Captain Charles Farquhar schritt nach achtern, um Bolitho, der an Deck gekommen war, zu begrüßen. Obwohl er ohne Rock und Hut war, schaffte er es doch, so elegant wie immer zu wirken; sein gefälteltes Hemd sah aus wie frisch gewaschen.»Kurs Ostnordost, Sir«, meldete er dienstlich.
Bolitho nickte und schaute zu seinem breiten Stander und den Rahen empor. Der Wind war in der Nacht leicht ausgeschossen,[19] und es gab Anzeichen, daß er abflaute.
Bolitho nahm ein Teleskop vom Gestell und richtete es über die Backbordnetze. Es war, als stünde die Umgebung fest, und die Segel täten nur so, als bewegten sie das Schiff. Und doch war es schon drei mühselige Wochen her, seit er zugesehen hatte, wie
Herrick sich zur Osiris hinüberrudern ließ; zwei dieser Wochen hatten sie hier vor diesem Küstenstrich verbracht. Er studierte das nun schon vertraute haifischblaue Stück Land. Es war so irritierend, sich klarzumachen, daß eben da drüben der geschäftige Hafen von Toulon und hinter seinen schützenden Mauern die Antwort auf seine Spekulationen und Zweifel lag.
«Nicht einmal eine Spur von einem Segel«, brummte Farquhar,»hol sie der Teufel!»
Bolitho legte das Glas wieder zurück und überschaute das Hauptdeck der Lysander. Die Vormittagswache hatte begonnen. Eine Wache wie die vorigen auch. Überall auf dem Deck und hoch oben waren Männer am Werk, spleißten, malten, teerten das stehende Gut, kontrollierten hunderterlei Geschirr auf Fehler und Abnutzung.
Es war beinahe unheimlich, daß der Golfe du Lyon so leer war. Wie zum Hohn. Die Franzosen mußten wissen, daß ein feindliches Geschwader in ihren Gewässern operierte. Jedes Fischerboot konnte es gesichtet und die Nachricht an die nächste Küstengarnison weitergegeben haben. Vielleicht hatten die Franzosen zuviel zu tun, oder sie hatten gar nichts dagegen, daß die Briten lahm hin und her kreuzten, Proviant und Material verbrauchten und nichts damit erreichten.
«Wir müssen uns sehr bald neue Informationen verschaffen oder noch dichter unter Land gehen. «Gelassen erwiderte Farquhar:»Mehr Fregatten sollten wir haben,
Sir.»
Fast wäre Bolitho ihm ärgerlich über den Mund gefahren. Aber Farquhar konnte ja nichts dafür. Bei jeder Mission gab es anscheinend zu wenig Fregatten, doch ohne die war man praktisch blind.
Er spähte nach achtern, wo die große Breitfock der Osiris in dem unsteten Wind abwechselnd voll und wieder leer wurde, als atme das Schiff keuchend. Sie lag eine Meile zurück, und hinter ihr in Lee war die Prise Segura gerade noch zu sehen. Wie mochte Pro-byn wohl mit seiner Patrouille zu den kleinen Inseln östlich von Toulon, welche die Einfahrt schützten, vorankommen? Er hatte Javals Buzzard mit; das restliche Geschwader mußte sich mit der Schaluppe begnügen. Bolitho konnte knapp die gelblichen Marssegel der Harebell ausmachen, die wie Muschelschalen vor der französischen Küste standen. Inch wußte bestimmt, wie wichtig er war. Hoffentlich war er nicht so übereifrig, daß er zu dicht unter Land ging. Dort konnte der Wind ausbleiben oder eine gut plazierte Küstenbatterie ihn erwischen.
Bolitho wandte sich wieder der Osiris zu. Drei Wochen — und jeden Tag hatte er an Herrick denken müssen. Farquhar folgte seinem Blick und sagte:»Sie segelt gut.»
Nur eine beiläufige Bemerkung, aber typisch für diesen eleganten Kapitän. Ganz gleich, wie lange er auf einem Schiff gesegelt war oder welch dramatische Dinge er darauf erlebt hatte — war er erst einmal von Bord, hatte er auch innere Distanz zu dem Schiff. Er war ohne jede Sentimentalität, ihn interessierte nur die Gegenwart und die Zukunft, die aus ihr erwachsen mochte.
Nichtsdestoweniger mußte Bolitho zugeben, daß Farquhars Tüchtigkeit sich im gesamten Schiff auswirkte. Geschützexerzieren mit Wettbewerben zwischen den einzelnen Batterien und Decks hatte die Zeit für Nachladen und Feuern um Minuten reduziert.
Obwohl Farquhar immer genügend Muße für seine Zerstreuung zu haben schien, war er niemals weit weg, wenn er gebraucht wurde. Und seine Offiziere, von Gilchrist bis zu Midshipman Saxby, hatten gelernt, das zur Kenntnis zu nehmen.
Farquhar hatte immer in dem Ruf gestanden, ein harter Mann zu sein. Doch bis jetzt hatte er sich noch nie als Tyrann gezeigt. Gleich nachdem er das Schiff auf Kurs gebracht hatte, sah er innerhalb weniger Stunden sämtliche Schiffsbücher durch, von der Musterrolle und dem Strafbuch bis zu den Listen über die Vorräte an Leinwand und Öl.
Das war eine neue Seite am Charakter Farquhars, und Bolitho kam, als der Mann, der er nun einmal war, gar nicht auf den Gedanken, daß Farquhar diese Dinge von ihm selbst gelernt hatte; jetzt trugen frühere Zeiten ihre Früchte.
