Zusammen mit Herrick schritt Bolitho über das Achterdeck. Schattenhafte Gestalten wichen ihnen aus, und Grubb meldete:»Kurs Ost zu Nord, Sir.»
Veitch, der die Wache hatte, kam ihnen entgegen und faßte grüßend an den Hut. »Harebell hat eben wieder signalisiert, Sir: Schiffe in Nordwest.«Mißbilligend blickte er zu den Signalgasten hinüber.»Mr. Glasson hat seine Männer nicht richtig im Schwung; ich fürchte, ein paar Signale sind uns entgangen.»
Bolitho nickte.»Die Schiffe, die Inch gesehen hatte, waren zweifellos die Vorhut eines größeren Verbandes. Sonst wären sie näher herangekommen.»
Er spähte zu seinem Stander empor. Der glänzte im Licht des neuen Tages, während die unteren Rahen und Wanten noch im Schatten lagen.
«Also — Signal an Geschwader: Vorbereiten zum Gefecht. Haben Ihre Leute gefrühstückt, Mr. Veitch?»
«Aye, Sir. «Mit einem Blick auf Herrick stotterte er:»Jemand hat mir erzählt, der Kommodore hätte wegen heute so ein Gefühl. Da habe ich sie eine Stunde früher wecken lassen.»
Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich gehe mich jetzt rasieren und Kaffee trinken, wenn noch welcher da ist. «Die Leinen schnurrten, die Signalflaggen stiegen hoch.»Ich hoffe, die auf der Nicator schlafen nicht und geben das Signal an Javal weiter.»
Er wandte sich um und schaute nach dem schlanken Rumpf der Harrebell aus, doch sie zeigte ihnen nur das Heck und ihre gerefften Marssegel, die sich hell vom Himmel abhoben.
«Wir müssen die Schiffe möglichst vorteilhaft verteilen, Thomas. Ändern Sie gleich den Kurs auf genau Nord und segeln Sie über Steuerbordbug.»
Über die bewegte See drang das Stakkato der Trommeln an sein Ohr: Matrosen und Marine-Infanteristen des Geschwaders rannten auf Gefechtsstationen.
Herrick nickte.»Aye, Sir, das ist ratsam. Ich lasse signalisieren, sowie die Nicator das letzte Signal bestätigt hat.»
«Hat schon bestätigt, Sir!«Glassons sonst so scharfe Stimme klang gedämpft.
«Melden Sie's gefälligst sofort, Mr. Glasson«, schnauzte Veitch ihn an.»Sonst bleiben Sie für immer Stellvertretender!»
Bolitho hörte diesen Wortwechsel nicht, er dachte nach. Wie stark auseinandergezogen mochte die feindliche Flotte segeln? Hatte sie nur ein Flaggschiff oder mehrere?
«Lassen Sie die Barkasse aussetzen, Captain Herrick«, sagte er.»Sie soll die Depeschen zur Harebell bringen… Und Briefe nach England, falls jemand welche hat.»
Rufe hallten über das Deck, die Bootsmannschaft rannte nach achtern, von Yeo, dem Bootsmann, und seiner mächtigen Stimme angetrieben.
Nochmals sah Bolitho nach seinem Stander. Es war jetzt heller, doch immer noch ziemlich windstill. Auf dem neuen Kurs und Bug würden sie etwas mehr Fahrt machen, aber es konnte trotzdem noch eine Ewigkeit dauern, bis sie Feindberührung hatten.
Pascoe, den schweren Depeschenbeutel unterm Arm, kam herbeigerannt.»Boot ist klar, Sir.»
«Dann ab mit dir, Adam. Halte dich drüben nicht auf und sage Commander Inch, er soll versuchen, die Flotte so schnell wie möglich zu erreichen.»
«Werden wir uns die Luvposition sichern können?«- fragte Herrick.
«Das läßt sich noch nicht sagen, Thomas. «Bolithos Magen zog sich zusammen. Hunger? Angst? Er war sich nicht darüber klar.»Aber wenn der Verband so ist, wie ich ihn mir vorstelle, dann ist er bestimmt so groß, daß wir ihn rechtzeitig sehen.»
Veitch kam wieder nach achtern.»Boot hat abgelegt, Sir. Die pullen wie die Teufel.»
«Danke. «Er zog die Uhr.»In fünfzehn Minuten können Sie gefechtsklar machen lassen. Inzwischen geben Sie Signal an Geschwader: Kurs Nord. Und wenn der Befehl ausgeführt ist, neues Signal: Gefechtslinie formieren.»
Als Bolitho ging, schrillten bereits die Bootsmannsmaatenpfeifen, und die Männer rannten auf ihre Stationen. Alles das und noch mehr konnte er Herrick überlassen. Jetzt.
Automatisch zog er unter der Kampanje den Kopf ein. Grubb brüllte:»Klar bei Brassen!«Das Ruder schwang herum, die losen Segel knallten und bespritzten die Männer mit großen Tropfen.
Die Kajüte kam ihm sehr kühl vor; er saß fast reglos in seinem Sessel, während Allday ihn schnell rasierte und Ozzard ihm schwarzen Kaffee servierte.»Das war der letzte, Sir«, sagte er dabei kläglich.
«Macht nichts«, murmelte Allday,»wir holen uns welchen von den Franzosen.»
Von oben kam das Stampfen vieler Füße, das Quietschen der Blöcke und Taljen. Dazu Veitchs Stimme, hohl verfremdet durch das Sprachrohr:»Lebhafter dort drüben! Belegt die Brassen, Bootsmann!»
Im dämmrigen Laternenlicht war die Kajüte besonders dunkel. Im Geiste sah er das Schiff auf Nordkurs vor sich, die anderen in Linie dahinter. Nun mußte es bald soweit sein.
Dann war es auf einmal still; aber schon Sekunden später wirbelten die Trommeln scharf, nervenzerreißend. Leroux' kleine Trommeljungen mußten direkt beim Skylight stehen.
Das Schiff erzitterte. Jedes Deck reagierte auf seine Weise und mit seinen eigenen Geräuschen; Trennwände wurden niedergelegt, Kisten und nicht benötigtes Schiffsgeschirr nach unten geschafft; jeder Geschützführer lief um seine Mannschaft herum wie die Henne um ihre Küken.
Allday trat zurück und wischte das Rasiermesser ab.»In acht Minuten gefechtsklar, Sir. Mr. Veitch hat gelernt, wie Sie's haben wollen.»
Bolitho stand auf und ließ sich von Ozzard in den Galarock helfen.»Letztes Mal hat Captain Farquhar dem Gegner diese Ehre erwiesen«, sagte er, und ihre Augen trafen sich.»Nun noch den Degen.»
Ozzard wartete, bis Allday das Koppel geschlossen hatte, stürzte dann wieder herzu und band Bolithos schwarzes Haar mit einer Schleife im Nacken zusammen.
Bolitho mußte daran denken, wie Farquhar ihm damals vorgekommen war: wie ein Schauspieler.
Wieder ertönten Rufe an Deck, das Scheuern von Riemen an der Bordwand — ein Boot legte an.
