archon der Palastwache, in das Haus stürmte, dessen Fenster und Türen alle umstellt wurden.
Prachtvoll sah er aus, mein Gebieter», rief Syphax begeistert, «als er, vom purpurnen Helmbusch umflattert, die rotschimmernde Fackel in der Linken, das Schwert in der Rechten, in das Gemach stürmte: so mag der Feuerdämon aussehn, wenn er in Afrika aus dem flammenden Berge taucht.
Ich zog das Schwert und sprang an seine linke Seite, den fehlenden Schild zu ersetzen.
Und er hatte mir geboten, den jungen Anicius gleich unschädlich zu machen.
Aber schon lag er schwer getroffen zu unsern Füßen, ich riß mein Schwert aus seiner Brust und entwaffnete Photius, der allein noch Widerstand wagte. Die andern ließen sich greifen wie vom Gewitter betäubte Hammel.
Der Archon hatte scheu vor Belisar haltgemacht, der in seiner Ruhe verharrte.
Verschwörung, er trägt den Stab, er steht an dem Ehrenplatz.> Schon am andern Morgen begannen die Verhöre in dem Hochverratsprozeß. Viele Zeugen wurden vernommen: auch ich. Ich beschwor, daß ich Belisar als Haupt der Verschwörung hatte begrüßt werden und handeln sehn. Das Wachstäfelchen hatte ich selbst aus des Photius Kleidern gezogen. Belisar wollte sich auf das Zeugnis seiner Leibwächter berufen: aber sie lagen alle tot. Auf der Folter gestanden Photius und andere Gefangene, daß Belisar endlich eingewilligt habe, das Haupt der Verschwörung zu werden. Antonina wurde streng in dem roten Hause bewacht. Die Kaiserin weigerte ihr die stürmisch verlangte Unterredung. Sehr schwer belastete es sie selbst wie Belisar, daß Späher der Kaiserin beschworen, sie hätten den jungen Anicius, in dessen Zisterne man die Waffen und Urkunden der Verschwörer gefunden, und der mit Gewalt hatte gebändigt werden müssen, wochenlang viele Nächte heimlich in Belisars Haus schleichen sehen: und daß dies Anicius selbst, Antonina und Belisar hartnäckig und unverschämt leugneten, während es ganz zweifellos bewiesen war, empörte die Richter aufs äußerste. Ich mußte Antonina gleich nach der Verhaftung Belisars von meinem Herrn melden, daß dieser im höchsten Grade überrascht gewesen, Belisar wirklich als Haupt der Verschworenen anzutreffen, und ihr zugleich sagen, nicht bloß Briefe des Hasses habe Cethegus in der Zisterne des Anicius gefunden. Bei diesem meinem Wort, das ich selber nicht verstand, sank die schöne Frau ohnmächtig zusammen. Übrigens brachen wir von Byzanz auf, ehe noch das Urteil über Belisar gefällt war. Nur Photius und die meisten Verschworenen waren bereits zum Tode verurteilt, als wir uns mit der kaiserlichen Flotte einschifften nach Epidamnus, wo meines Herrn Kriegstribunen und Söldner und starke, ursprünglich für den Perserkrieg bestimmte Streitkräfte des Kaisers auf uns harrten. Denn meinem Herrn war die neu geschaffene Würde eines Magister Militum per Italiam verliehen und der Befehl über das «Was verlautet von der Belisar drohenden Strafe? Ich hätte es nie geglaubt, daß dieser Mann... -» «Die Richter werden ihn gewiß zum Tode verurteilen: denn er ist schlagend überführt. Und man streitet, ob in dem Kaiser der Romäer die alte Gnade siegen werde oder der neue Zorn. Man meint: er werde die Todesstrafe in Blendung und Verbannung umwandeln. Sehr schlimm für Belisar, sagt mein Herr, dies unsinnige Leugnen. Und ihm fehlt als Rechtsbeistand und kluger Helfer sein Freund Prokopius, der fern in Asien die Bauwerke des Kaisers aufsucht. Cethegus aber betrieb die Einschiffung des Heeres zu Epidamnus so geheim, daß die dummen Goten hier bei Ancona kaum davon vernahmen. Auch bauten sie auf den Waffenstillstand und erwarteten den bevorstehenden Friedensschluß. Den Vorwand für die Flottenrüstung gewährten Verheerungen, die fremde Schiffe aus Thuleland auf den Inseln des Kaisers anrichteten. So überfiel mein Herr die gotische Flotte in der Nacht, während die Bemannung auf dem festen Lande schlief: und fast ohne Blutvergießen nahm, verbrannte, versenkte er über vierhundert ihrer Kiele. Aber horch: - das ist mein Herr -: ich kenne seinen Gang -: so schreitet nur noch in meiner Heimat der Löwe von Auras.»
«Willkommen, Licinius, in Italien und im Siege», rief Cethegus im Eintreten. «Wo hast du die Langobarden?»
«Salve, Flottenzerstörer», antwortete der Tribun. «Die Langobarden kommen zwanzigtausend Mann.»
«Das sind sehr viel!» sprach Cethegus, plötzlich sehr ernst. «Ich hatte nur siebentausend gewünscht: - ich weiß kaum, woher das Gold für die fast dreifache Zahl aufzubringen. Denn wohl gemerkt: in meinem, nicht in des Kaisers Sold, will ich sie haben.»
Freudestrahlend, stolzen Auges aber sprach der junge Ritter: «Ich hoffe auf deine Zufriedenheit, Magister Militum. Unentgeltlich kommen die Langobarden nach Italien.»
«Wie das? Und so viele?»
«Ja: der Sohn ihres Königs Audoin, - Alboin ist sein Name, den schon weithin das Heldenlied der Germanen preist bis zu den Bajuvaren am Önus und den Saxonen an dem Wisurgis, -ein sehr tapfrer und für einen Germanen erstaunlich kluger Jüngling... -»
«Ich weiß von ihm - er diente lang unter Narses», meinte Cethegus mißtrauisch
«Dieser kühne und schlaue Barbar hat sich im vorigen Jahre, als Roßhändler verkleidet, nach Italien geschlichen und unerkannt das ganze Land bis Rom und Neapolis durchwandert, die Wege erforscht und die Waffenplätze der Goten. Er wäre noch länger geblieben, hätte ihn nicht derselbe Gote, der meinen armen Bruder erschlagen... -»
«Der schwarze Teja?»
«Derselbe - mit Argwohn verfolgt und ihn zuletzt als Späher festzunehmen gedroht. Da floh Alboin zurück nach Pannonien. Aber Wein und köstliche Edelfrüchte unseres Landes brachte er mit nach Hause und zeigte sie seinem Vater und seinem Volk: und seither brennen alle Langobarden, dieses Wunderland zu betreten. Alboin verlangt nur alle Beute, die seine Langobarden machen werden, und verzichtet auf Sold: es sind prachtvolle Barbaren, diese Langbärte, viel wilder und rauher als die Goten.
«Ich danke deinem Eifer», sagte Cethegus zögernd, «er ist mir fast allzugroß. Es sind so viele.»
«Ja, auf geringere Zahl ließ sich Alboin nicht ein:
«Nun», schloß Cethegus, «ich vertraue: an der Spitze von zwei kaiserlichen Heeren und von Italien halt' ich auch diese große Zahl von Raubtieren in Gehorsam. Zu den Goten werden sie sich doch nicht schlagen?»
«Nein, mein Feld herr. Es geht ein alter Haß durch die Geschichte beider Völker: aus einem jener unfaßlichen Gründe, die nur diese Germanen zum Hasse finden. In grauer Vorzeit hat einmal eine langobardische Königin einen Gotenfürsten ermorden lassen oder umgekehrt: - wer kann sich diese Dinge merken! - und seither ist es Ehrenpflicht von Geschlecht zu Geschlecht, sich zu hassen und zu morden.
«Wohl: ihr Unglück sollen sie erben», drohte Cethegus, «sonst haben die Goten nichts zu hinterlassen: sie sterben in der Fremde auf italischer Scholle! Und wann kommen sie, diese pannonischen Wölfe? Ich brauche sie bald.»
«Das hat Alboin noch nicht bestimmen können. Sie haben einen Bund mit den noch wilderen Awaren - das sind keine Germanen! - geschlossen, gemeinsam das arme Volk der germanischen Gepiden noch vollends auszumorden und deren Land zu teilen.»
«Ein grimmiges, gefährliches Geschlecht», sprach Cethegus kopfschüttelnd.
«
«Er kennt sie so gut», sagte Cethegus halb zu sich, «daß man diesen Wolfs-Jüngling sie gar nicht mehr zurückschreiten lassen darf. Licinius, ich brauche rasche und starke Verstärkung. Der Angang war gut: aber nun gehts nicht recht vorwärts. Die Italier, schmählich zu sagen, stehn nicht auf: sie halten zu den Barbaren», lächelte er zornig, «aus ähnlichen Gründen wie mein zu Tod gefressener Freund Balbus. Gewiß rückt der Gotenkönig schon vor Rom heran, mit starkem Heer, seine Flotte zu rächen. Ich kenne ihn: er greift an! So schicke ich denn Eilboten nach Eilboten an Areobindos, der wirklich ein Prinz der Schnecken ist, rasch das
Totila nicht schlagen, wenn er die Übermacht hat.»
«Und Ravenna? Wird es sich noch halten können, wenn du nicht eilig Entsatz bringst?»
«Ravenna ist befreit. Nach Zerstörung der gotischen Flotte schickte ich auf die Reede von Classis dreißig meiner Trieren unter dem Nauarchen Justinus: sie drangen in den Hafen Classis und versahen die Stadt mit neuen Vorräten. Und vor einigen Tagen vernehme ich, daß der alte Hildebrand die Belagerung auch auf der Landseite aufgehoben und sich in Eilmärschen, westlich um uns herum, mit seinen wenigen Tausendschaften nach Florentina und Perusia gezogen hat. Angeblich, aber das ist eine handgreifliche Unmöglichkeit! weil ein ungeheures Heer des Kaisers auf dem Landweg von Dalmatien, von Salona her, durch Venetien in Eilmärschen gegen Ravenna heranrücke.
Wäre dem doch so! Aber leider weiß ich besser, daß das
Und deine schöne Gönnerin, mein Licinius, die Kaiserin, ist mir zwar gewogen: aber mich sehr geschwinde siegen zu sehen ist weder ihr noch dem Kaiser der Romäer erwünscht. So muß ich denn harren und harren, bis der Schneckenprinz heranschleicht. Aber da oben bei Senogallia war unseres Bleibens nicht.
Mich zog's gen Rom!
Auch sind die Stellungen da oben zu schwach, sie gegen Übermacht zu halten. Diese treffliche Stellung hier bei Setinum, Caprä und Taginä habe ich mir schon lang einmal ausgewählt.
Und so eilte ich hierher - schnell! Aber doch nicht schnell genug. Denn Setinum zwar gelang es noch zu erreichen.
Aber nicht mehr Caprä und Taginä, die notwendige Deckung.
Und doch ist Taginä der Schlüssel der Stellung: - ohne Caprä und Taginä ist mein Lager eine Festung zwar mit Wall, aber ohne Graben: die drei Flüßchen bei Caprä und Taginä sind deren natürliche Gräben. Sofort sprengte ich selbst von Setinum aus gegen Taginä mit den sarazenischen Reitern: aber zu spät.
Graf Teja - er muß auf den Schwingen des Sturmwindes von Rom herangebraust sein! - Graf Teja hatte Taginä kurz vor mir erreicht mit einer fliegenden, dem Hauptheer vorangeworfenen Schar: und obwohl die Sarazenen sieben gegen drei waren, hat er sie mit seinen gotischen Beilreitern blutig zurückgeworfen: es war kein Halten mehr, nachdem er den Sarazenenkönig Abocharabus den Jüngeren mit dem Beil vom Turban bis zum Gurt durchspalten, heulend rissen meine Sarazenen die Renner herum und jagten davon, über Caprä zurück, mich mit fortreißend.
Heute suchte ich nun die Stärke der Besatzung von Taginä zu erkunden - denn gern möchte ich den Verhaßten erdrücken, ehe das gotische Hauptheer eintrifft - aber die Stellung von Caprä war heute schon nicht mehr zu durchdringen. Und bereits soll der Barbarenkönig selbst im Anzug sein: die Nachhut führe der Herzog Guntharis heran.
Und wo bleibt, wann kommt mein
Am Tage darauf traf König Totila mit einem Teil des Heeres wirklich in Taginä ein: Valeria, die jetzt am sichersten geborgen war im Lager des Königs, begleitete ihn: auch Julius, der sich wieder in seine Klosterstiftung nach Avenio in Gallien begeben wollte, und Cassiodor, der diese prüfen sollte.
Die Hauptmacht des Heeres sollten Herzog Guntharis und Wisand, der Bandalarius, auf der flaminischen Straße von Süden
heranführen, während von Westen, von Florentia her, der alte Hildebrand im Anzug war. Erst nach dem Eintreffen dieser Truppen konnte der Angriff auf die sehr feste Stellung des Präfekten unternommen werden.
Und auch Cethegus wies das Drängen der jungen Ritter zum Angriff ab. «Ich bin nicht gekommen, Schlachten zu gewinnen, sondern Italien. Demnächst haben wir die Übermacht: - dann hat es Sinn, zu schlagen.»
Eines Morgens trat Julius in des Königs Zelt und reichte ihm schweigend einen Brief.
Totila furchte die Stirn, da er die Handschrift erkannte und las: «An Julius Manilius Cethegus, der Präfekt von Rom und Magister Militum per Italiam. Ich höre, du weilst im Lager der Barbaren. Licinius sah dich reiten neben dem Tyrannen. Soll das Unerhörte geschehen, daß Julius gegen Cethegus die Waffen führt, der Sohn gegen den Vater?
Gewähre mir heute, um Sonnenuntergang, eine Unterredung bei dem zerfallenen Tempel des Silvanus, der zwischen unsern und der Barbaren Vorposten liegt.
Der Tyrann hat mir Italien, Rom und deine Seele geraubt. Ich werde ihm alle drei wieder entreißen - und dich zuerst. Komm: ich befehle es als dein Vater und Erzieher.»
«Ich muß ihm gehorchen - ich verdanke ihm so viel.»
«Ja», sagte Totila, ihm den Brief zurückgebend.
«Aber die Stelldichein des Präfekten sind gefährlich.
Du hast mich gebeten, nie mehr über deinen «Er wird mein Leben nicht bedrohen.» «Aber vielleicht deine Freiheit! Nimm fünfzig Reiter mit. Ohne solches Geleit lasse ich dich nicht aus dem Lager.» Gegen Sonnenuntergang erreichte Julius mit seiner Bedeckung das zerfallene Gemäuer. Nur wenige Säulen des alten Fanum standen noch aufrecht, die Mehrzahl lag umgestürzt an den Seiten des Hügels, auf welchem sich der schlichte Monopteros erhob: auch das Dach des Gewölbes war zum Teil herabgestürzt. Üppig wuchernder Efeu umkleidete die Säulenschäfte, Steinbrech und allerlei Unkraut überwucherte die zahlreichen Marmorstufen, die hinanführten zu dem ringsum offnen Bau. Diesmal hatte Totila dem Präfekten ohne Grund mißtraut. Denn als Julius am Fuße des Hügels angelangt war mit fünfzig Reitern, - fünfzig folgten auf des Königs Befehl ihm später noch aus dem Lager und näherten sich nun ebenfalls - sah man Cethegus allein in dem Innenraum des Tempels wartend auf und nieder schreiten. Julius war vom Pferde gestiegen und schritt die Stufen hinan. Cethegus empfing ihn mit vorwurfsvollem Blick. «Du lässest dich erwarten: der Sohn vom Vater. Beim ersten Wiedersehn, nach so langer Zeit. Ist das Mönchs-Moral? Und wohl gehütet kommst du! Wer hat dich gelehret, mir mißtrauen? Wie? Folgen uns deine Barbaren bis hierher?» Und er wies auf einen Anführer der zuletzt gekommenen in braunem Mantel und übergeschlagner Kapuze, der, mit zwölf seiner Begleiter, vom Rosse sprang und sich mit den Seinen die Stufen herauf lagerte bis an die oberste Staffel. Julius wollte sie entfernen, aber ein zweiter Anführer, Graf Thorismut, antwortete kurz: «Befehl des Königs!» und lagerte sich auf die zweite Stufe. «So sprich griechisch», sagte Julius. «Das verstehn sie nicht.» Cethegus streckte ihm beide Hände entgegen. «So sieht Odysseus, der Weitumwandernde, seinen Telemachos wieder.» Aber Julius trat zurück von ihm. «Schwarze Gerüchte gehen über dich, Cethegus. Hat diese Hand nur im Kampfe Blut vergossen?» Cethegus ballte die zurückgewiesene Hand grimmig zur Faust. «Haben deines Busenfreundes Lügen mir ganz dein Herz vergiftet?» «König Totila lügt nicht. Er hat seit Monden nicht mehr deinen Namen genannt. Ich bat ihn darum. Denn ich konnte dich nicht verteidigen gegen seine furchtbaren Anklagen. Ist es denn wahr, daß du seinen Bruder Hildebad...?» «Ich bin nicht gekommen, Entschuldigungen zu geben, sondern sie zu heischen. Seit Jahren tobt der Kampf um Rom mit Priestern, Griechen, Barbaren. Und ich stehe allein. Müde, wund, halb verzweifelnd, von den Wogen des Geschicks bald emporgetragen, bald tief in den Abgrund geschleudert. Aber immer allein. Und wo ist Julius, mein Sohn, der Sohn meiner Seele, mich zu erquicken mit seiner Liebe? In Gallien unter den Mönchen, in Byzanz oder in Rom als Werkzeug oder als Gast des Barbarenkönigs. Fern von mir und meinem Wege.» «Ich warnte dich vor diesem Wege: rote und schwarze Flecken liegen darauf: ich kann ihn nicht mit dir gehn.» «Nun: und wenn du so weise bist und so eifrig im Dienste deines Glaubens - wo warst du, mich zu erleuchten und zu retten?» und nun entsandte Cethegus ein lang und sorgfältig gezieltes Geschoß der Überredung, das er bis zuletzt sich aufgespart. «Wenn meine Seele sich der Liebe, der Wärme immer mehr verschloß, wenn sie versteinte und vereiste, - wo war Julius, mich zu erweichen und zu erwärmen? Hast du deine Pflicht als Sohn, als Christ, als Priester an mir erfüllt?» Diese Worte machten erschütternden Eindruck auf den frommen Sinn und das sanfte Gemüt des jungen Mönches. «Vergib», sagte er, «ich erkenne: ich habe gefehlt gegen dich.» Cethegus ersah blitzschnell seinen Vorteil. «Wohlan: so mach' es gut. Ich verlange nicht, daß du Partei ergreifst in diesem Kampf. Erwarte den Ausgang. Aber erwarte ihn bei mir, an meiner Seite, in meinem Lager: nicht bei den Barbaren und nicht in Gallien. Bin ich Saul, der Gottes Gnade verwirkt hat, -wohlan, sei du David und erhelle meine Seele, die oft verdüsterte. Deine heiligste Gewissenspflicht zwingt dich an meine Seite. Sonst: - auf dein Haupt die Verantwortung! Ja, du bist der gute Genius meines Lebens. Ich brauche dich und deine Liebe, soll ich nicht ganz jenen Mächten verfallen, die du hassest. Gibt es eine Stimme, die mich dem Glauben gewinnen mag, der da, wie du lehrst, allein selig macht, - so ist es deine Stimme, Julius. Nun entscheide dich: - nach Gewissenspflicht.» Der eifrige und pflichttreue Christ vermochte nicht zu widerstehen: «Du hast gesiegt! - Ich folge dir, mein Vater!» und er war im Begriff, sich an des Überwinders Brust zu werfen. «Verfluchter Heuchler!» scholl da eine helle, starke Stimme. Der Reiterführer, der auf der obersten Tempelstufe sich gelagert hatte, sprang auf die Plattform im Innenraum und schlug die Mantel-Kapuze zurück. Es war König Totila, das nackte Schwert in der Hand. «Ha, der Barbar hier!» schrie Cethegus in tiefstem Grimm des Hasses. Auch sein Schwert blitzte: und in tödlichem Hasse trafen die Feinde zusammen: die Klingen kreuzten sich klirrend. Aber Julius warf sich zwischen die Kämpfer, mit beiden Händen ihre Arme hemmend. Es gelang ihm, sie für den Augenblick zu trennen. Jedoch drohend standen die beiden, die Schwerter fest in der Faust, einander gegenüber. «Hast du gehorcht, König der Barbaren?» knirschte der Präfekt. «Das ist ja echt königlich und heldenhaft.» Allein Totila gab ihm keine Antwort. Zu Julius gewendet sprach er: «Nicht nur um deine äußere Freiheit und Sicherheit war ich besorgt. Ich kannte, ich ahnte seine Anschläge auf deine Seele. Ich habe versprochen, ihn nie mehr, den Abwesenden, zu verklagen. Aber nun steht er mir und dir gegenüber. Er soll mich hören bis zu Ende und sich verteidigen, wenn er kann. Aufdecken will ich dir, daß seine Seele und jeder Gedanke seines Geistes schwarz und falsch sind wie der Satan. Siehe, selbst diese Worte, die der Augenblick, das warme Gefühl erzeugt zu haben schien, die dich schon für ihn gewonnen hatten, - sie sind falsch, erheuchelt, ausgesonnen seit Jahren. Sich her, Julius, kennst du diese Schrift?» Und er wies dem Erstaunten eine beschriebene Papyrusrolle. «Die Barbaren stehlen sonst nur Gold», sprach grimmig Cethegus. «Briefe stehlen macht infam, ist ehrlos.» Und er griff nach der Rolle. Aber Totila fuhr fort: «In seinem Hause, an geheimer Stätte hat Graf Teja sie erbeutet. In welchen Abgrund ließen sie mich schauen, seine Tagebücher! Ich schweige von den Verbrechen gegen andre. Hier aber schreibt er, was dich betrifft: Julius geb' ich noch nicht verloren. Laß sehen, ob den Schwärmer nicht die Pflicht der Seelenrettung gewinnt. Er wird meine Hand fassen zu müssen wähnen, um mich zum Kreuz empor zu ziehn. Aber mein Arm ist der stärkere: und ich reiße ihn herüber in meine Welt. Schwer wird mir nur der erforderliche Ton der Zerknirschung werden. Ich muß dafür in Cassiodor lesen>.» «Cethegus», rief Julius jammernd, «hast du das geschrieben?» «Ich dächte, du kennst den Stil. Aber oh, er wird leugnen. -Alles leugnen, was ich weiß oder ahne. Leugnen wird er, daß er den Baltenherzog Alarich mit Fälschungen verleumdet, daß er für Athalarich und Kamilla Gift gemischt, daß er durch Amalaswintha die drei andern Baltenherzöge gemordet, daß er Mörder gegen