Drüben auf der Leeseite des Achterdecks stolzierte Leutnant Fitz-Clarence geschäftig auf und ab. Das war auch so eine Geschichte. Farquhar hatte den Zweiten Offizier von dem langweiligen Dienst auf der eroberten Segura abgelöst und statt seiner einen Steuermannsmaaten hinübergeschickt, was durchaus richtig war. Und sooft das Wetter es erlaubte, hatte er den Prisenkommandanten ausgewechselt. Midshipmen, Unteroffiziere, sogar Gilchrist (den das mächtig ärgerte) hatten die Segura kommandiert. Das war vernünftig, dabei blieben sie in Form. Aber Farquhar hatte Bolitho nicht etwa um Erlaubnis gefragt. Dergleichen betrachtete er als sein gutes Recht; dafür war er Flaggkapitän.
Er hatte sogar die Anzahl, wenn auch nicht die Strenge der Strafen gemindert, überprüfte jeden Fall persönlich, und wenn der unglückliche Matrose nur etwas verbrochen hatte, weil es über sein Verständnis ging, weil sein Vorgesetzter ungenaue Befehle gegeben oder sonst nicht aufgepaßt hatte, war die Sache für ihn erledigt. Im letzteren Falle verpaßte er sogar dem Ankläger kräftigen Extradienst, damit er sich das nächste Mal vorsah. Lag aber andererseits ein echtes Verschulden vor, dann verhängte Farquhar härtere Strafen, als Herrick jemals zugelassen hätte. Das war anscheinend sein einziger wirklicher Fehler.
Farquhar sagte unvermittelt:»Wir werden in Kürze entweder ohne Harebell oder ohne Buzzard auskommen müssen, Sir.»
«Ja.»
Langsam schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Der Teer in den Ritzen der Planken klebte an seinen Sohlen; die Hitze, vom Schanzkleid zurückgeworfen, fiel ihn an. Und es war noch nicht einmal neun Uhr morgens. Jeden Tag wurde es heißer, es war kaum noch auszuhalten.
Farquhar hatte den Finger auf die Wunde gelegt. Die Entscheidung ließ sich nicht länger hinausschieben. Bolitho mußte dem Admiral einen Bericht schicken, über seine Einschätzung der Stärke und Absichten des Feindes. Doch sobald er eins der Schiffe dazu abgestellt hatte, die er andererseits zum Rekognoszieren notwendig brauchte, waren ihm die Hände gebunden. Aber das war unwichtig zum Vergleich zu den Folgen, wenn der Admiral aus Mangel an Information die Lage falsch beurteilte.
Wenn es Inch nur geschafft hätte, die spanische Brigg zu kapern, ehe die beiden französischen Schiffe ihn verjagten! Dann hätte er die zum Admiral schicken können.
Bolitho blieb stehen und beschattete die Augen mit der Hand, um nach der Prise Ausschau zu halten. Sie war zu langsam und zu verwundbar. Aber vielleicht konnte man sie zu irgendeinem Täuschungsmanöver gebrauchen. Und auch mit ihrer Ladung war vielleicht etwas zu machen: eine Bestechung zum Beispiel.
Stahl klirrte auf Stahl. Er ging zur Achterdecksreling und sah zu, wie die wachfreien Midshipmen unter Pascoes Anleitung mit Degen und Entersäbel übten.
Farquhar sah ihn von der Seite an.»Ich dachte, das wäre etwas für Mr. Pascoe, Sir. «Aus seinem Ton ließ sich nicht heraushören, was er wirklich dabei dachte.»Er hat sein Können bereits an einem meiner früheren Leutnants bewiesen. Er hat ein gutes Auge. «Dabei lächelte er flüchtig.
Pascoe hatte hinter zwei Midshipmen, die alle paarweise gegeneinander fochten, Aufstellung genommen, machte ihre Schritte mit und brachte Korrekturen an. Ihre Gesichter waren rot vor Anstrengung; offensichtlich hatten sie gemerkt, daß Kommodore und Kommandant ihnen zusahen.
Kling-klang-kling — schlugen die Waffen ihren Stakkatorhyth-mus. In einem wirklichen Gefecht ist das ganz anders, dachte Bo-litho grimmig. Da ist man wild und will nur seinen Mann niederhauen, ehe der einen auf die Planken streckt.
Unter der Backbordlaufbrücke tauchte Gilchrist auf.»Das muß aber viel besser werden, Mr. Pascoe!»
Farquhar, neben Bolitho, versteifte sich.»Was juckt denn diesen verdammten Kerl?»
Fitz-Clarence marschierte ostentativ an der Leeseite entlang, um Gilchrist anzudeuten, daß er nicht allein war.
«Mr. Fitz-Clarence!«rief Farquhar.»Hopsen Sie gefälligst nicht so herum!«Dann wandte er sich um und sah Gilchrist in das nach oben gewandte Gesicht.»Wie meinten Sie soeben, Mr. Gilchrist?»
«Das Fechten ist unsauber, Sir.»
Schweigend sah Bolitho dem kleinen Drama zu. Die Midshipmen hatten ihre Waffen noch in Position, fochten jedoch nicht mehr. Matrosen, die in den Luvwanten arbeiteten, hielten inne und schauten herab; ihre gebräunten Oberkörper schimmerten golden in der Sonne. Mitten dazwischen stand Pascoe, die dunklen Augen auf Gilchrist gerichtet; nur an seinem heftigen Atmen war zu erkennen, daß er sich ärgerte.
Und Farquhar — dessen blaue Augen hatten einen ganz merkwürdigen Ausdruck. Bis jetzt hatte er Gilchrist ständig beschäftigt gehalten, so daß diesem keine Zeit zur Opposition blieb. Aber nun war es wieder soweit. Warum hatte sich Farquhar so über ihn geärgert? Was juckt diesen verdammten Kerl?
Farquhar schnippte mit den Fingern.»Bootsmannsmaat! Meinen Degen!»
Er ging nach Lee und beugte sich über die Reling, behielt aber Gilchrist im Auge, der unten auf der gegenüberliegenden Seite stand.
