Jede Hoffnung auf eine schnelle Reise nach Korfu, oder darauf, daß Javals Ausguck die Lysander irgendwo weit vor dem verminderten Geschwader sichten würde, zerschlug sich innerhalb weniger Tage nach dem Ankerlichten. Der Wind drehte nach Norden und frischte stark auf; alle Mann waren mit fieberhafter Eile beim Segelbergen, und sogar der Master der Osiris war überrascht von dem unberechenbaren Wetter. Der Wind fegte jetzt von der Adria herunter und verwandelte die sanfte blaue Dünung in eine Wüste schaumköpfi-ger, steiler Wogen; der Himmel über den schwankenden Masten war eine einzige dichte Wolkenbank.
Tag um Tag trotzten die beiden Linienschiffe mit ihren schweren Rümpfen dem Sturm, und hinter den dichtgemachten Stückpforten quälten sich die Mannschaften mit dem ewigen Rollen und Stampfen des Schiffs herum, jeden Moment gewärtig, daß die Bootsmannspfeifen schrillten und es hieß:»Alle Mann auf zum Marssegelreffen!«Und dann kämpften sie oben den gefahrvollen Kampf gegen den Wind, auf den Fußpferden stehend, den Leib gegen die schwankende Rah gepreßt, Hand über Hand, Zoll für Zoll, die mörderische Leinwand einholend.
Die Buzzard, die solchem Wetter nicht gewachsen war, wurde aus dem Verband entlassen und konnte vorm Wind davonsegeln, so daß die verbleibenden Schiffe mit dem Heulen des Sturmes und dem Donnern der überkommenden, alles durchweichenden See alleinblieben wie in einer Arena, die noch dazu immer kleiner wurde. Denn stündlich verschlechterte sich die Sicht, kaum noch waren Regen und Spritzwasser voneinander zu unterscheiden, und aus welcher Richtung sie der Wind in der nächsten Minute anfallen würde, wußte keiner vorauszusagen.
Bolitho selbst kam sich in diesen endlosen Tagen vor, als ginge die Osiris ihn im Grunde gar nichts an. Die Gesichter, die er an Deck sah, waren ihm fremd; die Gesprächsfetzen, die sein Ohr erreichten, bedeuteten ihm nichts. Auch Farquhar kam ihm ganz anders vor. Mehrfach hatte der Kommandant Ausbrüche von Jähzorn gehabt, die selbst den toleranten Outhwaite erschreckten; einmal hatte er einen Bootsmannsmaaten angeschnauzt, weil dieser nicht hart genug zugeschlagen hatte, als ein Mann in einer Sturmbö nicht aufentern wollte. Der Bootsmannsmaat hatte erklären wollen, daß der Betreffende kein richtiger Seemann sei, sondern ein Küfersmaat. Denn bei dem Sturm hatten so viele Matrosen Verletzungen erlitten, daß der Bootsmannsmaat, genau wie die Offiziere, die Leute hernehmen mußten, wo er sie kriegen konnte.
«Keine Widerrede!«hatte Farquhar gebrüllt.»Sie haben ja schon selbst Leute gepeitscht! Wenn Sie mir noch einmal wiedersprechen, dann werden Sie selbst spüren, wie das tut!»
Und der Mann wurde mit Schlägen hinaufgetrieben, rutschte vom Fußpferd ab und fiel über Bord, ohne daß man auch nur einen Schrei hörte.
Wie mochte wohl Herrick diesen Sturm abwettern, und wo mochte er in diesen schrecklichen Tagen sein? fragte sich Bolitho immer wieder.
Farquhar jedoch meinte:»Wenn dieses Mistwetter nicht wäre, hätte ich die Lysander schon längst eingeholt!»
Bolitho hielt das für leeres Gerede.»Glaube ich kaum«, hatte er erwidert.»Die Lysander ist das schnellere Schiff. Und sie wird gut geführt.»
Das mochte Farquhar gegenüber unfair sein; doch dem war Herricks Schicksal anscheinend so gleichgültig, daß Bolitho sich alle
Mühe geben mußte, um nicht noch öfter solche bissigen Bemerkungen zu machen. Wie die vorwurfsvolle Stimme des Gewissens vernahm er in seinem Innern immer wieder die Worte: Es war deine Entscheidung. Du hast Herrick zu hart angefaßt. Du warst zu ungeduldig. Es ist deine Schuld.
Und dann, eine Woche nach Syrakus, flaute der Sturm ab und drehte auf Nordwest; doch als der Himmel wieder klar und die See tiefblau war, wußte Bolitho, daß es tagelanges mühsames Kreuzen kosten würde, die Distanz wieder aufzuholen, die sie während des Sturmes eingebüßt hatten.
Jedesmal, wenn er an Deck war, fiel ihm auf, daß die Offiziere der Wache ihm auswichen und sorgfältig vermieden, ihm bei seinen einsamen Gängen auf der Kampanje näher zu kommen. Seine selbstgewählte Einsamkeit gab ihm Zeit zum Nachdenken; aber ohne neue Informationen war das, als pflüge man altes Land um, weil man nichts zu säen hatte.
Am Vormittag des neunten Tages studierte er in seiner Kajüte die Karte und trank einen Krug Ingwerbier dazu — Farquhar hatte sich davon einen guten Vorrat zum eigenen Verbrauch mitgenommen.
Farquhar würde sich ins Fäustchen lachen, wenn in Korfu schließlich doch nichts zu Tage kam, was Bolithos Theorien bestätigte! Natürlich würde er sich nichts anmerken lassen, aber innerlich würde er lachen. Denn dann hatte er nicht nur korrekt gehandelt, sondern auch bewiesen, daß er einen weit besseren Kommodore abgeben würde als Bolitho.
Sir Charles Farquhar. Komisch, daß ihn der neue Titel dieses Mannes so irritierte. Er wurde vielleicht schon so wie Herrick. Nein, es saß tiefer. Es war, weil Farquhar sich den Titel nicht verdient hatte; jetzt, da er ihn besaß, konnte ihm nichts mehr entgehen. Man brauchte nur in die Rangliste der Marine zu schauen, dann wußte man, wo die Beförde rungen hinfielen. Bolitho dachte an Pascoes Worte und mußte lächeln. Die >Nelsons< dieser Welt holten sich ihren Titel auf dem Schlachtfeld oder angesichts einer feindlichen Breitseite. Die mehr Glück hatten und an Land saßen, bewunderten zwar ihren gefahrvollen Aufstieg, hätten sich aber kaum ernstlich an ihre Stelle gewünscht.