Er blickte zu Allday hin — ob der wohl dasselbe dachte? Jetzt waren sie alle da: Herrick und Pascoe, Allday und er selbst.»Es wird Zeit«, sagte Bolitho.
Er ging mit Allday durch die Zwischentür in die Hauptkajüte, wo statt Eßtisch und polierten Stühlen nur noch die nackten Planken, die finster lauernden Kanonen und ihre Bedienungen waren; dann weiter unter der Kampanje hervor in den schon heller werdenden Morge n hinaus.
Am Fuß des mächtigen Besanmastes stehend, versuchte er, nicht an die Breitseite zu denken, die wie eine blutige Lawine das Heck der Osiris aufgerissen hatte.
Hier und da wandten sich die Leute an den Geschützen um und sahen ihm nach; weiß schimmerten ihre Augen hinter den geschlossenen Stückpforten. Einer rief sogar:»Sie haben sich aber feingemacht, Sir!«Die Dunkelheit ermutigte den Mann wohl, er hörte nicht auf die groben Drohungen des Deckoffiziers.
Bolitho lächelte, den Tonfall kannte er: der Mann stammte aus Cornwall wie er selbst. Vielleicht hatte er ihn sogar als Kind einmal gesehen. Jetzt, vor dem Gefecht, fühlte er sich ihm näher.
Er ging am Doppelrad und den unerschütterlichen Rudergasten vorbei, am Master, seinen Maaten und dem Midshipman der Wache, dem kleinen Saxby, weiter bis zur Mitte des Achterdecks.
Dort stand Pascoe, Haar und Schultern von Spritzwasser durchweicht, und flüsterte eifrig mit Glasson, der den Signaldienst übernommen hatte.
Pascoe lüftete den Hut vor Bolitho und sagte:»Ich gehe gleich nach unten, Sir.»
Bolitho nickte, denn er wußte, daß einige Matrosen ihn und den jungen Leutnant neugierig beobachteten. Pascoe war jetzt dem unteren Batteriedeck mit den großen Zweiunddreißigpfündern zugeteilt. Sein Vorgesetzter dort war Leutnant Steere; außerdem gehörte noch ein Midshipman als Läufer dazu. In den Batterien der Lysander dominierte wirklich die Jugend.
«Gott mit dir, Adam.»
«Und«, erwiderte dieser zögernd,»mit dir auch, Onkel. «Er lächelte Herrick zu und eilte den Niedergang hinunter.»An Deck! Segel Backbord voraus!»
«Hinauf mit Ihnen, Mr. Veitch!«befahl Bolitho.»Ich brauche heute ein klares Urteil.»
Er starrte in den Himmel, der jetzt blaßblau und wolkenlos war; auf die roten Uniformen der Scharfschützen und der Kanoniere an den Drehbassen, auf die großen Rahen und die schwarzen, geteerten Stage. Eine lebendige, kraftvolle Kriegswaffe, die komplizierteste, härteste Anforderungen stellende Erfindung des Menschen. Die Lysander besaß in diesem gedämpften Licht eine wirkliche Schönheit, die auch durch ihre Größe und Tonnage nicht beeinträchtigt wurde.
Bolitho ging zur Backbordseite und packte die sauber gestauten Hängemattsnetze. Die Harebell kämpfte sich bereits durch den Wind zur Wende, die Marssegel schlugen, Bram- und Großsegel wurden soeben gesetzt.
Achtern konnte er die schwarzen Linien der luvseitigen Wanten der Nicator sehen, doch ihr Rumpf, ebenso wie jener der Immorta-lite, waren hinter dem schrägen Heck der Lysander verborgen.
Leichtfüßig rannte Major Leroux eine Leiter hinunter und grüßte schwungvoll mit gezogenem Degen.
«Ich habe meine Leute wie befohlen verteilt, Sir. Die besten Scharfschützen dort, wo sie von den weniger guten nicht behindert werden. «Er lächelte, doch seine Augen sahen in die Ferne.»Vielleicht erwarten die Franzosen, mit Nelson zusammenzutreffen.»
Herrick hatte es gehört und lachte.»Unser tapferer Admiral muß warten, bis er an der Reihe ist.»
So leichtfüßig wie ein zwölfjähriger Midshipman kam Veitch an einem Backstag aufs Deck gerutscht.»Es ist tatsächlich die feindliche Flotte, Sir. Anscheinend auf Südostkurs, und das Gros liegt noch weit in Luv. «Er zögerte etwas und fuhr dann fort:»Direkt vor unserem Bug segelt ein zweites Geschwader auf konvergierendem Kurs, Sir. Ich habe es genau studiert und bin sicher, daß mindestens ein Schiff davon auch in Korfu war — oder sogar mehrere. Eins war rot und schwarz bemalt. Ich habe es eben ganz deutlich gesehen.»
Bolitho sah Herrick an und schlug sich mit der Faust in die Handfläche.»Brueys hält seine Hauptmacht westlich von uns, Thomas! Offenbar rechnet er immer noch damit, auf unsere Flotte zu treffen.»
Herrick nickte und entgegnete bitter:»Wenn der wüßte, daß sie gar nicht mehr hier ist!»
Bolitho faßte ihn beim Arm.»Mr. Veitch irrt sich nicht. «Er sah die beiden an — sie mußten das doch begreifen!» Brueys läßt seine anderen Versorgungsschiffe östlich segeln, im Schutz seiner Gefechtsformationen!»
«Dann wird unsere Anwesenheit hier allerhand Aufregung verursachen. «Herrick stieg mit seinem Teleskop in die Luvwanten.»Ich kann gerade noch ein paar Segel an der Kimm ausmachen. Doch Sie mögen durchaus recht haben, Mr. Veitch. Unsere französischen Freunde schirmen ihre Transporter nach der falschen Seite ab!«Etwas nüchterner fuhr er fort:»Aber noch haben sie reichlich Zeit, ihre Verteidigung umzustellen.»
Bolitho spielte mit dem Gedanken, selbst aufzuentern und sich die Lage anzusehen.
«Wir haben nur drei Schiffe, Thomas. Die Franzosen werden inzwischen die Harebell gesichtet haben und annehmen, daß sie unsere Signale an die Hauptflotte weitergibt.»
Leise sagte Leroux:»Dann möchte ich aber nicht in Commander Inchs Schuhen stecken!»
Mehrere Geschützbedienungen hatten ihre Kanonen verlassen, standen auf der Laufbrücke und beobachteten den langsam näherkommenden Feind. Wie Kavallerie mit weißen Federbüschen über einen stahlblauen Hügelkamm, so traten die Masten und Segel immer deutlicher über die Kimm, jetzt sogar für die Männer auf dem Batteriedeck sichtbar. Mehr, immer mehr, bis der ganze Horizont hinter lauter Segeln verschwand.
«Was für eine Flotte, Thomas!»
Bolitho rückte den Hut schief, damit ihm die Sonne nicht direkt in die Augen schien. Er konnte sie auf der rechten Wange spüren, auf dem durchfeuchteten Rock. Bald würde es noch heißer werden, in mehr als einer Hinsicht.