«Mr. Pascoe, lassen Sie diese Anfänger Schluß machen!«Ohne hinzusehen nahm Farquhar dem besorgt herzueilenden Bootsmannsmaaten den Degen aus der Hand.»Sie haben doch bei einem kühnen Unternehmen gegen die Dons Ihren Degen eingebüßt, Mr. Pascoe. «Er zog seinen eigenen aus der Scheide und hielt ihn kritisch gegen den Himmel» Eine ganz anständige Klinge. Geschenk meines verstorbenen Onkels. «Er blickte in Bolithos ernstes Gesicht und fuhr fort:»Doch ich glaube, Sir Henry selbst bevorzugte etwas Schwereres, nicht wahr, Sir? — Mit Ihrer Erlaubnis, Sir!»
Bolitho mußte sich zusammennehmen, als der junge Pascoe unten mit sicherem Griff die Waffe auffing.
«Und jetzt, Mr. Gilchrist«, sagte Farquhar gelassen,»wenn Sie so freundlich sein wollen, gegen unseren jüngsten Leutnant anzutreten, könnten unsere Midshipmen vielleicht etwas lernen — eh?»
Erschrocken starrte Gilchrist erst Pascoe, dann Farquhar an.
«Ich soll mich duellieren, Sir?«Er brachte kaum die Worte heraus.
«Aber nicht doch, kein Duell, Mr. Gilchrist. Eine Lektion, wenn Sie wollen. «Farquhar trat wieder neben Bolitho und sagte leise:»Haben Sie keine Angst um Mr. Pascoe, Sir.»
Der Messesteward hatte Gilchrist einen Degen gebracht. Er hielt ihn in der Hand, als hätte er noch nie im Leben einen gesehen, und murmelte etwas Undeutliches. Verwirrt starrte er die Midshipmen an. Luce machte eine grimmige Miene, weiter hinten stand Saxby mit weit offenem Munde und Augen so groß wie Untertassen. Dann schien sich Gilchrist der unmöglichen Situation bewußt zu werden.»Achtung, Mr. Pascoe!«sagte er kurz.
Die Klingen trafen sich, blitzten, zuckten über den sonnengebleichten Planken wie stählerne Zungen.
Beim Zusehen bekam Bolitho eine trockene Kehle. Geschmeidig tänzelte Pascoe um die Laffette eines Achtzehnpfünders. Seine Sohlen schienen den Weg zu fühlen. Bolitho wollte wegsehen, zu Farquhar hin. Hatte dieser wirklich nur vor, Gilchrist seine Arroganz auszutreiben, oder benutzte er die Gelegenheit, um Bolitho mittels Pascoes Fechttalent an seinen toten Bruder Hugh zu erinnern?
Vielleicht dachte auch Farquhar in diesem Moment daran, wie sie Hugh Bolithos Gefangene auf dessen amerikanischem Schiff gewesen waren. Das konnte er kaum vergessen haben, ebensowenig wie die Tatsache, daß Hugh zugrunde gegangen war, weil er als Offizier des Königs einen Offizierskameraden getötet hatte — im Duell.
Bolitho hörte Gilchrists schweren Atem, sah seinen wut- und haßverzerrten Blick, als er Pascoes Parade wegschlug und ihn ein paar Schritte zurückdrängte.
Gelassen sagte Farquhar:»Sehen Sie? Seine Wut ist größer als seine Fechtkunst. «Es war beinahe, als spräche er zu sich selbst.»Er drängt vor, verschwendet unnötig Kraft. «Und mit einem anerkennenden Nicken:»Er hat die größere Reichweite und ist körperlich stärker als Mr. Pascoe, aber…»
Da wurde Gilchrists Klinge durch eine blitzschnelle, hochangesetzte Parade Pascoes fixiert; eine geschickte Drehung des Handgelenks, und sie flog durch die Luft und landete ein paar Schritte weiter klirrend auf den Planken.
Gilchrist, wie gebannt auf Pascoes Degenspitze starrend, die bewegungslos ein paar Zoll vor seine Brust verharrte, trat zurück.
«Gut! Sehr gut, alle beide!«rief Farquhar hinunter und wandte sich dann den Midshipmen zu, die wie erstarrt standen.»Das war eine nützliche Lektion — eh?»
Bolitho holte tief Atem. Tatsächlich: eine Lektion für alle Beteiligten.
Der Steuermannsmaat der Wache, der dem Schauspiel wie alle zugesehen hatte, blickte auf einmal hoch und legte die Hand ans
Ohr.
«Geschützfeuer, Sir!»
Bolitho riß seine Gedanken von dem Waffengang los.»Woher?»
Dann vernahm er es auch, wie Brandung an einer Felsküste. Gedämpft, doch unverkennbar.
«Im Osten, Sir«, sagte der Maat und deutete nach Steuerbord voraus.»Ganz bestimmt.»
Farquhar eilte an ihm vorbei.»Sie haben gut aufgepaßt, Mr. Ba-gley«, sagte er und beugte sich über den Kompaß.»Bitte um Erlaubnis zu rekognoszieren, bevor der Wind noch mehr abflaut.»
Bolitho nickte.»Signalisieren Sie dem Geschwader, es soll mehr SegeI setzen. Auch die Harebell — wenn Commander Inch das Signal noch sehen kann.»
Farquhar schritt zur Reling, und Gilchrist erschien an der Backbordleiter.»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen«, sagte er knapp, ohne sich um Gilchrists Verwirrung zu kümmern.»Großsegel setzen, nötigenfalls auch die Stagsegel. «Er hielt inne und horchte mit geneigtem Kopf auf das schrille Pfeifen in den unteren Decks.»Wir wollen ein paar Strich abfallen — hoffentlich ist Bagleys Peilung richtig.»