Ruhelos wanderte Bolitho in der Kajüte umher. Über sich hörte er die Matrosen an und über Deck arbeiten. Spleißen, nähen, kalfatern — nach einem Sturm war das doppelt so wichtig wie sonst. Er mußte wieder lächeln. Die mehr Glück hatten und an Land saßen. Im tiefsten Herzen wußte er: mit allen Mitteln hätte er sich gegen einen Posten in der Admiralität oder in einem Marinehafen gesträubt.
Er trat zur Karte und studierte sie aufs neue: Korfu. Eine lange, spindelförmige Insel, die aussah, als wolle sie sich in die Buchten und Vorsprünge der griechischen Küste fügen. Eine enge Zufahrt von Süden, etwa zehn Meilen breit — knapper Seeraum für ein Vollschiff. Im Norden waren es noch weniger. Hatten die Franzosen tatsächlich Artillerie auf der Steilküste plaziert, so war ein Passieren der reine Selbstmord. Zwischen der Insel und dem Festland lag zwar eine Art Binnensee — zehn Meilen breit, zwanzig Meilen lang — , aber das wirkliche Risiko waren die beiden engen Durchfahrten im Norden und im Süden. Außerdem lag der einzige gute Ankerplatz an der Ostküste; also war keine wie immer geartete Überraschungsaktion möglich. Das mußte Herrick ebenfalls wissen. Er war dickköpfig und zu allem entschlossen, aber kein Dummkopf und war auch nie einer gewesen.
Bolitho mußte plötzlich an die junge Witwe denken, Mrs. Bos-well. Seltsam — nie hatte er sich Herrick als Ehemann vorstellen können. Aber sie war genau die Richtige für ihn. Sie würde bestimmt nicht tatenlos dabeistehen, wenn andere seine Gutmütigkeit ausnutzten. Sie hätte es nie geduldet, daß er vor den Aufgaben eines Flaggkapitäns kapitulierte.
Er richtete sich auf und wunderte sich, daß er jetzt an solche Dinge denken konnte. Er verfügte nur über zwei Schiffe, und vielleicht fand er die Lysander überhaupt nicht. Aber was auch geschehen mochte — er war im Begriff, in die Verteidigung des Feindes einzudringen, und das in einem Seegebiet, das ihm fast unbekannt war, abgesehen von dem, was er aus Seekarten und Navigationshandbüchern entnehmen konnte.
Es klopfte, und der Posten meldete:»Midshipman der Wache, Sir!«Der rothaarige Breen trat ein.
«Nun, Mr. Breen?«fragte Bolitho freundlich. Seit der Rettung durch die Harebell hatte er noch nicht wieder mit ihm gesprochen.
«Kommandant läßt mit allem Respekt melden, Sir, daß der Ausguck ein Segel in Nordwest gesichtet hat. Ist aber noch nicht zu identifizieren.»
«Aha.»
Bolitho blickte auf die Karte. Selbst unter Berücksichtigung der Abdrift durch den Sturm konnte ihre Position nicht allzusehr von der Berechnung abweichen. Der Bug der Osiris zeigte ungefähr nach Nordost, und bei etwas Glück würden sie die höchste Bergkette an der Südspitze von Korfu noch vor Einbruch der Dunkelheit in Sicht bekommen. Die Buzzard war vor dem Sturm davongesegelt. Javal würde sich also beeilen, wieder zum Geschwader zu stoßen, und konnte sogar schon an diesem Tag auftauchen; er mußte jedoch von Süden kommen, nicht von Nordwesten wie dieses unbekannte
Schiff.
«Wie gefällt es Ihnen im Midshipmanslogis der Osiris?«fragte Bolitho.
Der Junge sah an ihm vorbei auf den hohen Umriß der Nicator, die achtern etwa drei Kabellängen entfernt segelte.»N… nicht besonders, Sir. Man behandelt mich ja soweit ganz anständig, aber.»
Bolitho nickte nachdenklich. Ebenso wie die Leutnants kamen auch die meisten Midshipmen der Osiris aus guten Familien. Es war deutlich zu merken, daß sich Farquhar Offiziere wie Kadetten sehr sorgfältig ausgesucht hatte. Daß ein Kommandant den Sohn eines alten Freundes als Midshipman einstellte oder jemandem aus anderen Gründen einen Gefallen tun wollte, war durchaus üblich. Farquhar hatte anscheinend für sein Schiff von diesem Gewohnheitsrecht ausgiebig Gebrauch gemacht.
Breen schien sich verpflichtet zu fühlen, noch etwas zu sagen.»Ich denke dauernd an diesen Matrosen, Larssen. Aber ich bin schon wieder in Ordnung, Sir. Tut. tut mir leid, daß ich mich damals so angestellt habe.»
«Das braucht Ihnen nicht leid zu tun. Ein Degen muß sich biegen können. Wenn er zu starr ist, bricht er gerade dann, wenn man ihn am nötigsten braucht.»
Warum versuchte er, Breen vor dem Unvermeidlichen zu bewahren? Jeder mußte das früher oder später durchmachen. Er erinnerte sich, was er seinerzeit als junger Leutnant nach einer Seeschlacht empfunden hatte. Wenn die Kanonen donnerten und der wilde Kampf tobte, blieb keine Zeit, den Toten Achtung zu erweisen oder sich um die Verwundeten zu kümmern. Die Toten, ob Freund oder Feind, gingen über Bord, und die Schreie der Verwundeten verstärkten nur den Kampfeslärm. Wenn die Kanonen dann schwiegen und die Schiffe auseinandertrieben, so zerschossen, daß keiner wußte, war er Sieger oder Besiegter, dann war die See mit treibenden Leichen bedeckt. Manchmal, wenn der Wind während des Gefechtes abflaute, als hätte er Angst vor der Wildheit des Kampfes, schwammen sie noch zwei Tage lang um das Schiff, und man mußte mit ihrem Anblick leben. An dergleichen dachte er oft und würde es nie vergessen.
«Hier — trinken Sie ein Glas Ingwerbier«, sagte er freundlich. Der arme Breen mit seinen rauh geschrubbten Händen und seinem schmuddeligen Hemd glich eher einem Schuljungen als einem Offizier des Königs. Aber wer in seinem Städtchen oder seinem Dorf hatte Malta gesehen? Hatte ein Seegefecht mitgemacht? Und wie viele hatten überhaupt eine Ahnung von der Stärke und Reichweite der Flotte, von ihrem Material und ihren Männern?
Farquhar, ein Teleskop in der Hand, stand im Türrahmen und warf einen kalten Blick auf den Jungen, der eben genüßlich einen Schluck nahm.
«Das Segel ist wieder außer Sicht, Sir.»