Stunde um Stunde verrann, und je höher die Sonne stieg, um so mehr gewannen die Schiffe an Realität und Individualität. Die sachlichen Konstruktionslinien der französischen Vierundsiebziger wurden erkennbar, alle beherrscht von einem mächtigen Erster-Klasse-Schiff, dem größten, das Bolitho je gesehen hatte. Es mußte Brueys' Flaggschiff sein. Er fragte sich, was der französische Ad-miral wohl denken mochte, wie klein ihm und seinen Offizieren die Formation der britischen Schiffe vorkommen mußte. Und er fragte sich, ob Bonaparte wohl bei ihm an Bord sein, ihre tapfere Geste sehen und sich voll Verachtung darüber lustig machen mochte. In Bonapartes Anwesenheit lag ihre einzige Hoffnung. Denn Brueys selbst war ein tapferer und erfahrener Marineoffizier, der von der britischen Flotte wahrscheinlich mehr verstand als alle anderen dort drüben. Seine Intelligenz und sein taktisches Können waren wohlbekannt und wurden respektiert. Aber würde Bonaparte noch auf seinen Rat hören, jetzt, da Ägypten beinahe in Sicht war und nur noch drei feindliche Schiffe ihn davon trennten?
«Lassen Sie Ihren Musikzug aufspielen, Major Leroux«, sagte Bolitho.»Dieses Warten stumpft ab und macht schlapp.»
Gleich darauf schmetterten Trommler und Pfeifer das Lied The Old East India man, und die Trommeljungen marschierten im Paradeschritt das Achterdeck auf und ab; nur stolperten sie hier und da über einen Beschlag oder ein ausgestrecktes Matrosenbein.
Grubb sah das verschmitzte Grinsen seiner Maaten und zog nach einigem Zögern seine legendäre Zinnflöte aus der Manteltasche; damit stimmte er in die Weise ein.
«An Deck! Feindliche Fregatte auf Südkurs voraus, Sir!»
«Die jagt die Harebell, Sir!»
Bolitho preßte die Hände auf dem Rücken zusammen. Eine starke Fregatte mit immer höher wachsender Segelpyramide schor aus der endlosen Schiffsformation aus und nahm die Verfolgung der Schaluppe auf.
Inch hatte einen guten Vorsprung. Bei diesem mäßigen Südwest würde der französische Kommandant Mühe haben, ihn einzuholen; und wenn er die Harebell nicht mit einem Weitschuß aus seinem Buggeschütz manövrierunfähig schießen konnte, mußte sie eigentlich klarkommen.
Dumpf hallte ein Kanonenschuß über das glitzernde Wasser, und eine dünne weiße Gischtfontäne sprang empor. Der Schuß lag erheblich zu kurz, und die Ausgucks in den Masten quittierten ihn mit Hohnrufen.
Als die Lysander heftig überholte, fielen die marschierenden Trommeljungen beinahe der Länge nach hin.
Grubb steckte seine Flöte wieder in die Manteltasche und brummte:»Wind frischt auf, Sir!«Seinen Rudergasten rief er zu:»Paßt gut auf, Kinder!»
Bolitho sah Herrick an.»Jetzt können Sie laden und ausrennen lassen.»
Das Schiff hob sich und tauchte dann in ein tiefes Wellental. Wie Glassplitter flogen Schaum und Sprühwasser an der Galion hoch.
«Mr. Veitch!«rief Herrick durch die hohlen Hände.»Geben Sie durch: Laden und ausrennen!»
Leroux sagte zu seinem Leutnant:»Tatsächlich, Peter, ich glaube, die Franzosen behalten ihre Formation bei.»
Nepean sah verständnislos drein.»Aber dann geraten wir doch direkt zwischen die zweite Gruppe, Sir? Die Versorgungsschiffe scheinen auch gut geschützt zu sein. «Er schluckte mühsam und blinzelte den Schweiß aus den Augen.»Tatsächlich, ich glaube, Sie haben recht!»
Der Major sah zur Kampanje hin.»Sergeant Gritton! Scharfschützen auf beide Seiten verteilen! Bei diesem Tempo sind wir mitten unter den Feinden, bevor sie überhaupt wissen, was los ist!»
Bolitho hörte das alles. Das geschäftige Klappern der Rammstök-ke und Handspeichen und die schrillen Pfiffe beim Ausrennen der Geschütze — auf der einen Seite schimmernd wie Zähne, auf der anderen nur purpurne Schatten.
Bolitho dachte an Pascoe und seine schweren Kanonen, drei Decks tief unter seinen Füßen. Er hätte ihn lieber bei sich gehabt; aber im unteren Deck war er vielleicht weniger gefährdet.
«Ausgerannt, Sir.»
Bolitho nahm Midshipman Saxby ein Teleskop aus der Hand. Beinahe wäre es auf die Planken gefallen, denn der Junge zitterte furchtbar und versuchte, es nicht sehen zu lassen. Bolitho stieg die Kampanjeleiter hinauf und richtete das Glas achteraus.
«Signal an Nicator, Mr. Glasson«, sagte er scharf. »Mehr Segel setzen.»
«Wir dürfen keine große Lücke in unserer Formation entstehen lassen«, erläuterte er, als er wieder auf dem Achterdeck war. Da fiel ihm Saxby wieder ein, und er sagte zu ihm:»Nehmen Sie das Glas, mein Junge, und gehen Sie nach achtern zu den MarineInfanteristen. Behalten Sie bis auf weiteren Befehl die Nicator im Auge!»
Herrick tupfte sein Gesicht mit dem Taschentuch ab.»Machen Sie sich Sorgen um den jungen Saxby, Sir?»
«Nein, Thomas. «Er dämpfte die Stimme.»Um Probyn.»
«Nicator hat bestätigt. «Glasson gab sich jetzt sehr eifrig.
Bolitho nickte und stieg, sich mit einer Hand auf die bloße Schulter eines Matrosen stützend, auf einen Neunpfünder. Backbord voraus von der Lysander formierten sich die französischen Kriegsschiffe, um das lockere Geleit ihrer Transporter zu schützen.
Er zählte sorgfältig: vier Linienschiffe. Zahlenmäßig überlegen, aber nicht allzusehr. Hinter den sich überlappenden Rümpfen der Transporter sah er die Rahsegel einer Fregatte; wie ein Schäferhund beim Auftauchen eines Fuchses die Lämmer zusammentreibt, so saß sie den lebenswichtigen Versorgungsschiffen auf den Fersen.
Veitch stand bereit, aber Bolitho sah ihn gar nicht. Höchstens noch eine Stunde, dann mußte der französische Admiral wissen, daß keine weiteren britischen Schiffe in unmittelbarer Nähe waren. Was dann? Vernichtung des kleinen Geschwaders? Oder segelte der Admiral gleich weiter nach Alexandria, für den Fall, daß er dort nötiger gebraucht wurde?