Die Matrosen eilten auf ihre Stationen bei den Masten, und Pas-coe ging zur anderen Seite, um Luces Signalgasten zu beaufsichtigen.
Bolitho hielt ihn an.»Freut mich, daß du heil geblieben bist, Adam.»
Der junge Mann grinste über das ganze sonnengebräunte Gesicht.»Das war leicht, Onkel.»
«Diesmal«, entgegnete Bolitho kurz.»Und außerdem hattest du ja nicht angefangen. Das weiß ich auch.»
Das Lächeln erlosch.»Entschuldigung, Sir.»
«Das nächste Mal, wenn du unbedingt einen scharfen Waffengang machen willst, frag mich gefälligst vorher, Adam.»
Pascoe zögerte und lächelte dann unsicher.»Jawohl, Sir.»
«Und nun weg mit dir. Ich möchte, daß meine Schiffe noch heute die Signale zu sehen kriegen.»
Farquhar trat zu ihm an die Reling.»Ein prächtiger junger Mann, Sir. «Ihre Augen trafen sich. Dann sagte Bolitho gelassen:»Und ich wäre Ihnen verbunden, Captain Farquhar, wenn er das auch bliebe.»
Lächelnd ging Farquhar nach vorn und sah zu, wie die Männer eilends zu den Rahen aufenterten.
An der Kampanjeleiter tauchte Major Leroux auf und faßte grüßend an den Hut.»Hört sich an wie zwei Schiffe, Sir. Wahrscheinlich haben Nicator oder Buzzard einen Franzosen vor.»
Bolitho sah hoch. Das mächtige Großsegel entfaltete sich an der Rah und füllte sich: das Donnern der Leinwand übertönte das ferne Geschützfeuer.»Hoffentlich haben Sie recht, Major.»
Leroux beobachtete seine Seesoldaten an den Besanbrassen. Fast im Plauderton sagte er:»Mein Korporal ist ein ausgezeichneter Scharfschütze, Sir. Wenn er sein Geld als Kunstschütze auf dem Jahrmarkt verdienen könnte, wäre er heute zweifellos ein reicher Mann.»
Eben kam Leutnant Nepean herbei, um eine Meldung zu machen, und Leroux ging ihm entgegen.
Auch Allday war an Deck erschienen.»Das ist schon ein kluger Kerl, dieser Major Leroux, Sir«, sagte er.
«Wie meinen Sie das?«fragte Bolitho mißtrauisch.
Allday lächelte verhalten.»Er hatte diesen Korporal Cutler unten im Niedergang zur Messe plaziert. Mit seiner langen Muskete, auf die er so stolz ist.»
«Wollen Sie sagen, daß er Cutler befohlen hat, sich schußbereit zu halten?»
Der Bootsführer schüttelte den Kopf.»Nicht gerade das, Sir. Er hat ihn nur gefragt, ob er jemandem den Degen aus der Hand schießen könne, wenn sozusagen Not am Mann ist.»
Bolitho trat an die Netze.»Aus Ihnen werde ich nicht klug, All-day. «Doch er sah, daß Leroux ihn mit unbewegtem Gesicht beobachtete. In diesem Augenblick tat ihm Gilchrist beinahe leid.
Bolitho lehnte sich zurück und musterte die turmhoch aufragende Segelpyramide der Lysander. Sie mochte ja ein Linienschiff sein, aber Farquhar führte sie mit dem fanatischen Vorwärtsdrang des Kommandanten einer Fregatte.
Da der Wind fast direkt von achtern kam, lief das Schiff ausgezeichnet; Rahen und Wanten vibrierten und sangen unter der vollen Leinwand. Immer wieder tauchte der Bug tief in die Wellen, und dann brauste jedesmal ein mächtiger Schauer Sprühwasser über das
Vorschiff, silbrig glänzend wie Spiegelscherben im harten Sonnenlicht.
Bolitho stand auf halber Höhe der Kampanjeleiter. Er spähte nach vorn über den nickenden Bugspriet, von seinem Haar umflattert, das der Wind auseinanderblies. Das Geschützfeuer hatte aufgehört, doch jetzt konnte er dunkelbraunen Rauch ausmachen, der die Kimm entlangdriftete, dazu die verschwommene Silhouette eines großen Schiffes unter wenigen Segeln.
Vom Großmast rief der kleine Luce herunter:»Die Nicator, Sir!»
Farquhar, der Luce mit dem großen Teleskop hinaufgeschickt hatte, hielt in seinem rastlosen Auf- und Abgehen inne.»Das will ich auch verdammt hoffen!«knurrte er und blitzte Fitz-Clarence an.»Worauf, zum Teufel, schießt sie?»
Wieder rief Luce herunter, diesmal ganz aufgeregt und der Spannung, die unter seinem luftigen Sitz herrschte, völlig unbewußt:»Zweites Schiff in Lee von ihr, Sir! Ich glaube, sie sind im Gefecht!»
Farquhar fuhr herum.»Mr. Pascoe, wenn Sie es als Leutnant nicht für unter Ihrer Würde halten, da 'raufzuklettern wie ein verdammter Affe, dann wäre ich Ihnen für eine vernünftigere Meldung verbunden!»
Bolitho verfolgte Pascoes Aufstieg. Jetzt schwang er sich um die Püttingswanten auf die Bramsaling. Wie leicht das bei ihm aussah! Er wandte sich ab und sah nach den fernen Schiffen; große Höhen waren ihm gräßlich, er konnte es nicht einmal mitansehen.
«Ein Teleskop, bitte!»
Jemand reichte ihm eins, und er richtete es durch die Webleinen. Ja, der grobe Umriß der Nicator war leicht zu erkennen, auch die blaßgelbe Farbe ihrer Galionsfigur. Jenseits von ihr konnte er drei Masten ausmachen, und soweit er es unterscheiden konnte, war nur einer rahgetakelt.
