«Schiff klar zum Gefecht, Sir. «Gilchrists Miene war undurchdringlich.»In neun Minuten genau.»
Bolitho hörte nicht, was Herrick darauf antwortete. Gelassen schritt er zur Luvseite. Das mächtige Großsegel war aufgegeit, jedes sichtbare Geschütz bemannt und ladefertig. Eine drohende, gespannte Atmosphäre lag über dem Schiff.
Herrick trat zu ihm und faßte an den Hut.»Abgesehen von sieben Kranken beziehungsweise Verletzten ist die Mannschaft vollzählig auf Stationen, Sir. Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben?»
«Später. «Bolitho nahm ein Teleskop vom Gestell und richtete es nach Backbord voraus. In der prallen Sonne glitzerte die See so stark, daß es in die Augen biß: wie Millionen kleiner Spiegel, mehr silbern als blau. Er richtete sich starr auf: zuerst glitt ein Schiff, dann das zweite durch die Linse.
Herrick sah ihn immer noch so forschend an, als suche er etwas in Bolithos Miene. Vielleicht ihrer aller Schicksal.
«Vierundsiebziger, schätzungsweise«, sagte Bolitho.»Bei diesem Wind müssen sie sich schwertun. «Er richtete das Glas auf das vorderste Schiff. Es drehte jetzt etwas ab und zeigte seine ganze Länge, die doppelte Linie der Stückpforten. Die Segel standen noch nicht richtig und warfen wandernde Schatten. Der Steuermann gab sich anscheinend die größte Mühe, die Segel voll Wind zu halten, bis er den Kurswechsel beendet hatte.
«Sie segelt sich schlecht, Thomas«, sagte er. Er biß sich auf die Lippe und versuchte sich vorzustellen, wie der Feind seine Lysan-der sehen mochte. Es würde noch eine Stunde dauern, bis sie aneinandergerieten. Um gegen zwei starke Vierundsiebziger eine Chance zu haben, mußte er den Windvorteil behalten, mindestens bis er den einen voll unter Feuer nehmen oder zwischen beiden durchstoßen konnte.»Zu lange im Hafen gewesen, vielleicht. Genau wie wir brauchen sie allen Drill, den sie kriegen können«, schloß er nachdenklich. Dann beobachtete er, wie die schlanke Harebell auf konvergierendem Kurs vor ihrem Bug vorbeizog; ihre Offiziere standen schräg auf dem kleinen, stark geneigten Achterdeck. Bolitho glaubte, Inch zu sehen, der den Hut schwenkte, doch vergaß er ihn, als Luces Leute der Harebell signalisierten, ihre Station einzunehmen — als bloßer Zuschauer oder — schlimmstenfalls — als Überlebender, der dem Admiral oder Farquhar die Nachricht überbringen konnte. Bolitho trat zur Querreling und überschaute das Hauptdeck. Jetzt kam das schlimmste: das Warten. Schade, daß nur die Hälfte der Mannschaft Zeit zum Essen gehabt hatte, ehe sie gefechtsklar gemacht hatten.»Haben wir noch Bier, Thomas?«fragte er. Herrick nickte.»Ich glaube, ja. Bloß wird der Zahlmeister es jetzt nicht gern ausgeben wollen.»
«Nun — er kämpft ja nicht. «Bolitho sah, wie sich die Geschützbedienungen in der Nähe über diese Bemerkung amüsierten. Er wandte sich ab. Es war ein wohlfeiler Trick zur Hebung der Kampfmoral, aber mehr hatte er nicht zu bieten.
Wieder überquerte er das Achterdeck und stützte den Fuß auf einen Neunpfünder. Der Geschützführer blickte zu ihm auf und tippte grüßend mit dem Handknöchel an die Stirn. Bolitho lächelte ihm zu. Der Mann war schon älter oder sah wenigstens so aus. Seine harten Hände waren teerfleckig, die Arme mit blauen, komplizierten Tätowierungen bedeckt.
«Und wie heißt Ihr?«fragte er.
Der Mann zeigte seine unregelmäßigen Zähne.»Mariot, Sir. «Er zögerte, zweifelnd, ob es angebracht sei, sich mit dem Kommodore zu unterhalten, sagte dann aber doch:»Hab noch unter Ihrem Vater gedient, Sir, auf der alten Scylla.»
Bolitho starrte ihn an. Ob Mariot ihm das jemals erzählt hätte, wäre er an einem anderen Geschütz gewesen, irgendwo im Schiff?
Er fragte:»Wart Ihr auch dabei, als er den Arm verlor?»
Mariot nickte; seine ausgeblaßten Augen sahen in die Ferne.»Aye, Sir. War ein feiner Mann, hab nie unter einem besseren gedient. «Er grinste verlegen.»Außer Ihnen, Sir.»
Mit fragendem Blick trat Herrick heran.
«Der Mann hat schon unter meinem Vater gedient, Thomas«, sagte Bolitho und schaute mit beschatteten Augen nach dem Feind aus.»Was die Kriegsmarine doch für eine kleine Welt ist!»
Herrick nickte.»Wie alt seid Ihr?«fragte er Mariot.
Der Mann schüttelte den Kopf.»Weiß nich' genau, Sir. «Er strich über das Bodenstück der Kanone.»Aber noch jung genug für die kleine Lady hier!»
Langsam schritt Bolitho auf und ab, ohne auf die frohen Rufe zu hören, mit denen das erste Bier begrüßt wurde. Alles in einer Mannschaft: Hier ein Mann, der mit seinem Vater in Indien gewesen war. Dort Allday, sein vertrauter Bootsführer und Freund, den ihm ein Preßkommando vor langer Zeit an Bord gebracht hatte. Herrick, einst junger Leutnant unter ihm; und Adam Pascoe, der einzige Sohn seines Bruders, vielleicht als Bindeglied zwischen ihnen allen.
Herrick unterbrach seine Grübeleien.»Der Feind mag ja schlecht segeln, Sir, aber mir war's doch lieber, wir hätten ein bißchen Unterstützung. Und wenn's nur eine Fregatte wäre, die sie in ihre verdammten Ärsche beißt.»
