Joshua Moffitt, persönlicher Schreiber des Kommodore, tippte sich mit der Feder an die Zähne und wartete. Bolitho hatte sich im Schreibtischsessel zurückgelehnt und trank einen Schluck Kaffee.
Er ließ die starke Flüssigkeit in den Magen rinnen und versuchte, sich auf den Bericht an den Admiral zu konzentrieren, den er eben diktierte. Nur für den Fall, daß er jemals abgesandt und auch gelesen wurde.
Er wußte, daß Moffitt ihn beobachtete, doch im Lauf der Zeit hatte er sich einigermaßen an dieses merkwürdige, gläserne Starren gewöhnt. In der Schlafkajüte nebenan machte Ozzard, der Kajütsteward, das Bett zurecht; er bewegte sich so leise, daß seine Füße kaum auf den Planken zu hören waren. Was für ein seltsames Schicksal diese beiden Männer in ihre gegenwärtigen Lebensstellungen gebracht hatte! Ozzard, der sich um Bolithos tägliche Bedürfnisse kümmerte, vom Rasierwasser bis zum frischen Hemd, sollte angeblich Anwaltsschreiber gewesen sein. Jedenfalls war er gebildeter als mancher Offizier. Moffitt dagegen, zu dessen Pflichten das sorgfältige Niederschreiben jeder Order und Depesche, das Registrieren der persönlichen Signale Bolithos und das Ausschreiben der Instruktionen für die Kommandanten des Geschwaders umfaßten, war ein Produkt der Slums. Er hatte strähniges, graues Haar und gläsern starre Augen, die aus seinem pergamenthäutigen Schädel spähten wie die eines Halbtoten. Oder, wie es Allday einmal recht unfreundlich ausgedrückt hatte:»Ich habe schon manchen Schurken am Galgen baumeln sehen, der besser aussah!»
Bolitho hatte nur wenig über Moffitt erfahren können. Er sollte im Schuldgefängnis auf seinen Abtransport nach der neuen Strafkolonie in der Botany Bay[15] gewartet haben. Ein hoffnungsvoller Leutnant mit einem gerichtlichen Patent zur Anwerbung von Rekruten für Seiner Majestät Kriegsflotte war in diesem Gefängnis erschienen; und mit mehreren anderen hatte Moffitt ein neues Leben begonnen. Sein erstes Schiff war ein Achtzig-Kanonen-Zweidecker gewesen; in einem kurzen Scharmützel vor Ushant[16] war der Kapitänsschreiber von einer verirrten Musketenkugel getötet worden. Moffitt hatte die Gelegenheit genutzt und durch Übernahme von dessen Pflichten einen weiteren Wechsel in seinen Le-bensumständen bewirkt. In Spithead wurde er auf die Lysander versetzt und hatte sich bereitwillig als Kommodore-Schreiber angeboten, bis sich ein Geeigneterer fand. Bei dem hektischen Betrieb angesichts der Neuausrüstung und Reparatur konnte Moffitt unauffällig in seine neue Rolle schlüpfen.
Bolitho schaute in seinen Becher. Es wäre nur zu leicht gewesen, Ozzard nach frischem Kaffee zu schicken. Kaffee war eine seiner Schwächen. Aber er wollte sich an seine Regeln halten und seinen Vorrat so lange wie möglich strecken.
Er hörte das beharrliche Klopfen der Hämmer. Die Reparaturarbeiten gingen pausenlos weiter. Dies war der vierte Morgen nach dem Gefecht. Die Lysander, gefolgt von der Schaluppe und der Prise, war langsam weiter nordostwärts gekrochen; die Leute arbe i-teten, bis es dunkel wurde, damit das Schiff für den Notfall wieder kampfbereit war.
Noch einmal vergegenwärtigte er sich die Karte, die er vor seinem frugalen Frühstück studiert hatte. Sie waren gezwungen, sehr langsam zu segeln. Zerfetzte Leinwand mußte von den Rahen genommen und geflickt oder ersetzt werden. Der Klüverbaum mußte nach der Kollision mit dem französischen Vierundsiebziger fast ganz neugetakelt werden; Bolitho war durchaus mit Herrick einverstanden, der in seinem Bericht den Schiffszimmermann Tuke wegen Fleißes und sauberer Arbeit gelobt hatte.
Mit Recht hatte Herrick auch über Leutnant Veitch sehr Günstiges geschrieben. Der Dritte Offizier hatte während des ganzen Gefechts die Batterien befehligt; und darüber hinaus hatte er selbständig, ohne um Rat oder Erlaubnis zu fragen, seine Geschütze doppelt laden lassen, um den Karronadenbeschuß zu unterstützen. Doppelte Ladung war schon unter besten Bedingungen und mit erfahrenen Mannschaften eine riskante Sache. Und doch hatte
Veitch einen genügend klaren Kopf bewahrt, um die richtigen Männer aus den gerade nicht beschäftigten Geschützbedienungen herauszusuchen. Auch Midshipman Luce, Bootsmann Yeo und Major Leroux waren, Bolithos Zustimmung vorausgesetzt, im Bericht des Kommandanten lobend erwähnt worden. Jedoch die Kehrseite der Medaille: Dreizehn Mann der Lysander waren in der Schlacht gefallen oder später an ihren Verletzungen gestorben. Der Schiffsarzt hatte noch fünf gemeldet, die jeden Moment sterben konnten, und zehn andere, die mit einigem Glück wieder dienstfähig werden würden.
Die Verluste des Feindes waren vermutlich weit höher; dazu kam noch die Blamage, von einem einzelnen Schiff in die Flucht geschlagen worden zu sein. Doch wo es sich um Menschen handelte, war das ein geringer Trost. Man mußte noch Wochen, vielleicht noch Monate, ohne Ersatz auskommen. Muskeln und Knochen waren wesentlicher als Hanf und Eichenholz; die Menschen selber waren für das Schiff schlechthin lebenswichtig.