«Eine Barkentine,[20] Sir«, hörte er Pascoe rufen.»Ich kann ihre Flagge sehen!«Eine Pause — Farquhar starrte zu der schwankenden Maststenge hinauf, bis ihm das Wasser in die Augen trat.»Ein Yankee, Sir!»
Farquhar wandte sich zu Bolitho um und sagte mißmutig:»Als ob wir nicht schon Ärger genug hätten!»
Bolitho versuchte, seine Enttäuschung vor den Umstehenden zu verbergen. Also ein amerikanischer Kauffahrer, in Geschäften unterwegs. Dagegen konnten sie nichts tun, selbst wenn er Geschäfte mit dem Feind machte. Blockade — schön und gut; aber einen zweiten Krieg, diesmal mit den neugegründeten Vereinigten Staaten, vom Zaun brechen — dafür würde er von König und Parlament kein Lob ernten.
«Signalisieren Sie unseren anderen Schiffen, sie sollen in ihren Patrouillenabschnitten bleiben«, sagte er. Forschend betrachtete er einen schmalen, in Nebel und Dunst fast verschwindenden Landvorsprung.»Wir gehen schon genug Risiken ein, indem wir so dicht unter den Hyeres-Inseln stehen; da brauchen wir nicht noch das ganze Geschwader auf Grund zu setzen!»
Farquhar nickte.»Bootsmannsmaat! Mr. Luce soll wieder herunterkommen.»
Ein paar Minuten später änderten die Osiris und das Prisenschiff Kurs auf die offene See hinaus.
«Signalisieren Sie der Nicator«, sagte Bolitho,»daß wir zu ihr stoßen!»
Was machte Probyn da? Es war durchaus natürlich, daß er sich ärgerte, wenn er die amerikanische Flagge sah; schließlich war er während der Revolution in amerikanischer Gefangenschaft gewesen. Doch das war vorbei und nun allmählich Geschichte. Wenn hier aus Dummheit ein Krieg provoziert wurde, dann war Englands Lage schlimmer denn je: es mußte außer gegen Frankreich und Spanien auch noch gegen Amerika kämpfen, und Amerika war jetzt weit mächtiger als vor fünfzehn Jahren.
«Nicator hat bestätigt, Sir«, meldete Luce, noch atemlos von seinem eiligen Abentern über ein Backstag.
«Danke.»
Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie nahe genug heran waren und beidrehen konnten. In der Zwischenzeit hatte sich die Nicator von dem Amerikaner gelöst, aber während dieser vor dem Wind trieb, hatte Bolitho auf seiner Kampanje die roten Röcke der Marine-
Infanterie Probyns gesehen.»Lassen Sie mein Boot klarmachen!«befahl er ungeduldig.»Damit können wir zumindest Zeit sparen.»
Das Boot wurde ausgesetzt und hatte kaum das Wasser berührt, da war die Mannschaft auch schon an Bord. Mit Trompetenstimme trieb Allday die Ruderer an, und als die Lysander beigedreht hatte und Bolitho durch die Pforte kletterte, war das Boot schnell klar zum Ablegen.
«Halten Sie nach Buzzard Ausschau«, sagte Bolitho und blickte Farquhar grimmig in das gutgeschnittene Gesicht.»Sie müßte bald im Osten in Sicht kommen. Ich will sie mit Depeschen zum Admi-ral schicken.»
Farquhar zuckte die Achseln.»Tut mir leid. Ich hatte gehofft, wir könnten ihr etwas Wertvolleres mitgeben.»
Aber Bolitho kletterte bereits das Fallreep hinunter und versuchte, nicht nach unten zu sehen, wo die See an den Schiffsrumpf klatschte und ihm das Boot gegen die Beine warf. Er wartete ab, zählte die Sekunden, und im richtigen Moment sprang er ins Boot; ehe er richtig zu Atem gekommen war, gab Allday schon das Kommando zum Ablegen.
Bolitho nahm mit so viel Würde, wie er aufbringen konnte, im Heck Platz und befahl:»Zur Nicator, Allday!»
Am laufenden Gut des hoch über ihm aufragenden Vierundsiebzigers fiel ihm eine gewisse Laxheit auf. Wie der Mann, so das Schiff, dachte er: unordentlich.
Allday steuerte die Gig um das runde Heck der Nicator auf die Fallreepspforte zu. Bolitho war viel zu sehr an der Barkentine interessiert, um auf Probyns Gefühle Rücksicht zu nehmen, dem der Besuch seines Kommodore vielleicht nicht sehr angenehm war.
Sie war ein schlankes, graziöses Fahrzeug; und ihr Name, Santa Paula, glänzte in prächtigen Goldbuchstaben auf dem völlig schwarzen Rumpf.
«Auf Riemen! — Riemen hoch!«Allday holte die Ruderpinne herum, und der Bugmann schlug seinen Haken in die Ketten der Nicator.
«Das Boot fährt zurück zum Schiff!«sagte Bolitho. Und als er den Zweifel in Alldays Gesicht sah:»Schon gut, die Nicator ist ja wohl immer noch ein britisches Schiff, nehme ich an.»
Allday klopfte grüßend an die Stirn und grinste.»Ich achte dann auf Ihr Signal, Sir.»
Bolitho kletterte das Fallreep hinauf und bemerkte, wie abgenutzt die hölzernen Tritte und wie rostfleckig die Beschläge waren.
Probyn wartete neben der Ehrenwache; sein Rock triefte von Sprühwasser.
«Die Wache ist unterbesetzt, Sir; aber meine MarineInfanteristen sind auf dem Yankee«, sagte er.
«Das sehe ich. «Bolitho schritt nach achtern, weg von den neugierigen Gesichtern an der Pforte.»Jetzt berichten Sie. Was ist los?»