mich geschickt, daß er Amalaswintha an Petros, Petros an die Kaiserin, Witichis an Belisar, Belisar an Justinian verraten: leugnen, daß er den Sohn des Boethius in den Tod geschickt, daß er meinen Bruder gemordet, daß er im Waffenstillstand unsre Schiffe friedschändend überfallen: er wird all dies leugnen - denn Lüge ist der Hauch seines Mundes.» «Cethegus», flehte Julius, «sprich Aber der Präfekt, der anfangs die Worte Totilas mit halb geschlossenen Augen wie Keulenschläge schweigend hingenommen, stieß jetzt das Schwert in die Scheide, richtete sich hoch auf, kreuzte die Arme über die Brust und sprach: «Ja, ich habe das getan. Und andres mehr. Ich habe hinweggeräumt, was mir den Weg versperrte, mit Kraft und Klugheit. Denn der Weg führt zum höchsten Ziel, zum Heil des Römerreichs. Und zugleich zum Thron der Welt. Aber mein Erbe in dieser Weltherrschaft - solltest du sein, Julius. Für Rom und für dich -am wenigsten für mich selber! - hab' ich meine Taten getan. Warum für dich? Weil ich dich liebe, dich allein auf Erden. Nicht mit deiner christlichen Nächstenliebe, welche die ganze Menschheit gleichmäßig umspannen soll. Diese lauwarme Schwäche habe ich immer verachtet. Nein, heiß, mit Schmerz und Leidenschaft. Statt der Menschheit lieb' ich dich. Ja, mein Herz ist versteint in Verachtung der Kleinheit der Menschen. Nur ein Gefühl sprießt noch aus diesem Granitfels: die Liebe zu dir. Du hast sie nie verdient, diese Liebe. Aber ein Wesen, dessen Züge du trägst, dessen Bild mir dein Anblick emporführt aus dem Grabe, aus der Jugendvergangenheit, webt ein geheimnisvoll zwingendes Band zwischen mir und dir. Erfahre denn jetzt vor meinem Feinde das heilige Geheimnis, das du erst zu der Stunde erfahren solltest, da du ganz mein Sohn geworden. Es gab eine Zeit, da des jungen Cethegus Cäsarius Herz weich war und zart, wie das deine. Und darin lebte eine Liebe, heilig und rein wie die Sterne, zu einem, ach, unvergleichlichen Geschöpf Und sie liebte mich wie ich sie. Aber alter Haß trennte das Geschlecht der Cethegi und der Manilier seit Jahrhunderten.» Da erbleichte Julius; Totila warf das Schwert in die Scheide und hörte, mit beiden Armen auf den Griff gestützt, nun aufmerksamer zu. «Sie mit dem Senat - wir mit den Gracchen. Sie mit Sulla -wir mit Marius. Sie mit Cicero - wir mit Catilina. Sie mit Pompejus, wir mit Cäsar. Und doch war mir's endlich gelungen, den harten Sinn des Vaters zu erweichen: er schien bereit, zögernd sein Ja zu sprechen. Denn er sah, wie wir uns liebten. Sie folgte mir willenlos, wie Eisen dem Magnet, und ich fühlte, daß sie mein guter Genius war. Da kam ein Gotenherzog, dessen Seele den Furien geweiht sei, der mich langher kannte und haßte. Er warnte Manilius, der anvertrauend zu ihm aufblickte, weil er bei dem ersten Andrang der Barbaren in Italien ihn und sein Haus vor Bedrückung beschützt. Er warnte den Vater vor dem Mann Cethegus mit dem bösen Blick, wie er sagte, und er weckte den alten Groll: und er ruhte nicht, bis der Vater sein Kind, das widerstrebende, einem gallischen Senator, einem Freunde des Baltenherzogs, verlobte. Umsonst flehte Manilia um Erbarmen. Da beschlossen wir die Flucht. Im Landhaus am Tiber vor der Porta Aurelia wohnten sie. Jedoch argwöhnisch beschleunigte der Vater die Vermählung. Als ich zur verabredeten Nacht die Gartenmauer überstieg und in ihr Schlafgemach schlich, fand ich es leer. Aber vorn im Atrium scholl Hymenäen-Gesang und Flötenspiel. Atemlos schleiche ich an die Vorhänge und spähe hinein. Da ruht meine Manilia, in der Neuvermählten Tracht, an ihres Vaters Seite, der Bräutigam bei ihr - und ungezählte Gäste, Manilias bleiches Antlitz, ihre tränenfeuchten Augen seh' ich -ich sehe, wie Montanus den Arm um ihren Nacken spannt. - Da ergreift mich wahnsinnige Verzweiflung: ich stürme in den Saal und umschlinge sie und reiße sie mit mir mit hochgeschwungenem Schwert. Aber sie waren zu neunzig, die Tapfern: lang erwehrte ich mich ihrer, da traf mich des Balten Alarich Schwert -: und sie rissen mir die Schreiende aus dem Arm und warfen mich blutend, für tot, über die Gartenmauer nah an den Tiber. Allein damals, vor bald sechs Lustra - wie vor Jahr und Tag! -hat mich der Hauch des Flußgottes aus der Betäubung des Todes geweckt. Fischer fanden mich, pflegten mich: ich genas. Aber das Herz war mir aus der Brust gerissen worden jene Nacht. Und viele, viele Jahre vergingen. Ich haßte die Welt und ihren Gott, wenn einer lebte. Und das Geschlecht der Manilier und der Balte Alarich haben es verspürt, daß ich nicht tot war. Geächtet flohen sie alle aus dem Lande, schwer getroffen von meiner Rache. Nur ein Bild blieb unvergleichlich, rührend schön in meiner Seele. - Und abermals nach Jahren kam ich reisend nach Gallien an den Rhodanus. Da war Krieg entbrannt zwischen den Barbaren. Franken und Burgunden waren eingefallen in das Gallien der Goten und hatten eine Villa am Rhodanus zerstört. Und als ich die gestürzten Säulen des Atriums und den zertretenen Garten betrachtete, lief ein kleiner Knabe aus dem Innenhause und weinte und rief mich an: «O Cethegus», rief Julius mit schmerzerstickter Stimme. «Und ich drang in das Haus, das noch dampfte von kaum erloschenem Feuer. Da lag im Frauengemach ein bleiches Weib, einen Pfeil in der Brust. Und sonst war das Haus leer: die Sklaven waren geflohen oder fortgeschleppt. Und ich kannte die sterbende Frau: und ihr Kind hieß Julius. Ihr Gatte war bald nach deiner Geburt gestorben. Und die Sterbende schlug die Augen auf, da sie meine Stimme vernahm. Denn sie liebte mich noch immer. Und ich gab ihr Wein und Wasser aus meinem Helm zu trinken. Und sie trank und dankte und küßte mich auf die Stirn und sprach: Und ich versprach es ihr in die erkältende Hand. Und küßte sie und schloß ihr die gebrochenen Augen. Und ob ich mein Wort gehalten an dem Knaben: - du magst entscheiden.» Und der eiserne Mann drückte mit Gewalt die Brust, die mächtig atmende, zusammen. Julius brach in einen Strom von Tränen aus: «O meine Mutter!» rief er. Totila aber schritt bewegt in der Rotunde auf und nieder. Cethegus fuhr fort: «Und nun: - wähle! Wähle zwischen mir und deinem Aber wisse: die Taten, die dir nicht gefallen, hab' ich zumeist für dich getan. Laß mich denn einsam - wende dich von mir: -geh' zu ihm, ich halte dich nicht mehr. Jedoch wenn mich Manilias Schatte nach dir fragt, werde ich wahrheitstreu antworten: Julius verhüllte sein Haupt im Mantel. Totila aber machte halt vor dem Präfekten und sprach: «Unväterlich zerfleischest du sein Herz. Du siehst ihn hin und her gezerrt von widerstreitenden Gefühlen. Auf, ich weiß ein Mittel, die Wahl ihm zu sparen. Auf, Cethegus, enden wir allein den drohenden Krieg. Ein zweiter Gotenkönig ladet dich zum Zweikampf. Hier, im Antlitz deines Lieblings, schelt' ich dich: Lügner, Fälscher, Verräter, Mörder, ehrloser Neiding. Des Bruders Blut bluträchend heisch' ich von dir. Heraus dein Schwert, wenn du ein Mann. Laß uns, um Leben, Rom und Julius fechtend, in kurzem Kampf den langen Haß vollenden. Verteidige dich!» Und in wild aufloderndem Haß rissen beide die Schwerter aus den Scheiden: zum zweitenmal kreuzten sich die Klingen. Und abermals warf sich Julius zwischen die Ergrimmten mit ausgebreiteten Armen. «Haltet ein, ihr grausamen Männer der Hasses und der Welt. Jeder Streich trifft in mein blutend Herz. Hört mich an: gefaßt ist mein Entschluß. Ich fühl's: der Geist meiner Mutter gab ihn mir ein.» Grollend senkten die beiden Feinde die Schwerter, ohne sie einzustecken. «Cethegus, ein Vater bist du mir gewesen mehr als zwei Jahrzehnte. Was du gefrevelt und getan, - nicht dem Sohne ziemt zu richten. Ich fasse deine Hand liebevoll: - und wäre sie noch tiefer in Mord getaucht meine Tränen, mein Gebet sollen sie reinigen.» Totila trat zürnend einen Schritt zurück, und des Präfekten Auge leuchtete auf in Siegesfreude. «Aber nicht ertragen kann ich», fuhr der Mönch fort, «dein furchtbares Wort: um meinetwillen, für mich habest du getan, was du verbrochen. Wisse, nie, niemals, selbst wenn es sonst mich lockte, - mich aber lockt die Dornenkrone von Golgatha, nicht die blutbefleckte Krone Roms könnt' ich dein Erbe antreten, an welchem solche Flüche hangen. Ich bin dein: - aber sei du auch meines Gottes: sei mein, nicht der Welt und der Hölle eigen. Wenn du mich wirklich liebst, entsage deinen verbrecherischen Plänen. Aber mehr - mehr: du mußt bereuen. Ohne Reue und Buße keine Erlösung. Und ich will mit Gott ringen im Gebet, bis er dir vergibt. Widerrufe in Gedanken deine Taten.» «Halt an», sprach Cethegus, sich hoch aufrichtend. «Was sprichst du da von Reue, der Knabe zum Mann, zum Vater der Sohn? Laß du ruhig meine Taten auf meinem Haupt: ich habe sie zu tragen, nicht du.» «Nein, Cethegus, nimmermehr. Wenn du beharrst, kann ich dir nicht folgen. Bereue, - beuge dich, - nicht vor mir, wahrlich: vor Gott dem Herrn.» «Ha», lachte Cethegus, «sprichst du zu einem Kinde? Alles, was ich getan, - wär's ungeschehn: - ich würd' es alles, alles noch mal tun.» «Cethegus», rief Julius entsetzt, «welch schrecklich Wort! Glaubst du denn wirklich nicht an einen Gott?» Aber gereizt fuhr Cethegus fort: «Bereuen! Bereut das Feuer, daß es brennt? Du kannst es nur ersticken: nicht hemmen, daß es brennt, solang es lebt. Lob' es, schilt es, wie du willst: doch laß es Feuer sein! So muß Cethegus den Gedanken folgen, die wie der Lauf des Blutes durch sein Haupt rinnen. Ich will nicht, ich muß wollen. Und, wie der Gießbach niederschäumt von Bergeshöhn, bald durch blumige Wiesen, bald durch schroffes Gezack, bald segnend befruchtend, bald tödlich zerstörend, ohne Wahl, ohne Vorwurf, ohne Dankrecht: - so reißt mich das Geschick dahin den Weg, den Eigenart und die gegebene Zeit und Welt um mich her vorzeichnen. Soll ich bereuen, was ich auf meinem Weg zerstört, zerstören mußte? Ich tät' es immer wieder.» «Entsetzlicher! In diesen Worten weht der Hauch der Hölle! Wie kannst du erlöst werden, wenn du nicht erkennst, daß du gesündigt? Des Menschen Wille ist frei.» «Ja, so frei wie der geworfene Stein, der sich einbildet, er könne fliegen.» «O fürchte, Cethegus, fürchte den lebendigen Gott!» Aber, grimmiger als zuvor, lachte Cethegus. «Ha, wo ist er denn, dieser lebendige Gott? Ich habe, den Himmel entlang, den Gang der Gestirne, ich habe die grausame Natur, ich habe die grausamere Geschichte der Menschen durchforscht und keinen Gott gefunden als das Recht des Stärkeren, die Notwendigkeit, die furchtbar erhabene Göttin, deren Anblick versteint wie der der Meduse. Du birgst dich, Knabe, in die Mantelfalten deines geträumten Gottes, du steckst dein Haupt in seinen Vaterschoß, starrt dich des Schicksals Walten mit den Gorgonenblicken an. Wohl, es sei: aber schilt nicht den Mann, der, den Blick erwidernd, spricht: Ja, das Lächeln und das Weinen sind zwei holde Genüsse. Prometheus aber hat nicht gelächelt, als ihm Pandora die betörende Büchse bot. Aber er hat auch nicht geweint, als ihm Gewalt und Kraft die Glieder an die Felsen schmiedeten. Und an den Geier, der ihm das Herz zerfleischt - nun, an den Geier - hat er sich gewöhnt. Und eher ermüdete das Schicksal, den Titanen zu quälen, als daß sich der Titane gebeugt.» «Cethegus», flehte Julius, «sprich nicht so! Ich sage dir: es ist ein Gott.» «So? wo war er denn, als man Manilia mit Gewalt zu verhaßter Ehe zwang, als man für ewig des Cethegus Herz vergiftete? Wo war er denn, als ihr der blinde Zufall einen Frankenpfeil in das Herz gejagt? Ha, auch ich habe an ihn geglaubt: genauso lang war ich der Spielball der andern. Später aber hab' ich gehandelt unter der Voraussetzung, die mich mein eignes Schicksal gelehrt: Wo war er denn, dein gerechter, allmächtiger, allweiser, allgütiger Gott, als die schuldlose Kamilla den nicht für sie gemischten Becher trank? Wo blieben da seine Wunder und Engel? Als Calpurnius den Knaben des Witichis von den Felsen warf, warum haben die Engel Gottes nicht das Kind aufgefangen - fällt ja doch kein Sperling vom Dache ohne Gottes Wille! -und den Mörder zerrissen? Wo war er denn, dein rettender Gott, als ich den Massagetenpfeil auf jene wackre Rauthgundis entsandte? Ha, lebte ein Gott im Himmel: - rückprallen mußte der Pfeil von dem treuen Weibe und des Cethegus Brust durchbohren! Aber der Pfeil war scharf und gut gezielt: und darum starb Rauthgundis, wie wenn sie die Möwe des Padus gewesen. Drum rede mir nicht vom lebendigen Gott, du lallender Knabe.» «Cethegus!» sprach Julius, «mir graut. Das ist die furchtbarste Gotteslästerung, die ich je gehört.» Totila wandte sich schaudernd ab und warf das Schwert in die Scheide. «Wer so denkt», rief er, «ist genug bestraft. Doch, Präfekt von Rom: - du kennst noch das Ende deiner Taten nicht. Erwarte es: vielleicht glaubst du dann an den rächenden Gott.» «Das Ende meiner Taten», lachte Cethegus, «ist mein Tod. Das weiß ich längst. Ob ich ihn nun finde auf dem Throne nur des Okzidents oder des Weltkreises, ob in verlorner, ob in siegreicher Schlacht, ob durch Beil oder Schwert: - das ist für unsre Gottesfrage gleich. Und wenn es eine Hölle gäbe -wohlan: auch an den Kaukasus geschmiedet blieb Prometheus er selbst. Aber genug der Worte und übergenug. Hierher zu mir, an meine Brust, Julius, denn du bist mein.» «Ich bin Gottes des Herrn, nicht dein!» sprach Julius, bekreuzigte sich und trat einen Schritt von ihm zurück. «Du bist mein Sohn - gehorche mir.» «Du aber bist Gottes Sohn gleich mir. Du verleugnest - ich bekenne unsern Vater. Für immer sag' ich mich los von dir. Denn wenn, wie unser Glaube lehrt, ein Luzifer lebt, der Dämonen Oberster, der lichte Morgenstern, der stärkste, der herrlichste der Geister Gottes, der aus Stolz und Gottesleugnung herabgesunken ist zur Hölle - dann bist du es, entsetzlicher Mann.» «Ha, aber Luzifer ward aus einem Diener des Himmels ein Kaiser: ob zwar ein Kaiser der Hölle. Lieber als im Himmel der Zweite, in der Hölle der Erste. Folge mir.» Und hingerissen von Leidenschaft, zog er den Mönch am Arm auf seine Seite herüber. Da blitzten zum drittenmal Totilas Schwert und das Schwert des Präfekten. Und diesmal ward es Ernst: nicht gelang es Julius mehr, die Grimmen zu scheiden. Totila schlug gegen des Präfekten Stirn: der Hieb war zu stark, ganz abgewehrt zu werden: der Helm flog dem Römer rücklings vom Haupt und Blut schoß aus seiner Wange. Der Gegenstoß des Präfekten drang durch Totilas Mantel: zwar hielt der Ringpanzer die Spitze auf, aber von der Kraft des Stoßes flog Totila einen halben Schritt zurück. Tödlich drohte der nächste Zusammenstoß zu werden: -Schilde fehlten ja beiden. Und nochmals prallten sie zusammen: ein Weheschrei des Mönches, der sich zwischen sie warf, hätte sie kaum noch getrennt - des Präfekten Schwert hatte ihm die hemmende linke Hand gestreift -: aber nun wurden beide Kämpfer auseinandergerissen von Männern, die, unbeachtet von den drei im leidenschaftlichen Ringen Wogenden, die Tempelstufen in den letzten Augenblicken emporgeeilt waren. Totila von Thorismut und Wisand, Cethegus von Licinius und Syphax. «Die Verstärkungen sind da und wichtige Kunde aus dem Süden», rief Graf Thorismut. «Graf Wisand kam als Bote von Guntharis. Komm rasch zurück: die Schlacht steht bevor.» «Komm rasch zurück ins Lager!» rief Licinius Cethegus zu, «das «Mit Areobindos?» «Nein, Herr», rief Syphax: «die Kaiserin Theodora ist plötzlich gestorben: Narses ist der gesendete Feldherr: und er kommt mit hunderttausend Mann.» «Narses?» frug Cethegus erbleichend, «ich komme! Auf Wiedersehn, Julius, mein Sohn!» «Ich bin Gottes Sohn!» «Er ist mein!» rief Totila, ihn umschlingend. «Wohlan: der Kampf um Rom wird auch diesen Kampf entscheiden. Aus der Barbaren Lager hol' ich dich heraus.» Und er eilte die Stufen hinab. Gleich darauf sprengte Cethegus mit den Seinen nach Norden, Totila und Julius mit den Ihrigen nach Süden in ihre Lager.
Der Präfekt fand in seinen Zelten noch nicht Narses selbst, auch keine Boten dieses Feldherrn, was ihn erstaunte: Piso und Salvius Julianus, die er mit dringender Mahnung an Areobindos nach Ancona entsendet hatte, waren schon bei Cale auf die Vorhut des Narses - germanische Reiter, wie sie sagten -gestoßen und hatten von diesen und einem byzantinischen Archon Basiliskos Dinge erfahren, die sie zur schleunigsten Umkehr bewogen, Cethegus zu warnen.
«Ja, er hat mich offenbar überraschen wollen», sprach Cethegus nachsinnend: «aber warte nur, Narses», schloß er grimmig. «Auch Belisar stand mit Übermacht bei Capua: und ich hab' ihn doch gemeistert, solang er im Lande war und zuletzt hinausgeschoben aus meinem Italien. Laß sehn, ob der Krüppel stärker ist als der löwenherzige Held.»
«Sei vorsichtig, mein Feldherr», warnte Piso. «Es liegen schlimme Dinge in der Luft: - es wird schwül über deinem
Haupte. Dieser Basiliskos, des Narses Vertrauter - ich kenne ihn von Byzanz her - war mir höchst unheimlich.» -
«Ja», fügte Salvius Julianus bei, «er war so einsilbig: nichts war aus ihm herauszuforschen, als was er selbst mitzuteilen wünschte.» - «Mehr, als wir von ihm, erkundeten unsere Sklaven von den seinen.» - «Aber als der Führer der Germanenreiter dazukam, wie sie plauderten, schlug er einen Diener des Basiliskos tot auf dem Fleck.» - «Da wurden die Lebendigen so stumm wie ihr toter Kamerad.» -«Zusammenhanglos, widerspruchsvoll, verworren ist, was wir so erkundeten.»
«Fest steht nur: in Byzanz muß ein plötzlicher Umschwung aller Dinge eingetreten sein.» - «Und zwar noch am Tage deines Abgangs aus der Stadt.» - «Die Kaiserin, flüsterten die einen, habe sich selbst in Kohlendunst erstickt.» - «Der Prozeß gegen Belisar», schaltete der Jurist ein, «ist in ein neues Stadium getreten, auf Antrag Tribonians, sagt man, oder Prokops habe der Kaiser das Urteil des Senates vernichtet.» - «Man nannte die Namen: Narses, Antonina, Anicius, Prokopius in unklarem Zusammenhang.» - «Der Prinz Areobindos soll erkrankt und deshalb durch Narses ersetzt sein.» - «Aber ich besorge: an dieser Krankheit sterben eher andre Leute als der Statthalter über die Schnecken.»
«Und meine vierzehn Boten an das zweite Heer?» forschte Cethegus, die Stirn furchend.
«Ich glaube», argwöhnte Licinius, «Narses hat sie festnehmen lassen, sowie sie eintrafen.»
«Die Germanenreiter lachten so höhnisch, als ich nach ihnen fragte», bestätigte Julianus. «Narses ist wirklich mit einem Heere, wie es noch niemals der Kaiser des Geizes gespendet hat, aus den Toren von Byzanz gezogen.» - «Und wahr ist alles, was du als unmöglich verworfen, o Feldherr.» - «Nicht nach Epidamnus ging Narses: - die dort stehenden und die übrigen
Truppen des Areobindos, unbedeutend im Vergleich mit seinem kolossalen Heer, hat er zur See den jonischen Busen hinauf nach Pola in Istrien beordert. Er selbst zog auf dem Landweg, in Eilmärschen, in das gotische Dalmatien, rollte vor sich her, wie der Sturm die dürren Blätter, die wenigen Tausendschaften der Barbaren dort im Lande auf, nahm Salona, Scardona, Jardera.» -«Ja, und ein furchtbares System befolgt er dabei. Er läßt, wohin er kommt, nicht einen Goten: alle, auch Weiber und Kinder, läßt er greifen und zu Schiff sofort nach Byzanz in die Sklaverei führen. So geht er, wie eine zermalmende, eiserne Walze, dahin über das Gotenvolk, und wo Narses vorübergezogen, lebt kein Gote mehr in Stadt und Land.»
«Das ist gut», sagte Cethegus, «das ist groß.»
«Er hat geschworen bei dem Zepter Justinians, sagt man, nicht zu rasten, bis kein freier Gote mehr im Orbis Romanus lebt. Und in der Schlacht macht er keine Gefangenen.»
«Das ist gut», sagte Cethegus.