«Die Lysander kann es nicht gewesen sein?»
«Zu klein. «Farquhar scheuchte Breen mit einer kurzen Kopfbewegung hinaus und fuhr fort:»Eine Brigg, meint der Ausguck. Ein guter Mann. Irrt sich kaum.»
Jetzt, da der Sturm vorbei war, hatte sich Farquhar wieder besser in der Gewalt. Vielleicht spielte er das alte Wartespiel: danebenstehen und sehen, was aus Bolitho wurde.
Dieser ging ans offene Heckfenster, lehnte sich hinaus und blickte in die kleinen, blasenwerfenden Wirbel, die um das Ruder spielten. Ein schöner klarer Himmel, und die scharfe Kimm hinter dem dicken Rumpf der Nicator blieb leer. Die Brigg mußte mehr von den beiden Linienschiffen gesehen haben als diese von ihr.
«Sagen Sie den Ausgucks, sie sollen besonders gut aufpassen. Schicken Sie ihnen auch Teleskope hinauf.»
«Sie halten die Brigg für ein französisches Schiff, Sir?«fragte Farquhar neugierig.»Sie kann uns doch wenig schaden.»
Er sah Farquhar unbewegt an.»Vielleicht. Mein Schwager in Falmouth besitzt eine große Farm und viel Land. Er hat auch einen Hund. Wenn ein Wilderer oder Vagabund sich auf seinem Grund und Boden sehen läßt, spürt der Hund ihn auf. Aber er bellt nicht und beißt nicht — bis der Fremde in Schußweite einer Flinte kommt.»
Farquhar starrte auf die Karte nieder, als gäbe es da etwas Besonderes zu sehen.»Sie meinen, sie verfolgt uns, Sir?»
«Schon möglich. Die Franzosen haben hier viele Freunde. Die sind nur zu gern bereit, Nachrichten zu übermitteln, denn das könnte ihnen das Leben erleichtern, wenn die Trikolore ihren Besitz erst vergrößert hat.»
Unsicher erwiderte Farquhar:»Und selbst wenn dem so ist, Sir, können die Franzosen doch nicht wissen, wie stark wir in Wirklichkeit sind.»
«Sie sehen jedenfalls, daß wir keine Fregatte haben. Wenn ich ein französischer Admiral wäre, fände ich diese Information sehr wertvoll.»
Er ging zur Tür. Aus der Tiefe seines Hirns stieg eine Idee auf.»Rufen Sie doch mal Ihren Segelmacher, ja? Ich komme gleich nach oben.»
Auf dem Achterdeck hielten mehrere Matrosen neugierig mit der Arbeit inne und werkten dann mit vermehrtem Eifer weiter. Vielleicht dachten sie, Bolitho sei von seinem Fieber noch etwas durcheinander. Er ließ sich von der leichten Brise abkühlen und lächelte vor sich hin. Immer noch trug er sein spanisches Hemd und hatte es abgelehnt, sich von Farquhar etwas zum Anziehen zu leihen. Seine Sachen waren noch auf der Lysander. Wenn er Herrick fand, bekam er auch seine Sachen. Und Herrick würde er finden.
«Sir?«Der Segelmacher trat herzu und beäugte ihn ebenso neugierig wie mißtrauisch.
«Wieviel Ersatzleinwand haben wir? Ausbesserungsmaterial meine ich, keine neuen Segel.»
Nervös blickte der Mann Farquhar an, doch dieser befahl kurz:»Sag schon, Parker!»
Der Segelmacher zählte eine lange Liste von Rollen, Stücken und Abschnitten auf — erstaunlich, was der Mann alles im Kopfe hatte.
«Danke, äh, Parker. «Bolitho ging zur Steuerbordlaufbrücke und sah von dort aus zum Vorschiff.»Ich will für jede Bordwand eine lange Bahn Leinwand, die längs der Webleinen gespannt wird. Zusammengenäht aus Segeltuch oder dergleichen, irgendwelchen Stücken, die wir vielleicht für Sonnensegel oder als Windschutz aufgehoben haben. «Er sah ihm unbewegt in das verwirrte Gesicht.»Könnt ihr das hinkriegen?»
«Ja, das heißt, es ginge schon, wenn. «Hilfeflehend blickte er seinen Kommandanten an.
Der ließ ihn nicht im Stich.»Wozu das, Sir? Ich glaube, wenn der Mann wüßte, was Sie vorhaben, und, nebenbei bemerkt, ich auch, dann würde es die Sache sehr erleichtern.»
Bolitho lächelte sie beide an.»Wenn wir Vorschiff und Achterschiff auf diese Weise verbinden und dann die Leinwand in der Farbe des Schiffsrumpfes bemalen, mit schwarzen Quadraten in regelmäßigen Abständen — «, er lehnte sich über die Reling und deutete auf die Stückpforten der Achtzehnpfünder — ,»dann könnte die Osiris als Dreidecker durchgehen, nicht wahr?»
Erstaunt schüttelte Farquhar den Kopf.»Verdammt, Sir, das mag klappen. Aus einiger Entfernung würden wir wie ein Erster-Klasse-Schiff aussehen, ganz bestimmt! Dann werden die Frogs sich die Köpfe darüber zerbrechen, wie viele Schiffe wir eigentlich hier haben.»
Bolitho nickte.»Unter Land segelnd, hätten wir vielleicht eine Chance. Aber auf eine Schlacht im offenen Gewässer können wir uns nicht einlassen, ehe wir nicht genau über die Stärke des Feindes Bescheid wissen. Ich möchte bezweifeln, daß die Franzosen viele Linienschiffe hier haben. Brueys wird sie sich aufheben, um seine Transporter zu schützen. Aber wissen muß ich es.»
«An Deck! Segel an Backbord achteraus!»
«Da ist unser Irrlicht wieder«, sagte Bolitho.»Sowie es Abend wird, fangen wir mit der Verkleidung an. In der Nacht können wir über Stag gehen und unserem wißbegierigen Freund vielleicht entwischen.»
Wieder kam ein Ruf, und sie sahen hoch.»Segel in Lee voraus!»
«Kriegen wir noch mehr Gesellschaft?«Bolitho stieß den Segelmacher in die Rippen.»Fangen Sie mit Ihren Maaten an, Parker! Ihr seid vielleicht die ersten in der Marinegeschichte, die ein Kriegsschiff aus Leinwandstreifen bauen!»
Pascoe enterte eilig zu dem Ausguck auf, der die letzte Meldung gemacht hatte. Das große Teleskop, das an einer Schnur über seiner Schulter hing, behinderte ihn etwas, doch er kletterte die Wanten hoch wie eine Katze.