Bolitho versuchte, nicht an seinen eigenen Bericht zu denken, der noch unvollendet neben Moffitts knochigem Ellbogen lag.
«Fahren wir fort, Sir?«fragte der Schreiber. Seine Stimme war wie der ganze Mann dünn und kratzig. Laut Musterrolle war er achtunddreißig, doch sah er eher wie sechzig aus.
Bolitho musterte ihn nachdenklich.»Wie weit sind wir?»
Die Feder glitt übers Papier: «Während der ganzen Aktion war das Schiff ständig unter Kontrolle, und nur als es im Rigg des zwe i-ten französischen Schiffes verstrickt war, ist es etwas abgetrieben.«Die gläsernen Augen hoben sich.»Sir?»
Bolitho stand auf und ging zur Heckgalerie, die Hände auf dem Rücken. Er konnte Herricks Gesicht nicht aus seinen Gedanken verdrängen, wie es während des Gefechts, in dem Moment, als die Kollision sich als unvermeidlich erwies, ausgesehen hatte. Das war der entscheidende Augenblick gewesen. Es war stärker als der Kanonendonner, die furchtbaren Schreie, das zuckende Scharlachrot beim Ruder: in diesen entscheidenden Minuten hatte Herrick gezögert. Noch schlimmer: als die Franzosen die Initiative an sich gerissen hatten und das Schiff von beiden Seiten angreifen konnten, hatte Herrick die falsche Entscheidung getroffen. Bolitho war, als höre er wieder seine Stimme hier in der Kajüte: die Angst, mit der er Gilchrist befohlen hatte, die Enterer abzuwehren. Eben das war falsch gewesen. Eine Defensivmaßnahme in diesem Stadium hätte den Kampfeswillen der Mannschaft erstickt; ebensogut hätte man die Flagge der Lysander vor ihren Augen streichen können.
Er zwang sich dazu, Herrick als den Kommandanten der Lysan-der zu betrachten und nicht als Thomas Herrick, seinen Freund. Früher hätte er jeden höheren Offizier verachtet, der aus Freundschaft Versagen oder Unfähigkeit deckte. Doch jetzt wußte er, Entscheidungen fielen nicht so leicht und auch nicht so frei von Vorurteil. Herrick hatte ihn beinahe beschworen, auf dem Achterdeck zu bleiben und sich nicht am Kampf zu beteiligen. War das reine Freundschaft, oder weil er Bolithos Rat und Entschlußkraft nicht entbehren konnte? Bolitho hatte bemerkt, wenn auch erst viel später, daß der französische Kommandant achtern geblieben war, während sich seine Männer, die die Lysander geentert hatten, auf blutigem Pfad vorwärtskämpften. Wie wäre der Kampf verlaufen, überlegte Bolitho, wenn der französische Kommandant an der Spitze seiner Männer in vorderster Front gekämpft hätte, unter Gefahr für Leib und Leben, während sein britischer Gegenpart sich herausgehalten hätte und in verhältnismäßiger Sicherheit geblieben wäre?
Er stützte sich auf das Süll unter dem salzfleckigen Fenster. Herrick war kein Feigling und konnte ebensowenig unloyal handeln wie seine Schwester verraten. Aber auf dem Achterdeck, als er am allernötigsten gebraucht wurde, hatte er versagt.
«Ich diktiere später zu Ende, Moffitt«, sagte Bolitho kurz. Er wandte sich ab und glaubte, in den Augen des Schreibers einen Funken Neugier aufglänzen zu sehen.»Sie können schon ins reine schreiben, was wir bisher erledigt haben. «Damit war Moffitt zunächst einmal beschäftigt, und Bolitho konnte den Abschluß des Berichts noch etwas aufschieben.
Es klopfte, und Herrick trat ein.»Ich dachte, Sie würden es sofort wissen wollen, Sir: Die Harebell hat signalisiert, daß sie im Osten zwei Segel gesichtet hat. «Seine blauen Augen streiften Moffitt.»Höchstwahrscheinlich ist es das Geschwader. «Bitter fügte er hinzu:»Diesmal!»
Bolitho sah, daß sein Blick auf den Bericht fiel, und verspürte ein gewisses Schuldgefühl; als hätte Herrick seine Gedanken gelesen, seine bitteren Zweifel.»Danke. Wie ist unsere Position?»
Herrick runzelte die Stirn.»Bei acht Glasen waren wir vierzig Meilen nördlich der Insel Mallorca. Bei der langsamen Fahrt, die wir machen, und den Schäden an Segeln und Ruder will sich selbst der Master nicht genauer festlegen.»
«Sie können gehen, Moffitt«, sagte Bolitho. Er hörte, wie Ozzard aus der Schlafkajüte direkt auf den Gang hinaustrat.
«Ihre Befehle, Sir?«fragte Herrick.
«Wenn wir wieder zum Geschwader stoßen, will ich eine Kommandantenbesprechung abhalten. «Bolitho trat ans Fenster und sah Herricks Spiegelbild in dem dicken Glas.»Sobald mir Captain Farquhar erklärt hat, warum er mit dem Rendezvous bis jetzt gewartet hat, werde ich darlegen, wie ich mir unser weiteres Vorgehen denke. Als Flaggkapitän müssen Sie dafür sorgen, daß jedes Schiff, von der Lysander bis zur Harebell, meine Dienstanweisungen genau versteht. Für mich ist Initiative ein durchaus brauchbarer Ersatz für blinden Gehorsam. Aber ich wünsche keine Manöver auf eigene Faust, und noch weniger dulde ich blanken Ungehorsam.»
«Ich verstehe, Sir«, erwiderte Herrick.
Bolitho wandte sich um und sah ihm ins Gesicht.»Was denken Sie, Thomas? «Er wartete gespannt. Herrick sollte sich aussprechen.»Was denken Sie wirklich?»
