6. Buch

Witichis - Zweite Abteilung

Erstes Kapitel

Im Lager angelangt, fand König Witichis alles in höchster Verwirrung; gewaltsam riß ihn die drängende Not des Augenblicks aus seinem Gram und gab ihm vollauf zu tun.

Er traf das Heer in voller Auflösung und in zahlreiche Parteiungen zerspalten. Deutlich erkannte er, daß der Fall der ganzen gotischen Sache die Folge gewesen wäre, hätte er die Krone niedergelegt oder das Heer verlassen.

Manche Gruppen fand er zum Aufbruch bereit.

Die einen wollten sich dem alten Grafen Grippa in Ravenna anschließen. Andere zu den Empörern sich wenden, andere Italien verlassend über die Alpen flüchten. Endlich fehlte es nicht an Stimmen, die für eine neue Königswahl sprachen: und auch hierin standen sich die Parteien waffendrohend gegenüber.

Hildebrand und Hildebad hielten noch diejenigen zusammen, die an des Königs Flucht nicht glauben wollten. Der Alte hatte erklärt, wenn Witichis wirklich entflohen, wolle er nicht ruhen, bis der eidbrüchige König wie Theodahad geendet. Hildebad schalt jeden einen Neiding, der also von Witichis denke. Sie hatten die Wege zur Stadt und nach dem Wölsungenlager besetzt und drohten, jeden Abzug nach diesen Seiten mit Gewalt zurückzuweisen, während auch bereits Herzog Guntharis von der Verwirrung Kunde erhalten hatte und langsam gegen das Lager der Königlichen anrückte.

Überall traf Witichis auf unruhige Haufen, abziehende Scharen, Drohungen, Scheltworte, erhobene Waffen - jeden Augenblick konnte auf allen Punkten des Lagers ein Blutbad ausbrechen. Rasch entschlossen eilte er in sein Zelt, schmückte sich mit dem Kronhelm und dem goldenen Stab, stieg auf Boreas, das mächtige Schlachtroß, und sprengte, gefolgt von Teja, der die blaue Königsfahne Theoderichs über ihn hielt, durch die Gassen.

In der Mitte des Lagers stieß er auf einen Trupp von Männern, Weibern und Kindern - denn ein gotisches Volksheer führte auch diese mit sich -, der sich drohend gegen das Westtor wälzte.

Hildebad ließ die Seinen mit gefällten Speeren in die Tore treten.

«Laßt uns hinaus», schrie die Menge, «der König ist geflohen, der Krieg ist aus, alles ist verloren, wir wollen das Leben retten.» - «Der König ist kein Tropf wie du», sagte Hildebad, den Vordersten zurückstoßend. - «Ja, er ist ein Verräter», schrie dieser, «er hat uns alle verlassen und verraten um ein paar Weibertränen.»

«Ja», schrie ein anderer, «er hat dreitausend von unseren Brüdern hingeschlachtet und ist dann entflohn.»

«Du lügst», sprach eine ruhige Stimme, und Witichis bog um die Lagerecke.

«Heil dir, König Witichis!» schrie der riesige Hildebad, «seht ihr ihn da! Hab' ich's nicht immer gesagt, ihr Gesindel? Aber Zeit war's, daß du kamst - sonst ward es schlimm.»

Da sprengte von rechts Hildebrand mit einigen Reitern heran: «Heil dir, König, und der Krone auf deinem Helm. - Reitet durch das Lager, Herolde, und kündet, was ihr saht: und alles Volk soll rufen: »

Aber Witichis wandte sich schmerzlich von ihm ab. -

Die Boten schossen wie Blitze hinweg; bald scholl aus allen Gassen der donnernde Ruf: «Heil König Witichis», und von allen Seiten stimmten die jüngst noch Hadernden einig in

diesem Ruf zusammen.

Sein Blick flog mit dem Stolz tiefsten Schmerzes über die Tausende. Und Teja sprach hinter ihm leise: «Du siehst, du hast das Reich gerettet.»

«Auf, führ' uns zum Sieg!» rief Hildebad, «denn Guntharis und A~ahad rücken an. Sie wähnen, uns ohne Haupt in offenem Zwist zu überraschen! Heraus auf sie! Sie sollen sich schrecklich irren; heraus auf sie und nieder die Empörer.» -«Nieder die Empörer!» donnerten die Heermänner nach, froh, einen Ausweg ihrer tieferregten Leidenschaft zu finden.

Aber der König winkte mit edler Ruhe: «Stille! Nicht noch einmal soll gotisch Blut fließen von gotischen Waffen. Ihr harret hier in Geduld: du, Hildebad, tu mir auf das Tor. Niemand folgt mir: ich allein gehe zu den Gegnern. Du, Graf Teja, hältst das Lager in Zucht, bis ich wiederkehre. Du aber, Hildebrand» - er riefs mit erhobener Stimme -, «reit an die Tore von Ravenna und künde laut: sie sollen sie öffnen. Erfüllt ist ihr Begehr, und noch vor Abend ziehen wir ein: der König Witichis und die Königin Mataswintha.»

So gewaltig und ernst sprach er diese Worte, daß das Heer sie mit lautloser Ehrfurcht vernahm.

Hildebad öffnete die Lagerpforte: man sah die Reihen der Empörer im Sturmschritt heraneilen: laut scholl ihr Kriegsruf, als sich das Tor öffnete.

König Witichis gab an Teja sein Schwert und ritt ihnen langsam entgegen. Hinter ihm schloß sich das Tor.

«Er sucht den Tod», flüsterte Hildebrand. «Nein», sprach Teja, «er sucht und bringt das Heil der Goten.»

Wohl stutzten die Feinde, als sie den einzelnen Reiter erkannten. Neben den wölsungischen Brüdern, die an der Spitze zogen, ritt ein Führer awarischer Pfeilschützen, die sie in Sold genommen. Dieser hielt Hand vor die kleinen, blitzenden Augen und rief: «Beim Rosse des Roßgotts, das ist der König selbst!

Jetzt, meine Burschen, pfeilkundige Söhne der Steppe, zielt haarscharf, und der Krieg ist aus». Und er riß den krummen Hornbogen von der Schulter.

«Halt, Khan Warchun», sprach Herzog Guntharis, eine eherne Hand auf seine Schulter legend. «Du hast zweimal schwer gefehlt in einem Atem. Du nennst den Grafen Witichis König: das sei dir verziehn. Und du willst ihn morden, der im Botenfrieden naht: das mag awarisch sein, es ist nicht Gotensitte. Hinweg mit dir und deiner Schar aus meinem Lager.»

Der Khan stutzte und sah ihn staunend an: «Hinweg, sogleich!» wiederholte Herzog Guntharis. Der Aware lachte und winkte seinen Reitern: «Mir gleich! Kinder! Wir gehn zu Belisar: sonderbare Leute, diese Goten! Riesenleiber -Kinderherzen.»

Indessen war Witichis herangeritten, Guntharis und Arahad musterten ihn mit forschenden Blicken. In seinem Wesen lag neben der alten, schlichten Würde eine ernste Hoheit: die Majestät des höchsten Schmerzes.

«Ich komme, mit euch zu reden, zum Heile der Goten. Nicht weiter sollen Brüder sich zerfleischen. Laßt uns zusammen einziehen in Ravenna und zusammen Belisar bekämpfen. Ich werde Mataswintha freien, und ihr beide sollt am nächsten stehen an meinem Thron.»

«Nimmermehr!» rief Arahad leidenschaftlich. «Du vergißt», sprach Herzog Guntharis stolz, «daß deine Braut in unsern Zelten ist.»

«Herzog Guntharis von Tuscien, ich könnte dir erwidern, daß bald wir in euren Zelten sein werden. Wir sind zahlreicher und nicht feiger, als ihr, und, o Herzog Guntharis, mit uns ist das Recht. Ich will nicht also sprechen. Aber mahnen will ich dich des Gotenvolks. Selbst wenn du siegen solltest - du wirst zu schwach, um Belisar zu schlagen. Kaum einig sind wir ihm

gewachsen. Gib nach!»

«Gib du nach!» sprach der Wölsung, «wenn dir's ums Gotenvolk zu tun. Lege diese Krone nieder: kannst du kein Opfer bringen deinem Volk?» - «Ich kann's - ich hab's getan. Hast du ein Weib, o Guntharis?»

«Ein teures Weib habe ich.» - «Nun wohl: auch ich hatte ein teures Weib. Ich hab's geopfert meinem Volk: ich habe sie ziehen lassen, Mataswinthen zu freien.»

Herzog Guntharis schwieg. Arahad aber rief: «Dann hast du sie nicht geliebt.»

Da fuhr Witichis empor, sein Schmerz und seine Liebe wuchsen riesengroß. Glut deckte seine Wangen, und einen vernichtenden Blick warf er auf den erschrockenen Jüngling: «Schwatze mir nicht von Liebe, lästre nicht, du törichter Knabe! Weil dir ein Paar rote Lippen und weiße Glieder in deinen Träumen vor den Blicken glänzen sprichst du von Liebe? Was weißt du von dem, was ich an diesem Weib verloren, der Mutter meines süßen Kindes! Eine Welt von Liebe und Treue. Reizt mich nicht, meine Seele ist wund, in mir liegen Schmerz und Verzweiflung mit Mühe gebändigt: reizt sie nicht, laßt sie nicht losbrechen!»

Herzog Guntharis war sehr nachdenklich geworden.

«Ich kenne dich, Witichis, vom Gepidenkrieg: nie sah ich unadeligen Mann so adelige Streiche tun. Ich weiß, es ist kein Falsch an dir. Ich weiß, wie Liebe bindet an ein ehlich Weib. Und du hast das Weib deinem Volk geopfert? Das ist viel.»

«Bruder! Was sinnest du?» rief Arahad, «was hast du vor?» -«Ich habe vor, das Haus der Wölsungen an Edelmut nicht beschämen zu lassen. Edle Geburt, Arahad, heischt edle Tat? Sag' mir nur eins noch: weshalb hast du nicht lieber die Krone hingegeben, ja dein Leben, als dein Weib?»

«Weil es des Reiches sicheres Verderben war. Zweimal wollt' ich die Krone Graf Arahad abtreten: zweimal schwuren die

Ersten meines Heeres, ihn nie anzuerkennen. Drei, vier Gegenkönige würden gewählt, aber, bei meinem Wort, Graf Arahad würde niemals anerkannt. Da rang ich mein Weib von mir ab, vom blutenden Herzen. Und nun, Herzog Guntharis, gedenk' auch du des Gotenvolks. Verloren ist das Haus der Wölsungen, wenn die Goten verloren. Die edelste Blüte des Stammes fällt mit dem Stamm, wenn Belisar die Axt an die Wurzel legt. Ich habe mein Weib dahingegeben, meines Lebens Krone: gib du die Hoffnung einer Krone auf.»

«Man soll nicht singen in der Goten Hallen: Der Gemeinfreie Witichis war edler, als des Adels Edelste! Der Krieg ist aus: ich huldige dir, mein König.» Und der stolze Herzog bog das Knie vor Witichis, der ihn aufhob und an seine Brust zog.

«Bruder! Bruder! Was tust du an mir! Welche Schmach!» rief Arahad. «Ich rechn' es mir zur Ehre!» sprach Guntharis ruhig. «Und zum Zeichen, daß mein König nicht Feigheit sieht, sondern eine Edeltat in der Huldigung, erbitt' ich mir eine Gunst. Amaler und Balten haben unser Geschlecht zurückgedrängt von dem Platz, der ihm gebührt im Volke der Goten -» - «In dieser Stunde», sprach Witichis, «kaufst du ihn zurück: die Goten sollen nie vergessen, daß Wölsungen-Edelsinn ihnen einen Bruderkampf erspart hat.» - «Und des zum Zeichen sollst du uns das Recht verleihen, daß die Wölsungen der Goten Sturmfahne dem Heer vorauftragen in jeder Schlacht.» - «So sei's», sagte der König, ihm die Rechte reichend, «und keine Hand wird sie mir würdiger führen.»

«Wohlan, jetzt auf zu Mataswintha», sprach Guntharis.

«Mataswintha!» rief Arahad, der bisher wie betäubt der Versöhnung zugesehen, die alle seine Hoffnungen begrub. «Mataswintha!» wiederholte er. «Ha, zur rechten Zeit gemahnt ihr mich. Ihr könnt mir die Krone nehmen - sie fahre hin -, nicht meine Liebe und nicht die Pflicht, die Geliebte zu beschützen. Sie hat mich verschmäht: ich aber liebe sie bis zum Tode. Ich habe sie vor meinem Bruder beschirmt, der sie zwingen wollte, mein zu werden. Nicht minder wahrlich will ich sie beschützen, wollt ihr sie nun beide zwingen, des verhaßten Feindes zu werden. Frei soll sie bleiben, diese Hand, die kostbarer als alle Kronen der Erde.» Und rasch schwang er sich aufs Pferd und jagte mit verhängtem Zügel seinem Lager zu.

Witichis sah ihm besorgt nach. «Laß ihn», sprach Herzog Guntharis, «wir beide, einig, haben nichts zu fürchten. Gehen wir, die Heere zu versöhnen, wie die Führer.»

Während Guntharis zuerst den König durch seine Reihen führte und diese aufforderte, gleich ihm zu huldigen, was sie mit Freuden taten, und darauf Witichis den Wölsungen und seine Anführer mit in sein Lager nahm, wo die Besiegung des stolzen Herzogs durch Friedensworte als ein Wunderwerk des Königs angesehen wurde, sammelte Arahad aus den Reitern im Vordertreffen eine kleine Schar von etwa hundert ihm treu ergebenen Gefolgen und sprengte mit ihnen nach seinem Lager zurück.

Bald stand er im Zelt vor Mataswinthen, die sich bei seinem Eintreten unwillig erhob. «Zürne nicht, schilt nicht, Fürstin! Diesmal hast du kein Recht dazu. Arahad kommt, die letzte Pflicht seiner Liebe zu erfüllen. Flieh, du mußt mir folgen.» Und im Ungestüm seiner Aufregung griff er nach der weißen, schmalen Hand.

Mataswintha trat einen Schritt zurück und legte die Rechte an den breiten Goldgürtel, der ihr weißes Untergewand umschloß: «Fliehen?» sagte sie, «wohin fliehen?»

«Übers Meer! Über die Alpen! Gleichviel: in die Freiheit. Denn deiner Freiheit droht höchste Gefahr.»

«Von euch allein droht sie.» - «Nicht mehr von mir! Und ich kann dich nicht mehr beschirmen. Solang du mein werden solltest, konnte ich es, konnte grausam sein gegen mich selbst, deinen Willen zu ehren. Aber nun -»

«Aber nun?» sprach Mataswintha erbleichend.

«Sie haben dich einem andern bestimmt. Mein Bruder, mein Heer und meine Feinde im Königslager und in Ravenna, alle sind darin einig. Bald werden sie dich tausendstimmig als Opfer zum Brautaltar rufen. Ich kann's nicht denken! Diese Seele, diese Schönheit entweiht als Opfer in ungeliebtem Ehebund.»

«Laß sie kommen», sagte Mataswintha, «laß sehen, ob sie mich zwingen!» Und sie drückte den Dolch, den sie im Gürtel trug, an sich. - «Wer ist er, der neue Zwingherr, der mir droht.»

«Frage, nicht!» rief Arahad, «dein Feind, der dein nicht wert, der dich nicht liebt; der - folge mir! - flieh, schon kommen sie!» Man hörte von draußen nahenden Hufschlag.

«Ich bleibe. Wer zwingt das Enkelkind Theoderichs?»

«Nein! Du sollst nicht, sollst nicht in ihre Hände fallen, der Fühllosen, die nicht dich lieben, nicht deine Herrlichkeit, nur dein Recht auf die Krone! Folge mir...»

Da ward der Türvorhang des Zeltes zur Seite geschoben: Graf Teja trat ein. Zwei Gotenknaben mit ihm, in weißer Seide, festlich gekleidet.

Sie trugen ein mit einem Schleier verhülltes Purpurkissen. Er trat bis an die Mitte des Zeltes und beugte das Knie vor Mataswinthen. Er trug, wie die Knaben, einen grünen Rautenzweig um den Helm. Aber sein Auge und seine Stimme waren düster, als er sprach: «Ich grüße dich, der Goten und Italier Königin!»

Mit erstauntem Blick maß sie ihn. Teja erhob sich, trat zurück zu den Knaben, nahm von dem Kissen einen goldenen Reif und den grünen Rautenkranz und sprach: «Ich reiche dir den Brautkranz und die Krone, Mataswintha, und lade dich zur Hochzeit und zur Krönung - die Sänfte steht bereit.»

Arahad griff ans Schwert.

«Wer sendet dich?» fragte Mataswintha mit klopfendem Herzen, aber die Hand am Dolch. «Wer sonst, als Witichis, der

Goten König.» Da leuchtete ein Strahl der Begeisterung aus Mataswinthens wunderbaren Augen: sie erhob beide Arme gen Himmel und sprach: «Dank, Himmel, deine Sterne lügen nicht, und nicht das treue Herz. Ich wußt' es wohl.» Und mit beiden schimmernden Händen ergriff sie das bekränzte Diadem und drückte es fest auf das dunkelrote Haar. «Ich bin bereit. Geleite mich», sprach sie, «zu deinem Herrn und meinem». Und mit königlicher Wendung reichte sie Graf Teja die Linke, der sie ehrerbietig hinausführte.

Arahad aber starrte der Verschwundenen nach, sprachlos, noch immer die Hand am Schwert. Da trat Eurich, einer seiner Gefolgen, zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter: «Was nun?» fragte er, «die Rosse stehen und harren: wohin?» -«Wohin?» rief Arahad auffahrend. «Wohin? Es gibt nur noch einen Weg, wir wollen ihn gehen. Wo stehen die Byzantiner und der Tod?»

Zweites Kapitel

Am siebenten Tage nach diesen Ereignissen bereitete sich ein glanzvolles Fest auf der Fora und in dem Königspalast zu Ravenna.

Die Bürger der Stadt und die Goten aller drei Parteien wogten in gemischten Scharen durch die Straßen und fuhren durch die Lagunenkanäle - denn Ravenna war damals eine Wasserstadt, fast, aber doch nicht ganz, wie heute Venedig - die riesigen Kränze, Blumenbogen und Fahnen zu bewundern, die von allen Zinnen und Dächern niederwehten: denn es galt, die Vermählung des gotischen Königspaares zu feiern.

Am frühen Morgen hatte sich das ganze jetzt vereinigte Heer der Goten vor den Toren der Stadt zu feierlicher Volksversammlung geschart. Der König und die Königin erschienen auf milchweißen Rossen: abgestiegen waren sie vor allem Volk unter eine breitschattende Steineiche getreten: dort hatte Witichis seiner Braut die rechte Hand auf das Haupt gelegt; sie aber trat mit dem entblößtem linken Fuß in den Goldschuh des Königs.

Damit war unter dem Zuruf der Tausenden die Ehe nach Volksrecht geschlossen. Darauf bestieg das Paar einen mit grünen Zweigen geschmückten Wagen, der von vier weißen Rindern gezogen ward; der König schwang die Geißel, und sie fuhren, gefolgt von dem Heere, in die Stadt. Dort schloß sich an die halb heidnische, germanische, eine zweite, die christliche Feier: der arianische Bischof erteilte seinen Segen über das Paar in der Basilika Sancti Vitalis und ließ es die Ringe wechseln.

Rauthgundens wurde nicht gedacht.

Noch war die Kirche nicht mächtig genug, ihre Forderung der Unauflöslichkeit einer kirchlich geschlossenen Ehe überall durchzusetzen; vornehme Römer und vollends Germanen verstießen noch häufig in voller Willkür ihre Frauen. Und wenn gar ein König aus Gründen des Staatswohls und ohne Einspruch der Gattin das Gleiche beschloß, erhob sich kein Widerstand. -

Aus der Kirche ging der Zug nach dem Palast, in dessen Hallen und Gärten ein großes Festmahl gerüstet war.

Das ganze Gotenheer und die ganze Bevölkerung der Stadt fand hier, dann auf der Fora des Herkules und des Honorins und in den nächsten Straßen und Kanälen auf Schiffen, an tausend Tischen reiche Bewirtung, während die Großen des Reiches und die Vornehmen der Stadt mit dem Königspaar in der Gartenrotunde oder in der weiten Trinkhalle, die Theoderich hatte in dem römischen Palast anbringen lassen, tafelten.

So wenig die Lage des Landes und des Königs Stimmung zu rauschenden Festen passen mochten - es galt, die Ravennaten mit den Goten und die verschiedenen Parteien der Goten unter sich zu versöhnen; und man hoffte, in Strömen des Festweins die letzten feindseligen Erinnerungen hinwegzuspülen.

Am besten übersah man den Königstisch und die festlichen Tafeln, die sich über den weiten Garten und Park verteilten, von dem zum Brautgemach Mataswinthens bestimmten kleinen Gelaß, dessen einziges Fenster auf die Rotunde vor dem Garten und, über den Garten hin, bis auf das Meer ausblicken ließ.

In diesem Gemach drei Tage zuvor schon schmückend zu schalten und zu walten, hatte sich Aspa, die Numiderin, als Lohn treuer Dienste ausgebeten. «Denn diese ernsten, finstern Römer wissen ebensowenig wie die rauhen Goten, dem schönsten Weib der Erde das Brautbett zu bereiten: in Afrika, im Land der Wunder, lernt man das.»

Und wohl war ihr's gelungen, wenn auch im Sinn der schwülen, phantastischen Üppigkeit ihrer Heimat. Sie hatte das enge und niedre Gemach wie zu einem kleinen Zauberkistchen umgeschaffen! Wände und Decke waren von glänzend weißen Marmorplatten gefügt.

Aber Aspa hatte den ganzen Raum mit drei- und vierfach aufeinandergelegten Gehängen von dunkelroter Seide verhüllt, die in schweren Falten von den Wänden niederfloß, sich über die Getäfeldecke wie ein Rundbogen wölbte und den Marmorbogen so dicht verhüllte, daß jeder Tritt lautlos drüber hinglitt und alles Geräusch sich im Entstehen brach. Nur an der Fensterbrüstung sah man den schimmernd weißen Marmor sich prachtvoll von der Glut der Seide heben.

Das Fenster von weißem Frauenglas war mit einem Vorhang von mattgelber Seide verhangen, und alles Licht in dem kleinem Raum strömte aus von einer Ampel, die von der Mitte der Decke aus niederhing: eine Silbertaube mit goldnen Flügeln schwebte aus einem Füllhorn von Blumengewinden, in den Füßen trug sie eine flache Schale aus einem einzigen großen Karneol, der, ein Geschenk des Vandalenkönigs, in den aurassischen Bergen gefunden, als ein seltenes Wunder galt.

Und in dieser Schale glühte ein rotes Flämmchen, genährt von stark duftendem Zedernöl. Ein gebrochenes, träumerisches Dämmerlicht ergoß sich von hier aus über das phantastische Doppelpfühl, das, halb von Blumen verschüttet, darunterstand. Aspa hatte sich das bräutliche Lager als die aufgeschlagenen Schalen einer Muschel gedacht, die an der inneren Seite zusammenhängen, zwei ovale, muschelförmige Klinen von Citrusholz erhoben sich nur wenig von dem Teppich des Bodens. Über die weißen Kissen und Teppiche hin war eine Linnendecke von orangegoldnem Glanz gegossen.

Aber der eigenste Schmuck des Gelasses war die Fülle von Blumen, welche die Hand der Numiderin mit poesiereichem, wenn auch phantastischem Geschmack über das ganze Gemach verstreut und über die Wände, Decken, Vorhänge, die Türe und das Lager verteilt hatte.

Ein Bogen von starkduftigen Geißblattranken überwölbte laubenartig die einzige Türe, den schmalen Eingang. Zwei mächtige Rosenbäume standen zu Häupten des Lagers und streuten ihre roten und weißen Blüten auf die Teppiche. Die Ampel hing, wie erwähnt, aus einem kunstvoll gewundnen Füllhorn von Blumen herab. Und überall sonst, wo eine Falte, eine Biegung der Teppiche das Auge zu verweilen lud, hatte Aspa eine seltene Blume glücklich angeschmiegt. Der Lorbeer und der Oleander Italiens, die sizilische Myrte, das schöne Rhododendron der Alpen und die glühenden Iriaceen Afrikas mit ihren reichen Kelchen: alle lauschten je am gelegensten Ort und doch, wie es schien, vom Zufall hingeworfen. -

Schon standen die Sterne am Himmel.

Es dämmerte draußen: im Gemach hatte Aspa die Flamme in der veilchendunkeln Schale entzündet und war nur noch beschäftigt, hier und da eine Falte zu glätten, indes sie eine römische Sklavin anwies, in den Silberkrügen auf dem Bronzekredenztisch den Palmwein mit Schnee zu kühlen, eine andre, das Gemach mit Balsam zu durchsprengen.

«Reichlicher die Narden, reichlicher die Myrrhen gesprengt! So!» rief Aspa, eine volle Libation über das Lager spritzend.

«Laß ab», mahnte die Römerin, «es ist zu viel! Schon der Duft der Blumen betäubt. Die Rose und das Geißblatt berauschen fast die Sinne: mir würde schwindeln hier.»

«Ah», lachte Aspa, «wie singt der Dichter:

«Herzog Guntharis von Tuscien, der Wölsung. Sein Bruder, Graf Arahad von Asta... wo mag der sein zu dieser Stunde?»

«Und der Alte neben dem König, mit dem grauen Bart?»

«Das ist der Graf Grippa, der die Goten in Ravenna befehligt. Er spricht die Fürstin an. Wie sie lacht und errötet! Nie war sie so schön.» - «Ja, aber auch der Bräutigam - welch herrlicher Mann! Der Kopf des Mars, der Nacken des Neptun. Aber er sieht nicht fröhlich - vorhin starrte er lange sprachlos in seinen Becher und furchte die Stirn - die Königin sah es - bis der alte Hildebrand, gegenüber, ihm zurief. Da sah er seufzend auf. Was hat der Mann zu seufzen neben diesem Götterweib?»

«Nun», sprach die Gotin, «er hat dann doch nicht ein steinern Herz. Er denkt dann vielleicht an die, die sein rechtes Weib vor Gott und Menschen, die er verstoßen.»

«Was? Wie? Was sagst du?» riefen die drei Sklavinnen zugleich. Aber urplötzlich fuhr Aspa zwischen die Mädchen: «Willst du wohl schweigen mit dem dummen Gerede, Barbarin! Mach', daß du fortkommst! Ein solches Wort: eine Silbe, daß es die Königin hört, und du sollst der Afrikanerin gedenken.»

Frithilo wollte erwidern. «Still», rief eine der Römerinnen.

«Die Königin bricht auf.» - «Sie wird hier heraufkommen.» -«Der König bleibt noch.» - «Nur die Frauen folgen ihr.» - «Sie geben ihr das Geleit bis hierher», sprach Aspa. «Gleich kann sie hier sein: bereitet euch sie zu empfangen.»

Bald nahte der Zug, von Fackelträgern und Flötenbläsern eröffnet. Darauf eine Auswahl der gotischen Edelfrauen: neben Mataswintha, der Braut oder jungen Frau, schritt Theudigotho, die Gattin Herzogs Gunthar's, und Hildiko, die Tochter Grippas. Die vornehmen Frauen von Ravenna schlossen den Zug.

An der Schwelle der Brautkammer verabschiedete Mataswintha ihr Gefolge, an die jungen Mädchen ihren Schleier, an die Frauen ihren Gürtel verschenkend.

Die meisten zogen sich wieder zu dem Fest in den Garten, andre nach Hause zurück. Sechs Gotinnen aber, drei Frauen und drei Jungfrauen, ließen sich als Ehrenwache vor der Tür des Brautgemaches nieder, wo Teppiche für sie bereitet lagen. Dort hatten sie mit einer gleichen Zahl gotischer Männer, die den Bräutigam geleiteten, die Nacht zu verbringen: so wollt es die gotische Sitte.

Mataswintha überschritt die Schwelle mit einem Ausruf des Staunens. «Aspa», rief sie, «das hast du schön gemacht -zauberisch!»

Die Afrikanerin kreuzte selig die Arme über die Brust und beugte den Nacken. Sie an sich ziehend, flüsterte die Braut:

«Du kanntest mein Herz und seine Träume! Aber», fuhr sie aufatmend fort, «wie schwül! Deine glühenden Blumen berauschen.»

«In Glut und Rausch nahen die Götter!» sprach Aspa.

«Wie schön jene Violen, und dort die Purpurlilie; mir ist, die Göttin Flora flog durchs Zimmer und dachte einen Liebestraum und verlor darüber ihre schönsten Blumen. Es ist ein ahnungsvolles Wunder, das ich hier erlebe. Es durchrieselt mich heiß. Es ist schwül. Nehmt mir den schweren Prunk ab.» Und

sie nahm die goldne Krone aus dem Haar.

Aspa strich ihr die vollen, dunkelroten Flechten hinter das feine Ohr und zog die goldne Nadel heraus, die sie am Hinterkopf zusammenhielt: frei wallte das Haar in den Nacken. Die andern Sklavinnen lösten die Spange, die in Gestalt einer geringelten Schlange den schweren Purpurmantel mit seinen reichen Goldstreifen auf der linken Schulter zusammenhielt. Der Mantel fiel und zeigte die edle, hochschlanke Gestalt der Jungfrau in dem ärmellosen, wallenden Unterkleid von weißer, persischer Seide. Ihre schimmernden Arme umzirkten zwei breite, goldne Armreife: Erbstücke aus dem alten Schatz der Amalungen, grüne Schlangen von Smaragden waren darin eingelegt.

Mit Entzücken schaute Aspa auf die Gebieterin, wie diese vor den in den Marmor eingelassenen Metallspiegel trat, das lose Haar mit goldnem Kamm zu schlichten.

«Wie schön du bist! Wie zauberschön! - Wie Astraroth, die Liebesgöttin - nie warst du so schön, wie in dieser Stunde.» Mataswintha warf einen raschen Blick in den Spiegel. Sie sah, noch mehr, sie fühlte, daß Aspa recht hatte, und sie errötete.

«Geht», sagte sie, «laßt mich allein mit meinem Glück.» - Die Sklavinnen gehorchten. Mataswintha eilte ans Fenster, das sie rasch öffnete, wie um ihren Gedanken zu entfliehen. Ihr erster Blick fiel auf Witichis, der unten vom Schein der Hängelampen im Garten voll beleuchtet war.

«Er! Wieder er. Wohin entflieh' ich vor ihm, dem süßen Tod?»

Sie wandte sich rasch: da an der Wand, gerade dem Fenster gegenüber glänzte im Ampellicht eine weiße Marmorbüste. Sie kannte sie wohl: Aspa hatte den Areskopf nicht vergessen, den treuen Begleiter lang harrender Sehnsucht. Heute aber schlang sich ein Kranz von weißen und roten Rosen um sein Haar. «Und wieder du!» flüsterte die Braut, süß erschrocken, und legte die weiße Hand vor die Augen. «Und schließ' ich die Augen und wend' ich sie nach innen, so seh' ich wieder ein Bild, sein Bild allein im tiefsten Herzen. Ich werde noch untergehn in diesem Bilde! Ach, und ich will's!» rief sie, die Hand fallen lassend und dicht vor die Büste tretend: «ich will's! Wie oft, mein Ares, wann der Abend kam, hab' ich zu dir aufgeblickt, wie zu meinem Stern, bis Frieden und Ruhe aus deinen klaren, großen Zügen drang in die schwanke Seele. Wie wunderbar hat dieses Ahnen, dieses Sehnen, dieses Hoffen sich erfüllt! Wie er einst dem weinenden Kinde die Tränen getrocknet und die Ratlose nach Hause geführt, so wird er auch jetzt all mein Klagen stillen und mir die wahre Heimat bauen in seinem Herzen. Und durch all diese öden Jahre, durch all die letzten Monate voll Gefahr und Angst trug ich in mir das sichere Gefühl:

Augen - «ich bin dein. Tu, wie du willst mit meiner Seele! Vernichte sie! Nur gesteh, daß du glücklich durch mich.»

Und sie beugte das schöne Haupt vor, nach den gefalteten Händen.

Doch plötzlich fuhr sie empor. Licht, helles Licht floß ins Gemach. An der offenen Türe stand der König: draußen auf dem Gang zeigten sich zahlreiche Goten und Ravennaten mit hellen Fackeln.

«Dank, meine Freunde», sprach der König mit ernster Stimme. «Dank, für das Festgeleit. Geht nun und vollendet die Nacht», und er wollte die Türe schließen.

«Halt», sprach Hildebrand, mit der Hand die Türe wieder öffnend, so daß Mataswintha sichtbar ward, «hier seht ihr, alles Volk: der Mann und das Weib, die heut' wir vermählt, sind glücklich geeint im Ehegemach. Ihr sehet Witichis und Mataswintha und ihren ersten ehelichen Kuß.»

Mataswintha erbebte. Sie wankte und schlug erglühend die Augen nieder.

Unschlüssig stand der König in der Tür. «Du kennst der Goten Brauch», sprach Hildebrand laut, «so tu danach.»

Da wandte sich Witichis rasch, ergriff die zitternde Linke Mataswinthens, führte sie schnell einen Schritt vorwärts und berührte mit den Lippen ihre Stirn. Mataswintha zuckte.

«Heil euch!» rief Hildebrand. «Wir haben gesehen den bräutlichen Kuß. Wir bezeugen hinfort den ehelichen Bund! Heil König Witichis und seinem schönen Weib, der Königin Mataswintha.»

Der Zug wiederholte den Ruf, und Hildebrand, Graf Grippa, Herzog Guntharis, Hildebad, Aligern und der tapfere Bandalarius (Bannerträger) des Königs, Graf Wisand von Volsinii, lagerten sich neben den sechs Frauen und Mädchen vor der Türe des Brautgemachs, welche Witichis nun schloß.

Sie waren allein.

Witichis warf einen langen, prüfenden Blick durch das Gemach. Das erste, was Mataswintha tat, war - sein Kuß brannte auf ihrer Stirn -, daß sie unwillkürlich so weit als möglich von ihm hinwegglitt. So war sie - sie wußte nicht wie - in die fernste Ecke des Zimmers, an das Fernster, gelangt. Witichis mochte es bemerken. Er stand hart an der Schwelle, die Hände auf das mächtige, breite und fast brusthohe Schwert gestützt, das er, aus dem Wehrgehäng genommen, in der Scheide, wie einen Stab in der Rechten führte.

Mit einem Seufzer trat er einen Schritt vor, das Auge ruhig auf Mataswintha gerichtet. «Königin», sprach er, und seine Stimme drang ernst und feierlich aus seiner Brust, «sei getrost, ich ahne, was du fürchtend fühlst in zarter Mädchenbrust. Es mußte sein. Ich durfte dein nicht schonen. Das Wohl des Volkes gebot's: ich griff nach deiner Hand, sie muß mein sein und bleiben. Doch hab' ich schon in allen diesen Tagen dir gezeigt, daß deine Scheu mir heilig. Ich habe dich gemieden - und wir sind jetzt zum erstenmal allein. Auch diese gepreßte, bange Stunde hätt' ich dir gern erspart: es ging nicht an. Du kennst, glaube ich, die alte Sitte des Brautgeleits. Und du weißt, in unserem Fall liegt alles daran, sie nicht zu verletzen. Als ich in dies Gemach trat und die Röte in deinen Wangen aufflammen sah - lieber hätt' ich im ödesten Berggeklüft dieses müde Haupt auf harten Fels zur Ruhe gelegt. Es ging nicht: Hildebrand und Graf Grippa und Herzog Guntharis hüten diese Schwelle. Sonst ist kein Ausgang aus diesem Gemach.

Wollt' ich dich verlassen, es gäbe Lärm und Spott und Streit: und neuen Zwist vielleicht. Du mußt mich diese Nacht in deiner Nähe dulden.»

Und er trat einen Schritt weiter vor und nahm die schwere Krone ab; auch den Purpurmantel, den er, ähnlich dem Mataswinthens, über der Schulter trug, warf er ab.

Zitternd, sprachlos lehnte Mataswintha an der Wand.

Witichis drückte dies Schweigen; so schwer er selber litt, ihn dauerte des Mädchens. «Komm, Mataswintha», sprach er. «Verharre nicht in unversöhntem Zorn. Es mußte sein, sag' ich dir. Laß uns, was sein muß, edel tragen und nicht durch Kleinheit uns verbittern. Ich mußte deine Hand nehmen - dein Herz bleibt frei.

Ich weiß, du liebst mich nicht: du kannst, du sollst, du darfst mich nicht lieben. Doch glaub' mir: redlich ist mein Herz, und achten sollst du immerdar den Mann, mit dem du diese Krone teilst. Auf gute Freundschaft, Königin der Goten!»

Und er trat zu ihr und bot ihr die Rechte.

Nicht länger hielt sich Mataswintha: rasch ergriff sie seine Hand und sank zugleich zu seinen Füßen nieder, daß Witichis überrascht zurücktrat.

«Nein, weiche nicht zurück, du Herrlicher!» rief sie. «Es ist doch kein Entrinnen vor dir! Nimm alles hin und wisse alles. Du sprichst von Zwang und Furcht und Unrecht, das du mir getan. O Witichis, wohl hat man mich gelehrt, das Weib soll immer klug verbergen, was es fühlt, soll sich bitten lassen und erweichen und nur genötigt geben, was es aus Liebe gibt, auch wenn ihr ganzes Herz danach verlangt. Sie soll niemals... Hinweg mit diesen niedrigen Plänen armer Klugheit! Laß mich töricht sein! Nicht töricht! Offen und groß, wie deine Seele!

Nur Größe kann dich verdienen, nur das Ungewöhnliche. Du sprichst von Zwang und Furcht? Witichis, du irrst! - Es brauchte keines Zwangs - gern... »

Staunend hatte sie Witichis eine Zeitlang angesehen.

Jetzt endlich glaubte er, sie zu verstehen. «Das ist schön und groß, Mataswintha, daß du feurig fühlest für dein Volk, die eigene Freiheit ohne Zwang ihm opfernd. Glaub' mir, ich ehre das hoch und schlage das Opfer darum nicht niedriger an. Tat ich doch desgleichen! Nur um des Gotenreiches willen griff ich

nach deiner Hand, und nun und nie kann ich dich lieben.»

Da erstarrte Mataswintha.

Sie ward bleich wie eine Marmorstatue, die Arme fielen ihr schlaff herab, sie starrte ihn mit großen, offnen Augen an. «Du liebst mich nicht? Du kannst mich nicht lieben? Und die Sterne logen doch? Und es ist doch kein Gott? Sag', bin ich denn nicht Mataswintha, die du das schönste Weib der Erde genannt?»

Aber der König beschloß, dieser Aufregung, die er nicht verstand und nicht erraten wollte, rasch ein Ende zu machen. «Ja, du bist Mataswintha, und teilst meine Krone, nicht mein Herz. Du bist nur die Gemahlin des Königs, aber nicht das Weib des armen Witichis. Denn wisse, mein Herz, mein Leben ist auf ewig einer andern gegeben. Es lebt ein Herz, ein Weib, das sie von mir gerissen, und dem doch ewig mein Herz zu eigen bleibt. Rauthgundis, mein Weib, mein treues Weib im Leben und im Tod!»

«Ha!» rief Mataswintha, wie von Fieber geschüttelt und beide Arme erhebend, «und du hast es gewagt...»

Die Stimme versagte ihr. Aber aus ihren Augen loderte Feuer auf den König. «Du wagst es!» rief sie nochmals - «Hinweg, hinweg von mir!»

«Still», sprach Witichis, «willst du die Lauscher draußen herbeirufen? Fasse dich, ich verstehe dich nicht.»

Und rasch zog er das mächtige Schwert aus der Scheide, trat damit an das Doppelpfühl und legte es auf den Rand der beiden Lager, wo sie eng aneinanderstießen.

«Sieh hier das Schwert! Es sei die ewige, scharfe, eherne, kalte Grenze zwischen uns! Zwischen deinem Wesen und dem meinen.

Beruhige dich doch nur. Es soll uns ewig scheiden.

Ruhe du hier zur Rechten seiner Schneide - ich bleibe links. So teile, wie ein Schwertschnitt, diese Nacht für immer unser

Leben!»

Aber in Mataswinthens Busen wogten die mächtigsten Gefühle, furchtbar ringend, drohend: Scham und Zorn, Liebe und glühender Haß. Die Stimme versagte ihr. «Nur fort, fort aus seiner Nähe», konnte sie noch denken. Sie eilte gegen die Tür.

Aber mit fester Hand ergriff Witichis ihren Arm.

«Du mußt bleiben.» Da zuckte sie zusammen: das Blut schoß in ihr auf, bewußtlos sank sie nieder.

Ruhig sah Witichis auf sie herab. «Armes Kind», sprach er, «der schwüle Duft in diesem Gelaß hat sie ganz verwirrt! Sie wußte nicht, was sie sinnlos sprach!

Was ist deine kleine, mädchenhafte Verwirrung gegen Rauthgundens Herzzerreißung und die meine.»

Und leise legte er die Besinnungslose auf das Pfühl zur Rechten des Schwertes.

Er selbst setzte sich nun, in seinen Waffen klirrend, auf den Bodenteppich zur Linken und lehnte den Rücken an das Lager.

Lang saß er so, das Haupt vorgebeugt und die Lippen auf ein blondes Haargeflecht gedrückt, das er in kleiner Kapsel auf dem Herzen trug. Es kam kein Schlaf in seine kummervollen Augen.

Mit dem ersten Hahnenschrei verließ die Brautwache ihren Posten, von Flötenbläsern abgeholt. Gleich darauf schritt der König aus dem Gemach, in voller Rüstung.

Die Flöten hatten auch Mataswintha geweckt.

Aspa, die sich leise heranschlich, hörte plötzlich einen dumpfen Schlag. Sie eilte in das Gemach. Da stand die Königin, auf des Königs langes Schwert gestützt, und starrte vor sich zur Erde.

Der Areskopf lag zertrümmert zu ihren Füßen.

Drittes Kapitel

Im friedlichen Licht des späten Nachmittags schimmerten die Kirche und das Kloster, die am Fuß des Apenninus nordöstlich von Perusia und Asisium, südlich von Petra und Eugubium, hoch auf dem Felsenhang oberhalb des kleinen Fleckens Taginä, Valerius gebaut, seine Tochter vom Dienst des Jenseits einzulösen.

Das Kloster, aus dem dunkelroten Gestein der Gegend aufgeführt, umfriedete mit seinen Geviertmauern einen stillen Garten von dichtem, grünem Laubwerk. An den vier Seiten desselben liefen kühle Bogengänge hin mit Apostelstatuen und Mosaik und mit Fresken auf goldnem Grund geschmückt. All dies Bildwerk hatte den freudlosen, byzantinischen Ernst: es waren sinnbildliche Darstellungen aus der heiligen Schrift, zumal aus der Offenbarung Johannis, dem Lieblingsbuch jener Zeit.

Feierliche Stille wartete rings. Das Leben schien weithin ausgeschlossen von diesen hohen und starken Mauern. Zypressen und Thuien herrschten vor in den Baumgruppen des Gartens, in dem nie eines Vogels Gesang vernommen ward. Die strenge Klosterordnung duldete die Vöglein nicht: der Nachtigall süßes Rufen sollte nicht die frommen Seelen in ihren Gebeten stören.

Cassiodor war es, der, schon als Minister Theoderichs seiner streng kirchlichen Richtung ergeben und biblischer Gelehrsamkeit voll, seinem Freunde Valerius den ganzen Plan der äußeren und inneren Einrichtung seiner Stiftung entworfen -ähnlich der Regel des Männerklosters, das er selbst zu Squillacium in Unteritalien gegründet - und dessen Ausführung überwacht hatte. Und sein frommer, aber strenger, der Welt und dem Fleisch feindlich abgewendeter Geist drückte sich denn im größten wie im kleinsten dieser Schöpfung aus. Die zwanzig

Jungfrauen und Witwen, welche hier als Religiosä lebten, verbrachten in Beten und Psalmensingen, in Buße und Kasteiung ihre Tage. Doch auch in werktätiger, christlicher Liebe, indem sie die Armen und Kranken der Umgegend in ihren Hütten aufsuchten und ihnen Seele und Leib trösteten und pflegten.

Es machte einen feierlichen, poesievollen, aber sehr ernsten Eindruck, wenn durch die dunklen Zypressengänge hin eine dieser frommen Beterinnen wandelte, in dem faltenreichen, dunkelgrauen Schleppgewand, auf dem Haupt die weiße, enganschließende Kalantika, eine Tracht, die das Christentum von den ägyptischen Isispriestern übernommen. Vor den oft in Kreuzesform geschnittenen Buchsgebüschen blieben sie stehen und kreuzten die Arme auf der Brust. Immer gingen sie allein und stumm, wie Schatten glitten sie bei jeder Begegnung aneinander vorüber. Denn das Gespräch war auf das Unerläßliche beschränkt.

In der Mitte des Gartens floß ein Quell aus dunklem Gestein, von Zypressen überragt. Ein paar Sitze waren in den Marmor gehauen.

Es war ein stilles, schönes Plätzchen: wilde Rosen bildeten dort eine Art Laube und verbargen beinahe völlig ein finsteres, rohes Steinrelief, das die Steinigung des heiligen Stephanus darstellte.

An diesem Quell saß, eifrig lesend in aufgerollten Papyrusrollen, eine schöne, jungfräuliche Gestalt in schneeweißem Gewand, das eine goldne Spange über der linken Schulter zusammenhielt, das dunkelbraune Haar, in weichen Wellen zurückgelegt, umflocht eine fein geschlungene Efeuranke: - Valeria war's, die Römerin.

Hier, in diesen entlegenen, festen Mauern hatte sie Zuflucht gefunden, seit die Säulen ihres Vaterhauses zu Neapolis niedergestürzt. Sie war bleicher und ernster geworden in diesen einsamen Räumen. Aber ihr Auge leuchtete noch in seiner ganzen stolzen Schönheit.

Sie las mit großem Eifer; der Inhalt schien sich lebhaft fortzureihen, die fein geschnittenen Lippen bewegten sich unwillkürlich, und zuletzt ward die Stimme der Lesenden leise vernehmlich:

- - «Und er vermählte die Tochter dem erzumpanzerten Hektor. Die kam jetzt ihm entgegen, die Dienerin folgte zugleich ihr, Tragend am Busen das zarte, noch ganz unmündige Knäblein, Hektors einzigen Sohn, holdleuchtendem Stern vergleichbar. Schweigend betrachtete Hektor mit lächelndem Blicke den Knaben, Aber Andromache trat mit tränendem Auge ihm näher, Drückt' ihm zärtlich die Hand und begann die geflügelten Worte: »

Sie las nicht weiter: die großen runden Augen wurden feucht, ihre Stimme versagte; sie neigte das blasse Haupt.

«Valeria», sprach eine milde Stimme, und Cassiodor beugte sich über ihre Schulter. «Tränen über dem Buch des Trostes? Aber was sehe ich die Ilias! Kind! Ich gab dir doch die Evangelien.»

«Verzeih mir, Cassiodor. Es hängt mein Herz noch andern Göttern an als deinen. Du glaubst nicht: je gewaltiger von allen Seiten her die Schatten ernster Entsagung auf mich eindringen, seit ich bei dir bin und in diesen Mauern weile, desto krampfhafter klammert sich die widerstrebende Seele an die letzten Fäden, die mich mit einer andern Welt verbinden. Und zwischen Grauen und Liebe ratlos schwankt der Sinn.»

«Valeria, du hast keinen Frieden in diesem Haus des Friedens gefunden. Wohlan, so zieh hinaus. Du bist ja frei und Herrin deines Willens. Kehre zurück zu jener bunten Welt, wenn du glaubst, dort dein Glück zu finden.»

Sie aber schüttelte das schöne Haupt. «Es geht nicht mehr. Feindlich ringen in meiner Seele zwei Gestalten. Welche auch siege - ich verliere immer.»

«Kind, sprich nicht so! Du kannst die beiden Mächte, Erdenlust und Himmelsseligkeit, nicht wie zwei gleiche Dinge in einer Waage wiegen.»

«Weh denen», fuhr sie, wie mit sich selbst sprechend, fort, «welchen das Schicksal den gespaltnen Doppeltrieb in die Seele gepflanzt, der bald zu den Sternen nach oben, bald nieder zu den Blumen zieht. Sie werden keines der beiden froh.»

«In dir, mein Kind», sprach Cassiodor, sich zu ihr setzend, «walten freilich unversöhnt deines weltlichen Vaters und deiner frommen Mutter Sinn. Dein Vater, ein Römer der alten Art, ein Kind der stolzen, rauhen Welt, kühn, sicher, selbstvertrauend, nach Gewinn und Macht strebend, wenig, allzuwenig, fürcht' ich, ergriffen von dem Geist unseres Glaubens, der nur im Jenseits unsere Heimat sucht - in der Tat, Valerius, mein Freund, war mehr ein Heide denn ein Christ. Und daneben deine Mutter, fromm, sanft, aus einem Märtyrergeschlecht, den Himmel suchend und der Erde vergessend, auch sie hat wohl ein Teil von ihrem Wesen in dich... -»

«Nein», sprach Valeria aufstehend und das edle Haupt kräftig zurückwerfend, «ich fühle nur des Vaters Art in mir. Kein Tropfen Blut neigt jener Seite zu. Die Mutter war viel krank und starb schon früh. Unter meines Vaters Augen wuchs ich auf; Iphigenia und Antigone und Nausikaa, Cloelia und Lucretia und Virginia waren die Freundinnen meiner Jugend. Nicht viele

Priester sah man in des Kaufherrn Haus, und wenn er abends mit mir saß und las, so waren's Livius und Tacitus und Vergilius, nicht das heilige Buch der Christen. So wuchs ich heran bis in mein siebzehntes Jahr, den Sinn allein auf diese Welt gerichtet. Denn auch die Tugenden, die der Vater pries und übte, sie galten nur dem Staat, dem Haus, den Freunden. Glücklich war ich in jener Zeit, ungespalten meine Seele.»

«Du warst eine Heidin trotz des Taufwassers.»

«Ich war glücklich. Da kamen wir auf einer Reise zuerst in diese Mauern mit ihrem Grabesernst, und dunkle, schwere Schatten fielen hier zuerst in meine Seele. Dich fand ich hier, und du entdecktest mir, was man mir bisher sorgfältig verborgen hatte, daß die Mutter in schwerer Krankheit mich schon vor meiner Geburt durch ein Gelübde dem ehelosen Leben im Kloster geweiht, wenn Gott sie und ihr Kind am Leben erhalte, und daß mein Vater, dem dieser Gedanke unerträglich, später mich vom Himmel eingelöst, indem er, freilich mit Zustimmung des Bischofs von Rom, statt die Tochter hinzugeben, Kirche und Kloster hier gebaut.»

«So ist es, Kind, mit dem vierten Teil seines Vermögens! Darüber kannst du dich beruhigen. Der Nachfolger des heiligen Petrus, der die Macht hat, zu binden und zu lösen, hat den Tausch, die Umwandlung des Gelübdes gebilligt. Du bist frei!» -«Aber ich fühle mich nicht frei! Nicht mehr seit jener Stunde! Was auch du, was auch der Vater gesagt, tief, tief in meinem Herzen spricht eine Stimme: Die finstre, ernste, drohende Macht jenes heiligen Glaubens, der meiner Seele fremd gewesen und geblieben ist, die in diesem feierlichen Raume wohnt, hat ein Recht, ein zwingend Herrschaftsrecht über meine Seele und läßt nicht davon. Ich bin ihr verfallen. Ihr gehör' ich an, nicht wollend, wiederstrebend, aber sicher doch. Der Welt der Entsagung, des Schmerzes, der Dornen: nicht jener goldnen Welt meines Homers, der Blumen und des Sonnenscheins, zu der noch immer von innen meine ganze Seele neigt. So oft ich's auch vergessen will, immer ziehen wieder die Wolkenschatten über meine Seele. Sie drohen im Hintergrunde aller Freuden: wie dort das finstre Martyrbild hinter den roten Rosen.»

«Valeria, du hassest, scheint's, was du verehren solltest.»

«Ich hasse es nicht. Ich fürchte es. Wohl war eine Zeit», - und ein Strahl der Freude flog über ihre Züge «da glaubte ich den dunklen Schatten für immer besiegt von einem hellen Gott des Lichts. Als ich zuerst des jungen Goten lachend Auge sah und seine sonnige Seele mich umschloß, als so viel Jugend, Schönheit, Liebe und Glück mich umfluteten, da wähnte ich wohl, für immer sei jener Bann gelöst. Aber es währte nicht lang.

Der finstre Gott des Schmerzes pochte vernehmlich an die goldne Wand, die ich zwischen ihn und mich gebaut, und immer näher drangen seine Schläge. Der Krieg bricht aus, mein teurer Vater fällt und nimmt einen verhängnisvollen Eid des Geliebten mit sich ins Grab. In Schutt versinkt das Haus meiner Ahnen, und ich muß flüchten aus meiner Vaterstadt. Sie fällt dem Feinde zu. Nur das Opfer eines köstlichen Lebens rettet mir den Geliebten. Die Woge des Krieges verschlägt ihn fern von mir.

Und wie ich erwache aus der Betäubung dieses Streichs, -find' ich mich hier, in diesem großen Grabe, dem Ort meiner Bestimmung. Ach, du wirst sehen, der Himmel begnügt sich nicht mit dem leeren Grab. Er fordert auch die Leiche, die hineingehört.» - «Valeria! Du solltest Kassandra heißen.»

«Ja, denn Kassandra sah die Wahrheit, ihre Gesichte trafen ein!»

«Du weißt, wir erkennen einer Seele den Preis zu, die der Erde vergißt über dem Himmel. Aber Gott will erzwungene Opfer nicht. Und so sag' ich dir, du quälst dich mit eitlem

Vorwurf. Der Papst hat dich gelöst, so bist du frei.»

«Die Seele löst kein Papst. Der Papst nimm Gold, das Schicksal nicht. Du wirst erfüllt sehen, was ich dir ahnend vorhersage - nie werd' ich glücklich, nie werd' ich Totilas, und diese Stätte wird... -»

«Und wenn's so wäre? Hängst du denn noch gar so fest an Glück und Hoffnung? Freilich, du bist noch jung. Aber Kind, ich sage dir: je früher du dich losmachst, desto größerem Weh entrinnst du. Ich habe die Welt und ihre falschen Freuden und Ehren alle gekostet und sie alle eitel und treulos gefunden. Nichts auf Erden füllt die Seele aus, die nicht von dieser Erde ist. Wer das erkennt, der sehnt sich hinweg aus dieser Welt der Unrast und der Sünde. Erst in der Welt jenseits des Grabes ist deine Heimat. Dahin verlangt die ganze Seele... -»

«Nein, nein, Cassiodor», rief die Römerin, «meine ganze Seele verlangt nach Glück auf dieser schönen Erde! Ihr gehör' ich an! Auf ihr fühl' ich mich heimisch. Blauer Himmel, weißer Marmor, rote Rosen, linde, duftgefüllte Abendluft: - wie seid ihr schön!

Das will ich einatmen mit entzückten Sinnen! Wer das genießt, ist glücklich! Weh dem, der es verloren! Von deinem Jenseits hab' ich kein Bild in meiner bangen Seele! Nebel, Schatten - graues Ungewiß allein liegt jenseits des Grabes. Wie spricht Achilleus?

So empfind' auch ich. Weh dem, den nicht die goldne Sonne mehr bescheint. O wie gern, wie gern wär' ich glücklich in dieser schönen Welt, in meinem schönen Heimatland: wie fürcht' ich das Unheil, das doch unaufhaltsam näher dringt, wie hier auf dieser Wand mit der sinkenden Sonne die Schatten unhörbar, doch unhemmbar wachsen. Oh, wer ihn aufhielte, den furchtbar nahenden Schatten meines Lebens!»

Da drang vom Eingang her ein heller, kräftiglust'ger Schall, ein fremder Ton in diesen stillen Mauern, die nur vom leisen Choral der Jungfraun widertönten. Die Trompete blies den muntern, kriegerischen Feldruf der gotischen Reiter: belebend drang der Ton in die Seele Valerias.

Aus dem Wohngebäude aber eilte der alte Pförtner herbei. «Herr», rief er, «keckes Reitervolk lagert vor den Mauern. Sie lärmen und verlangen Fleisch und Wein. Sie lassen sich nicht abweisen und der Führer: - da ist er schon -»

«Totila!» jauchzte Valeria und flog dem Geliebten entgegen, der in schimmernder Rüstung, vom weißen Mantel umwallt, waffenklirrend, heranschritt.

«O du bringst Luft und Leben!» - «Und neues Hoffen und die alte Liebe», rief Totila. Und sie hielten sich umschlungen.