Sekunden später rief er hinunter:»Es ist die Buzzard, Sir!»
«Wird auch Zeit«, murmelte Farquhar.
«Signal an die Buzzard«, sagte Bolitho. »Die Spitze des Geschwaders übernehmen!»
«Es wird noch ein Weilchen dauern, bis sie auf Signaldistanz ist, Sir. Sie muß sich Zoll für Zoll gegen den Wind herankämpfen«, wandte Farquhar ein.
«Sie kann das Signal noch nicht sehen, Captain. Aber die Brigg kann das. Dann weiß der Kommandant, daß noch mindestens ein anderes Schiff in der Nähe ist. Daran hat er was zu kauen.»
Bolitho legte die Hände auf dem Rücken zusammen. Der Bootsmann und einige Matrosen rührten bereits Farbe an; andere zerrten die Leinwand auf das Oberdeck.
Langsam ging Bolitho in Luv auf und ab und beschwor im Geiste die Marssegel der Buzzard, sie möchten schneller über die Kimm steigen. Drei Schiffe statt zwei. Er dankte Gott, daß Javal sich solche Mühe gegeben hatte, ihn zu finden. Schwach mochten sie ja sein, aber blind waren sie jetzt nicht mehr.
Während die Osiris und die Nicator mit Langsamstfahrt nach Nordost zogen und Javals Fregatte in endlosem Zickzackkurs zu ihnen aufkreuzte, war das verwischte Stückchen Leinwand des Spähers kaum jemals außer Sicht.
Den ganzen Nachmittag, während der Segelmacher und seine Maaten mit gekreuzten Beinen auf jedem freien Stück Deck saßen, die Köpfe gebeugt, mit blitzenden Nadeln und metallenen Handschützern arbeitend, lief Bolitho auf der Kampanje herum. Manchmal ging er auch in die Kajüte, um sich ein paar Minuten auszuruhen.
Bis zur zweiten Hundewache,[23] als der Ausguck» Land in Sicht «aussang, nahm Bolitho an, daß die spionierende Brigg jetzt überzeugt sei, das Geschwader, ob nun groß oder klein, segle tatsächlich nach Korfu.
Durch die Wanten musterte er eindringlich den purpurnen Schatten, das Land, und stellte sich die Insel vor. Der Kommandant der Brigg hatte sich zu starr an seine Order gehalten und war zu lange geblieben. Jetzt kam ihm die Nacht über den Hals, und er mußte bis zum Morgen warten, um seine Meldung an den Mann zu bringen. An seiner Stelle, dachte Bolitho, hätte er das Mißfallen des Admi-rals riskiert und die Jagd schon lange vorher abgebrochen. Er konnte dem Admiral weit mehr nützen, wenn er neben dem Flaggschiff lag, statt sich die ganze Nacht an dieser gefährlichen Küste herumzutreiben. Die Brigg war zu neugierig gewesen. An sich nichts Schlimmes, aber in diesem Falle vielleicht entscheidend.
Bolitho ging wieder in die Kajüte. Dort wartete Farquhar mit Veitch und Plowman auf ihn.
«Sie wollten diese beiden sprechen, Sir?«sagte Farquhar.
Bolitho wartete, bis der Steward eine Laterne über der Karte aufgehängt hatte.
«Also, Mr. Plowman. Ich brauche einen tüchtigen Freiwilligen, der an Land rekognosziert.»
Der Steuermannsmaat beugte sich über die Karte und studierte die Klippen und Untiefen der Westküste. Dann grinste er bedächtig.»Aye, Sir. Weiß schon, was Sie meinen.»
Farquhar fuhr dazwischen:»Was denn, Sir, Sie wollen Leute bei Nacht an die Küste schicken?»
Bolitho gab keine direkte Antwort. Er sah einfach Plowman an und fragte:»Trauen Sie sich das zu? Wenn es nicht so wichtig wäre, würde ich es Ihnen nicht zumuten.»
«Hab schon Schlimmeres gemacht. Einmal in Westafrika. «Er seufzte.»Aber das ist 'ne andere Geschichte, Sir.«»Gut.»
Bolitho sah ihn ernst und nachdenklich an. Vielleicht forderte er zu viel, schickte Plowman und andere in den Tod. Er spielte mit dem Gedanken, selbst mitzugehen; doch er wußte, das wäre so oder so sinnlos gewesen. Weder persönliches Geltungsbedürfnis noch verzweifelte Tollkühnheit oder die quälende Ungewißheit durften eine Rolle spielen. Er wurde hier gebraucht, und das sehr bald.
Zu Farquhar sagte er:»Sie brauchen einen Kutter und eine verläßliche Mannschaft. «Dann wandte er sich an Veitch:»Sie befehligen die Landeabteilung. Suchen Sie sich Ihre Leute sorgfältig aus. Männer aus dem Bergland, die ein bißchen klettern können und nicht gleich von jeder Klippe fallen.»
Der Leutnant hatte erst sehr ernst dreingesehen; jetzt änderte sich das: Befriedigung, Stolz sogar, weil er eine so schwierige Mission selbständig ausführen sollte. Wenn Bolitho Zweifel hegte, dann lagen sie bei ihm selbst. Veitch hatte bereits seinen Wert und sein Können unter Beweis gestellt.
Plowman studierte immer noch die Karte.»Das hier — «, er stieß mit einem dicken Finger zu — ,»könnte passen. Und Mond haben wir heute auch. Wir können bis dicht unter Land segeln, nur das letzte Stück rudern wir.»
«Sie haben die ganze Nacht Zeit, um an Land zu kommen«, sagte Bolitho.»Aber morgen müssen Sie zu erfahren versuchen, was da vor sich geht. An der Stelle, die Sie ausgesucht haben, ist die Insel ungefähr fünf Meilen breit. Die Berge sind tausend Fuß hoch oder mehr. Von dort oben müßten Sie so viel sehen können, wie für uns wichtig ist.»
Nachdenklich sagte Veitch:»Es wird vielleicht schwierig sein, den Kutter zu verstecken, Sir.»
«Sehen Sie zu, was sich tun läßt. Notfalls müssen Sie ihn versenken. Ich lasse Sie dann später abholen.»
Farquhar räusperte sich laut.»Über eines muß man sich klar sein, Sir: Die ganze Abteilung kann auch sofort bei der Landung gefangengenommen werden.»
Bolitho nickte grimmig. Also räumte selbst Farquhar jetzt ein, wie ernst die Lage hier in Wirklichkeit war — der Feind war auch für ihn eine Tatsache, kein Schatten.