Herrick hob die Schulter.»Ich glaube, Farquhar ist eigennützig, er giert nach Beförderung und wird, so oft er nur kann, nach eigenem Ermessen und zu eigenem Nutzen handeln.»
«Aha.»
Bolitho trat an sein Weinkabinett und fuhr mit dem Finger über das Holz. Er sah sie noch vor sich, wie sie ihn anlächelte, hatte noch ihr ansteckendes Lachen im Ohr, als sie sah, wie sehr er sich über das Geschenk freute. Ihre Liebe war so warm, so großherzig gewesen. Und rücksichtslos war sie jedem über den Mund gefahren, der es gewagt hatte, sich über ihre Affäre kritisch zu äußern.
«Ist das alles, Sir?«Herrick sah müde und mißmutig aus.
«Nein, Thomas. «Bolitho wandte sich ab; Herrick wirkte so abgespannt, daß er ihm leid tat. Vermutlich hatte er seit dem Gefecht höchstens eine Stunde oder zwei geschlafen.»Es ist leider nicht alles. «Er deutete auf einen Stuhl, doch Herrick blieb stehen, Bo-litho hatte es vorhergewußt. Er fluchte innerlich. Das eben war das Schlimme. Sie kannten einander so gut, daß sie sich Konflikte eigentlich nicht leisten konnten. Er begann:»Ich habe meinen Bericht an den Admiral fertigzustellen. Früher oder später muß ich ihm eine Depesche schicken, meine persönliche Meinung zur Lage. Davon könnte ein ganz neues strategisches Konzept abhängen. Wenn ich die Lage falsch beurteile, steht viel mehr als nur mein Kopf auf dem Spiel. Wenn St. Vincent eine große Flotte ins Mittelmeer schickt und wir später entdecken, daß die Franzosen im Westen sind statt im Osten, vielleicht um zu ihren Geschwadern in den Biskayahäfen zu stoßen, dann geht es nicht nur um eine verlorene Schlacht, sondern unter Umständen um England.»
«Das ist mir klar, Sir. Eine schwere Verantwortung.»
Bolitho starrte ihn an.»Wollen Sie mir ausweichen? Sie wissen verdammt genau, was ich meine! Wir sind auf einer hochwichtigen Mission, für deren Erfolg kein Risiko zu groß ist. Wenn ich dem Admiral meine erste Depesche schicke, muß ich ihm auch über den Zustand meines Geschwaders berichten.»
Herrick starrte zurück.»Während sich die übrigen Schiffe unseres Geschwaders irgendwo herumgetrieben haben, Sir, haben unsere Leute besser gekämpft, als ich es für möglich gehalten hätte. Das habe ich auch in meinem eigenen Bericht zum Ausdruck gebracht.»
Traurig schüttelte Bolitho den Kopf.»Und was ist mit Ihnen selbst, Thomas? Was soll ich über Sie schreiben?»
Herrick sah auf einmal todmüde aus.
«Ich rede nicht von Ihrer Seemannschaft«, fuhr Bolitho fort,»auch nicht von Ihrer Schiffsführung unter Beschuß — die zu kritisieren, besteht kein Anlaß.»
Herrick sah an ihm vorbei.»Ich habe mein Bestes getan.»
Bolitho zögerte, doch er wußte, daß jetzt, und nur jetzt, der richtige Moment war.»Es war aber nicht gut genug«, sagte er rundweg,»und das wissen Sie.»
Ein Ruf des Ausgucks ertönte von oben:»An Deck! Segel in Lee voraus!«Also kamen Farquhars Schiffe in Sicht — wenn sie es waren.
«Falls das Ihre Meinung ist, Sir«, erwiderte Herrick,»dann schlage ich vor, Sie schreiben es auch in Ihren Bericht.»
Bolitho wurde beinahe wütend.»Seien Sie doch nicht so ein verdammter Narr!«Das Blut stieg ihm zu Kopf, die Wildheit der Schlacht erwachte wieder.»Sie waren zu langsam, Thomas. Sie haben vor jeder Entscheidung zu lange gezögert. Sie wissen so gut wie ich, daß in einem Gefecht Breitseite gegen Breitseite keine Zeit zum Nachdenken ist.»
Herrick blieb bei diesem Zornesausbruch äußerlich ruhig.»Glauben Sie, ich weiß das nicht?«Hilflos, verzweifelt hob er die Schultern.»Schon als ich voriges Jahr die Impulsive verlor, kamen mir Zweifel. Zweifel an meinen Kräften, an meinen Nerven, wenn Sie wollen. «Er blickte zur Seite.»Ich habe die Lysander in diese Bucht gesegelt, weil ich nicht anders konnte; irgend etwas zog mich hin, wie in alten Zeiten, wenn ich einfach wußte, es muß getan werden. Sie hatten nicht signalisiert, aber irgendwie wußte ich, daß Sie da waren und auf mich warteten. Es war vielleicht dasselbe Gefühl, das Sie bei Adam Pascoe hatten. Das sitzt tiefer als alle Logik.»
«Und vor vier Tagen?»
Wieder blickte Herrick ihn an.»Ich habe diese beiden Schiffe stundenlang beobachtet, wie sie immer näher kamen. Habe mir ihre Besatzungen vorgestellt, wie sie mit ihren Kanonen auf mich zielten. Und als Sie sich entschlossen, allein, ohne Unterstützung anzugreifen, da konnte ich mich kaum rühren und kaum ein Wort herausbringen. Ich hörte meine Stimme wie von fern, als ich die Befehle gab. Aber dahinter war alles wie aus Stein. Wie tot. «Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.»Ich kann nicht mehr. Seit der Schlacht im vorigen Jahr weiß ich das.»