«Wo kommst du her? Wie lang bist du mir fern geblieben!» -«Ich komme geradewegs von Paris und Aurelianum, von den Höfen der Frankenkönige. O Cassiodor, wie gut sind jene daran jenseits der Berge! Wie leicht haben sie's! Da kämpft nicht Himmel und Boden und Erinnerung gegen ihre Germanenart. Nahe ist der Rhenus und Danubius, und ungezählte Germanenstämme wohnen dort in alter, ungebrochner Kraft: -wir dagegen sind wie ein vorgeschobner, verlorner Posten, ein einzelner Felsblock, den rings feindliches Element benagt.

Doch desto größer», sprach er sich aufrichtend, «ist der Ruhm, hier, mitten im Römerland, Germanen ein Reich zu bauen und zu erhalten.

Und welcher Zauber liegt auf deinem Vaterland, Valeria. Es ist das unsre auch geworden! Wie frohlockte mein Herz, als mich wieder Oliver und Lorbeer begrüßten und des Himmels tiefes, tiefes Blau. Und ich fühlte klar: wenn mein edles Volk sich siegreich erhält in diesem edlen Land, dann wird die Menschheit ihr edelstes Gebilde hier erstehen sehn. »

Valeria drückte dem Begeisterten die Hand.

«Und was hast du ausgerichtet?» fragte Cassiodor.

«Viel! - Alles! Ich traf am Hofe des Merowingen Childibert Gesandte von Byzanz, die ihn schon halb gewonnen, als sein Bundesgenosse in Italien einzufallen. Die Götter - vergib mir, frommer Vater -, der Himmel war mit mir und meinen Worten. Es gelang, ihn umzustimmen. Schlimmstenfalls ruhen seine Waffen ganz. Hoffentlich sendet er uns ein Heer zu Hilfe.»

«Wo ließest du Julius?»

«Ich geleitete ihn bis in seine schöne Heimatstadt Avenio. Dort ließ ich ihn unter blühenden Mandelbäumen und Oleandern. Dort wandelt er, fast nie mehr den Platon, meist den Augustinus in der Hand und träumt und träumt vom ewigen Völkerfrieden, vom höchsten Gut und von dem Staate Gottes! Wohl ist es schön in jenen grünen Tälern: - doch neid' ich ihm die Muße nicht. Das Höchste ist das Volk, das Vaterland! Und mich verlangt's, für dieses Volk der Goten zu kämpfen und zu ringen. Überall, wo ich des Rückwegs kam, trieb ich die Männer zu den Waffen an. Schon drei starke Scharen traf ich auf dem Wege nach Ravenna. Ich selber führe eine vierte dem wackern König zu. Dann geht es endlich vorwärts gegen diese Griechen, und dann: Rache für Neapolis!» Und mit blitzenden Augen hob er den Speer - er war sehr schön zu schauen.

Entzückt warf sich Valeria an seine Brust. »O sieh, Cassiodor, das ist meine Welt! meine Freude! mein Himmel! Mannesmut und Waffenglanz und Volkesliebe und diese Seele in Lieb' und Haß bewegt - füllt das die Menschenbrust nicht aus?»

«Jawohl: im Glück und in der Jugend! Es ist der Schmerz, der uns zum Himmel führt.»

«Mein frommer Vater», sagte Totila, mit der Linken Valeria an sich drückend, mit der Rechten an seine Schulter rührend, «schlecht steht mir an, mit dir, dem Altern, Weisern, Besseren zu streiten. Aber anders ist mein Herz geartet. Wenn ich je zweifeln könnte an eines gütigen Gottes Walten, so ist es, wann ich Schmerz und unverschuldet Leiden sehe. Als ich der edeln Miriam Auge brechen sah, da fragte mein verzweifelnd Herz:

Im Glück, im Sonnenschein fühl' ich den Gott, und seine Gnade wird mir offenbar. Er will gewiß der Menschen Glück und Freude: - der Schmerz ist sein heiliges Geheimnis - ich vertraue: dereinst wird uns auch dieses Rätsel klar. Einstweilen aber laß uns auf der Erde freudig das Unsere tun und keinen Schatten uns allzulang verdunkeln.

In diesem Glauben, Valeria, laß uns scheiden. Denn ich muß sofort zu König Witichis mit meinen Reitern.»

«Du gehst von mir? Schon wieder? Wann, wo werd' ich dich wiedersehn?»

«Ich seh' dich wieder, nimm mein Wort zum Pfand!

Ich weiß, es kommt der Tag, da ich mit vollem Recht dich aus diesen ernsten Mauern führen darf ins sonnige Leben. Laß dich indes nicht allzusehr verdüstern. Es kommt der Tag des Sieges und des Glücks: und mich erhebt's, daß ich zugleich das Schwert für mein Volk und meine Liebe führe.»

Inzwischen war der Pförtner mit einem Schreiben an Cassiodor wiedergekommen.

«Auch ich muß dich verlassen, Valeria», sprach der.

«Rusticiana, des Boethius Witwe, ruft mich dringend an ihr Sterbebett: sie will ihr Herz erleichtern von alter Schuld. Ich gehe nach Tifernum.»

«Dahin führt auch unser Weg, du ziehst mit mir, Cassiodor. Leb' wohl, Valeria!»

Nach kurzem Abschied sah die Jungfrau den Geliebten gehn. Sie bestieg ein Türmchen der Gartenmauer und sah ihm nach.

Sie sah, wie er in voller Rüstung sich in den Sattel schwang, sie sah mit freudigen Augen seine Reiter hinter ihm traben. Hell blitzten ihre Helme im Abendlicht, die blaue Fahne flatterte lustig im Winde: alles war voll Leben, Kraft und Jugend.

Sie sah dem Zuge nach, lang und sehnend.

Aber als er fern und ferner sich hinzog, da wich der frohe Mut, den sein Erscheinen gebracht, wieder von ihr. Bange Ahnungen stiegen in ihr auf, und unwillkürlich sprachen sich ihre Gefühle aus in den Worten ihres Homeros:

«Siehest du nicht, wie schön von Gestalt, wie stattlich Achilleus? Dennoch harrt auch seiner der Tod und das dunkle Verhängnis, Wann auch ihm in des Kampfes Gewühl das Leben entschwindet. Ob ihn ein Pfeil von der Sehne dahinstreckt, oder ein Wurfspeer.»

Und schmerzlich seufzend schritt die Jungfrau aus dem rasch sich verdunkelnden Garten in die dumpfen Mauern zurück.

Viertes Kapitel

Inzwischen hatte König Witichis in seinem Waffenplatz Ravenna jede Kunst und Tätigkeit eines erfahrenen Kriegsmannes entfaltet.

Während jede Woche, ja jeden Tag vor und in der Stadt größere und kleinere Scharen von den gotischen Heeren eintrafen, die der Verrat Theodahads an die Grenzen gesendet hatte, arbeitete der König unablässig daran, das ganze große Heer, das allmählich bis auf einhundertfünfzig Tausendschaften gebracht werden sollte, auszurüsten, zu waffnen, zu gliedern und zu üben.

Denn die Regierung Theoderichs war eine äußerst friedliche gewesen: nur die Besatzungen der Grenzprovinzen, kleine Truppenmassen, hatten mit Gepiden, Bulgaren und Awaren zu tun gehabt, und in den mehr als dreißig Jahren der Ruhe waren die kriegerischen Ordnungen eingerostet.

Da hatte der tüchtige König, von seinen Freunden und Feldherren eifrig unterstützt, Arbeit vollauf. Die Arsenale und Werften wurden geleert, in Ravenna ungeheure Vorratsspeicher angelegt und zwischen der dreifachen Umwallung der Stadt endlose Reihen von Werkstätten für Waffenschmiede aller Art aufgeschlagen, die Tag und Nacht unablässig zu arbeiten hatten, den Forderungen des kampfbegierigen Königs, des massenhaft anschwellenden Heeres zu genügen. Ganz Ravenna ward ein Kriegslager. Man hörte nichts als die Hammerschläge der Schmiede, das Wiehern der Rosse, den Sturmruf und Waffenlärm der sich übenden Heerscharen.

In diesem Getöse, in dieser rastlosen Tätigkeit betäubte Witichis, so gut es gehen wollte, den Schmerz seiner Seele, und begierig sah er dem Tag entgegen, da er sein schönes Heer zum Angriff gegen den Feind führen könne. Doch hatte er bei allem Drange, im Kampfgewühl sich selber zu verlieren, seiner Königspflicht nicht vergessen und durch Herzog Guntharis und Hildebad ein Friedensanerbieten an Belisar gesendet mit den mäßigsten Vorschlägen.

So von Krieg und Staat ganz in Anspruch genommen, hatte er kaum einen Blick und Gedanken für seine Königin, der er auch, wie er meinte, kein größeres Gut als die ungestörteste Freiheit zuwenden konnte.

Aber Mataswintha war von jener unheilvollen Brautnacht an von einem Dämon erfüllt, von dem Dämon unersättlicher Rache. In Haß übergeschlagene Liebe ist der giftigste Haß.

Ihre tiefe und leidenschaftliche Seele hatte von Kindheit an das Ideal dieses Mannes hoch zu den Sternen erhöht. Ihr Stolz, ihre Hoffnung, ihre Liebe, war einzig an dieser Gestalt gehangen, und sicher, wie den Aufgang der Sonne, hatte sie die Erfüllung ihrer Sehnsucht durch diesen Mann erwartet.

Und nun mußte sie sich gestehen, daß er ihre Liebe hatte ans Licht gebracht und nicht erwidert: daß sie, obwohl seine Königin, mit dieser Liebe wie eine Verbrecherin dem verstoßenen und doch ewig allein in seinem Herzen wohnenden Weibe gegenüberstehe. Und er, auf den sie als Retter und Befreier von unwürdigem Zwang gehofft, er hatte ihr die höchste Schmach angetan: eine Ehe ohne Liebe. Er hatte ihr die Freiheit genommen und kein Herz dafür gegeben. Und warum? Was war der letzte Grund dieses Frevels?

Das Gotenreich, die Gotenkrone!

Sie zu erhalten, hatte er sich nicht besonnen, einer Mataswintha Leben zu verderben. «Hätte er meine Liebe nicht erwidert - ich wäre zu stolz, ihn darum zu hassen. Aber er zieht mich an sich, behängt mich, wie zum Hohne, mit dem Namen seines Weibes, führt diese Liebe bis hart an den Gipfel der Erfüllung und stößt mich dann achtlos hinunter in die Nacht unaussprechlicher Beschämung. Und warum? Warum das alles? Um einen eiteln, leeren Schall: Um einen toten Reif von Gold. Weh ihm, und wehe seinem Götzen, dem er dies Herz geschlachtet. Er soll es büßen. An seinem Götzenbilde soll er's büßen. Hat er mir ohne Schonung mein Idol, sein eigen Bild, meine schöne Liebe mit Füßen getreten, - wohlan, Götze gegen Götze! Er soll leben, dieses Reich vernichtet zu sehen, diese Krone zerstückt. Zerschlagen will ich ihm seinen Lieblingswahn, um den er die Blüte meiner Seele geknickt, zerschlagen dieses Reich wie seine Büste. Und wenn er verzweifelnd, händeringend vor den Trümmern steht, will ich ihm zurufen: sieh, so sehn die zerschlagenen Götzen aus.»

So, in der widerstandslosen Sophistik der Leidenschaft, beschuldigte und verfolgte Mataswintha den unseligen Mann, der mehr als sie gelitten, der nicht nur sie, der sein und des geliebten Weibes Glück dem Vaterland geopfert.

Vaterland, Gotenreich: - der Name schlug ohne Klang an das Ohr des Weibes, das von Kindheit auf unter diesem Namen nur zu leiden, nur dagegen für ihre Freiheit zu ringen gehabt hatte. Sie hatte nur der Selbstsucht ihres einen Gefühls, der Poesie dieser Leidenschaft gelebt, und zur Rache, Rache für die Hinopferung ihrer Seele, dies Gotenreich zu verderben, war ihre höchste, grimmige Lust. O hätte sie, wie jene Marmorbüste, mit einem Streich, dies Reich zerschmettern können!

Mit diesem Wahnsinn der Leidenschaft empfing sie aber deren ganze dämonische Klugheit. Sie wußte ihren tödlichen Haß und ihre geheimen Rachegedanken so tief vor dem König zu verbergen, - so tief, wie sie sich selbst die geheime Liebe verbarg, die sie noch immer für den grimmig Verfolgten im tiefsten Busen trug.

Auch wußte sie dem König ein Interesse an der gotischen Sache zu zeigen, welches das einzige Band zwischen ihnen zu bilden schien, und das, wenn auch in feindlichem Sinne, wirklich in ihr bestand. Denn wohl begriff sie, daß sie dem gehaßten König nur dann schaden, seine Sache nur dann verderben konnte, wenn sie in alle Geheimnisse derselben genau eingeweiht, mit ihren Stärken wie mit ihren Blößen genau vertraut war.

Ihre hohe Stellung machte ihr leicht möglich, alles, was sie wissen wollte, zu erfahren: schon aus Rücksicht auf ihren großen Anhang konnte man der Amalungentochter, der Königin, Kenntnis der Lage ihres Reiches, ihres Heeres nicht vorenthalten. Der alte Graf Grippa versah sie mit allen Nachrichten, die er selbst erfuhr. In wichtigeren Fällen wohnte sie selbst den Beratungen bei, die in den Gemächern des Königs gehalten wurden.

So war Mataswintha über Stärke, Beschaffenheit und Einteilung des Heeres, die nächsten Angriffspläne der Feldherren und alle Hoffnungen und Befürchtungen der Goten so gut wie der König selbst unterrichtet. Und sehnlich wünschte sie eine Gelegenheit herbei, dies ihr Wissen sobald und so verderblich wie möglich zu verwerten.

Mit Belisar selbst in Verkehr zu treten durfte sie nicht hoffen. Naturgemäß richteten sich ihre Augen auf die aus Furcht vor den Goten neutralen, im Herzen aber ausnahmslos byzantinischgesinnten Italier ihrer Umgebung, mit denen sie leichten und unverdächtigen Verkehr pflegen konnte.

Aber sooft sie diese Namen im Geiste musterte, - da war keiner, dessen Tatkraft und Klugheit sie das tödliche Geheimnis hätte vertrauen mögen, daß die Königin der Goten selbst am Verderben ihres Reiches arbeiten wolle. Diese feigen und unbedeutenden Menschen - die Tüchtigeren waren längst zu Cethegus oder Belisar gegangen - waren ihr weder des Vertrauens würdig, noch schienen sie Witichis und seinen Freunden gewachsen.

Wohl suchte sie auf schlauen Umwegen durch den König und die Goten selbst zu erkunden, welchen unter allen Römern sie für ihren gefährlichsten, bedeutendsten Feind hielten. Aber auf solche Anfragen und Erkundigungen hörte sie immer nur einen Mann nennen, immer und immer wieder einen einzigen. Und der saß ihr unerreichbar fern im Kapitol von Rom: Cethegus, der Präfekt. Es war ihr unmöglich, sich in Verbindung mit ihm zu setzen. Keinem ihrer römischen Sklaven wagte sie einen so verhängnisvollen Auftrag, als ein Brief nach Rom war, anzuvertrauen.

Die kluge und mutige Numiderin, die den Haß ihrer angebeteten Herrin gegen den rohen Barbaren, der diese verschmäht, vollauf teilte, ungeschwächt bei ihr durch heimliche Liebe, hatte sich zwar eifrig erboten, ihren Weg zu Cethegus zu finden. Aber Mataswintha wollte das Mädchen nicht den Gefahren einer Wanderung durch Italien, mitten durch den Krieg, aussetzen. Und schon gewöhnte sie sich an den Gedanken, ihre Rache bis zu dem Zug auf Rom zu verschieben, ohne inzwischen in ihrem Eifer in Erforschung der gotischen Pläne und Rüstungen zu erkalten.

So wandelte sie eines Tages nach der Stadt zurück von dem

Kriegsrat, der draußen im Lager, im Zelt des Königs, war gehalten worden. Denn seit die Rüstungen ihrer Vollendung nah und die Goten jeden Tag des Aufbruchs gewärtig waren, hatte Witichis, wohl auch um Mataswintha aus dem Wege zu sein, seine Gemächer im Palatium verlassen und seine schlichte Wohnung mitten unter seinen Kriegern aufgeschlagen.

Langsam, das Vernommene ihrem Gedächtnis einprägend und über die Verwertung nachsinnend, wandelte die Königin, nur von Aspa begleitet, durch die äußersten Reihen der Zelte, einen sumpfigen Arm des Padus zur Linken, die weißen Zelte zur Rechten. Sie mied das Gedränge und den Lärm der innern Gassen des Lagers.

Während sie bedächtig und ihrer Umgebung nicht achtend dahinschritt, musterten Aspas scharfe Augen die Gruppe von Goten und Italiern, die sich hier um den Tisch eines Gauklers geschart hatte, der unerhörte und nie gelesene Künste zum besten zu geben schien, nach dem Staunen und Lachen der Zuschauer zu schließen.

Aspa zögerte etwas in ihrem Gang, diese Wunder mit anzusehen. Es war ein junger, schlanker Bursch: nach der blendend weißen Haut des Gesichts und der bloßen Arme wie nach dem langen gelben Haar gallischen Zuschnitts ein Kelte, wozu die kohlschwarzen Augen nicht stimmen wollten. Er verrichtete wirklich Wunderdinge auf seiner einfachen Bühne. Bald sprang er in die Höhe, überschlug sich in der Luft und kam doch senkrecht bald wieder auf die Füße, bald auf die Hände zu stehen. Dann schien er brennende Kohlen mit sichtlichem Behagen zu verspeisen und dafür Münzen auszuspeien: dann verschluckte er einen fußlangen Dolch und zog ihn später wieder aus seinen Haaren hervor, um ihn mit drei, vier andern scharfgeschliffenen Messern in die Luft zu werfen und eines nach dem andern mit nie fehlender Behendigkeit am Griff aufzufangen, wofür ihn Gelächter und Rufe der Bewunderung von seiten seiner Zuschauer belohnten.

Aber schon zu lange hatte sich die Sklavin verweilt.

Sie sah nach der Herrin und bemerkte, daß ihr Weg gesperrt war von einer Schar italischer Lastträger und Troßknechte, welche die Gotenkönigin offenbar nicht kannten und gerade an ihr vorbei, über den Weg hin, nach dem Wasser zu, lärmende Kurzweil trieben. Sie schienen sich einen Gegenstand, den Aspa nicht wahrnahm, zu zeigen und ihn mit Steinen zu bewerfen.

Eben wollte sie ihrer Herrin nacheilen, als der Gaukler neben ihr auf dem Tisch einen gellenden Schrei ausstieß; Aspa wandte sich erschrocken und sah den Gallier in ungeheurem Satz über die Köpfe der Zuschauer weg wie einen Pfeil durch die Luft auf die Italier losschießen. Schon stand er mitten in dem Haufen und schien, sich bückend, einen Augenblick unter ihnen verschwunden.

Aber plötzlich war er sichtbar. Denn einer und gleich darauf ein zweiter Italier stürzte von seinen Faustschlägen nieder.

Im Augenblick war Aspa an den Königin Seite, die sich schnell aus der Nähe der Schlägerei entfernt hatte, aber, zu der Sklavin Befremden, stehen blieb, mit dem Finger auf die Gruppe weisend.

Und seltsam in der Tat war das Schauspiel.

Mit unglaublicher Kraft und noch größerer Gewandtheit wußte der Gaukler das Dutzend der Angreifer sich vom Leibe zu halten. Die Gegner anspringend, sich wendend und duckend, weichend, darin wieder plötzlich vorspringend und den nächsten am Fuß niederreißend oder mit kräftigem Faustschlag vor Brust oder Gesicht niederstreckend, wehrte er sich.

Und das alles ohne Waffe, und nur mit der rechten Hand: denn die linke hielt er, wie etwas bergend und schützend, dicht an die Brust. So währte der ungleiche Kampf minutenlang. Der Gaukler ward näher und näher von der wütenden, lärmenden Menge dem Wasser zugedrängt. Da blitzte eine Klinge. Einer der Troßknechte, zornig über einen schweren Schlag, zückte ein

Messer und sprang den Gaukler von hinten an. Mit einem Schrei stürzte dieser zusammen: die Feinde über ihn her.

«Auf! Reißt sie auseinander! Helft dem Armen», rief Mataswintha den Kriegern zu, die jetzt von dem verlassenen Tisch der Goten herankamen, «ich befehle es, die Königin!»

Die Goten eilten nach dem Knäuel der Streitenden: aber noch ehe sie herankamen, sprang der Gaukler, der sich für einen Moment von allen Feinden losgemacht, hoch aus dem Gewirr und eilte mit letzter Kraft davon, gerade auf die beiden Frauen zu - verfolgt von den Italiern, welche die wenigen Goten nicht aufzuhalten vermochten.

Welch ein Anblick! Seine gallische Tunika hing ihm in Fetzen vom Leibe: ein Stück seiner gelben Haare schleifte am Rücken, und siehe, unter der gelben Perücke kam schwarzes glänzendes Haar zum Vorschein, und der weiße Hals verlief in eine bronzebraune Brust.

Mit letzter Kraft erreichte er die Frauen. Da erkannte er Mataswintha. «Schütze mich, rette mich, weiße Göttin!» schrie er und brach zusammen vor Mataswinthas Füßen. Schon waren die Italier heran, und der vorderste schwang sein Messer. -

Aber Mataswintha breitete ihren blauen Mantel über den Gefallenen: «Zurück!» sprach sie mit Hoheit, «laßt ab von ihm. Er steht im Schutz der Gotenkönigin.» Verblüfft wichen die Troßknechte zurück. «So?» rief nach einer Pause der mit dem Dolch, «straflos soll er ausgehen, der Hund und Sohn eines Hundes? Und fünf von uns liegen am Boden halbtot? Und ich habe fortan drei Zähne zu wenig? Und keine Strafe?» - «Er ist gestraft genug», sagte Mataswintha, auf die tiefe Dolchwunde am Halse deutend. «Und all das um einen Wurm», schrie ein zweiter, «um eine Schlange, die aus seinem Ranzen schlüpfte, und die wir mit Steinen warfen.» - «Da seht! Er hat die Natter geborgen, da, an seiner Brust. Nehmt sie ihm.» - «Schlagt ihn tot», schrien die andern.

Aber da kamen zahlreiche Gotenkrieger heran und schafften ihrer Königin Gehorsam, die Italier unsanft zurückstoßend und einen Kreis um den Gefallenen schließend. Aspa blickte scharf zu, und plötzlich sank sie mit gekreuzten Armen neben dem Gaukler nieder.

«Was ist dir, Aspa? Steh auf!» sprach Mataswintha staunend. «O Herrin!» stammelte diese, «der Mann ist kein Gallier! Er ist ein Sohn meines Volkes. Er betet zu dem Schlangengott! Sieh hier seine braune Haut unter dem Halse. Braun wie Aspa, - und hier - hier, eine Schrift; Schriftzeichen eingeritzt über seiner Brust: die heilige Gemeinschaft meiner Heimat», jubelte sie. Und, mit dem Finger deutend, hob sie an zu lesen.

«Der Gaukler scheint verdächtig. - Warum diese Verstellung?» sprach Mataswintha. «Man muß ihn in Haft nehmen.»

«Nein, nein, o Herrin», flüsterte Aspa. «Weißt du, wie die Inschrift lautet? - Kein Auge als meines kann sie dir deuten» -«Nun?», fragte Mataswintha. «Sie lautet», flüsterte Aspa leise: Syphax schuldet ein Leben seinem Herrn, Cethegus, dem Präfekten. Ja, ja, ich erkenne ihn, das ist Syphax, Hiempsals Sohn, ein Gastfreund meines Stammes: die Götter senden ihn zu uns.»

«Aspa», sprach Mataswintha rasch, «ja, ihn senden die Götter: die Götter der Rache. Auf, ihr Goten, legt diesen wunden Mann auf eine Bahre, und folgt damit meiner Sklavin in den Palast! Er steht fortan in meinem Dienst.»

Fünftes Kapitel

Wenige Tage darauf begab sich Mataswintha wieder ins Lager, diesmal nicht von Aspa begleitet. Denn diese wich Tag und Nacht nicht von dem Bette ihres verwundeten Landsmannes, der unter ihren Händen, ihren Kräutern und

Sprüchen sich rasch erholte.

König Witichis selbst hatte diesmal die Königin abgeholt mit dem ganzen Geleit seines Hofes. In seinem Zelte sollte der wichtigste Kriegsrat gehalten werden. Das Eintreffen der letzten Verstärkungen war auf heute angekündigt: und auch Guntharis und Hildebad wurden zurückerwartet mit der Antwort Belisars auf das Friedensanerbieten.

«Ein verhängnisvoller Tag!» sagte Witichis zu seiner Königin. «Bete zum Himmel um den Frieden.»

«Ich bete um den Krieg», sprach Mataswintha, starr vor sich hinblickend. «Verlangt dein Frauenherz so sehr nach Rache?» -«Nach Rache nur noch ganz allein und sie wird mir werden.»

Damit traten sie in das Zelt, welches schon von gotischen Heerführern erfüllt war. Mataswintha dankte mit stolzem Kopfbeugen dem ehrerbietigen Gruß. «Sind die Gesandten zurück?» fragte der König, sich setzend, den alten Hildebrand, «so führt sie ein.»

Auf ein Zeichen des Alten erhoben sich die Seitenvorhänge, und Herzog Guntharis und Hildebad traten ein, sich tief verneigend.

«Was bringt ihr? Frieden oder Krieg?» fragte Witichis eifrig. «Krieg! Krieg, König Witichis!» riefen beide Männer mit einem Munde. «Wie? Belisar verwirft die Opfer, die ich ihm biete? Du hast ihm freundlich, eindringlich, meine Vorschläge mitgeteilt?»

Herzog Guntharis trat vor und sprach: «Ich traf den Feldherrn im Kapitol als Gast des Präfekten und sprach zu ihm:

In dreißig Tagen kann er mit hundertfünfzig Tausendschaften wehrhafter Goten vor diesen Toren stehen. Und ein Schlachten und Ringen um diese ehrwürdige Stadt wird anheben, wie es ihre seit tausend Jahren mit Blut getränkten Gefilde nie geschaut.

Der König der Goten liebt den Frieden mehr als selbst den Sieg: und er gelobt, Kaiser Justinian die Insel Sizilien abzutreten und ihm in jedem seiner Kriege mit dreißigtausend Mann Goten beizustehen, wenn ihr sofort Rom und Italien räumt, das uns gehört nach dem Recht der Eroberung wie nach dem Vertrag mit Kaiser Zeno, der es Theoderich überließ, wenn er den Odoaker stürzen könne.) So sprach ich, deinem Auftrag gemäß.

Belisar aber lachte und rief: »

Ein Murren, der Entrüstung ging durch das Zelt.

«Zornig, ohne Antwort auf solchen Vorschlag, wandten wir ihm den Rücken und schritten hinaus. , rief er uns nach. Da wandt' ich mich», sprach Hildebad, «und rief: Auf, König Witichis, jetzt zu den Waffen. Du hast das Äußerste versucht an Friedensliebe und Schmach geerntet. Jetzt auf! Lang genug hast du gezögert und gerüstet! Jetzt führ' uns an, zum Kampf.»

Da tönten Trompetenstöße aus dem Lager: man hörte den Hufschlag eilig nahender Rosse. Alsbald hob sich der Vorhang des Zeltes, und eintrat Totila in glänzenden Waffen, vom weißen Mantel umwallt. «Heil meinem König, Heil dir, Königin», sprach er huldigend. «Mein Auftrag ist erfüllt: ich bringe dir den Freundesgruß des Frankenkönigs. Er hielt ein Heer bereit im Solde von Byzanz, dich anzugreifen. Es gelang mir, ihn umzustimmen. Sein Heer wird nicht gegen die Goten in Italien einrücken. Graf Markja von Mediolanum, der bisher die Cottischen Alpen gegen die Franken gedeckt, ward dadurch frei mit seinen Tausendschaften: er folgt mir in Eile. Im Rückweg hab' ich aufgerafft, was ich irgend von waffenfähigen Männern fand, und die Besatzungen der Burgen an mich gezogen. Ferner:

Wir hatten bisher Mangel an Reiterei. Getrost, mein König: ich führe dir sechstausend Reiter zu, auf herrlichen Rossen. Sie verlangen, sich zu tummeln in den Ebenen von Rom. Nur ein Wunsch lebt in uns allen: führ' uns zum Kampf, zum Kampf nach Rom.»

«Hab' Dank, mein Freund, für dich und deine Reiter.

Sprich, Hildebrand, wie verteilt sich jetzt unsres Heeres Macht? Sagt an, ihr Feldherren, wie viele führt ein jeder von euch? Ihr Notare, zeichnet auf!»

«Ich führe drei Tausendschaften Fußvolk», rief Hildebad. «Ich vierzig Tausendschaften zu Fuß und zu Roß mit Schild und Speer», sprach Herzog Guntharis. «Ich vierzig Tausendschaften zu Fuß: Bogenschützen, Schleuderer, Speerträger», sagte Graf Grippa von Ravenna. «Ich sieben Tausendschaften mit Messer und Keule», zählte Hildebrand. «Und dazu Totilas sechs Tausendschaften Reiter und vierzehn erlesene Tausendschaften Tejas mit der Streitaxt - wo ist er? Ich vermisse ihn hier!» -«Und ich habe meine Scharen zu Fuß und zu Roß auf fünfzig Tausendschaften erhöht», schloß der König.

«Das sind zusammen einhundertsechzig Tausendschaften», schrieb der Protonotar, die Pergamentrolle dem König überreichend.

Da flog ein froher Glanz kriegerischen Stolzes über des Königs ernstes Angesicht. «Einhundertsechzig Tausendschaften gotischer Männer: Belisar, sollen sie vor dir die Waffen strecken, ohne Kampf? Wie lang braucht ihr noch Rast, um aufzubrechen?»

Da eilte der schwarze Teja ins Zelt. Er hatte beim Eintreten die letzte Frage vernommen. Sein Auge sprühte Blitze, er bebte vor Zorn. «Rast? Keine Stunde Rast mehr: auf zur Rache, König Witichis! Ein ungeheuren Frevel ist geschehn, der laut um

Rache gen Himmel schreit. Führ' uns sofort zum Kampf!»

«Was ist geschehn?»

«Ein Feldherr Belisars, der Hunne Ambazuch, umschloß, wie du weißt, seit lange mit Hunnen und Armeniern das feste Petra. Kein Entsatz war nah und fern. Der junge Graf Arahad nur - er suchte wohl den Tod - überfiel mit seiner kleinen Gefolgschaft die Übermacht; er fiel im tapfersten Gefecht. Verzweifelt widerstand das Häuflein gotischer Männer in der Burg. Denn alles wehrlose Volk der Goten: Greise, Kranke, Weiber, Kinder, vom flachen Land in Tuscien, Valeria und Picenum war hierher geflüchtet vor dem Feind, wohl viele Tausend. Endlich zwang sie der Hunger, gegen freien Abzug die Tore zu öffnen. Der Hunne schwor allen Goten in der Stadt, ihr Blut nicht zu vergießen. Er zog ein und befahl den Goten, sich in der großen Basilika Sankt Zenos zu versammeln. Das taten sie, über fünftausend Köpfe, Greise, Weiber, Kinder und ein paar hundert Krieger. Und als sie alle beisammen... -» Teja hielt schaudernd inne.

«Nun?» fragte Mataswintha, erblassend.

«Da schloß der Hunne die Türen, umstellte das Haus mit seinem Heer und - verbrannte sie alle fünftausend samt der Kirche.»

«Und der Vertrag?» rief Witichis.

«Ja, so schrien auch die Verzweifelten ihn an durch Qualm und Flammen. , lachte der Hunne, . Und so sahen die Byzantiner zu, wie fünftausend Goten, Greise, Weiber, Kranke, Kinder - König Witichis, hörst du's? Solches geschieht, und du - du sendest Friedensboten! Auf, König Witichis», rief der Ergrimmte, das Schwert aus der Scheide reißend, «wenn du ein Mann bist, brich jetzt auf zur Rache. Die Geister der Erwürgten ziehen vorauf: Führ' uns zum Kampf! Zur

Rache führ' uns an!»

«Führ' uns zum Kampf! Zur Rache führ' uns an!» widerhallte das Zelt vom Ruf der Goten.

Da stand Witichis auf in ruhiger Kraft.

«So soll's sein. Das Äußerste geschah. Und unsere beste Rüstung ist unser Recht: jetzt auf, zum Kampf.»

Und er reichte seiner Königin die Pergamentrolle, die er in der Hand hielt, die über seinem Stuhl hängende Königsfahne, das blaue Bandum, zu ergreifen.

«Ihr seht das alte Banner Theoderichs in meiner Hand, das er von Sieg zu Sieg getragen. Wohl ruht es jetzt in schlechtrer Hand, als seine war: - doch zaget nicht. Ihr wisset: übermütige Zuversicht ist meine Sache nicht, doch diesmal sag' ich euch voraus: in dieser Fahne rauscht ein naher Sieg, ein großer, stolzer, rachefroher Sieg. Folgt mir hinaus. Das Heer bricht auf, sogleich. Ihr Feldherren, ordnet eure Scharen: nach Rom!»

«Nach Rom», widerhallte das Zelt. «Nach Rom!»

Sechstes Kapitel

Inzwischen schickte sich Belisar an, mit der Hauptmacht seines Heeres die Stadt zu verlassen. Johannes hatte er deren Bewachung übertragen.

Er hatte beschlossen, die Goten in Ravenna aufzusuchen. Sein bisher von keinem Unfall gehemmter Siegeslauf und die Erfolge seiner vorausgeschickten Streitsachen, die durch den Übergang der Italier alles flache Land, auch alle Festen und Burgen und Städte, bis nahe bei Ravenna, gewonnen, hatten in ihm die Zuversicht erzeugt, daß der Feldzug bald beendigt und nur das Erdrücken der ratlosen Barbaren in ihrem letzten Schlupfwinkel übrig sei.

Denn nachdem Belisar selbst den ganzen Süden der

Halbinsel: Bruttien, Lucanien, Calabrien, Apulien, Campanien: dann Rom mit Samnium und die Valeria durchzogen und besetzt hatte, waren seine Unterfeldherren, Bessas und Constantinus, mit der lanzentragenden Leibwache des Feldherrn, die unter Führung des Armeniers Zanter, des Persers Chanaranges und des Massageten Aschman standen, vorausgesendet worden, Tuscien zu unterwerfen.

Bessas rückte vor das sturmfeste Narnia: für die damaligen Belagerungsmittel war die Burgstadt fast uneinnehmbar: - sie thront auf hohem Berge, dessen Fuß der tiefe Nar umspült. Die beiden einzigen Zugänge, vom Osten und vom Westen, sind ein enger Felsenpaß und die hohe, alte, vom Kaiser Augustus gebaute, befestigte Brücke. - Aber die römische Bevölkerung überwältigte die halbe gotische Hundertschaft, die hier lag, und öffnete den Thrakiern des Bessas die Tore. Dem Constantinus erschlossen sich ebenso ohne Schwertstreich Spoletium und Perusia. Auf der östlichen Seite des Ionischen Meerbusens hatte inzwischen ein andrer Unterfeldherr Belisars, der Comes Sacri Stabuli Constantinus, den Tod zweier byzantinischer Heerführer, des Magister Militum für Illyrien, Mundus, und seines Sohnes Mauricius, die gleich im Anfang des Krieges bei Salona in Dalmatien im Gefecht gegen die Goten gefallen waren, gerächt, Salona besetzt und durch seine große Übermacht die geringen gotischen Scharen zum Rückzug auf Ravenna gezwungen. Ganz Dalmatien und Liburnien war darauf den Byzantinern zugefallen. Von Tuscien aus streiften, wie wir sahen, die Hunnen Justinians schon durch Picenum und bis in die Ämilia.

Die Friedensvorschläge des Gotenkönigs hielt Belisar daher für Zeichen der Schwäche. Daß die Barbaren zum Angriff übergehen könnten, fiel ihm nicht ein. Dabei trieb es ihn, Rom zu verlassen, wo es ihn anwiderte, der Gast des Präfekten zu heißen; im freien Felde mußte sein Übergewicht bald wieder hervortreten.

Der Präfekt ließ das Kapitol in der treuen Hut Lucius Licinius und folgte dem Zuge Belisars. Vergebens warnte er diesen vor allzu großer Zuversicht.

«Bleibe du doch hinter den Felsen des Kapitols, wenn du die Barbaren fürchtest», hatte dieser stolz geantwortet.

«Nein», erwiderte dieser. «Eine Niederlage Belisars ist ein zu seltnes Schauspiel, man darf es nicht versäumen.» In der Tat, Cethegus hätte eine Demütigung des großen Feldherrn, dessen Ruhm die Italier allzusehr anzog, gern gesehen.

Belisar hatte sein Heer aus den nördlichen Toren der Stadt geführt und wenige Stadien vor der Stadt in einem Lager versammelt, es hier zu mustern und neu zu ordnen und zu gliedern. Schon der starke Zufluß von Italiern, die zu seinen Fahnen geeilt waren, machte es nötig. Auch Ambazuch, Bessas und Constantinus hatte er mit dem größten Teil ihrer Truppen wieder in dies Lager herangezogen: sie ließen in den von ihnen gewonnenen Städten nur kleine Besatzungen zurück.

Dunkle Gerüchte von einem anrückenden Gotenheer hatten sich in das Lager verbreitet. Aber Belisar schenkte ihnen keinen Glauben. «Sie wagen es nicht», hatte er dem warnenden Prokop entgegnet. «Sie liegen in Ravenna und zittern vor Belisarius.»

Spät in der Nacht lag Cethegus schlaflos auf dem Lager in seinem Zelt. Er ließ die Ampel brennen. «Ich kann nicht schlafen», sagte er «In den Lüften klirrt es wie Waffen und riecht's wie Blut. Die Goten kommen. Sie rücken wohl durch die Sabina, die Via casperia und salara herab.»

Da rauschten seine Zeltvorhänge zurück, und Syphax stürzte atemlos an sein Lager.

«Ich weiß es schon», sagte Cethegus aufspringend, «was du meldest: die Goten kommen. »

«Ja, Herr, morgen sind sie da. Sie zielen auf das salarische Tor. Ich hatte das beste Roß der Königin, aber dieser Totila, der den Vortrab führt, jagt wie der Wind durch die Wüste. Und hier

im Lager ahnt niemand etwas.»

«Der große Feldherr», lächelte Cethegus, «hat keine Vorposten ausgestellt.» - «Er verließ sich ganz auf den festen Turm an der Aniusbrücke*, aber... -«

«Nun, der Turm ist fest.» - «Ja, aber die Besatzung, römische Bürger aus Neapolis, ging zu den Goten über, als sie der junge Totila, der Führer des Vortrabs, anrief. Die Leibwächter Belisars, welche sich widersetzten, wurden gebunden, zumal Junocentius, und Totila ausgeliefert. Der Turm und die Brücke ist in der Goten Hand.»

«Es wird hübsch werden! Hast du eine Ahnung, wie stark der Feind?» - «Keine Ahnung. Herr: ich weiß es so genau wie König Witichis selbst. Hier die Liste ihrer Truppen. Sie schickt dir Mataswintha, seine Königin.»

Cethegus sah ihn forschend an. «Geschehen Wunder, die Barbaren zu verderben?»

«Ja, Herr, Wunder geschehen! Dies sonnenschöne Weib will ihres Volkes Untergang um des einen willen. Und dieser eine ist ihr Gatte.»

«Du irrst», sagte Cethegus, «sie liebte ihn schon als Mädchen und kaufte seine Büste.»

«Ja, sie liebt ihn. Aber er nicht sie. Und die Marsbüste ward zerschlagen in der Brautnacht.»

«Das hat sie dir doch schwerlich selbst gesagt.»

«Aber Aspa, die Tochter meines Landes, ihre Sklavin. Sie sagt mir alles. Sie liebt mich. Und sie liebt ihre Herrin, fast wie ich dich. Und Mataswintha will mit dir das Gotenreich verderben. Und sie wird durch Aspa alles schreiben in den Zauberzeichen unseres Stammes. Und ich würde diese Sonnenkönigin zu meinem Weibe nehmen, wenn ich Cethegus wäre.»

«Ich auch, wenn ich Syphax wäre. Aber deine Botschaft ist eine Krone wert! Ein listig, rachedürstend Weib wiegt Legionen auf! Jetzt Trotz euch, Belisar, Witichis und Justinian! Erbitte dir eine Gnade, jede, nur nicht die Freiheit: - ich brauche dich noch.«

«Meine Freiheit ist - dir dienen. Eine Gunst: laß mich morgen neben dir fechten,»

«Nein, mein hübscher Panther, deine Klauen kann ich noch nicht brauchen: - nur deinen Leisegang. Du schweigst gegen jedermann von der Goten Nähe und Stärke. Lege mir die Rüstung an, und gib den Plan der salarischen Straße dort aus der Kapsel. Jetzt rufe mir Marcus Licinius und den Führer meiner Isaurier, Snadil.» Syphax verschwand. Cethegus warf einen Blick auf den Plan. «Also dort her, von Nordwesten, kommen sie, die Hügel herab. Wehe dem, der sie dort aufhalten will. Darauf folgt der tiefe Talgrund, in dem wir lagern. Hier wird die Schlacht geschlagen und verloren. Hinter uns, südöstlich, zieht sich unsre Stellung entlang dem tiefen Bach; in diesen werden wir unfehlbar geworfen: die Brücken werden nicht zu halten sein. Darauf eine Strecke flachen Landes - welch schönes Feld für die gotischen Reiter, uns zu verfolgen! - Noch weiter rückwärts endlich ein dichter Wald und eine enge Schlucht mit dem zerfallnen Kastell Hadrians... Marcus», rief er dem Eintretenden entgegen, «meine Scharen brechen auf. Wir ziehn hinab den Bach in den Wald, und jedem, der dich fragt, dem sagst du: wir ziehn zurück nach Rom.»

«Nach Hause? Ohne Kampf?» fragte Marcus erstaunt, «du weißt doch: es steht der Kampf bevor!»

«Eben deswegen!» Damit schritt er hinaus, Belisar in seinem Zelt zu wecken. Aber er fand ihn schon wach: Prokop stand bei ihm. «Weißt du's schon, Präfekt? Flüchtendes Landvolk meldet, ein Häuflein gotischer Reiter naht: die Tollkühnen reiten in ihr Verderben: sie wähnen die Straße frei bis Rom.» Und er fuhr fort sich zu rüsten.

«Aber die Bauern melden, die Reiter seien nur die Vorhut. Es folge ein furchtbares Heer von Barbaren», warnte Prokop.

«Eitle Schrecken! Sie fürchten sich, diese Goten. - Witichis wagt gar nicht, mich aufzusuchen. Endlich habe ich ja, vierzehn Stadien vor Rom, die Atilobrücke durch einen Turm geschützt: Martinus hat ihn gebaut nach meinem Gedanken; - der allein hält der Barbaren Fußvolk mehr als eine Woche auf - mögen auch ein paar Gäule durch den Fluß geschwommen sein.»

«Du irrst, Belisarius! Ich weiß es gewiß: das ganze Heer der Goten naht», sprach Cethegus. «So geh nach Hause, wenn du es fürchtest.» - «Ich mache Gebrauch von dieser deiner Erlaubnis. Ich habe mir in diesen Tagen das Fieber geholt. Auch meine Isaurier leiden daran: - ich ziehe mit deiner Gunst nach Rom zurück.»

«Ich kenne dieses Fieber», sagte Belisar - «das heißt: - an andern. Es vergeht, sowie man Graben und Wall zwischen sich und dem Feinde hat. Zieh ab, wir brauchen dich so wenig wie deine Isaurier.»

Cethegus verneigte sich und ging. «Auf Wiedersehen», sprach er, «o Belisarius. Gib das Zeichen zum Aufbruch meinen Isauriern», sprach er im Lager laut zu Marcus. «Und meinen Byzantinern auch», setzte er leiser bei.

«Aber Belisar hat... » -

«Ich bin ihr Belisar. Syphax, mein Pferd.» Während er aufstieg, sprengte ein Zug römischer Reiter heran: Fackeln leuchteten dem Anführer vorauf.

«Wer da? Ah du, Cethegus? Wie, du reitest ab? Deine Leute ziehn sich nach dem Fluß? Du wirst uns doch nicht verlassen, jetzt, in dieser höchsten Gefahr?» Cethegus beugte sich vor. «Sieh, du, Calpurnius! Ich erkannte dich nicht: du siehst so bleich. Was bringst du von den Vorposten?»

«Flüchtige Bauern sagen», sprach Calpurnius ängstlich, «es sei gewiß mehr als eine Streifschar. Es sei der König der

Barbaren, Witichis selbst, im raschen Anzug durch die Sabina: sie seien schon auf dem linken Tiberufer: Widerstand ist dann... - Wahnsinn - Verderben. Ich folge dir, ich schließe mich dir an.»

«Nein», sagte Cethegus herb, «du weißt, ich bin abergläubisch: ich reite nicht gern mit den Furien verfallnen Männern. Dich wird die Strafe für deinen feigen Knabenmord sicher bald ereilen. Ich habe nicht Lust, sie mit dir zu teilen.»

«Doch flüstern Stimmen in Rom, auch Cethegus verschmähe manchmal einen bequemen Mord nicht», sprach Calpurnius grimmig.

«Calpurnius ist nicht Cethegus», sprach der Präfekt, stolz davonsprengend. «Grüße mir einstweilen den Hades!» rief er.

* Prokop, Gotenkrieg I. 17. 18. setzt hier aus Verwechslung den Tiber statt den Anio.

Siebentes Kapitel

«Verfluchtes Omen!» knirschte Calpurnius. Und er eilte zu Belisar: «Befehl den Rückzug, rasch, Magister Militum.» -«Warum, Vortrefflicher?» - «Es ist der Gotenkönig selbst.» -«Und ich bin Belisar selbst», sagte dieser, den prachtvollen Helm mit dem weißen Roßschweif aufsetzend. «Wie konntest du deinen Posten im Vordertreffen verlassen?» - «Herr, um dir das zu melden.» - «Das konnte wohl kein Bote? Höre, Römer, ihr seid nicht wert, daß man euch befreit. Du zitterst ja, Mann des Schreckens. Zurück mit dir ins Vordertreffen.

Du führst unsre Reiter zum ersten Angriff: ihr, meine Leibwächter Antallas und Kuturgur, nehmt ihn in die Mitte: Er muß tapfer sein, hört ihr? Weicht er - nieder mit ihm! So lehrt man Römer Mut.

Der Lagerrufer sagte eben die letzte Stunde der Nacht an. In einer Stunde geht die Sonne auf. Sie muß unser ganzes Heer auf

jenen Hügeln finden.

Auf! Ambazuch, Bessas, Constantinus, Demetrius, das ganze Lager bricht auf, dem Feind entgegen.»

«Feldherr, es ist, wie sie sagen», meldete Maxentius, der treueste der Leibwächter, «zahllose Goten rücken an.»

«Sie sind zwei Heere gegen uns», meldete Salomo, Belisars Hypaspisten-Führer.

«Ich rechne Belisar ein ganzes Heer.»

«Und der Schlachtplan?» fragte Bessas.

«Im Angesicht des Feindes entwerf' ich ihn, während des Calpurnius Reiter ihn aufhalten. Vorwärts, gebt die Zeichen, führt Phalion vor.» Und er schritt aus dem Zelte; nach allen Seiten stoben die Heerführer, die Hypaspisten, Prätorianer, Protektoren und Doryphoren auseinander, Befehle gebend, verteilend, empfangend.

In einer Viertelstunde war alles in Bewegung gegen die Hügel! Man nahm sich nicht Zeit, das Lager abzubrechen. Aber der plötzliche Aufbruch brachte vielfache Verwirrung. Fußvolk und Reiter gerieten in der dunkeln, mondlosen Nacht untereinander. Auch hatte die Kunde von der Übermacht der vordringenden Barbaren Mutlosigkeit verbreitet.

Es waren nur zwei nicht sehr breite Straßen, die gegen die Hügel führten: so gab es manche Stockung und Hemmung. Viel später, als Belisar gerechnet, langte das Heer im Angesicht der Hügel an: und als die ersten Sonnenstrahlen sie beleuchteten, sah Calpurnius, der den Vortrab führte, von allen Seiten gotische Waffen blitzen.

Die Barbaren waren Belisar zuvorgekommen. Erschrocken machte Calpurnius halt und sandte Belisar Nachricht.

Dieser sah ein, daß Calpurnius mit seinen Reitern nicht die Berge stürmen könne. Er schickte Ambazuch und Bessas mit dem Kern des armenischen Fußvolks ab, um auf der breiten

Straße zu stürmen. Den linken und den rechten Flügel führten Constantinus und Demetrius, er selbst brachte im Mitteltreffen seine Leibwachen als Rückhalt heran. Calpurnius, froh des Wechsels im Plan, stellte seine Reiter unter den steilsten Abfall der Hügel, links seitab der Straße, wo kein Angriff zu befürchten schien, den Erfolg von Ambazuchs und Bessas Sturm abzuwarten und die fliehenden Goten zu verfolgen oder die weichenden Armenier aufzunehmen.

Oben auf den Höhen aber stellten sich die Goten in langer Ausdehnung in Schlachtordnung. Totilas Reiter waren zuerst eingetroffen. Ihm hatte sich Teja, zu Pferd, vor Kampfbegier fiebernd, angeschlossen: - sein beiltragendes Fußvolk war noch weit zurück: - er hatte sich ausgebeten, ohne Befehlführung, überall, wo es ihn reizte, ins Handgemenge zu greifen. Darauf war Hildebrand eingetroffen und hierauf der König mit der Hauptmacht gefolgt. Herzog Guntharis mit seinen und Tejas Leuten wurden noch erwartet.

Pfeilschnell war Teja zu Witichis zurückgeflogen.

«König», sagte er, «unter jenen Hügeln steht Belisar.

Er ist verloren beim Gott der Rache! Er hat den Wahnsinn gehabt, vorzurücken. Dulde nicht die Schmach, daß er uns zuvorkommt im Angriff.»

«Vorwärts!» rief König Witichis, «gotische Männer vor!» In wenigen Minuten hatte er den Rand der Hügel und übersah das Talgefild vor ihm. «Hildebad - den linken Flügel! Du, Totila, brichst mit deinen Reitern hier im Mitteltreffen, die Straße herunter, vor. Ich halte rechts seitab der Straße, bereit, dir zu folgen oder dich zu decken.»

«Das wird's nicht brauchen», sagte Totila, sein Schwert ziehend. «Ich bürge dir, sie halten meinen Ritt diesen Hügel herab nicht auf.»

«Wir werfen die Feinde in ihr Lager zurück», fuhr der König fort, «nehmen das Lager, werfen sie in den Bach, der dicht hinter dem Lager glänzt: was übrig ist, können eure Reiter, Totila und Teja, über die Ebene jagen bis Rom.»

«Ja, wenn wir erst den Paß gewonnen haben, dort in den Waldhügeln, hinter dem Fluß». sagte Teja, mit dem Schwert hinüberdeutend.

«Er ist noch unbesetzt, scheint's: ihr müßt ihn mit den Flüchtigen zugleich erreichen.»

Da tritt der Bannerträger, Graf Wisand von Vulsinii, der Bandalarius des Heeres, an den König heran. «Herr König, ihr habt mir eine Bitte zu erfüllen zugesagt.» - «Ja, weil du bei Salona den Magister Militum für Illyrien, Mundus, und seinen Sohn vom Roß gestochen.»

«Ich habe es nun einmal auf die Magistri Militum abgesehen. Ich möchte denselben Speer auch an Belisar erproben. Nimm mir, nur für heute, das Banner ab, und laß mich den Magister Belisar aufsuchen. Sein Roß, der Rotscheck Phalion oder Balian, wird so sehr gerühmt, und mein Hengst wird steif. Und du kennst das alte gotische Reiterrecht: wirf den Reiter und nimm sein Roß.'»

«Gut gotisch Recht!» raunte der alte Hildebrand.

«Ich muß die Bitte gewähren», sprach Witichis, das Banner aus der Hand Wisands nehmend. Dieser sprengte eilig hinweg. «Guntharis ist nicht zur Stelle, so trage du es heute, Totila.»

«Herr König», entgegnete dieser, «ich kann's nicht tragen, wenn ich meinen Reitern den Weg in die Feinde zeigen soll.» Witichis winkte Teja.

«Vergib», sagte dieser: «heut' denk' ich beide Arme sehr zu brauchen.» - «Nun, Hildebad.»

«Danke für die Ehre: ich hab's nicht schlechter vor als die andern!» - «Wie», sagte Witichis, fast zürnend, «muß ich mein eigner Bannerträger sein, will keiner meiner Freunde mein Vertrauen ehren?»

«So gib mir die Fahne Theoderichs», sprach der alte Hildebrand, den mächtigen Schaft ergreifend. «Mich lüstet weitern Kampfes nicht so sehr. Aber mich freut's, wie die Jungen nach Ruhme dürsten. Gib mir das Banner, ich will's heute wahren wie vor vierzig Sommern.» Und er ritt sofort an des Königs rechte Seite.

«Der Feinde Fußvolk rückt den Berg hinan», sprach Witichis, sich im Sattel hebend. «Es sind Hunnen und Armenier», sagte Teja, mit seinem Falkenauge spähend, «ich erkenne die hohen Schilde!» Und den Rappen vorwärts spornend rief er: «Ambazuch führt sie, der eidbrüchige Brandmörder von Petra.»

«Vorwärts, Totila», sprach der König, «und aus diesen Scharen - - keine Gefangenen.»

Rasch sprengte Totila zu seinen Reitern, die hart an der Mündung der aufsteigenden Straße auf der Höhe aufgestellt waren. Mit scharfen Blick musterte er die Bewaffnung der Armenier, die in tiefen Kolonnen langsam bergauf rückten. Sie trugen schwere, mannshohe Schilde und kurze Speere zu Stoß und Wurf.

«Sie dürfen nicht zum Werfen kommen», rief er seinen Reitern zu. Er ließ sie die leichten Schilde auf den Rücken binden und befahl, im Augenblick des Anpralls die langen Lanzen, statt, wie üblich, in der Rechten, in der Linken, der Zügelhand, zu führen, den Zügel einfach um das Handgelenk geschlungen und über die Mähne weg die Lanze aus der rechten in die linke Faust werfend. Dadurch trafen sie auf die rechte, vom Schild nicht gedeckte Seite der Feinde. «Sowie der Stoß angeprallt - sie werden ihm nicht stehen! - werft die Lanze im Armriem zurück, zeht das Schwert und haut nieder, was noch steht.»

Er stellte sie nun, die Kolonne der Feinde rechts und links überflügelnd, auf beiden Seiten neben der Straße auf.

Er selbst führte den Keil auf der Straße. Er beschloß, den

Feind die Hälfte des Hügels herankommen zu lassen. Mit atemloser Spannung sahen beide Heere dem Zusammenstoß entgegen.

Ruhig rückte Ambazuch, ein erprobter Soldat, vorwärts.

«Laßt sie nur dicht heran, Leute», sagte er, «bis ihr das Schnauben der Rosse im Gesicht spürt. Dann, - und nicht eher, -werft: und zielt mir tief, auf die Brust der Pferde, und zieht das Schwert. So hab' ich noch alle Reiter geschlagen.»

Aber es kam anders.

Denn als Totila, voransprengend, das Zeichen zum Angriff gab, schien eine donnernde Lawine vom Berg herab über die erschrocknen Feinde einzubrechen. Wie der Sturmwind jagte die blitzende, klirrende, schnaubende, dröhnende Masse heran, und eh' die erste Reihe der Armenier Zeit gefunden, die Wurfspeere zu heben, lag sie schon, von den langen Lanzen auf der schildlosen Seite durchbohrt, niedergestreckt. Sie waren weggefegt, als wären sie nie gestanden.

Blitzschnell war das geschehen: und während noch Ambazuch seiner zweiten Reihe, in der er selber stand, Befehl geben wollte, zu knien und die Speere einzustemmen, sah er schon auch seine zweite Reihe überritten, die dritte auseinandergesprengt und die vierte unter Bessas kaum noch Widerstand leistend gegen die furchtbaren Reiter, die jetzt erst dazu kamen, die Schwerter zu ziehen. Er wollte das Gefecht stellen: er flog zurück und rief seinen wankenden Scharen Mut zu.

Da erreichte ihn Totilas Schwert: ein Hieb zerschlug ihm den Helm. Er stürzte in die Knie und streckte den Griff seines Schwertes dem Goten entgegen. «Nimm Lösegeld», rief er, «ich bin dein.»