«Übermorgen, bei Sonnenaufgang, greifen wir von Süden her an. Wenn Mr. Veitch herausfinden kann, wo die Küstenbatterien stehen, wird es leichter für uns. «Er mußte über ihre grimmigen Gesichter lächeln.»Unser Besuch wird ihnen auf jeden Fall unwillkommen sein, fürchte ich.»
Veitch atmete geräuschvoll aus.»Wir werden unser Bestes tun, Sir. Hoffentlich haben die Franzosen keine von ihren neuen Geschützen längs der Küste plaziert.»
«Das bezweifle ich. «Bolitho stellte sich vor, wie diese weitreichende Artillerie seine kleine Streitmacht zerschmettern konnte, ehe sie überhaupt zum Einsatz kam.»Die hebt sich Bonaparte für wichtigere Dinge auf.»
Veitch und Plowman gingen, um ihre Mannschaft zusammenzustellen und auszurüsten.»Ich möchte meinen Signaloffizier sprechen«, sagte Bolitho zu Farquhar.»Morgen segeln wir in unserer neuen Verkleidung nordwärts; aber die Buzzard bleibt in Luv. Vielleicht hat Javal Glück und schnappt diese Brigg oder einen anderen Spion, wenn er gerade an der richtigen Stelle ist. Ein weiteres Schiff unter unserer Flagge wäre mir höchst willkommen.»
Er sah sich im Geiste wieder in Spithead auf das Boot warten, das ihn zur Fregatte bringen sollte. Und dann die Fahrt nach Gibralter, zur Lysander, und all die zahllosen Stunden, die er seitdem gesegelt war. Hierher. In einem Kreuzchen auf der Karte. Ihn fröstelte trotz der drückenden Hitze. Es war beinahe symbolisch. Und gerade jetzt hätte er Herrick am nötigsten gebraucht: seine Treue, seine Anhänglichkeit. Was mochte wohl Farquhar wirklich über diese Unternehmung denken? Sah er sie als eine Chance, seinen neuen Adelstitel mit Ruhm zu bekränzen? Oder nur als das Ende all seiner Hoffnungen?
Sie spielten das Risiko herunter, das taten sie vorher immer. Aber er verlangte viel von jedem einzelnen. Zuviel. Wenn die Schlacht erst in Gang war, zählten die Sache und die großen Ideale wenig. Es kam darauf an, wie schnell man feuern und nachladen konnte. Wieviel Kraft man in sich hatte, um den furchtbaren Anblick, den ohrenbetäubenden Donner auszuhalten.
Er schüttelte die lastende Depression ab.»Nun, Captain Farquhar — «, auch der schreckte aus tiefen Gedanken hoch — ,»wir werden es zusammen schaffen, und wenn einer von uns fällt, wird der andere weitermachen. So oder so — getan werden muß es.»
Farquhar blickte sich in der stillen Kajüte um.»Ja — das sehe ich jetzt ein.»
Ein paar Stunden bevor es ganz hell war, erschienen die Obersegel der Brigg aufs neue, berührten die Kimm, blieben aber vorsichtig weit in Luv. Entweder hatte der Kommandant in der Nacht ein Boot mit seiner Meldung an Land schicken können, oder ihm lag sehr viel daran, mehr über Bolithos Schiffe zu erfahren.
Und Bolitho sorgte dafür, daß der Späher möglichst viel zu sehen bekam und scharf aufpassen mußte. Pascoes Signalgasten hißten allerlei sinnlose Flaggen, die von der Nicator und der Buzzard ebenso eifrig bestätigt wurden. Und dann, als Bolitho ein echtes Signal gab, um seine Kommandanten an Bord zu rufen, spielte er seine andere Karte aus: Mit backgestellten Segeln drehte die Osiris in den Wind, präsentierte dem fernen Schiff ihre Breitseite und den falschen, aber eindrucksvoll hohen Rumpf eines Dreideckers.
Als Javal in seiner Gig eintraf, rief er bewundernd:»Ich dachte schon, ich sehe Gespenster, Sir. Oder St. Vincent wäre mit seinem Flaggschiff da! Von meiner Gig aus sieht sie Zoll für Zoll aus wie ein Erster-Klasse-Schiff!»
Probyn war nicht so begeistert.»Eine originelle Idee, das ist richtig. Aber mit bemalter Leinwand können Sie nicht schießen!»
Und wieder einmal musterte Bolitho in der großen Kajüte seine Kommandanten. Javal sah zwar nach seinem langen Kampf gegen See und Wind ziemlich mitgenommen aus, war aber sonst guten Mutes. Farquhar war bleich und hatte schmale Lippen, aber jedes Haar, jeder Knopf saßen genau richtig. Probyn war so unordentlich und mißgelaunt wie stets. Er konnte die Augen kaum offenhalten, und auf seinen Wangen glomm eine dunkle Röte, die nicht nur von Wind und Wetter stammte. Er trank anscheinend wieder, und zwar stärker als sonst. Seltsamerweise hatte Bolitho ganz vergessen, daß Probyn schon damals trank, als sie beide noch Leutnants waren. Mehr als einmal war er für ihn Wache gegangen oder hatte ihm sonst eine Gefälligkeit erwiesen.»Erledigen Sie das mal, Dick«, hatte der Erste genäselt,»der arme alte George ist mal wieder blau.»
Er wartete, bis jeder ein Glas von Farquhars Rotwein vor sich hatte, und sagte dann gelassen:»Morgen, Gentlemen, machen wir unser Spielchen. Ich werde hoffentlich Mr. Veitch und seine Abteilung heute nacht wohlbehalten abholen. Was er mir berichtet, kann unsere Taktik ändern, aber der Zeitpunkt unseres Angriffs bleibt derselbe.»
Probyn blickte vor sich nieder.»Und wenn er nicht zurückkommt?«»Dann tappen wir eben im dunkeln.»
Er dachte an Veitch drüben auf Korfu. Die Bauern, wenn er das Pech hatte, auf welche zu stoßen, würden ihn und seine Leute vielleicht für Franzosen halten. Schwer zu sagen, ob das günstig war oder nicht. Veitch hatte sich bereits als ein Mann von Intelligenz und Geistesgegenwart erwiesen. Falls er die Aktion auf der Insel überlebte, wollte Bolitho dafür sorgen, daß er zur außerplanmäßigen Beförderung vorgeschlagen wurde. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, ihm das vorher zu sagen, hatte es aber dann doch nicht getan. So ein Versprechen konnte einen Ehrgeizigen zu vorsichtig, einen Eifrigen zu tollkühn machen.