Bolitho sah zwischen den feindlichen Formationen etwas Rotes schimmern — das Versorgungsschiff aus Korfu. Begreiflich, daß Veitch es gleich wiedererkannt hatte. Er hatte reichlich Gelegenheit gehabt, es sich genau anzusehen, ebenso wie die anderen verstreuten Transporter, als er damals den Berghang in Brand gesetzt hatte, um die Osiris vor den Kanonen zu schützen. Aber dieses Schiff würde noch mehr solch schwerer Kanonen geladen haben. Die brauchte Admiral Brueys, sonst konnte er es nicht riskieren, innerhalb der engen Hafeneinfahrt von Alexandria zu ankern. Er brauchte ihren Schutz für seine Schiffe und das Ausladen so vieler Soldaten und Kriegsgüter. Ohne sie mußte er in der Bucht von Abukir ankern, wie Herrick gesagt hatte. Und wenn Nelson Glück hatte, würde er ihn dort finden. Und dann — ja, das Weitere war dann seine Sache.
Schweren Herzens blickte Bolitho über das Deck der Lysander. Und was ist dann mit uns? Wir haben unser Bestes getan.
Mehrmals krachte es dumpf, und von dem französischen Zweidecker trieben Rauchwolken davon. Mehrere Kugeln peitschten niedrig durch die Wellen wie fliegende Fische, aber alle schlugen ziemlich weit weg von der Lysander ein.
Das war nur Wut. Ein Zeichen, daß die Franzosen zum Kampf bereit und nach den langen Vorbereitungen hinter ihren Sperren und Hafenbatterien sogar begierig darauf.
«Buggeschütz, Mr. Veitch!«befahl Herrick.»Auf die Entfernung einschießen — zwei, drei Kugeln!»
Beim Krachen des Backbordgeschützes ertönten ein paar Hurras von denen, die vorhin die Kraftdemonstration des Gegners nicht gesehen hatten.
Unter dem Achterdeck wickelten die Kanoniere bereits ihre Halstücher um die Ohren und legten Säbel und Enterbeile zurecht.
«Halbe Kabellänge zu kurz!«sagte Glasson. Doch niemand antwortete ihm.
Das vorderste französische Schiff kam stetig von Backbord auf die Lysander zu. Es segelte so hart am Wind wie möglich; jedes Segel an den dichtgebraßten Rahen war deutlich sichtbar.
Bolitho beobachtete genau, schätzte Zeit und Entfernung ab. Kam es zur Kollision, oder würde er die feindliche Formation durchbrechen? Er mußte unbedingt zwischen die feindlichen Versorgungsschiffe gelangen.
Ein Stakkato aufblitzender gelbroter Feuerzungen beim ersten Schiff; und diesmal war die Breitseite besser gezielt. Der Rumpf der Lysander bebte und schwankte; jaulend flog das Eisen über die Kampanje hinweg.
Gelassen schritt Kipling, der Zweite Offizier, an den Achtzehn-pfündern und ihren reglosen Bedienungen auf und ab. Seinen blanken Degen trug er gegen die Schulter gelehnt wie einen Spazierstock.»Schön ruhig, Jungs!«Er sprach beinahe sanft, als wolle er ein Pferd beruhigen.»Aufpassen und nach vorn sehen!»
Bolitho musterte die Breitfock des Franzosen, gefüllt und hart an ihrer Rah; es sah tatsächlich so aus, als hinge sie an Bugspriet und Klüverbaum der Lysander.
«Zwei Strich abfallen!«befahl er. Grubbs Männer drehten das Rad, und er nickte Herrick zu.»Feuer frei!»
Vom Vorschiff bis achtern feuerten die Backbordgeschütze der Lysander, wurden neu geladen und feuerten wieder. Rauch und Flammen spuckten ihre Stückpforten, die Züge quietschten, wenn die Mannschaften die Kanonen für die nächste Breitseite ausführen.
Bolitho spürte das wilde Aufbäumen des Decks beim Rückstoß der Geschütze. Die Augen schmerzten ihn, als er sein Glas über den Backbordbug richtete: die Segel des Franzosen zuckten und rissen dann unter der Salve.
Nicht alle Kanonen der Lysander hatten genug Reichweite für das führende Schiff, doch hoffte er, wenigstens die schweren Zwei-unddreißigpfünder würden Heck und Achterschiff treffen.
«Gegner hat Kurs geändert, Sir«, brüllte Herrick. Dann fluchte er lästerlich, denn der Franzose feuerte wieder, und seine Breitseite, wenn auch ungenau gezielt und zeitlich schlecht berechnet, war gleichwohl gefährlich. Die Lysander erbebte unter den Einschlägen, und im Großmarssegel erschienen zwei Löcher.
Jetzt schwangen die Rahen des ersten Schiffs herum, so daß sich der Umriß der Segelfläche verminderte, während das Schiff etwas abdrehte. Damit sollten die Kanoniere besseres Schußfeld bekommen und das Schiff manövrierfähiger werden, als es vorher, so hart am Wind, gewesen war.
«Jetzt wieder Kurs ändern!«befahl Bolitho scharf.»Auf Nord zu West!»
Er hatte seine ersten Breitseiten nicht vergeudet. Sie hatten den französischen Kommandanten so verunsichert, daß er eine Wende fuhr, nur um zurückschießen zu können. Aber er würde viel zu lange brauchen, um das Schiff wieder so hoch an den Wind zu bringen.
Mit aller Kraft zogen die Männer an den Brassen; die Rahen knirschten; jetzt fiel auch mehr Sonnenlicht auf das rauchverhüllte
Deck.
«Feuer!»
Krachend fuhren die Backbordgeschütze im Rückstoß zurück, eins nach dem anderen; wild schreiend putzten die Kanoniere die Rohre aus und luden neu.
Bolitho sah, wi e das zweite französische Schiff aus dem rollenden Rauch auftauchte: sein Kommandant war auf die Begegnung nicht gefaßt; und gerade vor diesem Schiff, noch vom eigenen Qualm der Lysander verhüllt, befand sich die Lücke zwischen den beiden Schiffen, das Loch in der feindlichen Formation.
«Breitfock setzen!»
Bolitho hörte die Kugeln heulend durch die Takelage fliegen und sah an beiden Seiten hohe Wassersäulen aufspringen. Das Deck ruckte scharf, und mehrere gebrochene Wanten fielen in die aufgespannten Netze.
«Stützruder, Mr. Grubb!»
«Achtung, Marine-Infanterie!«brüllte Leroux, den Säbel hoch erhoben.»Beide Divisionen — Feuer!»
Das schärfere Knallen der Musketen, das hohle Krachen des Drehgeschützes im Hauptmast mußte die Männer der unteren Batterie darauf aufmerksam machen, daß der Franzose schon sehr nahe war. Die Lysander, nun mit mehr Fahrt durch die vergrößerte Segelfläche, schob knapp am Heck des führenden Schiffs vorbei; die Mannschaft rief hurra, blinzelte in die Sonne und stob dann zur Seite, denn auf Leutnant Steeres schrillen Pfiff hin schlugen die Kugeln der ganzen Reihe Zweiunddreißigpfünder krachend in den Feind.