Und schon streckte Totila die Hand aus, ihm die Waffe abzunehmen, da rief Tejas Stimme: «Denk an Burg Petra.»

Ein Schwert blitzte, und zerspaltenen Haupts sank Ambazuch. Da stob die letzte Reihe der Armenier, Bessas mit fortreißend, entsetzt auseinander, - das Vordertreffen Belisars war vernichtet. Mit lautem Freudenruf hatten König Witichis und die Seinen den Sieg Totilas mit angesehn.

«Sieh, jetzt schwenken die hunnischen Reiter, die hier gerade unter uns stehen, gegen Totila», sagte der König zu dem alten Bannerträger. «Totila wendet sich gegen sie. Sie sind viel zahlreicher. Auf! Hildebad, eile die Straße hinunter, ihm zu Hilfe.»

«Ah», rief der Alte, sich vorbeugend im Sattel und über den Felsrand spähend, «wer ist der Reitertribun da unten zwischen den zwei Leibwächtern Belisars?»

Witichis beugte sich vor. «Calpurnius!» rief er mit geltendem Schrei.

Und siehe, urplötzlich sprengte der König, keinen Pfad suchend, gerade wo er stand, hinab die Felshöhe auf den Verhaßten. Die Furcht, er möchte ihm entrinnen, ließ ihn alles vergessen. Und als hätte er Flügel, als hätte der Gott der Rache ihn herabgeführt über Gebüsch und spitze Felsspalten und Schroffen und Gräben sauste der König hinunter.

Einen Augenblick faßte den alten Waffenmeister Entsetzen: solchen Ritt hatte er noch nie geschaut. Aber im nächsten Moment schwang er die blaue Fahne und rief: «Nach! Nach eurem König!» Und das berittene Gefolge voran, das Fußvolk, springend und auf den Schilden rutschend, hinterher, brach das Mitteltreffen der Goten plötzlich steil von oben auf die hunnischen Reiter.

Calpurnius hatte aufgesehn. Ihm war, als ob sein Name, gellend gerufen, an sein Ohr schlüge. Ihm klang der Ruf wie die Posaune des Weltgerichts.

Wie blitzgetroffen wandte er sich und wollte auf und davon. Aber der maurische Le ibwächter zur Rechten fiel ihm in den Zügel: «Halt, Tribun!» sagte Antallas, auf Totilas Reiter deutend - «dort ist der Feind!» Ein Schmerzensschrei riß ihn und

Calpurnius zur Linken herum. Denn da stürzte der zweite der Leibwächter, der Hunne Kuturgur, zu seiner Linken klirrend vom Pferd, unter dem Schwerthieb eines Goten, der plötzlich wie vom Himmel gefallen schien. Und hinter diesem Goten drein sprang und kletterte und wogte es den steilen Felshang hinab, der doch pfadlos schien: und die Reiter waren von diesem plötzlich von oben gekommenen Feind in der Flanke umfaßt, während sie gleichzeitig in der Stirnseite mit den Geschwadern Totilas zusammenstießen.

Calpurnius erkannte den Goten. «Witichis!» rief er entsetzt und ließ den Arm sinken. Aber sein Pferd rettete ihn; verwundet und scheu geworden durch den Fall des hunnischen Leibwächters zur Linken, setzte es in wilden Sprüngen davon.

Der maurische Leibwächter zu seiner Rechten warf sich wütend auf den König der Goten, der ganz allein den Seinigen weit vorausgeeilt war. «Nieder, Tollkühner!» schrie er. Aber im nächsten Augenblick hatte ihn das Schwert Witichis getroffen, der unaufhaltsam alles vor sich niederzuwerfen schien, was ihn von Calpurnius jetzt noch fernhielt. Rasend setzte ihm Witichis nach. Mitten durch die Reihen der hunnischen Reiter, die, entsetzt vor diesem Anblick, auseinanderstoben.

Calpurnius hatte sein Pferd wieder bemeistert und suchte jetzt Schutz hinter den stärksten Geschwadern seiner Reiter. Umsonst. Witichis verlor ihn nicht aus dem Auge und ließ nicht von ihm ab. Wie dicht er sich unter seinen Reitern barg, wie rasch er floh, - er entging nicht dem Blicke des Königs, der alles erschlug, was sich zwischen ihn und den Mörder seines Sohnes drängte.

Knäuel auf Knäuel, Gruppe auf Gruppe öl ste sich vor dem furchtbaren Schwert des rächenden Vaters: die ganze Masse der Hunnen war quer geteilt von dem Flüchtenden und seinem Verfolger. Sie vermochte nicht, sich wieder zu schließen. Denn ehe noch Totila ganz heran war, hatte der alte Bannerträger mit Reitern und Fußvolk ihre rechte Flanke durchbrochen, in zwei

Teile gespalten.

Als Totila ansprengte, hatte er nur noch Flüchtlinge zu verfolgen. Der Teil zur Rechten wurde alsbald von Totila und Hildebrand in die Mitte genommen und vernichtet.

Der größere Teil zur Linken floh zurück auf Belisar.

Calpurnius jagte indessen, wie von Furien gehetzt, über das Schlachtfeld. Er hatte einen großen Vorsprung, da sich Witichis siebenmal erst hatte Bahn hauen müssen. Aber ein Dämon schien Boreas, des Goten Roß, zu treiben. Näher und näher kam er seinem Opfer. Schon vernahm der Flüchtling den Ruf, zu stehen und zu fechten. Noch hastiger spornte er sein Pferd. Da brach es unter ihm zusammen. Noch bevor er sich aufgerafft, stand Witichis vor ihm, der vom Sattel gesprungen war. Er stieß ihm, ohne ein Wort, mit dem Fuß das Schwert hin, das ihm entfallen. Da faßte sich Calpurnius mit dem Mut der Verzweiflung.

Er hob das Schwert auf und warf sich mit einem Tigersprung auf den Goten. Aber mitten im Sprung stürzte er rücklings nieder.

Witichis hatte ihm die Stirn mitten entzweigehauen. Der König setzte den Fuß auf die Brust der Leiche und sah in das verzerrte Gesicht. Dann seufzte er tief auf: «Jetzt hab' ich die Rache. O hätt' ich mein Kind.»

Mit Ingrimm hatte Belisar die so ungünstige Eröffnung des Kampfes mit angesehen. Aber seine Ruhe, seine Zuversicht verließ ihn nicht, als er Ambazuchs und Bessas' Armenier weggefegt, als er des Calpurnius Reiter durchbrochen und geworfen sah.

Er erkannte jetzt die Übermacht und Überlegenheit des Feindes. Allein er beschloß, auf der ganzen Linie vorzurücken, eine Lücke lassend, um den Rest der fliehenden Reiter aufzunehmen.

Jedoch scharf bemerkten dies die Goten und drängten,

Witichis voran, Totila und Hildebrand, welche die Umzingelten vernichtet hatten, folgend, den Flüchtlingen jetzt so ungestüm nach, daß sie mit ihnen zugleich die Linie Belisars zu erreichen und zu durchdringen drohten.

Das durfte nicht sein. Belisar füllte diese Lücke selbst durch seine Leibwache zu Fuß und schrie den fliehenden Reitern entgegen, zu halten und zu wenden.

Aber es war, als ob die Todesfurcht ihres gefallenen Führers sie alle ergriffen hätte. Sie scheuten das Schwert des Gotenkönigs hinter sich mehr als den drohenden Feldherrn vor sich: und ohne Halt und Fassung rasten sie, als wollten sie ihr eignes Fußvolk niederreiten, im vollen Galopp heran.

Einen Augenblick - ein furchtbarer Stoß: - ein tausendstimmiger Schrei der Angst und Wut, - ein wirrer Knäuel von Reitern und Fußvolk minutenlang, - darunter einhauende Goten: und plötzlich ein Auseinanderstieben nach allen Seiten unter gellendem Siegesruf der Feinde. -

Belisars Leibwache war niedergeritten, seine Hauptschlachtlinie durchbrochen. - Er befahl den Rückzug ins Lager.

Aber es war kein Rückzug mehr: es war eine Flucht. Hildebads, Guntharis' und Tejas Fußvolk waren jetzt auf dem Schlachtfeld eingetroffen. Die Byzantiner sahen ihre Stellung im ganzen geworfen: sie verzweifelten am Widerstand, und mit großer Unordnung eilten sie nach dem Lager zurück. Gleichwohl hätten sie dasselbe noch in guter Zeit vor den Verfolgern erreicht, hätte nicht ein unerwartetes Hindernis alle Wege gesperrt.

So siegesgewiß war Belisar ausgezogen, daß er das ganze Fuhrwerk, die Wagen und das Gepäck des Heeres, ja selbst die Herden, die ihm nachgetrieben wurden nach der Sitte jener Zeit, den Truppen auf allen Straßen zu folgen befohlen hatte. Auf diesen langsamen, schwer beweglichen und schwer zu entfernenden Körper stießen nun überall die weichenden Truppen, und grenzenlose Hemmung und Verwirrung trat ein.

Soldaten und Troßknechte wurden handgemein: die Reihen lösten sich zwischen den Karren, Kisten und Wagen. Bei vielen erwachte die Beutelust, und sie fingen an, das Gepäck zu plündern, ehe es in die Hände der Barbaren falle. Überall ein Streiten, Fluchen, Klagen, Drohen: dazwischen das Krachen der Lastwagen, die zerbrochen wurden, und das Blöken und Brüllen der erschrockenen Herden.

«Gebt den Troß preis! Feuer in die Wagen! Schickt die Reiter durch die Herden!» befahl Belisar, der mit dem Rest seiner Leibwachen in guter Ordnung mit dem Schwert sich Bahn brach. Aber vergebens. Immer unentwirrbarer, immer dichter wurde der Knäuel: - nichts schien ihn mehr lösen zu können.

Da zerriß ihn die Verzweiflung.

Der Schrei, «die Barbaren über uns!» erscholl aus den hintersten Reihen. Und es war kein leerer Schreck. Hildebad mit dem Fußvolk war jetzt in die Ebene hinabgestiegen, und seine ersten Reihen trafen auf den wehrlosen Knäuel.

Da gab es eine furchtbare wogende Bewegung nach vorn: ein tausendstimmiger Schrei der Angst - der Wut - des Schmerzes der Angegriffenen, der Leibwachen, die, alter Tapferkeit gedenk, fechten wollten und nicht konnten: - der Zertretenen und Zerdrückten - und plötzlich stürzte der größte Teil der Wagen, mit ihrer Bespannung und mit den Tausenden, die darauf und dazwischen zusammengedrängt waren, mit donnerndem Krachen links und rechts neben der Hochstraße.

So ward der Weg frei. Und unaufhaltsam, ordnungslos ergoß sich der Strom der Flüchtigen nach dem Lager. -

Mit lautem Siegesgeschrei folgte das gotische Fußvolk, ohne Mühe mit den Fernwaffen, mit Pfeilen, Schleudern und Wurfspeeren, in dem dichten Gewühl seine Ziele treffend, während Belisar mit Mühe die unaufhörlichen Angriffe der

Reiter Totilas und des Königs abwehrte. «Hilf, Belisar», rief Aigan, der Führer der massagetischen Söldner, aus dem eben gesprengten Knäuel heranreitend, das Blut aus dem Gesicht wischend: «meine Landsleute haben heut' den schwarzen Teufel unter den Feinden gesehen. Sie stehn mir nicht. Hilf: dich fürchten sie sonst mehr als den Teufel!»

Mit Knirschen sah Belisar hinüber nach seinem rechten Flügel, der aufgelöst über das Blachfeld jagte, von den Goten gehetzt.

«O Justinianus, kaiserlicher Herr, wie erfüll' ich schlecht mein Wort!»

Und die weitere Deckung des Rückzugs ins Lager dem erprobten Demetrius überlassend - denn das hügelige Terrain, das jetzt erreicht war, schwächte die Kraft der verfolgenden Reiter -, sprengte er mit Aigan und seiner berittenen Garde querfeldein mitten unter die Flüchtenden.

«Halt!» donnerte er ihnen zu, «halt, ihr feigen Hunde. Wer flieht, wo Belisar streitet?

Ich bin mitten unter euch, kehrt und siegt!»

Und aufschlug er das Visier des Helmes und zeigte ihnen das majestätische, das löwengewaltige Antlitz.

Und so mächtig war die Macht dieser Heldenpersönlichkeit, so groß das Vertrauen auf sein sieghaftes Glück, daß in der Tat alle, welche die hohe Gestalt des Feldherrn auf seinem Rotscheck erkannten, stutzten, hielten und mit einem Ruf der Ermutigung sich den nachdringenden Goten wieder entgegenwandten. An dieser Stelle wenigstens war die Flucht zu Ende.

Da schritt ein gewaltiger Gote heran, leicht sich Bahn brechend. «Heia, das ist fein, daß ihr einmal des Laufens müde seid, ihr flinken Griechlein. Ich konnt' euch nicht mehr nach vor Schnaufen. In den Beinen seid ihr uns überlegen. Laßt sehn, ob auch in den Armen. Ha, was weicht ihr, Burschen!

Vor dem, auf dem Braunscheck? Was ist's mit dem?»

«Herr, das muß ein König sein unter den Welschen, kaum kann man sein zornig Auge tragen.»

«Das wäre! Ah - das muß Belisarius sein! Freut mich», schrie er ihm hinüber, «daß wir uns treffen, du kühner Held. Nun spring vom Roß und laß uns die Kraft der Arme messen. Wisse, ich bin Hildebad, des Tota Sohn. Sieh, auch ich bin ja zu Fuß. Du willst nicht?» rief er zornig. «Muß man dich vom Gaule holen?» Und dabei schwang er in der Rechten wiegend den ungeheuren Speer.

«Wende, Herr, weich aus», rief Aigan, «der Riese wirft ja junge Mastbäume.» - «Wende, Herr», wiederholten seine Hypaspisten ängstlich.

Aber Belisar ritt, das kurze Schwert gezückt, ruhig dem Goten um eine Pferdelänge näher. Sausend flog der balkengleiche Speer heran, grad gegen Belisars Brust.

Aber grad', ehe er traf - ein kräftiger Hieb von Belisars kurzem Römerschwert, und drei Schritte seitwärts fiel der Speer harmlos nieder.

«Heil Belisarius! Heil», schrien die Byzantiner ermutigt und drangen auf die Goten ein.

«Ein guter Hieb», lachte Hildebad grimmig. «Laß sehen, ob dir deine Fechtkunst auch gegen den hilft.» Und sich bückend hob er aus dem Ackerfeld einen alten, zackigen Grenzstein, schwang ihn mit zwei Armen erst langsam hin und her, hob ihn dann über den Kopf mit beiden Händen und schleuderte ihn mit aller Kraft auf den heransprengenden Helden - ein Schrei des Gefolges: rücklings stürzte Belisar vom Pferd.

Da war es aus.

«Belisarius tot! Wehe! Alles verloren, wehe!» schrien sie, als die hochragende Gestalt verschwunden, und jagten besinnungslos nach dem Lager zu. Einzelne flohen

unaufhaltsam bis an und in die Tore Roms.

Umsonst war's daß sich die Lanzen- und Schildträger todesmutig den Goten entgegenwarfen: sie konnten nur ihren Herrn, nicht die Schlacht mehr retten.

Den ersten tödlichen Schwerthieb Hildebads, der herangestürmt war, fing der treue Maxentius auf mit der eignen Brust. Aber hier sank auch ein gotischer Reiter endlich vom Roß, der erst nach Hildebad Belisar erreicht und sieben Leibwächter erschlagen hatte, um bis zum Magister Militum durchzudringen. Mit dreizehn Wunden fanden ihn die Seinen. Aber er blieb am Leben. Und er war einer der wenigen, welche den ganzen Krieg durchkämpften und überlebten -, Wisand, der Bandalarius.

Belisar, von Aigan und Valentius, seinem Hippokomos (Roßwart) wieder auf den Rotschecken gehoben und rasch von der Betäubung erholt, erhob umsonst den Feldherrnstab und Feldherrnruf: sie hörten nicht mehr und wollten nicht hören. Umsonst hieb er nach allen Seiten unter die Flüchtigen: er wurde fortgerissen von ihren Wogen bis ans Lager.

Hier gelang es ihm noch einmal, an einem festen Tor, die nachdringenden Goten aufzuhalten. «Die Ehre ist hin», sagte er unwillig, «laßt uns das Leben wahren.» Mit diesen Worten ließ er die Lagertore schließen, ohne Rücksicht auf die großen Massen der noch Ausgeschlossenen.

Ein Versuch des ungestümen Hildebad, ohne weiteres einzudringen, scheiterte an dem starken Eichenholz des Pfahlwerks, das dem Speerwurf und den Schleudersteinen trotzte. Unmutig auf seinen Speer gelehnt, kühlte er sich einen Augenblick von der Hitze.

Da bog Teja, der längst, wie der König und Totila, abgesessen, prüfend und das Pfahlwerk messend, um die Ecke des Walls.

«Die verfluchte Holzburg», rief ihm Hildebad entgegen. «Da

hilft nicht Stein, nicht Eisen.»

«Nein», sagte Teja, «aber Feuer!» Er stieß mit dem Fuß in einen Aschenhaufen, der neben ihm lag. «Das sind die Wachtfeuer, samt dem Reisig, von heute nacht. Hier glimmen noch Gluten! Hierher, ihr Männer, steckt die Schwerter ein, entzündet das Reisig! Werft Feuer in das Lager!»

«Prachtjunge», jubelte Hildebad, «flugs, ihr Burschen, brennt sie aus, wie den Fuchs aus dem Bau! Der frische Nordwind hilft.» Rasch waren die Wachtfeuer wieder entfacht, Hunderte von Bränden flogen in das trockne Sparrenwerk der Schanze. Und bald schlugen die Flammen lodernd gen Himmel. Der dichte Qualm, vom Wind ins Lager getragen, schlug den Byzantinern ins Gesicht und machte die Verteidigung der Wälle unmöglich. Sie wichen in das Innere des Lagers.

«Wer jetzt sterben dürfte!» seufzte Belisar. «Räumt das Lager! Hinaus zur Porta decumana. In gut geschlossener Ordnung zu den Brücken hinter uns!»

Aber der Befehl, das Lager zu räumen, zerriß das letzte Band der Zucht, der Ordnung und des Mutes. Während unter Tejas dröhnenden Axthieben die verkohlten Torbalken niederkrachten und mitten durch Flammen und Qualm der schwarze Held, wie ein Feuerdämon, der erste durch das prätorische Tor ins Lager sprang, rissen die Flüchtenden alle Tore, auch die seitwärts aus dem Lager nach Rom zu führten, die Portä prinzipalis rechts und links, auf einmal auf und strömten in wirren Massen nach dem Fluß. Die ersten erreichten noch sicher und unverfolgt die beiden Brücken; sie hatten großen Vorsprung, bis Hildebad und Teja Belisar aus dem brennenden Lager herausgedrängt.

Aber plötzlich - neues Entsetzen! - schmetterten die gotischen Reiterhörner ganz nahe.

Witichis und Totila hatten sich, sowie sie das Lager genommen wußten, sogleich wieder zu Pferd geworfen und führten nun ihre Reiter von beiden Seiten, links und rechts vom

Lager her, den Flüchtenden in die Flanken.

Eben war Belisar aus dem decumanischen Lagertor gesprengt und eilte nach der einen Brücke zu, als er von links und rechts die verderblichen Reitermassen heransausen sah. Noch immer verlor der gewaltige Kriegsmann die Fassung nicht. «Vorwärts im Galopp an die Brücken!» befahl er seinen Sarazenen, «deckt sie!»

Es war zu spät: Ein dumpfer Krach, gleich darauf ein zweiter, die beiden schmalen Brücken waren unter der Last der Flüchtenden eingebrochen, und zu Hunderten stürzten die hunnischen Reiter und die illyrischen Lanzenträger, Justinians Stolz, in das sumpfige Gewässer.

Ohne Bedenken spornte Belisar, an dem steilen Ufer angelangt, sein Pferd in die schäumende und blutig gefärbe Flut. Schwimmend erreichte er das andere Ufer. «Salomo, Dahisthäos», sagte er, sowie er drüben gelandet, zu seinen raschesten Prätorianern, «auf, nehmt hundert aus meinen Reiterwachen und jagt, was ihr könnt, nach dem Engpaß. Überreitet alle Flüchtigen. Ihr müßt ihn vor den Goten erreichen, hört ihr? Ihr müßt! Er ist unser letzter Strohhalm.»

Beide gehorchten und sprengten blitzschnell davon.

Belisar sammelte, was er von den zerstreuten Massen erreichen konnte. Die Goten waren wie die Byzantiner durch den Fluß eine Weile aufgehalten. Aber plötzlich rief Aigan: «Da sprengt Salomo zurück!» - «Herr», rief dieser heranjagend: «alles ist verloren! Waffen blitzen im Engpaß. Er ist schon besetzt von den Goten.»

Da, zum erstenmal an diesem Tage des Unglücks, zuckte Belisar zusammen. «Der Engpaß verloren? - Dann entkommt kein Mann vom Heere meines Kaisers. Dann fahrt wohl: Ruhm, Antonina und Leben. Komm, Aigan, zieh das Schwert - laß mich nicht lebend fallen in Barbarenhand.»

«Herr», sagte Aigan, «so hört' ich euch nie reden.»

«So war's auch noch nie. Laß uns absteigen und sterben.» Und schon hob er den rechten Fuß aus dem Bügel, vom Roß zu springen, da sprengte Dagisthäos heran -: «Getrost, mein Feldherr!»

«Nun?» - «Der Engpaß ist unser - römische Waffen sind's, die wir dort sahen. Es ist Cethegus, der Präfekt! Er hielt ihn geheim besetzt.»

«Cethegus?» rief Belisar. «Ist's möglich? Ist's gewiß?»

«Ja, mein Feldherr. Und seht, es war hoch an der Zeit.» Das war es. Denn eine Schar gotischer Reiter, von König Witichis gesendet, den Flüchtenden am Engpaß vorauszukommen, hatte durch eine Furt den Fluß durchschritten, den Reitern Belisars den Weg abgeschnitten und vor ihnen den verhängnisvollen Paß erreicht. Aber eben als sie dort einwollten, brach Cethegus an der Spitze seiner Isaurier aus dem Versteck der Schlucht hervor und warf die überraschten Goten nach kurzem Gefecht in die Flucht.

«Der erste Glanz des Sieges an diesem schwarzen Tag!» rief Belisar. «Auf, nach dem Engpaß!» Und mit besserer Ordnung und Ruhe führte der Feldherr seine gesammelten Scharen an die Waldhügel.

«Willkommen in Sicherheit, Belisarius», rief ihm Cethegus zu, seine Schwertklinge säubernd. «Ich warte hier auf dich seit Tagesanbruch. Ich wußte wohl, daß du zu mir kommen würdest.»

«Präfekt von Rom», sprach Belisar, ihm vom Pferd herunter die Hand reichend: «du hast des Kaisers Heer gerettet, das ich verloren hatte: ich danke dir.»

Die frischen Truppen des Präfekten hielten, eine undurchdringliche Mauer, den Paß besetzt, die zerstreut heranflüchtenden Byzantiner durchlassend und Angriffe der ersten ermüdeten Verfolger, die über den Fluß gedrungen - sie hatten einen vollen Tag des Kampfes hinter sich -, in der

günstigen Stellung ohne Mühe abwehrend.

Vor Einbruch der Dunkelheit nahm König Witichis seine Scharen zurück, auf dem Schlachtfeld ihres Sieges zu übernachten, während Belisar mit seinen Feldherren einstweilen im Rücken des Passes, so gut es gehen wollte, die aufgelösten Heeresmassen, wie sie zerstreut und vereinzelt eintrafen, ordnete. Als Belisar wieder einige tausend Mann beisammen hatte, ritt er zu Cethegus heran und sprach: «Was meinst du, Präfekt von Rom? Deine Truppen sind noch frisch. Und die Unsern müssen ihre Scharte auswetzen. Laß uns hervorbrechen noch einmal - die Sonne geht noch nicht gleich unter - und das Los des Tages wenden.»

Mit Staunen sah ihn Cethegus an und sprach die Worte Homers: «Wahrlich, ein schreckliches Wort, du Gewaltiger, hast du gesprochen. Unersättlicher! So schwer erträgst du's, ohne Sieg aus einer Schlacht zu gehn? Nein, Belisarius! dort winken die Zinnen Roms: dahin führe deine todesmatten Völker. Ich halte diesen Paß, bis ihr die Stadt erreicht. Und froh will ich sein, wenn mir das gelingt.»

Und so war's geschehn. Belisar vermochte unter den damaligen Umständen weniger als je den Präfekten gegen dessen Willen zu bewegen. So gab er nach und führte sein Heer nach Rom zurück, das er mit dem Einbruch der Nacht erreichte.

Lange wollte man ihn nicht einlassen. Den von Staub und Blut Bedeckten erkannte man nur schwer. Auch hatten Versprengte die Nachricht aus der Schlacht in die Stadt getragen, der Feldherr sei gefallen und alles verloren. Endlich erkannte ihn Antonina, die ängstlich auf den Wällen seiner harrte. Durch das pincianische Tor ließ man ihn ein; es hieß seitdem Porta belisaria.

Feuerzeichen auf den Wällen zwischen dem flaminischen und dem pincianischen Tor verkündeten die Erreichung Roms dem Präfekten, der nun, in guter Ordnung und von den ermüdeten

Siegern kaum verfolgt, im Schutze der Nacht seinen Rückzug bewerkstelligte.

Nur Teja drängte nach mit einigen seiner Reiter bis an das Hügelland, wo heute Villa Borghese liegt, und bis zur Aqua Acetosa.

Achtes Kapitel

Am Tage darauf erschien das ganze zahlreiche Heer der Goten vor der ewigen Stadt, die es in sieben Lagern umschloß.

Und nun begann jene denkwürdige Belagerung, die nicht minder das Feldherrntalent und die Erfindungsgabe Belisars als den Mut der Belagerer entfalten sollte.

Mit Schrecken hatten die Bürger Roms von ihren Mauern herab mit angesehen, wie die Scharen der Goten nicht enden wollten. «Sieh hin Präfekt, sie überflügeln alle deine Mauern.» -«Ja! In die Breite! Laß sehen, ob sie sie in der Höhe überflügeln. Ohne Flügel kommen sie nicht herüber.»

Nur zwei Tausendschaften hatte Witichis in Ravenna zurückgelassen, acht hatte er unter den Grafen Uligis von Urbssalvia und Ansa von Asculum nach Dalmatien entsendet, diese Provinz und Liburnien den Byzantinern zu entreißen und zumal das wichtige Salona wiederzugewinnen; durch Söldner in Savien geworben, sollten sie sich verstärken.

Auch die gotische Flotte sollte - gegen Tejas Rat! - dort, nicht gegen den Hafen von Rom, Portus, wirken.

Den Umkreis der Stadt Rom aber und ihre weit hinausgestreckten Wälle, die Mauern Aurelians und des Präfekten, umgürtete nun der König mit einhundertundfünfzig Tausendschaften.

Rom hatte damals fünfzehn Haupttore und einige kleinere.

Von diesen umschlossen die Goten den schwächeren Teil der

Umwallung, den Raum, der von dem flaminischen Tor im Norden (östlich von der jetzigen Porta del Popolo) bis zum pränestinischen Tor reicht, vollständig mit sechs Heerlagern; nämlich die Wälle vom flaminischen Tor gegen Osten bis ans pincianische und salarische, dann bis an das nomentanische Tor (südöstlich von Porta pia), ferner bis gegen das «geschlossene Tor», die Porta clausa, endlich südlich von da das tiburtinische Tor (heute Porta San Lorenzo) und das asinarische, metronische, latinische (an der Via latina), das appische (an der Via appia) und das Sankt-Pauls-Tor, das zunächst dem Tiberufer lag. Alle diese sechs Lager waren auf dem linken Ufer des Flusses.

Um aber zu verhüten, daß die Belagerten durch Zerstörung der milvischen Brücke den Angreifern den Übergang über den Fluß und das ganze Gebiet auf dem rechten Tiberufer bis an die See abschnitten, schlugen die Goten ein siebentes Lager auf dem rechten Tiberufer: «auf dem Felde Neros», vom vatikanischen Hügel bis gegen die milvische Brücke hin (unter dem «Monte Mario»). So war die milvische Brücke durch ein Gotenlager gedeckt und die Brücke Hadrians bedroht, sowie der Weg nach der Stadt durch die «Porta Sancti Petri», wie man damals schon, nach Prokops Bericht, das innere Tor Aurelians nannte. Es war das nächste an dem Grabmal Hadrians. Aber auch das Tor von Sankt Pankratius rechts des Tibers war von den Goten scharf beobachtet.

Dies Lager auf dem neronischen Feld, auf dem rechten Tiberufer, zwischen dem pankratischen und dem Petrus-Tor, überwies Witichis dem Grafen Markja von Mediolanum, der aus den Cottischen Alpen und der Beobachtung der Franken zurückgerufen worden war. Aber der König selbst weilte oft hier, das Grabmal Hadrians mit scharfen Blicken prüfend.

Er hatte kein einzelnes Lager übernommen, sich die Gesamtleitung vorbehaltend, vielmehr die sechs übrigen an Hildebrand, Totila, Hildebad, Teja, Guntharis und Grippa verteilt. Jedes der sieben Lager ließ der König mit einem tiefen

Graben umziehn, die dadurch ausgehobne Erde zu einem hohen Wall zwischen Graben und Lager aufhäufen und diesen mit Pfahlwerk verstärken, sich gegen Ausfälle zu sichern.

Aber auch Belisar und Cethegus verteilten ihre Feldherren und Mannschaften nach den Toren und Regionen Roms. Belisar übertrug das pränestinische Tor im Osten der Stadt (heute Porta maggiore) Bessas, das stark bedrohte flaminische, dem ein gotisches Lager, das Totilas, in gefährlicher Nähe lag, Constantinus, der es durch Marmorquadern, aus römischen Tempeln und Palästen gebrochen, fast ganz zubauen ließ.

Belisar selbst schlug sein Standlager auf im Norden der Stadt. Dieser war unter den ihm von Cethegus eingeräumten Teilen der Festung Rom der schwächste.

Den Westen und Süden hielt eifersüchtig, unentfernbar und unentbehrlich, der Präfekt.

Aber hier im Norden war Belisar Herr: zwischen dem flaminischen und dem pincianischen oder nun «belisarischen» -Tor, dem schwächsten Teil der Umwallung, ließ er sich nieder, zugleich Ausfälle gegen die Barbaren planend. Die übrigen Tore überwies er den Führern des Fußvolks Peranius Magnus, Ennes, Artabanes, Azarethas und Chilbudius.

Der Präfekt hatte alle Tore auf dem rechten Tiberufer übernommen, die neue Porta aurelia an der älischen Brücke bei dem Grabmal Hadrians, die Porta septimiana, das alte aurelische Tor, das nun das pankratische hieß, und die Porta portuensis, auf dem linken Ufer aber noch das Tor Sankt Pauls. Erst das nächste Tor weiter östlich, das ardeatinische, stand unter byzantinischer Besatzung: Chilbudius befehligte hier.

Gleich unermüdlich und gleich erfinderisch erwiesen sich die Belagerer und die Belagerten in Plänen des Angriffs und der Verteidigung. Lange Zeit handelte es sich nur um Maßregeln, welche die Bedrängung der Römer ohne Sturm, vor dem Sturm, bezweckten, und andrerseits sie abwehren sollten.

Die Goten, Herren und Meister der Campagna, suchten die Belagerten auszudursten: sie schnitten alle die prachtvollen vierzehn Wasserleitungen ab, welche die Stadt speisten. Belisar ließ vor allem, als er dies vernahm, die Mündungen innerhalb der Stadt verschütten und vermauern. «Denn», hatte ihm Prokop gesagt, «nachdem du, o großer Held Belisarius, durch eine solche Wasserrinne nach Neapolis hineingekrochen bist, könnte es den Barbaren einfallen, - und kaum schimpflich scheinen, -auf dem gleichen Heldenpfad sich nach Rom hineinzukrabbeln.»

Den Genuß des geliebten Bades mußten die Belagerten entbehren: kaum reichten die Brunnen in den vom Fluß entlegenen Stadtteilen für das Trinkwasser aus.

Durch das Abschneiden des Wassers hatten aber die Barbaren den Römern auch das Brot abgeschnitten. - Wenigstens schien es so. Denn die sämtlichen Wassermühlen Roms versagten nun. Das aufgespeicherte Getreide, das Cethegus aus Sizilien gekauft, das Belisar aus der Umgegend Roms zwangsweise hatte in die Stadt schaffen lassen, trotz des Murrens der Pächter und Colonen, dieses Getreide konnte nicht mehr gemahlen werden.

«Laßt die Mühlen durch Esel und Rinder drehen!» rief Belisar. «Die meisten Esel waren klug genug und die Rinder, ach Belisarius», sprach Prokop, «sich nicht mit uns hier einsperren zu lassen. Wir haben nur so viel, als wir brauchen, sie zu schlachten. Sie können unmöglich erst Mühlen drehen und dann noch Fleisch genug haben, das gemahlene Brot selbst zu belegen.»

«So rufe mir Martinus. Ich habe gestern an dem Tiber, die Gotenzelte zählend, zugleich einen Gedanken gehabt... -»

«Den Martinus wieder aus dem Belisarischen in das Mögliche übersetzen muß. Armer Mann! Aber ich gehe, ihn zu holen.»

Als aber am Abend des gleichen Tages Belisar und Martinus durch zusammengelegte Boote im Tiber die erste Schiffsmühle herstellten, welche die Welt kannte, da sprach bewundernd

Prokopius: «Das Brot der Schiffsmühle wird länger die Menschen erfreun, als deine größten Taten. Dies so gemahlene Mehl schmeckt nach Unsterblichkeit.» Und wirklich ersetzten die von Belisar erdachten, von Martinus ausgeführten Schiffsmühlen den Belagerten während der ganzen Dauer der Einschließung die gelähmten Wassermühlen.

Hinter der Brücke nämlich, die jetzt Ponte San Sisto heißt, auf der Senkung des Janiculus, befestigte Belisar zwei Schiffe mit Seilen und legte Mühlen über deren flaches Deck, so daß die Mühlenräder durch den Fluß, der aus dem Brückenbogen mit verstärkter Gewalt hervorströmte, von selbst getrieben wurden.

Eifrig trachteten alsbald die Belagerer, diese Vorrichtungen, die ihnen Überläufer schilderten, zu zerstören. Balken, Holzflöße, Bäume warfen sie oberhalb der Brücke von dem von ihnen beherrschten Teil aus in den Fluß und zertrümmerten so in einer Nacht wirklich alle Mühlen. Aber Belisar ließ sie wieder herstellen und nun oberhalb der Brücke starke Ketten gerade über den Fluß ziehen und so auffangen, was die Mühlen bedrohend herabtrieb.

Nicht nur seine Mühlen sollten diese eisernen Stromriegel decken: sie sollten auch verhindern, daß die Goten auf Kähnen und Flößen den Fluß herab und, ohne die Brücke, in die Stadt drängten.

Denn Witichis traf nun alle Vorbereitungen zum Sturm.

Er ließ hölzerne Türme bauen, höher als die Zinnen der Stadtmauer, die auf vier Rädern von Rindern gezogen werden sollten. Dann ließ er Sturmleitern in großer Zahl beschaffen und vier furchtbare Widder oder Mauerbrecher, die je eine halbe Hundertschaft schob und bediente. Mit unzähligen Bündeln von Reisig und Schilf sollten die tiefen Gräben ausgefüllt werden.

Dagegen pflanzten Belisar und Cethegus, jener im Norden und Osten, dieser im Westen und Süden die Verteidigung der Stadt überwachend, Ballisten und Wurfbogen auf die Wälle, die auf große Entfernung balkenähnliche Speergeschosse schleuderten, mit solcher Kraft, daß sie einen gepanzerten Mann völlig durchbohrten. Die Tore schützten sie durch «Wölfe», d. h. Querbalken, mit eisernen Stacheln besetzt, die man auf die Angreifer niederschmettern ließ, wann sie dicht bis an das Tor gelangt waren. Und endlich streuten sie zahlreiche Fußangeln und Stachelkugeln auf den Vorraum zwischen den Gräben der Stadt und dem Lager der Barbaren.

Neuntes Kapitel

Trotz alledem, sagten die Römer, hätten längst die Goten die Mauern erstiegen, wäre nicht des Präfekten Egeria gewesen.

Denn es war merkwürdig: sooft die Barbaren einen Sturm vorbereiteten -: Cethegus ging zu Belisar und warnte und bezeichnete im voraus den Tag. Sooft Teja oder Hildebad in kühnem Handstreich ein Tor zu überrumpeln, eine Schanze wegzunehmen gedachten: - Cethegus sagte es vorher, und die Angreifer stießen auf das Zweifache der gewöhnlichen Besatzung der Punkte. Sooft in mächtigem Überfall die Kette des Tibers gesprengt werden sollte: Cethegus schien es geahnt zu haben und schickte den Schiffen der Feinde Brander und Feuerkähne entgegen.

So ging es viele Monate hin. Die Goten konnten sich nicht verhehlen, daß sie, trotz unablässiger Angriffe, seit Anfang der Belagerung keinerlei Forstschritte gemacht.

Lange trugen sie diese Unfälle, die Entdeckung und Vereitelung all ihrer Pläne, mit ungebeugtem Mut. Aber allmählich bemächtigte sich nicht bloß der großen Masse Verdrossenheit, insbesondere da Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werden begann, - auch des Königs klarer Sinn wurde von trüber Schwermut verdüstert, als er all seine Kraft, all seine Ausdauer, all seine Kriegskunst wie von einem bösen Dämon vereitelt sah. Und kam er von einem fehlgeschlagenen Unternehmen, von einem verunglückten Sturm, matt und gebeugt, in sein Königszelt, so ruhten die stolzen Augen seiner schweigsamen Königin mit einem ihm unverständlichen, aber grauenvoll unheimlichen Ausdruck auf ihm, daß er sich schaudernd abwandte.

«Es ist nicht anders», sagte er finster zu Teja, «es ist gekommen, wie ich vorausgesagt. Mit Rauthgundis ist mein Glück von mir gewichen, wie die Freudigkeit meiner Seele. Es ist, als läge ein Fluch auf meiner Krone. Und diese Amalungentochter wandelt um mich her, schweigend und finster, wie mein lebendiges Unglück.»

«Du könntest recht haben», sprach Teja. «Vielleicht lös' ich diesen Zauberbann. Gib mir Urlaub für heut' nacht.»

Am selben Tage, fast in derselben Stunde, forderte drinnen in Rom Johannes, der Blutige, von Belisar Urlaub für diese Nacht. Belisar schlug es ab. «Jetzt ist nicht Zeit zu nächtlichen Vergnügen», sagte er.

«Wird kein groß Vergnügen sein, in der Nacht zwischen alten feuchten Mauern und gotischen Lanzen einem Fuchs nachzuspüren, der zehnmal schlauer ist als wir beide.»

«Was hast du vor?» fragte Belisar, aufmerksam werdend.

«Was ich vorhabe? Ein Ende zu machen der verfluchten Stellung, in der wir alle, in der du, o Feldherr, nicht zum mindesten stehst. Es ist schon alles ganz recht. Seit Monaten liegen die Barbaren vor diesen Mauern und haben nichts dabei gewonnen. Wir erschießen sie wie Knaben die Dohlen vom Hinterhalt und können ihrer lachen. Aber wer ist er eigentlich, der all dies vollbringt? Nicht, wie es sein sollte, du, des Kaisers Feldherr, noch des Kaisers Heer: sondern dieser eisige Römer, der nur lachen kann, wenn er höhnt. Der sitzt da oben im Kapitol und verlacht den Kaiser und die Goten und uns und, mit Verlaub zu sagen, dich selber am meisten. Woher weiß dieser

Odysseus und Ajax in einer Person alle Gotenpläne so scharf, als säße er mit im Rat des Königs Witichis? Durch sein Dämonium, sagen die einen. Durch seine Egeria, sagen die andern. Er hat einen Raben, der hören und sprechen kann wie Menschen, meinen wieder andere: den schickt er alle Nacht ins Gotenlager. Das mögen die alten Weiber glauben und die Römer, nicht meiner Mutter Sohn. Ich glaube den Raben zu kennen und das Dämonium. Gewiß ist, er kann die Kunde nur aus dem Gotenlager selbst holen, laß uns doch sehen, ob wir nicht selbst an seiner Statt aus dieser Quelle schöpfen könnten.»

«Ich habe das längst bedacht, aber ich sah kein Mittel.»

«Ich habe von meinen Hunnen alle seine Schritte belauern lassen. Es ist verdammt schwer: denn dieser braune Maurenteufel folgt ihm wie ein Schatten. Aber tagelang ist Syphax fern: - und dann gelingt es eher. Nun, ich habe erspäht, daß Cethegus so manche Nacht die Stadt verließ, bald aus der Porta portuensis, rechts vom Tiber, bald aus der Porta Sankt Pauls, links vom Tiber im Süden, die er beide besetzt hält. Weiter wagten ihm die Späher nicht zu folgen. Ich aber denke heute nacht - denn heute muß es wieder treffen, - ihm so nicht von den Fersen zu weichen. Doch muß ich ihn vor dem Tore erwarten: seine Isaurier ließen mich nicht durch; ich werde bei einer Runde vor den Mauern in einem der Gräben zurückbleiben.»

«Gut. Es sind aber, wie du sagst, zwei Tore zu beobachten.» -«Deshalb hab' ich mir Perseus, meinen Bruder, zum Genossen erkoren; er hütet das paulinische, ich das portuensische Tor; verlaß dich drauf - bis morgen vor Sonnenaufgang kennt einer von uns das Dämonium des Präfekten.» Und wirklich: einer von ihnen sollte es kennenlernen.

Gerade gegenüber dem Sankt-Pauls-Tor, etwa drei Pfeilschüsse von den äußersten Gräben der Stadt, lag ein mächtiges altertümliches Gebäude, die Basilika Sancti Pauli extra muros, die Paulskapelle vor den Mauern, deren letzte

Reste erst zur Zeit der Belagerung Roms durch den Connetable von Bourbon völlig verschwanden. Ursprünglich ein Tempel des Jupiter Stator, war der Bau seit zwei Jahrhunderten dem Apostel geweiht worden: aber noch stand die bronzene Kolossalstatue des bärtigen Gottes aufrecht: man hatte ihm nur den flammenden Donnerkeil aus der Rechten genommen und dafür ein Kreuz hineingeschoben. Im übrigen paßte die breite und bärtige Gestalt gut zu ihrem neuen Namen.

Es war um die sechste Stunde der Nacht. Der Mond stand glanzvoll über der ewigen Stadt und goß sein silbernes Licht über die Mauerzinnen und über die Ebene, zwischen den römischen Schanzen und der Basilika, deren schwarze Schatten nach dem Gotenlager hin fielen.

Eben hatte die Wache am Sankt-Pauls-Tor gewechselt.

Aber es waren sieben Mann hinausgeschritten, und nur sechs kamen herein. Der siebente wandte der Pforte den Rücken und schritt hinaus ins freie Feld.

Vorsichtig wählte er seinen Weg: vorsichtig vermied er die zahlreichen Fußangeln, Wolfsgruben, Selbstschüsse vergifteter Pfeile, die hier überall umhergestreut waren und manchem Goten bei den Angriffen auf die Stadt Verderben gebracht hatten. Der Mann schien sie alle zu kennen und wich ihnen leicht aus. Aber er vermied auch das Mondlicht sorgfältig, den Schatten der Mauervorsprünge suchend und oft von Baum zu Baum springend.

Als er aus dem äußersten Graben auftauchte, sah er sich um und blieb im Schatten einer Zypresse stehen, deren Zweige die Ballistengeschosse zerschmettert hatten. Er entdeckte nichts Lebendes weit und breit: und er eilte nun mit raschen Schritten der Kirche zu.

Hätte er nochmal umgeblickt, er hätte es wohl nicht getan.

Denn sowie er den Baum verließ, tauchte aus dem Graben eine zweite Gestalt hervor, die in drei Sprüngen ihrerseits den

Schatten der Zypresse erreicht hatte. «Gewonnen, Johannes! Du stolzer Bruder, diesmal war das Glück dem jüngeren Bruder hold. Jetzt ist Cethegus mein und sein Geheimnis.» Und vorsichtig folgte er dem rasch Voranschreitenden.

Aber plötzlich war dieser vor seinen Augen verschwunden, als habe ihn die Erde verschlungen. Es war hart an der äußeren Mauer der Kirche, die doch dem Armenier, als er sie erreichte, keine Tür oder Öffnung zeigte.

«Kein Zweifel», sagte der Lauscher, «das Stelldichein ist drinnen im Tempel: ich muß nach.»

Allein an dieser Stelle war die Mauer unübersteiglich.

Tastend und suchend bog der Späher um die Ecke derselben. Umsonst, die Mauer war überall gleich hoch. - Im Suchen verstrich ihm fast eine Viertelstunde.

Endlich fand er eine Lücke in dem Gestein: mühsam zwängte er sich hindurch. Und er stand nun im Vorhofe des alten Tempels, in dem die dicken dorischen Säulen breite Schatten warfen, in deren Schutz er von der rechten Seite her bis an das Hauptgebäude gelangte.

Er spähte durch einen Riß des Gemäuers, den ihm die Zugluft verraten hatte. Drinnen war alles finster. Aber plötzlich wurde sein Auge von einem grellen Lichtstrahl geblendet. Als er es wieder aufschlug, sah er einen hellen Streifen in der Dunkelheit: er rührte von einer Blendlaterne her, deren Licht sich plötzlich gezeigt hatte.

Deutlich erkannte er, was in dem Bereich der Laterne stand, den Träger derselben aber nicht, wohl dagegen Cethegus, den Präfekten, der hart vor der Statue des Apostels stand und sich an diese zu lehnen schien. Vor ihm stand eine zweite Gestalt: ein schlankes Weib, auf dessen dunkelrotes Haar schimmernd das Licht der Laterne fiel.

«Die schöne Gotenkönigin, bei Eros und Anteros!» dachte der Lauscher: «kein schlechtes Stelldichein, sei's nun Liebe, sei's

Politik! Horch, sie spricht. Leider kam ich zu spät, auch den Anfang der Unterredung zu hören.»

«Also: merk' es dir wohl! Übermorgen auf der Straße vor dem Tor von Tibur wird etwas Gefährliches geplant.» - «Gut: aber was?» fragte des Präfekten Stimme. - «Genaueres konnte ich nicht erkunden: und ich kann es dir auch nicht mehr mitteilen, wenn ich es noch erfahre. Ich wage nicht mehr, dich hier wiederzusehen: denn... -» Sie sprach nun leiser.

Perseus drückte das Ohr hart an die Spalte: da klirrte seine Schwertscheide an das Gestein, und nun traf ihn ein Strahl des Lichts.

«Horch!» rief eine dritte Stimme - es war eine Frauenstimme, die der Trägerin der Laterne, die sich jetzt in dem Strahl ihres eigenen Blendlichts gezeigt hatte, da sie sich rasch gegen die Richtung des Schalles gekehrt hatte. Perseus erkannte eine Sklavin in maurischer Tracht.

Einen Augenblick schwieg alles in dem Tempel. Perseus hielt den Atem an. Er fühlte, es galt das Leben. Denn Cethegus griff ans Schwert.

«Alles still», sagte die Sklavin. «Es fiel wohl nur ein Stein auf den Erzbeschlag draußen.»

«Auch in das Grab vor dem portuensischen Tor geh' ich nicht mehr. Ich fürchte, man ist uns gefolgt.» - «Wer?» - «Einer, der niemals schläft, wie es scheint: Graf Teja.» Des Präfekten Lippe zuckte.

«Und er ist auch bei einem rätselhaften Eidbund gegen Belisars Leben: der bloße Scheinangriff gilt dem Sankt-Pauls-Tor.» - «Gut!» sagte Cethegus nachdenklich. «Belisar würde nicht entrinnen, wenn nicht gewarnt. Sie liegen irgendwo, - aber ich weiß nicht wo - fürcht' ich, im Hinterhalt, mit Übermacht, Graf Totila führt sie.»

«Ich will ihn schon warnen!» sagte Cethegus langsam.

«Wenn es gelänge...!» - «Sorge nicht, Königin! Mir liegt an Rom nicht weniger denn dir. Und wenn der nächste Sturm fehlschlägt, - so müssen sie die Belagerung aufgeben, so zähe sie sind. Und das, Königin, ist dein Verdienst. Laß mich in dieser Nacht - vielleicht der letzten, da wir uns treffen, - dir mein ganzes staunendes Herz enthüllen. Cethegus staunt nicht leicht, und nicht leicht gesteht er's, wenn er staunen muß. Aber dich - bewundere ich, Königin. Mit welch todverachtender Kühnheit, mit welch dämonischer List hast du alle Pläne der Barbaren vereitelt! Wahrlich: viel tat Belisar, mehr tat Cethegus, - das meiste: Mataswintha.»

«Sprächst du wahr!» sagte Mataswintha mit funkelnden Augen. «Und wenn die Krone diesem Frevler vom Haupte fällt... »

«War es deine Hand, deren sich das Schicksal Roms bedient hat. Aber, Königin, nicht damit kannst du enden! Wie ich dich erkannte, in diesen Monaten - darfst du nicht als gefangene Gotenkönigin nach Byzanz. Diese Schönheit, dieser Geist, diese Kraft muß herrschen - nicht dienen, in Byzanz. Darum bedenke, wenn er nun gestürzt ist - dein Tyrann, - willst du nicht dann den Weg gehn, den ich dir gezeigt?»

«Ich habe noch nie über seinen Fall hinaus gedacht», sagte sie düster.

«Aber ich - für dich! Wahrlich, Mataswintha», - und sein Auge ruhte mit Bewunderung auf ihr, «du bist - wunderschön. Ich rechn' es mir zum größten Stolz, daß selbst du mich nicht in Liebe entzündet und von meinen Plänen abgebracht hast. Aber du bist zu schön, zu köstlich, nur der Rache und dem Haß zu leben. Wenn unser Ziel erreicht dann nach Byzanz!

Als mehr denn Kaiserin: - als Überwinderin der Kaiserin!»

«Wenn mein Ziel erreicht, ist mein Leben vollendet. Glaubst du, ich ertrüge den Gedanken, aus eitel Herrschsucht mein Volk zu verderben, um kluger Zwecke willen? Nein: ich konnt' es nur, weil ich mußte. Die Rache ist jetzt meine Liebe und mein Lebe und...-»

Da scholl von der Fronte des Gebäudes her, aber noch innerhalb der Mauer, laut und schrillend der Ruf des Käuzchens, einmal - zweimal rasch nacheinander.

Wie staunte Perseus, als er den Präfekten eilig an die Kehle der Bildsäule drücken sah, an der er lehnte, und wie sich diese geräuschlos in zwei Hälften auseinander schlug. Cethegus schlüpfte in die Öffnung: die Statue klappte wieder zusammen. Mataswintha aber und Aspa sanken wie betend auf die Stufen des Altars.

«Also war's ein Zeichen! Es droht Gefahr!» dachte der Späher; «aber wo ist die Gefahr? und wo der Warner?» Und er wandte sich, trat vor und sah nach links, nach der Seite der Goten.

Allein damit trat er in den Bereich des Mondlichts, und in den Blick des Mauren Syphax, der vor der Eingangstür des Hauptgebäudes in einer leeren Nische Schildwache stand und bisher scharf nach der linken, der gotischen Seite hin, gespäht hatte.

Von dort, von links her, schritt langsam ein Mann heran. Seine Streitaxt blitzte im Mondlicht.

Aber auch Perseus sah jetzt eine Waffe aufblitzen: es war der Maure, der leise sein Schwert aus der Scheide zog.

«Ha», lachte Perseus, «bis die beiden miteinander fertig sind, bin ich in Rom mit meinem Geheimnis.»

Und in raschen Sprüngen eilte er nach der Mauerlücke des Vorhofs, durch die er eingedrungen. Zweifelnd blickte Syphax einen Augenblick nach rechts und nach links. Zur Rechten sah er entweichen einen Lauscher, den er jetzt erst ganz entdeckte. Zur Linken schritt ein gotischer Krieger herein in den Tempelhof. Er konnte nicht hoffen, beide zu erreichen und zu töten.

Da plötzlich schrie er laut: «Teja, Graf Teja! Hilfe! Zu Hilfe! Ein Römer, rettet die Königin! Dort rechts an der Mauer, ein Römer!»

Im Fluge war Teja heran, bei Syphax. «Dort!» rief dieser: «ich schütze die Frauen in der Kirche!» Und er eilte in den Tempel.

«Steh, Römer!» rief Teja und sprang dem fliehenden Perseus nach.

Aber Perseus stand nicht. Er lief an die Mauer, er erreichte die Lücke, durch welche er hereingekommen war: doch er konnte sich in der Eile nicht wieder hindurchzwängen. So schwang er sich mit der Kraft der Verzweiflung auf die Mauerkrone: und schon hob er den Fuß, sich jenseits hinabzulassen: da traf ihn Tejas Axt im Wurf ans Haupt, und rücklings stürzte er nieder, samt seinem erlauschten Geheimnis. -

Teja beugte sich über ihn: deutlich erkannte er die Züge des Toten. «Der Archon Perseus», sagte er, «der Bruder des Johannes.» Und sofort schritt er die Stufen hinan, die zur Kirche führten. An der Schwelle trat ihm Mataswintha entgegen, hinter ihr Syphax und Aspa mit der Blendlaterne. Einen Moment maßen sich beide schweigend mit mißtrauischen Blicken.

«Ich habe dir zu danken, Graf Teja von Tarentum», sagte endlich die Fürstin. «Ich war bedroht in meiner einsamen Andacht.»

«Seltsam wählst du Ort und Stunde für deine Gebete. Laß sehen, ob dieser Römer der einzige Feind war.»

Er nahm aus Aspas Hand die Leuchte und ging in das Innere der Kapelle. Nach einer Weile kam er wieder, einen mit Gold eingelegten Lederschuh in der Hand. «Ich fand nichts als - diese Sandale am Altar, dicht vor dem Apostel. Es ist ein Mannesfuß.»

«Eine Votivgabe von mir», sagte Syphax rasch. «Der Apostel heilte meinen Fuß, ich hatte mir einen Dorn eingetreten.»

«Ich dachte, du verehrst nur den Schlangengott?» - «Ich verehre, was da hilft.» - «In welchem Fuße stak der Dorn?» Syphax schwankte einen Augenblick. «Im rechten», sagte er dann, rasch entschlossen.

«Schade», sprach Teja, «die Sandale ist auf den linken geschnitten.»

Und er steckte sie in den Gürtel. «Ich warne dich, Königin, vor solcher nächtlichen Andacht.»

«Ich werde tun, was meine Pflicht», sagte Mataswintha herb.

«Und ich, was meine.» Mit diesen Worten schritt Teja voran, zurück zum Lager: schweigend folgten die Königin und ihre

Sklaven.

*

Vor Sonnenaufgang stand Teja vor Witichis und berichtete ihm alles.

«Was du sagst, ist kein Beweis», sagte der König. - «Aber schwerer Verdacht. Und du sagtest selbst, die Königin sei dir unheimlich.»

«Gerade deshalb hüt' ich mich, nach bloßem Verdacht zu handeln. Ich zweifle manchmal, ob wir an ihr nicht Unrecht getan. Fast so schwer wie an Rauthgundis.» - «Wohl, aber diese nächtlichen Gänge?» - «Werd' ich verhindern. Schon um ihretwillen.»

«Und der Maure? Ich trau' ihm nicht. Ich weiß, daß er tagelang abwesend: dann taucht er wieder auf im Lager. Es ist ein Späher.»

«Ja, Freund», lächelte Witichis. «Aber der meine. Er geht mit meinem Wissen in Rom ein und aus. Er ist es, der mir noch alle Gelegenheiten verraten.»

«Und noch keine hat genützt! Und die falsche Sandale?»

«Ist wirklich ein Votivopfer. Aber für Diebstahl; er hat mir, noch ehe du kamst, alles gebeichtet. Er hat, bei der Begleitung der Königin sich langweilend, in einem Gewölbe der Kirche herumgestöbert und da unten allerlei Priestergewänder und vergrabnen Schmuck gefunden und behalten. Aber später, den Zorn des Apostels fürchtend, wollt' er ihn beschwichtigen und opferte, in seinem Heidentum, diese Goldsandale aus seiner Beute. Er beschrieb sie mir ganz genau: mit goldnen Seitenstreifen und einem Achatknopf, oben mit einem C -. Du siehst, es trifft alles zu. Er kannte sie also: sie kann nicht von einem Flüchtenden verloren sein. Und er versprach, als Beweis die dazugehörige Sandale des rechten Fußes zu bringen. Aber vor allem: er hat mir einen neuen Plan verraten, der all unsrer Not ein Ende machen und Belisarius selbst in unsre Hände liefern soll.»