Probyn starrte ihn leicht verwundert an.»Wir stießen um die Mittagszeit auf die Barkentine, Sir. Ich hielt sie für einen Blockadebrecher, der an unseren Patrouillen vorbei wollte; daher gab ich ihr Signal, beizudrehen. «Er spürte die Mißbilligung Bolithos und räumte ein:»Ich weiß, wir sollen die amerikanische Neutralität respektieren, aber…»
«Da gibt's kein Aber.»
Bolitho warf einen Blick auf die beiden Rudergänger des Schiffes. Sie sahen aus, als hätten sie noch dieselben Kleider an wie seinerzeit, als sie vom Preßkommando geschnappt worden waren. Alle Kommandanten wußten, wie er darüber dachte. Er hatte schriftliche Order gegeben, daß jeder neue Mann, ob Gepreßter oder Freiwilliger, sein Leben an Bord in einer Garnitur ordentlicher Dienstkleidung beginnen sollte. Das war etwas so Billiges und zugleich Wichtiges, daß er sich immer wieder über die Dummheit mancher Kommandanten wunderte, die so geizig waren, daß sie keine Dienstkleidung ausgaben, bis die Männer nur noch Fetzen auf dem Leibe hatten. Probyn wußte das sehr gut und hatte auch so getan, als fände er es ganz in der Ordnung. Aber anscheinend war das ein Fall von» Aus den Augen, aus dem Sinn«. Nun, damit würde er sich später befassen.
«Was also war Ihr wirklicher Grund?»
Probyn ging voran in seine Kajüte.»Ich bin sehr knapp an Leuten, Sir. Ich mußte von England auslaufen, ehe ich richtig Gelegenheit zum Rekrutieren hatte, sonst.»
Bolitho starrte ihn an.»Und nun haben Sie ein Preßkommando auf ein amerikanisches Schiff geschickt?»
Probyn schwieg einen Moment und blickte Bolitho vorwurfsvoll an.»Es ist allgemein bekannt, daß auf der anderen Seite Jahr für Jahr viele Hunderte unserer Matrosen zur amerikanischen Flagge desertieren.»
Bolitho wußte das auch. Es war in der Tat ein wunder Punkt zu beiden Seiten des Atlantik. Die britische Regierung hatte erklärt, daß sie jeden amerikanischen Matrosen als rechtmäßige Verstärkung für ihre unterbesetzten Kriegsschiffe betrachte, es sei denn, der betreffende Kapitän konnte für jeden in Frage kommenden Mann eine Staatsangehörigkeitsurkunde vorlegen.
Der amerikanische Präsident trat seinerseits ebenso entschieden auf. Er hatte erklärt, wenn ein Mann auf einem amerikanischen Schiff angeheuert habe, so sei das Beweis genug, daß er Amerikaner sei. Dokumente könnten vernichtet oder ignoriert werden, die amerikanische Flagge nicht.
«Wir haben Geschützfeuer gehört«, erinnerte Bolitho.
Probyn ging an dem Posten stehenden Marine-Infanteristen vorbei und erwiderte:»Der Yankee wollte trotz meines Warnschusses nicht beidrehen. Das lasse ich mir von niemandem bieten. «Zögernd ging er durch die Diele voran und trat in die Kajüte. Jetzt endlich schien er unsicher zu werden.»Ich habe den Kapitän an Bord, Sir. Unter Bewachung. Da Sie hier sind, übergebe ich ihn wohl am besten Ihnen.»
Bolitho musterte ihn kalt.»Bringen Sie mich zu ihm.»
Der Kapitän der Barkentine saß in der Achterkajüte. Ein dienstälterer Midshipman Probyns leistete ihm Gesellschaft. Nun stand der Amerikaner auf und beäugte Bolitho mit offensichtlicher Überraschung.»Also gibt es doch noch einen Vorgesetzten, eh?«Er sprach mit einem weichen Akzent, aber trotzdem war ihm anzuhören, daß er wütend war.
«Ich bin Richard Bolitho, Kommodore dieses Geschwaders. Wie ich höre, haben Sie sich geweigert, beizudrehen«, sagte er und ging zum Fenster.
Hitzig erwiderte der Amerikaner:»Beidrehen, zum Teufel! Ich verdiene mein Geld schwer genug, ohne daß ich mich von einem verdammten Engländer beschießen lassen muß!»
Bolitho nahm Platz und sah ihn sich an: ein untersetzter Mann mit sauber gestutztem, braunem Bart, ungefähr so alt wie er.
«Und Ihr Name?»
Gereizt erwiderte der Amerikaner Bolithos prüfenden Blick.»Kapitän John Thurgood. Aus New Bedford.»
«Nun, Captain Thurgood aus New Bedford«, lächelte Bolitho,»in Kriegszeiten hat ein Schiff des Königs nie genug Mannschaften, das ist des Kommandanten ständige Sorge.»
Thurgood setzte sich wieder, ohne von Probyn Notiz zu nehmen.»Das ist und bleibt Ihr Problem, Kommodore. Ich führe nicht Krieg, und meine Männer sind nicht für König George da. «Er lok-kerte sich etwas.»Meine Regierung wird aufs schärfste protestieren und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, wenn ich mich beschwere. »
Bolitho nickte.»Das ist Ihr gutes Recht, Captain. Aber Sie wissen ebenso wie ich, daß eine ganze Menge Ihrer Leute so wenig amerikanisch sind wie die Westminster Abbey. «Er hob die Hand.»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Spielt auch keine Rolle. Sie sind offenbar ein gescheiter Mann, und es hat keinen Sinn, daß wir uns streiten. «Er stand auf.»Ich werde Sie auf Ihre schöne Barkentine zurückbringen lassen und Ihnen ein kleines Geschenk schicken: exzellenten Käse aus England. Ich hoffe, es kann den Ärger lindern, den wir Ihnen verursacht haben, wenn auch nicht ungeschehen machen.»
