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Es ist noch gar nicht so lange her, da war der Hof der irukanischen Könige einer von jenen, die besonders auf Bildung achteten. Man hielt sich bei Hof Gelehrte, in der Mehrzahl natürlich Scharlatane, aber auch Männer wie Bagir Kissenski, den Entdecker der Krümmung des Planeten; oder den Leibquacksalber Tata, der die geniale Behauptung aufstellte, daß die Epidemien durch kleine, dem Auge unsichtbare Würmer zustande kämen, die von Wind und Wasser verbreitet würden; oder den Alchimisten Synda, der wie alle Alchimisten ein Mittel suchte, um aus Dreck Gold zu machen, und der dabei ganz zufällig das Gesetz der Erhaltung der Materie fand. Auch Dichter gab es am arkanarischen Hof. In der Mehrzahl waren es freilich bloße Lobhudler und Parasiten, aber es gab auch Pepin den Großen, den Autor der historischen Tragödie Der Feldzug gegen den Norden; dann war da Zuren der Gerechte, der über fünfhundert Balladen und Sonette verfaßte, die das Volk dann vertonte; und schließlich der Dichter Gur, der den ersten weltlichen Roman in der Geschichte des Reichs schrieb, eine traurige Romanze von einem Prinzen, der sich in eine schöne Barbarin verliebte. Es gab am Hof auch großartige Artisten, Tänzer und Sänger. Bemerkenswerte Maler bedeckten die Wände mit unvergänglichen Fresken, berühmte Bildhauer schmückten mit ihren Schöpfungen die Parkanlagen des Schlosses. Und trotzdem kann man nicht sagen, die arkanarischen Könige seien Förderer der Gelehrsamkeit oder Kunstkenner gewesen. Das alles war bloße Zierde, wie die Zeremonie des morgendlichen Levers oder die prunkvollen Gardeoffiziere am Schloßportal.

Die Duldsamkeit der Monarchen ging manchmal so weit, daß einige Gelehrte und Dichter zu beachtlichen Rädchen im Gefüge des Staatsapparates wurden. So nahm zum Beispiel noch vor fünfzig Jahren der hochgelehrte Alchimist Botsa den nunmehr wegen Entbehrlichkeit aufgehobenen Posten eines Ministers für Bergbau ein, gründete einige neue Gruben und machte Arkanar berühmt für hochwertige Legierungen, deren Produktionsgeheimnis allerdings nach seinem Tod verlorenging. Der Dichter Pepin leitete bis vor kurzem das staatliche Bildungsprogramm, bis dann das Ministerium für Geschichte und Sprachkunde, das unter seiner Führung stand, als schädlich und den Verstand zersetzend erkannt wurde.

Es kam immerhin auch früher vor, daß man einen Wissenschaftler oder Künstler, der der Favoritin des Königs, einer stumpfen und süßlichen Person, nicht zu Gesicht stand, ins Ausland verkaufte oder mit Arsen vergiftete, aber erst Don Reba nahm sich der Sache voll und ganz an. Während seiner Zeit als allmächtiger Sicherheitsminister zum Schutze der Krone veranstaltete er in der Kulturwelt Arkanars derartige Pogrome, daß er damit sogar schon die Unzufriedenheit einiger edler Magnaten hervorrief, die erklärten, am Hof würde es immer langweiliger, und auf den Bällen höre man nichts mehr außer dummem Klatsch.

Bagir Kissenski, des an Staatsverbrechen grenzenden Wahnsinns angeklagt, wurde ins Verlies geworfen, und nur den äußersten Anstrengungen Rumatas gelang es, ihn herauszuholen und in die Hauptstadt zu überstellen. Sein Observatorium wurde niedergebrannt, und die seiner Schüler, die unbehelligt geblieben waren, flohen in alle Windrichtungen. Der Leibarzt Tata erwies sich plötzlich zusammen mit fünf anderen Quacksalbern als Giftmischer, der den irukanischen Herzog gegen die Person des Königs aufwiegle; er gestand in der Folterkammer alles und wurde auf dem Königlichen Platz öffentlich erhängt. Bei dem Versuch, ihn zu retten, verteilte Rumata dreißig Pud Gold, verlor vier seiner Agenten (edle Dons, die nicht wußten, was sie taten) und hätte um ein Haar selber draufgezahlt, als er während seines Versuchs, den Verurteilten zu entführen, verwundet wurde.