Zehntes Kapitel

Während der Gotenkönig diesen Plan seinem Freunde mitteilte, stand Cethegus, in frühester Stunde nach dem belisarischen Tor beschieden, vor Belisar und Johannes.

«Präfekt von Rom», herrschte ihn der Feldherr beim Eintreten an, «wo warst du heute nacht?»

«Auf meinem Posten. Wohin ich gehöre. Am Tor Sankt Pauls.»

«Weißt du, daß in dieser Nacht einer der besten meiner Anführer, Perseus der Archon, des Johannes Bruder, die Stadt verlassen hat und seitdem verschwunden ist?»

«Tut mir leid. Aber du weißt: es ist verboten, ohne Erlaubnis die Mauer zu überschreiten.»

«Ich habe aber Grund zu glauben», fuhr Johannes auf, «daß du recht gut weißt, was aus meinem Bruder geworden, daß sein Blut an deinen Händen klebt.» - «Und beim Schlummer Justinians!» brauste Belisar auf, «das sollst du büßen. Nicht länger sollst du herrschen über des Kaisers Heer und Feldherrn.

Die Stunde der Abrechnung ist gekommen. Die Barbaren sind so gut wie vernichtet. Und laß sehn, ob nicht mit deinem Haupt auch das Kapitol fällt.»

«Steht es so?» dachte Cethegus, «jetzt sieh dich vor, Belisarius.» Doch er schwieg.

«Rede!» rief Johannes. «Wo hast du meinen Bruder ermordet?» Ehe Cethegus antworten konnte, trat Artasines, ein persischer Leibwächter Belisars, herein. «Herr», sagte er, «draußen stehn sechs gotische Krieger. Sie bringen die Leiche Perseus', des Archonten. König Witichis läßt dir sagen: er sei heut' nacht vor den Mauern durch Graf Tejas Beil gefallen. Er sendet ihn zur ehrenden Bestattung.»

«Der Himmel selbst», sprach Cethegus, stolz hinausschreitend, «straft eure Bosheit Lügen.» Aber langsam und nachdenklich ging der Präfekt über den Quirinal und das Forum Trajans nach seinem Wohnhaus. «Du drohst, Belisarius? Dank für den Wink! Laß sehn, ob wir dich nicht entbehren

können.»

*

In seiner Wohnung fand er Syphax, der ihn ungeduldig erwartet hatte und ihm raschen Bericht ablegte. «Vor allem, Herr», schloß er nun, «laß also deinen Sandalenbinder peitschen. Du siehst, wie schlecht du bedient bist, ist Syphax fern: und gib mir gütigst deinen rechten Schuh.»

«Ich sollte dir ihn nicht geben und dich zappeln lassen für dein freches Lügen», lachte der Präfekt. «Dieses Stück Leder ist jetzt dein Leben wert, mein Panther. Womit willst du's lösen?»

«Mit wichtiger Kunde. Ich weiß nun alles ganz genau von dem Plan gegen Belisars Leben: Ort und Zeit: und die Namen der Eidbrüder. Es sind: Teja, Totila und Hildebad.»

«Jeder allein genug für den Magister Militum», murmelte Cethegus vergnüglich.

«Ich denke, o Herr, du hast den Barbaren wohl wieder eine schöne Falle gestellt! Ich habe ihnen, auf deinen Befehl, entdeckt, daß Belisar selbst morgen zum tiburtinischen Tor hinausziehen will, um Vorräte aufzutreiben.»

«Ja, er selbst geht mit, weil sich die oft aufgefangenen Hunnen nicht mehr allein hinauswagen; er führt nur vierhundert Mann.»

«Es werden nun die drei Eidbrüder am Grab der Fulvier einen Hinterhalt von tausend Mann gegen Belisar legen.» - «Das verdient wirklich den Schuh!» sagte Cethegus und warf ihm denselben zu.

«König Witichis wird indessen nur einen Scheinangriff machen lassen auf das Tor Sankt Pauls, die Gedanken der Unsern von Belisar abzulenken. Ich eile nun also zu Belisar, ihm zu sagen, wie du mir aufgetragen, daß er dreitausend mit sich nimmt und jene gegen ihn Verschwornen vernichtet.»

«Halt!» sagte Cethegus ruhig, «nicht so eilfertig! Du meldest nichts.»

«Wie?» fragte Syphax erstaunt. «Ungewarnt ist er verloren!»

«Man muß dem Schutzgeist des Feldherrn nicht schon wieder, nicht immer ins Amt greifen. Belisar mag morgen seinen Stern erproben.»

«Ei» sagte Syphax mit pfiffigem Lächeln, «solches gefällt dir? Dann bin ich lieber Syphax, der Sklave, als Belisarius, der Magister Militum. Arme Witwe Antonina!»

Cethegus wollte sich auf das Lager strecken, da meldete Fidus, der Ostiarius: «Kallistratos von Korinth.»

«Immer willkommen.»

Der junge Grieche mit dem sanften Antlitz trat ein.

Ein Hauch anmutiger Röte von Scham oder Freude färbte seine Wangen: es war ersichtlich, daß ihn ein besonderer Anlaß herführte.

«Was bringst du des Schönen noch außer dich selbst?» so fragte Cethegus in griechischer Sprache.

Der Jüngling schlug die leuchtenden Augen auf: «Ein Herz voll Bewunderung für dich: und den Wunsch, dir diese zu bewähren. Ich bitte um die Gunst, wie die beiden Licinier und Piso, für dich und Rom fechten zu dürfen.»

«Mein Kallistratos! Was kümmern dich, unsern Friedensgast, den liebenswürdigsten der Hellenen, unsre blutigen Händel mit den Barbaren? Bleibe du von diesem schweren Ernst und pflege deines heitern Erbes: der Schönheit.»

«Ich weiß wohl, die Tage von Salamis sind ferne wie ein Mythos: und ihr eisernen Römer habt uns niemals Kraft zugetraut. Das ist hart aber doch leichter zu tragen, weil ihr es seid, die unsre Welt, die Kunst und edle Sitte verteidigt gegen die dumpfen Barbaren. Ihr, das heißt Rom, und Rom heißt mir Cethegus. So fass' ich diesen Kampf, und so gefaßt, siehst du, so geht er wohl auch den Hellenen an.»

Erfreut lächelte der Präfekt. «Nun, wenn dir Rom Cethegus ist, so nimmt Rom gern die Hilfe des Hellenen an: du bist fortan Tribun der Milites Romani wie Licinius.»

«In Taten will ich dir danken! Aber eins noch muß ich dir gestehn - denn ich weiß: du liebst nicht überrascht zu sein. Oft hab' ich gesehen, wie teuer dir das Grabmal Hadrians und seine Zier von Götterstatuen ist. Neulich hab' ich diese marmornen Wächter gezählt und zweihundertachtundneunzig gefunden. Da macht' ich denn das dritte Hundert voll und habe meine beiden Letoiden, die du so hoch gelobt, den Apollon und die Artemis, dort aufgestellt, dir und Rom zu einem Weihgeschenk.»

«Junger lieber Verschwender», sprach Cethegus, «was hast du da getan!»

«Das Gute und Schöne», antwortete Kallistratos einfach.

«Aber bedenke - das Grabmal ist jetzt eine Schanze» -

«Wenn die Goten stürmen -» - «Die Letoiden stehen auf der zweiten, der innern Mauer. Und soll ich fürchten, daß je Barbaren wieder den Lieblingsplatz des Cethegus erreichen? Wo sind die schönen Götter sichrer als in deiner Burg? Deine Schanze ist mir ihr bester, weil ihr sicherster Tempel. Mein Weihgeschenk sei zugleich ein glücklich Omen.»

«Das soll es sein», rief Cethegus lebhaft, «und ich glaube selber: dein Geschenk ist gut geborgen. Aber gestatte mir dagegen -»

«Du hast mir schon dafür erlaubt, für dich zu kämpfen. Chaire!» lachte der Grieche und war hinaus.

«Der Knabe hat mich sehr lieb», sagte Cethegus, ihm nachsehend. «Und mir geht's wie andern Menschentoren: - mir tut das wohl. Und nicht bloß, weil ich ihn dadurch beherrsche.»

Da hallten feste Schritte auf dem Marmor des Vestibulums, und ein Tribun des Milites ward gemeldet.

Es war ein junger Krieger mit edeln, aber über seine Jahre hinaus ernsten Zügen. In echt römischem Schnitt setzten die Wangenknochen, fast im rechten Winkel, an die gerade, strenge Stirn: in dem tief eingelassenen Auge lag römische Kraft und -in dieser Stunde - entschlossener Ernst und rücksichtsloser Wille.

«Siehe da, Severinus, des Boethius Sohn, willkommen, mein junger Held und Philosoph. Viele Monate habe ich dich nicht gesehen - woher kommst du?»

«Vom Grabe meiner Mutter», sagte Severinus mit festem Blick auf den Frager.

Cethegus sprang auf. «Wie? Rusticiana? Meine Jugendfreundin! Meines Boethius Weib!»

«Sie ist tot», sagte der Sohn kurz. Der Präfekt wollte seine Hand fassen. Severinus entzog sie.

«Mein Sohn, mein armer Severinus! Und starb sie - ohne ein

Wort für mich?»

«Ich bringe dir ihr letztes Wort - es galt dir!»

«Wie starb sie? An welchem Leiden?» - «An Schmerz und Reue.» - «Schmerz -» seufzte Cethegus, «das begreif ich. Aber was sollte sie bereuen! Und mir galt ihr letztes Wort! - sag' an, wie lautet es?»

Da trat Severinus hart an den Präfekten, daß er sein Knie berührte, und blickte ihm bohrend ins Auge. «Fluch, Fluch über Cethegus, der meine Seele vergiftet und mein Kind.»

Ruhig sah ihn Cethegus an. «Starb sie im Irrsinn?» fragte er kalt.

«Nein, Mörder: sie lebte im Irrsinn, solang sie dir vertraute. In ihrer Todesstunde hat sie Cassiodor und mir gestanden, daß ihre Hand dem jungen Tyrannen das Gift gereicht, das du gebraut. Sie erzählte uns den Hergang. Der alte Corbulo und seine Tochter Daphnidion stützten sie. , schloß sie, Da rief der alte Corbulo erbleichend: - , antwortete meine Mutter. ich es ihm: «es ist geschehen.»' Corbulo verstummte vor Entsetzen; aber Daphnidion schrie in wildem Schmerz: - fragte meine Mutter mit einem Tone, der ewig durch mein Leben gellen wird.

wiederholten der Freigelassene und sein Kind. Und sie fiel zurück und war tot.»

Der Präfekt blieb unerschüttert stehen. Nur griff er leise an den Dolch unter den Brustfalten der Tunika. «Du aber» - fragte er nach einer Pause - «was tatest du?»

«Ich aber kniete nieder an der Leiche und küßte ihre kalte Hand und schwor ihr's zu, ihr Sterbewort zu vollenden. Wehe dir, Präfekt von Rom: Giftmischer, Mörder meiner Schwester -du sollst nicht leben.»

«Sohn des Boethius, willst du zum Mörder werden um die Wahnworte eines läppischen Sklaven und seiner Dirne? Würdig des Helden und Philosophen!»

«Nichts von Mord. Wäre ich ein Germane, nach dem Brauche dieser Barbaren: - er dünkt mir heute sehr vortrefflich! - rief ich dich zum Zweikampf, du verhaßter Feind. Ich aber bin ein Römer und suche meine Rache auf dem Wege des Rechts. Hüte dich, Präfekt, noch gibt es Richter in Italien. Lange Monate hielt mich der Krieg, der Feind von diesen Mauern ab. - Erst heute habe ich Rom, von der See her, erreicht und morgen erheb' ich die Klage bei den Senatoren, die deine Richter sind - dort finden wir uns wieder.»

Cethegus vertrat ihm plötzlich den Weg an die Türe.

Aber Severinus rief: «Gemach, man sieht sich vor bei Mördern. Drei Freunde haben mich an dein Haus begleitet: - Sie werden mich mit den Liktoren suchen, komm' ich nicht wieder, noch in dieser Stunde.»

«Ich wollte dich nur», sagte Cethegus wieder ganz ruhig, «vor dem Wege der Schande warnen. Willst du den ältesten Freund deines Hauses um der Fieberreden einer Sterbenden willen mit unbeweisbarer Mordklage verfolgen, - tu's: ich kann's nicht hindern. Aber noch einen Auftrag zuvor. Du bist mein Ankläger geworden, aber du bleibst Soldat und mein Tribun. Du wirst gehorchen, wenn dein Feldherr befiehlt.»

«Ich werde gehorchen.»

«Morgen steht ein Ausfall Belisars bevor und ein Sturm der

Barbaren. Ich muß die Stadt beschirmen. Doch ahnt mir Gefahr für den löwenkühnen Mann: - ich muß ihn treu gehütet wissen. Du wirst morgen, - ich befehl' es, - den Feldherrn begleiten und sein Leben decken.»

«Mit meinem eignen.»

«Gut, Tribun, ich verlasse mich auf dein Wort.»

«Bau' du auf meines. Auf Wiedersehn nach der Schlacht: vor dem Senat. Nach beiden Kämpfen lüstet mich gleich sehr. Auf Wiedersehn: - - vor dem Senat.»

«Auf Nimmerwiedersehn», sprach Cethegus, als sein Schritt verhallte. «Syphax» rief er laut, «bringe Wein und das Hauptmahl. Wir müssen uns stärken: - auf morgen.»

Elftes Kapitel

Früh am andern Morgen wogte sowohl in Rom als in dem Lager der Goten geschäftige Bewegung.

Mataswintha und Syphax hatten zwar einiges entdeckt und gemeldet: - - aber nicht alles. Sie hatten von dem Gelübde der drei Männer gegen Belisar erfahren und den früheren Plan eines bloßen Scheinangriffs gegen das Sankt-Pauls-Tor, um von dem Gedanken an Belisars Geschick abzulenken. Aber nicht hatten sie erfahren, daß der König, in Änderung jenes Planes eines bloßen Scheinangriffs, für diesen Tag der Abwesenheit des großen Feldherrn einen in tiefes Geheimnis gehüllten Beschluß gefaßt hatte: es sollte ein letzter Versuch gemacht werden, ob nicht gotisches Heldentum doch dem Genius Belisar und den Mauern des Präfekten überlegen sei. Man hatte sich im Kriegsrat des Königs nicht über die Wichtigkeit des Unternehmens getäuscht: wenn es wie alle früheren, vereinzelten Angriffe - achtundsechzig Schlachten, Ausfälle, Stürme und Gefechte hatte Prokop während der Belagerung bis dahin aufgezählt - scheiterte, so war von dem ermüdeten, stark gelichteten Heer keine weitere Anstrengung mehr zu erwarten. Deshalb hatte man sich auf Tejas Rat endlich verpflichtet, über den Plan gegen jedermann ohne Ausnahme zu schweigen.

Daher hatte auch Mataswintha nichts vom König erfahren, und selbst ihres Mauren Spürnase konnte nur wittern, daß auf jenen Tag etwas Großes gerüstet werde; - die gotischen Krieger wußten selbst nicht was.

Totila, Hildebad und Teja waren schon um Mitternacht mit ihren Reitern geräuschlos aufgebrochen und hatten sich südlich von der valerischen Straße bei dem Grabmal der Fulvier, an dem in einer Hügelfalte Belisar vorbeikommen mußte, in Hinterhalt gelegt; sie hofften, mit ihrer Aufgabe bald genug fertig zu sein, um noch wesentlich an den Dingen bei Rom teilnehmen zu können.

Während der König mit Hildebrand, Guntharis und Markja die Scharen innerhalb der Lager ordnete, zog um Sonnenaufgang Belisar, von einem Teil seiner Leibwächter umgeben, zum tiburtinischen Tor hinaus. Prokop und Severinus ritten ihm zur Rechten und Linken: Aigan, der Massagete, trug sein Banner, das bei allen Gelegenheiten den Magister Militum zu begleiten hatte. Constantinus, dem er an seiner Statt die Sorge für den «belisarischen Teil» von Rom übertragen, besetzte alle Posten längs der Mauern doppelt und ließ die Truppen hart an den Wällen unter den Waffen bleiben. Er übersandte den gleichen Befehl dem Präfekten für die Byzantiner, die dieser führte.

Der Bote traf ihn auf den Wällen zwischen dem paulinischen und dem appischen Tor. «Belisar meint also», höhnte Cethegus, während er gehorchte, «mein Rom ist nicht sicher, wenn er es nicht behütet. Ich aber meine: Er ist nicht sicher, wenn ihn mein Rom nicht beschirmt. Komm, Lucius Licinius», flüsterte er diesem zu, «wir müssen an den Fall denken, daß Belisar einmal nicht wiederkehrt von seinen Heldenfahrten: dann muß ein andrer sein Heer mit fester Hand ergreifen.»

«Ich kenne die Hand.»

«Vielleicht gibt es alsdann einen kurzen Kampf mit seinen in Rom belassenen Leibwächtern: in den Thermen des Diokletian oder am tiburtinischen Tore. Sie müssen dort in ihrem Lager erdrückt sein, ehe sie sich recht besinnen. Nimm dreitausend meiner Isaurier und verteile sie, ohne Aufsehen, rings um die Thermen her: auch besetze mir vor allem das tiburtinische Tor.» - «Von wo aber soll ich sie fortziehen?» - «Von dem Grabmal Hadrians», sagte Cethegus nach einigem Besinnen. «Und die Goten, Feldherr!» - «Bah! Das Grabmal ist fest, es schützt sich selbst. Erst müssen vom Süden her die Stürmenden über den Fluß: und dann diese eisglatten Wände von parischem Marmor hinan, meine und des Korinthers Freude. Und zudem», lächelte er, «sieh nur hinauf: da oben steht ein Heer von marmornen Göttern und Heroen: sie mögen selber ihren Tempel schirmen gegen die Barbaren. Siehst du, ich sagte es ja - es geht nur hier gegen das Sankt-Pauls-Tor», schloß er, auf das Lager der Goten deutend, aus welchem eben eine starke Abteilung in dieser Richtung aufbrach.

Licinius gehorchte und führte alsbald dreitausend Isaurier, etwa die Hälfte der Deckung, ab: von dem Grabmal über den Fluß und den Viminalis hinab gegen die Thermen Diokletians. Belisars Armenier am tiburtinischen Tor löste er dann auch durch dreihundert Isaurier und Legionäre ab.

Cethegus aber wandte sich nach dem salarischen Tor, wo jetzt Constantinus als Vertreter Belisars hielt. «Ich muß ihn aus dem Wege haben», dachte er, «wenn die Nachricht eintrifft.»

«Sobald du die Barbaren zurückgeworfen», sprach er ihn an, «wirst du doch wohl einen Ausfall machen müssen? Welche Gelegenheit, Lorbeeren zu sammeln, während der Feldherr fern ist!»

«Jawohl», rief Constantinus, «sie sollen's erfahren, daß wir sie auch ohne Belisarius schlagen können.»

«Ihr müßt aber ruhiger zielen», sagte Cethegus, einem persischen Schützen den Bogen abnehmend. «Seht den Goten dort, den Führer zu Pferd! Er soll fallen.» Cethegus schoß; der Gote fiel vom Roß, durch den Hals geschossen. «Und meine Wallbogen, ihr braucht sie schlecht! Seht ihr dort die Eiche? Ein Tausendführer der Goten steht davor, gepanzert. Gebt acht!» Und er richtete den Wallbogen, zielte und schoß: durchbohrt war der gepanzerte Gote an den Baum genagelt.

Da sprengte ein sarazenischer Reiter heran: «Archon», redete er Constantinus an, «Bessas läßt dich bitten, Verstärkungen an das Vivarium, das pränestinische Tor zu senden, die Goten rücken an.»

Zweifelnd sah Constantinus auf Cethegus. «Possen» sagte dieser, «der einzige Angriff droht an meinem Tore von Sankt Paul, und das ist gut gehütet, ich weiß es gewiß. Laß Bessas sagen: er fürchte sich zu früh. Übrigens, im Vivarium habe ich noch sechs Löwen, zehn Tiger und zwölf Bären für mein nächstes Zirkusfest! Laßt sie einstweilen los auf die Barbaren! Es ist auch ein Schauspiel für die Römer dann!»

Aber schon eilte ein Leibwächter den Mons Pincius herab: «Zu Hilfe, Herr, zu Hilfe! Constantinus, dein eignes, das flämische Tor! Unzählige Barbaren! Ursicinus bittet um Hilfe!»

«Auch dort?» fragte Cethegus ungläubig.

«Hilfe an die gebrochene Mauer, zwischen dem flämischen und dem pincianischen Tor!» rief ein zweiter Bote des Ursicinus.

«Diese Strecke braucht ihr nicht zu decken! Ihr wißt, sie steht unter Sankt Peters besonderem Schutz, das reicht!» sprach, beruhigend Constantinus. Cethegus lächelte: «Ja, heute gewiß: denn sie wird gar nicht angegriffen.»

Da jagte Marcius Licinius atemlos heran. «Präfekt, rasch aufs Kapitol, von wo ich eben komme. Alle sieben Lager der Feinde speien Barbaren zugleich aus allen Lagerpforten: es droht ein

allgemeiner Sturm gegen alle Tore Roms.»

«Schwerlich», lächelte Cethegus. «Aber ich will hinauf. Du aber, Marcus Licinius, stehst mir ein für das tiburtiner Tor. Mein muß es sein, nicht Belisars! Fort mit dir! Führe deine zweihundert Legionäre dorthin!»

Er stieg zu Pferd und ritt zunächst gegen das Kapitol zu, um den Fuß des Viminal. Hier traf er auf Licinius und seine Isaurier. «Feldherr», sprach ihn dieser an, «es wird ernst da draußen, sehr ernst! Was ist's mit den Isauriern? Bleibt es bei deinem Befehl?»

«Habe ich ihn zurückgenommen?» sagte Cethegus streng. «Lucius, du folgst mir und ihr andern Tribunen. Ihr Isaurier rückt unter eurem Häuptling Asgares zwischen die Thermen des Diokletian und das tiburtiner Tor.»

Er glaubte an keine Gefahr für Rom. Meinte er doch zu wissen, was allein in diesem Augenblick die Goten wirklich beschäftigte. «Dieser Schein eines allgemeinen Angriffs soll», dachte er, «die Byzantiner nur abhalten, ihres bedrohten Feldherrn vor den Toren zu gedenken.»

Bald hatte er einen Turm des Kapitols erreicht, von welchem er die ganze Ebene überschauen konnte. Sie war erfüllt von gotischen Waffen. Es war ein herrliches Schauspiel. Aus allen Lagertoren wogte die ganze Streitmacht des gotischen Heeres heran, die ganze Ausdehnung der Stadt umgürtend. Der Angriff sollte offenbar gegen alle Tore zugleich unternommen werden und war nach einem Gedanken entworfen.

Voran in dem ganzen, zu drei Vierteln geschlossenen Kreise schritten Bogenschützen und Schleuderer, in leichten Plänklerschwärmen, die Zinnen und Brustwehren von Verteidigern zu säubern, Darauf folgten Sturmböcke, Widder, Mauerbrecher aus römischen Arsenalen entnommen oder römischen Mustern, wiewohl oft ungeschlacht genug, nachgebildet, mit Pferden und Rindern bespannt, bedient von Truppen, die, fast ohne Angriffswaffen, nur mit breiten Schilden sich und die Bespannung gegen die Geschosse der Belagerten decken sollten. Dicht hinter ihnen schritten die zum eigentlichen Angriff bestimmten Krieger: in tiefen Gliedern, mit voller Bewaffnung, zum Handgemeng mit Beilen und starken Messern gerüstet, und lange, schwere Sturmleitern schleppend. In großer Ordnung und Ruhe rückten diese drei Angriffslinien überall gleichmäßigen Schrittes vor: die Sonne glitzerte auf ihren Helmen: in gleichen Zwischenräumen erschollen die langgezogenen Rufe der gotischen Hörner.

«Sie haben etwas von uns gelernt», rief Cethegus in kriegerischer Freude. «Der Mann, der diese Reihen geordnet hat, versteht den Krieg.» - «Wer ist das wohl?» fragte Kallistratos, der, in reicher Rüstung, neben Lucius Licinius hielt. «Ohne Zweifel Witichis, der König», sagte Cethegus. - «Das hätte ich dem schlichten Mann mit den bescheidnen Zügen nie zugetraut.» - «Die Barbaren haben manches Unergründliche.»

Und vom Kapitol herab ritt er nun, über den Fluß nach der Umwallung am pankratischen Tor, wo der nächste Angriff zu drohen schien, und bestieg mit seinem Gefolge den dortigen Eckturm.

«Wer ist der Alte dort, mit dem wehenden Bart, der mit dem Steinbeil den Seinen voranschreitet? Er sieht aus, als hätte ihn der Blitz des Zeus vergessen in der Gigantenschlacht», forschte der Grieche.

«Es ist der alte Waffenmeister Theoderichs; er rückt gegen das pankratische Tor», antwortete der Präfekt.

«Und wer ist der Reichgerüstete dort, auf dem Braunen, mit dem Wolfsrachen auf dem Helm? Er zieht gegen die Portuensis.» - «Das ist der Herzog Guntharis, der Wölsung», sprach Lucius Licinius. «Und sieh, auch drüben auf der Ostseite der Stadt, überm Fluß, soweit man schauen kann, gegen alle Tore, rücken Sturmreihen der Barbaren», sagte Piso.

«Aber wo ist der König selbst?» fragte Kallistratos.

«Siehe, dort in der Mitte ragt die gotische Hauptfahne: dort hält er, oberhalb des pankratischen Tors», erwiderte der Präfekt. «Er allein steht regungslos mit seiner starken Schar, weit, um dreihundert Schritt zurück, hinter der Linie», sprach Salvius Julianus, der junge Jurist. «Sollte er nicht mit kämpfen?» meinte Massurius. «Wäre gegen seine Weise. Aber laß uns vom Turm auf den Wall hinab: das Gefecht beginnt», schloß Cethegus. «Hildebrand hat den Graben erreicht.» - Dort stehen meine Byzantiner, unter Gregor. Die Gotenschützen zielen gut. Die Zinnen am pankratischen Tor werden leer. Auf, Massurius, schicke meine abaskischen Jäger und vor den römischen Legionären die besten Pfeilschützen dorthin: sie sollen auf die Rinder und Rosse der Sturmböcke zielen.»

Bald war der Kampf auf allen Seiten entbrannt: und mit Verdruß bemerkte Cethegus, daß die Goten überall Fortschritte machten. Die Byzantiner schienen ihren Feldherren zu vermissen: sie schossen unsicher und wichen von den Wällen, indes die Goten heute mit besonderer Todesverachtung vordrangen. Schon hatten sie an mehreren Stellen den Graben überschritten, und Herzog Guntharis hatte sogar schon Leitern angelegt an den Wällen bei dem portuensischen Tore, während der alte Waffenmeister einen starken Widderkopf herangeschleppt und denselben durch ein Schirmdach gegen die Feuergeschosse von oben gesichert hatte. Bereits donnerten die ersten Stöße laut durch das Getümmel des Kampfes gegen die Balken des pankratischen Tors. Dieser wohlbekannte Ton erschütterte den Präfekten, der eben hier anlangte: «Offenbar», sagte er zu sich selbst, «machen sie jetzt bittern Ernst, nachdem der Scheinversuch so gut gelungen.»

Und wieder ein dröhnender Stoß. Gregor, der Byzantiner, sah ihn fragend an. «Das darf nicht lange währen!» rief Cethegus zürnend, entriß dem nächsten Schützen Bogen und Köcher und eilte auf den Mauerkranz an dem Tore: «Hierher, ihr Schützen und Schleuderer! Mir nach!» rief er, «schafft schwere Steine bei.

Wo ist der nächste Ballist? Wo die Skorpionen? Das Schirmdach muß entzwei.»

Unter dem Schirmdach aber standen gotische Schützen, die eifrig durch die Schießscharten nach den Zacken der Mauerzinnen lugten. «Es ist umsonst, Haduswinth», schalt der junge Gunthamund, «zum drittenmal leg' ich vergeblich an! Es wagt ja keiner nur die Nase über die Brustwehr.»

«Geduld», sagte der Alte, «halte den Bogen nur gespannt! Es kommt schon einer, den der Fürwitz plagt. Auch mir leg' einen Bogen bereit. Nur Geduld.» - «Die hat man leichter mit deinen siebzig als mit meinen zwanzig Jahren.»

Inzwischen hatte Cethegus die Wallzinne hier erreicht, er warf einen Blick in die Ebene: da sah er den König, in der weiten Ferne, unbeweglich, im Zentrum der gotischen Scharen stehen, auf dem rechten Tiberufer. Das störte und beunruhigte ihn. «Was hat er vor? Sollte er gelernt haben, daß der Feldherr nicht fechten soll? Komm, Gajus», rief er dem jungen Schützen zu, der ihm kühn gefolgt war, «deine jungen Augen sehen scharf, blick' mit mir über die Zinne hier - was treibt der König dort?» Und er beugte sich über die Brustwehr, Gajus folgte, eifrig spähend, seinem Beispiel.

«Jetzt, Gunthamund!» rief Haduswinth unten. Zwei Sehnen klangen, und die beiden Späher fuhren zurück.

Gajus stürzte, in die Stirn geschossen, nieder: und unter des Präfekten Helmdach zersplitterte klirrend ein Pfeil. Cethegus strich mit der Hand über die Stirn.

«Du lebst, mein Feldherr?» rief Piso, heranspringend.

«Ja, Freund. Es war sehr gut gezielt. Aber die Götter brauchen mich noch: nur die Haut ist geritzt», sprach Cethegus und schob den Helm zurecht.

Zwölftes Kapitel

Da flog Syphax die Mauertreppe hinauf. Streng hatte ihm sein Herr verboten, sich am Kampf zu beteiligen: «Die Barbaren sollen dich nicht töten und auch dich nicht erkennen, - du bist unersetzlich als Sklave Mataswinthens und Kundschafter des Königs Witichis», hatte Cethegus gesagt.

«Wehe, wehe», schrie er so überlaut, daß es seinem Herrn, auffiel, der des Mauren kluge Ruhe kannte, «welch ein Unglück!» - «Was ist geschehen?» - «Constantinus ist schwer verwundet. Er wollte einen Ausfall führen aus dem salarischen Tor und stieß sogleich auf die gotischen Sturmreihen. Ein Schleuderstein traf sein Gesicht. Mit Mühe rettete man ihn auf den Wall. Dort fing ich den Sinkenden auf: er ernannte den Präfekten zu seinem Vertreter. Hier ist sein Feldherrnstab.»

«Das ist nicht möglich!» schrie Bessas, der auf Syphax' Ferse folgte. Er hatte in Person selbst neue Verstärkungen verlangen wollen und kam eben recht, die Nachricht zu hören. «Oder er war schon sinnlos, als er's tat.»

«Hätte er dich bestellt, jedenfalls», sprach Cethegus, ruhig das Zepter ergreifend und dem schlauen Sklaven mit einem raschen Wink des Auges dankend. Mit einem wütenden Blicke sprang Bessas von der Brüstung und eilte davon. «Folg' ihm Syphax, und beacht' ihn wohl», flüsterte der Präfekt.

Da eilte ein isaurischer Söldner herbei: «Verstärkung, Präfekt, ans portuensische Tor. Herzog Guntharis hat zahllose Leitern angelegt.» Da sprengte Cabaol, der Führer der maurischen berittnen Schützen heran: «Constantinus ist tot. Vertritt du Constantinus.»

«Belisar vertret' ich», sprach Cethegus stolz: «fünfhundert Armenier ziehet ab vom appischen Tor und schickt sie ans portuensische Tor.»

«Hilfe, Hilfe ans appische Tor! Alle Verteidiger auf den Zinnen sind erschossen!» meldete ein persischer Reiter, «die Vorschanze ist halb verloren, vielleicht ist sie noch zu halten: aber schwer! Aber unmöglich wär's, sie wieder zu nehmen!»

Cethegus winkte seinem jungen Juriskonsulten, Salvius Julianus, jetzt seinem Kriegstribun: «Auf, mein Jurist: ! - Nimm hundert Legionäre und halte die Schanze um jeden Preis, bis weitere Hilfe kommt.» -

Und er sah von der Mauerkrone wieder hinab. Unter seinen Füßen tobte das Gefecht, donnerte der Mauerbrecher Hildebrands. Aber ihn kümmerte mehr die rätselhafte Ruhe, in welcher der König im Hintergrund unbeweglich stand. «Was hat er nur vor?»

Da dröhnte von unten ein furchtbar krachender Stoß und lauter Siegesjubel der Barbaren: Cethegus brauchte nicht zu fragen: in drei Sprüngen war er unten.

«Das Tor ist eingestoßen!» riefen ihm entsetzt die Seinigen entgegen. «Ich weiß es: jetzt sind wir selbst der Riegel Roms.» Und den Schild fester andrückend, trat er hart an den rechten Torflügel, in dem in der Tat ein breiter Riß klaffte: und schon stieß der Widder an die splitternden Platten neben der Öffnung. «Noch ein solcher Stoß, und das Tor liegt ganz», sagte Gregor, der Byzantiner. «Richtig, deshalb darf es nicht mehr dazu kommen. Her zu mir, Gregor und Lucius: stellt euch, Milites! Die Speere gefällt! Fackeln und Brände! Zum Ausfall! Winke ich, so öffnet das Tor und werft Widder und Schirmdach und alles in den Graben.»

«Du bist sehr kühn, mein Feldherr!» rief Lucius Licinius, entzückt neben ihn springend.

«Ja, jetzt hat die Kühnheit Vernunft, mein Freund!»

Schon war die Kolonne gestellt, schon wollte der Präfekt das Schwert zum Zeichen des Angriffs erheben -: da erscholl vom Rücken her ein Lärm, größer selbst als der der stürmenden Goten. Wehegeschrei und Pferdegetrappel, - und Bessas drängte sich heran: er faßte den Arm des Präfekten: seine Stimme versagte.

«Was hemmst du mich in diesem Augenblick?» rief dieser und stieß ihn zurück. - «Belisars Truppen», stammelte entsetzt der Thraker, «stehen schwer geschlagen vor dem tiburtinischen Tor, - sie flehen um Einlaß, - wütende Goten hinter ihnen -Belisar ist in einen Hinterhalt gefallen: - er ist tot.»

«Belisar ist gefangen!» schrie ein Türmer vom tiburtinischen Tor, atemlos heraneilend. «Die Goten! Die Goten sind da! Sie stehn vor dem nomentanischen und vor dem tiburtinischen Tor!» scholl's aus der Tiefe der Straße. «Belisars Fahne ist genommen! Prokop verteidigt seine Leiche!» - «Laß das tiburtinische Tor öffnen, Präfekt!» drängte Bessas, «deine Isaurier stehen plötzlich dort. Wer hat sie dorthin geschickt?»

«Ich!» sagte Cethegus, überlegend.

«Sie woll'n nicht öffnen ohne deinen Befehl! Rette doch seine - Belisars - Leiche!»

Cethegus zauderte - er hielt das Schwert halb erhoben - er schwankte. «Die Leiche», dachte er,»rett' ich gern.«Da flog Syphax heran.»Nein, er lebt noch!» rief er seinem Herrn ins Ohr, «ich hab' ihn gesehen von der Zinne: er regt sich noch: aber er ist gleich gefangen: die gotischen Reiter brausen heran: -Totila, Teja, gleich sind sie bei ihm!»

«Gib Befehl, laß das tiburtiner Tor öffnen!» mahnte Bessas. Aber des Präfekten Auge blitzte: sein Antlitz überflog jener Ausdruck stolzer, kühner Entschlossenheit, der es mit dämonischer Schönheit verklären konnte. Er schlug mit dem Schwert an den zertrümmerten Torflügel vor sich: «Auf, zum Ausfall. Erst Rom: dann Belisar! Rom und Triumph!» Das Tor flog auf.

Die stürmenden Goten, schon des Sieges sicher, hätten alles eher erwartet als dies Wagnis der, wie sie wähnten, ganz verzagten Byzantiner. Sie waren ohne Fechtordnung um das Tor herum zerstreut, wurden völlig überrascht und durch den Anlauf der fest geschlossenen Reihe rasch in den hinter ihnen klaffenden Graben geworfen.

Der alte Hildebrand wollte seinen Widder nicht lassen.

Sich hoch aufrichtend, zerschmetterte er Gregor, dem Byzantiner, mit seinem Steinhammer den hochgeschweiften Helm und das Haupt. Aber gleichzeitig fast stieß ihn selber Lucius Licinius mit dem Schildstachel in den Graben. Cethegus zerhieb mit dem Schwert die Seile der Maschine, die krachend auf den Alten stürzte.

«Jetzt Feuer in die Holzmaschinen, die noch stehen», befahl Cethegus. Rasch loderten deren Balken auf in Flammen. Sogleich kehrten die siegreichen Römer zurück in die Wälle. Da rief Syphax dem Präfekten entgegen: «Gewalt, Herr, Aufruhr und Empörung! Die Byzantiner gehorchen dir nicht mehr! Bessas rief sie auf, das tiburtinische Tor mit Gewalt zu öffnen. Seine Leibwächter drohen, Marcus Licinius anzugreifen und deine Legionäre und Isaurier zu schlachten durch die Hunnen.»

«Das büßen sie!» rief Cethegus grimmig. «Wehe, Bessas! Ich will's ihm gedenken! Auf, Lucius Licinius, nimm den halben Rest der Isaurier! Nein, nimm sie alle! alle! du weißt, wo sie stehn: fasse die Leibwächer des Thrakers von Porta clausa her im Rücken. Und stehn sie nicht ab, - so hau' sie nieder, ohne Schonung, Hilf deinem Bruder! Ich folge gleich!»

Lucius Licinius zauderte. «Und das tiburtinische Tor?» -«Bleibt geschlossen.» - «Und Belisar?»

«Bleibt draußen.» - «Teja und Totila sind schon heran.» -«Desto weniger kann man öffnen. Erst Rom: dann alles andere. Gehorche, Tribun!»

Cethegus blieb noch, die Ausflickung des pankratischen Tores anzuordnen. Das währte sehr geraume Zeit. «Wie ging es, Syphax?» fragte dieser leise. «Lebt er wirklich?» - «Er lebt noch. »

«Tölpel, diese Goten!»

Da kam ein Bote von Lucius. «Dein Tribun läßt melden: Bessas gibt nicht nach: - schon ist das Blut deiner Legionäre am tiburtiner Tor geflossen. Und Asgares und deine Isaurier zögern, einzuhauen. Sie zweifeln an deinem Ernst.» - «Ich will ihnen meinen Ernst zeigen!» rief Cethegus, warf sich aufs Pferd, verließ diesen Teil der Stadt und jagte wie der Sturmwind davon.

Weit war sein Weg: über die Tiberbrücke des Janiculum, am Kapitol vorbei, über das Forum Romanum, durch die Sacra Via und den Bogen des Titus, die Thermen des Titus rechts lassend, über den Esquilin hinaus, endlich durch das esquilinische Tor an das tiburtinische Außentor: - ein Weg vom äußersten Westen an den äußersten Osten der weitgestreckten Stadt.

Hier, hinter dem Tore, standen die Leibwächter von Bessas und Belisar mit gedoppelter Front. Die eine Schar schickte sich an, die Legionäre und Isaurier des Präfekten unter Marcus Licinius an der Torwache zu überwältigen und das Tor mit Gewalt zu öffnen, während die zweite Front mit gefällten Speeren der Masse der andern Isaurier gegenüberstand, die Lucius vergeblich zum Angriff befehligte.

«Söldner», rief Cethegus, das schnaubende Roß dicht vor deren Linie anhaltend, «wem habt ihr geschworen: mir oder Belisar?» - «Dir, Herr», sprach Asgares, ein Anführer, vortretend, «aber ich dachte.» - Da blitzte das Schwert des Präfekten, und tödlich getroffen stürzte der Mann. «Zu gehorchen habt ihr, eidbrüchige Schurken, nicht zu denken!»

Entsetzt standen die Söldner. Aber Cethegus befahl ruhig: «Die Speere gefällt! Zum Angriff! Mir nach!» Und die Isaurier gehorchten ihm und nun, - ein Augenblick noch, und es begann in Rom selbst der Kampf.

Aber da erscholl von Westen, von der Richtung des aurelischen Tores her ein furchtbares, alles übertäubendes

Geschrei: «Wehe, Wehe, alles verloren! Die Goten über uns! Die Stadt ist genommen!»

Cethegus erbleichte und blickte zurück. Da sprengte Kallistratos heran, Blut floß ihm über Gesicht und Hals. «Cethegus», rief er, «es ist aus! Die Barbaren sind in Rom! Die Mauer ist erstiegen.» - «Wo?» fragte der Präfekt tonlos. «Am Grabmal Hadrians!» - «O mein Feldherr!» rief Lucius Licinius, «ich habe dich gewarnt.»

«Das war Witichis!» sagte Cethegus, die Augen zusammendrückend.

«Woher weißt du das?» staunte Kallistratos. «Genug, ich weiß es.» Es war ein furchtbarer Augenblick für den Präfekten.

Er mußte sich sagen, daß er, rücksichtslos seinen Plan zum Verderben Belisars verfolgend, eine Spanne Zeit Rom übersehen hatte. Er biß die Zähne in die Unterlippe.

«Cethegus hat das Grabmal Hadrians entblößt! Cethegus hat Rom ins Verberben gestürzt!» rief Bessas an der Spitze der Leibwächter.

«Und Cethegus wird es retten!» rief dieser, sich hoch im Sattel aufrichtend. «Mir nach, alle Isaurier und Legionäre.» -«Und Belisar?» flüsterte Syphax. - «Laßt ihn herein. Erst Rom, dann alles andre! Folgt mir!» Und im Sturmflug sprengte er zurück, des Weges, den er gekommen. Nur wenige Berittene konnten ihm folgen: im Laufe eilte sein Fußvolk, Isaurier und Legionäre, nach.

Dreizehntes Kapitel

Draußen vor dem tiburtinischen Tor ward es zu gleicher Zeit stiller. Ein Bote hatte die gotischen Reiter von dem überflüssigen Gefechte abgerufen. Sie sollten hier innehalten und alle verfügbare Mannschaft um die Stadt und über den Fluß eilig an das aurelische Tor senden, durch welches man soeben in die Stadt eingedrungen sei: dort brauche man alle Kräfte. Die Reiter jagten, rechtsum schwenkend, nach jenem Tor, wo sich jetzt alles zusammendrängte. Aber ihr eigenes Fußvolk, stürmend an den zwischenliegenden fünf Toren: der Porta clausa, nomentana, salaria, pinciana und flaminia, versperrte ihnen den Weg so lange, daß sie zu der Entscheidung zu spät kamen, die am Grabmal des Hadrian gefallen war.

Wir erinnern uns der Lage dieses Lieblingsplatzes des Präfekten: dem vatikanischen Hügel gegenüber, einen Steinwurf etwa vor dem aurelischen Tor gelegen, mit diesem durch Seitenmauern verbunden und überall, außer im Süden, wo der Fluß decken sollte, durch neue Wälle geschützt ragte die «moles Hadriani», ein gewaltiger, runder Turm von festestem Bau. Eine Art Hofraum umgab das eigentliche Gebäude: vor der ersten, äußeren Deckungsmauer im Süden floß der Tiber. Auf den Zinnen dieser Außenmauer, in dem Hofraum und auf den Zinnen der Innenmauer lagerten sonst die Isaurier, die der Präfekt zu übler Stunde hinweggezogen hatte, seinen Plan gegen Belisar durchzusetzen. Auf den Zinnen der Innenmauer aber standen die zahlreichen Statuen von Marmor und Erz, deren drittes Hundert das Geschenk des Kallistratos vervollständigt hatte.

Der König der Goten hatte sich für heute in der Mitte des großen Halbkreises, den die Barbaren auch um die Westseite auf dem rechten Tiberufer, um die Stadt gezogen, auf dem Felde Neros zwischen dem pankratischen (alten aurelianischen) und dem (neuen) aurelianischen Tor, wo sonst nur Graf Markja von Mediolanum lagerte, eine zurückgenommene, abwartende Stellung gewählt. Er baute seinen Plan darauf, daß der allgemeine Sturm gegen alle Tore notwendig die Kräfte der Belagerten werde zersplittern müssen: und sowie an irgendeinem Punkt durch Hinwegziehung eine Blöße entstehen würde, gedachte er, sie sofort zu benützen.

In dieser Absicht hielt er unbeweglich im zweiten Treffen weit hinter den Sturmkolonnen. Er hatte allen Anführern Auftrag gegeben, ihn schleunig herbeizurufen, wo sich eine Lücke der Verteidigung zeige.

Lange, lange hatte er so gewartet. Manches Wort der Ungeduld hatte er von seinen Scharen zu tragen gehabt, die müßig stehen sollten, während die Genossen überall im frischen Vordringen waren: lange, lange harrten sie auf einen Boten, der sie abriefe zur Teilnahme am Kampf.

Da bemerkte endlich des Königs scharfes Auge selbst zuerst, wie von den Zinnen der Außenmauer am Grabmal Hadrians die wohlbekannten Feldzeichen und die dichten Speere der Isaurier verschwanden. Aufmerksam blickte er hin: sie wurden nicht abgelöst, die Lücken nicht ersetzt. Da sprang er aus dem Sattel, gab seinem Rosse einen Schlag mit der flachen Hand auf den stolzen Bug, sprach: «Nach Hause, Boreas!» und das kluge Tier lief geradeaus in das Lager zurück. «Jetzt vorwärts, meine Goten! Vorwärts, Graf Markja!» rief der König, «dort über den Fluß - die Mauerbrecher laßt hier zurück: nur die Schilde und die Sturmleitern nehmt mit, und die Beile. Voran!» Und im Lauf erreichte er den steilen Uferhang an der südlichen Biegung des Flusses und eilte den Hügel hinab.

«Keine Brücke, König, und kein Furt?» fragte ein Gote hinter ihm.

«Nein, Freund Iffamer, schwimmen!» und der König sprang in die gelbe, schmutzige Flut, daß sie zischend hoch über seinem Helmbusch zusammenschlug. In wenigen Minuten hatte er das andere Ufer erreicht, die vordersten seiner Leute mit ihm. Bald standen die hart vor der hohen Außenmauer des Grabmals, und die Männer blickten fragend, besorgt hinauf. «Leitern her!» rief Witichis, «seht ihr nicht? Die Verteidiger fehlen ja! Fürchtet ihr euch vor hohen Steinen?» Rasch waren die Leitern angelegt, rasch die Außenwälle erstiegen, die wenigen Wachen hinabgestürzt, die Leitern nachgezogen und an der Innenseite

der Außenmauer in den Hof hinabgelassen.

Der König war der erste in dem Hofraum.

Hier freilich wurde das Vordringen der Goten eine Weile gehemmt. Denn auf den Zinnen der Innenmauer standen, vom pankratischen Tore hierher geeilt, Quintus Piso und Kallistratos mit hundert Legionären und nur ein paar Isauriern, und diese schleuderten einen dichten Hagel von Speeren und Pfeilen auf die nur vereinzelt in den Hofraum hinabsteigenden Goten: auch ihre Ballisten und Katapulten wirkten verheerend. «Schickt um Hilfe, um Hilfe zu Cethegus!» rief oben auf der Mauer Piso. Und Kallistratos flog davon.

Rechts und links fielen die Goten unten im Hof neben Witichis. «Was tun?» fragte Markja an seiner Seite. «Warten, bis sie sich verschossen haben», sagte dieser ruhig. «Es kann nicht lange mehr währen. Sie werfen und schießen viel zu hastig in ihrem Schrecken. Seht ihr: schon fliegen mehr Steine denn Pfeile. Und die Speere bleiben aus.» - «Aber die Ballisten, die Katapulten -»

«Werden uns bald nicht mehr schaden. Ordnet euch zum Sturm. Seht, der Hagel wird sehr spärlich. So, nun die Leitern bereit und die Beile. - Jetzt, rasch mir nach.» Und in schnellem Anlauf rannten die Goten über den Hof.

Nur wenige waren dabei gefallen. Und schon standen sie hart an der zweiten, der inneren Mauer, und hundert Leitern waren angelegt. Jetzt aber waren alle Ballisten und Katapulten Pisos nutzlos geworden, denn, zum Schuß in die Weite gespannt, konnten sie nicht ohne große Mühe und lange Zeit zu senkrechtem Schuß gerichtet werden. Piso bemerkte es wohl und erbleichte. «Wurfspeere her! Speere! Speere, oder alles ist hin!» - «Alle verschossen», keuchte trostlos neben ihm der dicke Balbus.

«Dann ist's vorbei!» seufzte Piso, den rechten Arm todmüde senkend. «Komm, Massurius, laß uns fliehn», mahnte Balbus.

«Nein, laßt uns hier sterben», rief Piso. Und schon tauchte der erste gotische Helm über den Rand der Mauer.

Da scholl es die Mauertreppen von der Stadtseite herauf: «Cethegus! Cethegus, der Präfekt!»

Und er war's; rasch sprang er auf die Zinne vor und hieb dem Goten, der eben die Hand auf die Brustwehr stützte, sich hinaufzuschwingen, die Hand samt dem Arme ab. Der Mann schrie und stürzte.

«O Cethegus», sagte Piso, «du kommst zu rechter Zeit!» -«Ich hoffe es», sprach dieser und stieß die Leiter um, die vor ihm angelegt stand. Witichis war darauf gestanden - behend sprang er hinab. «Aber jetzt Geschosse her, Speere, Lanzen. Sonst hilft alles nichts», rief Cethegus. «Kein Geschoß mehr weit und breit», antwortete Balbus. «Du kommst, hofften wir, mit deinen Isauriern?» - «Die sind noch weit, weit hinter mir!» rief Kallistratos, der eben als der erste nach Cethegus wieder erschien.

Und aufs neue wuchs die Zahl der Leitern und der aufsteigenden Helme. Und es wuchs die dringendste Gefahr.

Wild blickte Cethegus um sich. «Geschosse», rief er, mit dem Fuße stampfend, «es müssen Geschosse herbei!» Da fiel sein Auge auf die riesige Marmorstatue Zeus', des Erretters, die zu seiner Linken auf der Zinne stand. Ein Gedanke durchzuckte ihn mit Blitzesschnelle, er sprang hinzu und schlug mit einem Handbeil den rechten Arm der Statue mitsamt dem Donnerkeil in ihrer Faust herab. «Zeus», rief er, «leih mir deinen Blitz! Was hältst du ihn so müßig? Auf! Zerschlagt die Statuen, und schleudert sie den Feinden auf die Köpfe.» Und rascher als er dies gesagt, ward sein Beispiel befolgt. Mit Äxten und Beilen fielen die geängstigten Verteidiger über die Götter und Heroen her, und im Augenblick waren all die herrlichen Gestalten zertrümmert.

Es war ein grauenhafter Anblick: da barst ein erhabner

Hadrian, eine Reiterstatue, Roß und Reiter mitten auseinander: da stürzte eine lächelnde Aphrodite in die Knie: da flog der schöne Marmorkopf eines Antinous vom Rumpfe und sauste, von zwei Händen geschleudert, auf einen gotischen Büffelschild. Und weithin spritzten, die Zinnen bedeckend, Splitter und Trümmer von Marmor und Erz, von Bronze und Gold. Krachend und dröhnend schlugen die gewaltigen Lasten von Stein und Metall von den Zinnen herab und zerschmetterten die Helme und Schilde, die Panzer und die Glieder der stürmenden Goten und die Leitern selber, die sie trugen.

Mit Grauen blickte Cethegus auf das furchtbare Werk der Zerstörung, das sein Wort angerichtet. Aber es hatte gerettet. Zwölf, fünfzehn, zwanzig Leitern standen leer von den hart aufeinanderfolgenden Männern, die sie kurz zuvor ameisendicht besetzt hatten, ebenso viele lagen zerbrochen am Fuß der Mauer: überrascht von diesem unerwarteten Erz- und Marmorhagel wichen die Goten einen Augenblick. Aber gleich wieder rief sie das Horn Markjas zum Sturm: und wieder sausten die zentnerschweren Lasten hernieder.

«Unseliger, was hast du getan?» jammerte Kallistratos und starrte auf die Trümmer.

«Das Notwendige!» antwortete Cethegus und schleuderte den Rest von Zeus, dem Erretter, über den Wall. «Siehst du wie das traf? - zwei Barbaren auf einen Schlag» - und zufrieden blickte er hinab.

Da hörte er den Korinther rufen: «Nein, nein. Nicht diesen! Nicht den Apoll!»

Und Cethegus wandte sich und sah, wie ein riesiger Isaurier sein Beil gegen das Haupt des Latoniden schwang. «Narr, sollen die Goten herauf?» fragte der Barbar und holte wieder aus.

«Nicht meinen Apollon!» wiederholte der Hellene und umschlang den Gott schützend mit beiden Armen, weit sich vorbeugend.

Das ersah auf der nächsten Leiter Graf Markja, und glaubend, jener wolle die Statue auf ihn niederschleudern, kam er ihm zuvor: sein Wurfspeer flog und traf den Griechen mitten in die Brust. «Ach - Cethegus!» seufzte er und starb. Der Präfekt sah ihn fallen und preßte die Brauen zusammen. «Rettet die Leiche, und seine beiden Götter verschont!» sprach er kurz und stieß die Leiter um, auf der Markja gestanden, mehr konnte er nicht sagen und nicht tun, denn schon rief ihn eine neue, die drohendste Gefahr.

Witichis, von seiner Leiter halb herabgeschleudert, halb herabgesprungen, war seither hart an der Mauer gestanden unter dem Hagel der Stein- und Metalltrümmer nach neuen Mitteln spähend. Denn seit der erste Versuch der Sturmleitern durch die unverhofften, neuen Geschosse, die Götter und Heroen, abgewiesen war, hoffte er kaum noch, den Wall zu gewinnen. Während er sann und spähte, schlug das schwere Marmorfußgestell eines Mars gradivus dicht neben ihm auf die Erde, prallte nochmal empor und traf dabei an eine Mauerplatte. Und siehe, diese Platte, die ein Quader von härtestem Stein geschienen hatte, zerprang zerbröckelnd in kleine Stücke von Mörtel und Lehm: und an ihrer Stelle wurde sichtbar eine schmale Holzpforte, die, von jener Masse nur locker verkleidet und verdeckt, den Maurern und Werkleuten zum Ausgang und Eingang gedient hatte, wenn sie an dem großen Gebäude arbeiteten und nachbesserten.

Kaum ersah Witichis die Holztür, als er jubelnd ausrief: «Hierher, hierher, ihr Goten! Beile zur Hand!» Und schon schlug seine eigne Streitaxt donnernd an die dünnen Bretter, die nichts weniger als stark schienen.

Verhängnisvoll drang der neue, seltsame Ton an des Präfekten Ohr! Er hielt oben inne in der Blutarbeit und lauschte. «Das ist Eisen gegen Holz! Bei Cäsar!» sagte er zu sich selbst und sprang die schmale Mauertreppe herab, die an der Innenseite der zweiten Mauer in den schwach durch Öllampen beleuchteten

Innenraum des Grabmals führte.

Da dröhnte ein Schlag lauter als alle früheren, ein dumpfes Krachen und helles Splittern folgte und jauchzendes Siegesgeschrei der Goten. Wie Cethegus auf die letzte Stufe der Treppe sprang, fiel die Pforte krachend nach innen in den Hof, und König Witichis ward sichtbar auf der Schwelle.

«Mein ist Rom!» jubelte er, das Beil fallen lassend und das Schwert aus der Scheide ziehend. «Du lügst, Witichis: Zum erstenmal im Leben!» rief Cethegus grimmig und sprang vor, so gewaltig den starken Schildstachel stoßend gegen des Goten Brust, daß dieser überrascht einen Schritt zurücktrat.

Diesen Schritt benutzte der Präfekt und stellte sich selbst auf die Schwelle, die ganze enge Pforte füllend. «Wo bleiben die Isaurier!» rief er.

Aber nur einen Augenblick hatte ihm Witichis Zeit gelassen, bis er ihn erkannte. «So treffen wir uns doch im Zweikampf um Rom.» Und nun war das Anspringen an ihm. Cethegus, bemüht, die ganze Öffnung der Pforte zu verschließen, deckte mit dem Schild seine Linke; sein rechter Arm mit dem kurzen Römerschwert vermochte nicht genug, seine rechte Seite zu decken. Der Stoß des langen Schwertes des starken Goten drang, nicht stark genug von Cethegus abgewehrt, die Schuppenringe des Panzers durchschneidend, tief in seine rechte Brust.