«In Pola mit dem
oben, nach den Bergen, ins Trockne, so sterben sie nicht. Umgekehrt, von den Bergen, vom Trocknen, von oben her, nach unten, in das Wasser, muß man sie allmählich treiben und schieben. Und zuletzt wirft man den Rest, wo das Land schmal zu Ende läuft, alle zusammen ins Wasser, daß sie elend ersaufen.> Denn die Flotte hat er ihnen ja schon genommen -gestohlen freilich mehr als geraubt! - der vortreflliche «Man flüstert», schaltete Julianus ein, «diese Würde sei schon längst wieder aufgehoben.» «Davon müßte doch ich, dieser Würde Träger, auch wissen.» «Wer weiß: man raunt, du seist abgesetzt. Narses habe geheime Aufträge vom Kaiser versiegelt - mitbekommen, die er erst nach Vernichtung des Königs Totila zu öffnen und zu vollziehen habe.» «Wer sagte das?» frug Cethegus rasch. «Basiliskos selbst?» «O nein: der spricht nur vom Krieg. Nein, der eine Sklave. Und gerade, da der Germanenführer dies vernommen, schlug er ihm mit seiner Keule den Schädel ein.» «Das ist schade», sagte Cethegus nachsinnend, «das heißt, er schlug zu früh.» « Nur über Tridentum und Bolzanum hinaus nach Norden und gegen die Täler der Athesis und der Passara hinaus entrannen einige Tausende der Barbaren mit Weib und Kind. Und sie schlugen, verstärkt durch die Besatzung von Castrum Teriolis bei Mansio Majä, den verfolgenden Archonten Zeuxippos, daß er schleunigst zur Hauptmacht zurückkehrte. Aber mit Ausnahme von diesen in die Berge entkommenen Haufen und von Verona lebt kein Gote mehr hinter Narses' Rücken, soweit er bis jetzt gedrungen: Aquileja, Concordia, Forum Julii, Ceneta, Tridentum, Tarvisium, Comaclum fielen vor Narses. Er eilte nach Ravenna. Schleunigst entwichen die gotischen Belagerer, nach Westen ausbeugend, vor der ungeheuren Übermacht solchen Entsatzheeres. In Ravenna versöhnte er sich mit dem blutigen Johannes...> -» «Das glaub' ich nicht», unterbrach Cethegus. «Johannes ist der eifrigste Anhänger Belisars. Er haßt Narses mehr als Belisar selbst diesen anfeindet.» «Ja, so zweifelten auch wir: Und richtig ist, daß Johannes unter Narses dient, wie früher unter Belisar: er befehligt seine Leibwache und die Hunnen.» Cethegus schüttelte staunend den Kopf. « «Was?» frug Cethegus staunend. «Auch Martinus, das Werkzeug, das Geschöpf, der Rechenmeister Belisars diente unter Narses? - Hier liegt, ihr habt recht, ein sehr großes Geheimnis.» - « Mit Bewunderung erkannte Narses diese Anlagen. «Dieser Totila ist ein viel größter Feldherr als Antoninas Gemahl!» rief er. Er hatte auch durch die Ämilia mit breitester Stirn nach Süden ziehen wollen, alles gotische Leben erdrückend. Er mußte aber seinen Plan, von Ravenna westlich in das Innere des Landes zu marschieren, aufgeben, nachdem bei einem Versuch, ein solches Bollwerk bei Imola auf geheimnisvolle Weise zu zerstören, Martinus ein geheimnisvolles Ende fand. Als Narses ratlos vor der Feste stand und aussprach, sein ganzer Plan könne an diesen Stockungen scheitern und - zum erstenmal auf dem Feldzug -vor Erregung von seiner bösen Krankheit «Epilepsis» niedergeworfen wurde, da sprach Martinus zu Johannes, der sich eine tüchtige Brustwunde bei seinem abgeschlagenen Sturm geholt hatte: «Der Rächer Belisars soll nicht durch diese Steine aufgehalten werden, wenn Martinus richtig gerechnet hat. Freilich», sagte er, «das letzte Experiment im kleinen mißlang und hätte mir fast den Kopf weggerissen, aber es gilt, Belisar zu rächen, und dafür wag' ich gern meinen Kopf.» Und in der Nacht schlich sich Martinus mit einigen Steinarbeitern an die Felswände hinan und bohrte an ihnen ein kleines Loch. Aber plötzlich wurden wir alle aus unsern Zelten geschreckt durch einen furchtbaren Knall, desgleichen wir nie vernommen. Wir eilten an die Felswand. Diese war freilich auseinander gesprengt, als hätte sie der Blitz getroffen: - aber nicht von oben nach unten, von unten nach oben. Die gotische Besatzung auf den Wällen war zerrissen: aber auch schrecklich verstümmelt und ganz schwarz lagen unser armer Martinus - sein kluger Kopf zwölf Schritte von dem kleinen Körper - und alle seine Arbeiter.>» «Rätselhaft!» sagte Cethegus. «Kennt man die Erfindung?» «Nein, er hat sie mit ins Grab genommen. Er sagt ja: er war noch nicht ganz mit ihr fertig. In seinem Zelte fand man ein Häufchen kleiner Körnchen, wie schwarzes Salz, welches Narses eifrig ihm noch in der Nacht zu bringen befahl. Aber auf dem Wege fiel ein Funke von der Pechfackel des Trägers auf die offene Schale: und hell auflodernd puffte und flammte das Gift in die Höhe: doch diesmal ohne Knall und ohne Schaden.» «Hätt' ich doch dieses schwarze Salz», seufzte Cethegus. «Dann wehe Narses und Byzanz.» «Ja: ähnlich mag Narses gedacht haben», lächelte Piso. «Denn nach des Basiliskos Bericht durchsuchte und durchstöberte er alle Schalen und Schreibereien des Verunglückten. Aber ohne Erfolg.» « «Darauf bin ich gespannt», unterbrach Cethegus. « So zogen wir denn über den Sapis nach dem alten Ficocle, über die drei Arme des cäsarischen Rubico, über einen mir unbekannten Fluß und über den Ariminus nach Ariminum, wo Usdrila, der Goten tapfrer Führer, im Ausfall umkam. Aber auf der flaminischen Straße vorzudringen war unmöglich. Diese sperrte das feste Petra pertusa; so wandten wir uns denn nach Südwesten und zogen über den Metaurus gegen den Apennin, zu Hilfe dem Präfekten von Rom und Statthalter von Italien, das aber andere Leute haben, dem großen Magister militum per Italiam, der aber nur ein kleines Heer hat, auf daß nicht König Totila und Graf Teja von Tarentum ihn samt euch, ihr edeln römischen Ritter, erdrücken wie die Mühlsteine das Korn.>» «Daß aber deine Boten festgehalten wurden zu Epidamnus... -» fuhr Piso fort. «Allerdings, es kam keiner zurück, auch die nicht, denen ich schleunige Umkehr befohlen», sprach Cethegus nachsinnend. «Das schließe ich daraus, daß auch uns der schlaue Byzantiner, unter höflichsten Formen, das gleiche tun wollte. Er wollte uns durchaus zu Narses, weiter von dir fort, geleiten lassen. Vor unsre Zelte setzte er uns Germanen als «Ich sollte also durchaus überrascht werden von dem großen Epileptiker: - ferngehalten werden von ihm bis zum letzten möglichen Augenblick. - Gut. Syphax, mein Pferd: Wir reiten noch heut' nacht Narses entgegen.» «O Herr», flüsterte leise der Maure, der die Unterredung mit angehört, «hättest du mich, wie ich dich bat, nach Epidamnus geschickt!» «Dann hätten sie auch dich eingesperrt, wie die andern Boten.» «Herr, in Afrika haben wir ein gutes, altes Sprichwort: wenn das Feuer aus dem Berge nicht zu dir kommt, sei froh: und gehe nicht der Lava entgegen.» «Das könnte man ins Christliche übertragen», lächelte Piso: «wenn der Teufel dich nicht holen soll, such' ihn nicht auf. Wer reitet von selber in die Hölle?» «Ich! Und zwar schon seit ziemlich langer Zeit», sprach Cethegus, «lebt wohl, ihr römischen Kriegstribunen. Licinius vertritt mich hier im Lager bis zu meiner Rückkehr. Auch der Barbarenkönig weiß jetzt wohl schon von Narses' Nähe und Macht. Er greift in der Nacht heute nicht an, wie damals in Rom.» Als die römischen Ritter das Zelt verlassen, sprach Cethegus zu Syphax: «Schnalle mir den Harnisch ab.» «Wie, Herr? Du reitest nicht in Belisars, in Narses' Lager reitest du.» «Ebendeshalb! Fort mit dem äußern Brustharnisch. Reiche mir das Schuppenhemd, das ich unter der Tunica trage.» Syphax seufzte tief auf. «Jetzt wird es Ernst. Jetzt, Hiempsals Sohn, sei wachsam!»
Die Nacht über ritt Cethegus mit geringer Begleitung, in tiefes Sinnen versunken, Narses entgegen. Auf der Tribunen Mahnung, das Gefolge zu vermehren, hatte er erwidert: «Hunderttausend kann ich doch nicht mitnehmen!»
Bei grauendem Morgen stieß er bei Fossa nova auf den Vortrab des anrückenden Heeres. Es waren wild aussehende Reiter, von deren spitz zulaufenden Helmen schwarze Roßschweife auf die Wolfsfelle über ihren Rücken flatterten: sie führten Ringpanzer, breite Schlachtschwerter und lange Lanzen: Arme und Beine nackt, nur an dem linken Fuß, an Riemen befestigt, einen Sporn: ohne Sattel saßen sie sehr sicher auf ihren starken Pferden.
Der Führer der Reiter - er trug einen reich vergoldeten Plattenpanzer und statt des Roßschweifs zwei Geierflügel auf dem Helm - jagte pfeilschnell auf seinem roten Roß heran und hielt erst dicht vor Cethegus, der an seines kleinen Zuges Spitze ritt: lange, rote Haare, auf der Stirn gescheitelt, flogen um seine Wangen, und der Schnurrbart hing, in zwei schmalen Streifen, von dem Munde auf die Brünne: aus dem hellgrauen Auge blitzte Kühnheit und Verschlagenheit.
Eine Weile maßen sich die beiden Reiter mit forschenden Blicken. Endlich rief der mit dem Geier-Helm: «Das muß Cethegus sein! - der Beschirmer Italiens.»
«Der bin ich.»
Und der andere riß sein Pferd herum und jagte davon, noch schneller als er gekommen, über die Stellung seiner Reiter hinaus auf ein Waldstück zu, aus dessen Rändern man nun Fußvolk in dichten Reihen heranrücken sah.
«Und wer seid ihr? und wer ist euer Führer?» fragte Cethegus in gotischer Sprache die Reiter, welche er nun erreichte.
«Wir sind Langobarden, Cethegus, in Narses' Dienst», antwortete auf Lateinisch der Gefragte, «und jener dort ist Alboin, unseres Königs Sohn.»
«Also darum, Licinius, hast du deine Mühe verloren!»
Schon sah Cethegus von ferne des Narses offne Sänfte herannahen. Sie war vom einfachsten Holz, ohne Zierat: nur eine Wolldecke, statt der üblichen Purpurpolster, lag darin. Nicht von Sklaven, von erlesenen Soldaten, denen diese Ehre abwechselnd zur Belohnung eingeräumt wurde, ließ sich der Krüppel tragen.
An seiner Seite ritt mit gezogenem Schwerte Alboin und flüsterte ihm zu: «Also du willst wirklich nicht, Narses? Der Mann scheint mir gefährlich, sehr. Du brauchst nicht zu sprechen - ein Zucken deiner Wimper und es ist geschehen.»
«Laß ab zu drängen, du Zukunft der Langobarden.
Ich könnte sonst glauben: du willst den Mann nicht mir, sondern dir selber aus dem Wege räumen.»
«Wir Söhne der Cambara haben ein Sprichwort: Erschlagner Feind hat noch selten gereut.»
«Und wir Romäer haben ein anderes», sagte Narses: «Wirf die Leiter erst um, wann erstiegen der Wall.
Erst, mein eifriger, junger Freund, laß uns Totila durch Cethegus vernichten. Der kennt Rom, Italien und die Goten doch noch besser als Alboin, der Roßhändler. Was diesen Exmagister militum per Italiam selber anlangt, so ist sein Geschick besiegelt... -»
Alboin sah ihn fragend an.
«Aber auch noch versiegelt. Zur rechten Stunde werd' ich es ihm eröffnen und vollenden.»
Gleich darauf hielt Cethegus neben der Sänfte. «Willkommen, Narses», sprach er: «Italien begrüßt den größten Feldherrn des Jahrhunderts als seinen Befreier.»
«Laß das gut sein. Mein Kommen hat dich wohl überrascht?»
«Wer einen Areobindos als Helfer erwartet und einen Narses statt dessen findet, kann nur erfreut sein. Aber, allerdings», fügte er lauernd bei, «da Belisarius begnadigt ist, hätte auch er, seinem Wunsche gemäß, nach Italien gesendet werden können.»
«Belisar ist nicht begnadigt», sagte Narses kurz.
«Und meine Gönnerin, die Kaiserin... - wie starb sie so plötzlich?»
«Das weiß genau nur sie selber.
Und jetzt vermutlich die Hölle.»
«Hier liegt ein Geheimnis», sagte Cethegus.
«Ja: - doch lassen wir's liegen.
Kein Geheimnis aber mehr ist dir, daß jetzt Narses in Italien steht. Bekannt ist dir wohl von früher, daß Narses niemals geteilten Heerbefehl führt. Der Kaiser hat dich mir unterstellt mit dem
«Du trittst mit großen Mitteln auf»
«Ja: denn ich habe große Zwecke. Und nicht kleine Feinde.»
«Du bist den Goten stark überlegen- wenn sie nicht auch ihr Südheer aus Regium hierher ziehen.»
«Das können sie nicht. Denn ich habe auch vor dem Hafen von Rom und auf der Höhe von Regium zwei Geschwader mit zwanzigtausend kreuzen lassen, die das gotische Südheer vollauf beschäftigen.»
Cethegus staunte. Das war wieder eine Überraschung.
«Du aber wähle», sprach Narses, «bist du mein Gast oder mein Unterfeldherr? Ein Drittes gibt es nicht in meinem Lager.»
Cethegus übersah klar die Lage. Er war Unterfeldherr oder -Gefangener. «Es ehrt mich, unter dir zu dienen, nie besiegter Perser-Überwinder.» - «Warte nur», dachte er: «auch Belisar trat auf als mein Herr, zu Rom ward ich der seinige.»
«Wohlan», befahl Narses, dessen Sänfte während der Unterredung auf die hohen, stelzengleichen Tragestangen war niedergestellt worden: «so ziehen wir gemeinsam gegen die Barbaren. Tragt euren Vater wieder, liebe Kinder.»
Und die Krieger traten wieder an die Sänfte.
Cethegus wollte bei dem Aufbruch sein Pferd an die rechte Seite des Feldherrn lenken. Aber in sehr gutem Latein rief ihm Alboin zu:
«Nichts da, Herr Römer. Mich nennt man die rechte Hand des Narses. Der Ehrenplatz ist mein: - die linke, die Unheilseite, ist noch frei. Wir haben sie für dich aufgehoben.»
Schweigend ritt Cethegus auf die linke Seite.
«Ich weiß nicht», sagte er zu sich selbst, «ob diese rechte Hand vor ihrem Haupte oder nach ihm fallen muß! Am besten zugleich.»
Am Abend dieses Tages noch erreichte das Heer des Narses die Stellungen zwischen den Bergen von Helvillum und von Taginä.
Und gewaltig wahrlich war dieses Heer des Narses.
Der zähe, geizige Sparer Justinian hatte diesmal nicht gespart: mit vollen Händen hatte er gespendet. Seine aus Kleinlichem und Großartigem seltsam gemischte Natur schien für dies Unternehmen das Kleinliche völlig abgestreift zu haben. Die großen Erschütterungen in der Hauptstadt, an seinem Hofe, hatten ihn wachgerüttelt. Klar hatte sein heller, diplomatischer Kopf, viel mehr für die äußere Politik als für die Verwaltung angelegt, die ganze Bedeutung der gotischen Gefahr erkannt. Der Vorwurf, daß er durch unnötige Angriffe diese brennende Gefahr erst heraufbeschworen, machte ihm die Unterdrückung zur Pflicht.
«Er haßte den Namen der Goten und gelobte, sie auszutilgen aus dem Reich», schrieb damals Prokop.
In schonungslosen herben Worten hatte ihm Narses diese Pflicht eingeschärft, und zugleich die klügsten Ratschläge zu ihrer Erfüllung beigefügt. «Nur Germanen schlagen diese Germanen», hatte er gerufen. «Ich brauche zu den Söldnern aus Asien die germanische Waldeskraft, die Goten zu brechen. Lange hab' ich gewarnt, diese friedlichen Männer aufzustören, die uns nicht bedrohten: die Perser, die wahrhaft gefährlichen abzuwehren. Du hast nicht gehört. Jetzt, da sie zum Angriff übergegangen, jetzt sind sie die gefährlichsten: - gefährlicher als die Perser, mit welchen sie übrigens schon im Bunde stehen. Jetzt müssen sie vernichtet werden um jeden Preis, denn sie haben die Schwäche deines Reiches entdeckt. Jetzt also: Germanenkraft herbei, Germanenkraft zu brechen. Ich habe ein tapfres Volk an der Hand mit einem Königssohn, heißhungrig der Eroberung.»
«Wer ist's?»
«Das ist mein Geheimnis. Wildkühne Scharen aus ihnen werb' ich selbst als meine Leibwächter. Aber das reicht nicht. Franken, Heruler, Gepiden müssen helfen. Den Franken bestätigst du, was du ihnen doch nicht entreißen kannst: ihre neuen Erwerbungen in Südgallien, Massilia und Arelate.»
«Ich gebe ihnen dazu das Recht, Geldmünzen mit dem Bilde ihrer Könige zu schlagen, das schmeichelt ihrer kindischen Eitelkeit: der Fürsten und des Volks. König Theudebert zu Mettis, den, wie Childebert von Paris, dieser Totila gewonnen, ist gestorben: sein junger Erbe Theudebald bedarf unserer Gnade.»
«Den Herulern, diesen immer hungrigen Soldläufern, gib ein Stück Dacien bei Singidunum: haufenweise schicken sie dir dafür ihre bösen Buben zu. Mit den Gepiden, so viele ihrer die Langobarden noch übriggelassen, schließe Frieden. Gib ihnen Sirmium zurück, dann helfen sie dir schon aus altem Haß gegen die Landsleute von Theoderich und Witichis.»
«So viele Zugeständnisse... -»
«Wir nehmen ihnen ja bald alles wieder ab, unsern Hunden, mit denen wir den gotischen Löwen jagen: aber erst muß er nieder mit ihrer Hilfe.»
Und er hatte den Beherrscher der Romäer vollständig gewonnen und überzeugt.
Alle Mittel des kaiserlichen Thesaurus, den der kaiserliche Geizhals immer, jammernd, als völlig leer hingestellt hatte, wurden verschwenderisch an Narses gespendet. Und dieser nicht bescheidne Heischer staunte nun selbst über die Fülle der bisher sorgfältig geheimgehaltnen Schätze.
Der große Krieg mit Persien, der kleine mit allen Nachbarvölkern wurde sofort, mit Opfern, beendet. Die erprobten Veteranen, die seit Jahrzehnten unter Belisar und Narses in Asien und Europa gedient, wurden so verfügbar gege n die Goten.
Und die nämlichen Feinde, die sie bis dahin bekämpft: Perser, Sarazenen, Mauren, Hunnen, Sclavenen, Gepiden, Heruler, Franken, Bulgaren, Awaren, stellten plötzlich Söldner gegen hohe Jahrgelder.
Aus Thrakien und Illyrien wurden alle Waffenfähigen ausgehoben: dreitausend herulische Reiter unter Vulkaris und Wilmuth, siebentausend Perser, eine Gefolgschaft erlesenster Gepiden hundertundfünfzig wilde Abenteurer unter Asbad, -wurden geworben, zehntausend Mann Fußvolk aus allen Provinzen des fränkischen Reichs, Franken, Burgunden, Alamannen, stellten die Merowinger von Parissi, Mettis und Aurelianum.
Ferner konnte Narses, außer seinen eignen vorzüglich von ihm geschulten Unterfeldherren, diesmal auch die besten Heerführer Belisars verwenden, die früher nie unter Narses gedient: die rätselhafte Aussöhnung der beiden großen Nebenbuhler und der an allen Grenzen gesicherte Friede machte die Vereinigung wie der besten Truppen so der erfahrensten Führer in Italien möglich.
So befehligten unter Narses die beiden ausgezeichneten und innig befreundeten Archonten Orestes und Liberius, die man in Byzanz wegen dieser zärtlichen Freundschaft Orestes und Pylades zu nennen pflegte, ihr eifriges Zusammenwirken in allen Aufgaben machte die Freundschaft auch militärisch wichtig: - aber freilich, in der Schlacht von Taginä sollte sich diese Liebe einmal als übelwirkend erweisen.
Ferner Cabades, des vorletzten gleichnamigen Perserkönigs Neffe, der längst mit vielen Persern sich dem Kaiser unterworfen, Johannes, Basiliskos, Valerianus, Vitalianus, Justinus, Paulus, Dagisthäos, Anzalas der Armenier: - lauter hervorragende Führer. Das vor Portus kreuzende, Rom beobachtende Geschwader und Heer führte Armatus, das zwischen Sizilien und Neapolis wachende Dorotheos.
So waren es hunderttausend Mann, die unter Narses und Cethegus bei Caprä den Goten gegenüberstanden, während Rom und Neapolis durch weitere zwanzigtausend bedroht wurden.
Diesen Zahlen aber hatte König Totila entfernt nicht mehr die Streitkräfte entgegenzustellen, die dereinst Witichis, im ganzen hundertundsechzig Tausendschaften, aufgebracht.
Die Lücken, die der Krieg, die großen allein siebzig Tausendschaften betragenden Verluste vor Rom, dann die Seuchen, der Hunger, die Gefangennehmungen zu Ravenna und zu Senogallia in das gotische Volksheer gerissen hatten, waren nicht wieder ersetzt worden durch die italischen Colonen, die Totila nur dann einreihte, wenn sie es forderten.
So betrug die ganze Macht des Königs etwa siebzig Tausendschaften, von welchen zehn unterhalb Roms zur Abwehr der beiden drohenden Landungen belassen werden mußten unter Herzog Guntharis und Graf Grippa: ungefähr zehn andre Tausendschaften aber wurden durch die verlornen -Besatzungen in Griechenland und auf den Inseln sowie in den Städten und Burgen Italiens und Dalmatiens abgezogen, die zum Teil schon in des Narses Hand gefallen, getötet oder außer Land geschafft waren.
Es waren also nicht mehr als etwa fünfzig Tausendschaften, die König Totila der doppelt starken Macht der Feinde bei Taginä entgegenführte.
Als Cethegus dies Zahlenverhältnis dem Oberfeldherrn verrechnete, sagte dieser: «Mein großer Freund Belisar hat oft mit der Minderzahl gesiegt, ist aber noch öfter von der Mehrzahl - wie billig - geschlagen worden. Ich, Narses, habe meinen Ruhm nur darin gesucht, jedesmal zu siegen, obzwar nicht mit der Minderzahl. Und diesen bescheidneren, aber zweckmäßigeren Ruhm hab' ich erreicht. Er wird mir auch diesmal nicht entgehn.»
Auch in dem Lager der Goten erkannte man die Überlegenheit der Byzantiner: es fehlte nicht an Stimmen in des Königs
Kriegsrat, welche die offne Feldschlacht zu vermeiden und den Rückzug in die noch von den Goten besetzten Städte, ein Hinschleppen des Kampfes durch zähe Verteidigung rieten. Aber der König verwarf diesen Rat aus guten Gründen und beschloß, bei Taginä zu schlagen.