Bolitho stand auf und ging langsam zum Fenster. Er erinnerte sich, wie aufgeregt Herrick damals gewesen war, als er auf der Admiralität die Ernennung zum Flaggkapitän bekam. Herricks Freude war ebenso groß gewesen wie seine eigene. Über die Gefahren und Tücken ihrer Mission hatten sie sich keine Gedanken gemacht, beide hatten sie sich nicht gefragt, ob sie all dem gewachsen waren.
«Sie sind so müde, daß Sie nicht richtig denken können, Thomas.»
«Bitte, Sir«, erwiderte Herrick heiser,»bemitleiden Sie mich nicht, demütigen Sie mich nicht noch durch Ihr Verständnis! Sie wissen, was mich das kostet, also ersparen Sie mir in Gottes Namen noch weitere Beschämung!»
Draußen auf dem Gang waren Schritte zu hören, und Bolitho sagte:»Lassen Sie mich allein. Ich möchte nachdenken. «Er versuchte, die richtigen Worte zu finden, und war wütend über sich selbst, weil Herrick ihm solchen Schmerz antun konnte.»Sie sind mir zu wertvoll, als daß ich etwas falsch machen möchte.»
Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und Midshipman Saxby steckte den Kopf in die Kajüte.»Captain, Sir?«Zahnlückig und ängstlich grinste er, als er Bolitho sah.»Mr. Gilchrist läßt respektvoll fragen, ob Sie an Deck kommen können?»
Da Herrick nicht gleich antwortete, fragte Bolitho:»Ist was nicht in Ordnung?»
Saxby schluckte hinunter.»N-nein, Sir. Der Erste Offizier wünscht die Anwesenheit der Mannschaft beim Strafvollzug.»
Herrick erwachte aus seinem Sinnen.»Ich komme, Mr. Saxby. «Und mit einem Blick auf Bolitho:»Entschuldigung, Sir.»
Lange sah Bolitho auf die geschlossene Tür. Es war, als hätten Herricks Augen durch eine fremde Maske geblickt. Ein Gefangener. Wie hatte er gesagt? Wie tot.
Er fuhr herum, als Ozzard lautlos durch die andere Tür in die Kajüte kam. Oben und vor der Schottwand hörte er Leroux' MarineInfanteristen in ihren Stiefeln trampeln, und dann die leichtfüßigen Matrosen, die sich an Deck versammelten, um dem Strafvollzug beizuwohnen.
«Kann ich irgend etwas tun, Sir?«fragte Ozzard leise.
Bolitho sah zum Skylight auf und hörte die dumpfen Hammerschläge, mit denen die Gräting aufgeriggt wurde, an der dieser Mann festgebunden und ausgepeitscht werden sollte.
«Ja! Machen Sie das verdammte Skylight zu!«Er runzelte die Stirn.»Pardon, ich wollte Sie nicht anschreien.»
Er schritt zur anderen Seite. Hole der Satan Gilchrist und seine Strafen! Was wollte er damit beweisen, und wem?
Vorsichtig sagte Ozzard:»Ihr Schreiber ist draußen, Sir.«»Soll 'reinkommen!»
Moffitt trat in die Kajüte und blinzelte in das gespiegelte Sonnenlicht.»Ich habe den ersten Teil fertig, Sir, und dachte…»
«Warten Sie. «Bolitho sprach lauter, um das Klatschen der Peitsche auf eines Mannes nacktem Rücken zu übertönen.»Ich diktiere Ihnen einen Brief.»
An Deck ein kurzer Trommelwirbel, dann wieder der flache, klatschende Schlag der neunschwänzigen Katze auf nackter Haut.
«Wollen Sie anfangen, Sir?»
Ebenso wie Ozzard, der seelenruhig vor sich hin summend nebenan in der Schlafkajüte wirtschaftete, war Moffitt von dem langwierigen Ritual des Strafvollzuges völlig unbeeindruckt. Während er…
«An Captain Charles Farquhar von Seiner Britannischen Majestät Schiff Osiris.»
Bolitho legte die Stirn an die sonnenwarme Fensterscheibe und blickte auf das schäumende Wasser unterm Heck. Wie einladend das war. Kühl. Reinigend. Hinter sich hörte er Moffitts Federkiel über das Papier kratzen. Er stockte durchaus nicht beim Wirbel der Trommel, beim Schlag der Peitsche. Farquhar würde gute Gründe dafür haben, daß er seine Position verlassen hatte, ganz bestimmt.
«Sir?»
Bolitho preßte die Fäuste gegen die Oberschenkel, bis der Schmerz stärker war als seine Nervosität.
«Bei Empfang dieser Order werden Sie auf das Flaggschiff Lysander versetzt…«Er zögerte wieder und kämpfte mit sich selbst… »um dort die mit Ihrer Ernennung zum Flaggkapitän verbundenen Pflichten zu übernehmen.»
Diesmal stockte der Kiel. Bolitho fuhr fort: «Ihr gegenwärtiges Kommando übernimmt Captain Thomas Herrick.»
Er schritt zum Tisch und sah Moffitt über die schmale Schulter.»Zwei Kopien. Gleich. «Er nahm dem Schreiber die Feder aus der Hand, der sie anstarrte, als wolle er sie bannen. Mit fast wütendem Schwung setzt er unter den Text: «Eigenhändig unterschrieben an Bord Seiner Majestät Schiff Lysander, gezeichnet Richard Bolitho, Commodore.»
Es war getan.
Thomas Herrick hatte die Mannschaft nach dem Strafvollzug wegtreten lassen. Die näherkommenden Schiffe waren als Osiris und Nicator identifiziert worden. Nun trat Herrick wieder in Bo-lithos Kajüte, um Meldung zu machen.
Bolitho saß unter den großen Fenstern und blickte auf die lebhaft schwingenden Rahen der Osiris hinaus, deren Segel den Wind aufnahmen, so daß sie sich wieder auf ihre Position achteraus von der Lysander begeben konnte.
«Beide Kommandanten sollen sofort an Bord kommen«, sagte er.