Thurgood sprang auf.»Sie meinen, ich kann gehen?«Völlig überrascht starrte er erst Bolitho und dann dem wutschnaubenden Probyn ins Gesicht.»Also, da soll mich doch.»
«Und Ihre Fracht, Captain? Darf ich mich erkundigen, was Sie geladen haben?«fragte Bolitho beiläufig.
«Billigen Rotwein«, antwortete Thurgood.»Die ganze Last voll. In meinem Heimathafen würde man damit den Fußboden waschen. «Er lachte in sich hinein, bis seine Augen unter einem Netz von Krähenfüßen verschwanden.»Bei Gott, Sie wissen, wie man einem Mann den Ärger vertreibt!»
«Ich muß protestieren!«rief Probyn aus.
«Bitte lassen Sie uns allein, Captain Probyn«, sagte Bolitho ruhig.»Und Ihr Midshipman soll dem Flaggschiff signalisieren, daß mein Bootsführer nachher, wenn er mich abholen kommt, einen schönen Käse mitbringt, gut verpackt.»
Thurgood grinste hinter dem abgehenden Probyn her.»Bei Gott, ich bin froh, daß Sie gekommen sind, Kommodore. Ich glaube, der da hätte mich am liebsten an den Großmast binden und auspeitschen lassen.»
«Er war im letzten Krieg Gefangener.»
Thurgood zuckte die Schultern.»Ich auch.»
Bolitho nahm seinen Hut.»Eine Sache noch, Captain. Sie kommen aus Marseille, ohne Zweifel. «Er schüttelte den Kopf.»Nein, ich will Ihnen keine Falle stellen. Aber es ist unwahrscheinlich, daß Sie eine Fracht wie die Ihre anderswo hätten laden können. Und wo segeln Sie hin?»
Thurgood musterte ihn amüsiert.»Nach Korfu. Dann mache ich, daß ich wegkomme, nach Hause. Ich habe eine Frau und drei Kinder in New Bedford.»
«Beneidenswert. «Bolitho merkte nicht, mit welcher Wärme der Amerikaner ihn anblickte.»Ich habe eine spanische Prise bei me i-nem Geschwader. Sie wurde vor einiger Zeit gekapert. «Er blickte Thurgood bedeutsam an.»Wie wäre es, wenn Sie ein paar Ihrer Matrosen gegen, sagen wir mal, die doppelte Anzahl Spanier tauschten?«Er sah, daß der Amerikaner rasche Berechnungen anstellte.»Ich denke mir, wenn Sie die Spanier wieder laufen lassen, nachdem Sie Ihre Fracht in Korfu gelöscht haben und westwärts heimsegeln, würde die spanische Regierung Sie mit Freuden dafür entschädigen.»
«Das weiß man nicht genau«, erwiderte Thurgood zweifelnd.
Bolitho lächelte.»Sie brauchen ihnen keine Heuer zu zahlen. Und außerdem müssen Sie Ihren Profit nur mit so vielen Leuten teilen, wie Sie unbedingt für die Heimreise nötig haben.»
Thurgood hielt ihm die Hand hin.»Wenn Sie jemals einen Job brauchen, Kommodore, und ich meine das ernst, dann fragen Sie drüben nach mir. «Er schüttelte ihm kräftig die Hand.»Ich habe so ein paar Rauhbeine an Bord, die können Sie kriegen. Ausgebildete Seeleute, aber ich bin froh, wenn ich sie los bin.»
Bolitho lächelte wieder.»Bei uns werden sie schon ruhiger werden.»
Oben an Deck war es drückend heiß; der Wind kam in unregelmäßigen Böen, so daß die Schiffe ungemütlich dümpelten.
Bolitho winkte Probyn heran.»Signalisieren Sie der Lysander: die Segura soll näher herankommen. Dann teilen Sie einen verläßlichen Offizier ein, der mit Captain Thurgood an Bord der Santa Paula geht. Thurgood wird Ihnen erklären, um was es sich handelt.»
Probyn sah aus, als wolle er platzen.»Jawohl, Sir.»
Lächelnd sagte Bolitho zu dem Amerikaner:»Ich schicke Ihnen also durch meinen Bootsmann einen schönen reifen Käse hinüber. Er könnte sogar Ihren billigen Wein trinkbar machen.»
Vom achteren Davit wurde ein Boot gefiert, und Thurgood sagte:»Dann gehe ich, Kommodore. Aber warten Sie. Bolitho? Wir hatten im Krieg einen Kaperkapitän dieses Namens.»
«Mein Bruder. Er ist tot«, antwortete Bolitho mit abgewandtem
Blick.
Thurgood hielt ihm die Hand hin.»Viel Glück, was Sie auch vorhaben. Ich werde meiner Frau und den Jungen von dieser Begegnung erzählen. Und von dem Käse«, grinste er.
Ein Leutnant kam über das Achterdeck und faßte an den Hut.»Jolle ist längsseit, Sir«, meldete er.
Thurgood wollte schon gehen, drehte sich aber noch einmal um. Er sah nachdenklich drein.»Ich will mit diesem oder sonst einem Krieg nichts zu tun haben. Ich habe die Nase voll davon. «Er kniff ein Auge zu.»Aber wenn ich ein so kleines Geschwader hätte wie Ihres, dann würde ich sehr ernsthaft daran denken, von hier zu verschwinden.»
Bolitho suchte seine Erregung zu verbergen, seine Betroffenheit.»Tatsächlich?»
Thurgood grinste.»In Toulon wartet, höre ich, eine ganze Flotte, und obendrein liegen dort dreihundert Transporter.»