Der Präfekt wankte nach links, schon neigte er sich zu fallen: aber er fiel nicht. «Rom! Rom?» sagte er tonlos, und krampfhaft hielt er sich noch aufrecht.

Witichis war einen Schritt zurückgetreten, um in neuem Ansprung dem gefährlichen Feind den Rest zu geben. Aber in diesem Augenblick erkannte ihn oben auf der Zinne Piso und schleuderte einen prachtvollen, schlafenden Faun, der bereits mit abgehauenen Füßen auf dem Walle lag, auf den König herab; er traf die Schulter, und Witichis stürzte nieder. Graf Markja, Iffamer und Aligern trugen ihn aus dem Gefecht.

Cethegus sah ihn noch fallen. Dann brach er selbst auf der Schwelle der Pforte zusammen; schützende Arme eines Freundes fingen ihn auf: - aber er erkannte diesen nicht mehr, sein Bewußtsein schwand.

Doch weckte ihn gleich wieder ein wohlbekannter Ton, der seine Seele entzückte: es war die Tuba seiner Legionäre, das Feldgeschrei seiner Isaurier, die jetzt - endlich - im Sturmschritt eintrafen und, von den Liciniern geführt, in dichten Scharen sich auf die durch den Fall ihres Königs erschütterten Goten stürzten. Sie drängten sie siegreich zu einer (einstweilen von den eingedrungenen Goten von innen hinausgebrochenen) Bresche der ersten Mauer unter großem Blutvergießen hinaus.

Der Präfekt sah die letzten Barbaren flüchten, dann schlossen sich abermals seine Augen. «Cethegus!» rief der Freund, der ihn im Arme hielt, «Belisar im Sterben: und so bist auch du verloren?» Cethegus erkannte jetzt die Stimme Prokops. «Ich weiß nicht», sprach er mit letzter Kraft, «aber Rom - Rom ist gerettet!» Und damit vergingen ihm die Sinne.

Vierzehntes Kapitel

Nach der Anspannung aller Kräfte zu dem allgemeinen Sturm und seiner Abwehr, der mit dem Morgenrot begonnen und bei sinkender Sonne erst beendet war, trat bei Goten und Römern eine lange Pause der Erschlaffung ein. Die drei Führer Belisar, Cethegus und Witichis lagen wochenlang an ihren Wunden darnieder.

Aber noch mehr wurde die tatsächliche Waffenruhe veranlaßt durch die tiefe Niedergeschlagenheit und Entmutigung, die das Heer der Germanen befallen hatte, nachdem der mit höchster Anstrengung angestrebte Sieg in dem Augenblick, da er bereits gewonnen schien, ihnen entrissen wurde.

Sie hatten einen ganzen Tag lang ihr Bestes getan. Ihre

Helden hatten an Tapferkeit gewetteifert: und doch waren beide Pläne, der gegen Belisar und der gegen die Stadt, im Gelingen selbst noch gescheitert. Und wenn auch König Witichis in seinem steten Mute die Gedrücktheit des Heeres nicht teilte, so erkannte er dafür desto klarer, daß er seit jenem blutigen Tage das ganze System der Belagerung ändern mußte.

Der Verlust der Goten war ungeheuer; Prokop schätzte ihn auf dreißigtausend Tote und mehr als ebenso viele Verwundete: sie hatten sich im ganzen Umkreis der Stadt mit äußerster Todesverachtung den Geschossen der Belagerten ausgesetzt, und am pankratischen Tor und bei dem Grabmal Hadrians waren sie zu Tausenden gefallen.

Da nun auch in den achtundsechzig früheren Gefechten die Angreifenden immer viel mehr als die hinter Mauer und Turm gedeckten Verteidiger gelitten hatten, so war das große Heer, das Witichis vor Monden gegen die ewige Stadt geführt, furchtbar zusammengeschmolzen. Dazu kam, daß schon seit geraumer Zeit Seuchen und Hunger in ihren Zelten wüteten. Bei dieser Entmutigung und Abnahme seiner Truppen mußte Witichis den Gedanken, die Stadt im Sturm zu nehmen, aufgeben, und seine letzte Hoffnung - er verhehlte sich ihre Schwäche nicht - bestand in der Möglichkeit, der Mangel werde den Feind zur Übergabe zwingen. Die Gegend um Rom war völlig ausgesogen: und es schien nun darauf anzukommen, welche Partei die Entbehrung länger würde ertragen oder welche sich aus der Ferne würde Vorräte verschaffen können. Schwer fehlte den Goten die an der Küste von Dalmatien beschäftigte Flotte.

Der erste, der sich von seiner Wunde erholte, war der Präfekt.

Von der Pforte, die er mit seinem Leibe verschlossen, bewußtlos weggetragen, lag er anderthalb Tage in einem Zustand, der halb Schlaf, halb Ohnmacht war.

Als er am Abend des zweiten Tages die Augen aufschlug, traf sein erster Blick auf den treuen Mauren, der am Fußende des Lagers auf der Erde kauerte und kein Auge von ihm wandte. Die Schlange war um seinen Arm gerollt.

«Die Holzpforte!» war des Präfekten erstes, noch schwach gehauchtes Wort, «die Holzpforte muß fort - ersetzt durch Marmorquadern... -»

«Danke, danke dir, Schlangengott!» jubelte der Sklave, «jetzt ist der Mann gerettet. Und auch du selbst. Und ich, Herr, habe dich gerettet.» Und er warf sich mit gekreuzten Armen nieder und küßte das Lagergestell seines Herrn. - Er wagte nicht, dessen Füße zu berühren. «Du mich gerettet? - Wodurch?»

«Als ich dich so todesbleich auf diese Decken gelegt, habe ich den Schlangengott herbeigeholt, dich ihm gezeigt und gesprochen:

«Die Stadt ist sicher - das fühl' ich, sonst hätte ich nicht entschlafen können. Lebt Belisar? Ja! Wo ist Prokop?»

«In der Bibliothek mit deinen Tribunen. Sie erwarten nach des Arztes Ausspruch noch heute dein Erwachen oder deinen... -» -«Tod? Diesmal hat dein Gott noch geholfen, Syphax. Laß die Tribunen ein.»

Bald standen die Licinier, Piso, Salvius Julianus und einige andere vor ihm; sie wollten bewegt an sein Lager eilen: er winkte ihnen Ruhe zu. «Rom dankt euch, durch mich. Ihr habt gefochten wie Römer. Mehr, Stolzeres kann ich euch nicht sagen.» Und er übersah wie nachsinnend die Reihe, dann sagte er: «Einer fehlt mir - ah, mein Korinther! Die Leiche ist gerettet. Denn ich empfahl sie Piso, sie und die beiden Letoiden; setzt ihm als Denkmal eine schwarze Platte von korinthischem Marmor an die Stelle, wo er fiel: stellt die Statue des Apollo über die Aschenurne und schreibt darauf:

Prokopius sah den Liegenden durchdringend an.

«Cethegus», sagte er dann, ernsten Tones, «Belisar weiß alles.» - «Alles?» lächelte der Präfekt, «das ist viel.» - «Laß den Spott, und versage Bewunderung nicht dem Edelsinn: du, der du selber edel bist» - «Ich? Nicht daß ich wüßte.» - «Sowie er zum Bewußtsein kam, hat ihm Bessas natürlich sofort alles mitgeteilt, hat ihm haarklein erzählt, wie du befohlen, das Tor gesperrt zu halten, als Belisar in seinem Blute davor lag, den wütigen Teja auf den Fersen, daß du befohlen, seine Leibwächter niederzuhauen, die mit Gewalt öffnen wollten. Jedes Wort von dir hat er berichtet, auch deinen Ausruf:

«Ich danke, ich habe Rom nicht für Byzanz gerettet.» - «Das brauchst du mir nicht erst zu sagen, unattischer Römer.»

«Ich bin nicht in attischer Laune, Lebensretter! Was war dein Dank?»

«Still. Er weiß nichts davon. Und soll es nie erfahren.»

«Syphax, Wein. - So viel Edelsinn kann ich nicht vertragen! Es macht mich schwach. Nun, wie war der Reiterspaß?»

«Freund, das war kein Spaß. Sondern der furchtbarste Ernst, der mir noch begegnet. Um ein Haar fehlte es, so war Belisar verloren.»

«Ja, es ist jenes eine Haar, um das es immer fehlt bei diesen Goten! Dumme Tölpel sind sie samt und sonders.»

«Du sprichst, als wär' es dir sehr leid, daß Belisar nicht umgekommen.»

«Recht wär ihm geschehen. Ich hab' ihn dreimal gewarnt. Er sollte endlich wissen, was einem alten Feldherrn ziemt und was einem jungen Raufbold.»

«Höre», sagte Prokop, ihn ernsthaft betrachtend, «du hast dir ein Recht erworben, so zu sprechen, vor dem Grabmal Hadrians, früher, wenn du des Mannes Heldentum herabzogst... »

«Dachtest du, ich spräche aus Neid gegen den tapfern Belisar! Hört es, ihr unsterblichen Götter.»

«Ja, zwar deine gepidischen Lorbeern...» -

«Laß mich mit diesen Knabenstreichen zufrieden! Freund, wenn es gilt, muß man den Tod verachten, sonst aber vorsichtig das Leben lieben. Denn nur die Lebendigen herrschen und lachen, nicht die stummen Toten. Das ist meine Weisheit, und nenn' es meine Feigheit, wenn du willst. Also euer Überfall -mach's kurz! Wie ging's?»

«Scharf genug. Als wir die Gegend erkundet hatten, - alles schien frei vom Feind und sicher zum Futterholen -, da wandten wir die Rosse allmählich wieder gegen die Stadt, die wenigen Ziegen und die magern Schafe, die wir aufgetrieben, in der Mitte, Belisar voran, der junge Severinus, Johannes und ich an seiner Seite. Plötzlich, wie wir aus dem Dorf ad aras Bacchi ins Freie kommen, jagen aus den Gehölzen zu beiden Seiten der valerischen Straße von links und rechts gotische Reiter auf uns zu. Ich sah, daß sie uns stark überlegen waren und riet, die Flucht mitten durch sie hindurch auf der Straße nach Rom zu versuchen. Aber Belisar meinte: , und sprengte gegen die Angreifer zur Linken, ihre Reihen zu durchbrechen. Doch da kamen wir übel an: die Goten ritten besser und fochten besser als unsere mauretanischen Reiter: und ihre Führer, Totila und Hildebad, - jenen erkannte ich an den langflatternden gelben Haaren und diesen an der ungeschlachten Größe -, hielten sichtlich scharf auf den Feldherrn selbst. schrie der lange Hildebad vernehmlich durch das Klirren der Waffen.

antwortete dieser unverzüglich: und ehe wir ihn abhalten konnten, hielt er schon dem Riesen gegenüber. Der war nicht faul und hieb ihm mit seinem wuchtigen Beil auf den Helm, daß der goldene Kamm mit dem weißen Roßhaarbüschel zerschmettert zur Erde rollte und Belisars Haupt bis auf den Kopf des Pferdes niederfuhr. Und schon holte jener zum zweiten, dem tödlichen Streiche aus: da war der junge Severinus, des Boethius Sohn, heran und fing den Hieb mit dem runden Schilde auf. Aber das Beil des Barbaren drang durch den Schild und flog noch tief in den Hals des edeln Jünglings. Er stürzte» - Prokop stockte in schmerzlichen Gedanken.

«Tot?» fragte Cethegus ruhig.

«Ein alter Freigelassener seines Vaters, der ihn begleitete, trug ihn aus dem Gefecht. Doch starb er schon, so hört' ich, eh' er das Dorf erreichte.» - «Ein schöner Tod!» sagte Cethegus. «Syphax, einen neuen Becher Wein!»

«Belisar hatte sich aber inzwischen aufgerafft und stieß nun in großem Zorn mit seinem Speer den Goten so gewaltig auf die Brustplatte seines Harnischs,' daß er der Länge nach vom Pferde flog. Laut jubelten wir auf, aber der junge Totila» -«Nun?»

«Sah kaum seinen Bruder fallen, als er sich grimmig durch die Lanzen der Leibwächter Bahn brach zu Belisar. Aigan, sein Bannerträger, wollte ihn decken, aber des Goten Schwert traf seinen linken Arm: er riß ihm die Fahne aus der erschlafften Hand und warf sie dem nächsten Goten zu. Laut auf schrie Belisar vor Zorn und wandte sich gegen ihn: aber der junge Totila ist rasch wie der Blitz, und zwei scharfe Hiebe trafen, eh' er sich's versah, des Feldherrn beide Schultern: der wankte im Sattel und sank langsam vom Pferd, das im selben Augenblick ein Wurfspeer traf und niederwarf. rief Totila.

Der Feldherr hatte gerade noch die Kraft, das Haupt verneinend zu schütteln, da sank er vollends zur Erde. Rasch war ich abgesprungen, hatte ihn auf mein eigen Pferd gehoben und der Sorge des Johannes empfohlen, der fünfzig Leibwächter um sich scharte und ihn schnell aus dem Getümmel flüchtend nach der Stadt hin brachte.» - «Und du?»

«Ich focht zu Fuß weiter. Und es gelang mir, da jetzt unsere Nachhut eintraf - die Vorräte in der Mitte hatten wir preisgegeben -, das Gefecht gegen Totila zu stellen. Aber nicht auf lange. Denn nun war auch die zweite Schar der gotischen Reiter heran; wie der Sturmwind sauste der schwarze Teja herzu, durchbrach unsern rechten Flügel, der ihm zunächst stand, von vorn, durchbrach dann meine eigene gegen Totila gerichtete Front von der Flanke und zersprengte unsern ganzen Schlachthaufen. Ich gab das Gefecht verloren, ergriff ein ledig Roß und eilte dem Feldherrn nach. Aber auch Teja hatte die Richtung von dessen Flucht erkannt und jagte uns wütend nach. An der fulvischen Brücke holte er die Bedeckung ein; Johannes und ich hatten mehr als die Hälfte der noch übrigen Leibwächter an der Brücke aufgestellt, den Übergang zu wehren, unter Principus, dem tapfern Pisidier, und Tarmuth, dem riesigen Isaurier. Dort fielen sie alle dreißig, zuletzt auch die beiden treuen Führer, von dem Schwerte des Teja allein, wie ich vernahm. Dort fiel die Blüte von Belisars Leibwächtern: darunter viele meiner nächsten Waffenfreunde, Alamundarus der Sarazene, Artasines der Perser, Zanter der Armenier, Longinus der Isaurier, Bucha und Chorsamantes die Massageten, Kutila der Thrakier, Hildeger der Vandale, Juphrut der Maure, Theodoritos und Georgios die Kappadokier. Aber ihr Tod erkaufte unsere Rettung. Wir holten hinter der Brücke unser hier zurückgelassenes Fußvolk ein, das dann noch die feindlichen Reiter so lang beschäftigte, bis das tiburtinische Tor sich - spät genug! - dem wunden Feldherrn öffnete. Dann eilt' ich, als wir ihn auf einer Sänfte Antoninens Pflege zugesandt, an das Grabmal Hadrians, wo, wie es hieß. die Stadt genommen sei, und fand dich dem Tode nah.»

«Und was hat jetzt Belisar beschlossen?»

«Seine Wunden sind nicht so schwer wie die deine und doch die Heilung langsamer. Er hat den Goten den Waffenstillstand gewährt, den sie verlangten, ihre vielen Toten zu bestatten.»

Cethegus fuhr auf von den Kissen. «Er hätte ihn verweigern sollen! Keine unnütze Verzögerung der Entscheidung mehr! ich kenne diese gotischen Stiere; nun haben sie sich die Hörner stumpf gestürmt: jetzt sind sie müd und mürbe.

Jetzt kam die Zeit für einen letzten Schlag, den ich schon lang ersonnen. Die Hitze draußen in der glühenden Ebene werden ihre großen Leiber schlecht ertragen, schlechter den Hunger: am schlechtesten den Durst. Denn der Germane muß saufen, wenn er nicht schnarcht oder prügelt. Nun braucht man nur ihren vorsichtigen König noch ein wenig einzuschüchtern. Sage Belisar meinen Gruß, und mein Dank für sein Schwert sei mein Rat: Er solle noch heute den gefürchteten Johannes mit achttausend Mann durch das Picenum gegen Ravenna schicken: die flaminische Straße ist frei und wird wenig gedeckt sein, denn Witichis hat die Besatzungen aller Festungen hierher gezogen, und leichter gewinnen wir jetzt Ravenna, als die Barbaren Rom.

Sowie aber der König Ravenna, seinen allerletzten Hort, bedroht sieht, wird er eilen, ihn um jeden Preis zu retten. Er wird sein Heer hinwegziehen von diesen uneinnehmbaren Mauern und wieder der Verfolgte statt Verfolger sein.» - «Cethegus», sprach Prokop aufspringend, «du bist ein großer Feldherr.»

«Nur nebenbei, Prokopus! Geh jetzt und grüße mir den großen Sieger Belisar.»

Fünfzehntes Kapitel

An dem letzten Tage des Waffenstillstands konnte Cethegus bereits wieder auf den Wällen des Grabmals Hadrians erscheinen, wo ihn seine Legionäre und Isaurier mit lautem Zuruf begrüßten. Sein erster Gang war zu dem Grabmal des Kallistratos; er legte auf die schwarze Marmorplatte einen Kranz von Lorbeeren und von Rosen nieder. Während er von hier aus die Verstärkung der Befestigungen anordnete, brachte ihm Syphax ein Schreiben von Mataswintha.

Es lautete lakonisch genug: «Mach' bald ein Ende. Nicht länger kann ich den Jammer ansehn. Die Bestattung von vierzigtausend Männern meines Volks hat mir die Brust zerrissen. Die Klagelieder schienen alle mich anzuklagen. Währt das noch länger, so erlieg' ich. Der Hunger wütet furchtbar in dem Lager. Ihre letzte Hoffnung ist eine große Zufuhr von Getreide und Vieh, die aus Südgallien unter Segel ist. An den nächsten Kalenden wird sie auf der Höhe von Portus erwartet. Handle danach - aber mach' rasch ein Ende.»

«Triumph», sprach der Präfekt, «die Belagerung ist aus. Unsre kleine Flotte lag bisher fast müßig zu Populonium. Jetzt soll sie Arbeit finden. Diese Königin ist die Erinnys der Barbaren.» Und er ging selbst zu Belisar, der ihn mit edler Großheit empfing. -

In derselben Nacht, der letzten der Waffenruhe, zog Johannes zum pincianischen Tore hinaus, dann links nach der flaminischen Straße schwenkend. Ravenna war sein Ziel. Und eilende Boten flogen zur See mit raschen Segeln nach Populonium, wo sich ein kleines römisches Geschwader gesammelt hatte. Der Kampf um die Stadt ruhte, trotz Ablaufs des Waffenstillstands, fast ganz. Eine Woche darauf etwa machte der König, der sein Schmerzenslager zum erstenmal verließ, in Begleitung seiner Freunde den ersten Gang durch die Zelte. Drei von den sieben vormals menschenwimmelnden Lagern waren völlig verödet und aufgegeben: auch die übrigen vier waren nur noch spärlich bevölkert. Todmüde, ohne Klage, aber auch ohne Hoffnung, lagen die abgemagerten Gestalten, von Hunger und Fieber verzehrt, vor ihren Zelten.

Kein Zuruf, kein Gruß erfreute den wackern König auf seinem schmerzensreichen Gang: kaum daß sie die müden Augen aufschlugen bei dem Schall der nahenden Schritte.

Aus dem Innern der Zelte drang das laute Stöhnen der Kranken, der Sterbenden, die den Wunden, dem Mangel, den Seuchen erlagen. Kaum fand man die hinlängliche Zahl von Gesunden, die nötigsten Posten zu beziehen. Die Wachen schleppten die Speere hinter sich her, zu matt, sie aufrecht oder auf der Schulter zu tragen.

Die Heerführer kamen an die Schanzen vor dem aurelischen Tor; im Wallgraben lag ein junger Schütz und kaute an dem bittern Gras. Hildebad rief ihm zu: «Beim Hammer! Gunthamund, was ist das? Deine Sehne ist ja gesprungen, was ziehst du keine andre auf?» - «Kann nicht, Herr, die Sehne sprang gestern bei meinem letzten Schuß. Und ich und die drei Burschen neben mir, haben die Kraft nicht, eine neue aufzuziehen.» Hildebad gab ihm einen Trunk aus seiner Lederflasche: «Hast du auf einen Römer geschossen?» - «O nein, Herr», sagte der Mann, «eine Ratte nagte dort an der Leiche. Ich traf sie glücklich, und wir teilten sie zu viert.»

«Iffaswinth, wo ist dein Oheim Iffamer?» fragte der König. «Tot, Herr.»

«Er fiel hinter dir, als er dich hinwegtrug. Vor dem verfluchten Marmorgrab.»

«Und dein Vater Iffamut?» - «Auch tot. Er vertrug's nicht mehr, das giftige Wasser aus den Pfützen. Der Durst, König, brennt noch heißer als der Hunger. Und es will ja nicht regnen aus diesem bleiernen Himmel.» - «Ihr seid alle aus dem Athesistal?» - «Ja, Herr König, vom Iffinger-Berg. Oh, welch köstlich Quellwasser dort daheim!»

Teja sah in einiger Entfernung einen andern Krieger aus einer Sturmhaube trinken. Seine Züge verfinsterten sich noch mehr. «He, du, Arnulf!» rief er ihm zu, «du scheinst nicht Durst zu leiden?»

«Nein, ich trink oft», sprach der Mann. «Was trinkst du?» -«Das Blut von den Wunden der Frischgefallenen. Anfangs ekelt's sehr: aber man gewöhnt's in der Verzweiflung.»

Schaudernd schritt Witichis weiter. «Schick all meinen Wein ins Lager, Hildebad. Die Wachen sollen ihn teilen.» - «All deinen Wein? O König, mein Schenkamt ist gar leicht geworden. Du hast noch anderthalb Krüge. Und Hildebrand, dein Arzt, sprach, du sollst dich stärken.»

«Und wer stärkt diese, Hildebad? Die Not macht sie zu wilden Tieren!»

«Komm mit nach Hause», mahnte Totila, des Königs Mantel ergreifend. «Hier ist nicht gut sein.»

Im Zelt des Königs angelangt, setzten sich die Freunde schweigend um den schönen Marmortisch, der auf goldnen Gefäßen steinhartes verschimmeltes Brot aufwies und wenige Stücke Fleisch. «Es war das letzte Pferd aus den königlichen Ställen», sagte Hildebad, - «bis auf Boreas.» - «Boreas wird nicht geschlachtet! - mein Weib, mein Kind sind auf seinem Rücken gesessen.»

Und er stützte das müde Haupt auf die beiden Hände: eine neue schwere Pause trat ein. «Freunde», hob er endlich an, «das geht nicht länger also. Unser Volk verdirbt vor diesen Mauern. Mein Entschluß ist schwer und schmerzlich gereift.»

«Sprich's noch nicht aus, o König!» rief Hildebad. «In wenig Tagen trifft Graf Odiswinth von Cremona ein mit der Flotte, und wir schwelgen in allem Guten.»

«Er ist noch nicht da!» sprach Teja.

«Und unser Verlust an Menschen, so schwer er ist», ermutigte Totila, «wird er nicht durch frische Mannschaft ersetzt, wenn Graf Ulithis von Urbinum eintrifft, mit den Besatzungen, die der König aus den Festen von Ravenna bis Rom weggezogen hat, unsre leeren Zelte zu füllen?»

«Auch Ulithis ist noch nicht da», sprach Teja. «Er soll noch in Picenum stehen. Und kommt er glücklich an, so wird der Mangel im Lager noch größer.»

«Doch auch die Römerstadt muß fasten!» meinte Hildebad, das harte Brot mit der Faust auf dem Steintisch zerschlagend. «Laß sehn, wer's länger aushält!»

«Oft hab' ich's überdacht in schweren Tagen und schlummerlosen Nächten», fuhr der König langsam fort.

«Warum? Warum das alles so kommen mußte? Nach bestem Gewissen hab' ich immer wieder Recht und Unrecht abgewogen, zwischen diesen Feinden und uns: und ich kann's nicht anders finden, als daß Recht und Treue auf unsrer Seite stehen. Und wahrlich, an Kraft und Mut haben wir's nicht fehlen lassen.»

«Du am wenigsten», sagte Totila.

«Und an keinem schwersten Opfer!» seufzte der König. «Und wenn nun doch, wie wir alle sagen, ein Gott im Himmel waltet, gerecht und gut und allgewaltig, warum läßt er all dies ungeheure, unverdiente Elend zu? Warum müssen wir erliegen vor Byzanz?»

«Wir dürfen aber nicht erliegen», schrie Hildebad. «Ich habe nie viel gegrübelt über unsern Herrgott. Aber wenn er das geschehen ließe, müßte man Sturm laufen gegen den Himmel und ihm seinen Thron mit Keulen zerschlagen.»

«Lästre nicht, mein Bruder!» sprach Totila. «Und du, mein edler König, Mut und Vertrauen.

Ja, es waltet ein gerechter Gott dort über den Sternen. Drum muß zuletzt die gute Sache siegen. Mut, mein Witichis, und Hoffnung, bis ans Ende.»

Aber der Tiefgebeugte schüttelte das Haupt. «Ich gestehe es euch, ich habe aus diesem Irrsal, aus den schrecklichen Zweifeln an Gottes Gerechtigkeit, nur einen Ausweg gefunden. Es kann nicht sein, daß wir all dies schuldlos leiden. Und da unsres Volkes Sache zweifellos gerecht, so muß verborgne Schuld an mir, an eurem König haften. Wiederholt, erzählen unsre Lieder aus der Heidenzeit, hat sich ein König für sein Volk selbst den Göttern geopfert, wenn Unsieg, Seuche, Mißwachs jahrelang den Stamm verfolgte. Er hat die verborgne Schuld auf sich genommen, die auf den Volksgenossen zu lasten schien, und sie durch den Tod gebüßt, oder indem er ohne die Krone ins Elend ging, ein friedloser Landflüchtiger. - Laßt mich die Krone abtun von diesem Haupt ohne Glück noch Stern. Wählt einen andern, dem Gott nicht zürnt: wählt Totila, oder -»

«Das Wundfieber faselt noch aus dir!» unterbrach ihn der alte Waffenmeister. «Du mit Schuld beladen! Du, der Treueste von uns allen! Nein, ich will's euch sagen, ihr Kinder allzujunger Tage, die ihr der Väter alte Kraft mit der Väter altem Glauben verloren habt und nun keinen Trost wißt für eure Herzen. Mich erbarmt eurer Reden ohne Zuversicht.» - Und seine grauen Augen leuchteten in seltnem Glanze über die Freunde hin. «Alles, was hier auf Erden erfreut und schmerzt, ist kaum der Freude noch des Schmerzes wert. Nur auf eines kommt es hier unten an: ein treuer Mann gewesen sein, kein Neiding, und den Schlachttod sterben, nicht den Strohtod. Den treuen Helden aber tragen die Walküren aus dem blutigen Feld auf roten Wolken hinauf in Odins Saal, wo die Einheriar mit vollen Bechern ihn begrüßen. Dann reitet er alltäglich mit ihnen hinaus zur Jagd und Waffenspiel beim Morgenlicht und wieder herein zu Trunk und Skaldensang in goldner Halle beim Abendlicht. Und schöne Schildjungfrauen kosen mit den Jungen: und weise Vorzeitrunen raunen wir Alten mit den alten Helden der Vorzeit. Und ich werde sie alle wiederfinden, die starken Gesellen meiner Jugend, den kühnen Winithar und Herrn Waltharis von Aquitanien und Guntharis, den Burgunden. Und schauen werd' ich auch ihn, dessen Anblick ich lange begehrt: Herrn Beowulf, den Geaten, und aus grauen Urtagen den Cherusken, der zuerst die Römer schlug, von dem noch die Sänger der Sachsen singen und sagen. Und wieder trag' ich Schild und Speer meinem Herrn, dem König mit den Adleraugen. Und so leben wir fort in alle Ewigkeit in Licht und heller Freude, vergessen der Erde hier unten und alles ihres Wehs.»

«Ein schön Gedicht, alter Heide», lächelte Totila. «Wenn uns aber das nicht mehr tröstet für wirkliches, herznagendes Leid? Sprich du doch auch, Teja, du finstrer Gast. Was ist dein Gedanke bei diesen unsern Leiden? Nie fehlt uns dein Schwert: was versagst du dein Wort? Was schweigt dein tröstender Harfenschlag, du liederkundiger Sänger?»

«Mein Wort», sagte Teja aufstehend, «mein Wort und Gedanke wäre euch vielleicht schwerer zu tragen als all dies Leid. Laß mich noch schweigen, mein sonnenheller Totila. Vielleicht kommt noch der Tag, da ich dir Antwort gebe. Vielleicht auch zur Harfe spiele, wenn dann noch eine Saite daran hält.» Und er schritt aus dem Zelte.

Denn draußen in dem Lager hatte sich ein wirrer, rätselhafter Lärm von rufenden, fragenden Stimmen erhoben.

Die Freunde sahen ihm schweigend nach. «Ich weiß wohl, was er denkt», sagte der alte Hildebrand endlich. «Denn ich kenne ihn vom Knaben auf:

Er ist nicht wie andere. Auch im Nordland denken manche so, die nicht an Thor und Odin glauben, sondern nur an die Nort und ihre eigene Kraft und Stärke. Es ist fast zu schwer für ein Menschenherz. Und glücklich, glücklich macht es nicht, wie er zu denken. Mich wundert, daß er singt und Harfe schlägt dabei.»

Da riß Teja, wieder eintretend, die Zeltvorhänge auf: sein Antlitz war noch bleicher als zuvor, seine dunkeln Augen blitzten, aber seine Stimme war ruhig wie sonst, da er sprach: «Brich das Lager ab, König Witichis. Unsere Schiffe sind bei Ostia in der Feinde Hand gefallen. Sie haben Graf Odoswinths Kopf ins Lager geschickt. Und sie lassen auf den Wällen Roms, vor den Augen unserer Wachen, von den gefangenen Goten die erbeuteten Rinder schlachten. Große Verstärkungen aus Byzanz unter Valerian und Euthalius: Hunnen, Sclavenen und Anten, hat eine segelreiche Flotte aus Byzanz in den Tiber geführt. Denn der blutige Johannes hat das Picenum durchzogen...» -

«Und Graf Ulithis?»

«Er hat Ulithis geschlagen und getötet, Ancona und Ariminum genommen. Und -»

«Ist das noch nicht alles?» rief der König.

«Nein, Witichis! Eile tut not! Er bedroht Ravenna: er steht nur noch wenige Meilen vor der Stadt.»

Sechzehntes Kapitel

Am Tage nach dem Eintreffen dieser für die Goten so verhängnisvollen Nachrichten hatte Witichis die Belagerung Roms aufgegeben und sein tief entmutigtes Heer aus den vier noch übrigen Lagern herausgezogen.

Ein volles Jahr und neun Tage hatte die Einschließung gewährt. So viel Mut und Kraft, so viele Anstrengungen und Opfer waren vergeblich gewesen.

Schweigend zogen die Goten an den stolzen Wällen vorüber, an denen ihr Glück und ihre Macht zerschellt waren. Schweigend trugen sie die höhnenden Worte, die Römer und «Romäer» (Byzantiner) ihnen von den sichern Zinnen herab zuriefen. Ihr Zorn und ihre Trauer waren zu groß, um durch solchen Spott getroffen zu werden.

Aber als Belisars Reiterei, aus dem pincianischen Tore brechend, die Abziehenden verfolgen wollte, wurde sie grimmig zurückgewiesen. Denn Graf Teja führte die gotische Nachhut.

So zog das Heer von Rom auf der flaminischen Straße durch Picenum in raschen Märschen (obwohl den von den Feinden besetzten Plätzen Narnia, Spoletium und Perusium ausgewichen werden mußte) nach Ravenna, wo Witichis zur rechten Zeit eintraf, die gefährliche Stimmung der Bevölkerung, die auf die Kunde von dem Unglück der Barbaren schon mit dem drohenden Johannes in geheime Verhandlungen getreten war, zu unterdrücken.

Johannes zog sich bei Annäherung der Goten in seine letzte wichtige Eroberung Ariminum zurück. In Ancona lag Konon, der Nauarch Belisars, mit den thrakischen Speerträgern und mit Kriegsschiffen.

Der König führte aber keineswegs sein ganzes, von der Belagerung Ro ms aufgebrochenes Heer nach Ravenna, sondern hatte unterwegs viele Mannschaften in Festungen verteilt. Eine Tausendschaft ließ er unter Gibimer in Clusium in Tuscien, eine andre in Urbs Vetus unter Albila, eine halbe in Tudertum unter Wulfgis: in Auximum vier Tausendschaften unter Graf Wisand, dem tapfern Bandalarius: in Urbinum zwei unter Morra: in Caesena und Monsferetrus je eine halbe. Hildebrand entsandte er nach Verona, Totila nach Tarvisium und Teja nach Ticinum, da auch der Nordosten der Halbinsel durch byzantinische, von Istrien aus drohende Truppen gefährdet wurde.

Er tat dies übrigens noch aus andern Gründen.

Einmal, um Belisar auf dem Wege nach Ravenna aufzuhalten.

Dann, um im Fall einer Einschließung nicht wieder sobald durch die große Stärke des Heeres dem Mangel ausgesetzt zu sein. Und endlich, um für den nämlichen Fall die Belagerer auch vom Rücken, und zwar von mehreren Seiten her, beunruhigen zu können. Sein Plan war zunächst, die seinem Hauptstützpunkt Ravenna drohende Gefahr abzuwenden und sich mit seinen zerrütteten Streitkräften auf die Verteidigung zu beschränken, bis fremde Hilfstruppen, langobardische und fränkische, die er erwartete, ihn in den Stand setzen würden, wieder das offene Feld zu halten.

Aber die Hoffnung, Belisar auf seinem Wege nach Ravenna durch diese gotischen Burgen hinzuhalten, erfüllte sich nicht. Er begnügte sich, sie durch beobachtende Truppen einzuschließen, und zog ohne weiteres gegen die Hauptstadt und den letzten bedeutenden Waffenplatz der Goten. «Habe ich das Herz zum Tode getroffen», sagte er, «werden sich die geballten Fäuste von

selbst öffnen.»

*

Und so dehnten sich alsbald um die Königsstadt Theoderichs in weit gestrecktem Bogen die Zelte der Byzantiner, an allen drei Landseiten, von der Hafenstadt Classis an bis zu den Kanälen und Zweigarmen des Padus, die im Westen besonders die Verteidigung der Festungslinien bildeten.

Zwar hatte die alte, vornehme Stadt damals schon viel verloren von dem Schimmer, in dem sie seit zwei Jahrhunderten fast strahlte als Residenz der Imperatoren: und auch das letzte Abendrot, das die glorreiche Regierung Theoderichs über sie gebreitet, war seit dem Ausbruch des Krieges verschwunden.

Aber gleichwohl. Welch andern Eindruck muß damals die immer noch volkreiche, dem heutigen Venedig gleichende Wasserstadt gemacht haben als heute, wo es den Wandrer aus den ausgestorbenen Straßen, den leeren Plätzen, den einsam schweigenden Basiliken nicht minder melancholisch anhaucht als draußen, vor den Mauern der Stadt, wo sich weithin die öde Sumpflandschaft der Padusniederungen dehnt, bis sie in den Schlamm des weit zurückgetretenen Meeres auslaufen.

Wo einst in der Hafenstadt Classis zu Wasser und zu Lande geschäftiges Leben wogte, wo die stolzen Trieren der kaiserlichen Adria-Flotte tief schaukelnd sich wiegten, da liegen jetzt sumpfige Wiesen, in deren hohem Schilf und Riedgras verwilderte Büffel grasen; versumpft die Straßen, versandet der Hafen, verschollen das Volk, das hier freudig geherrscht: - nur ein riesiger, runder Turm aus der Gotenzeit steht noch neben der allein erhaltnen, einsamen Basilika San Apollinare in Classe fuori, die, von Witichis begonnen, von Justinian vollendet, nun eine Stunde fern von aller Menschenwohnung auf der sumpfigen Ebene trauernd ragt.

Die starke Seefestung galt für uneinnehmbar: darum hatten sie seit dem Sinken ihrer Macht, und der wachsenden Gefährdung Italiens durch die Barbaren, die Kaiser zur Residenz gewählt. Die Südost-Seite deckte das damals noch bis an und in ihre und der Hafenstadt Mauern spülende Meer.

Und um alle drei Landseiten hatten Natur und Kunst ein labyrinthisches Netz von Kanälen, Gräben und Sümpfen des vielarmigen Padus gesponnen, in welchem sich der Belagerer rettungslos verstricken mußte. Und diese Mauern! Noch jetzt erfüllen ihre gewaltigen Reste mit Staunen: ihre ungeheure Dicke und - weniger ihre Höhe als - die Anzahl von starken Rundtürmen, die von ihren Zinnen noch heute aufsteigen, trotzten vor der Erfindung der Feuerwaffe jedem Sturm, jedem gewaltsamen Angriff. Nur durch die Aushungerung hatte nach fast vierjährigem Widerstand der große Theoderich diese letzte Zuflucht Odoakers bezwungen.

Vergebens hatte Belisar versucht, gleich nach seiner Ankunft die Stadt mit Sturm zu nehmen. Kräftig ward sein Angriff abgewiesen, und die Belagerer mußten sich begnügen, die Festung enge zu umschließen und, wie einst der Gotenkönig, durch Mangel zur Übergabe zu nötigen. Dem aber konnte Witichis getrost entgegensehen. Denn er hatte mit der Vorsicht, die ihm eigen, in diesem seinem Haupt-Bollwerk, schon vor dem Aufbruch nach Rom, Vorräte aller Art, namentlich aber Getreide, in außerordentlicher Menge in besonders von ihm (mit Benutzung und in den Räumen des ungeheuren Marmorzirkus des Theodosius) erbauten Kornspeichern von Holzgezimmer aufgehäuft. Diese ausgedehnten Holzbauten, gerade gegenüber dem Palast und der Basilika Sancti Apollinaris, waren des Königs Stolz, Freude und Trost. Nur weniges von diesen Nahrungsmitteln hatte man durch das von den Feinden durchstreifte Land nach dem Lager vor Rom führen können: und bei einiger Sparsamkeit reichten diese Magazine ohne Zweifel für die Bevölkerung und das nicht mehr zahlreiche Heer leicht noch zwei und drei Monate aus. Bis dahin aber war das Eintreffen eines fränkischen Hilfsheeres infolge der aufs neue angeknüpften Verhandlungen sicher zu erwarten. Und dieser Entsatz mußte notwendig die Aufhebung der Belagerung herbeiführen.

Dies wußten - oder ahnten doch - Belisar und Cethegus so gut wie Witichis: und rastlos spähten sie nach allen Seiten, ein Mittel zu finden, den Fall der Stadt zu beschleunigen. Der Präfekt suchte natürlich vor allem seine geheime Verbindung mit der Gotenkönigin zu diesem Zweck zu benutzen. Aber einmal war der Verkehr mit ihr jetzt sehr erschwert, da die Goten alle Ausgänge der Stadt sorgfältig überwachten. Und dann schien auch Mataswintha wesentlich verändert und keineswegs mehr so bereit und willfährig, sich als Werkzeug gebrauchen zu lassen, wie ehedem.

Sie hatte eine rasche Vernichtung oder Demütigung des Königs erwartet. Das lange Hinzögern ermüdete sie: und zugleich hatten die großen Leiden ihres Volkes in Kampf und Hunger und Krankheit angefangen, sie zu erschüttern.

Dazu kam endlich, daß die traurige Verwandlung in dem sonst so kräftigen und gesundfreudigen Wesen des Königs, der stille, aber tiefe und finstre Gram, der über seiner Seele lag, mächtig an ihrem Herzen rüttelte. Wenn sie auch mit der ganzen Ungerechtigkeit des Schmerzes, mit dem bittern Stolz gekränkter Liebe ihn verklagte, daß er ihr Herz verworfen und doch, um der Krone willen, mit Gewalt ihre Hand erzwungen hatte, und wenn sie ihn dafür auch mit der ganzen leidenschaftlichen Glut ihres Wesens zu hassen glaubte und zum Teil auch wirklich haßte, so war doch dieser Haß nur umgeschlagene Liebe. Und als sie ihn nun von dem schweren Unglück der gotischen Waffen, von dem Fehlschlagen all seiner Pläne - an dem ihr heimtückischer Verrat so großen Anteil trug, - tief, bis zur krankhaftschwermütigen Verfinsterung des Geistes, zu marternder Selbstpeinigung niedergebeugt sah, so wirkte dieser Anblick auf ihre aus Härte und Glut seltsam gemischte Natur.

Sie hätte im Augenblick des schmerzlichen Zornes mit Entzücken sein Blut fließen sehen. Aber mondenlang ihn mit bohrendem Gram sich selbst zerstören sehen, - das ertrug sie nicht. Zu dieser weichern Stimmung trug aber endlich wesentlich bei, daß sie seit der Ankunft in Ravenna auch eine Veränderung in des Königs Benehmen gegen sie selbst bemerkt zu haben glaubte. Spuren der Reue, dachte sie, von Reue über die Gewaltsamkeit, mit welcher er in ihr Leben eingegriffen hatte.

Und weil sich in diesem Glauben ihr hartes, schroffes Auftreten bei den selten und immer nur vor Dritten erfolgenden Begegnungen unwillkürlich gemildert hatte, erblickte Witichis hierin einen erfreulichen Schritt des Entgegenkommens, den er stillschweigend ebenfalls mit freundlicheren Formen anerkannte und lohnte. Grund genug für Mataswinthas beweglich flutende Gedanken, die Anträge des Präfekten, selbst wenn diese manchmal noch durch des klugen Mauren Vermittlung an sie gelangten, abzuweisen.

Doch hatte der Präfekt aus dieser Quelle schon während des Zuges gegen Ravenna erfahren, was später auch sonst bekannt wurde, daß die Goten Hilfe von den Franken erwarteten. Unverzüglich hatte er deshalb seine alten Verbindungen mit den Vornehmen und Großen, die an den Höfen zu Mettis (Metz), Aurelianum (Orleans) und Suessianum (Soissons) im Namen der merowingischen Schattenkönige herrschten, wieder angeknüpft, um die Franken, deren damals sprichwörtlich gewordne Falschheit gute Aussicht auf Gelingen solcher Versuche gewährte, von dem gotischen Bündnis wieder abzuziehen.

Und als die Sache durch diese Freunde gehörig vorbereitet war, hatte er an König Theudebald, der zu Mettis Hof hielt, selbst geschrieben und ihn dringend gewarnt, bei einer so verlorenen Sache, wie die gotische seit dem Scheitern der Belagerung Roms offenbar geworden, sich zu beteiligen. Diesen Brief hatten reiche Geschenke an seinen alten Freund, den Majordomus des schwachen Königs, begleitet. Und sehnlich erwartete der Präfekt von Tag zu Tag die Antwort auf denselben: um so sehnlicher, als das veränderte Benehmen Mataswinthens die Hoffnung auf raschere Überwältigung der Goten abgeschnitten hatte.

Die Antwort kam, gleichzeitig mit einem kaiserlichen Schreiben aus Byzanz, an einem für die Helden in und außer Ravenna gleich verhängnisvollen Tage.

Siebzehntes Kapitel

Hildebad, ungeduldig über das lange Müßigliegen, hatte aus der ihm zu besonderer Obhut anvertrauten Porta Faventina mit Tagesanbruch einen heftigen Ausfall auf das byzantinische Lager gemacht, anfangs in ungestümem Anlauf rasche Vorteile errungen, einen Teil der Belagerungswerkzeuge verbrannt und ringsum Schrecken verbreitet.

Er hätte unfehlbar noch viel größeren Schaden angerichtet, wenn nicht der rasch herbeieilende Belisar an diesem Tage all seine Feldherrnschaft und all sein Heldentum zugleich entfaltet hätte. Ohne Helm und Harnisch, wie er vom Lager aufgesprungen, hatte er sich zuerst seinen eigenen fliehenden Vorposten, dann den gotischen Verfolgern entgegengeworfen und durch äußerste persönliche Anstrengung und Aufopferung das Gefecht zum Stehen gebracht. Darauf aber hatte er seine beiden Flanken so geschickt verwendet, daß Hildebads Rückzug ernstlich bedroht war und die Goten, um nicht abgeschnitten zu werden, all ihre errungenen Vorteile aufgeben und schleunigst in die Stadt zurückeilen mußten.

Cethegus, der mit seinen Isauriern vor der Porta Honoriana lag und zur Hilfe herbeikam, fand das Treffen schon beendet und konnte nicht umhin, nachher Belisar in seinem Zelte aufzusuchen und ihm, als Feldherrn wie als Krieger, seine Anerkennung auszusprechen, ein Lob, das Antonina begierig einsog. «Wirklich, Belisarius», schloß der Präfekt, «Kaiser Justinian kann dir das nicht vergelten.»

«Da sprichst du wahr», antwortete Belisar stolz: «er vergilt mir nur durch seine Freundschaft. Für seinen Feldherrnstab könnte ich nicht tun, was ich für ihn schon getan habe und noch immer tue. Ich tu's, weil ich ihn wirklich liebe. Denn er ist ein großer Mann mit allen seinen Schwächen. Wenn er nur eins noch lernte: mir vertraun. Aber getrost: - er wird's noch lernen.»

Da kam Prokop und brachte einen Brief von Byzanz, der soeben von einem kaiserlichen Gesandten überbracht worden. Mit freudestrahlendem Antlitz sprang Belisar, aller Müdigkeit vergessend, vom Polster auf, küßte die purpurne Schnüre, durchschnitt sie dann mit dem Dolch und öffnete das Schreiben mit den Worten: «Von meinem Herrn und Kaiser selbst! Ah, nun wird er mir die Leibwächter senden und den lang geschuldeten Sold, den ich erwarte, und das vorgeschossene Gold.»

Und er begann zu lesen.

Aufmerksam beobachteten ihn Antonina, Prokop und Cethegus: seine Züge verfinsterten sich mehr und mehr: seine breite Brust fing an, sich wie in schwerem Kampf zu heben: die beiden Hände, mit welchen er das Schreiben hielt, zitterten. Besorgt trat Antonina heran, aber ehe sie fragen konnte, stieß Belisar einen dumpfen Schrei der Wut aus, schleuderte das kaiserliche Schreiben auf die Erde und stürzte außer sich aus dem Gezelt, eilends folgte ihm seine Gattin.

«Jetzt darf ihm nur Antonina vor die Augen», sagte Prokop, den Brief aufhebend. «Laß sehn: wohl wieder ein Stücklein kaiserlichen Dankes», und er las: «Der Eingang ist Redensart, wie gewöhnlich - aha, jetzt kommt es besser:

Allerdings sind beide, wie du in deinem Briefe ziemlich überflüssigermaßen bemerkst, dein Eigentum: und dein in demselben Brief geäußerter Entschluß, du wolltest diesen Gotenkrieg bei dermaliger Erschöpftheit des kaiserlichen Säckels aus eigenen Mitteln zu Ende führen, verdient, daß wir ihn als pflichtgetreu bezeichnen. Da aber, wie du in gleichem Briefe richtiger hinzugefügt, all deine Hab und Gut deines Kaisers Majestät zu Diensten steht und kaiserliche Majestät die erbetene Verwendung deiner Leibwächter und deines Goldes in Italien für überflüssig halten muß, so haben wir, deiner Zustimmung gewiß, anderweitig darüber verfügt und bereits Truppen und Schätze, zur Beendigung des Perserkrieges, deinem Kollegen Narses übergeben.) - Ha, unerhört!» unterbracht sich Prokop.

Cethegus lächelte: «Das ist Herrendank für Sklavendienst.»

«Auch das Ende scheint hübsch», fuhr Prokopius fort. -

Erst neulich sollst du beim Weine gesagt haben: das Zepter sei aus dem Feldherrnstab und dieser aus dem Stock entstanden: gefährliche Gedanken und ungeziemende Worte.

Du siehst, wir sind von deinen ehrgeizigen Träumen unterrichtet.

Diesmal wollen wir warnen, ohne zu strafen: aber wir haben nicht Lust, dir noch mehr Holz zu deinem Feldherrnstab zu liefern: und wir erinnern dich, daß die stolzest ragenden Wipfel dem kaiserlichen Blitz am nächsten stehn.)

«Das ist schändlich!» rief Prokop. «Nein, das ist schlimmer: es ist dumm!» sagte Cethegus. «Das heißt, die Treue selbst zum Aufruhr peitschen.»

«Recht hast du», schrie Belisar, der, wieder hereinstürmend, diese Worte noch gehört hatte. «Oh, er verdient Aufruhr und Empörung, der undankbare, boshafte, schändliche Tyrann.»

«Schweig! Um aller Heiligen willen, du richtest dich zugrunde!» beschwor ihn Antonina, die mit ihm wieder eingetreten war, und suchte seine Hand zu fassen.

«Nein, ich will nicht schweigen», rief der Zornige, an der offenen Zelttür auf und nieder rennend, vor welcher Bessas, Acacius, Demetrius und viele andere Heerführer mit Staunen lauschend standen. «Alle Welt soll's hören. Er ist ein undankbarer, heimtückischer Tyrann! Ja, du verdientest, daß ich dich stürzte! Daß ich dir täte nach dem Argwohn deiner falschen Seele, Justinianus!»

Cethegus warf einen Blick auf die draußen Stehenden: sie hatten offenbar alles vernommen. Jetzt, eifrig Antoninen winkend, schritt er an den Eingang und zog die Vorhänge zu. Antonina dankte ihm mit einem Blicke. Sie trat wieder zu ihrem Gatten: aber dieser hatte sich jetzt neben dem Zeltbett auf die Erde geworfen, schlug die geballten Fäuste gegen seine Brust und stammelte: «O Justinianus, hab' ich das um dich verdient? O zu viel, zu viel!» Und plötzlich brach der gewaltige Mann in einen Strom von hellen Tränen aus. Da wandte sich Cethegus verächtlich ab: «Leb' wohl», sagte er leise zu Prokopius, «mich ekelt, wenn Männer heulen.»

Achtzehntes Kapitel

In schweren Gedanken schritt der Präfekt aus dem Zelt und ging, das Lager umwandelnd, nach der ziemlich entlegenen Verschanzung, wo er mit seinen Isauriern sich eingegraben hatte vor dem Tor des Honorius. Es war auf der Südseite der Stadt, nahe dem Hafenwall von Classis, und der Weg führte zum Teil am Meeresstrand entlang.

So sehr den einsamen Wanderer in diesem Augenblick der große Gedanke, der der Pulsschlag seines Lebens geworden war, beschäftigte, so schwer die Unberechenbarkeit Belisars, dieses gefühlsüberschwenglichen Gemütsmenschen, und die Spannung wegen der Antwort der Franken gerade jetzt auf ihm lastete, -doch ward seine Merksamkeit, wenn auch nur vorübergehend, auf das außergewöhnliche Aussehen der Landschaft, des Himmels, der See, der ganzen Natur abgezogen.

Es war Oktober: - aber die Jahreszeit schien seit langen Wochen ihr Gesetz geändert zu haben. Seit zwei Monden fast hatte es nicht geregnet: ja kein Gewölk, kein Streif von Nebel hatte sich in dieser sonst so dünstereichen Sumpflandschaft gezeigt. Jetzt plötzlich - es war gegen Sonnenuntergang -bemerkte Cethegus im Osten, über dem Meer, am fernsten Horizont, eine einzelne rundgeballte, rabenschwarze Wolke, die seit kurzem aufgestiegen sein mußte.

Die untertauchende Sonnenscheibe, obwohl frei von Nebeln, zeigte keine Strahlen. Kein Lufthauch kräuselte die bleierne Flut des Meeres.

Keine noch so leise Welle spülte an den Strand. In der weitgestreckten Ebene regte sich kein Blatt an den Olivenbäumen. Ja, nicht einmal das Schilf in den Sumpfgräben bebte.

Kein Laut eines Tieres, kein Vogelflug war vernehmbar: und ein fremdartiger, erstickender Qualm, wie Schwefel, schien drückend über Land und Meer zu liegen und hemmte das Atmen. Maultiere und Pferde schlugen unruhig gegen die Bretter der Planken, an welchen sie im Lager angebunden waren. Einige Kamele und Dromedare, die Belisar aus Afrika mitgebracht, wühlten den Kopf in den Sand. -

Schwer beklommen atmete der Wanderer mehrmals auf und blickte befremdet um sich. «Das ist schwül: wie vor dem in den Wüsten Ägyptens», sagte er zu sich selber. «Schwül überall - außen und innen. Auf wen wird sich der lang versparte Groll der Natur und Leidenschaft entladen?»

Damit trat er in sein Zelt. Syphax sprach zu ihm: «Herr, wär' ich daheim, ich glaubte heute, der Gifthauch des Wüstengottes sei im Anzug» und er reichte ihm einen Brief.

Es war die Antwort des Frankenkönigs! Hastig riß Cethegus das große, prunkende Siegel auf.

«Wer hat ihn gebracht?»

«Ein Gesandter, der, nachdem er den Präfekten nicht getroffen, sich zu Belisar hatte führen lassen. Er hatte den nächsten Weg - den durchs Lager - verlangt. Deshalb hatte ihn Cethegus verfehlt.»

Er las begierig: «Theudebald, König der Franken, Cethegus dem Präfekten Roms. Kluge Worte hast du uns geschrieben. Noch klügere nicht der Schrift vertraut, sondern uns durch unsern Majordomus kundgetan Wir sind nicht übel geneigt, danach zu tun. Wir nehmen deinen Rat und die Geschenke, die ihn begleiten, an. Den Bund mit den Goten hat ihr Unglück gelöst. Dies, nicht unsere Wandelung, mögen sie verklagen.

Wen der Himmel verläßt, von dem sollen auch die Menschen lassen, wenn sie fromm und klug. Zwar haben sie uns den Sold für das Hilfsheer in mehreren Zentenaren Goldes vorausbezahlt. Allein das bildet in unsern Augen kein Hindernis.

Wir behalten diese Schätze als Pfand, bis sie uns die Städte in Südgallien abgetreten, welche in die von Gott und der Natur dem Reich der Franken vorgezeichnete Gebietsgrenze fallen. Da wir aber den Feldzug bereits vorbereitet und unser tapferes Heer, das schon den Kampf erwartet, nur mit gefährlichem Murren die Langeweile des Friedens tragen würde, sind wir gewillt, unsere siegreichen Scharen gleichwohl über die Alpen zu schicken. Nur anstatt für: gegen die Goten.

Aber freilich, auch nicht für den Kaiser Justinianus, der uns fortwährend den Königstitel vorenthält, sich auf seinen Münzen Herrn von Gallien nennt, uns keine Goldmünzen mit eigenem Brustbild prägen lassen will und uns noch andere höchst unerträgliche Kränkungen unserer Ehre angetan. Wir gedenken vielmehr, unsre eigne Macht nach Italien auszudehnen.

Da wir nun wohl wissen, daß des Kaisers ganze Stärke in diesem Lande auf seinem Feldherrn Belisar beruht, dieser aber eine große Zahl alter und neuer Beschwerden gegen seinen undankbaren Herrn zu führen hat - so werden wir diesem Helden antragen, sich zum Kaiser des Abendlandes aufzuwerfen, wobei wir ihm ein Heer von hunderttausend Franken-Helden zu Hilfe senden und uns dafür nur einen kleinen Teil Italiens von den Alpen bis Genua hin abtreten lassen werden.

Wir halten für unmöglich, daß ein Sterblicher dieses Anerbieten ablehne. Falls du zu diesem Plane mitwirken willst, verheißen wir dir eine Summe von zwölf Zentenaren Goldes und werden, gegen eine Rückzahlung von zwei Zentenaren, deinen Namen in die Liste unserer Tischgenossen aufnehmen. Der Gesandte, der dir diesen Brief gebracht, Herzog Liuthari, hat unsern Antrag Belisar mitzuteilen.»

Mit steigender Erregung hatte Cethegus zu Ende gelesen.

Jetzt fuhr er auf. «Ein solcher Antrag zu dieser Stunde: - in dieser Stimmung: er nimmt ihn an! Kaiser des Abendlandes mit hunderttausend Frankenkriegern! Er darf nicht leben.» -

Und er eilte an den Eingang seines Zeltes. Dort aber blieb er plötzlich stehen: «Tor, der ich war!» lächelte er kalt. «Heißblütig noch immer? Er ist ja Belisar und nicht Cethegus! Er nimmt nicht an. Das wäre, wie wenn der Mond sich gegen die Erde empören wollte, als ob der zahme Haushund plötzlich zum grimmigen Wolfe würde. Er nimmt nicht an! Aber nun laß sehen, wie wir die Niedertracht und Gier dieses Merowingen nutzen. Nein, Frankenkönig», und er lächelte bitter auf den zusammengeknitterten Brief, «solang Cethegus lebt, - nicht einen Fußbreit von Italiens Boden.»