«Jawohl, Sir«, antwortete Herrick müde.»Ich habe schon signalisiert. Wenn alle Schiffe auf ihren Positionen sind, drehe ich bei. Die Osiris will schnellstens berichten.»
Bolitho nickte. Farquhar mußte Neuigkeiten haben, wichtige Neuigkeiten, deretwegen er das vereinbarte Treffen nicht eingehalten hatte. Bolitho sah nicht nach dem versiegelten Umschlag hin. Die Neuigkeit, die er hatte, würde selbst den blasierten Farquhar überraschen.
Er sagte:»Ich habe das, was Sie mir vorhin anvertraut haben, in meinem offiziellen Logbuch nicht erwähnt, auch nicht in meinem Bericht an den Admiral.»
Er sah, wie Herrick die Schultern sinken ließ.»Aber ich nehme es selbstverständlich zur Kenntnis. «Oben klapperten Blöcke und knarrten Taljen, denn das Schiff rollte schwer unter verringerten Segeln; jede Minute konnten die anderen Kommandanten eintreffen. Dann ging es noch einmal von vorn los. Er sprach weiter:»Ich könnte meinen Stander auf einem anderen Schiff hissen, Thomas. Aber ich habe so etwas schon einmal erlebt und erinnere mich nur zu gut daran, welche Folgen das hatte. Die ganze Besatzung empfand das als einen persönlichen Vorwurf, als ein Mißtrauensvotum des Admirals. Ich hielt das damals für unfair und tue es heute noch.»
Herricks Stimme war heiser.»Ich verstehe. Der Gedanke an mein Versagen und was es bedeutet, ist mir alles andere als angenehm. Aber ich will auch nicht gegen etwas protestieren, das meine Schuld ist. «Hilflos zuckte er die Achseln.»Meine Einstellung zur
Marine und zu Ihnen ist derart, daß ich mich lieber umbringen würde, als Menschenleben und die Interessen meines Landes zu gefährden, um meine Fehler zuzudecken.»
Bolitho sah ihn mitleidig an.»Ich habe nicht die Absicht, Sie Ihres Dienstes zu entheben.»
Herrick fuhr auf.»Warum haben Sie mich dann…»
Bolitho stand rasch auf.»Was hätte ich denn machen sollen? Gilchrist das Kommando übergeben und Sie nach Hause schicken? Oder Sie vielleicht gegen Javal austauschen, obwohl wir bloß eine Fregatte für die ganze Mission haben?«Er blickte zur Seite.»Ich gebe Ihnen die Osiris. Sie ist ein gutes Schiff mit hohem Ausbildungsstand. «Herrick atmete heftig ein, aber Bolitho achtete nicht darauf und fuhr fort:»Sie brauchen sich dann nicht mehr mit Geschwaderangelegenheiten herumzuärgern, sondern können Sich auf Ihr Schiff konzentrieren. Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache. Aber Ihnen traue ich zu, mehr als jedem anderen, daß Sie voll und ganz Ihre Pflicht tun.»
Langsam drehte er sich wieder um und sah zu seiner Bestürzung, daß Herrick, genau wie vorher, unnatürlich ruhig war.»Farquhar wird hier vorläufig Ihren Dienst übernehmen, bis.»
Herrick nickte.»Wie Sie befehlen, Sir.»
«Befehlen?«Bolitho trat einen Schritt zu ihm hin.»Glauben Sie, ich mute Ihnen zu, daß Sie Tag für Tag den Offizieren und Mannschaften ins Gesicht sehen müssen, die Sie ausgebildet und befehligt haben, seit Sie auf der Lysander sind? Und daß Sie dabei in jeder Sekunde Angst haben, Sie könnten ihnen auf irgendeine We i-se nicht gerecht werden?«Er schüttelte den Kopf.»Das mache ich nicht. Ebensowenig will ich die Kampfkraft des Geschwaders aufs Spiel setzen, weil Ihre Freundschaft mir kostbar ist.»
Herrick blickte sich in der Kajüte um.»Gut. Ich packe dann meine Sachen und gehe von Bord.»
«Kein Schatten wird auf Sie fallen, Thomas. Dafür sorge ich. Aber lieber sähe ich Sie als Kommandanten einer uralten Brigg, als daß Ihnen an Land das Herz bricht, weil Sie dem einzigen Leben entrissen sind, das Sie lieben und für das Sie so viel geopfert haben.»
Anscheinend war Herrick im Moment etwas verwirrt.»Farquhar!«sagte er.»Den habe ich nie leiden können. Schon als Mids-hipman nicht. «Er wandte sich zur Tür.»Daß es so enden würde, hätte ich nie gedacht.»
Bolitho kam quer durch die Kajüte auf ihn zu und reichte ihm die Hand.»Nicht enden, Thomas!»
Aber Herricks Hände blieben unten.»Wir werden ja sehen, Sir. «Er ging hinaus, ohne sich umzusehen.
Dann kam Allday. Nach kurzem Zögern nahm er den Degen von seinem Gestell und prüfte ihn.
Bolitho setzte sich wieder auf die Fensterbank und sah ihm trübselig dabei zu.
«Käpt'n Herrick geht also von Bord, Sir?«Aber Alldays Augen ruhten auf dem Degen.
«Fangen Sie nicht auch noch mit mir an, Allday!«Aber es klang keineswegs gereizt.»Ich habe die Nase voll für diesen Tag. Für tausend Tage.»
Alldays Augen waren sehr klar in dem reflektierten Licht.»Sie haben das Richtige getan, Sir. «Er lächelte melancholisch.»Ich bin bloß ein einfacher Seemann, und wenn Sie nicht wären, arbeitete ich im Mast und könnte für jede lausige Kleinigkeit ausgepeitscht werden. Aber ich habe meine festen Ansichten über die, denen ich diene und — «, er schien das richtige Wort nicht zu finden — ,»für die ich was übrig habe. «Sorgfältig zog er den alten Degen aus der Scheide und hielt die Klinge in die Sonne, als prüfe er die Schneide.»Käpt'n Herrick ist ein guter Mann. Auf einem anderen Schiff wird er sich schon wieder fangen. «Mit scharfem Klicken stieß er die Klinge wieder hinein.»Und wenn nicht — dann ist das Flaggschiff erst recht nicht der Ort für ihn.»