«Danke, Captain. «Bolitho begleitete ihn zur Reling.»Und auch Ihnen eine sichere Reise.»
Erwartete, bis Thurgood im Boot war, und sagte dann:»Rufen Sie meine Gig!»
Eine Flotte von dreihundert Transportern? Eine Armada war das.
Probyns Stimme schnitt in seine rasenden Gedanken.»Ich muß aufs entschiedenste protestieren, Sir! Sie haben mich vor diesem Yankee gedemütigt!»
Mit blitzenden Augen fuhr Bolitho herum.»Gedemütigt? Und was denken Sie, wie mir zumute ist, wenn ein Linienschiff meines Geschwaders ein unbewaffnetes, neutrales Handelsschiff beschießt? Wenn einer meiner Kommandanten, nur um seinen Kopf durchzusetzen, unnötig Menschenleben aufs Spiel setzt, vielleicht sogar einen Krieg vom Zaun bricht?«Er sprach gefährlich leise.»Und das alles nur, weil Sie wußten, daß ich dafür geradestehen muß, nicht wahr?»
Probyn schwoll etwas ab.»Das ist ungerecht, Sir!»
Bolitho sah ihn gelassen an.»Mag sein. Aber halten Sie mich gefälligst nicht für dumm. Das empfinde ich nämlich als Demütigung.»
Er sah, daß seine Gig schon auf dem Weg war, und schritt zur Fallreepspforte.»Sie kriegen Ihre Männer. Sie hätten sie wahrscheinlich auch bekommen, wenn Sie gesunden Menschenverstand gebraucht hätten statt Kanonen. «Er deutete mit dem Kopf zu einigen Matrosen hin, die an den Taljen standen.»Sehen Sie sich die an, Captain. Hätten Sie Lust, für jemanden zu kämpfen, der Sie schlechter hält als einen Hund?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Behandeln Sie die Leute anständig, sonst kämpfen sie nicht für Sie. «Er lehnte sich über die Reling und rief durch die hohlen Hände:»Bringen Sie das Paket zur Barkentine, Allday! Anschließend holen Sie mich ab!»
Allday winkte Bestätigung und änderte seinen Kurs.
Eine Stunde später war Bolitho wieder an Bord des Flaggschiffes. Farquhar konnte kaum seine Neugier verbergen.
«Signalisieren Sie der Harebell, sie soll sofort herkommen. Ich kann nicht auf Javal warten. Inch soll meine Depeschen zum Admi-ral bringen.»
Bolitho wartete, bis Farquhar nach Luce geschickt hatte und die triefende Gig wieder an Bord gehievt war. Als Farquhar zurückkam, fragte dieser:»Darf ich mich erkundigen, was Sie vorhaben, Sir? Und was soll mit der Segura werden?»
«Ich gebe Captain Thurgood ein paar von den spanischen Matrosen im Austausch gegen die, äh, Nicht-Amerikaner seiner Barken-tine.»
Farquhar schob die Lippen vor.»Dann sind wir unterbesetzt,
Sir.»
«Aber dafür haben wir Informationen. «Er konnte seine Erleichterung nicht länger verbergen.»Die Franzosen haben hier eine große Flotte versammelt. Die Harebell muß schleunigst aufbrechen, wenn irgend möglich noch vor Sonnenuntergang.»
Farquhar nickte.»Da hat Captain Probyn ja Glück gehabt. Er wird sich freuen.»
«Vielleicht. «Bolitho mußte an Probyns Gesicht denken. Da hatte er sich einen Feind geschaffen. Aber Probyn war vielleicht schon immer sein Feind gewesen, die ganzen Jahre lang.»Morgen«, sagte er,»setzen wir eine Dienstbesprechung an, wenn nichts dazwischenkommt.»
Er legte seinen Degen ab und reichte ihn Allday. Auf einmal merkte er, daß er wilden Hunger hatte, zum erstenmal seit vielen Tagen.
Im Gehen wandte er sich noch einmal zu Farquhar um.»Wenn Sie ein französischer General wären und nicht wollten, daß Ihre Transporter in ein Gefecht verwickelt werden, bevor sie ihr Ziel erreicht haben — wenn dieses Ziel Nordafrika wäre und darüber hinaus vielleicht Indien — , wo würden Sie Ihre Truppen sammeln und die letzten Vorbereitungen für einen Großangriff treffen?«fragt er und beobachtete genau Farquhars Augen.
Stirnrunzelnd stützte dieser beide Hände auf die Betinge.»Um eine Schlacht zu vermeiden?«Er sah auf.»Sizilien könnte zu riskant sein. Vielleicht irgendein Punkt an der afrikanischen Küste, der so weit von meinem Angriffsziel entfernt liegt, daß er keinen Verdacht erregt? Aber der läge dann auch für meine Männer und Pferde zu weit weg; sie wären nicht mehr voll kampffähig. «Er nickte nachdenklich.»Ich glaube, ich würde mir eine Insel aussuchen, die bereits unter Kontrolle meines Landes steht. «Er hielt inne.»Klingt das einleuchtend, Sir?»
«Und kennen Sie eine solche Insel?»
«Jawohl, Sir«, sagte Farquhar überrascht.»Korfu.»
«Genau. «Bolitho ging an dem Rudergast vorbei zur Kampanje und nickte Grubb zu.
Farquhar trat neben den Master und sagte:»Der Kommodore glaubt, daß sich die Franzosen auf Korfu sammeln.»
Grubb sah ihn mißtrauisch an.»Aye, Sir. Aber wenn Sie entschuldigen, daß ich mir die Freiheit nehme — nach allem, was ich mitgekriegt habe, haben Sie >Korfu< gesagt.»
Verwundert starrte Farquhar erst auf den Master, dann zur Kam-panje und lächelte dünn.»Sieh mal einer an! Zum Teufel, das hat er geschickt gedeichselt!»