Das war seine erste große Niederlage gewesen. Und da hatte er schließlich verstanden, daß Don Reba kein reiner Zufall war. Als er eine Woche später erfuhr, daß man den Alchimisten Synda vor Gericht stellen wollte, weil er angeblich den Stein der Weisen dem Staatsschatz vorenthalte, nahm Rumata, dem die Wut wegen seiner letzten Niederlage noch im Bauch kochte, die Sache selbst in die Hand. Er legte um das Haus des Alchimisten einen Hinterhalt, entwaffnete mit einem schwarzen Tuch vor dem Gesicht selber die Sturmowiki, die den Alchimisten abführen wollten, warf sie gefesselt in den Keller und führte noch in derselben Nacht den völlig verständnislosen Synda über die Grenze nach Soan, wo er nach leichtem Schulterzucken seine Suche nach dem Stein der Weisen unter der Aufsicht Don Kondors fortsetzte. Der Dichter Pepin nahm plötzlich die Kutte und zog sich in ein entlegenes Kloster zurück. Zuren der Gerechte wurde erst kürzlich entlarvt: Man überführte ihn der verbrecherischen Zweideutigkeit seiner Äußerungen. Außerdem warf man ihm vor, daß er dem Geschmack der untersten Volksschichten entgegengekommen sei. Er wurde seiner Ehre und seines Vermögens für verlustig erklärt, versuchte um sein Recht zu streiten, rezitierte in verrufenen Kneipen nun schon ganz offenkundig subversive Balladen und wurde dabei zweimal von patriotisch gesinnten Personen fast zu Tode geprügelt. Erst dann ließ er sich von seinem Freund und Gönner Don Rumata überreden, in die Hauptstadt des Reiches zu flüchten. Rumata würde den Anblick des Abreisenden nie vergessen können, wie er, zugleich blaß und blau vor Trunkenheit, sich mit seinen dünnen Armen an den Planken des abfahrenden Schiffes festklammerte und mit klingender, erstaunlich junger Stimme sein Abschiedssonett hinausbrüllte: Wie Blattgewelk drückt es die Seele …