Bemaltes Schnitzwerk, Glasscherben, Bretter und Holzstücke wirbelten hoch über den Rauch, und Bolitho konnte sich die Panik auf den Versorgungsschiffen vorstellen, als die wildäugige Galions-figur der Lysander durch die Formation brach und auf sie zukam.
«Feuer!»
Der zweite Franzose, auch ein Vierundsiebziger, machte eine blitzschnelle Kursänderung, drehte nach Backbord hinter der Ly-sander her und feuerte dabei. Kugeln streiften ihren Rumpf oder zischten über die schwitzenden Geschützbedienungen hinweg; vom ersten französischen Schiff folgten die etwas schwächeren Kaliber eines Heckgeschützes und ein paar Kartätschen. Mehrere Seesoldaten waren gefallen, aber Sergeant Gritton hielt die Division zusammen. Ladestöcke gingen auf und ab, rammten die Kugeln in die
Läufe, und dann stand die rote Reihe der Männer wieder an den Netzen und schoß.
Bolitho rannte nach Lee und spähte durch den Rauch. Das führende französische Schiff hatte die Großmaststenge verloren und trieb stark ab; entweder war auch das Ruder weg, oder es wurde von den nachschleppenden Spieren und Segeln so schwer behindert, daß das Schiff zeitweilig manövrierunfähig war.
«Noch mal, Mr. Veitch! Volle Breitseite!»
Mit lautem Gebrüll, mit Fausthieben sogar trieben die Geschützführer die vom Krachen und Pulverrauch völlig kopflosen Kanoniere an die Geschütze zurück; ein Rohr nach dem anderen fuhr wieder aus, worauf der Geschützführer eine schwarze Hand hochhielt.
«Feuer!«brüllte Veitch.
Die untere Batterie fing an, dann kamen die Achtzehnpfünder und schließlich die Neunpfünder vom Achterdeck; jedes einzelne der schwarzen Rohre spie Tod und Verderben.
Der Rauch rollte zur Seite, und Bolitho versuchte, den Feind zu erkennen. Seine Augen tränten heftig, sein Mund war wie Sand. Der Himmel war nicht mehr da, sogar die Sonne war weg; die Welt schien nur noch ein Alptraum aus Donner, Flammen und ohrenzerreißendem Getöse.
Der Schiffsrumpf erschauerte; erstickte Schreie ertönten aus der Tiefe, denn eine Kugel war durch eine Stückpforte geflogen und durch das mit Menschen überfüllte Batteriedeck. Bolitho versuchte, nicht daran zu denken, daß Pascoe vielleicht verwundet oder zum Krüppel geschossen dort unten lag; sich nicht die Schrecknisse vor Augen führen, die ein schweres Geschoß in so engem Raum anrichten konnte!
Der kleine farbige Fleck einer Flagge hob sich aus dem Rauch; und ihm wurde klar, daß kein anderer Mast außer diesem mehr in der Nähe war. Ein paar Geschützbedienungen riefen hurra; nach dem Krachen der vollen Breitseite klangen die Rufe seltsam gedämpft. Grimmig sah Bolitho zu, wie das feindliche Schiff durch den Qualm stieß, Heck und Achterdeck beinahe bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert. Nur der Fockmast stand noch, und ein tapferer Mann riskierte die gefährliche Klettertour, um eine neue Trikolore daran zu befestigen.
Ungläubig rief Herrick:»Die Nicator folgt nicht!«Er fuhr zurück, denn ein Mann wurde von einem Geschütz weggeschleudert und fiel in seine Arme; sein Schrei erstickte ihm in der Kehle. Herrick ließ ihn an Deck gleiten, seine Hände waren blutbespritzt. Er richtete sich wieder auf und stieß wütend hervor:»Probyn macht nicht mit!»
Bolitho hörte es, rannte nach Backbord und suchte die feindliche Formation. Die beiden hinteren Schiffe hielten noch ihren Kurs, während das, welches der Lysander gefolgt war, immer noch versuchte, sie zu überholen, und dabei mit den Buggeschützen ihr Heck bestrich.
«Nehmt den da unter Feuer!«schrie er.
Er fuhr zusammen, denn zuckend und um sich schlagend fielen mehrere Männer von einem Geschütz. Splitter und verkohltes Netzwerk barsten gegen ein Bootsgestell; ein Schiffsjunge, von einer zersplitterten Planke fast geköpft, wurde aufs Deck geschmettert.
«Feuer!«Leutnant Kipling marschierte immer noch auf und ab, doch sein Hut war weg, und sein linker Arm hing schlaff.»Stopfen! Ausputzen! Laden!«Er bückte sich und zerrte einen Verwundeten aus der Rücklaufbahn des Geschützes.»Ausrennen!»
Auf den Laufbrücken krachte und splitterte es: die feindlichen Scharfschützen schossen sich ein.
«Feuer!»
Ein heiseres Hurra. Die Vormaststenge des Feindes schwankte, stand still und stürzte dann in den Pulverqualm. Damit waren auch ein paar von den Scharfschützen ausgefallen.
Doch der Feind feuerte immer noch; Bolitho fühlte die Kugeln in Bordwand und Kampanje einschlagen, hörte ihr Heulen und Krachen, die furchtbaren Schreie, wenn sie trafen.
Ein Midshipman, die Augen starr auf Bolitho gerichtet, kam übers Deck gerannt.»Sir! DieImmo… Immor… — <, er gab es auf — ,»Captain Javals Schiff bricht durch, Sir! Mr. Yeo meldet, er hat gesehen, wie sie am Bugspriet des dritten Franzmanns vorbeistieß!»
Bolitho packte ihn bei der Schulter; der Junge fuhr erschrocken zusammen, denn eine Kugel schmetterte ins Achterdeckschanzkleid und tötete zwei Männer an einem Neunpfünder. In einem blutigen Haufen fielen sie dem Midshipman vor die Füße, und da erst sah Bolitho, daß der Midshipman Breen war; seine roten Haare waren schwarz vom Pulverrauch.
«Danke, Mr. Breen. «Seine Hand umspannte immer noch fest die Schulter Breens, der daraufhin etwas ruhiger wurde.»Mein Kompliment an den Bootsmann. «Der Midshipman wollte schon zur Leiter rennen, doch Bolitho sagte:»Nehmen Sie sich Zeit, Mr. Breen!«Die Worte zügelten und beruhigten ihn noch mehr.»Unsere Leute achten heute sehr auf ihre jungen Offiziere!«Da grinste der Junge tatsächlich.
Herrick rief:»Ich kann die Nicator sehen, Sir! Sie kämpft immer noch nicht mit!»
Bolitho überlegte. Probyn hielt sich in sicherer Entfernung. Er konnte seine Kampfkraft auf den hintersten französischen Vierundsiebziger konzentrieren, der sich jetzt im Schußwechsel mit der Immortalite befand. Oder er konnte mehr Segel setzen und der Lysander nachkommen.
Er befahl:»Signal an alle: Nahkampf!»