Bolitho blieb an den Netzen stehen und merkte erst jetzt, daß er schweißgebadet war.»Lysander hat vierhundert Jahre vor der Geburt unseres Herrn die Flotte der Athener bekämpft und geschlagen, wenn ich meinem alten Lehrer glauben will. «Er lächelte Herrick an.»Er wird uns bestimmt heute nicht im Stich lassen. «Etwas leiser fuhr er fort:»Nehmen Sie sich zusammen, Thomas, die Leute beobachten Sie. Ein Zeichen von Skepsis, und wir könnten verloren sein.»
Herrick nahm die Hände auf den Rücken und drückte das Kinn an die Halsbinde.»Aye. Entschuldigen Sie. Seltsam, daß man sich niemals an das gewöhnt, wofür man sein Leben lang ausgebildet wurde: an den Anblick eines feindlichen Segels, das Krachen einer Breitseite, an das Weiterkämpfen, bis der Feind die Flagge streicht oder man selbst untergeht. «Dann wurde sein Ton so bitter, wie Bolitho es noch nicht an ihm kannte:»Diese feinen Leute in England, die schon vor Rührung heulen, wenn sie nur zusehen, wie ein Schiff des Königs in See geht, haben keinen Gedanken übrig für die armen Teufel vor dem Mast, die krepieren, damit sie daheim ruhig schlafen und sich den Bauch vollschlagen können!»
Bolitho hörte ihm unbewegt zu. Jetzt kam der alte Herrick wieder zum Vorschein: stets bereit, sich für den kleinen Mann einzusetzen, ganz egal, wie sehr das seine Vorgesetzten ärgern mochte. Das war wohl auch der Grund, weswegen er im Dienstrang noch nicht viel über dem Fregattenkapitän stand.
«Und Ihre Schwester, Thomas«, fragte er,»wie geht es ihr?»
Herrick riß sich zusammen.»Emily?«Er sah zur Seite.»Unsere Mutter fehlt ihr zweifellos sehr, wenn sie auch zum Schluß allerhand Pflege gebraucht hat.»
Bolitho nickte.»Halten Sie Emily ein Mädchen, das sich um sie kümmert, während Sie auf See sind?»
Herrick wandte sich zu ihm um; er hatte jetzt die Sonne direkt in den Augen.»Wollen Sie auf Mr. Gilchrist zu sprechen kommen, wenn ich fragen darf, Sir?»
«Ich habe davon gehört, Thomas. «Herricks Ton überraschte ihn. Daß er sofort in die Defensive ging…
Herricks Augen sahen in der stechenden Sonne beinahe farblos aus.»Emily ist recht angetan von ihm. Er ist ein verläßlicher Offizier. Manchmal allerdings geht sein Temperament mit ihm durch. «Er senkte den Kopf.»Und was er erreichte, hat er verdient, Sir.«»Wie Sie, Thomas.»
«Gewiß. «Er seufzte.»Emilys Wünsche bedeuten mir viel. Sie hat weiß Gott wenig genug auf dieser Welt.»
«An Deck!«meldete sich der Ausguck.»Vorderstes Schiff setzt mehr Segel!»
Herrick griff sich ein Teleskop und eilte an die Reling.»Hol' sie der Teufel! Die wollen unsere Feuerkraft zweiteilen!»
Bolitho beobachtete ihn und spürte, daß er einerseits fieberhaft darüber nachdachte, wie er sein Schiff in die günstigste Position bringen konnte, andererseits aber noch dem eben geführten Gespräch nachhing.
Scharf fuhr Gilchrist dazwischen:»Die kommen nicht so nahe heran, Sir. Ich glaube eher, sie wollen uns mit Kettenkugeln oder Kartätschen manövrierunfähig schießen und uns dann in aller Ruhe das Heck demolieren.»
«Signal an Harebell: >Wir ändern Kurs nach Südost
«Ob das klug ist?«fragte Herrick heiser.»Wir haben nur knapp drei Meilen Distanz. Wenn wir auf Kurs bleiben, können wir sie vielleicht ausmanövrieren. Der Wind steht für uns so günstig, daß die Frogs[13] Stunden brauchen, ehe sie wenden und hinter uns herkommen können.»
Bolitho nahm ihm das Glas aus der Hand und stellte es auf die beiden Schiffe ein. Weit auseinander segelnd, hielten sie auf den Steuerbordbug der Lysander zu. Dabei hatten sie große Mühe, die notwendige Höhe herauszusegeln; wenn sie nur noch ein bißchen höher an den Wind gingen, mußten sie sich festsegeln. Drei Me i-len? Aber Herrick war schon immer gut im Entfernung schätzen gewesen. Der Bug der Lysander würde fast rechtwinklig auf den Bug des vordersten Zweideckers stoßen, und danach konnte der zweite Franzose so handeln, wie er es für zweckmäßig hielt: entweder nach Backbord abdrehen und eine Breitseite feuern, während die Lysander sich aus der ersten Feindberührung zu lösen versuchte; oder wenden und ihr ungeschütztes Heck kreuzen und beharken, während sie noch im Gefecht waren.
Herricks Vorschlag hätte der Lysander und der Prise eine ausgezeichnete Chance geboten, den Kampf zu vermeiden. Er bedeutete aber auch Flucht, die sich durchaus zu einer langen Verfolgungsjagd entwickeln konnte, in deren Verlauf sie vielleicht einem weiteren Feind in die Arme getrieben wurden. Dieser verdammte Farqu-har! Wenn der Gegner es mit drei Schiffen zu tun bekommen hätte, hätte er sehr rasch seine Taktik ändern müssen.
Bolitho schritt weiter nach achtern und prüfte unter Grubbs forschendem Blick den Kompaß: Kurs Nordost zu Nord lag an, und der freundliche Westwind kam stetig von achtern. Bolitho sah in Grubbs zerklüftetes Gesicht.»Na — hält er sich?»
Grubb rieb sich die wässerigen Augen.»Der Wind, Sir? Aye. Aber ihrer da — «, er deutete mit dem Kopf zur nächsten Geschützmannschaft und zum Oberdeck — ,»bin ich mir nicht so sicher.»