«Wir haben den Feind merken lassen, daß ein Angriff bevorsteht. Er kennt unsere Stärke immer noch nicht, aber da er jetzt wahrscheinlich glaubt, daß wir einen Dreidecker bei uns haben, muß er sich über seine Verteidigung klarwerden. Oder über einen Gegenangriff.»
Probyn klopfte mit seinem leeren Glas auf den Tisch und sah den Steward bedeutsam an. Dann fragte er:»Warum warten wir nicht lieber ab, Sir? Aufpassen und abwarten, bis wir Unterstützung bekommen — wäre das nicht besser?«Er warf einen Blick aus den Augenwinkeln auf Farquhar.»Ja — wenn die Lysander hier wäre, dann würde ich anders reden. «Und ergoß ein neues Glas Rotwein hinunter.
«Warten? Dazu wissen wir nicht genug«, erwiderte Bolitho.»Jeden Tag kann der Feind versuchen, von Korfu auszulaufen; und wenn er zahlenmäßig so stark ist, wie ich annehme, dann haben wir keine Aussicht, ihn zurückzuhalten. «Da er sah, daß Probyn immer noch nicht überzeugt war, fuhr er fort:»Außerdem kann die französische Flotte bereits nach Korfu unterwegs sein, um ihre Versorgungsschiffe von hier anderswohin zu eskortieren. «Er klopfte mit dem Glas auf die Karte.»Dann sitzen wir vor einer Leeküste fest, oder noch schlimmer, zwischen der Ostküste der Insel und dem Festland — welche Chance haben wir dann?»
Er behielt Probyn im Blick, wie um sein Einverständnis zu erzwingen. Denn Captain George Probyns Aufgabe bei der Aktion konnte unter Umständen die wichtigste sein. Morgen — es handelte sich nicht mehr um Tage, sondern nur noch um Stunden — war seine Nicator vielleicht das einzig überlebende Schiff.
Ruhig sprach er weiter:»Die Osiris wird in der Morgendämmerung unbedingt in die südliche Einfahrt vordringen. Die französischen Versorgungsschiffe ankern irgendwo fünfzehn bis zwanzig Meilen weiter nördlich, und wenn wir erst einmal zwischen ihnen sind, wird es ein heißer Tag für alle Beteiligten. «Er sah, wie Javal sein hartes Gesicht zu einem Lächeln verzog.»Ich nehme an, die Franzosen sehen sich in einer starken Position. Sie wissen, daß wir kommen, und werden ihre vorhandene Artillerie an die Küste verlegen, um unsere Annäherung zu verhindern.»
Javal nickte.»Aye, das ist logisch. Einen Dreidecker müssen sie als echte Bedrohung ansehen.»
Bolitho dachte an Grubb und wünschte, er wäre hier. Der Master der Osiris war ein fähiger Mann, aber er besaß nicht Grubbs We t-terfühligkeit. Er war Steuermann auf einem Indienfahrer gewesen, bevor er auf einem Schiff des Königs angemustert hatte; bei der Handelsschiffahrt bedeutete schlechte Navigation nur Zeitverlust und allenfalls Gewinneinbuße durch verdorbene Fracht. Sosehr es darauf ankam, was seine Besatzungen morgen leisten konnten — der Wind war beinahe ebenso wichtig.
Er ließ diesen Gedanken fallen und sagte zu Probyn:»Sie segeln vor Morgengrauen an der Westküste nach Norden. Zu gegebener Zeit nehmen Sie die nördliche Einfahrt — wie ich hoffe, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Verteidiger werden denken, die wirkliche Bedrohung komme von Süden, von uns. Wenn Fortuna — er hielt inne und sah im Geiste die Lachfältchen um Herricks blaue Augen bei der Erwähnung seines Lieblingsausdrucks — »uns hold ist, dann werden wir dem Feind an der Stelle, wo es unserer Sache am meisten nutzt, einen harten Schlag versetzen. Und nun — Gott mit Ihnen!»
Damit war die Besprechung zu Ende. Sie standen auf und gingen stumm hinaus. Dann hörte Bolitho, wie Farquhar Anweisung gab, die Boote für die Kommandanten heranzurufen.
Zur anderen Kajütentür kam Allday herein und fragte:»Soll ich Ihnen nicht irgendwoher einen Uniformrock besorgen, Sir?«Anscheinend machte ihm Bolithos Aussehen mehr Kummer als das bevorstehende Gefecht.
Von einem Heckfenster aus sah Bolitho das Boot Probyns in rascher Fahrt zur Nicator pullen. Er dachte an sein Schiff, die Osiris, und an die Männer, die sie in die Durchfahrt segelten, die auf ihr kämpfen und notfalls sterben würden. Sie war kein glückhaftes Schiff. Osiris — Richter der Toten. Ihm wurde eiskalt.
«Das ist unwichtig, Allday. Morgen werden die Leute aufs Achterdeck schauen — Sie sagen ja immer, im Gefecht tun sie das. «Allday nickte.»Und dann sollen sie mich sehen — als einen der Ihren, nicht als einen weiteren Popanz in Paradeuniform. Dieses Schiff hat keine Wärme. Disziplin, Seemannschaft, ja, aber…«Er zuckte die Achseln.
«Die Leute werden gut kämpfen, Sir. Sie werden schon sehen.»
Aber Bolitho konnte das üble Vorgefühl nicht abschütteln.»Wenn mir etwas passieren sollte. «Er drehte sich nicht um, spürte aber, daß Allday zusammenfuhr.»Ich habe Vorsorge für Sie getroffen, in Falmouth. Sie werden dort immer ein Zuhause finden, und es wird Ihnen an nichts fehlen.»
Allday konnte sich nicht mehr beherrschen.»Ich will nichts davon hören, Sir! Nichts wird Ihnen passieren — es kann Ihnen gar nichts passieren!»
Bolitho drehte sich um und sah ihn an.»So? Wollen Sie es verhindern?»
«Wenn ich kann. «entgegnete Allday bedrückt.
«Ich weiß. «Er seufzte tief auf.»Vielleicht kommt alles zu schnell hintereinander.»
«Der Arzt hat recht, Sir. Ihre Wunde ist noch nicht richtig ausgeheilt, das Fieber hat Sie stärker gepackt, als Sie zugeben wollen.
Und Captain Farquhars Schiffsarzt ist nicht bloß ein Schlächter!«fuhr er bedeutsam fort.»Der ist ein richtiger Doktor. Dafür hat Mr. Farquhar gesorgt!»
Bolitho lächelte nachdenklich. Das sah Farquhar ähnlich.»Mr. Pascoe soll zu mir kommen. Ich will Signale vorbereiten lassen.»