Herrick eilte fort; Bolitho wandte sich um und starrte über die Netze. Er sah die Marssegel der Nicator, ihr Bestätigungssignal sehr farbig vor der Rauchwand. Qualm rollte durch die Pforten, Bolitho hustete würgend.
«Mr. Glasson! Sagen Sie Ihren Männern, das Signal bleibt stehen, ganz gleich, was kommt!»
«Glasson ist gefallen, Sir«, rief Herrick.
Zwei Seesoldaten hoben soeben den toten Vizeleutnant von einer Kanone. Er hatte immer noch diesen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck; sein Mund stand halb offen, als wolle er die beiden ausschimpfen, die ihn trugen.
«Ich mache das, Sir!»
Bolitho drehte sich um. Da stand Saxby und starrte ihn an. Den hatte er ganz vergessen.
«Danke. «Er versuchte zu lächeln, aber sein Gesicht war steif und unbeweglich.»Ich will, daß man das Signal und unsere Flagge sieht. Und wenn Sie sie an den Bugspriet binden müssen!»
Er hörte das Stöhnen brechenden Holzes, und dann rief Major
Leroux von der Kampanje her:»Captain Javal hat schwer zu kämpfen, Sir! Sein Besan ist weg, anscheinend will er entern!»
Bolitho nickte. Die Franzosen hatten sicher Javals Schiff als eins ihrer eigenen erkannt. Sie würden zuallererst versuchen, es wieder zu erobern. Das war nur natürlich.
«Mehr Segel, Thomas!«sagte er.»Setzen Sie Bramsegel! Ich will zwischen die Versorgungsschiffe!»
Von einer Rah fiel ein Matrose herunter ins Netz; sein Arm stieg durch die Maschen: der Tote griff nach den Lebenden.
Doch andere reagierten auf die Befehle. Unter mehr Segeln überholte die Lysander den französischen Zweidecker.
Herrick wischte sich das verschmierte Gesicht mit dem Ärmel und grinste.»War schon immer ein Schnellsegler, Sir!«Kampfeswut in den Augen, schwenkte er seinen Hut.»Hurra, Jungs! Trefft gut, Jungs!»
Wieder brach eine lange Reihe Mündungsfeuer aus dem Rumpf der Lysander, mit einer vollen Schwenksalve der unteren Batterie brachten Leutnant Steeres Geschützführer mehrere Treffer an. Der Franzose hatte keine Maststengen mehr, und das Vorschiff war ein wüstes Chaos aus gebrochenen Spieren und Wanten. Mehrere Stückpforten waren schwarz und leer wie blinde Augen; dort waren die Kanonen umgestürzt, die Bedienungen tot oder verwundet.
Aber er folgte immer noch, der Bugspriet, drohend wie ein Stoßzahn, auf gleicher Höhe mit der Lysander, nur eine halbe Kabellänge querab.
Leroux' Scharfschützen feuerten pausenlos und mit grimmig verzerrten Gesichtern auf die Ziele, die ihr langer Sergeant ihnen aussuchte.
Aber auch die Franzosen waren nicht faul — die Luft über der Kampanje schwirrte von Musketenkugeln. Splitter flogen von Planken und Laufbrücken auf und schlugen bösartig in die gestauten Hängemattsnetze. Hier und da stürzte ein Mann vom Geschütz oder aus den Wanten, und das Getöse der Salven wurde unerträglich. Auf dem Kurs der Lysander lagen mehrere Transporter; zwei von ihnen, die beim hastigen Fluchtversuch kollidiert waren, hingen noch zusammen. Kipling stand zwischen seinen vorderen Geschützen, trieb die Karronadenkanoniere und alle, die in seiner
Nähe waren, zu höchster Eile an. Die vordersten Geschütze auf beiden Decks mischten schon heftig mit, beharkten die beiden ineinander verhedderten Transporter, die bereits wie dürres Gras brannten.
Wild brüllte Veitch durch sein Sprachrohr:»Mr. Kipling! Ziel an Steuerbord!»
Er deutete mit der Sprechtrompete hin, und ein Matrose packte Kipling beim Arm: dort kam das schwere Transportschiff aus Kor-fu mit den charakteristischen, rotbemalten Bordleisten durch den dichten Rauch; die Rahen angebraßt, ihr Vorsegel prall gefüllt, versuchte es, den brennenden Schiffen auszuweichen.
«Feuer!»
Bolitho schritt umher wie im Alptraum, feuerte die Männer an, sprach ihnen Mut zu, wußte dabei gar nicht, ob sie ihn erkannten oder auch nur hörten, was er sagte. Überall schufteten die Männer an den Kanonen, feuerten, starben. Andere lagen stöhnend da und hielten sich ihre Wunden. Manche saßen auch nur herum und starrten auf nichts — vielleicht war ihr Verstand für immer verstört.
Das Tageslicht schien völlig geschwunden zu sein. Und doch wußte Bolitho, sosehr sich ihm der Kopf auch drehte, daß es nicht später als acht oder neun Uhr morgens sein konnte. Das Atmen war schwer und schmerzhaft, denn alle Luft schien von den Kanonen ausgespien und von den verschmorten Mündungen angeheizt zu sein, ehe sie die Lungen erreichte.
Eine Kartätsche fegte über die Netze; er sah, wie Veitch herumgerissen wurde, seinen Arm beim Ellbogen packte und mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht auf das Blut starrte, das ihm vom Handgelenk auf die Hose strömte. Ein Matrose wollte ihm zur Leiter helfen; aber Veitch knurrte:»Bind's ab, Mann! Deswegen geh' ich nicht unter Deck!»
Die Kanonen der Lysander feuerten nach beiden Seiten, suchten die verschwommenen Ziele, die im Rauch auftauchten und wieder verschwanden; im Krachen der Breitseiten konnte Bolitho die Schüsse heraushören, die ihre Ziele trafen und Masten, Segel, Männer im tobenden Anprall niedermähten.
«Da geht sie hin!«brüllte Herrick und zeigte nach vorn.
Das Transportschiff mit den roten Bordkanten holte steil über;
der Rumpf war von mehreren Einschüssen durchlöchert. Das Gewicht der Ladung tat das übrige. Die mächtigen Belagerungsgeschütze lockerten sich in den Zurrings; obwohl kein Ton den Kanonendonner durchdrang, glaubte Bolitho zu hören, wie die See ins Schiff strömte. Schon kämpfte sich die Mannschaft zum Oberdeck durch. Bald mußte der Transporter sinken.
Die französische Fregatte, in der Feuerkraft hoffnungslos unterlegen, hatte versucht, die Versorgungsschiffe vor dem Angriff abzuschirmen. Sie kam jetzt, aus allen Rohren schießend, aus dem Rauch hervor, unter dem Druck ihrer Segel stark krängend. Sie fegte am Bug der Lysander vorbei, ihre Kugeln schlugen in Galion und Klüver ein, warfen eine Karronade von ihrer Lafette und töteten Leutnant Kipling auf der Stelle.