Gilchrist, der eben vorbeischritt, blieb auf der anderen Seite des Ruders stehen und sagte empört:»Aber hören Sie mal, Mr. Grubb! Wenn wir schon vor dem Gefecht zu jammern anfangen, sind wir gleich verloren!»
Grubb sah ihn stur an.»Sie kämpften mit diesem Schiff bei St. Vincent, Sir. Wie ich und andere.»
«Jawohl. «Gilchrist hatte so eine gewisse Art, zu Grubb zu sprechen, doch seine Worte in Wirklichkeit an Bolitho zu richten.»Und ich bin stolz darauf.»
Grubb zuckte die Achseln.»Das war eine ausgebildete Mannschaft. Käpt'n Dykes hatte sein Schiff erstklassig in Schuß. «Er wandte sich an Bolitho. »Sie wissen es ja, Sir. «Er sah Gilchrist nicht direkt an.»Besser als jeder andere, soweit ich unterrichtet bin.»
Sehr nachdenklich schritt Bolitho wieder nach vorn zur Reling.»Haben Harebell und Segura bestätigt?«Mit hüpfenden Schritten stelzte Gilchrist hinter ihm her.»Aye,
Sir.»
«Dann melden Sie mir das gefälligst! Ich bin kein Hellseher, verdammt!«Er zwang sich zur Ruhe.»Führen Sie das Manöver aus! Mr. Grubb, klar zur Halse!»
Männer eilten an die Brassen, die Stiefel der Seesoldaten knallten im perfekten Gleichschritt auf die Planken, während sie die Besan-rahen verholten; die Segel schlugen sekundenlang leer, füllten sich dann wieder, und das Schiff legte sich auf den anderen Bug.
Bolitho hob das Glas und glich mit gespreizten Beinen die Schräglage aus. Er hörte das Befehlsgebrüll nicht mehr, nicht das Donnern der Segel hoch oben, sondern konzentrierte sich auf die kleine stille Welt der Teleskoplinse. Ein Schatten glitt über die Vorsegel des vordersten Schiffes, es schöpfte neue Kraft, indem es leicht abfiel und den Wind jetzt besser ausnutzen konnte.
«Kurs Südost liegt an, Sir!»
«Mr. Luce«, rief Gilchrist scharf,»was ist mit den anderen?»
Luces Antwort kam ebenso scharf; er spürte die Spannung zwischen seinen Vorgesetzten. »Harebell und Prise auf Stationen, Sir!»
Bolitho schob nachdenklich die Lippen vor und beobachtete die beiden feindlichen Schiffe. Sie wurden mit jeder Minute größer, er konnte die bunten Trikoloren in den Toppen erkennen, die blitzenden Sonnenreflexe auf Teleskopen und Geschützen. Sie ihrerseits mußten seinen langen Kommodorewimpel bereits gesehen haben. Fette Beute, würden sie denken, die gerechte Strafe für sein unverschämtes Auftreten.
Herrick war neben ihn getreten.»Sie fallen beide einen Strich ab. Unser Kurswechsel kommt ihnen zustatten. Wenn wir zu weit abdrehen, könnten sie uns den Windvorteil nehmen.»
«Deswegen müssen wir aufpassen, daß sie es nicht tun. Ich habe ihnen eine Chance gegeben, Thomas. Wenn wir auf diesem Kurs bleiben, sind wir in einer halben Stunde auf gleicher Höhe mit dem vordersten Franzosen. Dann könnte der andere versuchen, unsere offene Seite zu beschießen.»
Major Leroux wandte sich ihm zu und sagte lächelnd:»Aber auf keinen Fall können sie gegen den Wind ankreuzen, wenn wir so dicht beieinander sind. Dann sitzen sie fest.»
Herrick war immer noch nicht überzeugt.»Ich weiß. Aber vorläufig brauchen sie sich deshalb noch keine Sorgen zu machen.»
«Sprechen Sie mit dem Master und dem Ersten«, sagte Bolitho.»In zehn Minuten will ich halsen. «Er sah den stummen Protest in
Herricks Augen, fuhr jedoch fort:»Dann gehen wir auf denselben Bug wie vorher und steuern Nordost.»
Als bräche die Sonne durch die Wolken, leuchtete Herricks Gesicht bei diesen Worten begreifend auf. Langsam sagte er:»Bei Gott, entweder kollidieren wir dann mit einem von ihnen, oder…»
«Oder wir segeln genau zwischen ihnen durch. Anluven können sie nicht weiter, dabei würden sie nur entmastet. Wenn sie wenden und vor dem Wind segeln, zerschießen wir ihnen die Hecks. Wenn sie bleiben, wie sie sind, beharken wir sie beim Durchbruch mit den Backbord- und Steuerbordbatterien. «Er hielt Herricks Blick stand.»Und was danach kommt — das weiß ich auch nicht besser als Sie! Jetzt leiten Sie das Manöver ein! Mit den Leuten werde ich sprechen.»
Er schritt zur Achterdecksreling und wartete, bis die meisten Matrosen zu ihm aufsahen. Leutnant Veitch stand mit hängenden Armen da, den Rücken zum Feind; sein Entersäbel blinkte in der Sonne, denn er hatte bereits blankgezogen. Neben ihm standen zwei Midshipmen und ein Stückmeistersmaat. Das gehörte alles zur Routine, ebenso wie die rotröckigen Marine-Infanteristen an den Niedergängen, die jeden Mann, der Angst bekam, daran hindern würden, unter Deck zu fliehen. Und hinter jeder Bordwand, halb verborgen unter den Laufbrücken, die Vorderschiff und Achterdeck miteinander verbanden, warteten die Männer, die den Feind nur durch ihre Stückpforten sehen konnten. Die aber unter allen Umständen klaren Kopf behalten mußten, sonst waren sie verloren.