Mit banger Ahnung hatte Valeria allmählich erraten, daß die Entscheidung gerade hier fallen werde, in dem Tal ihrer Sorgen und Schmerzen.
Der König hatte auch den übrigen, das Volksheer begleitenden Frauen, darunter den Neuvermählten Gotho und Liuta, das Kloster und die Kapelle auf den beiden Hügeln im Rücken des Heeres bei «spes bonorum» als den angemessensten und sichersten Aufenthalt angewiesen: selbst im Fall des Sieges der Feinde gewährten diese katholischen Kultstätten gegenüber den katholischen Überwindern noch am ehesten Schutz.
Das Lager des Königs und die durch dasselbe gedeckten Gebiete wurden aber täglich mehr angefüllt von Angehörigen des Gotenvolks jedes Alters und Geschlechts, die aus den von Narses bedrohten oder durchzogenen Gegenden nach Süden flüchteten: denn das furchtbare System der Ausrottung alles gotischen Lebens, das der Gewaltige verfolgte, war alsbald schrecklich bekannt geworden und jagte die entsetzten Goten in banger Verzweiflung auf, bevor auch über sie hin der eherne Wagen der Austilgung rollte.
Sie erkannten, daß ein Vernichtungskrieg gegen ihr gesamtes Volkstum, nicht nur ein politischer Streit hier geführt werde. Nicht nur die gotischen Krieger, alle Tropfen gotischen Blutes waren die von Narses bedrohten Feinde.
Dazu kam, daß nun auch die Italier diese Natur und Absicht des jetzt erneuten Kampfes erkannten: und nun brach auch in ihnen der alte Barbarenhaß, der Gegensatz des Blutes und des Glaubens, wieder aus: die Versöhnung nach der Kriegsnot und durch die Milde des Friedenskönigs war erzwungen und künstlich - die Ausnahme - gewesen: nun kehrte das Natürliche, die Regel, der Haß wieder. Überall, wo sie sich durch die «Romäer» gesichert glaubten, zeigten diesen die Italier die Wohnstätten oder Verstecke der gotischen Familien an oder lieferten sie gleich selbst in die Gefangenschaft.
So also war es nicht mehr möglich, wie in dem belisarischen Feldzug, daß die Goten-Siedlungen sich vor der vorüberbrausenden Woge des Krieges duckend verbargen, und, nachdem sie weitergestürmt, wieder emporrichteten, wie Halme nach dem Gewitterwind: - nein, so weit Narses kam, kam der Gotenuntergang, und war er weitergezogen, war hinter ihm ausgetilgt das Gotentum.
Daher wurde denn, was noch flüchten konnte, was entronnen war vor der wandelnden Mauer der Vernichtung, von Norden nach Süden in des Königs Lager gedrängt: es nahm der Krieg den Charakter der alten Kämpfe eines Wandervolkes an, dessen Geschick an Schlacht und Lager gebunden war: die Wagenburg der ineinandergeschobenen Karren, welche die Zelte trugen, die einzige Heimat: es war nicht mehr die Verteidigung eines vom Feinde bedrohten Landes und der friedlichen Einwohner durch ein Heer: denn außer dem Lager des Königs und dem von diesem gedeckten Lande gab es fast keine Goten mehr in Italien. Totila ließ, schon um der Hungergefahr zu steuern, welche die Anhäufung solcher Massen Volkes in und hinter dem Lager herbeiführen mußte, die unwehrhafte Menge weiter nach dem Süden führen und verteilen.
Als den König auf einem Erkundungsritt über die Höhen dicht an der «Spes bonorum» vorüber der junge Herzog Adalgoth jenes Abends erinnerte, da sie zuerst die Kapelle besuchten, lächelte jener: «Jawohl - da ich mir die Grabesstätte wählte bei Numa Pompilius. Nun gut: falle ich hier, habt ihr mich nicht weit zu tragen.»
Aber im Grunde seines Herzens war der König nicht ohne Sorge über den Ausgang der hier sich langsam vorbereitenden
Schlacht.
Ihn beunruhigte der Mangel an Reiterei: der größere Teil seiner Berittenen stand bei den Truppen von Guntharis und Grippa. Den tapfern Langobarden auf ihren starken Gäulen im Lager des Narses hatte der König keine an Zahl entsprechende Waffe entgegenzustellen.
Aber gerade diesem Mangel schien das alte Glück des Königs abhelfen zu wollen.
In den Gotenzelten gingen schon seit mehreren Tagen dunkle Gerüchte von der Annäherung neuer Hilfsscharen von Osten her, die zugewanderte Goten meldeten.
Der König wußte von keinem Zuzug aus jener Richtung und sandte deshalb vorsichtig, einem etwaigen Flankenangriff der Byzantiner zu begegnen, Graf Thorismut, Wisand, den Bandalarius, und den jungen Adalgoth mit einigen berittenen Sajonen auf Kundschaft aus.
Aber am Tage darauf schon kamen diese zurück, und Graf Thorismut sprach frohen Angesichts, da er mit Adalgoth in das Zelt des Königs trat: «Ich bringe dir, o König, einen alten Freund zur rechten Stunde.» - «Er gleicht ganz dem Königstiger», fiel Adalgoth ein, «den du in den letzten Zirkusspielen dem Volke zu Rom gezeigt. Nie sah ich solche Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier.» - «Er wird dir hochwillkommen sein - da ist er schon.»
Und vor dem König stand - Furius Ahalla, der Korse.
Er neigte das stolze, noch tiefer gebräunte Antlitz und legte die linke Hand auf die Brust «Ich grüße dich, König der Goten.»
«Willkommen, Weltumsegler, in Italien. Woher kommst du?» - «Von Tyrus.» - «Und was führt dich zurück?» - «Das, o König,
kann ich nur dir vertraun.»
Auf einen Wink Totilas verließen die andern das Zelt: da faßte der Korse in fiebernder Erregung seine beiden Hände. «O sage ja, sage ja: mein Leben, - mehr als mein Leben hängt daran!»
«Was meinst du?» fragte der König, mit unwilligen Staunen zurücktretend. Die heiße, wilde, hastige Art des Mannes war seiner Natur sehr entgegen.
«Sage ja: du bist mit des Westgotenkönigs Agila Tochter verlobt? - Valeria ist frei?»
Der König furchte die Stirn und schüttelte zürnend das Haupt. Aber ehe er sprechen konnte, fuhr der Korse in heftiger Erregung fort: «Staune nicht - frage nicht! Ja: ich liebe Valeria mit aller Glut, fast hass' ich sie: - so lieb' ich sie. Ich warb um sie vor Jahren. Ich erfuhr, sie sei dein: - vor dir trat ich zurück: -erwürgt hätt' ich jeden andern mit diesen Händen. Ich eilte fort, ich stürzte mich in Indien, in Ägypten in neue Gefahren, Abenteuer, Schrecknisse, Genüsse. Umsonst. Ihr Bild blieb unvermischt in meiner Seele. Höllenqualen der Entbehrung erlitt ich um sie. Ich dürstete nach ihr wie der Panther nach Blut. Und ich verfluchte sie, dich und mich. Und ich wähnte, längst sei sie dein geworden.
Da traf ich im Hafen von Alexandria auf westgotische Schiffe aus Spanien, und die Männer, alte Handelsfreunde von Valerius und mir, erzählten von deiner Erhebung zum König: und als ich nach Valeria, deiner Königin, forschte, beteuerten sie, du seist unvermählt, und sie fügten bei, ihr König Agila habe dir seine Tochter und ein Waffenbündnis angetragen gegen Byzanz: du habest das angenommen. Aber vor allem, wiederholten sie - ja, sie beschworen es, da ich zweifelnd in sie drang - du seiest unvermählt, und deine frühere Braut Valeria, die ihnen sehr wohl bekannt, lebe einsam zu Taginä.
Und nun, König Totila, beschloß ich, die alte Dankesschuld zu zahlen.
Es gelang mir, indem ich das Doppelte bot, Isdigerd und seine Reiter - es sind ganz auserlesene Scharen, - in meinen Sold zu gewinnen, und ich führe sie dir zu: wie ich von deinen Grafen höre, zu höchst erwünschter Verstärkung. Es sind mehr als zweitausend Pferde.»
«Sie sind sehr willkommen», sprach Totila erfreut, «ich danke dir.»
«Daß du noch unvermählt, ward mir bestätigt», fuhrt der Korse fort - «aber - sie sagen - Valeria sei nicht frei - sie sei noch immer -: ich wollt' es, konnt' es, kann es nicht glauben -kann nicht die Hoffnung - nein, nein, schüttle nicht das Haupt. -Ich beschwöre dich: sage ja, sie ist frei.» - Und wieder griff er nach des Königs Händen.
Aber dieser machte sich los, nicht ohne Zeichen des Zornes. «Noch immer die alte, verderbliche, unbändige Glut! Wann erkaltet die Lava? Noch immer - ja, der Sänger hat recht: die unheimliche Art des Tigers - man kann jeden Augenblick den Sprung im Nacken spüren.»
«Predige nicht, Gote», zürnte der Korse, «sage ja oder nein -ist Valeria... -?»
«Mein ist Valeria», rief heftig der König, «mein jetzt und ewig.»
Da stieß der Korse einen Schrei des Schmerzes, des Ingrimms aus und schlug sich beide Fäuste mörderisch an die Stirn. Dann warf er sich auf das Feldbett des Zeltes, schüttelte den Kopf auf
den Kissen hin und her und stieß ein dumpfes Stöhnen aus.
Eine Weile sah ihm Totila mit schweigendem Staunen zu: endlich trat er zu ihm und hielt seine Rechte fest, die seine Brust zerhämmerte. «Fasse dich doch! Bist du ein Mann oder ein pfeilwunder Eber? Ist das manneswürdig, menschenwürdig? Ich dächte: du hast es mit Schmerzen gelernt, wohin sie führt, deine sinnlose Wut.»
Laut schreiend fuhr Ahalla auf, die Hand am Dolch.
«Ah, du bist es, der so sprach - der mich mahnt. Du allein darfst es: du allein kannst es! Aber ich sage dir: - tu's doch nicht wieder. Ich kann es auch von dir nicht tragen. Oh, du solltest nicht schelten, beklagen solltest du mich.
Was wißt ihr Nordlandherzen von der Glut in diesen Adern! Was ihr lieben nennt, ist mattes Sterngeflimmer. Mein Lieben ist brennendes Feuer - ja Lava, du hast recht: - wie mein Haß. Wüßtest du, wie ich um sie gelitten, wie ich aufgeglüht in Hoffnung, wie ich dich segnete und liebte und nun - alles dahin.» Und abermals begann er zu toben.
«Ich fasse dich nicht», sprach Totila streng, im Zelte auf und nieder schreitend und den Tobenden sich selbst überlassend. «Du hast eine niedere Art, vom Weib zu denken.»
«Totila!».drohte der Korse.
«Ja, eine niedere, gemeine Art. Wie von einer Ware, einem Roß etwa, das der zweite haben kann, wenn es der erste nicht festhält. Hat ein Weib keine Seele, nicht Willen und Wahl?
Und wähnst du denn, wenn ich wirklich mit einer andern vermählt oder gestorben wäre, glaubst du denn, Valeria würde dann ohne weiteres dein? Wir sind doch sehr verschieden von Art, Korse. Und ein Weib, das Totila geliebt, wird schwerlich sich trösten mit Furius Ahalla.»
Wie vom Blitz getroffen fuhr der Korse empor.
«Gote, du bist ja sehr stolz. Solcher Hochmut war dir früher fremd. Hat dich der goldne Reif so hochfahrend gemacht? Du wagst es, auf mich herabzusehn? Das trage ich von keinem Mann: auch nicht von dir. Nimm zurück, was du da gesagt.»
Aber Totila zuckte die Achseln. «Die Eifersucht, die blinde Wut verwirrt dich. Ich habe gesagt: wer mich liebt, wird nicht nach mir dich lieben. Und das ist so wahr, daß selbst deine Wildheit es einsehen muß. Denke dir Valeria, die streng verhaltene, marmorne, vestalische: - und deine maßlos ungezähmte Art. Valeria ist kein weiches Syrerkind wie jene Zoe.»
«Nenne den Namen nicht», stöhnte der Korse.
«Valeria scheut deine Wildheit: - sie hat mir selbst einmal gesagt Grauen flößest du ihr ein.»
Da sprang Furius hinzu und faßte des Königs beide Schultern mit den Händen. «Mensch - du hast ihr gesagt? Hast ihr jenes Unheil aufgedeckt? Du hast? - Dann sollst du nicht... -»
Aber Totila stieß ihn jetzt unsanft zurück. «Genug dieses unwürdigen Tobens. Nein, ich habe es ihr nicht gesagt - bis jetzt. Aber wohl hättest du's verdient. Noch immer, nach solcher Erfahrung» - -
«Schweige davon», drohte der Korse.
«Ohne Gewalt über dich in Liebe, Haß und Zorn.
Du packst deinen Freund an wie ein Rasender, wie ein Raubtier. Wahrlich, kennte ich nicht den edlen Kern in dir, diese Wildheit hätte mich längst von dir abgewendet. Mäßige dich oder verlasse mich.» Und der König heftete seinen leuchtenden Blick streng, nicht ohne den Ausdruck überlegener Hoheit, auf den Korsen.
Diesen Blick ertrug der Leidenschaftliche nicht. Er bedeckte die Augen mit der Hand und sprach nach einer Pause mit gebrochener Stimme: «Verzeih mir, Totila. Es ist vorbei. Aber wiederhole nicht jenen Ton, diesen Blick. Er hatte mich in jener
Schreckensnacht mehr gebändigt als dein Arm. Ich scheue und hasse ihn durcheinander. Zur Sühne, wenn ich dich verletzt, will ich morgen selbst deine Schlacht mit kämpfen, an deiner Seite, wie meine Reiter.»
«Sieh, das ist dein edler Kern, Furius», sprach der König, «daß du - trotz deiner Enttäuschung dein Geschenk erfüllen willst. Ich danke dir nochmal. Deine Hilfe, deine Reiterschar macht mir die Durchführung eines trefflichen Schlachtplans möglich, auf den ich seufzend hatte verzichten müssen, aus Mangel an Rossen.»
«Deine Feldherren, die du zum Kriegsrat entboten», meldete ein Sajo, «harren vor dem Zelt.» - - «Führe sie ein! Nein, Furius: du bleibst und hörst alles mit an - deine Aufgabe ist die wichtigste nach der meinen.»
«Ich bin stolz darauf und werde sie lösen, daß du zufrieden sein sollst mit dem
Es versammelten sich nun um den König der alte Hildebrand, Graf Teja, Graf Wisand, Graf Thorismut, Graf Markja, Aligern und der junge Herzog von Apulien.
Totila wies auf die Wand des Zeltes: dort hing die von ihm selbst mit kundiger Hand gezeichnete Übersicht der Gegend von Taginä: die Grundlage bildete die römische Straßenkarte des Picenums, zumal der Via flamina: auf dieser hatte er die wichtigsten Örtlichkeiten eingetragen.
«Gern, meine Helden», hob er an, «würde ich, nach alter Goten Weise, einfach im Keil auf den Feind losstürmen und sein Herz zu durchstoßen suchen. Aber den größten Feldherrn des Jahrhunderts, an der Spitze eines doppelt starken Heeres, in einer selbst gewählten, vortrefflichen Stellung, schlagen wir nicht mit unsrer von Odin stammenden einfältigen Weisheit»,
lächelte er.
«Erzürne nicht den Siegesgott durch Spott am Tage vor der Schlacht», warnte der alte Hildebrand.
Aber Totila fuhr fort:
«Wohlan denn: laß sehen, ob der große Stratege, der Germanen durch Germanen schlagen will, nicht durch seine eignen Mittel zu verderben ist.
Die Entscheidung des Tages fällt hier, im Herzen der beiden Stellungen bei Taginä. Die beiden Flügel haben nur hinzuhalten.
Du, Hildebrand, übernimmst unsern linken, gegenüber Eugubium. Ich gebe dir zehn Tausendschaften, dort der Wald und das Flüßchen Sibola, das da in den größeren, den Clasius mündet, geben dir gute Deckung. Desgleichen dir, Teja» - er stand hart an seiner Schulter - «auf dem rechten Flügel, mit fünfzehn Tausendschaften, der Berg rechts hinter Caprä, der fast bis an den Klosterberg der Valerier und an das Grab des Numa stößt.»
«O laß mich, mein König, morgen hart in deiner Nähe, an deiner Schildseite, fechten. Ich hatte einen finstern Traum», fügte er leiser bei.
«Nein, mein Teja», erwiderte Totila, «nicht nach Träumen wollen wir unsern Schlachtplan ordnen. Ihr sollt beide zu fechten genug bekommen, sobald die Entscheidung hier, im Herzen, gefallen. Denn hier» - und er deutete mit dem Finger auf den Raum zwischen Caprä und Taginä «ich sag' es nochmal: hier liegt die Entscheidung.
Deshalb habe ich die volle Hälfte unsres Heeres, fast fünfundzwanzig Tausendschaften, hier in das Mitteltreffen gestellt.
Im Herzen von Narses' Aufstellung stehen die Heruler und -seine beste Schar - die Langobarden. Er ändert das nicht mehr: denn früher wohl, als ich, der
Schlachtenmeister es erkannt, daß dieser Tag durch das Gefecht der Mitten entschieden wird.
Nun habt wohl acht.
Ich kenne die Langobarden, ihre Kampfgier, ihren ReiterUngestüm. Darauf bau' ich meinen Plan: wenn Narses uns durch Germanenkraft vernichten will, so soll er durch Germanenfehler erliegen.
Mit meinen wenigen gotischen Reitern schwärme ich von Caprä aus gegen die Langobarden, die vor Helvillum stehn, des Narses starkes Mittellager. Sie werden nicht säumen, sich mit ihrer Übermacht auf mich zu stürzen. Sofort, durch ihren Anprall scheinbar geworfen, jage ich in ordnungsloser Flucht zurück auf Caprä zum Nordtor herein.
Das Nordtor lass' ich zwar hinter uns schließen. Sonst schöpfen sie Verdacht. Aber nicht verteidigen.
Und schlecht kenne ich die Langobarden, wenn sie nicht, in übermütiger Verfolgungslust des Reiters, die lustige Hetze fortsetzen, weit voran dem langsam folgenden Fußvolk.
Ich weiß gewiß, sie reißen die Tore auf und jagen uns durch Caprä hindurch, noch zum Südtor hinaus, auf das freie Feld zwischen Caprä und Taginä: - hier.
Aber kurz vor Taginä wird die flaminische Straße zu beiden Seiten von zwei waldigen Hügeln überragt, dem Collis nucerius rechts, dem Collis clasius links: - seht ihr? da.
Auf diesen Hügelkronen, im dichten Wald versteckt, liegen unseres vortrefflichen Korsen treffliche Reiter im Hinterhalt, und sowie die Langobarden heran sind, zwischen den beiden Hügeln, - dann wend' ich mich aus der versteckten Flucht zu ernstem Angriff auf der flaminischen Straße selbst.
Das Heerhorn bläst zum Reiterstoß.
Auf dieses Zeichen brechen deine Reiter, Furius, zugleich von beiden Seiten auf die Langobarden, und -»
«Sie sind verloren!» jubelte Wisand, der Bandalarius.
«Aber das ist nur die erste Hälfte meines Planes», fuhr Totila fort. «Narses muß entweder seines Heeres Blüte verloren geben... »
«Das tut er nicht», sagte Teja ruhig.
«Oder mit seinem Fußvolk nachrücken. In den Häusern von Caprä aber halte ich unsere Bogenschützen, in denen von Taginä unsere Speerträger verborgen, und wenn des Narses Armenier zwischen den beiden Städten in den Reiterkampf eingreifen wollen, werden sie von hinten und von vorn zugleich von dem aus den Toren brechenden Fußvolk angegriffen: du, Wisand, befehligst in Caprä, du, Thorismut, in Taginä.»
«Ich möchte morgen kein Langobarde sein», meinte der Korse. «Lange Bärte und kurze Freuden werden sie haben», lachte Adalgoth. «Kein Mann von den Armeniern entkommt», sprach Markja.
«Ja: - wenn der Plan gelingt», schloß Teja.
«Ihr aber, Hildebrand und Teja, sowie ihr das Fußvolk des Narses aus Helvillum gegen Caprä vorbrechen seht, zieht euch mit euren der Mitte nächsten Scharen ebenfalls gegen Caprä: -nur soviel zur Verteidigung eurer Flügel erforderlich, laßt dort stehen - ihr helft uns so, das Mitteltreffen zermalmen. Dann wenden wir uns gegen die beiden Flügel, und leicht sind sie nach links und rechts hin auseinander gerissen: denn ohne Helvillum haben sie keinen Halt: ihre große Zahl selbst wird ihnen hinderlich in jenen Engen, wenn wir sie von Helvillum her in der Flanke fassen.»
Der alte Hildebrand schüttelte dem König die Rechte.
«Du bist Odins Liebling», flüsterte er ihm ins Ohr.
«Schlimm!» antwortete der König, ebenso leise, mit Lächeln. «Du weißt: zuletzt versagt der von Odin geschenkte Speer, und der Siegesgott nimmt seinen Liebling hinauf nach Walhall. -
Nun lebt wohl, meine Helden!»
Nachdem die Feldherrn das Zelt verlassen, zögerte der Korse noch an der Türe. «Um eine Gunst noch hab' ich dich zu bitten, König. Wann morgen deine Schlacht geschlagen und gewonnen, geh' ich in See - auf Nimmerwiederkehr.
Laß mich zuvor noch Abschied von... von ihr nehmen, ein letztes Mal ihr Bild mir in die Seele prägen.»
Aber der König furchte die Stirn. «Wozu das? Es kann nur dich quälen und sie.»
«Mich beglückt es. Und du - bist du zu neidisch oder am Ende gar zu ängstlich, andern auch nur zu zeigen, was du besitzest? Bist du eifersüchtig, König der Goten?»
«Furius!» rief der König verletzt und im Innern erbittert über des Korsen ganzes Wesen. «Geh, suche sie auf: und überzeuge dich, wie fern du stehst ihrer Art.»
Fast zur gleichen Zeit, da der gotische Kriegsrat seine verhängnisvollen Beschlüsse faßte, ließ sich Narses, der wieder schwer an epileptischen Anfällen gelitten hatte in diesen Tagen, in seiner offenen Sänfte, umgeben von seinen Heerführern, von seinem Zeit in Helvillum aus auf einen Hügel tragen vor seinem Mitteltreffen, von wo das gesamte Gefilde, das heute Gualdo Tadino heißt, zu überschauen war.
«Hier», sagte er, mit seiner Krücke aus der Sänfte deutend, «hier, zwischen Caprä und Taginä fällt die Entscheidung. Hättest du doch Taginä - oder selbst nur Caprä - noch besetzt, Cethegus.»
«Der schwarze Teja kam mir um drei Stunden zuvor», sagte dieser grollend.
«Es gibt keine solche Verteidigungsstellung gegen Übermacht auf der ganzen flaminischen Straße mehr bis Rom», fuhr Narses fort. «Meisterhaft haben die Barbaren diese Stellung gewählt. Gewannen sie jene Hügel nicht, so ergoß sich unser Heer unaufhaltsam fort bis Rom.