Und einen raschen, heftigen Gang durchs Zelt. Einen zweiten langsamem. Und einen dritten -: nun blieb er stehen - und über die mächtige Stirn zuckt' es hin: «Ich hab' es!» frohlockte er. «Auf, Syphax», rief er, «geh und rufe mir Prokop.» -

Und bei einem neuen Durchschreiten des Gemachs fiel sein Blick auf den zur Erde gefallenen Brief des Merowingen. «Nein», lächelte er triumphierend, ihn aufhebend, «nein, Frankenkönig, nicht so viel Raum, als dieser Brief bedeckt, sollst du haben von Italiens heiliger Erde.»

Bald erschien Prokop. Die beiden Männer pflogen über Nacht ernste, schwere Beratung. Prokop erschrak vor den schwindelkühnen Plänen des Präfekten und weigerte sich lange,

darauf einzugehen.

Aber mit überlegener Geistesmacht hatte ihn der gewaltige Mann umklammert und hielt ihn eisern fest mit zwingenden Gedanken, schlug jeden Einwand, noch eh' er ausgesprochen, mit siegender Überredung nieder und ließ nicht eher ab, seine unzerreißbaren und dichten Fäden um den Widerstrebenden zu ziehen, bis dem Eingesponnenen die Kraft des Widerstandes versagte. -

Die Sterne erblichen, und das erste Tagesgrauen erhellte den Osten mit blassem Streif, als Prokopius von dem Freunde Abschied nahm. «Cethegus», sagte er aufstehend, «ich bewundere dich.

Wär' ich nicht Belisars - ich möchte dein Geschichtsschreiber sein.»

«Interessanter wäre es», sagte der Präfekt ruhig, «aber schwerer.»

«Doch graut mir vor der ätzenden Schärfe deines Geistes. Sie ist ein Zeichen der Zeit, in der wir leben. Sie ist wie eine blendendfarbige Giftblume auf einem Sumpfe. Wenn ich denke, wie du den Gotenkönig durch sein eigen Weib zugrunde gerichtet... -»

«Ich mußte dir das jetzt sagen. Leider hab' ich in letzter Zeit wenig von meiner schönen Verbündeten gehört.»

«Deine Verbündete! Deine Mittel sind...» - «Immer zweckmäßig.»

«Aber nicht immer... ! - Gleichviel, ich gehe mit dir: - noch eine Strecke Weges, weil ich meinen Helden aus Italien fort haben will, sobald als möglich. Er soll in Persien Lorbeeren sammeln, statt hier Dornen. Aber ich gehe nicht weiter mit dir als bis... -»

«Zu deinem Ziel, das versteht sich.»

«Genug. Ich spreche sofort mit Antoninen: ich zweifle nicht am Erfolg. Sie langweilt sich hier aufs tödlichste. Sie brennt vor Begierde, in Byzanz nicht nur so manchen Freund wiederzufinden, auch die Feinde ihres Gatten zu verderben.»

«Eine gute schlechte Frau.»

«Aber Witichis? Meinst du, er wird eine Empörung Belisars für möglich halten?»

«König Witichis ist ein guter Soldat und schlechter Psychologe. Ich kenne einen viel schärferen Kopf, der's doch einen Augenblick für möglich hielt. Und du zeigst ihm ja alles schriftlich. Und jetzt gerade, da er von den Franken im Stich gelassen ist, geht ihm das Wasser an den Hals: - er greift nach jedem Strohhalm. Daran also zweifle ich nicht: - versichre dich nur Antoninens.» -

«Das laß meine Sorge sein. Bis Mittag hoff ich als Gesandter in Ravenna einzuziehn.»

«Wohl: - dann vergiß mir nicht, die schö ne Königin zu sprechen.»

Neunzehntes Kapitel

Und mittags ritt Prokop in Ravenna ein.

Er trug vier Briefe bei sich: den Brief Justinians an Belisar, die Briefe des Frankenkönigs an Cethegus und an Belisar und einen Brief Belisars an Witichis. Diesen letzten hatte Prokop geschrieben, und Cethegus hatte ihn diktiert.

Der Gesandte hatte keine Ahnung, in welcher Seelenverfassung er den König der Goten und seine Königin antraf. Der gesunde, aber einfache Sinn des Königs hatte schon seit geraumer Zeit begonnen, unter dem Druck unausgesetzten Unglücks zwar nicht zu verzagen, jedoch sich zu verdüstern. Die Ermordung seines einzigen Kindes, das herzzerfleischende Losreißen von seinem Weibe hatten ihn schwer erschüttert: -aber er hatte es getragen für den Sieg der Goten. Und nun war dieser Sieg hartnäckig ausgeblieben.

Trotz allen Anstrengungen war die Sache seines Volkes mit jedem Monat seiner Regierung tiefer gefallen: mit einziger Ausnahme des Gefechts bei dem Zug nach Rom hatte ihm nie das Glück gelächelt.

Die mit so stolzen Hoffnungen unternommene Belagerung von Rom hatte mit dem Verlust von drei Vierteln seines Heeres und traurigem Rückzug geendet. Neue Unglücksschläge, Nachrichten, die betäubend wie Keulenschläge auf den Helm in dichter Folge sich drängten, mehrten seine Niedergeschlagenheit und steigerten sie zu dumpfer Hoffnungslosigkeit.

Fast ganz Italien, außerhalb Ravennas, schien Tag für Tag verlorenzugehen. Schon von Rom aus hatte Belisar eine Flotte gegen Genua gesendet, unter Mundila, dem Heruler, und Ennes, dem Isaurier: ohne Schwertstreich gewannen deren gelandete Truppen den seebeherrschenden Hafen und von da aus fast ganz Ligurien. Nach dem wichtigen Mediolanum lud sie Datius, der Bischof dieser Stadt, selbst; von dort aus gewannen sie Bergomum, Comum, Novaria. Andrerseits ergaben sich die entmutigten Goten in Clusium und dem halbverfallnen Dertona den Belagerern und wurden gefangen aus Italien geführt. Urbinum ward nach tapferm Widerstand von den Byzantinern erobert, ebenso Forum Cornelii und die ganze Landschaft Ämilia durch Johannes den Blutigen: die Versuche der Goten, Ancona, Ariminum und Mediolanum wiederzunehmen, scheiterten.

Noch schlimmere Botschaften aber trafen bald des Königs weiches Gemüt.

Denn inzwischen wütete der Hunger in den weiten Landschaften Ämilia, Picenum, Tuscien. Dem Pfluge fehlten Männer, Rinder und Rosse.

Die Leute flüchteten in die Berge und Wälder, buken Brot aus

Eicheln und verschlangen das Gras und Unkraut. Verheerende Krankheiten entstanden aus der mangelnden und ungesunden Nahrung. In Picenum allein erlagen fünfzigtausend Menschen, noch mehr jenseits des Ionischen Meerbusens in Dalmatien, dem Hunger und den Seuchen. Bleich und abgemagert wankten die noch Lebenden dem Grabe zu: wie Leder ward die Haut und schwarz, die glühenden Augen traten aus dem Kopf, die Eingeweide brannten. Die Aasvögel verschmähten die Leichen dieser Pestopfer: aber von Menschen ward das Menschenfleisch gierig gegessen. Mütter töteten und verzehrten ihre neugeborenen Kinder. In einem Gehöft bei Ariminum waren nur noch zwei römische Weiber übrig. Diese ermordeten und verzehrten nacheinander siebzehn Menschen, die vereinzelt bei ihnen Unterkunft gesucht. Erst der achtzehnte erwachte, bevor sie ihn im Schlaf zu erwürgen vermochten, tötete die werwölfischen Unholdinnen und brachte das Schicksal der früheren Opfer ans Licht.

Endlich scheiterte auch die auf Langobarden und Franken gesetzte Hoffnung. Die letzteren, die große Summen für das zugesagte Hilfsheer empfangen hatten, verharrten in schweigender Ruhe. Die ungestüm zur Eile, zur Erfüllung der versprochenen und vorausbezahlten Leistungen mahnenden Boten des Königs wurden zu Mettis, Aurelianum und Paris festgehalten: keinerlei Antwort kam von diesen Höfen. Der Langobardenkönig Audoin aber ließ sagen, er wolle nichts entscheiden ohne seinen kriegsgewaltigen Sohn Alboin. Dieser jedoch sei mit großem Gefolge auf Abenteuer ausgezogen.

Vielleicht komme derselbe selbst einmal nach Italien: - er sei mit Narses eng befreundet. Dann werde er das Land ansehn und seinem Vater und Volke raten, welche Beschlüsse sie über dies Land Italia fassen sollten.

Tapfer widerstand zwar noch Auximum monatelang allen Anstrengungen des starken Belagerungsheeres, das Belisar selbst, begleitet von Prokop, vor die Mauern geführt hatte und während der Einschließung befehligte. Aber es zerriß dem König das Herz, als ihm durch einen Boten (der nur mit Mühe und verwundet sich durch die Reihen beider einschließenden Heere in das drei Tagreisen entfernte Ravenna schlich) der heldenmütige Graf Wisand, der Bandalarius, die folgenden Worte sandte: «Als du mir Auximum anvertrautest, sagtest du: ich sollte damit die Schlüssel Ravennas, ja des Gotenreichs hüten. Ich sollte männlich widerstehen, dann würdest du bald mit all deinem Heer zu unsrem Entsatz heranziehen. Wir haben männlich widerstanden Belisar und dem Hunger. Wo bleibt dein Entsatz? Wehe, wenn du recht gesprochen und mit unsrer Feste jene Schlüssel in der Feinde Hände fallen. Deshalb komm und hilf: - mehr um des Reichs als unsrer willen.»

Diesem Boten folgte bald ein zweiter, ein mit vielem Golde bestochner Soldat der Belagerer, Burcentius: sein Auftrag lautete - mit Blut war der kurze Brief geschrieben -: «Wir haben nur mehr das Unkraut zu essen, das aus den Steinen wächst. Länger als fünf Tage können wir uns nicht mehr halten.» Der Bote fiel auf der Rückkehr mit der Antwort des Königs in die Hand der Belagerer, die ihn im Angesicht der Goten vor den Wällen von Auximum lebendig verbrannten.

Ach, und der König konnte nicht helfen.

Noch immer widerstand das Häuflein Goten in Auximum, obwohl ihnen Belisar durch Zerstörung der Wasserleitung das Wasser abschnitt und den letzten Brunnen, der ihnen geblieben und nicht abzugraben war, durch Leichen von Menschen und Tieren und Kalklösungen vergiftete. Sturmangriffe schlug Wisand immer noch blutig ab: nur durch Aufopferung eines Leibwächters entging einmal Belisar hierbei dem ganz nahen Tode.

Endlich fiel zuerst Cäsena, die letzte gotische Stadt in der Ämilia, und dann Fäsulä, das Cyprianus und Justinus belagerten. «Mein Fäsulä!» rief der König, als er es erfuhr: - denn er war Graf dieser Stadt gewesen, und dicht dabei lag das Haus, das er mit Rauthgundis bewohnt hatte. «Die Hunnen hausen wohl an meinem zerstörten Herd!»

Als aber die gefangene Besatzung von Fäsulä den Belagerten in Auximum in Ketten vor Augen geführt und von diesen Gefangnen selbst jeder Entsatz von Ravenna her als hoffnungslos bezeichnet wurde, da nötigten den Bandalarius seine verhungerten Scharen zur Übergabe.

Er selbst bedang sich freies Geleit nach Ravenna aus.

Seine Tausendschaften wurden gefangen aus Italien geführt. Ja, so tief gesunken war Mut und Volksgefühl der endlich Bezwungenen, daß sie unter Graf Sisifrid von Sarsina gegen die eigenen Volksgenossen Dienste nahmen unter Belisars Fahnen.

Der Sieger hatte Auximum stark besetzt und alsbald die bisherigen Belagerer dieser Feste zurückgeführt in das Lager vor Ravenna, wo er Cethegus den bisher anvertrauten Oberbefehl wieder abnahm.

Es war, als ob ein Fluch an dem Haupte des Gotenkönigs hafte, auf dem so schwer die Krone lastete. Da er nun den Grund seines Mißlingens keiner Schwäche, keinem Versehen auf seiner Seite zuschreiben, da er ebensowenig an dem guten Recht der Goten gegen die Byzantiner zweifeln und da seine einfache Gottesfurcht in diesem Ausgang nichts andres als das Walten des Himmels erblicken konnte, so kam er immer wieder auf den quälenden Gedanken, es sei um seiner unvergebenen Sündenschuld willen, daß Gott die Goten züchtige: eine Vorstellung, welche die Anschauungen des die Zeit beherrschenden alten Testaments ihm nicht minder nahelegten als viele Züge der alten germanischen Königssage.

Diese Gedanken verfolgten unablässig den tüchtigen Mann und nagten Tag und Nacht an der Kraft seiner Seele. Bald suchte er im selbstquälerischen Grübeln jene seine geheime Schuld zu entdecken. Bald sann er nach, wie er den ihn verfolgenden Fluch wenigstens von seinem Volke wenden könne. Längst hätte er die

Krone einem andern abgetreten, wenn ein solcher Schritt in diesem Augenblick nicht ihm und andern als Feigheit hätte erscheinen müssen. So war ihm auch dieser Ausweg - der nächste und liebste - aus seinen quälenden Gedanken verschlossen. Gebeugt saß jetzt oft der sonst so stattliche Mann, blickte lange starr und schweigend vor sich hin, nur manchmal das Haupt schüttelnd oder tief aufseufzend.

Der tägliche Anblick dieses stillen, stolzen Leidens, dieses stummen und hilflosen Erduldens eines niederdrückenden Geschickes blieb, wie wir gesehen, nicht ohne Eindruck auf Mataswintha. Auch glaubte sie sich darin nicht getäuscht zu haben, daß seit geraumer Zeit sein Auge milder als sonst, mit Wehmut, ja mit Wohlwollen auf ihr geruht habe. Und so drängte sie teils uneingestandene Hoffnung, die so schwer erlischt im liebenden Herzen, teils Reue und Mitleid mächtiger als je zu dem leidenden König.

Oft wurden sie jetzt auch durch ein gemeinsames Werk der Barmherzigkeit vereint. Die Bevölkerung von Ravenna hatte in den letzten Wochen angefangen, während die Belagerer von Ancona aus das Meer beherrschten und aus Calabrien und Sizilien reiche Vorräte bezogen, Mangel zu leiden. Nur die Reichen vermochten noch die hohen Preise des Getreides zu bezahlen. Des Königs mildes Herz nahm keinen Anstand, aus dem Überfluß seiner Magazine, die, wie gesagt, die doppelte Zeit bis zum Eintreffen der Franken auszureichen versprachen, auch an die Armen der Stadt wohltätige Verteilungen zu machen, nachdem er seine gotischen Tausendschaften versorgt hatte: auch hoffte er auf eine große Menge von Getreideschiffen, welche die Goten in den oberen Padus-Gegenden auf diesem Flusse zusammengebracht hatten und in die Stadt zu schaffen trachteten.

Um aber jeden Mißbrauch und alles Übermaß bei jenen Spenden fernzuhalten, überwachte der König selbst diese Austeilungen: und Mataswintha, die ihn einmal mitten unter den bettelnden und dankenden Haufen angetroffen, hatte sich neben ihn auf die Marmorstufen der Basilika von Sankt Apollinaris gestellt und ihm geholfen, die Körbe mit Brot verteilen. Es war ein schöner Anblick, wie das Paar, er zur Rechten, die Königin zur Linken, vor der Kirchenpforte stand und über die Stufen hinab dem segenrufenden Volk die Spende reichte.

Während sie so standen, bemerkte Mataswintha unter der drängenden, flutenden Volksmasse denn es war viel Landvolk ja auch von allen Seiten vor den Schrecken des Krieges in die rettenden Mauern zusammengeströmt - auf der untersten Stufe der Basilika seitwärts ein Weib in schlichtem, braunem, halb über den Kopf gezogenem Mantel. Dies Weib drängte nicht mit den andern die Stufen hinan, um auch Brot für sich zu fordern: sondern lehnte, vorgebeugt, den Kopf auf die linke Hand und diesen Arm auf einen hohen Sarkophag gestützt, hinter der Ecksäule der Basilika und blickte scharf und unverwandt auf die Königin.

Mataswintha glaubte, das Weib sei etwa von Furcht oder Scham oder Stolz abgehalten, sich unter die keckern Bettler zu mischen, die auf den Stufen sich stießen und drängten: und sie gab Aspa einen besondern Korb mit Brot, hinabzugehen und ihn der Frau zu reichen. Sorglich bemüht häufte sie mit mildem Blick und mit den beiden weißen Händen tätig das duftende Gebäck. -

Als sie aufsah, begegnete sie dem Auge des Königs, das, sanft und freundlich gerührt, wie noch nie, auf ihr geruht hatte. - Heiß schoß ihr das Blut in die Wangen, und sie zuckte leise und senkte die langen schönen Wimpern.

Als sie wieder aufsah und nach dem Weib im braunen Mantel blickte, war dies verschwunden. Der Platz am Sarkophag war leer.

Sie hatte, während sie den Korb füllte, nicht bemerkt, wie ein Mann mit einem Büffelfell und einer Sturmhaube, der hinter der

Frau stand, sie beim Arme gefaßt und mit sanfter Gewalt hinweggeführt hatte. «Komm», hatte er gesagt, «hier ist kein guter Ort für dich.» Und wie im wachen Traum hatte das Weib geantwortet: «Bei Gott, sie ist wunderschön.»

«Ich danke dir, Mataswintha!» sprach der König freundlich, als die für heute bestimmten Spenden verteilt waren.

Der Blick, der Ton, das Wort drangen tief in ihr Herz. Nie hatte er sie bisher bei ihrem Namen genannt, immer nur die Königin in ihr gesehen und angesprochen. Wie beglückte sie das Wort aus seinem Munde und wie schwer lastete doch zugleich diese Milde auf ihrer schuldbewußten Seele! Offenbar hatte sie sich zum Teil seine wärmere Stimmung durch ihr werktätiges Mitleid mit den Armen erworben. «Oh, er ist gut», sagte sie, halb weinend vor Erregung, «ich will auch gut sein.»

Als sie mit diesem Gedanken in den Vorhof des ihr angewiesenen linken Flügels des Palastes trat - Witichis bewohnte den rechten, eilte ihr Aspa geschäftig entgegen. «Ein Gesandter aus dem Lager», flüsterte sie der Herrin eifrig zu. «Er bringt geheime Botschaft vom Präfekten einen Brief, von Syphax' Hand, in unsrer Sprache - er harrt auf Antwort...» -

«Laß», rief Mataswintha, die Stirne furchend, «ich will nichts hören, nichts lesen. Aber wer sind diese?»

Und sie deutete auf die Treppe, die aus der Vorhalle in ihre Gemächer führte. Da kauerten auf den roten Steinplatten Weiber, Kinder, Kranke, Goten und Italier durcheinander, in Lumpen gehüllt - eine Gruppe des Elends.

«Bettler, Arme, sie liegen hier schon den ganzen Morgen. Sie sind nicht zu verscheuchen. »

«Man soll sie nicht verscheuchen!» sprach Mataswintha, nähertretend.

«Brot, Königin! Brot, Tochter der Amalungen!» riefen mehrere Stimmen ihr entgegen. «Gib ihnen Gold, Aspa, alles, was du bei dir trägst, und hole... -» - «Brot! Brot! Königin, nicht

Gold! Um Gold ist kein Brot mehr zu haben in der Stadt.»

«Vor des Königs Speichern wird es umsonst verteilt. Ich komme gerade davon her, warum wart ihr nicht dort?»

«Ach, Königin, wir können nicht durchdringen», jammerte eine hagere Frau. «Ich bin alt, und meine Tochter hier ist krank, und jener Greis dort ist blind. Die Gesunden, die Jungen stoßen uns zurück. Drei Tage haben wir's umsonst versucht: wir dringen nicht durch.» - «Nein, wir hungern», grollte der Alte. «O Theoderich, mein Herr und König, wo bist du? Unter deinem Zepter hatten wir vollauf. - Da kamen die Armen und Siechen nicht zu kurz. Aber dieser Unglückskönig... -»

«Schweig», sprach Mataswintha, «der König, mein Gemahl», und hier flog ein wunderschönes Rot über ihre Wangen «tut mehr, als ihr verdient. Wartet hier, ich schaffe euch Brot. Folge mir, Aspa!»

Und rasch schritt sie hinweg. «Wohin eilst du?» fragte die Sklavin staunend.

Und Mataswintha schlug den Schleier über ihr Antlitz, als sie antwortete: «Zum König!»

Als sie das Vorgemach des Witichis erreicht, bat sie der Türsteher, der sie mit Befremden erkannte, zu verweilen. «Ein Abgesandter Belisars habe geheime Audienz: er sei schon lange im Gemach und werde es bald verlassen.»

Da öffnete sich die Türe: - und Prokop stand zögernd auf der Schwelle. «König der Goten», sprach er, sich nochmals wendend, «ist das dein letztes Wort?» - «Mein letztes, wie's mein erstes war», sprach der König voller Würde. - «Ich gönne dir noch Zeit: - ich bleibe noch bis morgen in Ravenna.» - «Von jetzt an bist du mir als Gast willkommen, nicht mehr als Gesandter.» - «Ich wiederhole: fällt die Stadt mit Sturm, so werden alle Goten, die höher als Belisars Schwert, getötet - er hat's geschworen! Weiber und Kinder als Sklaven verkauft - Du begreifst: Belisar kann keine Barbaren brauchen in seinem

Italien - Dich mag der Tod des Helden locken: aber bedenke die Hilflosen - ihr Blut wird vor Gottes Thron -» - «Gesandter Belisars, ihr steht in Gottes Hand wie wir, leb' wohl.« Und so mächtig wurden diese Worte gesprochen, daß der Byzantiner gehen mußte, so ungern er es tat. Die schlichte Würde dieses Mannes wirkte stark auf ihn. Aber auch auf die Lauscherin.

Als Prokop die Türe schloß, sah er Mataswintha vor sich stehn und trat bewundernd einen Schritt zurück, geblendet von so viel Schönheit. Ehrerbietig begrüßte er sie. «Du bist die Königin der Goten!» sagte er, sich fassend, «du mußt es sein.»

«Ich bin's!» sagte Mataswintha, «hätt' ich das nie vergessen.» Und stolz rauschte sie an ihm vorüber.

«Augen haben diese Germanen, Männer und Weiber», sagte Prokop im Hinausgehen, «wie ich sie nie gesehen.»

Zwanzigstes Kapitel

Mataswintha war inzwischen unangemeldet bei ihrem Gatten eingetreten.

Witichis hatte alle Gemächer, welche die Amalungen Theoderich, Athalarich, Amalaswintha bewohnt (sie lagen im Mittelbau des weitläufigen Palastes), unberührt gelassen und einige auch früher schon von ihm, wenn er die Wache am Hofe hatte, bewohnte Räume im rechten Flügel bezogen. Er hatte die Gold- und Purpurabzeichen der Amaler nie angelegt und aus seinen Zimmern allen königlichen Pomp entfernt. Ein Feldbett auf niedern Eisenfüßen, auf welchem sein Helm, sein Schwert und mehrere Urkunden lagen, ein langer Eichentisch und wenig Holzgerät standen in dem einfachen Gelaß.

Er hatte sich nach des Gesandten Entfernung, erschöpft, mit dem Rücken gegen die Tür in einen Stuhl geworfen und stützte das müde Haupt in beiden Händen auf den Tisch. So hatte er den leicht schwebenden Schritt der Eintretenden nicht bemerkt.

Mataswintha blieb, wie gebannt, an der Schwelle stehen. Sie hatte ihn noch niemals aufgesucht. Ihr Herz pochte mächtig. Sie konnte ihn nicht ansprechen: sie konnte nicht nähertreten.

Endlich stand Witichis mit Seufzen auf. Da sah er die regungslose Gestalt an der Tür stehen. «Du hier, Königin?» sprach er staunend und trat ihr einen Schritt entgegen. «Was kann dich zu mir führen?»

«Die Pflicht - das Mitleid» sagte Mataswintha rasch. «Sonst hätte ich nicht - ich habe eine Bitte an dich.»

«Es ist die erste», sagte Witichis. - «Sie betrifft nicht mich», fiel sie schnell ein. «Ich bitte dich um Brot für Arme, Kranke, welche -»

Da reichte ihr der König schweigend die Rechte hin.

Es war das erstemal: sie wagte nicht, sie zu fassen, und hätte es doch, o wie gerne, getan. So faßte er selbst ihre Hand und drückte sie leicht.

«Ich danke dir, Mataswintha, und bitte dir ein Unrecht ab. Du hast dennoch ein Herz für dein Volk und seine Leiden. Ich hätte das nie geglaubt: ich habe hart von dir gedacht.»

«Hättest du von jeher anders von mir gedacht: - es wäre vielleicht manches besser.»

«Schwerlich! Das Unglück heftet sich an meine Fersen. Eben jetzt - du hast ein Recht es zu wissen - brach meine letzte Hoffnung: Die Franken, auf deren Hilfe ich hoffte, haben uns verraten. Entsatz ist unmöglich: die Übermacht der Feinde durch den Abfall der Italier allzu groß. Es bleibt nur noch ein letztes: ein freier Tod.»

«Laß mich ihn mit dir teilen», rief Mataswintha, und ihre Augen leuchteten. - «Du? Nein; die Enkelin Theoderichs wird ehrenvolle Aufnahme finden am Hofe von Byzanz. Man weiß, daß du gegen deinen Willen meine Königin geworden... - Du kannst dich laut darauf berufen.»

«Nimmermehr!» sprach Mataswintha begeistert.

Witichis fuhr, ohne ihrer zu achten, in seinen Gedanken fort: «Aber die andern! Die Tausende! Die Hunderttausende von Weibern, von Kindern! Belisar hält, was er geschworen! Es ist nur eine Hoffnung noch für sie: - eine einzige! Denn - alle Mächte der Natur verschwören sich gegen mich. Der Padus ist plötzlich so seicht geworden, daß zweihundert Getreideschiffe, die ich erwartete, nicht rasch genug den Fluß herabgebracht werden konnten: die Byzantiner haben sie aufgefangen!

Ich habe nun um Hilfe an den Westgotenkönig geschrieben: er soll seine Flotte senden. Die unsre ist ja in Feindes Hand! Dringt sie in den Hafen, so kann darauf entfliehen, was nicht fechten kann und nicht sterben soll. Auch du kannst dann, wenn du es vorziehst, nach Spanien entfliehen.»

«Ich will mit dir - mit euch sterben.»

«In wenigen Wochen können die westgotischen Segel vor der Stadt erscheinen. Bis dahin reichen meine Speicher - der letzte Trost. Doch, das mahnt mich an deinen Wunsch: - Hier ist der Schlüssel zu dem Haupttor der Speicher. Ich trag' ihn Tag und Nacht auf meiner Brust. Bewahre ihn wohl: - er verwahrt meine letzte Hoffnung. Er schließt das Leben von vielen Tausenden ein. Es war meine einzige Mühewaltung, die nicht fruchtlos blieb. Mich wundert», fügte er schmerzlich hinzu, «daß nicht die Erde sich aufgetan hat oder Feuer vom Himmel gefallen ist, diese meine Bauten zu verschlingen.»

Und er nahm den schweren Schlüssel aus dem Brustlatz seines Wamses. «Hüt' ihn wohl, es ist mein letzter Schatz, Mataswintha.»

«Ich danke dir, Witichis - König Witichis -», sagte sie, verbessernd, und griff nach dem Schlüssel, aber ihre Hand zitterte. Er fiel.

«Was ist dir», fragte der König, den Schlüssel ihr in die Rechte drückend, - sie steckte ihn in den Gürtel ihres weißseidnen Unterkleides - «du zitterst? Bist du krank?» setzte er besorgt hinzu.

«Nein - es ist nichts. - Aber sieh mich nicht an so - so wie jetzt und wie heute morgen... -»

«Vergib mir, Königin», sagte Witichis, sich abwendend. «Meine Blicke sollten dich nicht kränken. Ich hatte viel, recht viel Gram in diesen Tagen. Und wenn ich nachsann, mit welcher Schuld ich all dies Unglück verdient haben könnte...» - seine Stimme wurde weich.

«Dann? O rede?» bat Mataswintha hingerissen. Denn sie zweifelte nicht mehr an dem Sinn seines unausgesprochenen Gedankens.

«Dann hab' ich, unter all den ringenden Zweifeln, oft auch gedacht, ob es nicht Strafe sei für eine harte, harte Tat, die ich an einem herrlichen Geschöpf begangen habe. An einem Weibe, das ich meinem Volk geopfert -.» Und unwillkürlich sah er im Eifer seiner Rede auf die Hörerin.

Mataswinthens Wangen erglühten: sie faßte, sich aufrecht zu halten, nach der Lehne des Stuhles neben ihr. «Endlich - endlich erweicht sein Herz, und ich - was habe ich ihm getan!» dachte sie, «und er bereut -»

«Ein Weib», fuhr er fort, «das unsäglich um mich gelitten, mehr als Worte es sagen können.»

«Halt ein!» flüsterte sie so leise, daß er es nicht vernahm. «Und wenn ich dich in diesen Tagen um mich walten sah, weicher, milder, weiblicher als je zuvor - dann rührtest du mein Herz mit Macht: und Tränen drangen in meine Augen.» -

«O Witichis!» hauchte Mataswintha.

«Jeder Ton deiner Stimme sogar drang tief in meine Seele. Denn du mahnst mich dann so ganz, so herzerschütternd an -»

«An wen?» fragte Mataswintha und wurde leichenblaß.

«Ach, an sie, die ich geopfert! Die alles um mich gelitten, an mein Weib Rauthgundis, die Seele meiner Seele.» Wie lange hatte er den geliebten Namen nicht mehr laut gesprochen! Jetzt überwältigte ihn bei diesem Klang die Macht des Schmerzes und der Sehnsucht: und in den Stuhl sinkend bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen.

Es war gut. Denn so bemerkte er nicht, wie es blitzähnlich durch die Gestalt der Königin zuckte, ihr schönes Antlitz sich medusenhaft verzerrte. Doch hörte er einen dumpfen Schlag und wandte sich.

Mataswintha war zu Boden gesunken. Ihre linke Hand klammerte sich in die durchbrochene Rücklehne des Stuhls, an dem sie niedergeglitten war, während die Rechte sich fest auf den Mosaikboden stemmte. Ihr bleiches Haupt war vorgebeugt, das prachtvoll rote Haar flutete, losgerissen aus dem Scheitelband, über ihre Schultern: ihre scharf geschnittenen Nüstern flogen.

«Königin!» rief er hinzueilend, sie aufzuheben, «was hat dich befallen?»

Aber ehe er sie berühren konnte, schnellte sie wie eine Schlange empor und richtete sich hoch auf: «Es war eine Schwäche», sagte sie, «die jetzt vorbei: - leb' wohl!» Wankend

erreichte sie die Tür und fiel draußen bewußtlos in Aspas Arme.

*

Unterdessen hatte sich das unheimliche, drohende Ansehen der ganzen Natur noch gesteigert.

Die kleine, rundgeballte Wolke, die Cethegus am Tage zuvor bemerkt, war der Vorbote einer ungeheuren, schwarzen Wolkenwand gewesen, welche die Nacht über aus dem Osten aufgestiegen war, jedoch seit dem Morgen unbeweglich, wie Verderben brütend, über dem Meere stand und die Hälfte des Horizonts bedeckte.

Aber im Süden brannte die Sonne mit unerträglich stechenden Strahlen aus dem unbewölkten Himmel. Die gotischen Wachen hatten Helm und Harnisch abgelegt: sie setzten sich lieber den Pfeilen der Feinde als dieser unleidlichen Hitze aus. Kein Lüftchen regte sich mehr. Der Ostwind, der jene Wolkenschicht heraufgeführt, war plötzlich gefallen. Unbeweglich, bleigrau lag das Meer: die Zitterpappeln im Schloßgarten standen regungslos.

Allein in die tags zuvor ebenfalls verstummte Tierwelt war Angst und Unruhe geraten. An dem heißen Sand der Küste hin flatterten Schwalben, Möwen und Sumpfvögel unsicher, ziellos, hin und her, ganz nieder an der Erde hinstreichend manchmal schrille Rufe gellend. In der Stadt aber liefen die Hunde winselnd aus den Häusern: die Pferde rissen sich in den Ställen los und schlugen, ungeduldig schnaubend, dröhnenden Hufes um sich; kläglich schrien Katzen, Esel und Maultiere, und von den Dromedaren Belisars rasten und schäumten sich drei zu Tode, in wütenden Anstrengungen, zu entkommen. -

Es neigte jetzt gegen Abend. Die Sonne drohte alsbald unter den Horizont zu sinken.

Auf dem Forum des Herkules saß ein Bürger von Ravenna auf der Marmorstufe vor seinem Hause. Es war ein Winzer und schenkte, wie der verdorrte Rebenzweig über seiner Tür zeigte, in seinem Hause selbst von seinem Gewächs. Er blickte nach dem drohenden Wettergewölk. «Ich wollte, es käme Regen», seufzte er. «Kommt nicht Regen, so kommt Hagel und zerschlägt vollends, was an Wachstum draußen die Rosse der Feinde noch nicht zerstampft haben.»

«Nennst du die Truppen unseres Kaisers Feinde?» flüsterte sein Sohn, ein römischer Patriot. Aber leise. Denn eben bog um die Ecke eine gotische Runde.

«Ich wollte, der Orkus verschlänge sie alle miteinander, Griechen und Barbaren! Die Goten haben wenigstens immer Durst. Siehst du, da kommt der lange Hildebadus, der ist der Durstigsten einer. Sollte mich wundern, wenn er heute nicht

trinken wollte da die Steine bersten möchten vor Trockenheit.»

Hildebad hatte die nächste Wache abgelöst und schlenderte nun langsam heran, den Helm im linken Arm, die lange Lanze lässig über der Schulter. Er schritt an der Weinschenke vorbei, zum großen Befremden ihres Herrn, bog in die nächste Seitengasse und stand bald vor einem hohen und dicken Rundturm - er hieß Turm des Aetius -, in dessen Schatten oben auf dem Walle ein schöner, junger Gote auf und nieder schritt. Lange, hellblonde Locken rieselten auf seine Schultern: und das zarte Weiß und Rot seines Gesichts wie die milden, blauen Augen gaben ihm ein fast mädchenhaftes Ansehn.

«He, Fridugern», rief ihm Hildebad hinauf, «huiweh! Blitzjunge, hältst du's noch immer aus auf diesem Bratrost da oben? Und mit Schild und Panzer - uf!»

«Ich habe die Wache, Hildebad!» sagte der Jüngling sanft.

«Ach, was Wache! Glaubst du, bei dieser Schmelzofenhitze wird Belisar stürmen? Ich sage dir, der ist froh, wenn er Luft hat, und verlangt heute kein Blut. Komm mit: ich kam dich zu holen - der dicke Ravennate auf dem Herkulesplatz hat alten Wein und junge Töchter: laß uns beide zu Munde führen.»

Der junge Gote schüttelte die langen Locken, und seine Stirn faltete sich. «Ich habe Dienst und keinen Sinn für Mädchen. Durst habe ich freilich: - schicke mir einen Becher Wein herauf.»

«Ach, richtig, bei Freia, Venus und Maria! Du hast ja eine Braut über den Bergen am Danubius! Und du glaubst, die merkt es gleich, und die Treue sei gebrochen, wenn du hier einer Römerdirne in die Kohlenaugen guckst. O lieber Freund, bist du noch jung! Nun, nun, nichts für ungut. Mir kann's ja recht sein. Bist sonst ein guter Gesell und wirst schon noch älter werden. Ich schicke dir vom roten Massiker heraus: - da kannst du dann allein Allgunthens Minne trinken.»

Und er wandte sich und war rasch in der Schenke verschwunden. Bald brachte ein Sklave dem jungen Goten einen Becher Wein; dieser flüsterte: «All Heil, Allgunthis!» und leerte ihn auf einen Zug. Dann nahm er die Lanze wieder auf die Schulter und ging auf der Mauer auf und nieder, langsamen Schrittes. «Von ihr sinnen und träumen darf ich wenigstens», sagte er, «das wehrt kein Dienst. Wann werd' ich sie wohl wiedersehn?» Und er schritt weiter: und blieb dann gedankenvoll im Schatten des mächtigen Turmes stehn, der schwarz und drohend auf ihn niedersah. -

Bald nach Hildebad zog eine Schar andrer Goten vorbei. Sie führten in der Mitte einen Mann mit verbundenen Augen und ließen ihn zur porta Honorii hinaus. Es war Prokop, der vergeblich noch die festgestellten drei Stunden gewartet hatte. Es war umsonst: keine Botschaft vom König kam, und mißmutig verließ der Gesandte die Stadt. Des Präfekten feiner Plan war, so schien es, an der schlichten Würde des Gotenkönigs gescheitert.

Und noch eine Stunde verging. Es war dunkler, aber nicht kühler geworden. Da erhob sich vom Meere plötzlich ein starker Windstoß aus Süden: er schob die schwarzen Wolkenballen mit rasender Eile nach Norden. Sie lagerten jetzt dicht und schwer über der Stadt.

Aber auch das Meer, der Südosten, ward dadurch nicht frei. Denn eine zweite, gleiche Wolkenmauer war dort emporgestiegen und hatte sich unmittelbar an die erste geschlossen. Der ganze Himmel über Meer und Land war jetzt ein schwarzes Gewölbe.

Hildebad ging, weinmüde, nach seinem Nachtposten an der porta Honorii: «Noch immer auf Wache, Fridugern?» rief er dem jungen Goten hinauf. «Und noch immer kein Regen! Die arme Erde! Wie sie dürsten muß! Sie dauert mich! Gute Wache!»

In den Häusern war es unleidlich schwül: denn der Wind kam

aus den heißen Sandwüsten Afrikas.

Die Leute drängten sich, geängstigt von dem drohenden Aussehen des Himmels, hinaus ins Freie, zogen in dichten Haufen durch die Straßen oder lagerten sich in Gruppen in den Vorhallen und Säulengängen der Basiliken. Auf den Stufen von Sankt Apollinaris drängte sich viel Volk zusammen. Und es ward, obwohl erst Sonnenuntergangszeit, doch völlig dunkle

Nacht.

*

Auf dem Ruhebett in ihrem Schlafgemach lag Mataswintha, die Königin, mit todesbleichen Wangen, in schwerer Betäubung. Aber ohne Schlaf. Die weitgeöffneten Augen starrten in die Dunkelheit.

Nicht eine Silbe hatte sie auf Aspas ängstliche Frage gesprochen und zuletzt die Weinende mit einer Handbewegung entlassen.

Unwillkürlich kehrten in ihrem eintönigen Denken die Worte wieder: Witichis - Rauthgundis Mataswintha! Mataswintha -Rauthgundis - Witichis!

Lange, lange lag sie so, und nichts schien den unaufhörlichen Kreislauf dieser Worte unterbrechen zu können.

Da plötzlich fuhr ein roter Strahl grell und blendend durch das Gemach, und im selben Augenblick schmetterte ein furchtbarer Donnerschlag, ein Donner, wie sie ihn nie vernommen, grollend, knatternd, prasselnd, krachend über die bebende Stadt.

Der Angstschrei ihrer Frauen schlug an ihr Ohr: sie fuhr empor. Sie setzte sich aufrecht in dem Ruhebett. Aspa hatte ihr das Obergewand abgenommen. Sie trug nur noch das weißseidene Unterkleid: sie warf die wallenden Wogen ihres Haares über die Schultern und lauschte.

Es war eine bange Stille. Und noch ein Blitz und noch ein Donnerschlag.

Ein Windstoß riß heulend das Fenster von Milchglas auf, das nach dem Hofe führte. Mataswintha starrte in die Finsternis hinaus, die jetzt jeden Augenblick von grellen Blitzen unterbrochen wurde. Unaufhörlich rollte der Donner, selbst das furchtbare Geheul des Sturmes überdröhnend. Der Kampf der Elemente tat ihr wohl. Sie lauschte begierig, auf die Linke gestützt und mit der Rechten langsam über die Stirne streichend.

Da eilte Aspa herein mit Licht. Es war eine Fackel, deren Flamme in einer geschlossenen Glaskugel brannte.

«Königin, du... - Aber, bei allen Göttern, wie siehst du aus! Wie eine Lemure. Wie die Rachegöttin!»

«Ich wollte, ich wäre es», sagte Mataswintha - es war das erste Wort seit langen Stunden ohne den Blick vom Fenster zu wenden.

Und Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag. Aspa schloß das Fenster. «O Königin, die Frommen unter deinen Mägden sagen: das sei das Ende der Welt, das da komme, und der Sohn Gottes steige nieder auf feurigen Wolken, zu richten die Lebendigen und die Toten. Hu, welch ein Blitz! Und noch kein Tropfen Regen. Nie hab' ich solch ein Unwetter gesehen. Die Götter zürnen schwer.»

«Wehe, wem sie zürnen. Oh, ich beneide sie, die Götter. Sie können hassen und lieben, wie's ihnen gefällt. Und zermalmen den, der sie nicht wieder liebt.»

«Ach Herrin, ich war auf der Straße: ich komme gerade zurück. Alles Volk strömt in die Kirchen mit Beten und Singen, den Himmel zu versöhnen. Ich bete zu Kairu und Astarte -Herrin, betest du nicht auch?»

«Ich fluche! Das ist auch gebetet.»

«Oh, welch ein Donnerschlag!» schrie die Sklavin und stürzte zitternd in die Knie. Der dunkelblaue Mantel, den sie trug, glitt von ihren Schultern. Der Blitz und Donner war so stark gewesen, daß Mataswintha aus den Kissen gesprungen und ans

Fester geeilt war.

«Gnade, Gnade, ihr großen Götter! Erbarmt euch der Menschen!» flehte die Afrikanerin.

«Nein, keine Gnade! Fluch und Verderben über die elende Menschheit!

Ha das war schön! Hörst du, wie sie unten heulen vor Angst auf der Straße? Noch einer, und noch ein Strahl! Ha, ihr Götter, wenn ein Himmelsgott oder Himmelsgötter sind - nur um eins beneid' ich euch -: um die Macht eures Hasses, um euren raschen, geflügelten, tödlichen Blitz! Ihr schwingt ihn mit der ganzen Wut und Lust eures Herzens, und eure Feinde vergehn: und ihr lacht dazu: der Donner ist euer Gelächter! Ha, was war das?»

Ein Blitz und ein Donner, der alle früheren übertraf, zuckte und krachte. Aspa fuhr vom Boden auf.

«Was ist das für ein großes Haus, Aspa? Die dunkle Masse uns gegenüber? Der Blitz hat wohl gezündet: - brennt es?»

«Nein, Dank den Göttern! Es brennt nicht! Der Blitz hat sie nur beleuchtet. Es sind die Kornspeicher des Königs.»

«Ha, habt ihr fehl geblitzt, ihr Götter?» So schrie die Königin. «Auch die Sterblichen führen den Blitz der Rache.»

Und sie sprang vom Fenster hinweg - und das Gemach war plötzlich dunkel.

«Königin - Herrin - wo bist - wohin bist du verschwunden?» rief Aspa. Und sie tastete an den Wänden. Aber das Gemach war

leer: und Aspa rief umsonst nach ihrer Herrin.

*

Unten auf der Straße wogte nach der Basilika von Sankt Apollinaris hin ein frommer Zug.

Ravennaten und Goten, Kinder und Greise, sehr viele Frauen: Knaben mit Fackeln schritten voran, hinter ihnen Priester mit Kreuzstangen und Fahnen. Und durch das Brüllen des Donners und durch das Pfeifen des Sturmes scholl die äte, feierlich ergreifende Weise: dulce mihi cruciari, parva vis doloris est: malo mori quam foedari: major vis amoris est.

Die Antwort aber des zweiten Halbchors lautete: parce, judex, contristatis, parce peccatoribus, qui descendis perflammatis ultor jam in nubibus.

Und der Bittgang verschwand in der Kirche. Auch die nächsten Aufseher der Kornspeicher schlossen sich dem Zuge an.

Auf den Stufen der Basilika, gerade der Tür der Speicher gegenüber, saß das Weib im braunen Mantel: still und furchtlos im Aufruhr der Elemente, die Hände nicht gefaltet, aber ruhig im Schoß liegend. Der Mann in der Sturmhaube stand neben ihr.

Eine gotische Frau, die in die Kirche eilte, erkannte sie im Schein eines Blitzes. «Du wieder hier, Landsmännin? Ohne Obdach? Ich habe dir doch oft genug mein Haus angeboten. Du scheinst fremd hier in Ravenna?»

«Ich bin fremd. Doch hab' ich Obdach.» - «Komm mit in die Kirche und bete mit uns.»

«Ich bete hier.» - «Du betest? Du singst nicht und sprichst nicht?»

«Gott hört mich doch.» - «Bete doch für die Stadt. Sie fürchten, es komme das Ende der Welt.»

«Ich fürchte es nicht, wenn es kommt.»

«Und bete für unsern guten König, der uns Brot gibt alle Tage.» - «Ich bete für ihn.»

Da tönte der waffenklirrende Schritt von zwei gotischen Runden, die sich an der Basilika kreuzten.

«Ei, so donnre, bis du springst», schalt der Führer der einen Schar, «aber brumme mir nicht in meinen Befehl.

Haltet an. Wisand, du bist's? Wo ist der König? Auch in der Kirche?»

«Nein, Hildebad, auf den Wällen.»

«Recht so, da gehört er hin! Vorwärts, Heil dem König.» Und die Schritte verhalten.

Da kam ein römischer Lehrer mit einigen seiner Schüler vorbei. «Aber Magister», mahnte der jüngste, «ich dachte, du wolltest in die Kirche? Warum führst du uns sonst aus dem Hause ins Freie bei diesem Unwetter?»

«Da sagte ich nur, um euch und mich aus dem Hause zu bringen. Was Kirche! Ich sage dir, je weniger ich Dächer und Mauern um mich weiß, desto wohler ist mir. Ich führ' euch auf die große, freie Wiese in der Vorstadt. Ich wollte, wir hätten Regen. Wäre der Vesuvius nahe genug, wie in meiner Heimat, ich dächte, Ravenna werde heut' ein zweites Herculaneum. Ich kenne solche Luft, wie sie heute - ich traue nicht!» Und sie gingen vorüber.

«Willst du nicht mit mir gehn, Frau?» sprach der Mann in der Sturmhaube zu der Gotin. «Ich muß sehen Dromon, unsern Gastfreund, jetzt zu treffen: sonst kommen wir diese Nacht wieder nicht unter Obdach. Ich kann dich nicht allein lassen im Dunkeln. Du hast kein Licht bei dir.»

«Siehst du nicht, wie mir die Blitze leuchten? Geh' nur, ich komme nach. Ich muß noch was zu Ende denken -, zu Ende beten.» Und die Frau blieb allein. Sie preßte beide Hände fest gegen die Brust und sah gegen den schwarzen Himmel: leise nur bewegten sich ihre Lippen.

Da war es ihr, als sähe sie in den Hochgängen, Galerien und Oberhallen des gewaltigen Holzbaues der Speicher, die in dunkeln Massen ihr gegenüber lagen, aus dem steinernen Rundbau des Zirkus ragend, ein Licht auftauchen und hin und wieder, auf und abwärts wandeln. Es mußte wohl eine Täuschung durch die Blitze sein. Denn jedes frei getragene Licht hätte der Wind in den nach außen offenen Galerien verlöscht.

Aber nein: es war doch ein Licht.

Denn in regelmäßigen Zwischenräumen wechselte sein Aufleuchten und sein Verschwinden, wie wenn es hastigen Schrittes entlang den Gängen mit ihren verdeckenden Pfeilern und Halbmauern getragen würde. Scharf sah die Frau nach dem wechselnden Licht und Schatten... - -

Aber plötzlich - o Entsetzen - fuhr sie empor.

Es war ihr: als sei die Marmorstufe, auf der sie gesessen, ein schlafend Tier gewesen, das jetzt erwachend, sich leise regte, lebendig wurde - und schwankte, stark, - von der Linken zur Rechten. -

Blitz und Donner und Sturm ruhten auf einmal.

Da scholl aus den Speichern ein schriller Schrei. Hell aufflammte das Licht und verschwand plötzlich.

Aber auch die Frau auf der Straße stieß einen leisen Angstruf aus. Denn jetzt konnte sie nicht mehr zweifeln: die Erde bebte unter ihr! - Ein leises Zucken: und plötzlich zwei, drei starke Stöße, als hebe sich wellenförmig der Boden von der Linken zur Rechten.

Aus der Stadt her tönte Angstgeschrei. Aus den Türen der Basilika stürzte in Todesangst die laut kreischende Schar der Beter. - Noch ein Stoß! - Die Frau hielt sich mit Mühe aufrecht.

Und fernher, von der Außenseite der Stadt, scholl ein gewaltiges dumpfes Krachen, wie von massenhaft stürzenden, schweren Lasten.

Ein furchtbares Erdbeben hatte Ravenna heimgesucht.

Einundzwanzigstes Kapitel

Während die Frau sich in der Richtung jenes dumpfen Schlages wandte, drehte sie einen Augenblick den Speichern den Rücken. Aber rasch wandte sie sich diesen wieder zu. Denn es war ihr, als sei eine schwere Türe zugefallen. Scharf blickte sie hin. Doch in der tiefen Finsternis konnte ihr Auge nichts wahrnehmen. Nur ihr Ohr hörte etwas sacht an der Außenmauer des Gebäudes dahin rascheln. Und sie glaubte, ein leises Seufzen zu vernehmen.

«Halt», rief die Frau, «wer jammert da?»

«Still, still», flüsterte eine seltsame Stimme, «die Erde hat darüber - vor Abscheu sich geschüttelt, gebebt. Die Erde bebt -die Toten stehen auf. - Es kommt der jüngste Tag, - der deckt alles auf. - Bald wird er's wissen. - Oh. -» Und ein tiefgezogener Klagelaut - und ein Rauschen von Gewändern - und Stille.

«Wo bist du? Bist du wund?» rief die Frau tastend.

Da zuckte ein heller Blitz, der erste seit dem Erdstoß - und zeigte vor ihren Füßen liegend, eine verhüllte Gestalt. Weiße und dunkelblaue Frauenkleider. Das Weib langte nach dem Arm der Liegenden.

Aber rasch sprang diese bei der Berührung auf und war mit einem Schrei im Dunkel verschwunden. Das Ganze war so rasch und ungeheuerlich wie ein Traumgesicht: nur eine breite goldene Armspange mit einer grünen Schlange von Smaragden, die in ihrer Hand zurückgeblieben, war ein Pfand der

Wirklichkeit dieser unheimlichen Erscheinung.

*

Und wieder tönten die ehernen Schritte der gotischen Wachen. «Hildebad, Hildebad, zu Hilfe!» rief Wisand. «Hier bin ich: - was ist? Wohin soll ich?» fragte dieser, mit seiner Schar entgegenkommend. «An das Tor des Honorius! Dort ist die Mauer eingestürzt, und der dicke Turm des Aetius liegt in Trümmern. - Zu Hilfe, in die Lücke!»

«Ich komme: - - armer Fridugern!»

*

In dem gleichen Augenblick stürmte draußen im Lager der

Byzantiner Cethegus, der Präfekt, in das Feldherrnzelt Belisars. Er war in voller Rüstung, der purpurdunkle Roßschweif flatterte um seinen Helm. Seine Gestalt war hoch aufgerichtet. Feuer leuchtete in seinen Augen. «Auf! Was säumst du, Feldherr Justinians? Die Mauern deiner Feinde stürzen von selber ein.

Offen liegt vor dir des letzten Gotenkönigs letzte Burg. - Und du? Was tust du in deinem Zelt? - -»

«Ich verehre die Größe des Allmächtigen!» sagte Belisar mit edler Ruhe. Antonina stand neben ihm, den Arm um seinen Nacken geschlungen. Ein Betschemel und ein hohes Kreuz zeigte, in welchem Tun die wilde Glut des Präfekten das Paar gestört. «Das tu' morgen. - Nach dem Sieg. Jetzt aber: stürme!»

«Jetzt stürmen,» sprach Antonina, «welcher Frevel!

Die Erde bebt in ihren Grundfesten, erschüttert und erschreckt. Denn Gott der Herr spricht in diesen Wettern.»

«Laß ihn sprechen! Wir wollen handeln. Belisar, der Turm des Aetius und ein gutes Stück Mauer sind eingestürzt. Ich frage dich, willst du stürmen?»

«Er hat nicht unrecht», meinte Belisar, in dem die Kampflust erwachte. - «Aber es ist finstere Nacht. -»

«Im Finstern find' ich den Weg zum Sieg und in das Herz von Ravenna. Auch leuchten die Blitze.»

«Du bist ja plötzlich sehr kampfeseifrig», zögerte Belisar.

«Ja, denn jetzt hat's Vernunft zu kämpfen. Die Barbaren sind verblüfft.

Sie fürchten Gott und vergessen darüber ihrer Feinde.»

Im gleichen Augenblick eilten Prokop und Marcus Licinius in das Zelt. «Belisar», meldete der erste, «der Erdstoß hat deine Zelte am Nordgraben umgestürzt und eine halbe Kohorte Illyrier darunter begraben!» - «Hilfe, Hilfe! Meine armen Leute!» rief Belisar und eilte aus dem Zelte. «Cethegus», berichtete Marcus, «auch eine Kohorte deiner Isaurier liegt unter ihren Zelten verschüttet.» Aber ungeduldig, den Helm schüttelnd, fragte der Präfekt: «Was ist mit dem Wasser in dem gotischen Graben vor dem Aetiusturm? Hat der Erdspalt es nicht verringert?» - «Ja, das Wasser ist verschwunden - der Graben ist ganz trocken. Horch, das Wehegeschrei! Deine Isaurier sind's: sie stöhnen und wimmern unter der Verschüttung und schreien um Hilfe.»

«Las sie schreien!» sprach Cethegus. - «Der Graben ist wirklich trocken? So laß zum Sturm blasen. Folge mir mit allen Söldnern, die noch leben.»

Und unter Blitz und Donner, die jetzt wieder unaufhörlich rasten, eilte der Präfekt zu seinen Schanzen, wo seine römischen Legionäre und der Rest der Isaurier unter Waffen standen. Rasch übersah er sie: es waren viel zu wenige, um mit ihnen allein die Stadt zu nehmen. Aber er wußte, daß ein günstiger Erfolg alsbald Belisar mit fortreißen würde. «Lichter, Fackeln her!» rief er und trat mit einer Pechfackel in der Linken vor die Front seiner römischen Legionäre. «Vorwärts», befahl er, «die Schwerter heraus!»

Aber kein Arm rührte sich.

Sprachlos vor Staunen und mit Grauen blickten alle, auch die Führer, auch die Licinier, auf den dämonischen Mann, der im Aufruhr der ganzen Natur nur an sein Ziel dachte und die Elemente, die Schrecken Gottes, nur als Mittel ansah zu seinem Zweck.

«Nun, habt ihr auf mich zu hören oder auf den Donner?» rief

er.

«Feldherr», mahnte ein Centurio vortretend, «sie beten, denn die Erde bebt.»

«Glaubt ihr, Italia wird ihre Kinder verschlingen? Nein, ihr Römer, seht: der Boden selbst von Italien erhebt sich gegen die Barbaren. Er bäumt sich, sprengt ihr Joch, und ihre Mauern fallen. Roma! Roma aeterna!»

Das zündete. Es war eines jener cäsarischen Worte, welche

die Männer und die Waffen fortreißen.

«Roma! Roma aeterna!» riefen zuerst die Licinier, dann die Tausende der römischen Jünglinge, und durch Nacht und durch Grauen, durch Blitz und Donner und Sturm folgten sie dem Präfekten, dessen dämonischer Schwung sie mit fortriß. Die Begeisterung lieh ihnen Flügel. Rasch waren sie über den breiten Graben hinweg, dem sie sonst kaum zu nahen gewagt. -Cethegus der erste am jenseitigen Rand. - Die Fackeln hatte der Sturm gelöscht. Im Finstern fand er den Weg. «Hierher, Licinius», rief er, «Mir nach! Hier muß die Lücke sein.»

Und er sprang vorwärts, rannte aber gegen einen harten Körper und taumelte zurück. «Was ist das?» fragte Lucius Licinius hinter ihm, «eine zweite Mauer?» - «Nein», sprach eine ruhige Stimme von drüben, «aber gotische Schilde.» - «Das ist der König Witichis», sagte der Präfekt grimmig und maß mit bitterem Haß die dunkeln Gestalten. Er hatte auf Überraschung gezählt. Seine Hoffnung war getäuscht. «Hätt' ich ihn», sprach er grimmig in sich hinein, «er sollte nicht mehr schaden.»