«Da vorn, Jungs«, sagte Bolitho,»sind zwei feine französische Gentlemen. «Er sah das starre Grinsen der Älteren, das nervöse Kopfwenden der Jüngeren, als ob der Feind schon im nächsten Moment an Bord kommen würde.»Für die meisten von euch ist es das erste Mal. Solange ihr eurem Vaterland dient, wird es nicht das letzte Mal sein. Vor ein paar Tagen habt ihr eure Sache sehr gut gemacht: eine Prise genommen, ein weiteres Schiff mit diesen Achtzehnpfündern hier versenkt.»
Im unteren Deck, in fast völliger Dunkelheit, warteten noch zwei Reihen von Männern darauf, daß die Stückpforten geöffnet und die schweren Zweiunddreißigpfünder ausgerannt wurden. Die würden versuchen, ebenfalls zu hören, was er sagte, doch konnten sie es erst von den Schiffsjungen und Midshipmen erfahren, vielleicht in verzerrter Form.
«Aber das hier sind keine kleinen Briggs, Jungs. Auch keine neuerbaute Küstenbatterie. «Er sah, daß seine Worte Eindruck machten.»Es sind zwei Linienschiffe — und gute Schiffe!»
«Von mir aus kann's losgehen, Sir«, hörte er Grubb flüstern.
Bolitho blickte wieder über das menschenwimmelnde Deck, das dick mit Sand bestreut war, damit die Leute nachher nicht ausrutschten.»Aber trotzdem haben sie einen Fehler: sie sind mit Franzosen bemannt, nicht mit Engländern! Und das wird ihr Untergang!»
Er wandte sich wieder nach achtern, sah die Männer noch winken und jubeln, die Midshipmen grinsen, als sei Königs Geburtstag. Doch er war wütend über sich selbst und sein primitives Gerede.
«Geben Sie bitte Befehl zum Laden«, sagte er scharf zu Herrick.»Dann lassen Sie die Backbordgeschütze ausrennen. Ja, Sie haben richtig gehört: Backbord. Wir müssen sie in Sicherheit wiegen. «Ungeduldig wandte er sich ab.»Und die Leute sollen mit dem Gebrüll aufhören. Sie werden ihren Atem noch brauchen!«Damit schritt er rasch zur anderen Seite.
«Hier, Sir!»
Er hob die Arme, weil Allday ihm den Degen umschnallen wollte. Das sah Allday wieder einmal ähnlich: Er tat es mit voller Absicht, damit Matrosen und Seesoldaten sahen, wie ruhig sie beide waren.
Bolitho warf ihm einen Blick zu und sagte leise:»Wir sind schon ein feines Paar!»
Allday lächelte verstohlen.»Wenigstens sind wir wieder ein Paar, Sir. «Er starrte unbewegt zum Feind hinüber, beobachtete die Schiffe mit professionellem Interesse.»Das wird nicht leicht. Immerhin, ich glaube, die freuen sich nicht gerade auf uns!»
«Backbordbatterie ausrennen!»
Das Signal wurde zum unteren Deck weitergegeben; zögernd, als wollten sie erst einmal die Luft prüfen, rumpelten die Rohre der Backbordgeschütze in das Sonnenlicht und glänzten matt wie schwarze Zähne.
«Auch die Franzmänner rennen aus, Sir.»
«Gut.»
Bolitho zog seine Uhr und ließ den Deckel aufschnappen. Sie war noch warm von der Wärme seines Oberschenkels. Er klappte sie wieder zu. In kurzer Zeit war sie vielleicht so kalt wie ihr Besitzer.
Ein dumpfer Krach hallte über die See, und Sekunden später sprang neben der Lysander eine dünne Säule Sprühwasser hoch. Wütend brüllten die Geschützbedienungen auf, doch Bolitho hörte Veitch rufen:»Achtung! Steuerbordgeschütze klar zum Ausrennen!«Er blickte zum Achterdeck auf und sah Herrick nicken.»Beide Seiten feuern unabhängig!»
Ein junger Matrose bei einem Neunpfünder flüsterte etwas, und Mariot, der alte Stückführer, erklärte ihm:»Jede für sich, meint er. «Er sah Bolithos flüchtiges Lächeln und rief hinauf:»Wir warten schon auf die Strolche, Sir!«Dann trat er einen Schritt von seiner Kanone zurück und straffte die Reißleine.»Grad' wie auf der alten Scylla!»
«Feind verringert Segel!«rief Pascoe.
Bolitho nickte — die Bramsegel des vordersten Feindschiffes verschwanden wie durch Zauberei. Es bereitete sich darauf vor, die Herausforderung der Lysander anzunehmen. Wenn sie auf diesem Kurs weitersegelten, mußten beide französische Kommandanten gute Schußpositionen für die ersten Breitseiten haben.
Hinter Herrick stand Gilchrist an der Reling, die Sprechtrompete bereits erhoben.
«Also los«, sagte Bolitho.»Jetzt gilt es, Captain Herrick. Eine Halse, und dazwischen!»
«An die Brassen!«schrie Gilchrist. Er sprang von einer Deckseite zur anderen, mit seiner blechernen Stimme feuerte er die Matrosen an:»Hol dicht! Hol dicht!»
Bolitho hielt sich an der Kampanjeleiter fest. Das Schiff erschauerte; jedes Stag, alle Wanten summten vor Anspannung, als die mächtigen Rahen knarrend überkamen. Keuchend vor Anstrengung warfen sich die Rudergasten mit ihrem ganzen Gewicht in die Speichen und holten das Ruder immer weiter herum.
Veitch überschrie das Donnern der Leinwand:»Steuerbordbatterie — ausrennen!»
Bolitho blickte zu seinem Stander hoch, wie um ihn zu beschwören, daß er die Richtung hielt. Eilends gehorchten Matrosen und Marine-Infanteristen den Befehlen der Bootsmannsmaaten.
Mit gesenktem Kopf beobachtete er das vorderste französische Schiff. War es Einbildung? Er hielt den Atem an; und dann, als sich das Deck unter seinen Schuhsohlen nach der anderen Seite legte, sah er, daß das französische Schiff mehr Fahrt aufzunehmen schien, am Bugspriet und dem schlagenden Klüver der Lysander vorbeischwang wie bei einer Segelregatta.
«Stütz!«schrie Grubb wütend.»Noch ein Mann ans Ruder!»