Bolitho starrte Allday an. Es war schon oft so gewesen; aber noch nie hatte er Alldays moralische Unterstützung so nötig gebraucht wie jetzt. Auf seinem Schiff, ja in seinem ganzen kleinen Geschwader gab es keinen Menschen, mit dem er seine Ängste, seine Zweifel wirklich teilen konnte. Als er aus der Offiziersmesse in die Kapitänskajüte übergewechselt war, und erst recht später, als er seinen Kommodorewimpel bekommen hatte, mußte er sich eines solchen Luxus' ein für allemal entsagen.
Gelassen sprach Allday weiter:»Als ich auf Ihr Schiff gepreßt wurde, hatte ich mir vorgenommen, bei der ersten Gelegenheit abzuhauen. Ich wußte genau, was auf Desertion steht, aber ich war fest entschlossen. Und dann, bei den Saintes,[17] als uns die Kanonenkugeln so dicht um die Ohren flogen, daß man sich nicht einmal mehr auf den lieben Gott verlassen konnte, da habe ich mal nach achtern geschaut und Sie gesehen. Und da wußte ich, es gibt Kommandanten, die ein Herz für unsereinen haben, für uns arme Trottel, die für König und Vaterland auch noch hurra rufen sollen, wenn sie in die feindliche Linie segeln.»
«Ich glaube, Sie haben jetzt genug gesagt«, unterbrach Bolitho leise. Während Alldays Tirade hatte er den Kopf nicht erhoben.
«Nur Sie selber«, fuhr Allday fast verzweifelt fort,»Sie sehen das nie, Sir. Sie machen sich Sorgen um Käpt'n Herrick, oder was für Chancen wir gegen diesen oder jenen Feind haben, aber nie nehmen Sie sich Zeit, an sich zu denken. «Er riß sich zusammen, denn Ozzard, Bolithos Rock und Hut in Händen, kam durch die andere Tür hereingeschlichen.»Aber was vorbei ist, ist vorbei; es wird schon in Ordnung gehen.»
Bolitho stand auf; mit starren Augen, die nichts sahen, ließ er sich in den Rock helfen. Das Degenkoppel gab ihm Halt. Allday hatte von Anfang an, vielleicht schon als Herrick zum Flaggkapitän ernannt worden war, begriffen, wie die Dinge lagen.
«Ich gehe an Deck und begrüße die Kommandanten«, sagte er. Und dann sage ich Herrick auf Wiedersehen, fügte er in Gedanken hinzu.»Danke, daß Sie — «, er blickte in Alldays vertrautes Gesicht — ,»daß Sie mich erinnert haben.»
Damit ging er hinaus.
Allday sah ihm nach und legte Ozzard den Arm um die Schulter.
«Bei Gott, nicht für 'n Dutzend Mädels und einen Ozean voll Rum möchte ich seinen Posten haben!»
Ozzard grinste.»Den wird man dir auch kaum anbieten.»
An Deck war es noch hell. Die abendliche See hatte eine lebhafte Kräuselung bei langer flacher Dünung. Die drei Linienschiffe lagen mit killenden Segeln beigedreht und hatten ihre Boote ausgesetzt. Zu jeder anderen Zeit hätte Bolitho bei diesem Anblick das Herz im
Leibe gelacht. Jetzt, als er auf der Kampanje stand und die beiden Boote in raschem Tempo auf die Lysander zukommen sah, war ihm zumute wie bei einem schweren Verlust.
Den Hut tief ins Gesicht gezogen, stand Herrick an der Leereling. Dicht neben ihm wartete Gilchrist, die Arme verschränkt, die dünnen Beine gespreizt, um die unregelmäßigen Bewegungen des Schiffes abzufangen. Spuren des Gefechtes waren kaum noch zu sehen: ein paar helle Stellen in den Planken, wo der Zimmermann und seine Maaten ihr Werk getan hatten; frische Farbe, wo etwas ersetzt worden war. Die Segel über dem geschäftigen Deck waren sauber geflickt. Nur schwer konnte man sich noch Pulverqualm und Kampfgetöse vorstellen.
Kaum wagte sich Bolitho auszumalen, was Herrick in diesem Moment dachte. Er mußte sehr stolz darauf sein, wie gut seine Mannschaft gekämpft und alles Schlimme hinterher verkraftet hatte. Noch vor ein paar Monaten hatten die meisten dieser tüchtigen Seeleute an Land gearbeitet, auf einer Farm, in der Stadt, mit mehr oder weniger Können und Erfolg, und hatten nicht entfernt daran gedacht, daß sie einmal auf einem Kriegsschiff dienen würden.
Es würde ihnen leid tun, daß ihr Kommandant von Bord ging. Besonders für die neuen Matrosen war Herrick so etwas wie einer von ihnen, in gewisser Hinsicht ein Anfänger wie sie selbst. Empfanden sie Bedauern oder Ärger, so mußte es sich gegen den Kommodore richten. Nun, damit würde er notfalls schon noch fertig werden, dachte er grimmig. Auf keinen Fall durfte das gute Andenken an Herrick durch diese Entscheidung beeinträchtigt werden, mochte sie nun richtig oder falsch gewesen sein.
Das erste Boot machte jetzt an den Rüsten fest. Es war Farquhar. Natürlich. Er stieg so elegant und schick durch die Fallreepspforte, als käme er von seinem Londoner Schneider. Als er grüßend den Hut zum Achterdeck hin lüftete, glitten seine Blicke gelassen über die angetretenen Marine-Infanteristen und ihre blinkenden Bajonette. Sein hellblondes Haar, im Nacken zusammengebunden, glänzte über dem Kragen wie blasses Gold.