Da wurden von rückwärts viele Fackeln sichtbar, und die Trompeten schmetterten. Belisar führte sein Heer zum Sturm gegen den Mauersturz. Prokop erreichte den Präfekten: «Nun, was stockt ihr? Halten euch neue Wälle auf?»

«Ja, lebendige Wälle. Da stehen sie», und der Präfekt deutete mit dem Schwert. «Unter den noch fallenden Trümmern, diese Goten!» -

«Nun wahrlich!» rief Prokop: «si fractus illabatur orbis, impavidos ferient ruinae! Das sind mutige Männer.»

Aber jetzt war Belisar mit seinen dichten, zum Angriff bereiten Scharen heran. Einen Augenblick, - nur die Führer eilten noch, Befehle erteilend hin und wieder, - einen Augenblick noch, und ein furchtbares Morden mußte beginnen.

Da erglühte plötzlich der ganze Horizont über der Stadt. Eine Flammensäule schoß hoch empor, und zahllose Funken stoben nieder. Es schien Feuer vom Himmel zu regnen. Im roten Licht glänzte ganz Ravenna. Es war ein furchtbar herrlicher Anblick.

Die beiden Heere, im Begriff handgemein zu werden, hielten inne.

«Feuer! Feuer! Witichis! König Witichis», schrie jetzt ein Reiter, der von der Stadt herjagte, «es brennt.»

«Das sehen wir. Laß brennen, Markja! Erst fechten, dann löschen.»

«Nein, nein, Herr! Alle deine Speicher brennen! Dein Getreide fliegt in Myriaden Funken durch die Luft.»

«Die Speicher brennen!» schrien Goten und Byzantiner.

Witichis versagte die Stimme, zu fragen. «Der Blitz muß schon lange im Innern gezündet haben. Er hat von innen alles zusammengebrannt. Da sieh, sieh hin. -

Ein stärkerer Stoß des Sturmwinds fuhr in die Lohe und entfachte sie riesengroß. Die Flammen flogen auf die nächsten Dächer. Zugleich schien der hölzerne Dachfirst des hohen Gebäudes jetzt hinabzustürzen. Denn nach einem schweren Schlag schossen abermals viele, viele Tausende von Funken empor. Es war ein Flammenmeer.

Witichis wollte das Schwert erheben zum Befehl: - matt sank sein Arm herunter.

Cethegus sah's: «Jetzt», rief er, «jetzt zum Sturm!»

«Nein, haltet ein!» rief mit Löwenstimme Belisarius. «Der ist ein Feind des Kaisers, der ist des Todes, der das Schwert erhebt. Zurück ins Lager alle: jetzt ist Ravenna mein - und morgen fällt's von selbst.»

Und seine Tausende folgten ihm und zogen zurück. Cethegus knirschte. Er allein war zu schwach. Er mußte nachgeben. Sein Plan war gescheitert. Er hatte die Stadt mit Sturm nehmen wollen, um, wie in Rom, sich in ihren Hauptwerken festzusetzen.

Und er sah voraus, daß sie nun ganz in Belisars Hand werde geliefert werden. Grollend führte er die Seinen zurück.

Aber es sollte anders kommen, als Belisar und als Cethegus dachten.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Der König hatte den Schutz der Mauerlücke am Turm des Aetius Hildebad übertragen und war sofort auf die Brandstätte geeilt.

Als er dort eintraf, fand er das Feuer im Erlöschen: - aber nur aus Mangel an Nahrung. Der ganze Inhalt, der Speicher samt deren Brettergerüsten und dem Dach, alles, was durch Feuer zerstörbar, war bis auf den letzten Splitter und das letzte Korn verbrannt. Nur die nackten, ruß und rauchgeschwärzten Steinmauern des ursprünglichen Marmorbaus, des Zirkus des Theodosius, starrten noch gen Himmel.

Ein Mal des Blitzstrahls war an ihnen nicht wahrzunehmen. Das Feuer mußte sehr lange Zeit von innen heraus, wo der Blitz den Holzbau entzündet haben mochte, unvermerkt fortgeglimmt sein und sich über alle Innenräume des Holzbaues schleichend verbreitet haben. Als Flammen und Rauch aber zu den Dachlücken herausschlugen, war alle Hilfe zu spät. Krachend war bald darauf der Rest des Holzbaues zusammengestürzt; die Einwohner hatten vollauf zu tun, die nächsten, teilweise schon vom Feuer ergriffenen Häuser zu retten. Dies gelang mit Hilfe des Regens, der kurz vor Tagesanbruch endlich einfiel und dem Sturm sowie dem Blitz und Donner ein Ende machte.

Aber statt der Speicher beleuchtete die aufgehende Sonne, als sie das Gewölk zerstreute, nur einen trostlosen Haufen Schutt und Asche in der Mitte des Marmorrundbaus.

Schweigend, mit tief gesenktem Haupt, lehnte der König lange Zeit diesen Ruinen gegenüber an einer Säule der Basilika.

Ohne Regung, nur manchmal den Mantel auf der mächtig arbeitenden Brust zusammendrückend. Im Anblick dieser Trümmer war ein schwerer Entschluß in ihm gereift. Jetzt ward es grabesstill in seinem Innern.

Jedoch um ihn her auf dem Platze wogte das Elend der verzweifelnden Armen von Ravenna betend, fluchend, weinend, scheltend. «Oh, was wird jetzt aus uns!» - «Oh, wie war das Brot so weiß, so gut, so duftend, das ich noch gestern hier erhielt.» - «Oh, was werden wir jetzt essen?»

«Bah, der König muß aushelfen.» - «Ja, der König muß Rat schaffen.» - «Der König?»

«Ach, der arme Mann, woher soll er's nehmen?» - «Hat er doch selbst nichts mehr.» - «Das ist seine Sache.» - «Er allein hat uns in all die Not gebracht.» - «Er ist an allem schuld.» -«Was hat er die Stadt nicht lang dem Kaiser übergeben.» -«Jawohl, ihrem rechtmäßigen Herrn!» - «Fluch den Barbaren!» -«Sie sind an allem schuld.» - «Nicht alle, nein, der König allein. Seht ihr's denn nicht? Es ist die Strafe Gottes!» - «Strafe? Wofür? Was hat er verbrochen? Er gab dem Volke von Ravenna Brot!» - «So wißt ihr's nicht? Wie kann der Eheschänder die Gnade Gottes haben? Der sünd'ge Mann hat ja zwei Weiber zugleich! Der schönen Mataswintha hat ihn gelüstet. Und er ruhte nicht, bis sie sein eigen war. - Sein ehelich Weib hat er verstoßen.»

Da schritt Witichis unwillig die Stufen herab. Ihn ekelte des Volkes. Aber sie erkannten seinen Schritt.

«Da ist der König! Wie finster er blickt», riefen sie durcheinander und wichen zur Seite. «Oh, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte den Hunger mehr als seinen Zorn. Schaff uns Brot, König Witichis. Hörst du's, wir hungern!» sprach ein zerlumpter Alter und faßte ihn am Mantel. «Brot, König!» - «Guter König, Brot!» - «Wir verzweifeln!» - «Hilf uns!» Und wild drängte sich die Menge um ihn.

Ruhig, aber kräftig machte sich Witichis frei. «Geduldet euch», sprach er ernst. «Bis die Sonne sinkt, ist euch geholfen.» Und er eilte nach seinem Gemach.

Dort warteten auf ihn mehrere Diener Mataswinthens und ein römischer Arzt.

«Herr», sprach dieser mit besorgter Miene, «die Königin, deine Gemahlin, ist sehr krank. Die Schrecken dieser Nacht haben ihren Geist verwirrt. Sie spricht wirre Fieberreden. Willst du sie nicht sehen?»

«Nicht jetzt, sorgt für sie.» - «Sie reichte mir», fuhr der Arzt fort, «mit größter Angst und Sorge diesen Schlüssel. Er schien sie in ihren Wahnreden am meisten zu beschäftigen. Sie holte ihn unter ihrem Kopfkissen hervor. Und sie ließ mich schwören, ihn nur in deine Hand zu geben, er sei von höchster Wichtigkeit.»

Mit einem bittern Lächeln nahm der König den Schlüssel und warf ihn zur Seite. «Er ist es nicht mehr. - Geht, verlaßt mich

und sendet meinen Schreiber.»

*

Eine Stunde später ließ Prokop den Präfekten in das Zelt des Feldherrn eintreten.

Als er eintrat, rief ihm Belisar, der mit hastigen Schritten auf und nieder ging, entgegen: «Das kommt von deinen Plänen, Präfekt! Von deinen Künsten! Von deinen Lügen! Ich hab' es immer gesagt: vom Lügen kommt Verderben, und ich verstehe mich nicht drauf! Oh, warum bin ich dir gefolgt! Jetzt steck' ich in Not und Schande!»

«Was bedeuten diese Tugendreden?» fragte Cethegus seinen Freund.

Dieser reichte ihm einen Brief. «Lies. Diese Barbaren sind unergründlich in ihrer großartigen Einfalt. Sie schlagen den Teufel durch Kindessinn; lies.»

Und Cethegus las mit Staunen: «Du hast mir gestern drei Dinge zu wissen getan:

Daß die Franken mich verraten haben. Daß du im Bund mit den Franken das Westreich deinem undankbaren Kaiser entreißen willst. Daß du uns Goten freien Abzug über die Alpen ohne Waffen anbietest.

Darauf habe ich dir gestern geantwortet, die Goten geben nie ihre Waffen ab und räumen nicht Italien, die Eroberung und Erbschaft ihres großen Königs: eher fall' ich hier mit meinem ganzen Heer. So habe ich gestern gesprochen. So spreche ich heute noch, obwohl sich Feuer, Wasser, Luft und Erde gegen uns empörten. Aber was ich immer dunkel gefühlt, hab' ich heut nacht unter den Flammen meiner Vorräte klar erkannt: es liegt ein Fluch auf mir. Um meinetwillen erliegen die Goten. Ich bin das Unglück meines Volkes. Das soll nicht länger also sein. Nur meine Krone versperrte einen ehrenvollen Ausweg: sie soll's nicht mehr. Du erhebst dich mit Recht gegen Justinian, den treulosen und undankbaren Mann. Er ist unser Feind wie der deine. Wohlan: stütze dich, statt auf ein Heer der falschen Franken, auf das ganze Volk der Goten, deren Kraft und Treue dir bekannt. Mit jenen sollst du Italien teilen: mit uns kannst du es ganz behalten. Laß mich den Ersten sein, der dich begrüßt wie als Kaiser des Abendlands so als König der Goten. Alle Rechte bleiben meinem Volk, du trittst einfach an meine Stelle. Ich selber setze dir meine Krone auf das Haupt, und wahrlich: kein Justinian soll sie dir entreißen. Verwirfst du diesen Antrag: so mache dich gefaßt auf einen Kampf, wie du noch keinen gekämpft. Ich breche dann mit fünfzigtausend Goten in dein Lager. Wir werden fallen. Aber auch dein ganzes Heer. Eins oder das andre. Ich hab's geschworen. Wähle. Witichis.»

Einen Augenblick war der Präfekt aufs furchtbarste erschrocken. Rasch hatte er einen forschenden Blick auf Belisar geworfen. Aber dieser eine Blick beruhigte ihn wieder ganz. «Er ist ja Belisar», sagte er sich abermals. «Jedoch gefährlich ist es

immer, mit dem Teufel zu spielen. Welche Versuchung! -»

Er gab den Brief zurück und sagte lächelnd: «Welch ein Einfall! Wozu doch die Verzweiflung führt.»

«Der Einfall», meinte Prokop, «wäre gar nicht so übel, wenn... »

«Wenn Belisar nicht Belisar wäre», lächelte Cethegus.

«Spart euer Lachen», schalt dieser. «Ich bewundre den Mann. Und es darf mich nicht mehr beleidigen, daß er mich der Empörung fähig hält. Hab' ich es ihm doch selber vorgelogen.» Und er stampfte mit dem Fuß. «Ratet jetzt und helft! Denn ihr habt mich in diese leidige Wahl geführt. Ja sagen kann ich nicht. Und sag' ich nein: darf ich des Kaisers Heer als vernichtet ansehn. Und muß obendrein bekennen, daß ich die Empörung erlogen.»

Cethegus sann schweigend nach, das Kinn mit der Linken langsam streichend. Plötzlich durchblitzte ihn ein Gedanke. Ein Strahl der Freude flog verschönend über sein Gesicht: «So kann ich sie beide verderben!» Er war in diesem Augenblick sehr mit sich zufrieden. Aber erst wollte er Belisar ganz sicher machen. «Du kannst vernünftigerweise nur zwei Dinge tun», sagte er zaudernd.

«Rede, ich sehe weder eins noch das andre.»

«Entweder wirklich annehmen»

«Präfekt», rief Belisar grimmig und fuhr ans Schwert. Prokop hemmte erschrocken seinen Arm. «Keinen solchen Scherz mehr. Cethegus, so lieb dir dein Leben.»

«Oder», fuhr dieser ruhig fort, «zum Schein annehmen. Ohne Schwertstreich einziehn in Ravenna. Und - die Gotenkrone samt dem Gotenkönig nach Byzanz schicken.»

«Das ist glänzend!» rief Prokop. «Das ist Verrat!» rief Belisar.

«Es ist beides», sagte Cethegus ruhig.

«Ich könnte dem Gotenvolk nicht mehr in die Augen sehen.»

«Das ist auch nicht nötig. Du führst den gefangenen König nach Byzanz. Das entwaffnete Volk hört auf, ein Volk zu sein.»

«Nein, nein, das tu' ich nicht.»

«Gut. So laß dein ganzes Heer Testamente machen. Leb' wohl, Belisar. Ich gehe nach Rom. Ich habe durchaus nicht Lust, fünfzigtausend Goten in Verzweiflung kämpfen zu sehen. Und wie wird Kaiser Justinianus den Verderber seines besten Heeres loben!»

«Es ist eine furchtbare Wahl», zürnte Belisar.

Da trat Cethegus langsam auf den Feldherrn zu. «Belisar», sprach er mit gemütvoller, tief aus der Brust geschöpfter Stimme: «du hast mich oft für deinen Feind gehalten. Und ich bin zum Teil dein Gegner. Aber wer kann neben Belisar im Feld gestanden sein, ohne den Helden zu bewundern?»

Und seine Weise war so feierlich und salbungsvoll, wie man sie nie an dem sarkastischen Präfekten sah. Belisar war ergriffen, und selbst Prokop erstaunte.

«Ich bin dein Freund, wo ich es sein kann. Und will dir diese Freundschaft in diesem Augenblick durch meinen Rat bewähren. Glaubst du mir, Belisarius?» Und er legte die linke Hand auf des Helden Schulter, bot ihm treuherzig die Rechte, und sah ihm tief ins Auge.

«Ja», sagte Belisar, «wer könnte solchem Blick mißtrauen.»

«Siehe, Belisar, nie hat ein edler Mann einen mißtrauischeren Herrn gehabt als du. - Der letzte Brief des Kaisers ist die schwerste Kränkung deiner Treue.»

«Das weiß der Himmel.»

«Und nie hat ein Mann», - hier faßte er ihn an beiden Händen «herrlichere Gelegenheit gehabt, das schnödeste Mißtrauen zu beschämen, sich aufs glorreichste zu rächen, seine Treue sonnenklar zu zeigen. Du bist verleumdet, du trachtetest nach der Herrschaft des Abendlandes. Wohlan, bei Gott: du hast sie jetzt in Händen. Zieh in Ravenna ein, laß dir von Goten und Italiern huldigen und zwei Kronen auf dein Haupt setzen. Ravenna dein, dein blindergebenes Heer, die Goten, die Italier wahrlich, du bist unantastbar. Justinian muß zittern zu Byzanz, und sein stolzer Narses ist ein Strohhalm gegen deine Macht. Du aber, der du all dies in Händen hat, - du legst all die Macht und all die Herrlichkeit deinem Herrn zu Füßen und sprichst:

Cethegus hatte den Kern seines Herzens getroffen. Sein Auge leuchtete.

«Recht hast du, Cethegus, komm an meine Brust, hab' Dank. Das ist groß gedacht. O Justinian, du sollst vor Scham vergehn!»

Cethegus entzog sich der Umarmung und schritt zur Türe.

«Armer Witichis», flüsterte Prokop ihm zu; «er wird diesem Musterstück von Treue aufgeopfert. Jetzt ist er verloren.»

«Ja», sagte Cethegus, «er ist verloren, gewiß.» Und draußen vor dem Zelt warf er den Mantel über die linke Schulter und

sprach: «Aber gewisser noch du selber, Belisar.»

*

In seinem Quartier trat ihm Lucius Licinius gerüstet entgegen.

«Nun, Feldherr», fragte er, «die Stadt ist noch nicht übergeben. Wann geht's zum Kampf?»

«Der Kampf ist aus, mein Lucius. Leg' deine Waffen ab und gürte dich zu reisen. Du gehst noch heute mit geheimen Briefen von mir ab.» - «An wen?» - «An den Kaiser und die Kaiserin.»

«Nach Byzanz?» - «Nein, zum Glück sind sie ganz nah, in den Bädern von Epidaurus. Eile dich. In fünfzehn Tagen mußt du zurück sein, nicht einen halben später. Italiens Schicksal harrt auf deine Wiederkunft.»

*

Sowie Prokop mündlich die Antwort Belisars dem Gotenkönig überbracht, berief dieser in seinen Palast die Führer des Heeres, die vornehmsten Goten und eine Anzahl von vertrauten einfach Freien, teilte ihnen das Geschehene mit und forderte ihre Zustimmung.

Wohl waren sie anfangs mächtig überrascht: und ein Schweigen des Staunens folgte auf seine Worte. Endlich sprach Herzog Guntharis, mit Rührung auf den König blickend: «Die letzte deiner Königstaten, Witichis, ist so edel, ja edler als alle deine früheren. Dich bekämpft zu haben werd' ich ewig bereuen. Ich habe mir lange geschworen, es zu sühnen, indem ich dir blindlings folge. Und wahrlich, in diesem Fall hast du zu entscheiden, denn du opferst das Höchste: eine Krone. Soll aber ein andrer als du König sein, - leichter mögen die Wölsungen einem Fremden, einem Belisar, als einem Goten nachstehn. Und so folg' ich dir und sage: ja, du hast gut und groß gehandelt.»

«Und ich sage nein! Und tausendmal nein!» rief Hildebad. «Bedenkt, was ihr tut! Ein Fremder an der Spitze der Goten!»

«Was ist das andres, als was andre Germanen vor uns getan, Quaden und Heruler und Markomannen, auch die Franken unter jenem Römer Ägidius?» sagte Witichis ruhig, «ja, was andres, als was unsere glorreichsten Könige und selbst Theoderich getan? Sie leisteten dem Kaiser Waffendienst und erhielten dafür Land. So lautet der Vertrag, nach dem Theoderich Italien von Kaiser Zeno nahm. Ich erachte Belisar nicht geringer als Zeno und mich wahrlich nicht besser Theoderichs.»

«Ja, wenn es Justinian wäre», fügte Guntharis bei. «Nie unterwarf' ich mich dem feigen und falschen Tyrannen. Aber Belisarius ist ein Held. Kannst du das leugnen, Hildebad? Hast du vergessen, wie er dich vom Gaul gerannt?»

«Schlag mich der Donner, wenn ich's ihm vergesse. Es ist das einzige, was mir an ihm gefallen hat.»

«Und das Glück ist mit ihm, wie mit mir das Unglück war. Und wir bleiben im reichen Lande hier, bleiben frei wie bisher und schlagen nur seine Schlachten gegen Byzanz. Er wird uns Rache schaffen an dem gemeinsamen Feind.»

Und fast alle Versammelten stimmten bei.

«Nun, ich kann euch nicht in Worten widerlegen», rief Hildebad. «Von je hab' ich die Zunge ungefüger als die Axt geführt. - Aber ich fühl' es deutlich: ihr habt unrecht. - Hätten wir nur den schwarzen Grafen hier, der würde sagen können, was ich nur spüre. Mögt ihr's nie bereuen! Mir aber sei's vergönnt, aus diesem ungeheuerlichen Mischreich davonzugehn. Ich will nicht leben unter Belisar. Ich zieh' auf Abenteuer in die Welt: mit Schild und Speer und groben Hieben kommt man weit.»

Witichis hoffte, den treuen Gesellen in vertrautem Gespräch wohl noch umzustimmen. Er fuhr jetzt in der Sache fort, die ihm so sehr am Herzen lag. «Vor allem hat sich Belisar Schweigen ausbedungen, bis er Ravenna besetzt hat. Es steht zu fürchten, daß einige seiner Heerführer mit ihren Truppen von einer Empörung gegen Justinian nichts wissen wollen. Diese, sowie die verdächtigen Quartiere von Ravenna, müssen von den Goten und den verlässigen Anhängern Belisars umstellt sein, ehe die Entscheidung fällt.»

«Hütet euch», warnte Hildebad, «daß ihr nicht selbst in diese Grube fallt! Wir Goten sollen uns nicht aufs Feinspinnen verlegen. 's ist, wie wenn der Waldbär auf das Seil steigt - er fällt doch über kurz oder lang. Lebt wohl - mög' es besser ausfallen, als ich ahne.

Ich gehe, von meinem Bruder Abschied zu nehmen. Der, wie ich ihn kenne, wird wohl mit diesem Römer-Gotenstaate sich versöhnen. Der schwarze Teja aber, denk' ich, zieht mit mir

davon.»

*

Am Abend durchlief die Stadt das Gerücht von einer Kapitulation. Die Bedingungen waren ungewiß. Aber gewiß war, daß Belisar auf Verlangen des Königs große Vorräte von Brot, Fleisch und Wein in die Stadt schickte, welche an die Armen verteilt wurden. «Er hat Wort gehalten!» sagten diese und segneten den König.

Dieser erkundigte sich nun nach dem Befinden der Königin und erfuhr, daß sie sich langsam wieder beruhige und erhole. «Geduld»: sprach Witichis aufatmend - «auch sie wird bald frei und meiner ledig.»

Es dunkelte bereits, als eine starke Schar berittener Goten sich aus der innern Stadt nach der Mauerlücke am Turm des Aetius wandte. Ein langer Reiter voran: dann eine Gruppe, die auf quergelegten Lanzen eine mit Tüchern und Mänteln verhüllte Last in schweren Kisten trug. Dann der Rest der stark gerüsteten Männer.

«Auf mit dem Notriegel!» rief der Führer, «wir wollen hinaus.»

«Du bist es, Hildebad?» rief der Wache haltende Graf Wisand und gab Befehl zu öffnen. «Weißt du schon, die Stadt wird morgen übergeben. Wo willst du hin?»

«In die Freiheit!» rief Hildebad und gab seinem Roß die Sporen.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Mehrere Tage waren vergangen, bis die Königin Mataswintha sich aus den wirren Fieberphantasien und aus dem von wilden Träumen gequälten Schlummer, der auf dieselben gefolgt war, erhoben hatte.

Teilnahmslos und stumpf stand sie der ganzen Außenwelt und den gewaltigen Entscheidungen gegenüber, die sich damals vorbereiteten. Sie schien keine Empfindung mehr zu haben, als das eine Gefühl ihrer ungeheuern frevelhaften Taten.

Und rasch hatte sich der wild frohlockende Triumph des Hasses, mit dem sie, die Fackel in der Hand, durch die Nacht gestürmt war, in zerstörende Reue, in Grauen und Entsetzen verwandelt. In dem Augenblick, da sie die arge Tat getan, hatte sie der Erdstoß in die Knie geworfen: und ihr von allen Leidenschaften erregter Sinn, ihr im Augenblick des vollendeten Frevels erwachendes Gewissen glaubte, die Erde wolle sich über ihre Untat empören: sie sah die Rache des Himmel hereinbrechen über ihr schuldiges Haupt.

Und als sie nun, in ihrem Gemache wieder angelangt, alsbald die Lohe, die ihre Hand entzündet, riesengroß emporsteigen sah, als sie das tausendstimmige Wehgeschrei der Ravennaten und Goten vernahm, da schien jede Flamme an ihrem Herzen zu nagen und jede der klagenden Stimmen sie zu verfluchen. Sie verlor das Bewußtsein: sie brach zusammen unter den Folgen ihrer Tat.

Als sie die Besinnung wiedergefunden und sich allmählich des Geschehenen wieder erinnert hatte, war die Kraft ihres Hasses gegen den König völlig gebrochen. Ihre Seele war geknickt. Tiefste Reue über ihre Tat, zitternde Scheu, je wieder vor sein Antlitz treten zu sollen, erfüllten sie ganz.

Um so mehr, als sie selbst wußte und von allen Seiten vernahm, wie der Untergang der Speicher den König zur Ergebung an seine Feinde zwingen werde.

Ihn selber sah sie nicht. Auch als er einmal einen Augenblick Zeit fand, selbst nach ihrem Zustand in ihren Gemächern sich zu erkundigen, beschwor sie die staunende Aspa, um keinen Preis den König vor ihr Antlitz treten zu lassen: obwohl sie wieder seit mehreren Tagen das Lager verlassen und häufig arme Leute aus der Stadt empfangen hatte, ja die Darbenden auffordern ließ, sich bei ihr zu melden. Sie pflegte dann eigenhändig die für sie und ihren Hof bestimmten Speisen und mit maßloser Freigebigkeit Schmuck, Gold und Kostbarkeiten an sie zu verteilen.

Solchen Besuch eines Bettlers erwartete sie, als ein Mann in braunem Mantel und einer Sturmhaube wiederholt und dringend sie um die Gnade gebeten hatte, sie möchte nicht ihm, sondern einer armen Frau ihres Volkes die Gunst einer Unterredung ohne Zeugen gewähren.

Es gelte des Königs Heil: es gelte zu warnen vor tätigem, überführbarem Verrat, der seine Krone, vielleicht sein Leben bedrohe. Mataswintha gewährte eifrig die Bitte.

Mochte es ein Irrtum, ein Vorwand sein: sie durfte nicht mehr abweisen, was auch nur mit dem Vorwand seiner Rettung an sie trat. Auf Sonnenuntergang bestellte sie das Weib.

Die Sonne war gesunken. Der Süden kennt fast keine Dämmerung. Es war finster beinahe, als der schon lange im Vorsaal harrenden Frau eine Sklavin winkte. Die Königin, krank und schlaflos des Nachts, habe erst zur achten Stunde Schlummer gefunden. Eben erst erwacht, sei sie sehr schwach. Gleichwohl solle die Bittende vorgelassen werden, da es dem König gelte.

«Ist das aber auch gewiß wahr?» forschte die Sklavin. «Nicht unnütz möcht' ich meine Herrin mühen»: - es war Aspa - «wenn ihr nur Geld damit erlisten wolltet, sagt es mir frei. Ihr sollt mehr haben, als ihr begehrt: - nur schont meine Herrin. Gilt es dem König wirklich?»

«Es gilt dem König!» Seufzend führte Aspa die Frau in das Gemach Mataswinthens.

Diese erhob sich, das Haupt und Haar von dichtem Tuch umwunden, ganz in leichtes, weißes Krankengewand gekleidet, im Hintergrund des großen Gemaches von dem Lager, an welchem ein runder Mosaiktisch stand. Die goldene Ampel, die über demselben in die Wand eingelassen war, brannte bereits mit mattem Licht. Sie blieb auf dem Rand des Lagers müde sitzen. «Tritt näher», sprach sie. «Es gilt dem König? Warum zögerst du? Rede.»

Das Weib deutete auf Aspa. «Sie ist verschwiegen und treu.» - «Sie ist ein Weib.» Auf einen Wink Mataswinthens entfernte sich ungern das Mädchen.

«Amalungentochter - ich weiß: nur des Reiches Not, nicht Liebe, hat dich zu ihm geführt. (Wie wunderschön ist sie obzwar todesblaß!) Doch, Gotenkönigin bist du, seine Königin - ob du ihn auch nicht liebst: sein Reich, sein Sieg muß dir das Höchste sein.»

Mataswintha griff nach der Goldlehne des Lagers. «So denkt jede Bettlerin im Gotenvolk!» seufzte sie.

«Zu ihm kann ich nicht sprechen. Aus eignen Gründen.

So sprech' ich denn zu dir, der es am meisten zusteht, ihn vor Verrat zu warnen. Höre mich.» Und sie trat näher, scharf auf die Königin blickend. «Wie seltsam», sprach sie zu sich selbst. «Welche Ähnlichkeit der Gestalt.»

«Verrat! Noch mehr Verrat?» - «So ahnst auch du Verrat?» -«Gleichviel. Von wem? Von Byzanz? Von außen? Von dem Präfekten?»

«Nein», sprach das Weib kopfschüttelnd. «Nicht von außen. Von innen. Nicht von einem Mann. Von einem Weib.»

«Was redest du?» sprach Mataswintha, noch bleicher werdend. «Wie kann ein Weib -»

«Dem Helden schaden? Durch höllische Bosheit des Herzens! Nicht mit Gewalt. Mit List und Verrat. Vielleicht bald mit heimtückischem Gift oder, wie schon geschehen - mit heimtückischem Feuer.»

«Halt ein!» Mataswintha, die sich erhoben hatte, wankte zurück an den Mosaiktisch, sich daran lehnend.

Aber das Weib folgte ihr, leise flüsternd: «Wisse das

Unglaubliche, das Schändliche! Der König glaubt und das Volk: der Blitz des Himmels habe sein Korn verbrannt. Ich aber weiß es besser. Und auch er soll es wissen. Wissen, gewarnt durch deinen Mund, zu erforschen und zu entwaffnen die Bosheit. Ich sah in jener Nacht eine Fackel durch die Speichergänge eilen, und ein Weib hat sie hineingeschleudert. Du schauderst? Ja, ein Weib.

Du willst hinweg? Nein, höre nur noch ein Wort. Dann will ich dich lassen. Den Namen? Ich weiß ihn nicht. Aber sie brach vor mir zusammen und entkam mir: doch verlor sie als Wahrzeichen, als Erkennungszeichen - diese Schlange von Smaragd.»

Und die Frau trat hart an den Tisch, dicht unter den Schein der Ampel, den Armreif erhebend.

Da fuhr die Gepeinigte hoch empor. Vor das Antlitz hob sie die beiden nackten Arme. Von der hastigen Bewegung fiel die Kopfhülle. Ihr rotes Haar flutete nieder, und durch das Haar hindurch schimmerte an ihrem Arm deutlich eine Goldspange mit smaragdner Schlange.

«Ah!» schrie das Weib laut auf. «Beim Gott der Treue! Du! Du selber bist's!

Seine Königin! Sein Weib hat ihn verraten! Fluch über dich! Das soll er wissen!»

Mit gellendem Aufschrei fiel Mataswintha auf ihr Antlitz in die Kissen zurück. Der Aufschrei brachte Aspa aus dem Nebengemach zur Stelle. Aber als sie eintrat, war die Königin schon allein. Der Vorhang des großen Eingangs rauschte. Die Bettlerin war verschwunden.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Am andern Morgen schon sahen die Ravennaten mit Staunen

Prokop, Johannes, Demetrius, Bessas, Acacius, Vitalius und eine Reihe andrer belisarischer Heerführer in den Palast des Königs ziehen. Sie berieten dort mit ihm die näheren Bedingungen und die Formen der Übergabe.

Unter den Goten verlautete einstweilen nur: der Friede sei geschlossen. Die beiden Hauptwünsche, um derentwillen das Volk den ganzen schweren Kampf getragen, würden erreicht: sie würden frei sein und im ungeteilten Besitz des fruchtbaren Südlands bleiben, das ihnen so teuer geworden war. Das war weitaus mehr, als nach dem schlimmen Stand der gotischen Sache seit dem Abzug von Rom und dem unvermeidlich gewordnen Verlust von Ravenna zu erwarten war. Und die Häupter der Sippen und sonst die einflußreichsten Männer im Heere, die jetzt von dem bevorstehenden Schritt Belisars verständigt wurden, billigten vollständig die beschlossenen Bedingungen.

Die wenigen, welche die Zustimmung weigerten, erhielten freien Abzug aus Ravenna und Italien. Aber auch abgesehen hiervon wurde das in Ravenna stehende Gotenheer nach allen Richtungen zerstreut. Witichis sah die Unmöglichkeit ein, in der ausgezogenen Landschaft außer den Truppen Belisars mit dessen Vorräten auch noch das gotische Heer und die Bevölkerung zu versorgen: und so bewilligte er die Forderung Belisars, daß die Goten, in Gruppen von Hunderten und Tausenden, zu allen Toren der Stadt hinausgeführt und in allen Richtungen nach ihren Heimstätten entlassen würden.

Belisars fürchtete den Ausbruch gotischer Verzweiflung, wenn der arge Verrat, den man vorhatte, ruchbar würde: und er wünschte deshalb die Verteilung des aufgelösten Heeres. War er einmal im sichern Besitz von Ravenna, so erhoffte er etwaige Erhebungen auf dem flachen Lande leicht zu dämpfen. Und Tarvisium, Verona und Ticinum, die letzten festen Plätze der Goten in ganz Italien, konnten dann nicht lange mehr seiner gesamten gegen sie gewendeten Macht widerstehen.

Die Ausführung dieser Maßregeln erforderte mehrere Tage Zeit.

Erst als nur mehr wenige Mann Goten in Ravenna versammelt waren, beschloß Belisar seinen Einzug. Und auch von diesem geringen Rest wurde die Hälfte in das byzantinische Lager verlegt, die andre Hälfte in den Quartieren der Stadt verteilt unter dem Vorwand, den etwaigen Widerstand von hartnäckigen Anhängern Justinians zu brechen.

Was aber die Ravennaten und die in den Plan nicht eingeweihten Goten am meisten wunderte, war, daß nach wie vor die blaue gotische Fahne auf den Zinnen des Palastes wehte. Freilich stand ein Lanzenträger Belisars dort oben bei ihr Wache. Denn auch der Palast war schon voll von Byzantinern.

Gegen einen etwaigen Versuch des Präfekten, sich wie in Rom durch Besetzung der wichtigsten Punkte zum Herrn der Stadt zu machen, hatte Belisar vorsichtige Maßregeln getroffen. Cethegus durchschaute sie und lächelte. Er tat nichts dagegen.

Am Morgen des zum Einzug bestimmten Tags trat Cethegus in glänzender Rüstung in das Zelt Belisars.

Er traf nur Prokop. «Seid ihr bereit?» fragte er. «Vollständig.» - «Welches ist der Moment?»

«Der Augenblick, in dem der König im Schloßhof zu Pferde steigt, uns entgegenzureiten. Wir haben alles bedacht.»

«Wieder einmal alles?» lächelte der Präfekt. «Eins habt ihr mir doch noch übriggelassen. Es wird nicht ausbleiben, daß die Barbaren, sowie unser Plan gelungen und bekannt ist, im ganzen Land in heller Wut auflodern werden. Mitleid und Rachedurst für ihren König könnten sie zu sehr wilden Taten führen.

Die ganze Begeisterung für Witichis und die Entrüstung gegen uns würde nun im Keim erstickt, und die Goten sähen sich nicht von uns, sondern von ihrem König verraten, wenn dieser selbst schriftlich bezeugen würde, er habe die Stadt nicht an Belisar als Gotenkönig und Rebellen gegen Justinian,

sondern einfach an den Feldherrn Justinians übergeben. Jene Empörung Belisars, die ja auch wirklich ausbleibt, erscheint dann den Goten als eine bloße von ihrem König ersonnene Lüge, die Schande der Ergebung ihnen zu verhüllen.»

«Das wäre vortrefflich; aber Witichis wird das nicht tun.»

«Wissentlich schwerlich. Aber vielleicht unwissentlich. Ihr habt ihn den Vertrag doch nur im Original unterschreiben lassen?»

«Er hat nur einmal unterschrieben.»

«Diese Urkunde ist in seinem Besitz? Gut, ich werde ihn hier dies von mir aufgesetzte Duplikat unterzeichnen lassen, auf daß auch Belisar», lächelte er, «das wertvolle Schriftstück besitze.»

Prokop blickte hinein. - «Wenn er das unterzeichnet, hebt sich freilich kein gotisch Schwert mehr für ihn. Aber -»

«Laß die Aber mich besiegen. Entweder unterschreibt er heute freiwillig, im Drang des Augenblicks, ohne zu lesen» -

«Oder?»

«Oder», vollendete Cethegus finster, «er unterschreibt später. Unfreiwillig. - - Ich eile voraus. Entschuldige, wenn ich euern Triumphzug nicht begleite. Meinen Glückwunsch an Belisar.»

Aber da trat Belisar in das Zelt. Antonina folgte ihm. Er war nicht gerüstet und blickte düster vor sich hin.

«Eile, Feldherr», mahnte Prokop, «Ravenna harrt ihres Besiegers. Der Einzug -»

«Nichts von Einzug», sprach Belisar grimmig. «Ruf' die Soldaten ab. Mich reut der ganze Handel.»

Cethegus blieb an dem Ausgang des Zeltes stehen.

«Belisar!» rief Prokop entsetzt, «welcher Dämon hat dir das eingeblasen?» - «Ich!» sagte Antonina stolz, «was sagst du nun?» - «Ich sage, daß große Staatsmänner keine Frauen haben sollten!» rief Prokop ärgerlich. «Belisar entdeckte mir erst in dieser Nacht euer Vorhaben. Und ich hab' ihn unter Tränen... -»

«Versteht sich», brummte Prokop, «die kommen stets zu rechter Zeit.» - «Unter Tränen beschworen, abzustehen. Ich kann meinen Helden nicht von so schwerem Verrat befleckt sehen.»

«Und ich will's nicht sein. Lieber reit' ich besiegt im Orkus ein, denn also als ein Sieger in Ravenna. Meine Briefe an den Kaiser sind noch nicht abgegangen. - Also ist's noch Zeit.»

«Nein», sagte Cethegus herrisch, von der Tür ins Zelt schreitend. «Zum Glück für dich ist's nicht mehr Zeit. Wisse: ich habe schon vor acht Tagen an den Kaiser geschrieben, ihm alles mitgeteilt und Glück gewünscht, daß sein Feldherr ohne mindesten Verlust Ravenna gewonnen hat und den Krieg beendet.»

«Ah, Präfekt», rief Belisar. «Du bist ja sehr dienstfertig. Woher dieser Eifer?»

«Weil ich Belisarius kenne und seinen Wankelmut. Weil man dich zu deinem Glücke zwingen muß. Und weil ich ein Ende des Krieges will, der mein Italien zerfleischt.» Und drohend trat er gegen die Frau heran, die auch jetzt der dämonischen beherrschenden Gewalt seines Blickes nicht zu entgehen vermochte. «Wag' es, versuch' es jetzt! Tritt zurück, enttäusche Witichis und opfre einer Grille deines Weibes Ravenna, Italien und dein Heer. Siehe zu, ob dir das Justinianus je vergeben kann. Auf Antoninas Seele diese Schuld! Horch, die Trompeten rufen: rüste dich! Es bleibt dir keine Wahl!» Und er eilte hinaus.

Bestürzt sah ihm Antonina nach. «Prokop», fragte sie dann, «weiß es der Kaiser wirklich schon?»

«Und wenn er es noch nicht wüßte, - zu viele sind schon in das Geheimnis eingeweiht. Nachträglich erfährt er jedenfalls, daß Ravenna und Italien sein war, und - daß Belisar um die Gotenkrone, die Kaiserkrone warb. Nur daß er sie erlangt und -abgeliefert, kann ihn rechtfertigen vor Justinian.»

«Ja», sagte Belisar seufzend, «er hat recht. Es bleibt mir keine

Wahl.»

«So geh», sprach Antonina eingeschüchtert, «Mir aber sei's erlassen, bei diesem Einzug dich zu begleiten: - es ist ein

Schlingenlegen, kein Triumph!»

*

Die Bevölkerung von Ravenna, wenn auch im unklaren über die näheren Bestimmungen, war doch gewiß, daß der Friede geschlossen und den langen und schweren Leiden des verheerenden Kampfes ein Ende gemacht sei.

Und die Bürger hatten in aufatmender Freude über diese Erlösung die Trümmer, die das Erdbeben auf sehr viele Straßen geworfen, hinweggeräumt und ihre befreite Stadt festlich geschmückt. Laubgewinde, Fahnen und Teppiche zierten die Straßen, das Volk drängte sich auf den großen Fora, in den Lagunenkanälen und in den Bädern und Basiliken in freudiger Bewegung, begierig, den Helden Belisar und das Heer zu sehen, die so lange ihre Mauern bedroht und endlich die Barbaren überwunden hatten.

Schon zogen starke Abteilungen von Byzantinern stolz und triumphierend ein, während die in schwachen Zahlen überall zerstreuten gotischen Posten mit Schweigen und mit Widerwillen die verhaßten Feinde in die Residenz Theoderichs einrücken sahen.

In dem ebenfalls reichgeschmückten Königspalast versammelten sich die vornehmsten Goten in einer Halle neben den Gemächern des Königs. Dieser bereitete sich, als die für den Einzug Belisars anberaumte Stunde nahte, die königlichen Kleider anzulegen: - mit Befriedigung, denn es war ja das letztemal, daß er die Anzeichen einer Würde tragen sollte, die ihm nur Schmerz und Unheil gebracht.

«Geh, Herzog Guntharis», sprach er zu dem Wölsung, «Hildebad, mein ungetreuer Kämmerer, hat mich verlassen. Vertritt du dies eine Mal seine Stelle: die Diener werden dir im

Königsschatz die goldene Truhe zeigen, die Krone, Helm und Purpurmantel, Schwert und Schild Theoderichs verwahren. Ich werde sie heute zum ersten- und letztenmal anlegen, sie dem Helden abzuliefern, der sie nicht unwürdig tragen wird. Was gibt es dort für Lärm!»

«Herr, ein Weib», antwortete Graf Wisand, «eine gotische Bettlerin. Sie hat sich schon dreimal herangedrängt. Sie will ihren Namen dir nur nennen! Weise sie hinaus! -»

«Nein, sagt ihr, ich will sie hören: - heute abend soll sie im Palast nach mir fragen.»

Als Guntharis das Gemach verlassen, trat Bessas ein mit Cethegus. Der Präfekt hatte diesem, ohne ihn einzuweihen, die Abschrift des Vertrages übergeben, die der Gotenkönig noch unterschreiben sollte. Aus dieser unverdächtigen Hand, glaubte er, würde jener die Urkunde argloser nehmen.

Witichis begrüßte die Eintretenden. Bei dem Anblick des Präfekten flog über sein Antlitz, das heute heller als seit langen Monden glänzte, ein dunkler Schatten. Doch bezwang er sich und sprach: «Du hier, Präfekt von Rom? Anders hat dieser Kampf geendet, als wir meinten! Jedoch, du kannst auch damit zufrieden sein. Wenigstens kein Griechenkaiser, kein Justinianus wird dein Rom beherrschen.»

«Und soll es nicht, solange ich lebe.»

«Ich komme, König der Goten», fiel Bessas ein, «dir den Vertrag mit Belisar zur Unterschrift vorzulegen.»

«Ich hab' ihn schon unterschrieben.» - «Es ist die für meinen Herrn bestimmte Doppelschrift.»

«So gib», sprach Witichis und wollte das Pergament aus des Byzantiners Hand nehmen.

Da trat Herzog Guntharis mit den Dienern eilfertig ins Gemach: «Witichis», rief er, «der Königsschmuck ist verschwunden.»

«Was ist das?» fragte Witichis. «Hildebad allein führte die Schlüssel davon.»

«Die ganze Goldtruhe, auch noch andere Truhen sind fort. In der leeren Nische, da sie sonst standen, lag dieser Streif Pergament. Es sind die Schriftzüge von Hildebads Schreiber.»

Der König nahm und las: «

«Man muß ihn verfolgen», sagte Cethegus finster, «bis er sich fügt.» Da eilten Johannes und Demetrius herein. «Eile dich, König Witichis», drängten sie. «Hörst du die Tubatöne? Belisar hat schon die Porta des Stilicho erreicht.»

«So laßt uns gehn», sprach Witichis, ließ sich von den Dienern den Purpurmantel, den sie statt des verschwundenen mitgebracht, um die Schultern werfen und drückte einen goldenen Reif auf das Haupt. Statt des Schwertes reichte man ihm ein Zepter. Und so wandte er sich zur Tür.

«Du hast nicht unterschrieben, Herr», mahnte Bessas.

«So gib», und er nahm die Schrift jetzt aus der Hand des Byzantiners. «Die Urkunde ist sehr lang», sagte er hineinblickend und hob an zu lesen. «Eile, König», mahnte Johannes.

«Zum Lesen ist nicht mehr Zeit», sagte Cethegus gleichgültig und reichte ihm die Schilffeder von dem Tisch. «Dann auch nicht zum Schreiben», antwortete der König. «Du weißt: ich war ein König von Bauernart, wie die Leute sagten. Bauern unterschreiben keine Zeile, ehe sie sie genau gelesen, gehen wir.» Und lächelnd gab er die Urkunde an den Präfekten und schritt hinaus. Die Byzantiner und alle Anwesenden folgten.

Cethegus drückte das Pergament zusammen: «Warte nur», flüsterte er grimmig, «du sollst doch noch unterschreiben.» Langsam folgte er den andern.

Die Halle vor dem Gemach des Königs war bereits leer.

Der Präfekt schritt hinaus auf den gewölbten Bogengang, der im Viereck den ersten Stock des Palastes umgab, und dessen byzantinischromanische Rundbogen den freien Blick in den weiten Hofraum gewährten. Derselbe war von Bewaffneten dicht gefüllt. An allen vier Toren standen die Lanzenträger Belisars. Cethegus lehnte hinter einem Bogenpfeiler und sprach, dem Gang der Ereignisse folgend, mit sich selbst: «Nun, Byzantiner genug, um ein kleines Heer gefangenzunehmen! Freund Prokop ist vorsichtig Da! - Witichis erscheint im Portal! Seine Goten sind noch weit hinter ihm auf der Treppe. Des Königs Pferd wird vorgeführt. Bessas hält dem König den Bügel. Witichis tritt heran, er hebt den Fuß. - Jetzt ein Trompetenstoß. - Die Treppentüre des Palastes fällt zu und schließt die Goten in den Treppenbau. Auf dem Dache reißt Prokop das Gotenbanner nieder. Johannes faßt seinen rechten Arm, brav Johannes. - Der König ruft:

strauchelt. - Er stürzt zu Boden. - Da liegt das Reich der Goten.»

*

«Da liegt das Reich der Goten!» Mit diesen Worten begann auch Prokop die Sätze, die er an diesem Abend in sein Tagebuch eintrug: «Ein wichtig Stück Weltgeschichte hab' ich heut bei Tage machen helfen und zeichne ich nun nachts hier ein.

Als ich heute das römische Heer seinen Einzug halten sah in die Tore und Königsburg von Ravenna, kam mir abermals der Gedanke: nicht Tugend oder Zahl oder Verdienst entscheidet den Erfolg in der Geschichte.

Es gibt eine höhere Gewalt, die unentrinnbare Notwendigkeit.

An Zahl und an Heldentum waren uns die Goten überlegen: und sie haben es nicht fehlen lassen an irgend denkbarer Anstrengung. Die gotischen Frauen in Ravenna schmähten heute ihre Männer laut ins Angesicht, als sie die kleinen Gestalten, die nicht zahlreichen Scharen unserer einziehenden Truppen sahen. Summa: in gerechtester Sache, in heldenmütigster Anstrengung kann ein Mann, kann ein Volk doch erliegen, wenn übermächtige Gewalten entgegentreten, die durchaus nicht immer das bessere Recht für sich haben.

Mir schlug das Herz im Bewußtsein des Unrechts, als ich das Gotenbanner heute niederriß und den Golddrachen Justinians an seine Stelle setzte, die Fahne des Unrechts erhob über dem Banner des Rechts.

Nicht die Gerechtigkeit, eine unserem Denken undurchdringbare Notwendigkeit beherrscht die Geschicke der Menschen und der Völker.

Aber den rechten Mann macht das nicht irre. Denn nicht was wir ertragen, erleben und erleiden - wie wir es tragen, das macht den Mann zum Helden. Ehrenvoller ist der Goten Untergang denn unser Sieg. Und diese Hand, die sein Banner herabriß, wird den Ruhm dieses Volkes aufzeichnen für die kommenden Geschlechter. Jedoch, wie immer dem sei: da liegt das Reich der Goten.»

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Und so schien es.

Auf das glücklichste war, dank den Maßregeln Prokops, der Streich gelungen. Im Augenblick, da auf dem Turme des Palastes die Fahne der Goten fiel und der König ergriffen ward, sahen sich die überraschten Goten überall im Schloßhof, in den Straßen und Lagunen der Stadt, im Lager von weit überlegenen Kräften umstellt: ein Rechen von Lanzen starrte ihnen überall entgegen: fast ausnahmslos legten die Betäubten die Waffen nieder: - die wenigen, welche Widerstand versuchten so die nächste Umgebung des Königs, wurden niedergestoßen.

Witichis selbst, Herzog Guntharis, Graf Wisand, Graf Markja und die mit ihnen gefangenen Großen des Heeres wurden in getrennten Gewahrsam gebracht, der König in den «Zwinger Theoderichs»: einen tiefen, starken Turm des Palastes selbst.

Belisars Zug von dem Tore Stilichos nach dem Forum des Honorius wurde nicht gestört. Im Palast angelangt, berief er den Senat, die Dekurionen der Stadt, und nahm sie in Eid und Pflicht für Kaiser Justinianus. Prokopius wurde mit den goldenen Schlüsseln von Neapolis, Rom und Ravenna nach Byzanz gesendet. Er sollte ausführlichen Bericht erstatten und für Belisar Verlängerung des Amtes erbitten bis zur demnächst zu erwartenden völligen Beruhigung Italiens und hierauf, wie nach dem Vandalenkrieg, die Ehre des Triumphes, unter Aufführung des gefangenen Königs der Goten im Hippodrom.

Denn Belisar sah den Krieg für beendet an. Cethegus teilte beinah diesen Glauben. Doch fürchtete er in den Provinzen den Ausbruch gotischen Zornes über den geübten Verrat. Er sorgte daher dafür, daß über die Art des Falles der Stadt vorläufig keine Kunde durch die Tore drang: und er suchte eifrig im Geiste nach einem Mittel, den gefangenen König selbst als ein Werkzeug zur Dämpfung des etwa neu auflodernden Nationalgefühls zu verwerten. - Auch bewog er Belisar, Hildebad, der in der Richtung nach Tarvisium entkommen war, durch Acacius mit den persischen Reitern verfolgen zu lassen.

Vergebens versuchte er, die Königin zu sprechen. Sie hatte sich seit jener Nacht der Schrecken noch immer nicht ganz erholt und ließ niemand vor. Auch die Nachricht von dem Falle der Stadt hatte sie mit dumpfem Schweigen hingenommen. Der Präfekt bestellte ihr eine Ehrenwache - um sich ihrer zu versichern. Denn er hatte noch große Pläne mit ihr vor.

Dann sandte er ihr das Schwert des gefangenen Königs und schrieb ihr dabei: «Mein Wort ist gelöst. König Witichis ist vernichtet. Du bist gerächt und befreit. - Nun erfülle auch du meine Wünsche.»

Einige Tage darauf beschied Belisar, seines treuen Beraters Prokop beraubt, den Präfekten zu sich in den rechten Flügel des Palastes, wo er sein Quartier aufgeschlagen. «Unerhörte Meuterei!» rief er dem Eintretenden entgegen. - «Was ist geschehen?»

«Du weißt, ich habe Bessas mit den lazischen Söldnern in die Schanze des Honorius gelegt, einen der wichtigsten Punkte der Stadt. Ich vernehme daß der Geist dieser Truppen unbotmäßig ich rufe sie ab und Bessas... -» - «Nun?» - «Weigert den Gehorsam.» - «Ohne Grund? Unmöglich!»

«Lächerlicher Grund! Gestern ist der letzte Tag meiner Amtsgewalt abgelaufen.» - «Nun?»

«Bessas erklärt, seit letzter Mitternacht hätt' ich ihm nichts mehr zu befehlen.»

«Schändlich. Aber er ist im Recht.»

«Im Recht? In ein paar Tagen trifft des Kaisers Antwort ein, auf mein Gesuch. Natürlich ernennt er mich, nach dem Gewinn von Ravenna, aufs neue zum Feldherrn, bis zur Beendigung des Krieges. Übermorgen kann die Nachricht da sein.»

«Vielleicht schon früher, Belisar. Die Leuchtturmwächter von Classis haben schon bei Sonnenaufgang ein Schiff angemeldet, das von Ariminum her naht. Es soll eine kaiserliche Triere sein. Jede Stunde kann sie einlaufen. Dann löst sich der Knoten von selbst.»

«Ich will ihn aber zuvor durchhauen. Meine Leibwächter sollen die Schanze stürmen und Bessas, den halsstarrigen Kopf... -»

Da eilte Johannes atemlos herein. «Feldherr», meldete er, «der Kaiser! Kaiser Justinianus selbst ankert soeben im Hafen von Classis.»

Unmerklich zuckte Cethegus zusammen. Sollte ein solcher Blitzstrahl aus heiterer Luft, eine Laune des unberechenbaren

Despoten, nach solchen Mühen, das fast vollendete Gebäude seiner Pläne gerade vor der Bekrönung niederwerfen?

Aber Belisar fragte mit leuchtenden Augen: «Mein Kaiser? Woher weißt du?» - «Er selbst kommt, dir für deine Siege zu danken. Solche Ehre ward noch keinem Sterblichen zuteil. Das Schiff von Ariminum trägt die kaiserliche Präsenzflagge. Purpur und Silber. Du weißt, das bedeutet, daß der Kaiser an Bord.»

«Oder ein Glied seines Hauses!» verbesserte Cethegus in Gedanken, aufatmend.

«Eilt in den Hafen, unsern Herrn zu empfangen», mahnte

Belisar.

*

Sein Stolz und seine Freude wurden enttäuscht, als ihnen auf dem Wege nach Classis die ersten ausgeschifften Höflinge begegneten und im Palast Quartier forderten, nicht für den Kaiser selbst, sondern für dessen Neffen, den Prinzen Germanus.

«So sendet er doch den Ersten nach ihm selbst», sprach Belisar, sich selber tröstend im Weitergehen zu Cethegus. «Germanus ist der edelste Mann am Hof. Unbestechlich, gerecht und unverführbar rein. Sie nennen ihn: . Aber du hörst mich nicht!»

«Vergib, ich bemerkte dort im Gedränge, unter den eben Gelandeten, meinen jungen Freund Licinius.»

«Salve Cethege!» rief dieser, sich Weg zum Präfekten bahnend.

«Willkommen im befreiten Italien! Was bringst du von der Kaiserin?» fragte er flüsternd.

«Das Abschiedswort: Nike (Viktoria)! und diesen Brief», flüsterte der Bote ebenso leise. «Aber», und seine Stirne furchte sich - «schicke mich nie mehr zu diesem Weibe.» - «Nein, nein, junger Hippolytos, ich denke, es wird nie mehr nötig sein.»

Damit hatten sie die Steindämme des Hafens erreicht, dessen Stufen soeben der kaiserliche Prinz hinanstieg. Die edle Erscheinung, von einem reich geschmückten Gefolge umgeben, ward von den Truppen und dem rasch zusammenströmenden Volk mit Jubelruf und kaiserlichen Ehren empfangen.

Cethegus faßte ihn scharf ins Auge. «Das bleiche Antlitz ist noch bleicher geworden», sagte er zu Licinius. «Ja, man sagt: die Kaiserin hat ihn vergiftet, weil sie ihn nicht verführen konnte.»

Der Prinz, nach allen Seiten dankend, hatte jetzt Belisarius erreicht, der ihn ehrfurchtsvoll begrüßte. «Gegrüßt auch du, Belisarius», erwiderte er ernst. «Folge mir sogleich in den Palast. Wo ist Cethegus, der Präfekt? Wo Bessas? Ah, Cethegus», sagte er, dessen Hand ergreifend, «ich freue mich, den größten Mann Italiens wiederzusehen. Du wirst mich alsbald zu der Enkelin Theoderichs begleiten. Ihr gebührt mein erster Gang. Ich bringe ihr Geschenke Justinians und meine Huldigung. Sie war eine Gefangene in ihrem eigenen Reich. Sie soll eine Königin sein am Hofe zu Byzanz.»

«Das soll sie», dachte Cethegus. Er verneigte sich tief und sprach: «Ich weiß: du kennst die Fürstin seit lange, ihre Hand war dir bestimmt.»