Was den Dichter Gur betrifft, sonahm dieser anläßlich einer Audienz bei Don Reba unter vier Augen zur Kenntnis, daß der Prinz von Arkanar sich nicht mit der ihm feindlich gesinnten Sippschaft befreunden könne. Er warf auf dem Königlichen Platz seine Bücher eigenhändig ins Feuer. Seither stand er nun immer, wenn der König auszufahren geruhte, gebückt und mit ausdruckstotem Gesicht in der Menge der Höflinge, um auf einen unmerklichen Wink Don Rebas hin mit Gedichten ultrapatriotischen Inhalts hervorzutreten, die allerdings allgemein nur Langeweile und Gähnen bewirkten. In den Theatern wurde jetzt immer dasselbe Stück aufgeführt: Der Untergang der Barbaren, oder Marschall Totz, König Pitz von Arkanar. Die Sänger brachten jetzt allgemein nur noch Konzerte für Gesang und Orchester. Die am Leben gebliebenen bildenden Künstler malten Aushängeschilder. Zwei oder drei ganz Schlauen gelang es übrigens, sich am Hof zu halten, und sie malten jetzt Porträts des Königs mit Don Reba, wobei Don Reba den König immer ehrerbietig stützte (die Charakterisierung war nicht gerade ermutigend: Der König wurde stets als zwanzigjähriger strahlender Jüngling im Harnisch dargestellt, Don Reba als reifer Mann mit vielsagendem Gesichtsausdruck). Ja, am arkanarischen Hof wurde es langweilig. Nichtsdestoweniger füllten die Magnaten, die edlen Dons ohne Beschäftigung, die Gardeoffiziere und die leichtsinnigen Schönen der Dons – die einen aus Eitelkeit, die andern aus Gewohnheit, andere wieder aus Furcht – so wie früher jeden Morgen die Empfangssalons im Palast. Ehrlich gesagt, viele bemerkten überhaupt keine Veränderungen. An den Konzerten und Dichterlesungen früherer Zeiten hatten sie am meisten die Pausen geschätzt, wo sich die edlen Dons über die Vorzüge gewisser Jagdhundrassen unterhielten oder sich Witze erzählten. Sie waren noch fähig zu einem nicht allzulange dauernden Disput über die Eigenschaften der Wesen im Jenseits, aber schon die Fragen über die Form des Planeten oder die Ursache von Epidemien wurden als unanständig erachtet. Einige Wehmut rief bei den Gardeoffizieren das Verschwinden der Maler hervor, unter denen einige Meister waren, die die nackte Natur abgebildet hatten … Rumata erschien ein wenig verspätet im Palast. Das Lever hatte schon begonnen. In den Zimmern drängte sich das Volk, man hörte die gereizte Stimme des Königs, und es ertönten die melodischen Kommandos des Zeremonienministers, der über die Bekleidung seiner Majestät wachte. Die Höflinge besprachen im allgemeinen die Ereignisse der letzten Nacht. Ein Verbrecher mit dem Gesicht eines Irukaniers war in der Nacht in den Palast eingedrungen, hatte die Wache erschlagen und sich ins Schlafgemach seiner Königlichen Hoheit geschlichen. Dort wurde er angeblich von Don Reba persönlich entwaffnet und festgenommen, und am Weg zum Turm der Fröhlichkeit durch eine vor lauter Untergebenheit in Raserei geratene Meute von Patrioten in Stücke gerissen. Das war bereits der sechste Attentatsversuch im Lauf eines Monats, und daher rief die Tatsache des Anschlags selbst keinerlei Interesse mehr hervor. Man besprach nur die Details. Rumata erfuhr, daß sich seine Majestät beim Anblick des Mörders auf seiner Liegestatt aufrichtete, mit seinem Körper die allerschönste Dona Midara deckte und die historischen Worte sprach: »Hinweg mit dir, Halunke!« Die meisten glaubten die historischen Worte gern, nahmen aber an, der König habe den Mörder für einen Lakaien gehalten. Und alle stimmten darin überein, daß Don Reba wie immer auf der Hut gewesen und im Nahkampf unüberwindlich sei. Rumata stimmte mit ein paar eleganten Floskeln dieser Meinung zu und erzählte als Antwort eine eben erst ersonnene Geschichte davon, wie Don Reba von zwölf Räubern überfallen worden war: drei davon erledigte er auf der Stelle, und die übrigen schlug er in die Flucht. Die Geschichte wurde mit großem Interesse und reger Zustimmung aufgenommen, worauf Rumata wie beiläufig bemerkte, daß er diese Geschichte von Don Sera gehört habe. Der Ausdruck des Interesses verschwand sogleich von den Gesichtern der Anwesenden, denn es war jedem bekannt, daß Don Sera ein berüchtigter Dummkopf und Lügner war. Über Dona Okana sprach keiner ein Wort. Darüber wußten sie entweder noch nichts, oder sie gaben sich den Anschein, nichts zu wissen. Liebenswürdigkeiten verstreuend und den Damen die Hände drückend, zwängte sich Rumata Schritt für Schritt bis in die vorderen Reihen der aufgetakelten, parfümierten und reichlich schwitzenden Menge durch. Die Edlen des Reiches unterhielten sich halblaut: »Ja, ja, eben diese Stute. Sie wollte sich verbarrikadieren, aber der Teufel soll mich holen, wenn er sie nicht noch am selben Abend an Don Ke verspielt hat …« – »Was ihre Hüften betrifft, mein edler Don, so hatten sie ganz außergewöhnliche Formen. Wie heißt das doch bei Zuren … hm, hm, hm … Berge von kühlem Schaum … hm, hm, hm … nein, Hügel kühlen Schaums … Jedenfalls mächtige Hüften.« – »Da öffne ich leise das Fenster, nehme den Dolch zwischen die Zähne und, stellen Sie sich vor, mein Freund, ich spüre, wie das Gitter über mir nachgibt …« – »Ich fuhr ihm mit dem Schwertgriff über die Zähne, so daß sich dieser graue Hund zweimal um seinen eigenen Kopf drehte. Sie können ihn übrigens bestaunen, dort steht er mit einem solchen Blick, als habe er ein Anrecht darauf …« – » … und Don Tameo spuckte auf den Boden, rutschte aus und plumpste mit dem Kopf voran in den Kamin …« – » … da sagt der Mönch zu ihr: erzähl mir doch deinen Traum … ha ha ha!…«

Widerlich, dachte Rumata. Wenn mich jetzt jemand umbringt, wird diese Kolonie von Einfaltspinseln das letzte sein, was ich in meinem Leben sehe. – Nur die Schlagfertigkeit … mich kann nur Schlagfertigkeit retten. Mich und Budach. Den Moment erfassen und plötzlich zuschlagen. Überraschend zugreifen, daß er keine Zeit hat, auch nur den Mund zu öffnen! Mich nicht umbringen lassen, ich habe keinen Grund zu sterben!