Als sie an Steuerbord vorbeikam, hockten die Bedienungen der vorderen Geschütze mit roten, brennenden Augen hinter den Pforten. Auf ihren pulvergeschwärzten Rücken zog der Schweiß glänzende Bahnen. Sie beobachteten die Fahrt der Fregatte und warteten auf Kiplings Pfiff, der nicht kam. Statt seiner brüllte Bootsmann Yeo durch die hohlen Hände:»Feuer!»
Und dann fiel auch er, blutüberströmt, sterbend, und konnte ebensowenig wie Kipling sehen, daß die schweren Geschütze aus der stolzen Fregatte ein entmastetes Wrack gemacht hatten.
Eine heftige Explosion ließ die Segel wie unter einem heißen Windstoß erzittern. In Sekundenschnelle hüllte eine mächtige Rauchwolke die kämpfenden Schiffe ein, und die Sonne war nur noch wie eine Laterne im Nebel.
Das vorderste französische Schiff trieb noch vor dem Wind, in seiner Umgebung schwammen Treibgut und Leichen. Achtern fiel das zweite zurück; es besaß nur noch ein intaktes Buggeschütz. Doch auf der Immortalite mußte eine Pulverkammer explodiert sein. Javal hatte einen der Franzosen an den Enterhaken, und während der andere versuchte, an seinem Heck vorbeizukommen und ihn in Längsrichtung zu beschießen, war Feuer ausgebrochen. War eine Laterne vom Haken gefallen, hatte ein von Panik gepackter Mann durch einen unglücklichen Zufall das Pulver entzündet — niemand würde es je erfahren. Von dem eroberten Schiff war nicht mehr viel zu sehen. Die Masten waren gefallen; es schien nur noch aus einer Flammenwand zu bestehen, die mit jeder Sekunde wuchs und sich ausbreitete. Der Wind wehte Funken auf das längsseit liegende Schiff, dessen Segel bereits loderten; Segel und Laufbrükken brannten ebenfalls — auch dieses Schiff war verloren.
Bolitho wischte sich die Augen, die nicht nur vom Rauch, sondern auch vom Schmerz über den Tod Javals und seiner Männer voller Tränen standen.
Dann, als der Rauch wegwirbelte, hörte er Grubb rufen:»Das Ruder, Sir!»
Er ging quer übers Deck und kümmerte sich nicht um die Kugeln, die hier und da zu seinen Füßen in die Planken schlugen. Er starrte nur auf die Rudergasten, die das mächtige Rad im Leerlauf herumwirbelten.
«Der Mistkerl hat uns mit seinem Buggeschütz die Ruderzüge weggeschossen!«keuchte Grubb wütend.»Wir treiben ab!«Und er zeigte auf die Fock.
«Einige Mann nach achtern!«brüllte Bolitho.»Neue Leinen anschlagen, so schnell wie möglich!«Plowman holte bereits Leute von den nächsten Geschützen zusammen.
Verzweifelt starrte Herrick auf die killenden Segel.»Wir müssen sofort Segel wegnehmen!»
«Aye, Thomas.»
Nur nicht an den Franzosen denken, der hinter ihnen herkam! Mit einem Glückstreffer hatte er das Steuer der Lysander beschädigt; und jetzt, da sie langsam abtrieb, drehte der Wind sie quer und bot dem Feind ihr Heck. Genau wie damals die Osiris! Beinahe hätte Bolitho laut geflucht. Diesmal war keine Lysander da, die sie retten konnte.
An Backbord und Steuerbord trieben, brennend oder schwer beschädigt, die französischen Versorgungsschiffe. Brueys' Hauptflotte mochte reichlich Infanterie und bespannte Artillerie an Bord haben, aber kein einziges von den schweren Belagerungsgeschützen, die nun alle versenkt waren!
Damals wie heute hatte sich die Nicator herausgehalten. Das tat ein Mann, der so verbittert war, so besessen von seinem Haß, daß er lieber seine eigenen Landsleute sterben sah, als ihnen zu Hilfe zu kommen.
Unten krachte es noch mehrmals; unter einem Chor von wilden Schreien kam die Großbramstenge der Lysander splitternd durch den Rauch gestürzt und schleuderte Männer und Segel mit mächtigem Aufklatschen ins Meer.
Matrosen rannten mit Äxten herzu, um sie zu kappen; Bolitho sah Saxby zu den Wanten rennen, einen neuen Kommodorestander wie eine Schärpe um den Leib gewickelt.»Sehen Sie, Sir«, schrie er, als er in die Webeleinen griff,»hab ich mir doch gedacht, daß ich heute noch einen extra brauchen würde!«Er lachte und weinte zugleich; seine Angst war unter den Schrecknissen verschwunden, die ihn umgaben. Später würde er, falls er am Leben blieb, um so schwerer daran zu tragen haben.
Bolitho sah über ihn hinaus auf Marssegel und Galion des Franzosen, die an Backbord turmhoch über ihrem Heck standen. Immer noch zerhämmerten sie einander mit den Kanonen, und es gab tatsächlich noch Männer, die hurra schrien, wenn die Lysander einen Treffer anbrachte.
Doch es hatte alles keinen Zweck mehr. Hilflos trieb die Lysander quer, durch die zerfetzten Segel strömte der Qualm, die Geschütze feuerten kaum noch, weil keine Bedienungen mehr vorhanden waren. Der wirbelnde Rauch färbte sich rot. Bolitho mußte sich irgendwo festhalten, denn die erste feindliche Kugel schmetterte in die Kampanje. Seesoldaten und Matrosen fielen tot oder sterbend auf seinen Weg. Leutnant Nepean ließ seinen Säbel fallen und stürzte, an seinem Blut erstickend. Leroux schrie nach seinem Sergeanten, aber der meldete sich nicht mehr. Er saß am Boden und hielt sich den Leib, und seine Augen verglasten, während er versuchte, seinem Major zu antworten, wie er ihm immer geantwortet hatte.
Allday riß seinen Entersäbel heraus und stellte sich vor Bolitho, um ihn mit seinem eigenen Körper zu schützen.
«Noch eine Breitseite«, knirschte er,»und die versuchen, uns zu entern. «Er schob einen sterbenden Seesoldaten beiseite und deutete mit dem Entersäbel durch den Rauch.»Es gibt nur einen Mann, den ich heute lieber umbringen möchte als jeden Franzosen!»
Mit steinernem Gesicht, die Hände auf dem Rücken, schritt Herrick vorbei.»Mr. Plowman sagt, gut zehn Minuten dauert es noch,
Sir.»
Es könnte ebensogut eine Stunde dauern, dachte Bolitho.
Herrick wandte sich nach Allday um.»Und wer ist das?»
«Dieser blutiggottverdammte Probyn, den meine ich!»
Das französische Schiff war schon dicht an ihrem Heck. Was die Rohre hergeben wollten, feuerte der Franzose in die Kampanje und den unteren Rumpf der Lysander, und vom Bugspriet und der Vormarsrah schossen Scharfschützen, so schnell sie laden konnten, auf das Achterdeck der Lysander.
«Was ist mit den Versorgungschiffen, Thomas?«schrie Bolitho.