Die Rahen knarrten nicht mehr und kamen auf dem Steuerbordbug zur Ruhe; die Marssegel bekamen wieder harte Bäuche und legten das Schiff schräg, bis der Gischt an die Gülls der untersten Stückpforten flog, wo die Geschützführer bereits Feuerbereitschaft meldeten.
Herrick setzte seinen Dreispitz fester, denn der Wind blies Sprühwasser durch die Wanten. Es trocknete fast so schnell, wie es fiel; gleich einem Sommerregen, dachte Bolitho.
«Kurs Nordost liegt an, Sir!»
«Recht so!»
Bolitho hob sein Glas und stellte es auf den Feind ein. Der Wind zerrte an seinen Rockschößen. Auf diese plötzliche Kursänderung waren die französischen Kommandanten nicht gefaßt gewesen. Schon glitt das reichornamentierte Heck des vordersten Schiffes am Steuerbordbug der Lysander vorbei, die Lücke wurde breiter und breiter, und schließlich sah er den Klüverbaum des zweiten Vierundsiebzigers am linken Rand in seine Linse ragen.
Blitzend schoß eine Reihe gelbroter Flammenzungen aus der Bordwand des vordersten Schiffes. Bolitho hörte mehrere Kugeln hoch oben vorbeisausen; irgendwo brach mit peitschenartigem Knall ein getroffenes Stag. Er ging zur anderen Seite und ergriff Herrick beim Arm.»Der Dummkopf schießt viel zu früh. «Er deutete zu den wartenden Matrosen hinunter.»Die Steuerbordbatterie, Thomas. Gebt ihnen 'ne Breitseite! Wenn wir Glück haben, ist noch Zeit zum Nachladen, bevor wir an seinem Heck vorbei sind!»
Herrick senkte den Arm.»Feuer frei!»
Das ohrenzerreißende Brüllen der Breitseite, die mächtig herausquellende Wolke aus beißendem Qualm, die zum Feind hinübertrieb, veranlaßte mehrere Marine-Infanteristen, ihre Musketen abzufeuern. Sie hatten keine Aussicht, irgendetwas zu treffen, und Sergeant Gritton blaffte:»Der nächste Idiot, der ohne Befehl schießt, wird bestraft!»
Bolitho stand auf einem Poller und spähte durch die Webleinen nach den Schäden beim Feind, bis ihm die Augen schmerzten. Die Segel des Franzosen waren pockennarbig von Schußlöchern, im Bootsgestell klaffte ein mächtiges Loch, eine Barkasse war in zwei Stücke gespalten. Aber die Trikolore wehte noch, und das Schiff hielt unbeirrt Kurs.
Er hörte Hoch- und Hurrarufe seiner Männer und befahl unwillig:»Nachladen! Drei Schuß pro Minute will ich hören!«Und als Gil-christ ihn entsetzt anstarrte.»Jawohl! Artillerie ist jetzt alles, was wir haben!»
Ein unregelmäßiges Krachen von Backbord her: der zweite Franzose versuchte, die Lysander mit seinen Buggeschützen zu treffen, den einzigen, die jetzt Schußfeld hatten.
«Backbordbatterie — Achtung!«brüllte Veiten mit erhobenem, blitzendem Säbel. Ein Midshipman eilte zum Niedergang, um den Befehl weiterzugeben.
Der Säbel fuhr nieder.»Feuer!»
Wieder erzitterte das Schiff und bockte heftig. Beide Batteriedecks feuerten eine langsame, regelmäßige Breitseite. Schon warfen sich die Männer wieder in die Züge und Handspeichen, tappten blind nach Kartuschen und neuen Kugeln; viele husteten in dem binnenbords ziehenden Qualm, durch den das Deck kaum noch zu sehen war.
Wütend brüllte Veitch:»Schneller! Los da, Nummer drei! Ausputzen!»
Bolitho wischte sich das dampfende Gesicht; sein Mund wurde staubtrocken, als er sah, daß die Fock des Franzosen wie ein zerrissenes Bettlaken nach allen Richtungen flatterte und daß mehrere ihrer Kugeln das Vorschiff getroffen und lange schwarze Narben hinterlassen hatten. Das vorderste Feindschiff war noch immer auf Kurs; der Kommandant wollte offenbar sein Heck erst im allerletzten Moment exponieren. Oder er hoffte, das andere Schiff würde irgendein Wunder zustande bringen.
Herrick meldete:»Alles geladen und ausgerannt. «Sein Gesicht war fleckig vor Pulverrauch.»Unter zwei Minuten, nach meiner
Uhr!»
«Feuer!»
Wieder fuhren die Steuerbordgeschütze im Rückstoß binnenbords, gelbrot gefärbter Rauch rollte mit dem Wind auf den Franzosen zu, der jetzt Steuerbord voraus lag.
Bolitho biß die Zähne zusammen: die Rauchwolke der Lysander blitzte auf unter der unmittelbaren Antwortsalve des Franzosen. Das Deck schulterte unter ihm; er sah, wie einige Männer sich duckten, als die Kugeln flach über das Hauptbatteriedeck jaulten — manche schlugen erst eine Meile vom Schiff entfernt in die See.
«Jetzt, Thomas!«brüllte er.»Die Karronaden im Vorschiff!»
Herrick nickte mit starrem Gesicht, denn weitere Geschosse krachten in die Bordwand oder flogen zwischen den Segeln durch.
Bolitho schritt zur Leeseite, wo sich die Heckaufbauten des vordersten Franzosen wie ein goldenes Hufeisen über den wirbelnden Rauch erhoben. Das Vorschiff der Lysander war bereits in der Lücke zwischen den beiden Feindschiffen. Obwohl er darauf gefaßt gewesen war, fuhr er zusammen, als die Karronaden ihre großen, mit Eisenschrot gefüllten Kugeln abfeuerten, unterstützt von Veitchs vordersten Achtzehnpfündern, die jetzt die verwundbarste Stelle des Feindes vor den Rohren hatten: das Heck.
Veitchs Stimme überschlug sich fast:»Stopfen! Ausputzen, laden!»