Gemessenen Schritts ging er auf die Tür des Schlafgemachs zu, berührte mit beiden Händen seine Schwerter, bog seine Beine nach der Hofetikette leicht in den Knien ab und näherte sich dem königlichen Bett. Dem König wurden gerade die Strümpfe angezogen. Der Zeremonienminister folgte mit angehaltenem Atem den geschickten Händen zweier Kammerdiener. Rechts von der geöffneten Loge stand Don Reba und unterhielt sich kaum hörbar mit einem langen, knochigen Mann in einer Uniform aus grauem Samt. Das war Vater Zupik, einer der Anführer der arkanarischen Sturmowiki, ein Oberst der Leibgarde. Don Reba war ein routinierter Höfling. Nach seinem Gesicht zu urteilen, ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die Eigenschaften jener gewissen Stute oder um das tugendhafte Verhalten der königlichen Nichte. Vater Zupik jedoch, ein Krieger und früherer Lebensmittelhändler, verstand es nicht, sich zu beherrschen. Sein Gesicht verdüsterte sich, er biß sich auf die Lippen, und seine Finger verkrampften sich um den Schwertgriff, um ihn dann gleich wieder loszulassen. Schließlich aber zuckte er plötzlich mit der Wange, drehte sich barsch um und schritt – alle Regeln des Anstands verletzend – aus dem Schlafzimmer hinaus geradewegs auf die Menge der Höflinge zu, die ob solcher Unerzogenheit wie versteinert dastanden. Don Reba blickte ihm mit einem entschuldigenden Lächeln nach, Rumata aber begleitete die ungelenke graue Figur mit den Blicken und dachte: Da, schon wieder ein Toter! Er wußte von den Reibereien zwischen Don Reba und der Führerschaft der Grauen. Die Geschichte des braunen Hauptmanns Ernst Rohm war bereit, sich zu wiederholen. Die Strümpfe waren nun angezogen. Den melodischen Anweisungen des Zeremonienministers gehorchend, faßten die Kammerdiener mit ihren Fingerspitzen elegant nach den königlichen Schuhen. Da trat der König aus heiterem Himmel mit den Füßen nach ihnen und wandte sich so abrupt Don Reba zu, daß sein Bauch wie ein vollgestopfter Sack auf ein Knie lappte.

»Mir wachsen eure Attentate zum Hals heraus!« heulte er hysterisch. »Attentate, Attentate, Attentate!… In der Nacht will ich schlafen und mich nicht mit Mördern herumschlagen! Warum kann man es denn nicht so einrichten, daß sie mich untertags anfallen? Sie sind ein schäbiger Minister, Reba! Noch eine solche Nacht, und ich lasse Sie hinrichten.« Don Reba verneigte sich und führte die Hand zum Herzen. »Nach einem Attentat habe ich immer Kopfweh!«

Er verstummte unvermittelt und blickte stumpf auf seinen Bauch. Der Augenblick war günstig. Die Kammerdiener waren unschlüssig. Vor allen Dingen mußte er die Aufmerksamkeit des Königs auf sich lenken. Rumata riß einem Kammerdiener den rechten Schuh aus der Hand, ließ sich vor dem König auf die Knie nieder und zog den Schuh ehrerbietig über den dicken, mit Seide umhüllten Fuß. Denn das war das uralte Privileg des Geschlechts der Rumatas: Mit eigener Hand den rechten Fuß der gekrönten Häupter des Reiches zu bekleiden. Der König schenkte ihm einen trüben Blick. In seinen Augen blitzte ein Funken Interesse auf.