Nun habt acht auf jedes meiner Worte, - das Sprechen wird mir nicht leicht: - Narses sagt nichts zweimal. Nun, Langobarde, was sinnest du?» Und er rührte mit der Krücke an Alboins Schulter, der wie verzückt in die Landschaft hinausgeblickt hatte.
«Ich?» sagte dieser, auffahrend aus seinen Träumen, «ich sinne, wie wunderbar reich und schön dies Land, welcher Segen ringsum! Es ist das Weinland unsrer Lieder.»
«Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines Nächsten Italien und allem, was sein ist», sagte Narses, mit der Krücke drohend. «Die Traube Italia, Fuchs Alboin, hängt sehr hoch.»
«Ja: solang du lebst, ist sie sauer», sprach der Langobarde.
«Einstweilen lebt er noch, der Gotenkönig, dessen Erbe du antreten willst», mahnte Narses. «Also, mein Plan.
Du, Orestes, nimmst mit Zeuxippos den linken Flügel bei den
«Woher rührt der Name?» fragte Alboin.
«Hier schlug», antwortete Cethegus, «der Römerkonsul Decius, sich dem Tode weihend für das Vaterland, der Gallier ungeheure Übermacht. Der Boden ist heilig und von guter Vorbedeutung für Rom und», schloß er bitter, «gegen alle Arten von Barbaren.»
«Wann war das?» forschte Alboin weiter.
«Im Jahre vierhundertachtundfünfzig der Stadt.»
«Das ist lange her», meinte der Langobarde.
Narses aber fuhr fort: «Du, Johannes, übernimmst mit Valerianus und Dagisthäos den rechten Flügel bei Eugubium gegenüber dem Fluß Clasius und dem Flüßchen Sibola. Ihr haltet euch ganz ruhig, bis hier in der Mitte die Entscheidung gefallen: alsdann, - denn wer Übermacht hat und sie nicht zur Überflügelung braucht, verdient nicht, sie zu haben - dann schwenkt ihr von beiden Seiten ein - ihr reicht ja weit über die schmale Stirnlinie der Barbaren hinaus - und ihr schneidet ihnen mit zusammenschlagendem Netz den Rückzug nach Rom ab: euer Zusammentreffen ist auf der flaminischen Straße östlich hinter Taginä, in der Nähe von Nuceria Camellaria. Gelingt das, so ist der Krieg zu Ende mit einem Schlag.»
«Schade», meinte Alboin.
«Ja, dir blutet das Herz nicht, mein Wölflein, wenn du des Kaisers Italien recht lange zerfleischen kannst. Aber mir, nicht viele Schlachten gewinnen, - das ist Freund Belisars Vergnügen! - viele Feldzüge mit einem Schlag beenden, das ist meine Art, Erst aber, eh' ihr überflügeln könnt auf den Flanken, muß hier, in der Mitte, in der Ebene die Blutarbeit getan sein. Ich muß Caprä und Taginä stürmen; wenn sie klug sind, die Barbaren, zeigen sie sich nicht auf dem freien Feld vor Caprä: dort würden meine Wölfe sie niederrennen. Nicht wahr, mein Wolfskönig?»
«Ein prächtiger Wiesenplan für die Reiterschlacht!» rief Alboin, «ich sehe sie schon zurückfliehen nach den Toren von Caprä.»
«Sie werden dir den Gefallen nicht tun, sich hierher zu wagen, mein Wölflein. Keinesfalls aber unterstehst du dich, mit deinen Reitern Caprä anzugreifen.»
«Oh», meinte Alboin, «wir sind gewöhnt, abzuspringen und zu Fuß zu kämpfen, wenn's vonnöten. Die Rößlein bleiben lammfromm stehen und kommen auf den Pfiff im Trabe nach.»
Ein heftiger Krampf schüttelte Narses: seine Züge verzerrten sich. «Langbart», sprach er, als er wieder seiner mächtig geworden, «ärgere mich nicht. Ärger und Schreck bringen mir das böse Schütteln. Wenn du dir einfallen läßt, Caprä anzugreifen, ehe mein Fußvolk ganz heran ist, schicke ich dich nach der Schlacht nach Hause.» -
«Das wäre allerdings die härteste Strafe.»
«Du, Anzalas, führst das armenische Fußvolk und du, Cethegus, das illyrische, samt deinen trefflichen isaurischen Söldnern, zum Sturm auf Caprä und Taginä. Ich folge mit der Masse der Makedonen und der Epiroten nach.» Abermals rüttelte den Feldherrn ein Schauer.
«Ich fürchte, morgen kehrt das Übel stärker wieder.
Du, Liberius, vertrittst dann meine Stelle, bis ich wieder sprechen und befehlen kann.»
Cethegus furchte die Stirn.
«Ich hätte dir, Präfekt», fügte Narses, dies bemerkend, bei, «die Vertretung übertragen. Aber du wirst nicht müßig in Helvillum zusehn wollen. Ich brauche dich und dein gefürchtet Schwert beim blutig schweren Sturm auf die beiden Städte.»
«Und wenn ich dabei falle», lächelte Cethegus, «wird des Kaisers Feldherr den Verlust überleben.»
«Wir sind alle sterblich», sprach Narses, «o Präfekt: unsterblich sind nur wenige von uns - nach ihrem Tod.»
An dem Abend desselben Tages erging sich Valeria in dem ummauerten Garten des Klosters unter Thuien und Zypressen. Sie wußte oder ahnte, daß die lang erwartete Schlacht morgen bevorstand. Und ihr Herz war bang.
Sie bestieg ein Türmchen an der Ecke der Gartenmauer, zu welchem eine gewundene, schmale Marmortreppe emporführte. Von hier aus konnte sie das ganze Talgefilde überschauen, in welchem morgen die Entscheidung über Italiens, über ihr eignes Geschick fallen sollte.
Im Westen, ihr gegenüber gerade, weit hinter dem Clasiusflusse, versank die Sonne in blutroten Wolken.
Im Norden lag das langgestreckte, tiefe Lager des Narses mit seinen zahllosen Zelten aus dunklen Fellen und Häuten und geschwärztem grobem Segeltuch. Es zog sich unabsehbar weit, den Horizont umspannend, von busta Gallorum im Osten bis Eugubium (das alte Iguvium) im Westen: es ruhte schon in schwarzen, kalten Schatten: drohend und still, wie die Notwendigkeit.
Unmittelbar zu ihren Füßen schlossen sich die gotischen Zelte dicht hinter dem kleinen Ort Taginä. Die geringe Zahl erschreckte das Auge der Jungfrau: doch hatte ihr Totila beschwichtigend gesagt, seine Leute lägen größtenteils in den Häusern von Caprä und Taginä.
Auch diese Niederung ruhte schon im Schatten.
Nur auf sie selbst, ihre weiße Gestalt, die sich von den Zinnen der Türme scharf abhob, auf die Höhe, wo das Kloster ragte und seine Mauern, sowie auf die noch etwas höher und östlicher gelegene Kapelle bei dem Grab des Numa Pompilius, die Spes bonorum, fiel noch voll und leuchtend der Widerschein der sinkenden Sonne.
Lange blickte Valeria, schwerer Ahnungen voll, hinaus in die heute noch friedlich ruhende Landschaft. Welches Ansehen würde sie wohl morgen um diese Stunde zeigen? Wie viele Herzen, die heute noch trotzig, freudig, heißblutig pochten, waren bis dahin still und kalt. - So träumte sie hinaus in den Himmel und in das Gefilde. -
Sie beachtete es kaum, daß die Sonne längst gesunken, daß es rasch dunkelte, schon brannten einzelne Wachtfeuer in beiden Lagern.
«Wundersames Geschick», sprach die Jungfrau zu sich selbst. «Fröhlich, fast vergessen des Gelübdes, das mich an diesen Ort knüpft, lebe ich jahrelang. Da ergreift mich plötzlich eine Hand aus den Wolken und führt mich, wie mit zwingender Gewalt, hierher an den Ort meiner Bestimmung, nicht meiner Wahl. Und nach bangem, trübem Harren folge ich, wieder hoffend, wieder diesen Mauern entrinnend, dem lockenden Ruf des Freundes hinaus in die Freude, in die Welt der Glücklichen. Ich vertausche diese Grabesstille mit dem rauschenden Brautfest in seiner Königsburg.
Und abermal faßt mich, an der Schwelle der Ehefeier, plötzlich die Hand des Geschickes, reißt uns alle aus Freude und Jubel und führt mich und den Geliebten zur Entscheidung -gerade hierher, an den Ort meines Verhängnisses.
Ist das eine Mahnung, eine Vorverkündung? Soll auch den Freund, der sein Geschick an meines gebunden, hier der auf mir lastende, unheimliche Bann ergreifen? Kann ich ihn davon lösen, wenn ich ihm entsage?
Soll er mit dafür büßen, daß wir das Gelübde nicht erfüllt? Ach, der Himmel bleibt taub für die Fragen des geängsteten Menschenherzens. Er öffnet sich nur, um zu strafen; seine furchtbare Sprache ist der Donner und seine Schicksalsleuchte sein zugleich zermalmender Blitz. Bist du versöhnt, du strenger Gott des Kreuzes? Oder forderst du unerbittlich die dir verfallene Seele ein?»
Aus diesem Träumen und Sinnen weckte sie - schon war es ganz dunkel geworden, und der eben aufsteigende Mond warf noch wenig Licht in den hochgelegenen, ummauerten Garten -der rasche Schritt eines Mannes, der hastig nahte von dem Garten her; der Sand der Gartenwege knisterte unter seinen Füßen.
Das war nicht Totilas schwebender Gang.
Die Jungfrau stieg die Marmortreppe herab und wollte sich auf dem schmalen Gang, der zwischen den Zypressen an der Mauer hinführte, nach dem Hause zu wenden, - da vertrat ihr der Nahende, der ihre weiße Gestalt erkannt hatte, plötzlich den
Weg, er selbst im dunkeln Mantel kaum kenntlich -, es war der Korse.
Sie erschrak über den plötzlichen Anblick. Wohl hatte sie von je des Mannes Leidenschaft erkannt, aber mit Grauen, mit seltsamer Furcht. «Du hier, Furius Ahalla! Was führt dich in diese frommen Mauern?» Eine Weile schwieg der Fremde. Er atmete schwer und schien, ringend, nach Worten zu suchen. Allmählich stieg das Licht des Mondes über die Mauer. Hell zeigte er bald der schönen Römerin edle Züge und Gestalt. Endlich sprach Furius abgerissen, mühsam. «Das Verlangen führt mich her... - Abschied zu nehmen, Valeria. Abschied für immer. Wir schlagen morgen eine blutige Schlacht. Dein - -König hat mir verstattet, noch einmal zu sehen die... Dasjenige, was ich unter allen Männern nur ihm gönne. Oder», fügte er leidenschaftlich hinzu, auf ihre Gestalt blickend und den Arm leise hebend, «gönnen soll, und doch nicht - gönnen kann.»
«Furius Ahalla», sprach Valeria mit Hoheit zurücktretend, -denn sie hatte jene Armbewegung wohl bemerkt - «Ich bin deines Freundes Braut.»
«O ich weiß es - nur zu gut weiß ich es.» Und er trat, ihr folgend, einen Schritt vor. «In meinem Herzen steht es eingeschrieben mit der brennenden Schrift der Qualen. O ich könnte ihn grimmig hassen. Weshalb schritt er - gerade er! -zwischen dich, du schönheitsschimmerndes Weib, und meine rasende Leidenschaft? Jeden andern würde ich zerreißen. Es ist sehr schwer, ihn nicht zu hassen.»
«Du irrst», sprach Valeria - «und nur um dir dies zu sagen -hörte ich solche Sprache zu Ende. Hätte ich Totila nie gesehen -ich wäre doch nie die Deinige geworden.»
«Warum?» fragte der Korse gereizt.
«Weil wir nicht zusammen taugen. Weil, was mich zu Totila hinzieht, mich von dir hinwegreißt.»
«O du irrst! Es muß jedes Weib gewinnen, sich so rasend, so
wütend geliebt zu sehn, wie ich dich liebe.»
«Deine Liebe hätte mir Grauen eingeflößt - und nun laß mich in das Haus.»
Aber Furius versperrte den schmalen Pfad mit seiner Gestalt. «Grauen - das schadet nicht. Süßes Grauen st die Mutter der Liebe. Es gibt verschiedne Art zu lieben, zu werben. Mir hat von je zumeist des Löwen Werbe-Brauch gefallen. Er läßt der Braut nur die Wahl zwischen Liebe und Tod.»
«Genug dieser Worte, die dir zu sprechen, mir zu hören gleich unziemlich ist. Laß mich vorbei.»
«Ha, fürchtest du dich, Vestalin?» Und er trat noch einen Schritt näher.
Jedoch hoheitsvoll maß ihn Valeria mit kaltem Blick der Verachtung. «Vor dir? Nein.»
«Dann bist du allzukühn, Valeria: denn du hättest allen Grund. Und wüßtest du, was in mir lodert seit Jahren, kenntest du die Folterqualen meiner Nächte, - du würdest zittern. Ah, und könntest du mich nicht lieben, - auch dich zittern sehen - wie jetzt - dich zittern machen, wäre Wollust.»
«Schweig!» rief Valeria und wollte sich an ihm vorüber durch die Bäume drängen. Allein nun vertrat er ihr hier den Weg und griff nach ihrem Mantel - seiner Sinne kaum mehr mächtig. «Nein, ich will nicht schweigen», flüsterte er heiß. «Du sollst es wenigstens wissen und in dir nachglühen fühlen, solang du atmest. Schon fühle ich Schauer des Grauens durch deine stolzen Glieder rieseln. Nicht abkürzen will ich mir die Wonne, dich erbeben zu sehen. Ah, wie würdest du erst zittern in diesen Armen, wie würde diese stolze Gestalt hinschmelzen unter dem heißen Hauch meines Mundes... - Wie solltest du mir...» - Und er griff die Widerstrebende an beiden Schultern.
«Hilfe, Licht! Hilfe!» rief Valeria.
Und schon eilte man mit Licht aus der Tür des Hauses.
Jedoch der Korse, der Türe den Rücken wendend, ließ nicht von ihr.
«Laß meinen Arm los.»
«Nein, einmal sollst du mir -»
Aber in diesem Augenblick ward er mit zorniger Gewalt zurückgerissen, daß er Valeria losließ und gegen die Mauer taumelte. Totila leuchtete ihm mit der Fackel in das glühende Antlitz. Furchtbarer, aber heiliger Zorn loderte aus des Königs Augen. «Tiger!» rief er, «willst du meine Braut ermorden wie die deine?»
Mit einem gellenden Schrei der Wut sprang der Korse, beide Fäuste ballend, gegen ihn an. Allein ruhig blieb Totila stehen und durchbohrte ihn mit den Blicken. Furius faßte sich.
Da flog Valeria an Totilas Brust. «O laß von ihm, rasch fort! Er ist rasend! - - Seine Braut hat er ermordet?»
Diese Frage aus Valerias Mund ertrug der Korse nicht: - er warf noch einen Blick auf Totila, sah, wie dieser, bejahend, Valeria zunickte... und sofort war er hinter den Zypressen im Schatten verschwunden.
«Ja», sagte Totila, «so ist es. Hat dich der Wahnsinnige recht erschreckt?»
«Es ist vorüber, - du bist ja bei mir.»
«Mich reute, daß ich ihm verstattet, dich aufzusuchen. Und ich eilte hierher, von Liebe und Beunruhigung getrieben.»
«Gut, daß du kamst und nicht die Leute aus dem Hause. Wie tief hätte es ihn beschämt! Ich rief erst, als ich wirklich glaubte, er rase. Und was ist das für eine grausige Tat? Seine Braut?»
«Ja», wiederholte Totila, den Arm um sie schlingend, die Fackel einer Sklavin reichend, die nun aus dem Hause trat, «aber laß uns noch im Mondlicht wandeln.»
Und er schritt mit der Geliebten wieder tiefer in den Garten, auf und ab wandelnd. «Es ist mir nicht lieb, daß mir es der
gerechte Zorn entrissen. Es war das Geheimnis, durch das ich über diesen schwarzen Panther wundersame Gewalt gewonnen.
Vor vielen Jahren traf ich ihn - ich hatte lybische Seeräuber verfolgt mit meinen Schiff - im Hafen von Beronike an der Küste der Pentapolis. Er war im Begriff, sich zu vermählen mit Zoe, der Tochter eines syrischen Kaufherrn, der sich, des Elfenbeinhandels wegen, dort in Afrika niedergelassen.
Der Korse hatte von jeher Neigung zu mir gezeigt - ich hatte ihm auch bei seinem Seehandel oft genützt - und er bat mich, der Hochzeitsfeier auf seinem reich geschmückten Fahrzeug beizuwohnen. Ich erschien, und das Fest verlief ganz fröhlich, nur war der Bräutigam in einer Stimmung, die mehr von Grausamkeit als von Zärtlichkeit an sich trug.
Endlich wollten die Eltern der Braut - nur sehr widerstrebend hatten sie dem Fremden, dessen unbändige Wildheit bekannt und auch bei der Werbung selbst hervorgetreten war, das weiche, zarte Kind zugesagt, - auf kleinem Boot mit mir das Schiff verlassen, welches die Brautleute nach Korsika tragen sollte.
In sehr begreiflicher Rührung des Abschieds warf sich Zoe weinend immer wieder in die Arme ihrer Eltern. Ich bemerkte, daß der Bräutigam hierüber in eine mir ganz unfaßliche Wut geriet. Laut rief er Zoe an, ob sie ihren Vater ihm vorziehe? Ob sie denn ihn nicht mehr liebe? Das sähe ja aus wie Reue. Er drohte, schalt, und das arme Kind weinte immer mehr.
Zuletzt schrie er ihr wütend zu, sie solle augenblicklich aufhören zu weinen und, um nach altem Seemannsbrauch bei Schiffshochzeiten, mit dem Beil, das er in der Hand hielt, das Ankertau zu kappen, auf seine Seite des Schiffes treten.
Zoe gehorchte, riß sich von dem Vater los -, da traf sie auf der Mutter banges, tränenerfülltes Auge - und, anstatt zu Furius zu schreiten, wandte sie sich, wieder laut aufschluchzend, ihrer Mutter zu, diese nochmal zu umarmen. Rasend aber sprang
Furius herzu, sein Beil blitzte, sie streifend, über des Mädchens Haupt, und er hätte sie auf dem Fleck erschlagen... » -
«Entsetzlich», rief Valeria.
«Fiel ich ihm nicht in den Arm und entriß ihm das Beil mit einem Blick, der ihn plötzlich bändigte. Lysikrates aber trug sein blutendes Kind aus dem Schiff nach Hause und versagte dem gefährlichen Bräutigam die Ehe.»
«Was ward aus ihr?»
«Sie starb bald darauf. Nicht gerade an der Wunde, aber an den Folgen des Schreckens und widerstreitender Aufregungen. Du solltest sie dem Vereinsamten ersetzen.»
Valeria schauderte. «Er ist mir unheimlich. Dem halbgezähmten Raubtier gleicht er, das unberechenbar und unverlässig bleibt. Jeden Augenblick mag seine tödliche Wildheit erwachen.»
«Laß ihn. Sein Kern ist edel. Er tobt sich jetzt aus, - hörtest du den donnernden Hufschlag seines Rosses den Berg hinab? - und morgen - in der Schlacht - macht er alles gut. Ich will ihm gern verzeihn, - er war nicht bei Sinnen. Aber nun laß uns zurückkehren zu uns selbst, zu unsrem Glück und unsrer Liebe.»
«Ist unsre Liebe dein Glück geworden?» fragte Valeria nachdenklich. «Wie viel stärker stündest du morgen im Kampf, wenn des Westgotenkönigs Tochter, wenn jene Haralda, der du gar sehr gefielst... -»
Aber Totila drückte sie an die Brust. «Wer ersetzt Valeria?»
«Dein Glück?» wiederholte diese bang. «Werden wir je vereinigt werden? Man sagt, die Feinde sind euch doppelt überlegen. Die Schlacht morgen, - hast du keine Besorgnis?»
«Nie in meinem Leben habe ich einem Kampf so freudig entgegengesehen. Das wird mein Ehrentag in der Geschichte! Mein Plan ist gut, mich freut's, den großen Schlachtenlenker Narses mit seiner eignen Kunst zu überwinden. Wie in ein
Festspiel reite ich in diese Schlacht. Du sollst mir deshalb Helm und Roß und Speer mit Blumenkränzen und mit Bändern schmücken.» -
«Mit Blumen und Bändern! - Opfer schmückt man so.»
«Und Sieger, Valeria.»
«Morgen mit Sonnenaufgang sende ich dir die Waffen hinab ins Lager, geschmückt mit Blumen, die im Frühtau glänzen.»
«Ja, geschmückt will ich reiten in meine schönste Siegesschlacht - denn morgen ist der Tag, da ich in einem Schlag die Braut mir und Italia erkämpfen - ihr seid eins in meinem Herzen, stets hab' ich in dir, du Marmor-Schöne, das Bild Italiens geliebt.»
Als der König beim Schein der Sterne das kleine Haus von Taginä erreichte, wo er sein Quartier aufgeschlagen, traf er im Hofe, auf dem Rand der Zisterne, einen Mann in dunklem Mantel sitzen, die Harfe auf den Knien, sie blitzte im Mondlicht; leise Akkorde griff er darauf.
«Du bist es, Teja? Hast du nichts zu tun auf deinem Flügel?»
«Ich habe dort alles geordnet. Hier hab' ich zu tun - mit dir.»
«Tritt mit mir ins Haus. Ist Julius nicht darinnen?»
«Er ging noch in die Basilika Sankt Pauls, für deinen Sieg zu beten. Er kommt wohl bald zurück. Ich habe dir eine Rüstung mitgebracht, die ich dich bitte, morgen in der Schlacht - mir zuliebe - zu tragen, sie ist fest und sehr sicher.»
Totila blieb gerührt stehen: «Welche Sorgfalt echter Freundschaft!»
Hand in Hand schritten sie nun in das Mittelgemach des Hauses. Da lag, auf dem Marmortisch aufgerichtet, eine vollständige Rüstung, vom Helm bis zu den geschuppten
Schuhen, von dem besten hispanischen Stahl, leicht und doch undurchdringlich; meisterhaft gearbeitet, aber ohne allen Schmuck, ohne Helmzier, mit dicht geschlossenem Visier, -alles von dunkelblauem Stahl.
«Welcher zauberkund'ge Schmied hat dieses Wunderwerk geschaffen?» frug Totila bewundernd.
«Ich», sagte Teja. «Du weißt: ich habe von jeher Gefallen an Waffenarbeit gehabt. Und ich habe - ich schlafe wenig nachts -diese Schuppen für dich gefertigt. Du mußt sie annehmen.»
«Ja», lächelte Totila - «für meine Bestattung, darin will ich meinen Leichenzug begleiten. Aber morgen, mein Teja, reit' ich in vollem Königsschmuck ins Treffen. Italia soll nicht sagen, ihr König und Bräutigam habe sich an seinem Ehrentag versteckt. Nein, wer morgen den Gotenkönig sucht, soll nicht viel Mühe haben, ihn zu finden.»