Der Kanonendonner, das Quietschen und Rumpeln der ausgefahrenen Geschütze, das endlose Rufen und Hurrageschrei schienen aus einer anderen Welt zu kommen — oder direkt aus den Tiefen der
Hölle.
Gebrochene Stage peitschten wie Schlangen auf den übers Deck gespannten Schutznetzen, die nackten Oberkörper der Kanoniere hatten lange Streifen aus Schweiß und Pulver; sie sahen aus wie die Sklaven, nicht wie die Herren ihrer bellenden schwarzen Rohre.
«Feuer!»
Bolitho hörte einen Mann aufschreien, sah einen Körper aus dem Großtopp hart von Deck abprallen und dann ins Meer stürzen. Wieder krachten Schüsse durch den Rauch, trotzdem hörte er
Grubbs heiser triumphierenden Ausruf:»Der alte Nußknacker hat's geschafft, Sir!«Er schwenkte seinen zerbeulten Hut.»Muß das Ruder drüben erwischt haben!»
Obwohl die Lysander inzwischen durch die Lücke gestoßen war, befand sich das Heck des vordersten französischen Schiffes immer noch direkt in ihrem Schußfeld. Die mörderische Schrotladung aus der Karronade, unterstützt von den Kanonen im Vorschiff, bei denen man schon an dem tiefen Bellen des Abschusses hörte, daß sie doppelt geladen waren, mußte durch das Heck hindurch die Ruderanlage getroffen und havariert haben. Das Schiff drehte steuerlos in den Wind; Bolitho sah, daß die reichgeschnitzte Galerie in Trümmern, die Kampanje zerlöchert und gesplittert war.
Und da geriet auch schon der Besanmast, zwar noch eine Zeitlang von Wanten und Stagen aufrecht gehalten, ins Wanken und fiel. Winzige Gestalten rutschten aus dem Topp hinunter; unten rannten sie wie die Verrückten, um nicht von der ungeheuren Masse der Takelage erschlagen zu werden, die jetzt mit einem Krachen, das sogar den Kanonendonner übertönte, mitsamt der flatternden Trikolore in den Qualm stürzte.
«Der andere versucht, mit uns abzudrehen, Sir. «Grubbs Augen trieften vor beißendem Rauch.»Er will uns den Wind wegnehmen!»
Bolitho deutete auf das zweite Schiff.»Mr. Gilchrist! Backbordkarronade feuerklar!»
Der Klüverbaum des zweiten Schiffes stieß wie eine schwarze Lanze durch den Rauch; die stecknadelkopfgroßen Mündungsfeuer der Musketen blitzten über Galionsfigur und Fock. Mit dichtgebraßten Rahen, das Ruder bis zum Anschlag gedreht, kämpfte sich das Schiff nach Steuerbord durch den Wind. Die Distanz verringerte sich rasch, und es präsentierte immer mehr von seiner narbigen Bordwand.
Krachend fuhr die Backbordkarronade auf ihrer Gleitvorrichtung zurück, das Geschoß explodierte dicht über dem Vordersteven des Feindes und riß einen Wirbel von Splittern hoch.
«Bei Gott«, brüllte Herrick,»ihr Vormast kommt runter!»
Wie trunken neigte sich der Mast dem Meer zu, aber der Feind schoß trotzdem noch eine unregelmäßige Breitseite. Zwar blieben einige Stückpforten stumm, als Resultat von Veitchs früheren Treffern. Doch Bolitho wußte recht gut, daß man Zeit gehabt hatte, diese erste Salve besonders sorgfältig zu zielen. Wiederholt erbebte das Deck unter ihm, und von unten hörte er metallisches Klirren und schrille Schreie. Die französischen Musketenschützen feuerten immer noch, und bei seinem ruhelosen Auf- und Abgehen sah Bo-litho an den Splittern, die von den Planken aufflogen, daß ein Scharfschütze die Offiziere der Lysander aufs Korn genommen hatte.
Ein schärferer Knall kam aus den pockennarbigen Segeln, die jetzt wie weiße Klippen über die Webleinen der Lysander ragten, und eine Sekunde später lag das hintere Achterdeck voller um sich stoßender, schreiender Verwundeter. Der Franzose hatte also eine Drehbasse im Masttopp, die auf kürzeste Entfernung eine Kartätschenladung abgefeuert hatte — der französische Kommandant setzte anscheinend alle Mittel ein.
«Der Frog ist manövrierunfähig«, schrie Herrick.»Er treibt auf uns zu! Mr. Grubb, Ruder nach Luv!»
Doch der Master, fluchend, hustend und spuckend im Rauch, zerrte Tote und Verwundete vom Ruder weg — oder von dem, was noch davon übrig war. Die Kartätsche hatte zuerst das Rad zerschmettert wie eine Zielscheibe und war dann zwischen die Geschütze gefegt; das Deck war wie gemustert mit Trümmern, zerfetzten Menschenleibern und Blut. Mehrere Matrosen, noch halb betäubt, rannten Grubb zu Hilfe, warfen sich in die restlichen Speichen und wagten kaum die Augen aufzumachen, weil sie Angst hatten, die zerfetzten Leiber ihrer Kameraden zu erblicken.
«Zu spät!«sagte Bolitho heiser.
Der Bugspriet des Feindes, der mächtige Treibanker der gebrochenen Takelage, lagen direkt vor ihrem eigenen Bug. Der Feind feuerte immer noch, ebenso wie die Männer der Lysander, über die Distanz von nur dreißig Fuß.
Jaulend flogen die Kugeln durchs Rigg oder krachten wie mächtige Hammerschläge in den Schiffsrumpf. Eine krachte in eine Stückpforte und pflügte eine Geschützbedienung um, die für den nächsten Schuß ausputzte. Der Achtzehnpfünder, aus seinen Zur-rings gerissen, sauste über das schräge Deck und zog, als er durch die zerfetzten Leiber der Bedienungsmannschaft rutschte, breite Blutbahnen nach sich.
Harry Yeo, der Bootsmann, wies brüllend seine Leute an, das Geschütz wieder unter Kontrolle zu bringen, und schwang dabei sein Enterbeil wie ein Wilder im Urwald.