»Ah, Rumata!« sagte er. »Sie sind noch am Leben? Und Reba hat mir doch versprochen, Sie beiseite zu schaffen!« Er begann zu kichern. »Er ist ein elender Minister, dieser Reba. Er verspricht immer nur, er tut nur immer so. Er versprach, die Verschwörungen auszurotten, und die Verschwörungen nehmen immer mehr zu. Irgendwelche Grauen Ungetüme hat er da in den Palast eingeschleust … Ich bin krank, und er läßt alle Leibärzte erhängen.«

Rumata hatte ihm den Schuh übergestreift, verbeugte sich und trat zwei Schritte zurück. Er fing einen aufmerksamen Blick Don Rebas auf und beeilte sich, seinem Gesicht einen hochtrabenden, stumpfen Ausdruck zu verleihen.

»Ich bin schwer krank«, fuhr der König fort, »und alles tut mir weh. Ich möchte zur Ruhe gehen. Ich wäre schon längst zur Ruhe gegangen, aber ihr verkommt doch alle ohne mich, ihr Wildschweine …«

Man zog ihm den zweiten Schuh an. Er erhob sich und begann aber gleich zu stöhnen, krümmte sich vor Schmerzen und faßte seine Knie.

»Wo sind die Ärzte, die Quacksalber?« brüllte er schmerzlich. »Wo ist mein guter Tata? Sie haben ihn erhängt, Sie Dummkopf! Und mir wurde schon durch seine Stimme leichter! Schweigen Sie, ich weiß selber, daß er ein Giftmischer war! Aber das wäre mir doch ganz egal gewesen! Was ist schon dabei, daß er ein Giftmischer war?

Er war ein Arzt, ein Arzt war er! Verstehen Sie das, Sie Mörder? Ein Arzt! Den einen vergiftet er, den andern macht er gesund. Sie aber erwürgen, was Ihnen unter die Hände kommt. Hätten Sie sich lieber selber aufgehängt!« Don Reba machte eine Verbeugung, drückte die Hand ans Herz und verharrte dann in dieser Stellung. »Sie haben doch alle aufhängen lassen! Übriggeblieben sind nur Ihre Scharlatane! Und die Popen, die mir Weihwasser einflößen anstatt Medizin … Wer bereitet mir eine Arznei? Wer reibt mir meinen Fuß mit Salbe ein?«

»Mein König!« sagte Rumata mit voller Stimme, und es erschien ihm, daß der ganze Palast erstarrte. »Sie brauchen nur zu befehlen, und der beste Arzt des Reiches wird in einer halben Stunde zur Stelle sein!«

Der König starrte ihn fassungslos an. Das Risiko war ungeheuer. Don Reba brauchte nur mit den Wimpern zu zucken … Rumata fühlte es mit seinem ganzen Körper, wie viele Augenpaare angestrengt und schußbereit auf ihn starrten – er wußte auch, zu welchem Zweck unterhalb der Decke des Schlafzimmers die Reihen runder, schwarzer Öffnungen dienten. Don Reba blickte auf ihn mit einem Ausdruck von Höflichkeit und wohlwollender Neugierde. »Also was soll das?« fragte der König mürrisch. »Nun, ich befehle, nun, wo ist Ihr Quacksalber?«

Rumata straffte seinen ganzen Körper. Ihm war, als ob die Pfeilspitzen schon seinen Rücken durchbohrten.

»Mein König«, sagte er rasch. »Ordnen Sie an, daß Don Reba Ihnen den berühmten Doktor Budach vorführe!«

Offenbar war sich Don Reba seiner Sache doch nicht so sicher. Das Wichtigste war gesagt, und Rumata war noch am Leben. Der König wandte seine trüben Augen auf den Sicherheitsminister. »Mein König«, fuhr Rumata, nun schon ohne Eile und mit gemessener Stimme, fort. »Da ich um Eure wahrhaft unerträglichen Leiden wußte und eingedenk der Pflicht meines Geschlechts vor dem Königshaus, habe ich aus Irukan den berühmten, hochgelehrten Doktor Budach kommen lassen. Bedauerlicherweise aber wurde der Weg des Doktors unterbrochen. Die Grauen Soldaten des ehrenwerten Don Reba ergriffen ihn vorige Woche, und sein weiteres Schicksal ist nur Don Reba bekannt. Ich nehme an, daß der Arzt nicht weit weg von hier ist, wahrscheinlich im Turm der Fröhlichkeit, und ich kann nur hoffen, daß die merkwürdige Abneigung Don Rebas gegen alle Ärzte sich noch nicht auf schicksalhafte Weise am Los Doktor Budachs ausgewirkt hat.«