Bolitho beobachtete ihn, wie er Herrick die Hand schüttelte. Wie schlecht die beiden zusammenpaßten! Farquhars Onkel, Sir Henry
Longford, war Bolithos erster Kommandant gewesen, als er, zwölf Jahre alt, mit ehrfurchtsvollem, erschrockenem Staunen an Bord des Achtzig-Kanonen-Schiffes Manxman[18] gekommen war. Vierzehn Jahre später hatte ihm Longford, inzwischen Admiral, eine Fregatte gegeben, der sein Neffe als Midshipman zugeteilt wurde. Und jetzt war Farquhar, Anfang Dreißig und Fregattenkapitän, wieder bei ihm. Wenn er den Krieg überlebte, würde er zu hohem Rang aufsteigen, in der Flotte wie in der Heimat. Bolitho hatte von Anfang an nicht daran gezweifelt, und Herrick hatte sich nie damit abgefunden.
Wieder trillerten die Pfeifen, und George Probyn von der Nica-tor, unordentlich wie immer, schob sich durch die Pforte.
Auf der anderen Seite des Achterdecks stand Pascoe bei Luce und seinen Signalgasten; und Bolitho fand, daß er selbst ebenso ausgesehen haben mußte, wenn er als junger Leutnant zugesehen hatte, wie irgendwelche unerreichbaren, erhabenen Vorgesetzte kamen und gingen.
Mit einem Seufzer schritt er zur Kampanjeleiter. Eben sagte Herrick:»Wenn Sie bitte in meine Kajüte kommen wollen, Captain Probyn. Der Kommodore will erst Captain Farquhar sprechen.»
Farquhar zog die Brauen leicht hoch.»Ach? So dienstlich, Cap-tain Herrick?»
«Jawohl«, antwortete Herrick kalt.
Bolitho beobachtete Farquhar beim Eintreten. Wachsam, im Zweifel vielleicht, wie sein Kommodore reagieren würde; er spürte wohl auch, daß etwas Besonderes in der Luft war. Doch im ganzen blieb er durchaus selbstsicher.
«Hier mein Bericht, Sir.»
Bolitho deutete auf einen Stuhl.»Gleich. Unser Angriff war, wie Sie bemerkt haben werden, erfolgreich. Wir haben eine gute Prise, ein weiteres spanisches Schiff aus der Bucht ist auf dem Weg nach Gibraltar. Vor vier Tagen hatten wir Feindberührung: zwei französische Linienschiffe. Wir haben beide zerschossen und dann die Aktion abgebrochen. Unsere Verluste waren gering — verhältnismäßig.»
Farquhar lächelte gelassen, sah aber nicht mehr ganz so selbstbewußt aus.»Ich handelte nach Ihren Instruktionen, Sir. Die Buz-zard meldete mir einen Konvoi von fünf Schiffen, und wir nahmen die Verfolgung auf. Unter diesen Umständen.»
«Das war durchaus korrekt. Haben Sie sie erwischt?»
«Captain Javal konnte ein paar Schiffe beschädigen, Sir, aber nur eins zum Beidrehen zwingen. Unglücklicherweise konnte ich nicht rechtzeitig zur Stelle sein, da ich meine Großmaststenge in einer Sturmbö verloren hatte. Die Nicator griff an und feuerte auf Grund eines, äh, mißverstandenen Signals eine halbe Breitseite in das französische Schiff, so daß es zu sinken begann.»
«Und dann?»
Farquhar zupfte ein Kuvert aus seinem eleganten Rock.»Dem Führer meines Enterkommandos ist es gelungen, diesen Brief aus dem Panzerschrank des Kommandanten zu retten, ehe das Schiff kenterte und sank. Er ist an einen gewissen Yves Gorse adressiert, der anscheinend in Malta wohnt. Dieser Gorse soll Ankermöglichkeiten schaffen. «Er warf den Brief auf den Tisch.»Für normale Handelsschiffe, oder so ähnlich wird es ausgedrückt. Ich nehme an, der Text ist verschlüsselt; aber der Kommandant war ein solcher Dummkopf, daß ich nichts aus ihm herausbringen konnte. Das kleine Geleit kam aus Marseille. Eskorte war eine französische Korvette, nicht weil sie sich irgendwie von uns bedroht fühlten, sondern wegen der Berberpiraten und dergleichen. «Das Wichtigste hob sich Farquhar bis zuletzt auf.»Mein Erster hat etwas herausbekommen, Sir. Ich habe mehrere französische Matrosen für meine Mannschaft gepreßt; und einer von ihnen hat gehört, wie einer der Überlebenden behauptete, dieser Brief sei auf persönlichen Befehl von Admiral Brueys an Bord gebracht worden!»
Überrascht sah Bolitho auf. Brueys war vielleicht der beste und fähigste Admiral der französischen Flotte. Vielleicht sogar aller Flotten.
«Das haben Sie gut gemacht. «Bolitho rieb sich die Hände an den Schenkeln trocken.»Dieser Gorse muß ein Spion oder Agent sein. Vielleicht haben die Franzosen einen Angriff auf Malta vor.»
«Oder auf Sizilien?«überlegte Farquhar stirnrunzelnd.»Bonaparte soll Absichten auf das Königreich haben. Sie sind im Frieden miteinander; aber wahrscheinlich denkt er, daß man sich im Kriege einen Luxus wie Neutralität nicht leisten kann — womit er meiner Ansicht nach recht hat.»
«Mag sein. «Bolitho versuchte, nicht an Herrick zu denken.»Wir segeln möglichst schnell nach Toulon und Marseille. Auf Grund Ihres Fundes können wir uns jetzt ein Bild davon verschaffen, wie weit sie mit ihren Vorbereitungen sind.»