«Wir rammen sie!«sagte Bolitho zu Herrick und rief dann Gil-christ zu:»Marssegel weg! Wir müssen klarkommen, ehe sich der andere Franzose erholt!«Eine Musketenkugel zischte an seinem Kopf vorbei.
Herrick nickte krampfhaft.»Mr. Gilchrist! Befehl weitergeben: Enterkommando abwehren!»
Wieder hörte Bolitho Schreie, und dazwischen Leroux' Stimme:»Holt die Scharfschützen endlich aus den Topps!»
Eindringlich erwiderte Bolitho:»Nein, Thomas! Wir müssen entern! Sonst hauen sie uns in Stücke!»
Er hielt sich an der Reling fest. Mit schmetterndem Krachen rammte de r Klüverbaum der Lysander den Bug des Feindes. Der Anprall verstrickte beide Schiffe immer tiefer ineinander; die Kanonen schwiegen, der schärfere Knall des Musketen dominierte jetzt.
Bolitho zog den Degen.»Daß mir das Schiff wieder klarkommt, Thomas!«Er wollte Herricks Zuversicht stärken, denn er sah die Unsicherheit auf dessen pulververschmierten Zügen, die sich in Angst verwandelte, als er rief:»Lassen Sie jemand anderen rübergehen, Sir!«rief er.
Drüben ertönte mächtiges Gebrüll und Geschrei, und schon versuchten französische Matrosen, durch das baumelnde Gewirr auf die Lysander zu springen.
«Keine Zeit«, sagte Bolitho kurz, rannte den Steuerbord-Laufgang hinunter und suchte sich aus den einzelnen Geschützbedienungen eine Anzahl Männer zusammen.
Auf dem Vorderkastell lagen bereits zehn oder fünfzehn Tote, Franzosen wie Briten. Entermesser klirrten, aus den Wanten und Rüsten beider Schiffe schossen die Scharfschützen Störfeuer in das Chaos.
«Die Karronade!«brüllte Bolitho.
Er stieß einen Verwundeten beiseite und hieb einem französischen Unteroffizier in den Hals; er fühlte den Aufprall vom Unterarm bis in seine alte Schulterwunde hinauf, die wie Feuer brannte.
Ein wildäugiger Seesoldat schien begriffen zu haben, was der Kommodore wollte, und warf sich in die Züge der Karronade; Mid-schipman Luce und ein paar Matrosen eilten ihm zu Hilfe.
«Feuer!»
Der Abschuß der Karronade warf die meisten Enterer zurück. Als sie auf ihrem eigenen Schiff die blutigen Überreste derer sahen, die ihnen folgen sollten, entschlossen sie sich zum Rückzug.
«Entert sie, Jungs!«schrie Bolitho, schwang seinen Degen, spürte, daß eine Pistolenkugel ihm den Dreispitz vom Kopf riß, und sprang, halb fallend, auf das schwer angeschlagene Vorschiff des Feindes. Als er sich umwandte, um zu sehen, wie viele seiner Männer ihm folgten, starrte er in die grimmigen Augen der riesigen Galionsfigur der Lysander; er fühlte wieder jenes irre Grinsen auf seinen Lippen, die unbeherrschbare Wildheit, die ihn zwang, durch zerbrochene Niedergangsleitern, zersplitterte Spieren, Toten mit klaffenden Wunden, das Gewirr des herabgefallenen Riggs immer weiter vorzustürmen.
Klirrend wogte der Kampf Mann gegen Mann; unter Flüchen, Zähneblecken, Angst und Wut hieben sie sich den Weg über das Vorderkastell frei.
Aus dem Augenwinkel sah Bolitho sein Flaggschiff, das sich unbeirrt aus dem Gewirr der zerrissenen Wanten des Feindes löste, das rauchgeschwärzte Scharlachrot von Leroux' MarineInfanteristen, deren mörderisches Feuer nicht abriß.
An der Richtung des abziehenden Rauches erkannte er, daß beide Schiffe jetzt vor dem Wind lagen. In dem Streifen dunklen Wassers zwischen den Rümpfen schwammen Wrackteile und ein paar Tote.
Sonne stach durch den Rauch; der Streifen Wasser verbreiterte sich. Herrick hatte es geschafft, den ungefügen Rumpf der Lysan-der so zu drehen, daß sie jetzt mit Hilfe der Segel und des Ruders freikommen konnte.
Ein Mann, die erhobene Pistole auf seine Brust gerichtet, stürzte auf Bolitho zu. Deutlich erfaßte Bolitho in diesem Sekundenbruchteil das Bild des unbekannten Franzosen: Er hatte ein hageres, tiefbrünettes Gesicht und entblößte die Zähne in wütender Konzentration. Er war außer Reichweite von Bolithos Degen, dessen Arm auch schon so lahm war, daß er ihn kaum noch hochbrachte.
Da blitzte ein schwerer Entersäbel vor seinen Augen — so schnell, daß er wie ein Silberbogen in dem dunstigen Sonnenlicht wirkte. Der Franzose schrie schrill auf und taumelte zur Seite; schreckgelähmt starrte er auf die Hand, welche, die Pistole noch im Griff, ein Stück weiter auf den Planken lag.
Allday, die Säbelklinge noch blutig, stand an Bolithos Seite.»Moment, Sir!«Er duckte sich unter zwei gebrochenen Spieren und hieb dem Verwundeten den Halswirbel durch. Fast ohne Laut sank der Mann auf die Planken.»Besser«, keuchte Allday,»als mit einer Hand zu leben!»
«Zurück, Jungs!«brüllte Bolitho.
Noch ein paar Minuten, und sie hätten das Schiff nehmen können. Er wußte es. Aber ebenso wußte er, daß der andere Vierundsiebziger wahrscheinlich schon drehte, um der Lysander eine Breitseite zu verpassen, ehe sie das Feuer erwidern konnte.
«Zurück!»