Wieder allein, setzte er sich an den Tisch und starrte auf seine Karte, ohne etwas zu sehen. Er dachte an Catherine Pareja. Was sie jetzt wohl in London machte? Wenn sie auch schon zweimal verwitwet war, so hatte sie doch mehr Leben in sich als die meisten jungen Mädchen, die frisch aus den Armen ihrer Mütter kamen. Niemals hatte sie vom Heiraten gesprochen, nicht einmal eine Andeutung gemacht. Irgend etwas schien sie davon abzuhalten. Eine unausgesprochene Übereinkunft?
Er knöpfte sein spanisches Hemd auf und betastete das kleine Medaillon an seinem Hals. Kate hatte sich nie daran gestört. Vorsichtig öffnete er es und betrachtete die kastanienbraune Locke. Im Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, glänzte sie so blank wie an dem Tag, als er Cheney zum erstenmal gesehen hatte. Damals noch die Verlobte seines Admirals. Cheney Seton, das Mädchen, das er erkämpft und geheiratet hatte.[24] Er schloß das Medaillon und knöpfte das Hemd wieder zu. Nichts hatte sich geändert. Er liebte sie noch immer. Kein Wunder, daß er im Fieber nach ihr gerufen hatte.
Pascoe kam herein, Hut unterm Arm, Signalbuch in der Hand. Bolitho sah ihn an und versuchte seine plötzliche Niedergeschlagenheit zu verbergen, so gut er konnte.
«Na, Adam, nun wollen wir mal sehen, was wir für neue Tricks erfinden können, eh?»
«Kurs Nordost zu Nord, Sir! Liegt an!»
Bolitho hörte den Master mit seinem Rudergänger flüstern, eilte aber zu den Netzkästen an der Reling, in denen jetzt die sauber gepackten Hängematten verstaut waren. Seltsam bleich schimmerten sie im Mondschein.
Farquhar trat zu ihm und meldete:»Wind ist stetig, Sir. Wir sind etwa zwanzig Meilen südwestlich der Insel. Die Buzzard steht in Luv, Sie können ihre Marssegel in der Mondbahn ausmachen.»
«Nichts von einem Boot zu sehen?»
«Nichts. Vor drei Stunden habe ich den anderen Kutter unter Segel losgeschickt. Ob Veitch ihn gesehen hat, weiß ich nicht — jedenfalls hat er weder durch Pistolenschuß noch mit der Laterne Signal gegeben.»
«Na schön. Wie lange, denkt der Master, können wir auf diesem Kurs bleiben?»
«Höchstens eine Stunde, Sir. Dann muß ich meinen Kutter zurückrufen und wenden. Sonst kommen wir zu dicht unter Land; und wenn wir noch einen großen Bogen schlagen müssen, sind wir bei Morgengrauen weiter von der Durchfahrt entfernt, als mir lieb ist.»
«Einverstanden«, sagte Bolitho zögernd.»Also eine Stunde noch.»
«Halten Sie es wirklich für richtig, die Nicator in die nördliche Einfahrt zu schicken, Sir? Wenn Probyn nicht zur rechten Zeit angreift, gibt es eine Katastrophe.»
«Die Durchfahrt ist eng, ich weiß, aber bei einigermaßen günstigem Wind kann es die Nicator schaffen.»
«Ich rede nicht von der Passage oder von der Gefahr, Sir. «Far-quhars Gesicht lag jetzt im Schatten, aber seine Epauletten schimmerten hell auf dem dunklen Uniformrock.»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich kein Vertrauen zum Kommandanten der Nicator habe.»
«Wenn er einsieht, wieviel beim Gelingen der ganzen Aktion von ihm abhängt, wird er seine Pflicht tun.»
Doch Bolitho dachte an Probyns rotes Gesicht, sein Drumherumreden, seine ständigen Bedenken. Aber was konnte er tun? Wenn es so kam, wie er voraussah, würde die Osiris hier das Schlimmste abbekommen und mußte am längsten durchhalten. Er konnte Javal nicht zumuten, seine leichte Fregatte einem schweren Artilleriebeschuß auszusetzen; dessen Anteil an der Aktion war ohnehin schon schwierig genug. Ohne Hilfe der Lysander blieb das Überraschungsmoment eben Sache der Nicator. Anders ging es nicht. Vermutlich war Farquhar jetzt wütend über sich selber, weil er Herrick ohne Unterstützung losgeschickt hatte und nicht nach den Regeln der Geschwadertaktik vorgegangen war. Und dabei hatte er sich schon als Oberkommandierender gefühlt!
«An Deck! Lichtsignal in Luv voraus!»
Eilends trat Bolitho auf der Backbordlaufbrücke und spähte über die bemalte Leinwand.
«Das Signal, bei Gott!«rief Farquhar aus.»Mr. Outhwaite, drehen Sie bei und machen Sie alles klar zum Einholen der Boote!»
Das Schiff wurde lebendig. Wie Gespenster huschten die Matrosen im Mondschein an die Brassen und Fallen.
Hochrufe ertönten, als der erste und gleich danach der zweite Kutter an die Bordwand stieß und Matrosen hinunterkletterten, um mit zuzufassen.
Unter Segeln und Riemen zugleich — das mußte eine zermürbende Fahrt gewesen sein, dachte Bolitho. Er wartete an der Achterdecksreling, die Hände hinterm Rücken fest verschränkt, um seine Ungeduld zu zügeln und nicht mit den anderen zur Fallreepspforte zu rennen. Er sah einen untersetzten, hinkenden Mann und erkannte ihn sofort.
«Mr. Plowman! Hierher!»
Der Steuermannsmaat lehnte sich an die Finknetze und versuchte, zu Atem zu kommen.»Bin ganz schön froh, daß ich hier bin, Sir!«Er deutete nach dem unsichtbaren Land, und Bolitho sah, daß er einen fleckigen Verband um die eine Hand trug; das Blut sickerte durch wie schwarzes Öl.
«Haben das zweite Boot kommen sehen, mußten uns aber verstecken. Die Gegend wimmelt von Patrouillen. Einer sind wir in die Arme gerannt. Das gab eine Keilerei. «Kritisch betrachtete er seine verbundene Hand.»Haben sie aber fertiggemacht.»
«Und Mr. Veitch?«Er wartete auf das Unvermeidliche.
«Dem geht's gut, Sir. Er ist an Land geblieben. Hat mir befohlen, ich soll das Schiff suchen und Ihnen berichten.»
Nach dem dämmrigen Mondschein an Deck wirkten die Kajütlaternen viel zu hell. Bolitho sah, daß Plowman von Kopf bis Fuß vor Schmutz starrte; Gesicht und Arme waren von Steinen und Dornen zerkratzt und zerschrammt.