«Und Ihre Prise, Sir«, fragte Farquhar,»was hat sie geladen?»
«Pulver und Munition. Und Futtermittel.»
«Futter?»
«Ja. Mich beunruhigt das auch. Alle Vorbereitungen der Franzosen und Spanier deuten auf einen Angriff großen Stils. Aber Futter? Das sieht nicht nach einem örtlich begrenzten Angriff aus. Mehr nach Kavallerie und schwerer Artillerie mit den nötigen Männern und Pferden.»
Farquhar bekam glänzende Augen.»Dieses Schiff hatte ebenfalls Futter geladen. «Er sah sich in der Kajüte um.»Entschuldigen Sie, Sir — aber sollten wir nicht auf die anderen warten? Es würde Zeit sparen.»
Bolitho wies mit den Augen auf den versiegelten Umschlag.»Das ist für Sie, Captain Farquhar. «Er trat ans Fenster und sah auf die anderen Schiffe hinaus. In seinem Rücken hörte er das Kratzen des Federmessers, mit dem Farquhar das Kuvert aufschnitt. Nach ein paar Sekunden sagte dieser:»Das überrascht mich sehr. «Aber sein Ton war seelenruhig.
Bolitho wandte sich um und musterte ihn nachdenklich.»Es war eine schwere Entscheidung.»
«Und Captain Herrick, Sir?«Farquhars Gesicht war wie eine Maske.»Ist er krank?»
«Nein«, erwiderte Bolitho kurz.»Treffen Sie sofort alle notwendigen Arrangements. Das Geschwader soll noch vor Sonnenuntergang wieder Segel setzen.»
Farquhar, den Brief in der Hand, sah Bolitho immer noch an.»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Sir.»
Bolitho nickte nur.»Sie sind offensichtlich der Meinung, daß ich die richtige Entscheidung getroffen habe.»
Farquhar hatte auch blaue Augen wie Herrick, aber in dem schwachen Licht von See her wirkten sie kalt wie Eis.»Nun, Sir, da Sie mich fragen — jawohl.»
«Dann sorgen Sie dafür, daß man es auch im Geschwader merkt«, erwiderte Bolitho unbewegt.»Captain Herrick ist ein ausgezeichneter Offizier.»
Wieder dieses leichte Heben der Brauen.»Aber?»
«Kein Aber, Captain Farquhar. Ich will, daß er sich auf einem gut ausgebildeten Schiff, wo er bisher keine privaten Kontakte hat, seiner Kraft bewußt wird. Er wird vollauf zu tun bekommen. Das sollte ihm guttun — und dem Geschwader auch.»
Farquhar lächelte.»Mein Erster Offizier wird sehr überrascht sein. Auch ihm wird das guttun.»
«Der Erste Offizier dieses Schiffes ist Mr. Gilchrist. Ich schlage vor, Sie machen unverzüglich seine Bekanntschaft.»
Bolitho hatte irgendeine Reaktion erwartet, aber Farquhar sagte lediglich:»Gilchrist? Kenne ich nicht. Aber schließlich muß man ja solche Leute auch nicht kennen.»
«Ich würde es begrüßen«, sagte Bolitho,»wenn Sie Ihre persönlichen Abneigungen beiseite ließen.»
Farquhar stand auf.»Selbstverständlich, Sir. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nie etwas gegen Captain Herrick hatte, obschon mir seine feindselige Haltung mir gegenüber durchaus bekannt ist. «Er lächelte sein dünnlippiges Lächeln.»Keine Ahnung, warum er mich nicht mag.»
Bolitho sah Ozzard an der Tür stehen.»Bitten Sie die anderen Kommandanten herein, Ozzard«, sagte er.»Und dann können Sie Wein bringen. «Es sollte so beiläufig klingen, als stünde er über allem.
Ozzard, mit einem scheuen Blick auf Farquhar, deutete einen Bückling an.»Aye, aye, Sir.»
Bolitho trat auf die Galerie und starrte auf die Wellen hinaus, die wie kleine, weißbemähnte Pferde von der Kimm herangesprungen kamen. Jedes Bruchstück einer Information, jedes noch so fadenscheinige Gerücht führte das Geschwader immer tiefer in das Mittelmeer hinein. Und immer war es seine Entscheidung. Ein Brief, der ihm in die Hände gefallen war, hatte ihn in eine Bucht geführt;
dort mußten Männer sterben, und Schiffe wurden vernichtet. Jetzt ging es durch Farquhars Zufallsfund noch weiter nach Nordosten, zu den Häfen der französischen Flotte. Stücke eines Puzzlespiels lagen auf der einen Seite, die Seekarte und das gnadenlos rinnende Stundenglas auf der anderen.
Die Tür ging auf, Bolitho wandte sich um und sah Herrick mit Probyn eintreten. Er wartete, bis sie Platz genommen hatten, und winkte dann Ozzard zum Weinschrank.
In diesem Moment klopfte es; Gilchrist steckte den Kopf herein und blickte sich suchend um. Er sah Herrick und sagte:»Entschuldigen Sie die Störung, Sir, aber ich möchte den Flaggkapitän sprechen. «Doch er fuhr überrascht herum, denn es war Farquhar, der ihm antwortete: «Ich bin der Flaggkapitän, Mr. Gilchrist. Ich darf Sie bitten, das nicht zu vergessen!«Eine peinliche Stille trat ein, und Farquhar fuhr fort:»Ich darf Sie außerdem bitten, die Räume des Kommodore nicht ohne meine Erlaubnis zu betreten!»
Die Tür fiel zu, Farquhar beugte sich vor und betrachtete den Weinschrank. Seine Stimme war wieder völlig normal.»Ein schönes Stück, Sir. Ich kenne die Arbeiten dieses Tischlers gut.»
Bolitho sah zu Herrick hinüber; doch den konnte er bereits nicht mehr erreichen.