Der Ruf lief über die blutigen Decks und mischte sich mit dem Hurra der Marine-Infanteristen, die auf dem Klüverbaum hockten und die Feinde wie Hühner abschossen. Hände streckten sich den Matrosen entgegen und zogen sie auf die Lysander zurück, die Sekunden später unter Krachen, Donnern und Splittern ganz aus dem Gewirr der zerfetzten Spieren und Wanten freikam und schwerfällig vor den Wind drehte. Aus dem unteren Batteriedeck feuerte noch eine letzte wütende Salve; die ZweiunddreißigerKugeln schmetterten in den Rumpf des Feindes, dünne Blutströme rannen aus den Speigatten über die zerlöcherte, splitternde Bordwand.
«Hurra! Hurra für den Kommodore!«schrie Pascoe gellend.
Bolitho ging nach achtern, und ein bezopfter Matrose präsentierte ihm grinsend den Dreispitz, den er irgendwie aus dem Kampfgetümmel gefischt hatte. Herrick begrüßte ihn heiser; ängstlich suchten seine Augen nach Wunden.
«Wo ist der andere?«fragte Bolitho.
Herrick deutete nach Backbord.»Hält sich klar, Sir.»
«Hab' ich mir fast gedacht.»
Bolitho blickte vom Vormast zum Achterdeck. Die Fockstenge war weg, mehrere Geschütze waren umgestürzt. Das Oberdeck hatte erhebliche Löcher, und emsige Hammerschläge, das trübselige Janken der Pumpen verrieten ihm, daß die Schäden unter der Wasserlinie ebenfalls beträchtlich waren.
«Bringen Sie das Schiff wieder in Fahrt«, sagte er.
Neben einem sterbenden Seesoldaten kniete Pascoe, hielt seine Hand und blickte in das Gesicht, aus dem Verstehen und Bewußtsein bereits schwanden.
Grubb studierte seinen Kompaß; seine neuen Rudergasten, die mit nackten Füßen unsicher auf den von Blut glitschigen Planken standen, blickten starr in die killenden Segel und warteten darauf, daß die Lysander wieder auf das Ruder reagierte.
Die Marine-Infanteristen traten von den Finknetzen zurück, entluden die Musketen und sahen jetzt, da der Kampf vorbei war, auf einmal todmüde aus.
Midshipman Luce verband mit einer Signalflagge die furchtbare Wunde im Oberschenkel eines Matrosen. Der Mann starrte zu ihm auf und wiederholte immer wieder, wie im Gebet:»Versprechen Sie mir, daß ich nicht ins Orlopdeck[14] muß, Mr. Luce!«Doch die Sanitätsgasten des Schiffsarztes kamen bereits in ihren blutigen Schürzen und schleppten ihn hinunter.
All das und noch mehr sah Bolitho. Wie so viele, war der Matrose, der das furchtbare Gefecht durchgestanden hatte, unfähig zu begreifen, weshalb er jetzt dem Messer des Chirurgen ausgeliefert wurde.
«Sie reagiert, Sir«, murmelte Grubb.
«Steuern Sie Nordost. «Der Wind fuhr in die löcherigen Segel, und Bolitho sah hoch.»Signal an Harebell: Sie soll dichtauf bleiben. «Wie mochte sich Inch wohl als unbeteiligter Zuschauer vorgekommen sein?
Herrick kam nach achtern und faßte an den Hut.»Wir haben sie geschlagen, Sir.»
Bolitho sah ihn an.»Ein Sieg war es nicht, Thomas. «Unter Deck schluchzte ein Mann wie ein Kind.»Aber jetzt wissen wir, was wir können. Und nächstes Mal machen wir es schon ein bißchen besser. «Leroux kam mit seinem Sergeanten vorbei, und Bolitho nickte ihm zu.
Dann ging er zur Kampanjeleiter. Auf halbem Wege blieb er stehen, um nach den Feindschiffen auszuschauen. Mit ihren fehlenden Masten und Spieren, dem nachschleppenden Gewirr des zerschossenen Riggs boten sie einen traurigen Anblick.
Die Mannschaft der Lysander hatte sich in ihrem ersten Gefecht bewährt. Aber den Kampf noch weiterzuführen, um vielleicht noch mehr herauszuholen, hätte eine Katastrophe gebracht. Die Lust dazu war ihn gleichwohl angekommen.
Allday trat zu ihm.»Komisches Gefühl, Sir.»
Bolitho sah ihn an. Allday hatte ganz recht. Nach einem Seegefecht hatten sie sonst nie Zeit gehabt für Zweifel und böse Reue — überhaupt keine Zeit zum Nachdenken. Jetzt ging es Herrick so, dem Kommandanten. Dem Mann, auf den es nach der Schlacht am meisten ankam.
Allday seufzte.»Aber sie haben gut gekämpft, trotz allem. Jetzt ist eine andere Luft im Schiff.»
Langsam ging Bolitho zur Heckreling und ließ sich den Wind durch die blutverschmierte Uniform, um die schmerzenden Glieder wehen. Es war wie erfrischende Medizin. An Backbord kreuzte die Harebell heran, sehr hell, sehr sauber im Sonnenschein.
Er zog seine Uhr. Das ganze Gefecht hatte weniger als zwei Stunden gedauert. Ein paar Tote trieben noch in der See, die Gesichter sehr bleich im blauen Wasser; sie mochten wohl Franzosen sein, die beim Entern gefallen waren. Und seine eigene Verlustliste? Wie viele lagen im Sterben oder warteten bereits auf Bestattung?
Zwei Matrosen rannten die Kampanje entlang; sie hatten Marlspieker in Händen und hielten Ausschau nach Tauwerk, das gespleißt werden mußte. Für sie war es vorbei. Für diesmal. Sie schwatzten miteinander, dankbar, weil sie heil und gesund waren, weil sie noch lebten.
Still sah Bolitho ihnen nach. Vielleicht hatte Herrick recht gehabt mit dem, was er über die Zivilisten in England gesagt hatte, die für solche Männer keinen Gedanken übrig hatten.
Er nickte den beiden zu. Schlimm genug, wenn dem so wäre, dachte er. Denn solche Männer waren sehr wohl ihrer aller Gedanken wert, und noch viel mehr als das.