«Ich hab' es gefürchtet», seufzte Teja. «So laß mich wenigstens morgen an deiner Seite fechten: nimm mir den Befehl des rechten Flügels ab.»
«Nein, er ist hochwichtig. Mich beschützen kann ich selbst. Die Berge aber mußt du mir decken und den Weg nach Rom. Im Fall eines Unglücks liegt auf deinem Flügel die einzige Rettung für den Abzug.»
Da trat Julius ein mit Graf Thorismut und Herzog Adalgoth und die Diener, - darunter auch Wachis, der nun Teja als Schildträger begleitet hatte - brachten das Nachtmahl: Fleisch, Früchte, Brot und Wein.
«Denke, Julius», lächelte Totila diesem entgegen, «der kühnste Held im Gotenheer ist ängstlich geworden.»
«Nicht für mich», sagte dieser. «Aber meine Träume treffen meistens ein. Und sie sind immer schwarz.»
«Eure Träume», lächelte Totila dem jungen Adalgoth, der sich neben ihm niederließ, und Wachis zu, der dem König den
Becher fällte - «eure Träume, ihr Frischvermählten, sind wohl nicht schwarz!»
«Kann nicht klagen darüber, Herr König», schmunzelte Wachis. «Doch ich wünschte -»
«Was hast du noch zu wünschen außer Liuta?» meinte Totila.
«Ich wünschte, der Lange wäre da.»
«Welcher Lange?»
«Nun: der gar Lange: der noch deinen tapfern Bruder Hildebad um eines Hauptes Länge überragt haben würde, der mit dem Bärenfell und mit der Falken-Werferin: - wie hieß er doch?»
«Harald», sagte Teja ernst.
«Ja, den meine ich. Der wäre gut mit seinen starken Riesen morgen.»
«Wir werden ihn nicht brauchen.»
«Aber besser ist immer besser, Herr König. Und wenn ich der Herr König gewesen wäre: - den hätt' ich wieder kommen lassen, als der Krieg losbrach.»
«Wir brauchen ihn nicht», wiederholte der König schärfer.
«Ich dachte wie mein Schildmann, o König», sagte Teja, «und habe auf eigne Faust - an deiner Einwilligung zweifelnd -gesendet nach ihm: fortgeschickt hättest du ihn doch nicht, hätte ich ihn zur Stelle schaffen können. Auch mir hat dieser treue Nordlandsheld gefallen -: seine Leute wären gut gewesen wider die Langbärte -: leider war die Flotte von meinem kleinen Schiff nicht einzuholen.»
«Dank, Teja, das war wieder ganz deine Art. Aber mich freut, daß du ihn nicht beischaffen konntest. Wir schlagen und siegen allein. Mein Plan ist ganz unfehlbar, wenn nur... -» Hier flog eine Wolke über des Königs Stirn.
«Wenn der Korse seine Schuldigkeit tut», sprach Teja.
«Sage, Thorismut - ich sandte dich noch vom Kloster aus, wo ich einen kleinen Streit mit ihm hatte, an Furius - ich fragte, ob alles beim alten bleibe zwischen uns: - was antwortete er?»
«Er gab mir diesen offenen Brief an dich.»
«Wo trafst du ihn?» forschte der König, die Wachstafel nehmend.
«Vor Taginä. Er wies seinen Reitern bereits die Stellung im Hinterhalt an. Er hat alles auf das genaueste erfüllt, was du vorschriebst.»
Totila las: «Morgen werd' ich erfüllen, was du von mir erwartest. Du wirst mir nach der Schlacht nichts mehr vorwerfen.»
«Er fügte bei», ergänzte Thorismut, «ein paar Hundert seiner Rosse, die, von der Seereise angegriffen, langsamer marschiert, kämen morgen früh sicher an. Sie sind auch schon gemeldet von Septempeda her: du möchtest, womöglich, die Entscheidung hinausziehen, bis zu ihrem Eintreffen.»
«Warum kommt er nicht selbst hierher?» zürnte Teja.
«Er bemüht sich auf das eifrigste», sprach Thorismut - «ich hab' es selbst gesehen - seinen Reitern genau die Örtlichkeit zu zeigen, wo die Entscheidung fällt. Er hat noch im Mondlicht Gefechtsübungen von den Hügeln herab auf die Straße gemacht.»
Totila aber schloß: «Ich weiß, warum er nicht zu meinem Nachtmahl kommt. Es hat nichts auf sich.»
Und sie setzten sich nun auf die Feldstühle und Truhen, die um den Tisch standen, und begannen das einfache Mahl.
«Der König», hob Teja an, «läßt mich morgen nicht an seiner Seite fechten. So befehl' ich ihn dir, mein tapferer Thorismut: behüte du sein Leben.»
«Das wird er nicht immer können», lächelte Totila, trinkend. «Thorismut muß mir die Speerträger in Taginä befehligen.»
«Solang ich an des Königs Seite halte, geschieht ihm nichts», sagte Thorismut ruhig. «Ich gehe, nochmal zu den Vorposten bei Caprä zu reiten.» Und er schritt aus dem Gemach.
«Ja», rief Totila, «bei Neapolis, am capuanischen Tor, war er mein Retter.»
«Und zu Rom am Tiber der junge Harfenherzog hier», sprach Teja, «wo ist er morgen? Er soll dich wieder decken.»
«Nein!» rief dieser: «Ich habe mir ausgebeten, in dem Reiterangriff voranzureiten und Domna Valerias neue Fahne zu tragen.»
«Nun, frommer Julius», sprach Teja - «du sollst nicht fechten: - aber schirme du des Königs Leben. - Ich weiß, du liebst ihn, auf deine Art: und das wird wohl keine Sünde sein.»
«Ich will um ihn bleiben. Aber besser noch als mein schwacher Arm oder dein starker, Graf von Tarentum, wird mein Gebet zu Gott ihn schützen.»
«Gebet!» sagte Teja. «Noch ist kein Gebet durch die Wolken gedrungen. Und wenn es durchdrang, fand es den Himmel leer.»
«Wie», rief der Mönch, «du leugnest, finstrer Mann, wie - wie Cethegus, den Gott der Liebe aus seiner Welt hinaus? Den Gott, der allweise, allmächtig und alliebend vom Himmel aus der Menschen Pfade lenkt, den leugnest du?»
«Ja», rief Teja und ließ die Hand an den Schwertgriff gleiten. «Den leugne ich! Und wäre ein Wesen da oben, lebendig und wissend, was es tut oder geschehen läßt -, man müßte, wie die Riesen unsrer Göttersage, Berg auf Berg und Fels auf Felsen türmen und seinen Himmel stürmen, und nicht ruhen und rasten, bis man das teuflisch grausame Gespenst von seinem blutigen Schädelthron gestoßen hätte oder selbst gefallen wäre von
seinem Blitz.»
Entsetzt sprang Julius auf: «Hat denn der Geist der Gottesleugnung, der Gotteslästerung die gewaltigsten Männer der Welt ergriffen? Ich kann solche Worte nicht anhören.»
«Dann frag' mich nicht!»
Mit Staunen sah auch der König auf den sonst so schweigsamen Freund, aus dessen tief verschlossener Brust plötzlich lang verhaltener, grimmiger Schmerz glühend hervorbrach.
«Ihr staunt», fuhr dieser fort, «daß der grabesstille Teja noch so heiß empfindet. Ich staune selbst zuweilen darüber. Aber morgen ist der Tag der Sommersonnenwende; der Tag, da dereinst meine Sonne für immer sich gewandt. An jeder Wiederkehr des Tages bricht mir die alte Wunde schmerzend auf.»
«Ich begreife deine Düstre jetzt, unsel'ger Mann», sprach Julius nach einer Pause. «Ja, ich fasse nicht, wie du leben kannst - ich könnte nicht atmen: ohne Gott.»
«Wer sagt dir, Mönch, Teja hat keinen Gott? Weil ich ihn nicht nach deinem Glauben sehe, nicht, wie du, vermenschlicht, von Liebe, Haß, Zorn, Eifersucht entstellt? Weil ich nicht denken kann, daß er, der Vorschauende, Wesen schafft, sich und andern zur Qual, sie zu verdammen und sie hintendrein, durch ein Mirakel, durch schuldloses Blut des Edelsten, wieder zu erlösen? Weil ich ihn nicht denken kann wie einen ungeschickten Zimmerer, der seine Baute schlecht gemacht hat und nun immer daran nachflicken muß mit mirakelnder Hand? Ich sage dir: die Majestät meines Gottes ist so furchtbar, daß dein armseliger Engelkönig vor seiner Größe verschwindet, vor seiner unerbittlichen Furchtbarkeit, wie das Gewölbe deiner Kirchen gegen das Gewölbe des Weltalls.
Nein, wäre wirklich ein Allvater in den Wolken, und könnte er dem grausamen Gang der Geschicke nicht steuern: - ihn selber müßte der Gram ergreifen. Er müßte furchtbar leiden unter diesen Schmerzen seiner Kinder wie euer sanfter Jesus litt - das hat mich immer tief gerührt! als er auf dem Ölberg der Menschheit ganzen Jammer trug.
Und weil ich dir, mein Totila, versprochen, dir noch einmal von meiner Harfen- und Liedkunst zu vernehmen zu geben: - so höre den Gesang, den ich dem Allvater Odin in den Mund gelegt.»
Und er griff in die Saiten der kleinen Harfe, die neben ihm bei seinen Waffen lag, und sang dazu mit tiefernster Stimme:
Allvaters Gesang
«Es seufzt meine Seele in unsäglichem Jammer Um des Schmerzengeschlechts, um der Menschen Geschick. Denn was in der Welt von wechselndem Wehe Brandend sich bricht in jeglicher Brust, Mitempfinden, mitdurchkämpfen, Mitdurchklagen muß ich es alles, Alles, alles: - denn geheißen Bin ich
«So empfand ich früher in die Seele eines gütigen Gottes hinein. Aber seither -, ich habe viel gegrübelt und gesonnen -habe ich einen andern, meinen furchtbaren Gott gefunden. Doch freilich, diesen meinen Gott muß man erlebt haben in den Todesschmerzen des zuckenden Herzens.»
Julius schwieg kopfschüttelnd. Der König aber fragte: «Und wie hast du ihn erlebt, diesen furchtbaren Gott?»
«Die Stunde ist gekommen, Totila, mein König und mein Freund, da du vernehmen magst, was ich so lange auch dir verschwiegen; mein Schicksalsgeheimnis, den Schatten, der über mein Leben fiel, es verfinsternd für immerdar. Nein, bleibe nur, Christ. Auch du magst es hören und dir es dann zurechtlegen mit der Unerforschlichkeit der Wege Gottes, mit der Züchtigung dessen, den er liebt, und anderer Weisheit der Mönche. Solches magst du bei dir denken. Aber sprich es nicht aus; ich ertrage nicht - heute nicht - es zu hören. - Du kennst, Totila, meiner Eltern fluchbeladenes Geschick: denn wir beide wurden ja zusammen in König Theoderichs Waffenschule zu Regium von dem alten Hildebrand erzogen.»
«Ja, und wir liebten uns wie Brüder», sprach der König.
«Anfangs scheu, verschlossen, niedergedrückt durch das Geschick meiner Eltern, lebte ich in deiner sonnigen Nähe allmählich wieder auf. Da überfielen, mitten im Frieden, Kriegsschiffe des Kaisers - er zürnte mit dem König wegen des Grenzstreits bei Sirmium - feindlich Regium und führten, außer andern Gefangenen, auch uns vierzig Jünglinge, auf ihre Trieren uns verteilend, fort, nur du warst ihnen entgangen, denn der König hatte dich tags zuvor als seinen Becherwart nach Ravenna in das Palatium entboten.
Der alte Hildebrand und Graf Uliaris setzten, sobald sie es erfuhren, mit der sizilischen Flotte den Griechen nach, holten ihre Schiffe ein auf der Höhe von Catana, nahmen sie und befreiten alle Gefangenen. Nur ein Schiff entkam den Befreiern mit raschen Segeln: - die Triere
Der Trierarch Lykos, anstatt uns Kriegsgefangene nach Byzanz zu führen, zog es vor, uns als Sklaven zu verkaufen und den Kaufpreis einzustecken. Er lief ein in den Hafen der Insel Paros. Dort verschacherte er uns an seinen Gastfreund Dresos, den reichsten Kaufmann jener Eilande.
So war denn Teja, des Grafen Tagila Sohn, ein freier Gote -Sklave eines Griechen. - Ich beschloß, sobald ich meiner Ketten entledigt und meiner Glieder Herr würde, mich zu töten. Aber als wir, in kleinen Booten ausgeschifft, ans Land gebracht wurden, da - o mein Freund - da... Und er hielt inne und fegte die Hand vor die Augen.
«Mein Teja», sprach der König, die Hand auf des Seufzenden Schulter legend.
«Da fiel mein Blick auf die reichvergoldete, offene Sänfte, die neben Dresos hielt - und auf ein Mädchen - wunderbar schön! Bald kamen wir auf des Dresos Villa, nahe bei der Stadt, an. Dresos mißhandelte alle seine Sklaven mit Schlägen und übermäßiger Arbeit, ja er mißhandelte selbst seine Mündel Myrtia, das zarte, wundersame Bild.
Mich traf ein milderes Los.
Als er von mir erfuhr, daß ich Waffen zu schmieden und edles Geschmeide wohl verstand, - ich hatte es vom Knaben an geübt - da behandelte er mich besser, baute nahe seiner Villa mir eine Werkstätte und machte mich zum Vorstand der hier beschäftigten Sklaven.
Auch die Ketten nahm er mir - bei Tage - ab.
Nur bei Nacht ward ich mit meinen zwei gotischen Mitsklaven zusammengekettet an den Amboß in der Werkstatt.
Ich hätte die Flucht bei Tage wohl wagen können.
Aber ach - ich floh nicht! Myrtia hielt mich gefesselt! Sie sehen - sie sprechen: denn oft kam sie in die Werkstatt, Geschmeide, Schmuck zu bestellen, bessern zu lassen, bald auch, mir bei der Arbeit zuzuschauen oder meinem Gesang und Harfenspiel zu lauschen.
Und, o ihr ewigen Sterne, welche Wonne! Was anfangs nur Mitleid gewesen in des schönen Griechenkindes Brust, - ich sah es, ich konnte nicht mehr zweifeln, - sie gestand es in seligem Kuß, - das ward Liebe, volle, seltene Liebe.
Ich kann sie nicht schildern: golden ihr Haar, golden ihr Auge, golden ihr Herz. - -
Und auch Teja war einmal glücklich und glaubte an Glück und einen gütigen Gott über den Sternen.
Da kam die Geliebte eines Abends, verstört, in Verzweiflung, zu der leisen Zwiesprache in die Werkstätte. Ihr Vormund hatte sie verlobt: verschachert an denselben Trierarchen Lykos, der uns in die Sklaverei verkauft hatte. Bitten, Tränen, kniefälliges Flehen blieben umsonst; auf ihren sechzehnten Geburtstag ward ihr die Hochzeit angesagt. Das war in wenigen Wochen.
Der längst gehegte Plan zu gemeinsamer Flucht ward nun rasch gereift.
Ich hatte mir schon lange eine Feile zur Lösung unserer Ketten gefertigt: nun schmiedete ich noch einen Schlüssel zur Öffnung der Werkhaustür. Meine Mitgefangenen waren eingeweiht. Auf der kleinen Insel konnten wir uns nicht verborgen halten. Wir mußten zur See entfliehen.
Nahe dem Garten und der Werkstätte lag, in der Meeresbucht seitab von der Villa, ein kleines Segelschiff des Dresos, immer gerüstet für Lustfahrten, vor Anker.
Dies wollten wir benutzen, darauf nach Italien zu fliehen: Mundvorrat hatten wir an unseren Tagesrationen abgespart,
Waffen fehlten ja nicht.
Der Geburtstag war - und die Hochzeit wurde anberaumt - an den Kalenden des Julius.
In der Nacht vorher sollte ich, nachdem die Kette durchfeilt, die Tür geöffnet, die Genossen nach rechts von dem Hauptgebäude der Villa in die Bucht und auf das Schiff geeilt, mich nach den links von der Villa gelegenen Frauengemächern schleichen, in welchen Myrtia schlief: eine kleine Strickleiter reichte aus, sie von den niederen Gelassen in meine Arme zu führen. Und ich sollte dann mit ihr auf das einstweilen segelfertig gestellte Fahrzeug eilen. Alles war sorgfältig bedacht und bereitet.
Aber schon zwei Wochen vor dem Hochzeitstag traf Lykos, der tief Verhaßte, ein; derselbe Mann, der mich als Sklaven verkauft, und der mir nun die Geliebte rauben wollte.
Mein Haß gegen ihn war grimmig. Kaum hielt ich mich zurück, ihn zu erschlagen, als er mit Dresos und andern Hochzeitsgästen an meinen Amboß trat und ich ihm meine Kunstfertigkeit zeigen mußte. Doch ich bezwang mich - um Myrtias willen.
Diese aber klagte, der verhaßte Bräutigam dränge immer ungestümer zur Hochzeit: kaum könne sie noch den Vormund abhalten, schon sofort sie ihm zu übergeben. Ihre Freiheit, ihr Kommen und Gehen werde immer strenger überwacht.
Da beschlossen wir, schon früher zu fliehen. Wir wählten die Nacht der Sommersonnenwende, wann, wie wir wußten, in der Villa mit großem Trinkgelage der Männer, das Lichterfest gefeiert werden sollte. Wir hofften, wann die Zecher in Wein und Schlaf versunken lägen, am sichersten zu entkommen. Sowie die Sterne in der Mitternacht standen, sollte ich Myrtia
aus dem Frauengemach entführen.
Am Tag der Sonnenwende kam Lykos wieder in die Werkstatt mit Dresos und kaufte einen kostbaren Goldschmuck, den ci h gefertigt.
Ich schrie auf und griff nach dem schweren Schmiedehammer: - aber Aligern, mein mitgefangener Vetter, fiel mir warnend in den Arm. Und mit einem Fluche schritt der Trierarch hinaus. Mit welchem Hasse blickte ich dem geschweiften Helm, mit dem silbernen Wolf auf dem Kamm, und dem gelben Mantel nach!
Endlich kam die Nacht, die Dunkelheit.
Wir hörten bis in unsere Werkstätte herab den wüsten Lärm des Trinkgelages aus der Villa dringen. Wir sahen die Lichter des Lichterfestes oben schimmern. Offenbar lagen Dresos, Lykos und die andern Gäste in taumelndem Schwelgen.
Noch war es nicht ganz Mitternacht -, aber ich hatte bereits die Genossen befreit -. Sie waren glücklich an das Schiff zur Rechten des Gartens gelangt -, der Schrei des wilden Schwans, das mit Aligern verabredete Zeichen, war dreimal erklungen -, und eben trat ich leise aus der Türe, nun nach links hin, nach dem Frauenhause, zu eilen -, da hörte ich deutlich die eiserne Gittertüre gehen, die von oben, von der Villa her, in den Garten führte. Argwöhnisch blieb ich stehen und spähte nach oben.
Wirklich: da schlich durch die Taxusbüsche, vorsichtig, tastend und lautlos auf den Zehen gleitend, ein Mann in Kriegertracht. Lykos war es -: deutlich erkannte ich im Mondlicht seinen silbernen Wolf auf dem visiergeschlossenen
Helm, und den gelben Mantel, in der Rechten den Speer.
Lauernd, lauschend kam er näher, - sah sich um, ob ihm niemand folge, und schritt dann wieder gerade auf unsere Werkstätte zu, in deren Schatten ich versteckt stand.
Kein Zweifel: er hatte Verdacht geschöpft. Er wollte mich überwachen die Nacht: der Fluchtplan war verraten. Grimmig sprang ich ihm entgegen und stieß ihm das Schwert in die Brust.
Da tönte ein Aufschrei - mein Name -: das war nicht Lykos! Ich öffnete entsetzt das Helmvisier - Myrtia lag sterbend vor mir.»
Er schwieg und verhüllte das Haupt im Mantel.
«Armer, unseliger Freund», sprach Totila, nach seiner Rechten langend. Julius aber sprach leise, unhörbar für beide:
«Mein ist die Rache, ich will dir vergelten: spricht der Herr.»
Teja erhob das Haupt und fuhr fort: «Ich fiel sinnlos, bewußtlos neben ihr nieder. Als ich zu mir kam, fühlte ich den frischen Hauch der Seeluft um mich wehen. Die Genossen, Aligern voran, waren besorgt über unser langes Ausbleiben, in den Garten nach der Werkstätte zurückgekehrt: dort fanden sie uns beide.
Bevor sie starb, erzählte die Geliebte kurz, wie Dresos und Lykos, beide berauscht, im Taumel des Festgelages plötzlich beschlossen, noch in dieser Nacht die Hochzeit zu vollziehen. Kurz vor Mitternacht hatte man die Widerstrebende aus dem Frauengemach geholt und in die Villa, in das wilde Zechgelage, geschleppt. Sogleich sollte die Hochzeitsfeier gehalten werden. Dresos legte ihre zitternde Hand in die des Lykos. Nur so viel Zeit sollte gelassen werden, daß dieser sich zu der auf seinem Schiff zu haltenden Feier umkleiden, Befehle dorthin entsenden konnte, das Brautgemach zu schmücken.
So ließ man die Vermählte - für kurze Zeit - allein.
Diese Zeit benutze sie, eilte in die Vorhalle, wo sie des Lykos
Helm und Mantel hatte liegen sehen. Sie hüllte sich rasch in diese Verkleidung, schloß das Visier, barg ihr Frauengewand in dem langen, gelben Mantel und eilte an einigen der berauschten Gäste, unerkannt, vorüber, geradewegs zu mir in die Werkstätte, - denn im Frauenhause waren nun alle Sklaven und Sklavinnen wach von dort aus mit uns zu fliehen. Und ihr letztes Wort war ein Segenswunsch für mich gewesen.
Sie mußten mich halten -, ich wollte mich ins Meer werfen. Ich verfiel in ein hitziges, schweres Fieber. Ich erwachte erst an Bord eines gotischen Kriegsschiffes, unter Herzog Thulun, das uns bei Kreta aufnahm.
Da entdeckte Aligern plötzlich, daß uns die Triere des Lykos, die entflohenen Sklaven verfolgend, nachgesetzt war und eben um die Spitze von Kydonia bog, als wir an Bord des Kriegsschiffes waren. Sofort setzte der Grieche alle Leinwand auf, zu entkommen, als er die gotische Kriegsflagge erkannte: aber Herzog Thulun und Aligern jagten nach, holten den Griechen ein, enterten und erschlugen Lykos, Dresos und die dreißig Mann des Schiffsvolks.
Ich aber war, da ich erwachte, der Teja, der ich bin.
Und glaubte nicht mehr an den Gott der Gnade und Liebe: und wie ein Hohn auf Myrtia klingt jedes Wort, das davon faselt. Was hatte sie, was hatte ich verschuldet? Weshalb ließ Gott, wenn er lebt, dies Grauenhafte zu?»
«Und weil diese eine Rose geknickt, leugnest du den Sommer und den Sonnenschein?» fragte Totila, «und glaubst, ein blindes Ungefähr beherrscht die Welt?»