«Hier, trinken Sie. Was Sie wollen. «Inzwischen waren Farquhar, sein Erster Offizier und hinter ihnen Pascoe in die Kajüte getreten.
Plowman seufzte dankbar.»Dann hätte ich gern einen ordentlichen Brandy, wenn ich bitten darf, Sir.»
«Sie haben ein ganzes Faß voll verdient«, lächelte Bolitho. Stumm wartete er, bis Plowman einen Becher von Farquhars gutem Brandy ausgetrunken hatte.»Jetzt erzählen Sie, was los ist.»
Plowman wischte sich den Mund mit dem Handrücken.»Nichts Gutes, Sir. «Er schüttelte den Kopf.»Wir haben's so gemacht, wie Sie sagten, und Mr. Veitch hat 'n ganz schönen Schreck gekriegt. Genau wie Sie sich dachten, Sir, bloß noch schlimmer.»
«Schiffe?«fragte Farquhar hastig.
«Aye, Sir. Mindestens dreißig. Und davor ankert ein Linienschiff, ein Vierundsiebziger. Und 'ne Fregatte, noch 'ne Fregatte, und ein paar Korvetten — wie der Franzmann, den wir mit der Segu-ra erledigt haben.»
«Donnerwetter!«sagte Farquhar leise.»Das ist ja eine kleine Armada!»
Plowman ging nicht darauf ein.»Aber das ist noch nicht alles, Sir. Die haben zwei von den neuen Geschützen auf die Landspitze geschafft. «Er beugte sich ungelenk über die Karte und stieß mit dem Daumen auf die Stelle.»Da! Wir dachten erst, die löschen alle Schiffe, aber sie haben bloß diese zwei Schönheiten an Land gebracht. Bei Sonnenaufgang trafen wir 'n Schäfer; einer von den Jungs, der ein bißchen Griechisch kann, ist mit ihm ins Gespräch gekommen. Die Inselbewohner sind nicht sehr für die Frogs. Die haben die Insel rein abgegrast. Und die Weiber auch, nach allem, was man hört. Jedenfalls machen die Schiffe seeklar, hat er gesagt. Wollen nach Kreta oder so, da sammeln sich noch mehr.»
«Brueys. Aber warum ist Leutnant Veitch an Land geblieben?«fragte Bolitho ernst. Dabei hatte er die Antwort schon erraten.
«Mr. Veitch denkt, Sie wollen trotzdem angreifen, Sir. Er sagte, Sie werden die Nicator vorschicken. «Grimmig zog er die Brauen zusammen.»Hätte ich nicht die kaputte Hand, ich wäre bei ihm geblieben.»
«Daß Sie zurückgekommen sind, ist mir wichtiger. Und ich danke Ihnen.»
Veitch hatte es von Anfang an erkannt: daß Bolitho, da er nicht mehr Schiffe besaß, keine Verbindung mit der Nicator haben konnte und sie auch vor Morgengrauen, wenn der Zeitpunkt zum Angriff gekommen war, nicht erreichen konnte.
Bolitho goß Plowman wieder ein. Der grinste melancholisch und fuhr fort:»Mr. Veitch sagte, er will versuchen zu helfen, Sir. Er hat drei Freiwillige bei sich — alle drei so verrückt wie er, wenn Sie entschuldigen. Mehr kann ich nicht sagen.»
Er schwankte vor Müdigkeit, und Bolitho befahl:»Allday soll ihn auf die Krankenstation bringen, damit die Hand verbunden wird. Und sorgen Sie dafür, daß beide Bootsmannschaften belohnt werden.»
Er sah ihnen in die Gesichter: Farquhar hatte grimmig die Brauen zusammengezogen; Outhwaite starrte ihn mit seinen feuchten Augen sprachlos und fasziniert an. Und Pascoe fiel das schwarze Haar über ein Auge, als hätte auch er eine Narbe zu verbergen.
«Nun, Captain Farquhar«, fragte Bolitho,»was halten Sie jetzt von der Sache?»
Farquhar zuckte die Achseln.»Wäre nicht die Nicator schon unterwegs, so würde ich Ihnen raten, sich zurückzuziehen, Sir. Es hat keinen Sinn, Ihre Ehre höher einzustufen als den Verlust eines ganzen Geschwaders. Wir haben darauf gesetzt, daß die Franzosen ihre kostbare schwere Artillerie eingepackt lassen und sich mit konventionellen Geschützen begnügen würden. «Er warf einen kurzen Blick auf Plowman, der erschöpft in seinem Stuhl eingeschlafen war.»Aber wenn Kerle wie er und Leutnant Veitch bereit sind, ihr Leben durch die Ankerklüse zu schmeißen — ja, dann werde ich wohl desgleichen tun!»
Gelassen blickte er seinen Ersten Offizier an.»Befehl vom Kommodore: eine warme Mahlzeit und eine doppelte Portion Rum für alle Mann, Mr. Outhwaite. Danach können Sie das Kombüsenfeuer löschen und das Schiff gefechtsbereit machen lassen. Die Leute werden heute nacht neben den Kanonen schlafen — wenn sie schlafen können. Und nun, Sir, bitte ich, mich zu entschuldigen. Ich habe Briefe zu schreiben.»
Als sie allein waren, sagte Bolitho zu Pascoe:»Adam, ich wünschte, du wärst auf einem anderen Schiff. Überall anderswo als hier.»
Pascoe sah ihn forschend an.»Mir ist es ganz recht so, Onkel. «Bolitho trat ans Fenster und blickte auf den silbernen Glanz im Wasser hinaus. Wie auf gekräuselter Seide wechselten die Muster unaufhörlich. An wen schrieb Farquhar wohl? An die Admiralität? An seine Mutter?
«Mein Verwalter in Falmouth«, sagte er,»hat einen Brief in Verwahrung, Adam. Für dich.»
Pascoe trat neben ihn; er sah sein Spiegelbild in der dicken Scheibe. Wie Brüder sahen sie aus in dem seltsamen Licht.
«Sag nichts. «Bolitho legte ihm den Arm um die Schulter.»In dem Brief steht, was du zunächst tun mußt. Alles andere ist dann deine Sache.»
«Aber Onkel«, sagte Pascoe mit zitternder Stimme,»du darfst nicht so sprechen.»
«Es muß aber gesagt werden. «Lächelnd wandte er sich zu ihm um.»So wie es auch mir einst gesagt worden ist. Und jetzt«-, er verdrängte den Schmerz aus seinen Gedanken — ,»müssen wir Mr. Plowman nach unten bringen.»
Doch als sie sich umdrehten, sahen sie, daß Plowman schon weg war.