Herrick zeigte die Zähne.»Sechs sind zerstört, und vielleicht ebenso viele manövrierunfähig.»
Bolitho wandte sich um, denn soeben wurde ein Toter von der Kampanje weggezerrt: Moffitt, sein Schreiber, einen hellroten Fleck in dem dünnen grauen Haar, wo ein Splitter ihn getroffen hatte. Wie Gilchrists Vater hatte er das Elend der Schuldgefängnisse kennengelernt. Und jetzt war er tot.
Bolitho brachte die Worte kaum heraus.»Ich befehle Ihnen hiermit, unsere Flagge niederzuholen, Thomas.»
Mit fest zusammengepreßten Lippen starrte Herrick ihn an.»Die Flagge streichen, Sir?»
Bolitho schritt an ihm vorbei. Allday war dicht hinter ihm und schützte ihn. Wie immer.
«Aye. «Er sah die umgestürzten Kanonen, das Blut, das bis auf den zerfetzten Klüver gespritzt war.»Wir haben erreicht, was wir uns vorgenommen hatten. Ich lasse keinen Mann mehr sterben, nur um meiner Ehre Genüge zu tun!»
«Aber, Sir!»
Herrick zögerte noch, denn Veitch kam herbeigerannt, sein Ärmel war blutdurchtränkt, das Gesicht wachsbleich.»Wir können doch noch kämpfen, Sir«, keuchte er,»wir haben immer noch ein paar tüchtige Jungs!»
Müde sah Bolitho ihn an.»Ich weiß, daß Sie kämpfen würden. Aber dann fallen unsere Männer für nichts. «Er drehte sich zum
Feind um und hielt dann nach Saxby Ausschau. Der kniete am Schanzkleid.
«Holen Sie die Flagge ein!«rief er laut.»Das ist ein Befehl!»
Die Kanonen schwiegen jetzt, und über dem Prasseln eines brennenden Versorgungsschiffes hörte man zögernde französische Hurrarufe.
Sie machen sich fertig zum Entern. Bolitho stieß den Degen in die Scheide und sah sich unter seinen Leuten um. Wenigstens die, die noch am Leben waren, brauchten jetzt nicht mehr zu sterben.
Wieder stieg der Rauch hoch, und mit ihm ein furchtbarer Kanonendonner; Bolitho glaubte eine Sekunde lang, daß die Franzosen ihren Sieg durch eine letzte mörderische Breitseite auf allerkürzeste Entfernung besiegeln wollten. Ein paar Wanten der Lysander wurden von Kugeln, die über das Deck fegten, weggefetzt wie Gras.
Wild schrie Herrick:»Das ist die Nicator, Sir! Sie feuert von der anderen Seite auf den Franzosen!»
Wegen des Pulverqualms und wegen der treibenden Transporter, die zum Teil brannten und die Rauchwand noch verstärkten, hatte niemand das langsame, vorsichtige Näherkommen der Nicator bemerkt. Sie schoß aus allen Rohren auf den Franzosen, der hilflos zwischen dem spärlichen Feuer aus den SteuerbordHeckgeschützen der Lysander und den wütenden Breitseiten der Nicator lag und nicht entkommen konnte.
«Laufbrücken freimachen!«befahl Bolitho; er hörte Kugeln der Nicator durch die Takelage fegen.
Herrick zeigte auf Saxby, der wild um das Stag herumtanzte, an dem Bolithos Kommodorestander hing. Weder dieser noch die Kriegsflagge waren eingeholt.
Bald war es vorbei; als die hurra brüllenden Matrosen und Seesoldaten auf das Deck des Franzosen stürmten, ging die Trikolore nieder und verschwand im Rauch.
Eine Viertelstunde später erschien ein Leutnant der Nicator an Bord, während alle drei Schiffe, ineinander verstrickt, vorm Wind dahindrifteten und Sieger wie Besiegte sich einmütig der Verwundeten annahmen.
Der Leutnant sah sich an Deck um und nahm den Hut ab.»Es — es tut mir leid, Sir. Wir sind wieder zu spät gekommen. So einen
Kampf wie den Ihren habe ich noch nie gesehen. «Er blickte zu Kampanje hinüber, wo verwundete Marine-Infanteristen weggetragen wurden.
«Und Captain Probyn?«fragte Herrick schroff.
«Gefallen, Sir. «Der Leutnant reckte das Kinn hoch.»Im Scharfschützenfeuer. War sofort tot.»
In hellem Schrecken schrie ein Mann, der zum Orlopdeck geschafft wurde; Bolitho dachte an Luce und Farquhar und Javal. Und an so viele andere.
«War das, bevor Sie uns zu Hilfe kamen — oder nachher?«fragte er.
Der Leutnant machte ein sehr verlegenes Gesicht.»Vorher, Sir. Aber ich bin sicher, daß…»
Bedeutsam blickte Bolitho Herrick an. Die Nicator war viel zu weit entfernt gewesen, unerreichbar für jede französische Musketenkugel. Bei einer Untersuchung würde der wahre Sachverhalt schwer aufzuklären und unmöglich zu beweisen sein. Aber jemand hatte, von Scham und Seelenqual getrieben, Probyn niedergeschossen, der dastand und ohne zu helfen zusah, wie Lysander und Immortalite vernichtet wurden.
Mit ernstem Lächeln sah er den bleichen Leutnant an.»Nun, Sie sind jedenfalls noch rechtzeitig gekommen.»
«Wir mußten doch, Sir«, sagte der junge Offizier und sah zur Seite.»Wir haben das Signal gesehen: Nahkampf. Das war uns genug«, sagte er leise.
Da erschien Pascoe auf dem Achterdeck, und Bolitho eilte hinüber und schloß seinen Neffen in die Arme. Der fremde Leutnant wandte den Blick von dieser Szene ab und sah hoch in einen Fleck blauen Himmels auf das immer noch wehende Signal.
«Stoßen Sie von dem Franzosen ab, Thomas, sobald Mr. Grubbs Leute mit dem Ruder fertig sind«, sagte Bolitho.»Er hat gut gekämpft, aber noch eine Prise kann ich nicht gebrauchen, wenn Brueys mit seiner ganzen Flotte in der Nähe ist.»
Herrick ging zur Reling und gab den Befehl an Leutnant Steere weiter, der aus dem unteren Batteriedeck gekommen war.
Grubb schlurfte unter der Kampanje hervor. Sein verwittertes Gesicht war schwarz von Rauch und Pulverschmiere.
«Sie reagiert jetzt aufs Ruder, Sir. Klar zum Ablegen!»
Herrick sagte leise:»Er hört Sie nicht, Mr. Grubb. Er starrt nur auf das Signal und denkt an alle, die es nicht mehr sehen können und nie mehr sehen werden. Ich kenne ihn.»
Stumm ging der Master zu seinen Rudergasten hinüber, und Herrick sagte zu dem tief erschütterten Pascoe:»Bleiben Sie bei ihm, Adam. Ich komme fürs erste schon ohne Sie zurecht. Versuchen Sie, ihm das zu erklären: Sie haben es nicht für irgendein Signal getan — sondern für ihn.»