«Das glaub' ich nicht. Ewige Notwendigkeit seh' ich im Gang der Sterne da oben; und das gleiche, ewige Gesetz lenkt unsre Erde und die Geschicke des Menschen.»
«Aber dies Gesetz ist ohne Sinn?» fragte Julius.
«Nicht ohne Sinn, nur hat es nicht den Sinn und Zweck unsres Glückes. Sich selbst zu erfüllen ist sein einziger, hoher, geheimnisvoller Zweck. Und wehe den Toren, die da wähnen, ihre Tränen werden gezählt jenseits der Wolken. Oder auch vielleicht wohl ihnen - : ihr Wahn beglückt sie!»
«Und dein Denken», sprach Julius, «beglückt nicht. Ich sehe nicht ein, wofür, wozu du lebst, bei solcher Anschauung.»
«Das will ich dir sagen, Christ. Das Rechte tun, was Pflicht und Ehre heischen, ohne dabei auf tausendfache Verzinsung jeder Edeltat im Jenseits hinüber zu schielen: Volk und Vaterland, die Freunde männlich lieben und solche Liebe mit dem Blut besiegeln. Das Schlechte in den Staub treten, wo du es findest: - denn daß es schlecht sein muß, macht es nicht minder häßlich. Du tilgst auch Natter und Nessel, obwohl sie nicht dafür können, daß sie nicht Nachtigall und Rose - und dabei allem Glück entsagen, nur jenen tiefen Frieden suchen, der da unendlich ernst und hoch ist wie der prächtige Himmel, und wie leuchtende Sterne gehen darin auf und nieder traurige, stolze Gedanken -, und dem Pulsschlag des Weltgesetzes lauschen, der in der eignen Brust wie in dem Sterngetriebe geht, - auch das, Christ, ist ein Leben - des Lebens wert.»
«Aber schwer», seufzte Totila, «unendlich schwer; zu schwer für Menschenkraft. Nein, Teja, und kann ich nicht mit meinem frommen Freund in allen Stücken des Glaubens teilen, der die Zeit beherrscht, das ist doch ewig wahr, weil es meine Seele nicht entbehren kann; es lebt ein güt'ger Gott, der das Gute beschirmt und das Böse bestraft. In dieses gerechten Gottes Hand befehl' ich auch mich und unsres Volkes gerechte Sache. Und in diesem Glauben seh' ch morgen unsrem Sieg getrost entgegen. Das Recht ist mit mir -, das Recht kann nicht erliegen.»
«Das Recht erliegt oft vor dem Unrecht: Witichis vor
Cethegus!»
«Ja, auf Erden», fiel Julius ein: «denn nicht hier ist unsre Heimat. Es gibt ein Jenseits, in welchem alles sich gerecht erfüllt.»
«Das müßte sein, und klug ist die Vertröstung», sprach Teja, sich erhebend, einen bittern Zug um den schön und edel geschnittenen Mund. «Nur kann man das nicht denken - nur träumen. Und ich für mein Teil, ich habe genug. Ich wünsche nicht zu erwachen zu neuem Leben, wann mir dereinst der Speer im Herzen steckt.»
Da trat Graf Thorismut, von seinem Ritt zurückgekehrt, ins Gemach und sprach: «Getrost, Herr König, ich habe selbst noch einmal nachgesehen. Die Reiter des Korsen stehen auf dem rechten Fleck bereit. Schon sind auch die ersten seiner nachrückenden Hunderte eingetroffen. Aber dreihundert der Tapfersten erwartet er noch; du mögest morgen den Angriff der Langobarden hinhalten, bis er ihr Eintreffen dir melden lasse:
«Wohlan», rief heiter lächelnd Totila, den Goldpokal erhebend, «das will ich wohl durch Reiterkunst erreichen; und nun den letzten Becher! Suchen wir das Lager. Willst du, Teja? Die Schlacht von Taginä morgen entscheide unsern Streit. Ein wahres Gottesurteil! Ein Urteil Gottes selber, ob er lebt! Ich sage: es lebt ein Gott - drum siegt die gute Sache.»
«Haltet ein», rief Julius bewegt, «ihr sollt nicht Gott versuchen!»
«Siehst du», sagte Teja aufstehend und den Schild auf den Rücken werfend - «ihm bangt für seinen Gott.»
Leuchtend stieg am andern Morgen die Sonne am Himmel empor, und ihre ersten Strahlen fanden das Lager der Goten schon in kriegerischer Bewegung.
Als der König aus seinem Hause auf den Marktplatz von Taginä trat, eilten ihm Herzog Adalgoth, Graf Thorismut und Phaza, der Arsakide, der treu ergebene Gefangene von Neapolis, entgegen: «Heil, Herr, und Sieg. Hier sendet dir deine Braut dein milchweißes Schlachtroß und deine Waffen, reich geschmückt zum Siege.»
Und der König setzte auf das lang wallende Goldhaar den blitzenden, offenen, visierlosen Helm mit dem hoch ragenden Silberschwan, um dessen Hals und gewölbte Flügel Valeria ein Geflecht von roten Rosen gewunden. Und er streichelte Hveitfulas glänzenden Bug, dem Valeria Mähne und Schweif mit hochroten Bändern und goldenen Borten durchflochten hatte.
Klirrend schwang er sich in den Sattel.
Ein Mariskalk führte noch zwei Ersatzpferde für den König: darunter Pluto, des Präfekten unwillig schnaubenden Rappen.
Von seinen Schultern floß der weit wehende weiße Mantel, von einer breiten, schweren, mit Edelsteinen besetzten Riegelspange unter der Kehle zusammengehalten. Sein Panzer war von glänzendem Silber, reich mit Gold eingelegt, den fliegenden Schwan darstellend; die Enden des Harnisches, an den Armen, dem Halse und um den Gürtel, waren mit Purpurseide eingefaßt. Die Arme und Beine zeigten den Wappenrock von silberweißer Seide, der auch die Hüften bedeckte. Breite, goldne Ringe und Kampfhandschuhe schützten die Arme, Beinschienen die Knie und die Vorderseite der Füße. Der schmale, zierlich geschweifte, längliche Schild zeigte in drei Feldern Silber, Gold, Purpur und den fliegenden Schwan von weißer Lasur in dem Goldfeld. Purpurfarben und mit Silber besetzt waren Behäng und Riemenzeug des Rosses. In der Rechten schwang er den Speer, an dessen Spitze Valeria vier langflatternde Wimpel von purpurnen und weißen Bändern angebracht hatte, - fröhlich flatterten sie im Morgenwind.
So geschmückt und schimmerstrahlend ritt der König durch die Straßen von Taginä an der Spitze seiner Reiter: Graf Thorismut, Phaza, der Armenier, und Herzog Adalgoth, auch Julius beritten in seinem Gefolge; dieser ohne Trutzwaffen, aber mit dem Schilde von Tejas Waffengeschenk.
Niemals hatte er so herrlich in Schönheit geleuchtet.
Und alles Volk begrüßte ihn auf seinem Ritt mit jubelndem Zuruf. An dem Nordtor von Taginä ritt ihm Aligern entgegen.
«Du solltest ja auf dem rechten Flügel fechten», fragte der König. «Was führt dich zu mir?»
«Mein Vetter Teja hat befohlen», sprach Aligern, «ich sollte in deiner Nähe bleiben und dein Leben hüten.»
«Der unermüdlich Treubesorgte!» rief der König.
Aligern schloß sich an sein Gefolge.
Graf Thorismut übernahm nun in dem Städtlein den Befehl über das in den Häusern verborgene Fußvolk.
Vor dem Nordtor von Taginä ritt der König die Stirn seiner nicht starken Reiterschar ab und enthüllte jetzt den Reiterführern seinen Plan. «Ich mute euch das Schwerste zu, Waffenbrüder: Flucht. Aber die Flucht ist nur Schein, die Wahrheit ist euer Mut: - und der Feinde Verderben.»
Und nun ritt das kleine Geschwader auf der flaminischen Straße über die Stelle des Hinterhalts zwischen den beiden Hügeln vorbei. Der König überzeugte sich, daß des Korsen Perserreiter wachsam in beiden Hügelwäldern lauerten; zur Rechten von Furius selbst, zur Linken von ihrem Häuptling Isdigerd geführt.
In Caprä durchs Südtor eingeritten, schärfte Totila dem hier verteilten Fußvolk der Bogenschützen unter Graf Wisand, dem Bandalarius, nochmal ein, erst wann die persischen Reiter ihren Angriff auf die Langobarden gemacht, aus den Häusern, wo sie bis dahin verborgen lagen, wie aus dem Südtor vorzubrechen und Alboin im Rücken zu fassen, indes aus Taginäs Nordtor das speertragende Fußvolk entgegenstürme.
«So werden die Langobarden und was etwa von des Narses Fußvolk nachdringt, zwischen Caprä und Taginä von allen vier Seiten zugleich umfaßt und erdrückt, von mir und Thorismut von vorn, von Furius und Isdigerd aus den Flanken, von Wisand im Rücken. Sie sind verloren.»
«Sieht er nicht aus wie der Sonnengott?» fragte Adalgoth entzückt den Mönch.
«Still! keinen Götzendienst mit Sonne oder Menschen. Und heut' ist Sonnenwende!» antwortete dieser.
Nun erreichte der König das Nordtor von Caprä, ließ es öffnen und sprengte mit seiner dünnen Schar auf das weite Blachfeld vor Caprä gegenüber Helvillum.
Hier hielt das Mitteltreffen des Narses gerade gegenüber. In erster Reihe Alboin mit seinen langobardischen Reitern: hinter diesen, in weitem Zwischenraum, Narses in seiner Sänfte, umgeben von Cethegus, Liberius, Anzalas und andern Führern.
Narses hatte eine böse Nacht, mit leichten Krampfanfällen, hinter sich: er war schwach und konnte sich nicht lange stehend erhalten in seiner zu Boden gestellten, offenen Sänfte. Er hatte Alboin noch einmal eingeschärft, nicht anzugreifen ohne ausdrücklichen Befehl.
König Totila gab nun seinen Reitern das Zeichen: und im Trabe ging die schmale Reihe gegen die gewaltige Übermacht der Langobarden vor. «Sie werden uns doch nicht den Schimpf antun, mit den paar Lanzen uns anzugreifen!» rief Alboin.
Angriff schien zunächst nicht des Königs Zweck.
Er war den Seinen, die plötzlich halt gemacht, weit vorangeritten und zog nun aller Augen durch seine Reiter- und Fechterkunst auf sich. Den Byzantinern war das Schauspiel, das er gewährte, so wundersam, daß die Augenzeugen es mit Staunen Prokop berichteten, der, selber staunend, uns davon erzählt. «An diesem Tage», schreibt er, «wollte König Totila seinen Feinden zeigen, welch ein Mann er sei. Seine Waffen, sein Roß schimmerten von Gold. Von der Spitze seines Speers flatterten der schimmernden Purpurwimpel so viele, daß schon dieser Schmuck von fern den König verkündete. So pflog er, auf herrlichem Roß, in der Mitte zwischen beiden Schlachtreihen, kunstvollen Waffenspiels. Er ritt bald Kreise, bald zierliche Halbkreise zur Rechten und Linken, warf im Galopp den bänderreichen Speer hoch über sein Haupt in die Luft und fing ihn, ehe der zitternde niederfiel, geschickt in der Mitte des Schaftes, bald mit der Rechten, bald mit der Linken: und er zeigte so vor den staunenden Heeren seine Reit- und Waffenkunst.» Nach der Schlacht erfuhren übrigens auch die Byzantiner, daß die Absicht, Zeit zu gewinnen, bis eine erwartete Schar Reiter einträfe, der ernste Grund des heitern Spiels gewesen.
Eine Weile sah sich Alboin dies mit an. Dann rief er dem neben ihm haltenden Langobardenführer zu: «Der reitet in die Schlacht, wie zur Hochzeit geschmückt. Welch kostbares Rüstzeug! Das sieht man nicht bei uns daheim, o Vetter Gisulf! Und noch immer nicht angreifen dürfen! Schläft denn Narses wieder?»
Endlich sprengte ein persischer Reiter, durch die Reihe der Goten sich Bahn brechend, an den König heran: er brachte eine Meldung und jagte spornstreichs zurück.
«Nun endlich!» sprach Totila, «jetzt ist's genug des Spiels! -Tapfrer Alboin, Audoins Sohn», rief er laut hinüber, «so willst du wirklich für die Griechen fechten, gegen uns? Wohlan, so komm, Königssohn -: dich ruft ein König!»
Da hielt sich Alboin nicht länger: «Mein muß er werden mit Panzer und Roß», schrie er und sprengte mit eingelegter Lanze wütend heran.
Totila brachte, mit leisestem Schenkeldruck, sein tänzelndes Pferd plötzlich zum Stehen: er schien den Stoß erwarten zu wollen. Schon war Alboin heran. Da: - abermals ein leiser Schenkeldruck und ein feiner Seitensprung des Pferdes: - und an Totila vorbei sauste der Langobarde. Im Augenblick aber war Totila in seinem Rücken - und ohne Mühe hätte er ihn mit dem gezückten Schwert von hinten durchbohrt.
Laut auf schrien die Langobarden und eilten ihrem Königssohn zu Hilfe.
Aber Totila schwenkte die Lanze in seiner Hand herum und begnügte sich, mit dem stumpfen Schaftende dem Gegner einen solchen Stoß in die linke Seite zu geben, daß er auf der rechten Seite aus dem Sattel zur Erde flog.
Ruhig ritt darauf Totila zu seiner Reihe zurück, den Speer über dem Haupte schwenkend.
Alboin war wieder zu Pferd gestiegen und führte nun den Angriff seiner Geschwader auf die schwache gotische Reihe.
Aber bevor der Anprall erfolgte, rief der König: «Flieht! Flieht in die Stadt!» warf sein Roß herum und jagte davon, auf Caprä zu. Eilfertig folgten ihm seine Reiter.
Einen Augenblick stutzte Alboin verblüfft. Aber gleich darauf rief er: «Es ist nicht anders. Es ist eitel Flucht! Da rennen sie schon in das Tor. Ja, Reiterkunststücke und Kampf sind zweierlei. Nach, meine Wölflein! Hinein in die Stadt.»
Und sie sprengten auf Caprä los, rissen das von den
Fliehe nden nur zugeworfene, nicht verriegelte Nordtor auf und jagten durch die lange Hauptstraße auf das Südtor zu, durch welches eben die letzten Goten verschwanden.
Narses hatte sich in seiner Sänfte mühsam aufrecht erhalten bis jetzt und alles mit angesehen. «Halt», rief er nun heftig. «Halt! Blast die Tuba! Blast zum Halten! Zum Rückzug! Es ist die plumpste Falle der Welt! Aber dieser Alboin meint, es muß Ernst sein, wenn einer vor ihm läuft.»
Aber die Trompeter hatten gut blasen. Das Siegesgeschrei der verfolgenden Langobarden übertönte das Signal: oder die es hörten, verachteten es.
Stöhnend sah Narses die letzten Reihen der Langobarden in dem Tore von Caprä verschwinden.
«Ach», seufzte er, «so muß ich sehenden Auges eine Torheit begehen. Ich kann sie nicht untergehen lassen für ihre Dummheit, wie sie es verdienten. Ich brauche sie noch. Also vorwärts, im Namen des Unsinns! Bis wir sie einholen, können sie schon halb zerhauen sein. Vorwärts, Cethegus, Anzalas und Liberius, mit den Isauriern, Armeniern und Illyriern. Hinein nach Caprä. Aber bedenkt, die Stadt kann nicht leer sein! Es ist eine Falle, in die wir jenen Stieren nachspringen, mit sehenden Augen. Meine Sänfte folgt euch. Aber ich kann nicht mehr stehen.» Und er lehnte sich müde zurück: ein leiser Schauer, wie er ihn oft in der Aufregung ergriff, schüttelte ihn.
Im Sturmschritt eilte des Cethegus und Liberius Fußvolk gegen die Stadt: beide Führer ritten voraus.
Inzwischen hatten Fliehende und Verfolger das schmale Städtlein durchflogen, auch die letzten Langobarden Caprä durcheilt und die ersten derselben mit Alboin die Stelle der flaminischen Straße halbwegs vor Taginä erreicht, wo die beiden Waldhügel links und rechts die Straße einengten.
Noch eine Pferdelänge floh der König : dann hielt er, wandte sich und winkte. Adalgoth an seiner Seite stieß ins Horn -: da brach aus dem Nordtor von Taginä Thorismut mit den Speerträgern: und aus dem Doppelhinterhalt stürzten von links und rechts, mit gellendem Zinkengeschmetter, die persischen Reiter des Korsen.
«Jetzt kehrt, meine Goten, vorwärts zum Angriff! Jetzt wehe den Getäuschten.»
Ratlos blickte Alboin nach allen drei Seiten. «So übel sind wir noch nirgends reingetrabt, meine Wölflein!» sagte er. Er wollte zurück. Aber aus dem Südtor von Caprä, den Rückweg sperrend, brach nun gotisches Fußvolk.
«Jetzt heißt's nur noch lustig sterben, Gisulf. Grüße mir Rosimunda, wenn du davonkommen solltest.» Und so wandte er sich gegen einen der Reiterführer mit reichem, offnem Goldhelm, der nun die Straße erreicht hatte und gerade auf ihn einsprengte.
Schon waren sie ganz nahe aneinander: da rief der mit dem Goldhelm: «Wende, Langobarde! Dort stehen unsre gemeinsamen Feinde. Nieder mit den Goten.»
Und schon durchrannte er einen gotischen Reiter, der Alboin bedrohte.
Und schon hieben auf beiden Seiten die persischen Reiter, an den Langobarden vorüberjagend, auf die entsetzten Goten ein.
Einen Augenblick noch hielten diese, überrascht, inne.
Aber als sie sahen, daß es kein Mißverständnis war - daß der Hinterhalt ihnen, nicht den Langobarden galt -, da riefen sie: «Verrat! Verloren!» und stoben, diesmal in unverstellter Flucht, zurück gegen Taginä, alles mit sich fortreißend, ihr eigenes, eben aus dem Tore rückendes Fußvolk niederreitend.
Auch aus des Königs Antlitz wich die Farbe, als er den Korsen an der Seite Alboins auf die Goten einhauen sah.
«Ja, das ist Verrat!» rief er. «Ah, der Tiger! Nieder mit ihm!» Und er sprengte auf den Korsen los. Aber bevor er ihn erreichen
konnte, war von der linken Seite her Isdigerd, der Perser, mit seiner Schar, zwischen dem König und dem Korsen, auf die Straße gestürmt. «Auf den König!» rief er den Seinigen zu. «Alle Wurfspeere auf den König! Der dort, der Weiße! mit dem Schwanenhelm! Alle auf den.»
Ein Hagel von Wurfspeeren sauste durch die Luft.
Im Nu starrte des Königs Schild von Geschossen.
Da erkannte auch der Korse von weitem die hohe, die leuchtende Gestalt. «Er ist's! Mein muß sein Herzblut werden.» Und er bahnte sich einen Weg durch seine und Isdigerds Reiter. Nur einige Pferdelängen trennten noch die ergrimmten Feinde. Vorher traf noch Totila auf Isdigerd. Augenblicks flog dieser, vom König durch Hals und Genick gestoßen, tot vom Pferd.
Alsbald mußten nun Totila und Furius sich begegnen.
Schon hob der Korse zielend den Wurfspeer: er zielte auf das offene, ungedeckte Antlitz des Königs.
Aber plötzlich war der leuchtende Schwanhelm verschwunden und der helle Mantel.
Zwei Wurfspeere hatten des Königs weißes Roß niedergestreckt und gleichzeitig ein dritter seinen Schild durchbohrt und seinen Schildarm schwer getroffen. Roß und Reiter stürzten.
Wild jauchzten die Perser Isdigerds und drangen ein: auch Furius und Alboin spornten ihre Rosse vor.
«Schont des Königs Leben! Nehmt ihn gefangen! Er hat auch mich verschont!» rief Alboin.
Denn tief gerührt hatte ihn, was ihm Gisulf erzählt, der Totila deutlich die Lanzenspitze mit dem Schaftende vertauschen gesehn.
«Nein! Nieder mit dem König!» rief Furius.
Und schon war er heran und warf den Speer auf den Verwundeten, den eben Aligern auf des Präfekten Rappe hob und aus dem Gefecht führen wollte. Jenen ersten Wurfspeer des Korsen fing Julius mit dem trefflichen Schilde Tejas auf. Furius ließ sich einen zweiten Wurfspeer reichen und zielte auf das Gedränge um den König: Phaza, der Arsakide, wollte den Speer mit dem Schilde fangen, aber durch Schild und Panzer flog er, der wutbeflügelte, ihm ins Herz.
Da schwang Furius, der sein Roß nun ganz nahe herangespornt hatte, den langen, krummen Säbel gegen den König. Jedoch ehe der Streich fiel, flog der Korse rücklings aus dem Sattel. Der junge Herzog von Apulien hatte ihm den Fahnenspeer mit aller Kraft gegen die Brust gerammt, daß der Schaft brach.
Allein nun geriet Totilas Banner - das kunstvolle und kostbare Werk Valerias und ihrer frommen Schar - in äußerste Gefahr in Adalgoths Hand. Denn alle Reiter drängten jetzt auf den kühnen, jungen Fahnenträger ein: - der Beilhieb des Langobarden Gisulf traf den Schaft, der nochmal splitterte. Rasch entschlossen riß Adalgoth das Seidentuch von der gebrochenen Fahnenstange und barg es fest im Schwertgurt.
Nun war Alboin heran und rief dem König zu:
«Gib dich gefangen, Gotenkönig: mir, dem Königssohn.»
Da war Aligern mit seiner Arbeit, den König auf des Präfekten Rappen zu heben, fertig: er wandte sich gegen den Langobarden. Dieser wollte des Königs Flucht hemmen und doch den König nicht töten; er führte, sich tief vorbeugend, einen Speerstoß gegen den Rappen, der dessen Hinterbug traf. Aber im gleichen Moment schlug ihn Aligern durch den geiergeflügelten Helm: betäubt wankte er im Sattel.
So gewannen, nachdem die Führer der Verfolgung für den Augenblick gelähmt, Adalgoth, Aligern und Julius Zeit, den König aus dem Getümmel zu führen bis an das Nordtor von Taginä.
Hier hatte Graf Thorismut seine Speerträger wieder geordnet.
Der König wollte daselbst den Kampf leiten, aber er vermochte kaum, sich im Sattel zu halten. «Thorismut», befahl er, «du hältst Taginä; Caprä wird einstweilen verloren sein. Ein Eilbote holt Hildebrands ganzen Flügel zurück hierher: es muß die Straße nach Rom um jeden Preis gehalten werden. Teja ist, wie ich erfahren, schon mit seinem Flügel im Gefecht -: Deckung des Abzugs nach Süden -: das ist die letzte Hoffnung.» Und das Bewußtsein verging ihm.
Graf Thorismut aber sprach: «Ich halte Taginä mit meinen Speerträgern bis auf den letzten Mann. Reiter kommen mir nicht herein: die Perser nicht und die Langobarden nicht: ich decke dem König Leben und Rücken, solang ich eine Hand heben mag. Schafft ihn weiter zurück -: auf die Berge dort, ins Kloster - aber rasch! -: Denn schon naht dort, aus dem Südtor von Caprä, die Entscheidung -: des Narses Fußvolk, und seht dort -: Cethegus der Präfekt mit den Isauriern. Caprä und unsere Schützen sind verloren.»