Eine rasche Glut flog über des Prinzen Wange. «Leider nicht ihr Herz. Ich sah sie hier, vor Jahren, am Hof ihrer Mutter: und seitdem hat mein inneres Auge nichts mehr als ihr Bild gesehen.» - «Ja, sie ist das schönste Weib der Erde», sagte der Präfekt, ruhig vor sich hin sehend. «Nimm diesen Chrysopras zum Dank für dieses Wort», sagte Germanus und steckte einen Ring an des Präfekten Finger.

Damit traten sie in das Portal des Palastes.

«Jetzt, Mataswintha», sprach Cethegus zu sich selbst, «jetzt hebt dein zweites Leben an. Ich kenne kein römisch Weib - ein Mädchen vielleicht ausgenommen, das ich kannte! - das solcher

Versuchung widerstehen könnte. Soll diese rohe Germanin widerstehen?» -

Sowie sich der Prinz von den Mühen der Seefahrt einigermaßen erholt und die Reisekleider mit einem Staatsgewand vertauscht hatte, erschien er an der Seite des Präfekten in dem Thronsaal des großen Theoderichs im Mittelbau des Palastes.

An den Wänden der stolz gewölbten Halle hingen noch die Trophäen gotischer Siege. Ein Säulengang lief an drei Seiten des Saales hin: in der Mitte des vierten erhob sich der Thron Theoderichs.

Mit edlem Anstand stieg der Prinz die Stufen hinan. Cethegus blieb mit Belisar, Bessas, Demetrius, Johannes und zahlreichen andern Heerführern im Mittelgrund.

«Im Namen meines kaiserlichen Herrn und Ohms nehme ich Besitz von dieser Stadt Ravenna und von dem abendländischen Römerreich. An dich, Magister Militum, dies Schreiben unseres Herrn, des Kaisers. Erbrich und lies es selbst der Versammlung vor. So befahl Justinianus.»

Belisar trat vor, empfing kniend den kaiserlichen Brief, küßte das Siegel, erhob sich wieder, öffnete und las:

«Justinianus, der Imperator der Römer, Herr des Morgen- und des Abendreichs, Besieger der Perser und Sarazenen, der Vandalen und Alanen, der Lazer und Sabiren, der Hunnen und Bulgaren, der Awaren und Sclavenen und zuletzt der Goten, an Belisar, den Consularen, ehemals Magister Militum.

Wir sind durch Cethegus den Präfekten von den Vorgängen unterrichtet, die zum Fall von Ravenna geführt. Sein Bericht wird, auf seinen Wunsch, dir mitgeteilt werden. Wir aber können seine darin ausgesprochene gute Meinung von dir und deinen Erfolgen wie von deinen Mitteln mitnichten teilen: und wir entheben dich deiner Stelle als Befehlshaber unseres Heeres. Und wir befehlen dir angesichts dieses Briefes sofort nach

Byzanz zurückzukehren, um dich vor unserem Throne zu verantworten. Einen Triumph wie nach dem Vandalenkrieg können wir dir um so weniger gewähren, als weder Rom noch Ravenna durch deine Tapferkeit gefallen: sondern Rom durch Übergabe, Ravenna durch Erdbeben, den Zorn Gottes über die Ketzer und höchst verdächtige Verhandlungen, deren Unschuld du, des Hochverrats angeklagt, vor unserem Thron erweisen wirst. Da wir, eingedenk früherer Verdienste, nicht ohne Gehör dich verurteilen wollen, denn Morgenland und Abendland sollen uns für ferne Zeiten feiern als den Kaiser der Gerechtigkeit -sehen wir von der Verhaftung ab, die deine Ankläger beantragt. Ohne Ketten - nur in den Fesseln deines dich selbst anklagenden Gewissens - wirst du vor unser kaiserliches Antlitz treten.»

Da wankte Belisar. Er konnte nicht weiter lesen: er bedeckte das Gesicht mit den Händen: das Schreiben entfiel ihm.

Bessas hob es auf, küßte es und las weiter: «Zu deinem Nachfolger im Heerbefehl ernennen wir den Strategen Bessas. Ravenna übertragen wir dem Archon Johannes. Die Steuerverwaltung bleibt, trotz der wider ihn von den Italiern erhobenen höchst ungerechten Klagen, dem in unserm Dienst so eifrigen Logotheten Alexandros. Zu unserm Statthalter aber in Italien ernennen wir den hochverdienten Präfekten von Rom, Cornelius Cethegus Cäsarius. Unser Neffe, Germanus, mit kaiserlicher Vollmacht ausgerüstet, haftet mit seinem Haupt dafür, dich unverweilt nach unsrer Flotte auf der Höhe Ariminum zu bringen, auf welcher dich Aerobindos nach Byzanz führen wird.»

Germanus erhob sich und befahl allen, bis auf Belisar und Cethegus, den Saal zu verlassen. Darauf stieg er die Stufen des Thrones herab und schritt auf Belisar zu, der nicht mehr wahrnahm, was um ihn her geschah. Er stand unbeweglich, das Haupt und den linken Arm an eine Säule gelehnt, und starrte zur Erde.

Der Prinz faßte seine Rechte. «Es schmerzt mich, Belisarius, der Träger solcher Botschaft zu sein. Ich übernahm den Auftrag, weil ihn ein Freund milder als einer der vielen Feinde, die sich dazu drängten, ausführen kann. Aber ich verhehle dir nicht: dieser dein letzter Sieg hebt die Ehre deiner früheren auf. Nie hätte ich von dem Helden Belisar solch Lügenspiel erwartet. Cethegus hat sich ausgebeten, daß sein Bericht an den Kaiser dir vorgelegt werde. Er ist deines Lobes voll: hier ist er. Ich glaube, es war die Kaiserin, die Justinians Ungnade gegen dich entzündet hat. Aber du hörst mich nicht -» Und er legte die Hand auf seine Schulter.

Belisar schüttelte die Berührung ab. «Laß mich, Knabe - du bringst mir - du bringst mir den echten Dank der Kronen.»

Vornehm richtete sich Germanus auf. «Belisar, du vergissest, wer ich bin und wer du bist.»

«O nein, ic h bin ein Gefangener, und du bist mein Wächter. Ich gehe sofort auf dein Schiff erspare mir nur Ketten und

Bande.»

*

Erst spät konnte sich der Präfekt von dem Prinzen losmachen, der im vollsten Vertrauen die Angelegenheiten des Staates und seine persönlichen Wünsche mit ihm besprach.

Er eilte, sowie er in seinen Gemächern, die er ebenfalls im Palaste bezogen, allein war, den ihm von Lucius Licinius mitgeteilten Brief der Kaiserin zu lesen.

Er lautete: «Du hast gesiegt, Cethegus.

Als ich dein Schreiben empfing, gedacht' ich alter Zeiten, da deine Brieflein in dieser Geheimschrift an Theodora nicht von Staaten und Kriegen handelten, sondern von Küssen und Rosen... -»

«Daran müssen sie immer erinnern», unterbrach sich der Präfekt.

«Aber auch in diesem trocknen Briefe erkannte ich die

Unwiderstehlichkeit jenes Geistes, der einst die Frauen von Byzanz noch mehr als deine Jugendschönheit zwang. So gab ich denn auch diesmal den Wünschen des alten Freundes nach, wie einst denen des jungen. Ach, ich dachte gern unsrer Jugend, der süßen. Und ich erkannte wohl, daß Antoninens Gemahl allzu fest in Zukunft stehn würde, wenn er diesmal nicht fiel. So raunte ich denn wie du geschrieben dem Kaiser in die Ohren: Diese Worte wogen schwerer als alle Siege Belisars, und alle meine, d. h. deine Forderungen gingen durch.

Denn Mißtraun ist die Seele Justinians. Er traut nur einer Treue auf Erden - der Theodoras. Dein Bote Licinius ist hübsch - unliebenswürdig: er hat nur Rom und Waffen in Gedanken. Ach, Cethegus, mein Freund, es lebt keine Jugend mehr wie die unsre war. - - weißt du noch den Abend, da ich dir diese Worte flüsterte? - Aber vergiß nicht, wem du den Sieg verdankst. Und merke dir, Theodora läßt sich nur solang sie selber will als Werkzeug brauchen. Vergiß das nie.»

«Gewiß nicht«, sagte Cethegus, das Schreiben sorgfältig zerstörend, «du bist eine zu gefährliche Verbündete, Theodora, nein, Dämonodora! laß sehn, ob du unersetzbar bist. Geduld: In wenig Wochen ist Mataswintha in Byzanz. - Was bringst du?» fragte er den Eintretenden Syphax, der glänzende Waffen trug.

«Herr, ein Abschiedsgeschenk Belisars. Nachdem er deinen Bericht an den Kaiser gelesen, sprach er zu Prokop:

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Der Rundturm, in dessen tiefen Gewölben Witichis gefangen saß, lag an dem rechten Eckflügel des Palastes, desselben Querbaues, in dem er als König gewohnt und geherrscht hatte.

Der Turm bildete mit seiner Eisentür den Abschluß eines langen Ganges, der von einem Hof aus zur Rechten lief und von diesem Hof wieder durch eine schwere Eisenpforte abgeschlossen war. Gerade dieser eisernen Hofpforte gegenüber lag im Erdgeschoß auf der linken Seite des Hofes die kleine Wohnung Dromons, des Carcerarius oder Kerkermeisters des Palastes. Sie bestand aus zwei kleinen Gemächern: das erste, von dem zweiten durch einen Vorhang getrennt, war ein bloßes Vorzimmer. Das zweite Gemach gewährte durch ein logenartiges Fenster den Ausblick auf den Hof und den Rundturm. Beide waren von einfachster Einrichtung: ein Strohlager im Innengemach und zwei Stühle und Tische im äußern nebst den Schlüsseln an den Wänden waren ihr ganzes Gerät.

Und auf der Holzbank an jenem Fenster saß Tag und Nacht, unverwandt den Blick auf die Mauerlücke heftend, aus welcher allein Luft und Licht in des Königs Kerker fiel, schweigend und sinnend ein Weib.

Es war Rauthgundis.

Niemals ließ ihr Auge von jenem kleinen Spalt im Turm. «Denn dort», sagte sie sich, «dort hängt auch sein Blick, dorthin schwebt seine Sehnsucht.» Auch wenn sie mit Wachis, ihrem Begleiter, oder mit dem Kerkermeister, der sie beherbergte, sprach, wandte sie das Auge nicht von dem Turm. Es war, als ob der Bann ihres Blickes Unheil von dem Gefangenen abhalten könne.

Lange, lange war sie heute wieder so gesessen. Es war dunkler Abend geworden.

Drohend und finster ragte der gewaltige Turm und warf einen breiten Schatten über den Hof und diesen linken Flügel des Palastes.

«Dank dir, gütiger Himmelsherr», sprach sie. «Auch deine schweren Schläge treiben zum Heil.

Wär' ich in die Felsen der Skaranzia, auf den hohen Arn, zum Vater, wie ich mir ausgesonnen, nie hätte ich von dem Gang des Elends hier wahrgenommen. Oder doch viel zu spät. Aber mich zog die Sehnsucht nach der Todesstätte des Kindes in die Nähe unsres Ehehauses, - das zwar räumte ich -: wußte ich denn, ob nicht sie, seine Königin, dort einsprechen würde? So hausten wir in der Waldhütte nahe bei Fäsulä.

Und als das Schreckliche kam und eine Nachricht des Mißlingens die andre jagte, und als die Sarazenen unser Haus verbrannten und ich die Flammen leuchten sah bis in mein Versteck, da war's zu spät, nach Norden zum Vater zu entrinnen; die Welschen sperrten alle Wege und lieferten, was flüchtete mit gelbem Haar, den Massageten aus. Kein Weg blieb offen als der Weg hierher nach der Rabenstadt - wohin ich als sein Weib nie hatte kommen wollen. Als flüchtige Bettlerin kam ich hier an, nur sein Roß Wallada und sein Knecht, nun sein Freigelassener, Wachis, noch mir eigen und treu.

Aber ihm zum Heil, - von Gott hierher gezwungen, - ob ich schon nicht wollte - ihn zu retten, zu befreien von scheußlichem Verrat des eignen Weibes! Und aus seiner Feinde Bosheit. Dank dir, treuer Gott! Ich durfte nicht mehr mit ihm leben - aber - aber ich, - Rauthgundis! - darf ihn retten.» -

Da rasselte ihr gegenüber die eiserne Hofpforte.

Ein Mann mit Licht trat heraus, ging über den Hof und trat alsbald in das Vorzimmer. Es war der alte Kerkerwart.

«Nun? Sprich!» rief Rauthgundis, ihren Sitz verlassend und ihm in das erste Gemach entgegeneilend.

«Geduld - Geduld - laß mich erst die Lampe niederstellen. So!

- Nun, also: er hat getrunken. Und es hat ihm wohlgetan.»

Rauthgundis legte die Hand auf die pochende Brust. «Was tut er?» fragte sie dann.

«Er sitzt immer schweigend in der nämlichen Stellung. Auf dem Holzschemel, den Rücken gegen die Tür gewandt, das Haupt in beide Hände gestützt. Er gibt mir keine Antwort, sooft ich ihn anspreche. Er pflegte sich sonst gar nicht zu regen. Ich glaube, der Gram und Schmerz hat ihm was angetan. Aber heute, wie ich ihm den Wein im Holzbecher hinreichte und sprach: : - da blickte er auf. So traurig, so zum Sterben traurig war der Blick und das ganze Antlitz. Und tat einen tiefen Zug und nickte dankend mit dem Haupt und seufzte tief, tief, daß es mir durch die Seele schnitt.»

Rauthgundis bedeckte die Augen mit beiden Händen.

«Weiß Gott, was er Böses mit ihm vorhat!» brummte der Alte leise vor sich hin.

«Was sagst du?»

«Ich sage, du mußt jetzt auch einmal tüchtig essen und trinken. Sonst verlassen dich die Kräfte. Und du wirst sie brauchen, arme Frau.»

«Ich werde sie haben.» - «So nimm wenigstens einen Becher Wein.» - «Von diesem? Nein, der ist für ihn allein.» - Und sie trat in das innere Gemach zurück, wo sie ihren alten Platz einnahm.

«Der Krug reicht ja noch lang», fuhr der alte Dromon für sich fort. «Und ich fürchte: wir müssen ihn bald retten, wenn er gerettet werden soll. Da kommt Wachis. Wenn er nur gute Nachricht bringt, sonst... -»

Wachis trat ein. Er hatte seit dem Besuch bei der Königin die Sturmhaube und seinen Mantel mit Gewändern Dromons vertauscht. «Gute Botschaft bring' ich», sprach er im Eintreten.

«Aber wo wart ihr vor einer Stunde? Ich pochte vergeblich.»

«Wir waren beide ausgegangen, Wein zu kaufen.»

«Ach ja, deshalb duftet das ganze Gemach so stark - was seh' ich? Das ist ja alter, köstlicher Falerner! Womit hast du den bezahlt?»

«Womit?» wiederholte der Alte, «mit dem edelsten Golde der Welt!» Und seine Stimme bebte vor Rührung. «Ich erzählte ihr, daß der Präfekt ihn absichtlich Mangel leiden lasse, daß er elend werde. Seit vielen Tagen hat man mir gar keine Speise für ihn gegeben. Ich habe ihn, gegen mein Gewissen, nur dadurch erhalten, daß ich den andern Gefangenen an dem ihren abbrach. Das wollte sie nicht. Sie sann nach und fragte dann: Und ich, in meiner Einfalt nichts ahnend, sagte ja.

Und sie geht hin und schneidet schweigend ihre reichen, schönen, goldbraunen Flechten und Zöpfe ab und bringt sie mir. Und damit ward der Wein bezahlt.»

Da stürzte Wachis in das nächste Gemach, warf sich vor ihr nieder und bedeckte den Saum ihres Gewandes mit Küssen. «O Herrin» - rief er mit versagender Stimme - «goldne, goldtreue Frau!»

«Was treibst du, Wachis? Steh auf und erzähle.»

«Ja, erzähle», sprach Dromon hinzutretend, «was rät mein Sohn?»

«Wozu brauchen wir seinen Rat?» sprach die Frau. «Ich, ich allein will es vollenden.»

«Sehr nötig brauchen wir ihn. Der Präfekt hat aus allen jungen Ravennaten, nach dem Muster der römischen, neun Kohorten Legionäre gebildet und meinen Paulus auch eingereiht. Zum Glück hat er diesen Legionären die Bewachung der Stadttore anvertraut.

Die Byzantiner liegen draußen im Hafen, seine Isaurier hier im Palast.»

«Die Tore nun», fuhr Wachis fort, «werden zur Nacht sorgfältig gesperrt. Aber die Mauerlücke am Turm des Aetius ist immer noch nicht ausgebaut. Nur die Wachen stehen dort.»

«Wann trifft meinen Sohn die Wache?»

«In zwei Tagen: die dritte Nachtwache.»

«Allen Heiligen sei Dank. Viel länger durft' es nicht währen: -ich fürchte... -» Und er stockte.

«Was? Sprich», mahnte Rauthgundis entschlossen. «Ich kann alles hören.»

«Es ist am Ende besser, du weißt es. Denn du bist klüger und findiger als wir beide. Und findest eher Rat als wir. Ich fürchte: sie haben's schlimm mit ihm vor.

Solange Belisar hier befahl, ging es ihm noch gut.

Aber seit der fortgebracht und der Präfekt, der schweigsam kalte Dämon, Herr im Palast ist, hat's ein gefährlich Ansehn. Alle Tage besucht er ihn selbst im Kerker.

Und spricht lang und eifrig und drohend in ihn hinein. Ich habe oft im Gang gelauscht. Er muß aber wenig ausrichten. Denn der Herr gibt ihm, glaub' ich, gar keine Antwort. Und wenn der Präfekt herauskommt, blickt er so finster wie - wie der König der Schatten. Und seit sechs Tagen erhalte ich keinen Wein und keine Speisen für ihn als ein kleines Stück Brot. Und die Luft da unten ist so moderdumpf wie im Grabe.»

Rauthgundis seufzte tief

«Und gestern, als der Präfekt herauf kam - er sah grimmiger als je darein - da fragte er mich... -»

«Nun? Sprich es aus, was es auch sei!»

«Ob die Foltergeräte in Ordnung seien.» Rauthgundis erbleichte, aber sie schwieg. «Der Neiding!» rief Wachis, «was hast du» - «Sorget nicht, eine Weile hat's noch gute Wege.

, antwortete ich - und es ist die reine Wahrheit -die Schrauben und die Zangen, die Gewichte und die Stacheln und das ganze saubere Qualzeug liegt in schönster Ordnung alles beisammen.' - fragte er.

«Ich haß' ihn wie die Lüge», sagte Rauthgundis grimmig.

«Darum müssen wir rasch sein, eh' er seine schwarzen Gedanken vollführen kann. Denn er sinnt Arges gegen den guten König. Ich weiß nicht, was er noch weiter von dem armen Gefangenen will. Also hört und merkt euch meinen Plan. In der dritten Nacht, da mein Paulus die Wache hat, wann ich ihm den Nachttrunk bringe, schließe ich ihm die Ketten los, werfe ihm meinen Mantel über und führe ihn aus dem Kerker und dem Gang in den Hof.

Von da kommt er ungehindert bis an das Tor des Palastes, wo ihn die Torwache um die Losung fragt. Diese werd' ich ihm sagen.

Ist er auf der Straße, dann rasch an den Turm des Aetius, wo ihn mein Paulus die Mauerlücke passieren läßt. Draußen im Pinienwald, im Hain der Diana, wenige Schritte vor dem Tore, wartet Wachis auf ihn, der ihn auf Wallada hebt. Begleiten aber darf ihn niemand. Auch du nicht, Rauthgundis. Er flieht am sichersten allein.»

«Was liegt an mir! Frei soll er sein, nicht noch einmal an mich gebunden. Du nennst meinen Namen gar nicht. Ich hab' ihm nur Unglück gebracht. Ich will ihn nur noch einmal sehen, von

diesem Fenster aus, wenn er in die Freiheit tritt.»

*

Der Präfekt sonnte sich in diesen Tagen im Vollgefühle der Macht.

Er war Statthalter von Italien: in allen Städten wurden auf seine Anordnung die Befestigungen geflickt und verstärkt, die Bürger an die Waffen gewöhnt. Die Vertreter von Byzanz vermochten ihm in keiner Weise Gegengewicht zu halten. Ihre Heerführer hatten kein Glück, die Belagerungen von Tarvisium, Verona und Ticinum machten keine Fortschritte.

Und mit Vergnügen vernahm Cethegus, daß Hildebad, dessen Schar sich durch Zulauf unterwegs auf etwa sechshundert erhöht, Acacius, der ihn mit tausend Perser-Reitern eingeholt und angegriffen, blutig zurückgeschlagen hatte. Eine starke Abteilung von Byzantinern aber, die ihm von Mantua aus entgegenrückte, verlegte ihm alle Wege - er wollte nach Tarvisium zu Totila - und nötigte ihn, sich in das noch von den Goten unter Thorismut besetzte Kastell von Castra Nova zu werfen. Hier hielten ihn die Byzantiner eingeschlossen, vermochten aber nicht, den festen Bau zu nehmen, und schon sah der Präfekt die Stunde kommen, da ihn Acacius zu Hilfe rufen würde, den Goten, der ihm dann nicht mehr entrinnen konnte, zu vernichten.

Es freute ihn, daß die Kriegsmacht von Byzanz seit Belisars Entfernung sich offen vor ganz Italien als unfähig erwies, den letzten Widerstand der Goten zu brechen. Und die Härte der byzantinischen Finanzverwaltung, die Belisar überall, wo er einzog, mit sich führen mußte - er konnte die auf Befehl des Kaisers geübte Aussaugung nicht hindern -, erweckte oder steigerte in den Städten und auf dem flachen Lande die

Abneigung gegen die Oströmer. Cethegus hütete sich wohl, wie Belisar getan, den ärgsten Übergriffen der Beamten Justinians zu wehren. Er sah es mit Freude, daß in Neapolis, in Rom wiederholt das Volk gegen die Bedrücker in offnem Aufruhr emporloderte.

Waren die Goten vollends vernichtet, der Byzantiner Macht verächtlich, ihre Tyrannei verhaßt genug geworden, dann konnte Italien aufgerufen werden, frei zu sein, und der Befreier, der Beherrscher hieß Cethegus.

Dabei verließ ihn nur die eine Besorgnis nicht - denn er war fern von Unterschätzung seiner Feinde -, der Gotenkrieg, dessen letzte Funken noch nicht ausgetreten, könne nochmal aufflammen, geschürt durch die Entrüstung des Volkes über den geübten Verrat.

Schwer fiel dem Präfekten ins Gewicht, daß die tiefstgehaßten Führer der Goten, daß Totila und Teja nicht mit im Netze zu Ravenna waren gefangen worden. Um der Gefahr jener begeisterten Volkserhebung zuvorzukommen, trachtete er so eifrig, dem gefangenen Gotenkönig die Erklärung zu entreißen, er habe sich und die Stadt zuletzt ohne Hoffnung und Bedingung unterworfen, und er fordre die Seinen auf, den aussichtslosen Widerstand aufzugeben.

Und auch das Kastell, in welchem der Kriegsschatz Theoderichs geborgen lag, sollte ihm sein Gefangener angeben. In jener Zeit war ein solcher, schon um fremde Fürsten und Söldner zu gewinnen und anzuziehen, von höchster Bedeutung. Verloren ihn die Goten, so verloren sie die letzte Hoffnung, ihre geschwächte Kraft durch fremde Waffen zu ergänzen. Und viel lag dem Präfekten daran, jenen als unermeßlich reich von der Sage gepriesenen Hort nicht in die Hände der Byzantiner fallen zu lassen, deren Geldnot und daher verursachte Tyrannei ein wichtiger Bundesgenosse seiner Pläne war: sondern ihn sich selbst zu sichern - auch seine Mittel waren ja nicht unerschöpflich.

Aber all sein Bemühen schien an der Unerschütterlichkeit seines Gefangenen zu scheitern.

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Die Maßregeln zur Befreiung des Königs waren getroffen.

Rauthgundis war mit Wachis hinausgegangen, sich das Walddickicht genau einzuprägen, wo der treue Freigelassene mit dem treuen Roß Dietrichs von Bern ihrer warten sollte.

Und mit der Ruhe, welche die Vollendung aller Vorbereitungen starkem Sinn gewährt, war die Gotin nach der Wohnung des Kerkermeisters zurückgekehrt. Aber sie erbleichte, als dieser ihr wie verzweifelt entgegenstürzte und sie über die Schwelle in das Gemach zog. Dort warf er sich vor ihr nieder, schlug die Brust mit den Fäusten und raufte sein graues Haar. Lange fand er keine Worte.

«Rede», gebot Rauthgundis und preßte die Hand auf das wild pochende Herz, «ist er tot?»

«Nein, aber die Flucht ist unmöglich! Alles dahin! Alles verloren! Vor einer Stunde kam der Präfekt und stieg zu dem König hinab. Wie gewöhnlich schloß ich ihm selbst die beiden Türen, die Gangtür und die Kerkerpforte, auf - da -» - «Nun?»

«Da nahm er mir die beiden Schlüssel ab: er werde sie fortan selbst verwahren.» - «Und du gabst sie ihm?» knirschte Rauthgundis. «Wie konnt' ich sie weigern! Ich wagte das Äußerste. Ich hielt sie zurück und fragte: O Herr, vertraust du mir nicht mehr?' Da warf er mir einen seiner Blicke zu, die Leib und Seele wie ein Messer trennen können.

sprach er und riß mir die Schlüssel aus der Hand.»

«Und du ließest es geschehen! Doch freilich! Was ist dir Witichis?»

«O Herrin, du tust mir weh und unrecht! Was hättest du an meiner Stelle tun können? Nichts andres!»

«Erwürgt hätt' ich ihn mit diesen Händen! Und nun? Was soll jetzt geschehn?»

«Geschehn? Nichts! Nichts kann geschehn.»

«Er muß frei werden. Hörst du, er muß!»

«Aber Herrin! Ich weiß ja nicht wie.»

Rauthgundis ergriff ein Beil, das an dem Herde lehnte. «Erbrechen wir die Türen mit Gewalt.» Dromon wollte ihr die Axt entwinden.

«Unmöglich! Dicke Eisenplatten!»

«So rufe den Unhold. Sage, Witichis verlange ihn zu sprechen. Und vor der Gangtür erschlag' ich ihn mit diesem Beil»

«Und dann? Du rasest! Laß mich hinaus. Ich will Wachis abrufen von seiner nutzlosen Wacht.»

«Nein, ich kann's nicht denken, daß es heut' nicht werden soll. Vielleicht kommt dieser Teufel von selbst wieder. Vielleicht» -sprach sie nachsinnend. «Ah», schrie sie plötzlich, «gewiß, das ist's. Er will ihn ermorden! Er will sich allein zu dem Wehrlosen schleichen. Aber weh ihm, wenn er kommt! Die Schwelle jener Gangtür will ich hüten wie ein Heiligtum, besser als meines Kindes Leben. Und weh ihm, wenn er sie beschreitet.» Und sie drückte sich hart an die Halbtür des Gemaches Dromons und wog das schwere Beil.

Aber Rauthgundis irrte.

Nicht um seinen Gefangenen zu töten hatte der Präfekt den Schlüssel an sich genommen. Er war mit demselben in den linken, den Südbau des Palastes geschritten. Spät am Nachmittag trat Cethegus - er kam aus dem Kerker des Königs -in das Gemach Mataswinthens. Die Ruhe des Todes und die Erregung des Fiebers wechselten in der seelisch Tieferkrankten so oft, so rasch, daß Aspa nur mit tränenerfüllten Augen noch auf ihre Herrin sah.

«Zerstreue», sprach Cethegus, «schönste Tochter der Germanen, die Wolken, die auf deiner weißen Stirn lagern, und höre mich ruhig an.»

«Wie steht es mit dem König? Du lässest mich ohne Nachricht. Du versprachst, ihn freizugeben nach der Entscheidung. Ihn über die Alpen führen zu lassen. Du hältst dein Wort nicht.»

«Ich habe das versprochen: - unter zwei Bedingungen.

Du kennst sie beide, und hast die deine noch nicht erfüllt. Morgen kommt der kaiserliche Neffe Germanus zurück von Ariminum - dich nach Byzanz zu führen: - du gibst ihm Hoffnung, seine Braut zu werden. Die Ehe mit Witichis war erzwungen, und nichtig.»

«Ich sagte dir schon: nein, niemals!»

«Das tut mir leid - um meinen Gefangenen.

Denn eher nicht sieht er das Licht der Sonne, bis du mit Germanus auf dem Wege nach Byzanz.»

«Niemals.»

«Reize mich nicht, Mataswintha! Die Torheit des Mädchens, das so teuren Preis einst um einen Areskopf bezahlt, ist, denk' ich, überwunden. Dasselbe Geschöpf hat den Ares der Goten ja seinen Feinden verraten. Aber ehrst du noch wirklich den Mädchentraum, so rette den einst Geliebten.»

Mataswintha schüttelte das Haupt.

«Ich habe dich bisher als eine Freie, als Königin behandelt. Erinnere mich nicht, daß du so gut wie er in meiner Gewalt. Du wirst dieses edlen Prinzen Gemahlin - bald seine Witwe - und Justinian, Byzanz, die Welt liegt dir zu Füßen. Tochter Amalaswinthens - solltest du nicht die Herrschaft lieben?»

«Ich liebe nur... -! Niemals!»

«So muß ich dich zwingen!»

Sie lachte: «Du? mich? zwingen?»

«Ja, ich dich zwingen. (Sie liebt ihn noch immer, den sie zugrunde gerichtet!) Die zweite Bedingung nämlich ist: daß der Gefangene diesen leergelassenen Namen ausfüllt - er ist der Name des Schatzschlosses der Goten - und diese Erklärung unterschreibt. Er weigert sich mit einem Trotz, der anfängt mich zu erbittern. Siebenmal war ich bei ihm - ich, der Sieger, - er hatte noch kein Wort für mich. Nur das erstemal, da erhielt ich einen Blick für den er allein den stolzen Kopf verlieren müßte.»

«Nie gibt er nach.»

«Das fragt sich doch. Auch Felsen zermürbt beharrlicher Tropfenfall. Aber ich kann nicht lange mehr warten.

Heute früh kam Nachricht, daß der tolle Hildebad in wütigem Ausfall Bessas so schwer geschlagen, daß er kaum die Einschließung noch aufrecht erhält. Überall flackern gotische Erhebungen empor. Ich muß fort und ein Ende machen und diese Funken auslöschen mit dem Wasser der Enttäuschung, besser als mit Blut. Dazu muß ich des gefangenen Königs Erklärung und Schatzgeheimnis haben. Ich sage dir also: wenn du bis morgen mittag nicht des Prinzen Begleiterin nach Byzanz bist und mir nicht vorher die Unterschrift des Gefangenen verschaffst, die Echtheit von dir selbst bezeugt, so werd' ich den Gefangenen - ich schwöre es dir beim Styx, - werd' ich den Gefangenen -»

Entsetzt von seinem furchtbar drohenden Ausdruck fuhr Mataswintha von ihrem Sitz empor und legte ihre Hand auf seinen Arm. «Du wirst ihn doch nicht töten?»

«Ja, das werd' ich. Ich werd' ihn erst foltern. Dann blenden. Und dann töten.»

«Nein, nein!» schrie Mataswintha auf.

«Ja, ich hab's beschlossen. Die Henker stehen bereit. Und du wirst ihm das sagen: dir, dieser händeringenden Verzweiflung wird er glauben, daß es ernst. Du vielleicht rührst ihn: mein Anblick härtet seinen Trotz. Er wähnt vielleicht noch, in Belisars, des Weichherzigen, Hand zu sein. Du wirst ihm sagen, in wessen Gewalt er ist. Hier die beiden Pergamente. Hier die Schlüssel - du sollst deine Stunde frei wählen zu seinem Kerker.»

Ein Strahl freudiger Hoffnung blitzte aus Mataswinthas Seele durch ihr Auge.

Cethegus bemerkte es wohl. Aber ruhig lächelnd schritt er hinaus.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Bald, nachdem der Präfekt die Königin verlassen, war es dunkel geworden über Ravenna. Der Himmel war dicht mit zerrissenem Gewölk bedeckt, das heftiger Wind aus dem Neumond vorüberjagte, so daß kurzes, ungewisses Licht mit desto tieferem Dunkel wechselte.

Dromon hatte seinen Abendrundgang in den Zellen der übrigen Gefangenen vollendet und kam müde und traurig in sein Vorgemach zurück. Er fand kein Licht brennend. Mit Mühe nur nahm er Rauthgundis wahr, die noch immer reglos an der Halbtür lehnte, das Beil in der Hand, den Blick auf die Gangtür geheftet.

«Laß mich Licht schlagen, Frau, den Kienspan im Herdeisen entzünden: und teile das Nachtmahl mit mir. Komm, du harrest hier umsonst.» - «Nein, kein Licht, kein Feuer in dem Gemach! Ich sehe so besser, was draußen im Hof, im Mondlicht naht.» -«Nun so komm wenigstens hier herein und ruhe auf dem Dreifuß. Hier ist Brot und Fleisch.» - «Soll ich essen, während er Hunger leidet?» - «Du wirst erliegen! Was denkst, was sinnst du den ganzen Abend?»

«Was ich denke?» wiederholte Rauthgundis, immer hinausblickend: «Ihn! Und wie wir so oft gesessen in dem Säulengang vor unserem schönen Hause, wann der Brunnen plätscherte in dem Garten und die Zikaden zirpten auf den Olivenbäumen. Und die kühle Nachtluft strich frei um sein liebes Haupt. Und ich schmiegte mich an seine Schulter. Und wir sprachen nicht. Und oben gingen die Sterne. Mit Schweigen. Und wir lauschten den vollen, tiefen Atemzügen des Kindes, das eingeschlafen war auf meinem Schoß, die Händchen, wie weiche Fesseln, um den Arm des Vaters geschlungen. Jetzt trägt sein Arm andre Fesseln. Eisenfesseln trägt er, - die schmerzen...

- -» Und sie drückte die Stirn an das Eisengitter, fest und fester, bis sie selbst Schmerz empfand.

«Herrin, was quälst du dich? Es ist doch nicht zu ändern!»

«Ich will es aber ändern! Ich muß ihn retten und - Ah, Dromon, hierher! Was ist das?» flüsterte sie und wies in den Hof.

Der Alte sprang geräuschlos an ihre Seite. In dem Hofe stand eine hohe, weiße Gestalt, die lautlos an der Mauer dahinglitt. Rasch nur, aber scharf, fiel das Mondlicht darauf.

«Es ist eine Lemure! Ein Schatten der vielen hier Ermordeten», sprach der Alte bebend. «Gott und die Heiligen schützet mich!» Und er bekreuzte sich und verhüllte das Haupt.

«Nein», sprach Rauthgundis, «die Toten kommen nicht wieder vom Jenseits. Jetzt ist's verschwunden - Dunkel ringsum

- Sieh, da bricht der Mond durch - da ist es wieder! Es schwebt voran gegen die Gangtür. Was schimmert da rot im weißen Licht? Ah, das ist die Königin - ihr rotes Haar! Sie hält an der Gangtür. Sie schließt auf! Sie will ihn im Schlaf ermorden!»

«Weiß Gott, es ist die Königin! Aber ihn ermorden! Wie könnte sie!»

«Sie könnte es! Aber sie soll es nicht, so wahr Rauthgundis lebt. Ihr nach! Ein Wunder tut uns seinen Kerker auf! Doch aber

leise! Leise!»

Und da trat sie aus der Halbtür in den Hof, das Beil in der Rechten, vorsichtig den Schatten der Mauer suchend, langsam, auf den Zehen schleichend. Dromon folgte ihr auf dem Fuße.

Inzwischen hatte Mataswintha die Gangtür aufgeschlossen und ihren Weg erst viele Stufen hinab, dann durch den schmalen Gang, mit den Händen tastend, zurückgelegt. Nun erreichte sie die Pforte des Kerkers. Sacht erschloß sie auch diese.

Durch einen ausgehobenen Ziegelstein hoch oben im Turm fiel ein schmaler Streif des Mondlichts in das enge Quadrat. Es zeigte ihr den Gefangenen. Er saß, den Rücken gegen die Türe gewandt, das Haupt auf die Hände gestützt, reglos auf einem Steinblock.

Zitternd lehnte sich Mataswintha an die Pfosten der Pforte. Eiskalte Luft schlug ihr entgegen. Sie fror. Sie fand keine Worte: vor Grauen.

Da spürte Witichis an dem Windzug, daß die Pforte geöffnet worden. Er hob das Haupt. Aber er sah sich nicht um.

«Witichis - König Witichis» - stammelte endlich Mataswintha

- «ich bin's. Hörst du mich?»

Aber der Gefragte rührte sich nicht.

«Ich komme, dich zu retten - fliehe! Freiheit!»

Aber der Gefangene senkte wieder das Haupt.

«O sprich! - O sieh nur auf mich!» - Und sie trat ein. Gern hätte sie seinen Arm berührt, seine Hand gefaßt. Sie wagte es noch nicht. «Er will dich töten - quälen. Er wird es tun, - wenn du nicht fliehst.»

Und nun gab ihr Verzweiflung den Mut, näher zu treten. «Du sollst aber fliehn! Du sollst nicht sterben! Du sollst gerettet sein

- durch mich! Ich flehe dich an - fliehe! Du hörst mich nicht. Die Zeit drängt! Einst sollst du alles wissen! Nur jetzt flieh in Freiheit und Leben. Ich habe die Schlüssel der Kerkerpforte und der Gangtür! Flieh!» Und nun faßte sie seinen Arm, wollte ihn emporreißen.

Da klirrten seine Ketten an den Armen, an den Füßen. - Er war an den Steinblock festgeschlossen.

«Oh, was ist das?» rief sie und fiel in die Knie.

«Stein und Eisen», sagte er tonlos. «Laßt mich. Ich gehöre dem Tode. Und hielten mich auch diese Bande nicht - ich folgte dir doch nicht! Zurück in die Welt? Die Welt ist eine große Lüge. Alles ist Lüge.»

«Du hast recht! Sterben ist besser. Laß mich sterben mit dir. Und verzeih mir. Denn auch ich habe dir gelogen.»

«Es mag wohl sein. Es wundert mich nicht.»

«Aber du mußt mir noch vergeben, ehe wir sterben.

Ich habe dich gehaßt - ich habe gejubelt über deinen Niedergang - ich habe - oh, es ist so schwer zu sagen! Ich habe die Kraft nicht, es zu gestehn. Und doch muß ich deine Verzeihung haben - und müßt' ich sie mir erstehlen. Vergib mir -reiche mir die Hand zum Zeichen, daß du mir verzeihst.»

Aber Witichis war in sein Brüten zurückgesunken.

«Oh, ich flehe dich an - verzeihe mir, was immer ich dir mag getan haben.»

«Geh - warum soll ich dir nicht verzeihn? Du bist wie alle! Nicht besser, nicht schlimmer!»

«Nein, ich bin böser als alle. Und doch besser. Wenigstens elender. Wisse denn: ich habe dich gehaßt, ja, aber nur, weil du mich von dir gestoßen! Du ließest mich nicht dein Leben teilen, verzeihe mir. - Gott, ich will ja nur mit dir sterben dürfen. Reich' mir einmal noch die Hand, zum Zeichen, daß du mir verzeihst.» Und sie streckte kniend, flehend, beide Hände zu ihm empor.

Der König, erhob das Haupt. Der Grundzug seines Wesens, die tiefe Herzensgüte, regte sich in ihm und übertönte den eignen dumpfen Schmerz. «Mataswintha», sagte er und erhob die kettenklirrende Hand, «geh, es erbarmt mich dein. Laß mich allein sterben. Was immer du an mir getan - geh hin: - ich habe dir verziehn.»

«O Witichis!» hauchte Mataswintha und wollte seine Hand ergreifen.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Aber heftig fühlte sie sich hinweggerissen. «Nachtbrennerin, nie soll er dir vergeben! Komm Witichis, mein Witichis. Folge mir! Du bist frei.» Der König sprang auf, von dieser Stimme wie aus Betäubung geweckt. «Rauthgundis! Mein Weib! Ja du logst nie! Du bist getreu. Ich hab' dich wieder.» Und tief aufatmend, jauchzend aus voller Brust, breitete er die Arme aus. Sein Weib flog an seine Brust, und sie weinten beide süße Tränen der Liebe und der Freude.

Mataswintha aber, die sich erhoben hatte, wankte gegen die Mauer. Sie strich sich langsam die roten, losgegangenen Haare aus der Stirn und blickte auf das Paar, das der Mondstrahl, der durch die Turmluke fiel, hell beleuchtete.

«Wie er sie liebt! Ja, ihr würd' er folgen in Freiheit und Leben. Aber er muß ja bleiben! Und sterben - mit mir.»

«Säumt nicht länger!» mahnte von der Kerkertüre her die Stimme Dromons.

«Ja, rasch fort, mein Leben!» rief Rauthgundis. Sie zog einen kleinen Schlüssel aus dem Busen und tastete an den Ketten, des Schlosses kleine Öffnung suchend.

«Wie? Soll ich wirklich noch mal hinaus?» fragte der Gefangene, halb in seine Betäubung zurücksinkend.

«Ja, hinaus in die Luft und Freiheit», rief Rauthgundis und warf die losgeschlossenen Armfesseln zur Erde. «Hier Witichis, eine Waffe! Ein Beil! Nimm!»

Begierig ergriff der gotische Mann die Axt und holte kräftig damit aus: «Ah! die Waffe tut dem Arm, der Seele wohl!»

«Das wußte ich, mein tapfrer Witichis!» rief Rauthgundis, kniete nieder und schloß die Kette auf, die seinen linken Fuß an den Steinblock gefesselt hielt. «Nun schreite aus! Denn du bist frei.»

Witichis tat, das Beil in der Rechten hebend, hoch sich reckend, einen Schritt gegen die Türe.

«Und sie darf seine Ketten lösen!» flüsterte Mataswintha.

«Ja, frei!» sprach Witichis, hoch aufatmend. «Ich will frei sein und mit dir gehen.»

«Mit ihr will er gehen!» rief Mataswintha und warf sich dem Gatten in den Weg. «Witichis - leb' wohl - geh! - Nur sage mir nochmal - daß du mir vergibst.»

«Dir vergeben?» rief Rauthgundis. «Nie! Niemals! Sie hat unser Reich zerstört. Sie hat dich verraten. Nicht der Blitz des Himmels - ihre Hand hat deine Speicher verbrannt!»

«O so sei verflucht!» rief Witichis. «Hinweg von dieser Schlange der Hölle!» Und sie von der Pforte hinwegschleudernd, schritt er über die Schwelle, gefolgt von Rauthgundis.

«Witichis!» rief Mataswintha, «höre mich noch einmal! Witichis!»

«Schweig!» sprach Dromon, ihren Arm ergreifend. «Du wirst ihn verderben.»

Aber Mataswintha, ihrer nicht mehr mächtig, riß sich los und folgte die Stufen hinauf in den Gang.

«Halt!» rief sie, «Witichis! Du darfst nicht so hinweg. Du mußt mir verzeihn.» Da brach sie ohnmächtig zusammen.

Dromon eilte an ihr vorbei, den Fliehenden nach.

Aber schon hatte das gellende Rufen den Mann des leisesten Schlafes geweckt.

Cethegus trat, das Schwert in der Hand, nur halb gegürtet, aus seinem Schlafgemach auf den Gang, dessen offne Bogen in den viereckigen Palasthof blickten.

«Wachen», rief er, «unter die Speere!» Auch Soldaten waren merksam geworden. Kaum hatten Witichis, Rauthgundis und Dromon den Gang und die Gangtüre durchschritten und, gerade dieser gegenüber, die Gemächer Dromons erreicht, als sechs isaurische Söldner laut lärmend in den Gang hineinstürmten.

Rasch sprang Rauthgundis aus der Halbtür, sprang auf die schwere eiserne Gangtür zu, warf sie klirrend ins Schloß, drehte den Schlüssel um und zog ihn heraus. «Die sind geborgen und unschädlich!» flüsterte sie.

Schnell eilten nun die beiden Gatten von dem Gemache Dromons dem großen Ausgang zu, der aus dem Schloßhof auf die Straße führte. Mit gefälltem Speer trat hier der letzte Mann der Wache, der hier zurückgeblieben, ihnen entgegen. «Gebt die Losung», rief er. «Rom und? -»

«Rache!» sprach Witichis und schlug ihn mit dem Beile nieder.

Laut schreiend fiel der Söldner und warf noch den Speer den Flüchtigen nach: er durchbohrte den letzten der drei - Dromon.

Über die Marmorstufen des Palastes auf die Straße hinabspringend, hörten die Gatten die eingesperrten Soldaten donnernd gegen die feste Eisentüre schlagen, auch einen lauten Befehlruf hörten sie noch. «Syphax! Mein Pferd!»

Dann nahm sie Nacht und Dunkel auf.

Wenige Minuten darauf schimmerte der Palasthof von Fackeln, und Reiter flogen nach allen Toren der Stadt.

«Sechstausend Solidi wer ihn lebend, dreitausend wer ihn erschlagen bringt!» rief Cethegus sich in den Sattel seines schwarzen Hengstes schwingend. «Nun auf, ihr Söhne des Windes, Ellak und Mundzuch, Hunnen und Massageten. Jetzt

reitet, wenn ihr je geritten!»

«Aber wohin, Herr?» fragte Syphax, an seines Herrn Seite aus dem Palasttor sprengend.

«Das ist schwer raten. Aber alle Tore sind geschlossen und besetzt. Sie können nur etwa zu den Mauerbreschen hinaus.»

«Zwei große Mauerbreschen sind's.»

«Sieh dort den Jupiter, der eben aus der Wolke tritt im Ost. Er winkt mir. Ist nicht dort -?»

«Der Mauersturz am Turme des Aetius.»

«Gut! Dort hinaus! Ich folge meinem Stern!»

*

Glücklich hatten inzwischen die Gatten, hindurchgelassen von Paulus, dem Sohn des Dromon, die nur halb ausgefüllte Mauerlücke durcheilt und in dem nahen Pinienhain der Diana Wachis, den Getreuen, und zwei Pferde gefunden. Wallada nahm die Gatten auf den Rücken.

Der Freigelassene ritt rasch voran, dem Ufer des hier sehr breiten Flusses zu. Witichis hielt Rauthgundis vor sich, hinter dem Hals des Rosses. «Mein Weib! Mit dir hatte ich alles verloren! Leben und Lebensmut. Aber nun will ich's noch einmal wagen um das Reich. Oh, wie konnte ich dich von mir lassen, du Seele meiner Seele.»

«Dein Arm ist wund vom Druck der Kette! So! Leg' ihn hier auf meinen Nacken, o du mein alles.»

«Vorwärts, Wallada! Rasch! Es gilt das Leben.»

Da bogen sie aus dem Dickicht des Hains ins Freie. Das Ufer des Flusses war erreicht. Wachis trieb sein bäumendes Pferd in die dunkle Flut. Das Tier scheute und widerstrebte. Der Freigelassene sprang ab. «Er geht sehr tief, sehr reißend. Es ist Hochwasser seit drei Tagen. Die Furt ist nicht zu brauchen. Die Gäule müssen schwimmen, und stark rechts abwärts wird's uns reißen. Und es sind Felsen im Fluß. Und das Mondlicht wechselt

sooft und täuscht.» - Ratlos prüfte er am Ufer hin und her.

«Horch, was war das?» fragte Rauthgundis. «Das war nicht der Wind in den Steineichen.»

«Pferde sind's», sagte Witichis. «Sie nahen in Eile. Ja, wir sind verfolgt. Waffen klirren. Da Fackeln. Jetzt hinein in den Strom auf Leben und Sterben. Aber leise!»

Und er führte sein Pferd am Zügel in die Flut.

«Kein Bodengrund mehr. Die Gäule müssen schwimmen. Halte dich fest an der Mähne, Rauthgundis, Vorwärts, Wallada!»

Schnaubend, zitternd, blickte das Tier in die schwarze Flut -die Mähne flog wirr kopfüber - die Vorderfüße vorgestreckt, den Hinterbug zurückgestemmt.

«Vorwärts, Wallada!» Und leise rief Witichis dem treuen Roß ins Ohr: «Dietrich von Bern!» Da setzte das edle Tier in stolzem Sprung willfährig in die Flut.

Schon jagten die verfolgenden Reiter aus dem Wald, voran Cethegus, ihm zur Seite Syphax, eine Fackel hebend. «Hier, im Ufersand, verschwindet die Spur, o Herr.»

«Sie sind im Wasser! Vorwärts, ihr Hunnen!»

Aber die Reiter zogen die Zügel an und rührten sich nicht.

«Nun, Ellak? Was zögert ihr? Sofort in die Flut!»

«Herr, das können wir nicht. Ehe wir zur Nachtzeit in fließend Wasser reiten, müssen wir Phug, den Wassergeist, um Verzeihung bitten. Wir müssen erst zu ihm beten.»

«Betet nachher, wenn ihr drüben seid, solang ihr wollt, nun aber -»

Da fuhr ein stärkerer Windstoß über den Fluß und verlöschte alle Fackeln. Hochauf rauschte die Flut.

«Du siehst, o Herr, Phug zürnt.»

«Still! Saht ihr nichts? Da unten, links?»

Der Mond war aus dem jagenden Gewölk getaucht.

Er zeigte Rauthgundis helles Untergewand; den braunen Mantel hatte sie verloren.

«Zielt rasch dorthin.»

«Nein, Herr! Erst ausbeten.»

Da war es wieder dunkel am Himmel. Mit einem Fluch riß dem Hunnenhäuptling Cethegus Bogen und Köcher von der Schulter.

«Nun rasch vorwärts!» rief leise Wachis, der schon fast das rechte Ufer gewonnen hatte, zurück - «ehe der Mond aus jener schmalen Wolke tritt.»

«Halt, Wallada!» rief Witichis, abspringend, die Last zu erleichtern, und sich an der Mähne haltend. «Da ist ein Fels! Stoße dich nicht, Rauthgundis.»

Roß, Mann und Weib stockten einen Augenblick an dem ragenden Stein, wo in gurgelndem, tiefem Wirbel das Wasser reißend zog.

Da ward der Mond ganz frei. Hell beleuchtete er die Fläche des Stroms und die Gruppe am Felsen.

«Sie sind es!» rief Cethegus, der schon den gespannten Langbogen bereit hielt, zielte und schoß. Schwirrend flog der lange, schwarzgefiederte Pfeil von der Sehne.

«Rauthgundis!» rief Witichis entsetzt. Denn sie zuckte zusammen und sank nach vorwärts auf die Mähne des Rosses, aber sie klagte nicht.

«Bist du getroffen?» - «Ich glaube. Laß mich hier. Und rette dich». - «Niemals! Laß dich stützen.»

«Um Gott, Herr, duckt euch! Taucht! Sie zielen!»

Die Hunnen hatten jetzt ausgebetet. Sie ritten bis hart an den Strom, bis in sein Uferwasser, bogenspannend und zielend.

Laß mich, Witichis! Flieh, ich sterbe hier.» - «Nein, ich lasse dich nie mehr!» Er wollte sie aus dem Sattel heben und sie auf dem Stein bergen. In hellem Mondlicht stand die Gruppe.

«Gib dich gefangen, Witichis!» rief Cethegus, sein Roß bis an den Bug in das Wasser spornend.

«Fluch über dich, du Lügner und Neiding.»

Da schwirrten zwölf Pfeile auf einmal. Hoch auf sprang das Roß Theoderichs und versank für immer in die Tiefe.

Aber auch Witichis war auf den Tod getroffen. «Bei dir!» -hauchte noch Rauthgundis. Fest mit beiden Armen umfing sie Witichis. - «Mit dir!»

Umschlungen verschwanden sie im Fluß.

Jammernd rief drüben Wachis im Schilf des Ufers noch dreimal ihren Namen. Er erhielt keine Antwort. Da jagte er davon in die Nacht.

«Schafft die Leichen ans Land!» befahl Cethegus düster, sein Roß wendend. Und die Hunnen ritten und schwammen bis an den Stein und suchten.

Aber sie suchten vergebens. Der rasche Strom hatte sie mit fortgerissen und die wieder vereinten Gatten mit sich

hinausgetragen ins tiefe, freie Meer.

*

Am gleichen Tage war Prinz Germanus von Ariminum in den Hafen von Ravenna zurückgekehrt, bereit, demnächst Mataswintha nach Byzanz zu führen.

Diese war aus ihrer Betäubung erst durch die Hammerschläge der Werkleute geweckt worden, die das Mauerwerk neben der Gangtür durchbrachen, die eingesperrten Söldner zu befreien. Man fand die Fürstin auf den Kerkerstufen zusammengebrochen. Sie ward in vollem Fieber in ihre Gemächer hinaufgetragen, wo sie auf den Purpurpolstern ohne Laut und Regung, aber mit starr geöffneten Augen lag.

Gegen Mittag ließ sich Cethegus melden. Sein Blick war finster und drohend, sein Antlitz von eisiger Kälte. Er trat dicht an ihr Lager. Mataswintha sah ihm ins Auge.

«Er ist tot!» sagte sie dann ruhig.

«Er wollte es nicht anders. Er - und du. Dir Vorwürfe machen ist zwecklos. Aber du siehst, was das Ende wird, wenn du mir entgegen handelst. Das Geschrei von seinem Untergang wird unfehlbar die Barbaren in neue Wut treiben. Schwere Arbeit hast du mir geschaffen. Denn nur du hast ihm Flucht und Tod bereitet. Das mindeste, was du zur Sühne tun kannst, ist: meinen zweiten Wunsch erfüllen. Prinz Germanus ist gelandet, dich abzuholen. Du wirst ihm folgen.»

«Wo ist die Leiche?»

«Nicht gefunden. Der Strom hat ihn davongetragen. Ihn und -das Weib.»

Mataswinthens Lippe zuckte. «Noch im Tode! Sie starb mit ihm?»

«Laß diese Toten! In zwei Stunden werde ich mit dem Prinzen wieder kommen. Wirst du bis dahin bereit sein, ihn zu begrüßen?»

«Ich werde bereit sein.»

«Gut. Wir wollen pünktlich sein.»

«Auch ich. Aspa, rufe alle Sklavinnen herbei. Sie sollen mich schmücken: Diadem, Purpur, Seide.»

«Sie hat den Verstand verloren», sagte Cethegus im Hinausgehen. «Aber die Weiber sind zäh. Sie wird ihn wiederfinden. Sie können fortleben mit aus der Brust gerissenem Herzen.»

Und er ging den ungeduldigen Prinzen zu vertrösten.

Noch vor Ablauf der bedungenen Zeit kam eine Sklavin, beide Männer zur Königin zu entbieten.

Germanus eilte mit raschem Fuße über die Schwelle ihres Gemaches. Aber gefesselt von Staunen blieb er stehen. So

schön, so prachtvoll hatte er die Gotenfürstin nie gesehen.

Sie hatte das hohe, goldne Diadem auf das leuchtende Haar gesetzt, das, gelöst, in zwei dichten Wellen auf ihre Schultern und von den Schultern bis über den Rücken floß. Das Unterkleid, von schwerster weißer Seide mit goldnen Blumen durchwirkt, war nur unterhalb der Knie sichtbar. Denn Brust und Schoß bedeckte der weite Purpurmantel. Ihr Antlitz war marmorweiß, ihr Auge loderte in geisterhaftem Glanz. «Prinz Germanus», rief sie dem Eintretenden entgegen, «du hast mir von Liebe geredet? Aber weißt du, was du geredet? Lieben ist sterben.»

Germanus sah fragend auf Cethegus.

Dieser trat vor. Er wollte sprechen.

Aber Mataswintha hob mit heller Stimme wieder an:

«Prinz Germanus, sie rühmen dich den Feinstgebildeten an einem weisen Hof, wo man sich übt in spitzer Rätsel Ratung. Auch ich will dir eine Rätselfrage stellen: sieh zu, ob du sie lösest. Laß dir nur helfen dabei von dem klugen Präfekten, der sich so ganz auf Menschengemüter versteht. Was ist das? Weib und doch Mädchen? Witwe und doch nie Weib? Vermagst es nicht zu deuten? Hast recht. Der Tod nur löst alle Rätsel.»

Rasch zur Seite warf sie den Purpurmantel. Ein breites, starkes Schwert blitzte. Mit beiden Händen stieß sie sich's tief in die Brust.

Aufschreiend sprangen Germanus von vorn, Aspa von rückwärts hinzu. Schweigend fing Cethegus die Sinkende auf Sie starb, sowie er das Schwert aus der Wunde zog. Er kannte das Schwert. Er hatte selbst ihr es einst gesendet.

Es war das Schwert des Königs Witichis.

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