Und so war es.
Wisand hatte, dem Befehle gemäß, Caprä nicht verteidigt, sondern Cethegus und Liberius eindringen lassen: erst als sie darin waren, begann der Straßenkampf und bedrohte zugleich die Langobarden-Reiter auf der Straße, indem er eine Tausendschaft gegen sie aus dem Südtore schickte.
Aber da der Angriff der Perser auf dem Hinterhalt die Goten traf, nicht die Langobarden, da jene, Alboin und Furius vereint, die wenigen Gotenreiter vernichteten oder zerstreuten und der Angriff der Speerträger von Taginä her ausblieb, wurden die gotischen Schützen zuerst in Caprä selbst, dann auf der flaminischen Straße zwischen Caprä und Taginä von der furchtbaren Übermacht rasch erdrückt.
Verwundet entkam, wie durch ein Wunder, Wisand nach Taginä und meldete dort die Vernichtung der Seinen. Des Narses Sänfte wurde nach Caprä eingetragen: und der Sturm der
Illyrier auf Taginä begann. Graf Thorismut widerstand heldenhaft: er focht, den Goten den letzten Ausweg zu decken.
Bald wurde er durch Tausendschaften von Hildebrands in Eile herangezogenem Flügel verstärkt, während den größten Teil seiner Truppen der alte Waffenmeister südlich hinter Taginä herum auf die Straße nach Rom führte.
Eben als der Sturm auf Taginä beginnen sollte, traf Cethegus auf Furius und Alboin, die sich von ihren Stößen erholt hatten. Cethegus hatte das allentscheidende Eingreifen des Korsen erfahren. Er schüttelte ihm die Hand.
«Siehe da, Freund Furius: endlich doch auf der rechten Seite -gegen den Barbarenkönig.»
«Er darf nicht lebend entkommen», knirschte der Korse.
«Was? Wie? Er lebt noch? Ich denke - er fiel?» forschte Cethegus hastig.
«Nein, sie haben ihn noch herausgehauen, den Wunden.»
«Er darf nicht leben», rief Cethegus, «du hast recht! Das ist wichtiger, als Taginä erobern. Diese Heldentat kann Narses von der Sänfte aus vollbringen. Sie sind siebzig gegen sieben. Auf, Furius: wozu stehen deine Reiter hier müßig?»
«Die Gäule können nicht die Mauern hinaufreiten.»
«Nein, aber schwimmen können sie. Auf, nimm du dreihundert, gib mir dreihundert. Zwei Wege führen links und rechts vom Städtlein über - nein! die Brücken haben sie abgebrochen - also: durch den Clasius und durch die Sibola - laß ihn uns verfolgen. - Gewiß ist der wunde König... - kann er noch kämpfen?»
«Schwerlich.»
«Dann ist er über Taginä geflüchtet worden - nach Rom oder -
»
«Nein, zu seiner Braut!» rief Furius: «Gewiß zu Valeria ins Kloster. Ha, in ihren Armen will ich ihn erdolchen! Auf, ihr
Perser, folgt mir. Dank, Präfekt! Nimm Reiter, soviel du willst. Und reite du rechts. Ich reite links um die Stadt: denn zwei Wege führen nach dem Kloster.» Und schon war er, links abschwenkend, verschwunden.
Cethegus redete den Rest der Reiter persisch an und befahl ihnen, ihm zu folgen. Dann ritt er zu Liberius heran und sprach: «Ich fange den Gotenkönig.» - «Wie? Er lebt noch? Dann eile.»
«Nimm du einstweilen dies Taginä», fuhr Cethegus fort: «ich lasse dir meine Isaurier.» Und er sprengte mit Syphax und dreihundert Persern, rechts umschwenkend, davon.
Einstweilen hatten den wunden König die Freunde durch Taginä hinaus in ein kleines Piniengehölz an der Straße gebracht, wo er aus einer Quelle trank und sich etwas erholte. «Julius», mahnte er, «reite hinauf zu Valeria. Sag' ihr, diese Schlacht sei verloren: aber nicht das Reich, nicht ich, nicht die Hoffnung. Ich reite, sowie ich mich gekräftigt, hinauf nach der Spes bonorum: in jene feste hohe Stellung habe ich Teja und Hildebrand beschieden nach Lösung ihrer Aufgaben. Geh, ich bitte, tröste die Geliebte und bringe sie selbst aus dem Kloster dorthin. Du willst nicht? Dann reit' ich selbst den steilen Weg ins Kloster: nimm mir das doch ab.»
Nicht gern schied Julius von dem Wunden.
«O hebe mir Helm und Mantel ab: sie sind so schwer», bat dieser, Julius löste ihm beide.
Da durchzuckte den Mönch ein Gedanke: hatten sie nicht schon einmal die Gewande getauscht, die Dioskuren? Und hatte er nicht schon einmal den Mordstahl dadurch von Totila auf sich gezogen? Und nun kam ihm blitzschnell: - wenn sie verfolgt wurden? - denn ihm war, als höre er Rosse eilend nahen, und Aligern - Adalgoth hielt des Königs Haupt in seinem Schoß -war an den Waldeingang geeilt, zu spähen. «Ja: sie sind's», rief dieser jetzt zurück: «persische Reiter nahen von zwei Seiten dem Wald.»
«Dann eile, Julius», bat Totila, «rette Valeria auf das feste Grab zu Teja.»
«Ja, ich eile, mein Freund! Auf Wiedersehn!» Und er drückte ihm nochmal die Hand. Dann bestieg er den Rappen Pluto: - er wählte das verwundete Roß, dem Freund das eigne, noch unversehrte überlassend. Rasch setzte er, ungesehen von Totila, den Schwanenhelm aufs Haupt, warf den weißen, blutbespritzten Mantel um und sprengte aus dem Walde gegen die Klosterhöhe. «Dieser Weg», sagte er sich, «ist ganz offen und ungedeckt, dagegen der des Königs nach dem Grab geht durch Wald und Weinberge. Vielleicht gelingt es, die Verfolgung auf mich und von ihm abzuziehen.»
Und in der Tat, kaum war er aus dem Gehölz ins Freie gelangt und begann, bergan zu reiten, als er sah, wie die Reiter, die um Taginä herumgeschwenkt waren, ihm eifrig folgten. Um so lang als möglich die Verfolger von dem König abzulenken, so spät als möglich erst die Erkennung des Irrtums herbeizuführen, trieb er sein Roß zu höchster Eile. Aber der Rappe war wund: und es ging sehr steil einen steinigen Hang hinan. Näher und näher brausten die Verfolger.
«Ist er's?» - «Ja, er ist's.» - «Nein, er ist's nicht. Er ist zu klein», sagte der Führer, der als der vorderste ritt. «Und sollte er ganz allein fliehen?» - «Das wäre freilich das klügste, was er tun könnte, zu entkommen», meinte der Führer. «Freilich ist er's, der Schwanenhelm» - «Der weiße Mantel!» - «Aber er ritt ein weißes Roß?» fragte der Führer. -
«Ja, zuerst», antwortete einer der Reiter. «Aber als das fiel von meinem Speer - da hoben sie ihn - ich stand ja dabei - auf diesen Rappen.»
«Gut», rief der Führer, «genug, dann hast du freilich recht.
Und ich kenne den Rappen.»
«Ein edles Tier! Wie es aushält, bergan, obwohl es blutet.»
«Ja, er ist edel! Und er soll stehen, der Rappe, gebt acht: Halt, Pluto! auf die Knie.» Und zitternd, schnaubend hielt das kluge, treue Roß, trotz Sporn und Schlag, und senkte langsam die Vorderfüße in den Sand.
«Verderben bringt's, Barbar, des Präfekten Roß zu reiten! Da! Nimm das für's Forum! und das für's Kapitol! und das für Julius!»
Und wütend schleuderte der Führer drei Wurfspeere nacheinander, den eigenen und zwei von Syphax, die er diesem entriß, in den Rücken, daß sie vorn herausdrangen, sprang vom Roß, zog das Schwert heraus und riß des zur Erde Gestürzten Haupt an dem Helm empor.
«Julius!» schrie er entsetzt.
«Du, o Cethegus?»
«Julius! Du darfst nicht sterben.» Und leidenschaftlich suchte er das Blut zu hemmen, das dem aus drei Wunden floß.
«Wenn du mich liebst», sprach der Sterbende - «rette ihn: -rette Totila!» Und die sanften Augen schlossen sich für immer.
Cethegus tastete nach dem Herzen: er legte ihm das Ohr auf die entblößte Brust.
«Es ist aus», sagte er dann tonlos. «O Manilia! Julius - dich hab' ich geliebt. Und er starb, seinen Namen auf den Lippen! Es ist vorbei», sprach er dann grimmig. «Das letzte Band, das mich an Menschenliebe fesselte, - ich mußt' es selbst zerhaun, durch höhnisch äffenden Zufall. Es war die letzte Schwäche. Jetzt, Menschheit, bist du mir tot. Hebet ihn auf das edle Pferd: das, mein Pluto, sei dein letzter Dienst im Leben: und bringt ihn... -dort oben ragt eine Kapelle: dorthin bringt ihn: und laßt ihn durch Priester feierlich bestatten. Sagt da oben nur: er hat als Mönch geendet - er starb für seinen Freund. Er verdient ein christlich Begräbnis. Ich aber», schloß er furchtbar, «ich gehe, nochmal seinen Freund zu suchen: ich will sie rasch vereinigen -auf ewig.» Und er stieg wieder zu Pferd.
«Wohin?» fragte Syphax, «zurück nach Taginä?»
«Nein! Dort hinab in jenen Wald. Da wird er geborgen sein.
Denn daher kam Julius.»
*
Während dieser Vorfälle hatte sich der König erholt und erkräftigt und ritt auf dem Pferde des Julius mit Adalgoth, Aligern und einigen Reitern geradeaus durch den Wald, an dessen östlichem Saum der Weg zu dem Kapellenhügel emporstieg: schon sahen sie die weißen Mauern deutlich schimmern, als sie aus dem Waldweg bogen.
Aber da erscholl vom Süden, von ihrer rechten Seite her, gellendes Geschrei: und über das offene Blachfeld sprengte, von dem Calsius her, eine starke Schar von Reiten gegen sie an.
Der König erkannte den Führer. Und ehe seine Begleiter ihm zuvorkommen konnten, spornte er sein Roß, fällte den Speer und schoß dem Feind entgegen. Wie zwei Blitze, aus sich entgegengrollenden Gewittern, trafen die beiden Reiter zusammen.
«Übermütiger Barbar!»
«Elender Verräter!»
Und beide sanken vom Roß. Mit solcher Wucht waren sie aufeinandergeprallt, daß keiner der Deckung, jeder nur des Stoßes gedacht hatte.
Furius Ahalla war tot vom Roß gestürzt, denn der König hatte ihm den Speer mit solcher Kraft durch den Goldschild und den Panzer in das Herz gestoßen, daß der Schaft in der Wunde brach.
Aber auch der König sank sterbend in Adalgoths Arme: der Lanzenstoß hatte ihn gerade unter der Kehlgrube in Hals und
Brust getroffen.
Adalgoth riß Valerias blaues Bannertuch hervor aus dem Gürtel und suchte das strömende Blut zu hemmen -, umsonst -: das helle Blau war sofort tief gesättigt vom Rot.
«Gotia!» hauchte er noch, «Italia - Valeria!»
In diesem Augenblick, ehe das ungleiche Gefecht beginnen konnte, erreichte Alboin mit seinen Langobarden-Reitern die Stelle: er war dem Korsen gefolgt, ungewillt, müßig zu bleiben, während des Mauerkampfes um Taginä.
Schweigend, ernst, gerührt sah der Langobardenfürst auf die Leiche des Königs. «Er hat mir das Leben geschenkt - ich konnte seins nicht retten», sprach er ernst.
Einer seiner Reiter wies auf die reiche Rüstung des Toten.
«Nein», sprach Alboin: «dieser königliche Held muß bestattet werden in allen Ehren königlicher Waffen.»
«Dort oben, auf der Felshöhe, Alboin», sprach Adalgoth traurig, «harret seiner längst die Braut und - selbstgewählt, das Grab.»
«Bringt ihn hinauf: ich gebe frei Geleit der edeln Leiche und den edeln Trägern. Ihr Reiter, folgt mir zurück in die Schlacht.»
Aber die Schlacht war aus: wie Alboin und auch der Präfekt zu ihrem größten Staunen und Verdruß erfuhren, als sie wieder bei Taginä eintrafen.
Den Präfekten hatte, als er eben in den Pinienwald von Norden her eingebogen war und hier des Königs Spur verfolgen wollte, ein Eilbote des Liberius erreicht, der ihm gebot, augenblicklich zurückzukehren: Narses sei bewußtlos: und höchste Gefahr verlange augenblicklich Entscheidung.
Narses bewußtlos, - Liberius ratlos, - der schon sicher
geglaubte Sieg gefährdet: - das wog doch schwerer als die zweifelhafte Aussicht, dem halbtoten König den Todesstoß zu geben. Eilig sprengte Cethegus zurück des Weges, den er gekommen, nach Taginä.
Hier rief ihm Liberius entgegen: «Zu spät: ich habe alles schon abgeschlossen und bewilligt. Waffenstillstand. Der Rest der Goten zieht ab.»
«Was?» donnerte Cethegus, - er hätte gern alles gotische Blut als Grabopfer auf seines Lieblings Grab geschüttet «Abzug? Waffenstillstand? Wo ist Narses?»
«Bewußtlos liegt er in seiner Sänfte: in argen Krämpfen. Der Schreck, die Überraschung - es warf ihn nieder - und kein Wunder!»
«Welche Überraschung? Rede, Mensch!»
Und kurz erzählte Liberius, daß sie unter furchtbarem Blutvergießen, «denn diese Speer-Goten standen wie die Mauern» - in Taginä eingedrungen waren und im Straßenkampf Haus für Haus, ja Gemach für Gemach, erstürmen mußten -«Zoll für Zoll mußte man zerhacken einen Führer, der, den einstürmenden Anzalas durchrennend, in die Mauerbresche gesprungen war, bis man, über ihn hinweg, in die Stadt drang.»
«Wie hieß er?» forschte Cethegus eifrig, «hoffentlich Graf Teja?»
«Nein, Graf Thorismut. - Als wir halbwegs fertig waren mit der Blutarbeit und Narses sich in die Stadt tragen lassen wollte, da traf ihn, im Tore von Taginä, als Bote von unserem linken Flügel der nicht mehr besteht! - gotische Herolde ritten mit ihm - der verwundete Zeuxippos.»
«Wer hat -?»
«Er, den du vorhin nanntest: - Graf Teja! Er übersah oder erfuhr, daß der Seinen Mitteltreffen schwer bedroht, der König verwundet sei: da, erkennend wohl, daß er viel zu spät kommen würde, die Entscheidung bei Taginä zu wenden, faßte er einen kühnen, einen verzweifelten Entschluß. Er warf sich plötzlich aus seiner abwartenden Ruhe von den Bergen auf unsern linken, ihm entgegenstehenden Flügel, der langsam gegen ihn bergan rückte, schlug ihn im ersten Anlauf, verfolgte die Fliehenden ins Lager und nahm dort Zehntausend der Unsern, darunter meinen Orestes, Zeuxippos und alle Führer gefangen. Er schickte Zeuxippos, gebunden, mit gotischen Herolden, die Wahrheit zu bestätigen, und forderte sofortigen Waffenstillstand auf vierundzwanzig Stunden.»
«Unmöglich!» rief Cethegus.
«Sonst habe er geschworen, alle zehntausend Gefangenen, -samt den Feldherren! - zu töten.»
«Gleichviel», meinte der Präfekt.
«Dir mag es gleichviel sein, Römer: was liegt dir an einer Myriade unserer Truppen? Aber nicht so Narses. Die furchtbare Überraschung, die schrecklichere Notwendigkeit der Wahl erschütterte ihn bis ins Mark: ein arger Anfall seiner Krankheit warf ihn nieder, mir reichte er sinkend noch den Feldherrnstab, und ich, natürlich, nahm den Vorschlag an»
«Natürlich: Pylades muß den Orestes retten», zürnte Cethegus.
«Und zehntausend Mann des kaiserlichen Heeres.»
«Mich bindet der Vertrag nicht», rief Cethegus, «ich greife wieder an». - «Das darfst du nicht! Teja hat seine Gefangenen größtenteils und alle Feldherren als Geiseln mitgeführt: - er schlachtet sie, fliegt noch ein Pfeil.»
«Er schlachte sie! Ich greife an.»
«Sieh zu, ob dir die Byzantiner folgen. Sofort habe ich deinen Scharen des Narses Befehl mitgeteilt. Denn ich bin jetzt Narses.»
«Des Todes bist du, sowie Narses zu sich kommt.»
Aber Cethegus erkannte, daß er mit seinen Söldnern allein den Goten nichts anhaben konnte, die nun (nachdem sich Teja mit seinen Gefangenen auf den Kloster- und den Kapellenhügel und die flaminische Straße zurückgezogen und auch Hildebrands Flügel mit nicht allzu schweren Verlusten diese Straße erreicht: - anfangs hatten die beiden Flüsse, dann der verkündete Waffenstillstand die Verfolgung durch Johannes gehemmt -) die Reste ihrer Truppen, die beiden Flügel, in eine feste Stellung versammelt hatten.
Sehnsüchtig harrte Cethegus auf die Herstellung des Narses, der, so hoffte er, den von seinem Stellvertreter geschlossenen Vertrag nicht anerkennen würde.
Inzwischen hatten Teja und Hildebrand von beiden Flügeln her den Kapellenhügel des Numa erreicht, wohin, wie ihnen gemeldet war, der verwundete König gebracht worden. Nachricht von den späteren Vorgängen hatte sie noch nicht erreicht.
Noch außerhalb der Umwallung des Kapellenbaus hatten sich beide Führer über den Plan geeinigt, den sie dem König vorschlagen wollten: gab es doch keinen andern Ausweg als schleunigen Rückzug gen Süden unter dem Schutz des Waffenstillstands.
Aber als sie nun in das Innere des ummauerten Haines traten -welcher Anblick bot sich ihnen dar!
Laut aufschluchzend eilte Adalgoth Teja entgegen und führte ihn an der Hand an den efeuumgrünten Sarkophag des Numa.
In diesem lag auf seinem Schilde König Totila: die ernste Majestät des Todes verlieh den edeln Zügen eine Weihe, die schöner war, als je der Schimmer der hellen Freude auf diesem herrlichen Antlitz gestrahlt hatte.
Links von ihm ruhte, in der längst von dem Sarkophag gelösten, gewölbten Deckelplatte, Julius: - die Ähnlichkeit der Dioskuren trat nun, unter dem gemeinsamen Schatten des Todes, wieder ergreifend hervor.
In der Mitte aber der beiden Freunde war auf des Königs blutüberströmtem weißen Mantel von Gotho und Liuta eine dritte Gestalt gebettet worden: auf einem sanft erhöhten Hügel, das edle Haupt an der Zisterne Rand gelehnt, lag Valeria, die Römerin.
Entboten von dem nahe gelegenen Kloster, den verwundeten Geliebten in Empfang zu nehmen, hatte sie sich, ohne Seufzer, ohne Wehegeschrei, über den breiten Schild geworfen, auf welchem Adalgoth und Aligern ihn langsam, feierlichen Schrittes, durch die Mauerpforte trugen.
Ehe noch einer der beiden gesprochen, rief sie: «Ich weiß es: -er ist tot.»
Sie hatte noch geholfen, die schöne Leiche in dem Sarkophag des Numa beizusetzen. Dazu hatte sie, ohne Träne, mit leiser Stimme, vor sich hingesprochen:
«Siehest du nicht, wie schön von Gestalt, wie schimmernd Achilleus? Dennoch harret auch seiner der Tod und das dunkle Verhängnis, Wenn auch ihm in des Kampfes Gewühl das Leben entschwindet, Ob ihn ein Pfeil von der Sehne dahinstreckt oder ein Wurfspeer. Doch mir sei dann vergönnt, in die Schatten zu tauchen des Todes.»
Dann zog sie ruhig, langsam, ohne Hast, den Dolch aus seinem Gürtel, und mit den Worten: «Hier, strenger Christengott, nimm meine Seele hin! So lös' ich das Gelübde», stieß sich die Römerin den scharfen Stahl ins Herz.
Cassiodor, ein kleines Kreuz von geweihtem Zedernholz in der Hand, schritt betend, tief erschüttert - Tränen rieselten über das ehrwürdige Antlitz in den weißen Bart - von einer der drei Leichen zu der andern.
Und leise stimmten die frommen Frauen des Klosters, die Valeria begleitet hatten, zu feierlicher, einfacher Weise den Choral an:
Vis ac splendor seculorum, Belli laus et flos amorum Labefacta mox marcescunt: - Dei laus et gratia sine Aevi termino vel fine In eternum perflorescunt.
(Bald in Asche muß vergehen, Was wir stark, was lieblich sehen, Aller Stolz und Schmuck der Zeit: - Gottes Gnade sonder Wanken, Gottes Liebe sonder Schranken Walten fort in Ewigkeit.)
Allmählich hatte sich der Hain mit Kriegern gefüllt, die den Führern, darunter den Grafen Wisand und Markja, vermöge der Waffenruhe unbehindert, gefolgt waren.
Schweigend hatte Teja des weinenden Adalgoth Bericht mit angehört. Nun trat er an des Königs Leiche dicht heran.
Schweigend, ohne Träne, legte er die gepanzerte Rechte auf des Königs Wunde, beugte sich über ihn und flüsterte dem Toten zu: «Ich will's vollenden.»
Dann trat er zurück unter einen hochragenden Baum, der sich über einem vergessenen Grabhügel erhob, und sprach zu der kleinen Schar, die ehrfurchtsvoll, schicksalergriffen, schweigend, diese Stätte des Todes umgab:
«Gotische Männer: die Schlacht ist verloren. Und das Reich dazu. Wer unter euch zu Narses gehen, sich dem Kaiser unterwerfen will - ich halte keinen. Ich aber bin gewillt, fortzukämpfen bis ans Ende. Nicht um den Sieg: um freien Heldentod. Wer den mit mir teilen will, der bleibe. Ihr alle wollt es? Alle? Gut.»
Da fiel Hildebrand ein: «Der König ist gefallen. Die Goten können nicht, auch um zu sterben nicht, kämpfen ohne König. Athalarich: - Witichis: - Totila: - nur einer kann der vierte sein, der dieser edeln Dreizahl folgen darf - du Teja, unser größter Held.»
«Ja», sprach Teja, «ich will euer König sein. Nicht freudig leben, nur herrlich sterben sollt ihr unter mir. Still! Kein froher Ruf - kein Waffenlärm begrüße mich. Wer mich zum König will - der tue mir nach.»
Und er brach von dem Baum, unter dem er stand, einen schmalen Zweig und wand ihn um den Helm.
Und schweigend folgten alle seinem Beispiel.
Adalgoth, der ihm zunächst stand, flüsterte ihm zu: «O König Teja! Es sind Zypressenzweige -: geweihte Opfer kränzt man so!»
«Ja, mein Adalgoth, du sprichst Weissagung» - und er schwang das Schwert im Kreis über sein Haupt - «dem Tode geweiht».