Rumata verstummte und hielt den Atem an. Anscheinend verlief alles glänzend. Halte dich, Don Reba! Er warf einen kurzen Blick auf den Minister – und erstarrte. Der Sicherheitsminister hatte sich fest in der Gewalt. Er nickte Rumata leicht zu. Ein zarter väterlicher Vorwurf. Das hatte Rumata am wenigsten erwartet. Er triumphiert ja, dachte Rumata bestürzt. Dafür benahm sich der König, wie er es erwartet hatte.

»Du Gauner!« brüllte er. »Ich bringe dich um! Wo ist der Doktor? Wo ist der Doktor, frage ich dich? Schweig! Ich frage dich, wo der Doktor ist!«

Don Reba trat einen Schritt vor und lächelte angenehm. »Eure Majestät«, sagte er. »Sie sind in Wahrheit ein glücklicher Herrscher, denn Sie haben so viele treue Untergebene, daß sie sich zu Zeiten in ihren Bemühungen, Ihnen zu dienen, gegenseitig stören.« Der König blickte stumpf zu ihm auf. »Ich will nicht verbergen, daß mir die edle Absicht des eifrigen Don Rumata, wie alles andere in Eurem Land, bekannt war. Ich will auch nicht verbergen, daß ich Doktor Budach unsere Grauen Soldaten entgegengeschickt habe, und zwar einzig und allein zu dem Zweck, daß sie den ehrenwerten alten Mann vor den Unbilden der langen Reise beschützten. Weiters will ich auch gar nicht verbergen, daß ich mich nicht beeilt habe, den Irukanier Budach Eurer Majestät vorzustellen …«

»Wie konnten Sie das wagen?« fragte der König vorwurfsvoll.

»Eure Majestät, Don Rumata ist jung und in der Politik ebenso unerfahren, wie er im edlen Zweikampf erfahren ist. So kann er auch keine Ahnung haben, zu welchen Gemeinheiten der Herzog von Irukan in seiner rasenden Bosheit gegen Eure Majestät fähig ist. Aber Sie und ich, wir wissen das, mein König, nicht wahr?« Der König nickte zustimmend. »Und daher habe ich es für notwendig befunden, vorsichtshalber eine kleine Untersuchung einzuleiten. Ich hätte die Sache nicht vorangetrieben, aber wenn Sie, Eure Hoheit (tiefe Verbeugung dem König), und Don Rumata (leichtes Nicken zu Rumata) so sehr darauf bestehen, wird noch heute nach dem Mittagessen Doktor Budach vor Ihnen stehen, mein König, um Ihre Heilung zu beginnen.«

»Ja, Sie sind gar nicht so dumm, Don Reba«, sagte der König, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Eine Untersuchung, das ist gut. Das kann nie schaden. Der verfluchte Irukanier …« Er heulte auf vor Schmerz und faßte noch einmal seine Knie. »Verdammtes Bein! So, also nach dem Mittagessen? Werd halt warten, werde warten.« Und gestützt auf die Schulter des Zeremonienministers ging er langsam in den Thronsaal, vorbei an Rumata, der nicht wußte, wie ihm geschah. Als er schon in die Menge der beiseite tretenden Höflinge eintauchte, schenkte Don Reba Rumata ein freundliches Lächeln und fragte:

»Heute nacht haben doch Sie Wachdienst am Schlafzimmer des Prinzen? Ich bin doch wohl richtig unterrichtet?« Rumata verbeugte sich schweigend.

Rumata schlenderte ziellos durch die unendlichen Korridore und Übergänge des Palasts. Sie waren dunkel und feucht, und es roch nach Ammoniak und Fäulnis. Er kam vorbei an prächtigen, über und über mit reichen Teppichen ausgestatteten Zimmern und an Lagerkammern voll Gerümpel mit abgeblätterter Vergoldung. Einen Menschen sah man hier fast nie. Manchmal verirrte sich ein Höfling in dieses Labyrinth im Hintertrakt des Palasts, wo die königlichen Appartements unmerklich in die Kanzleien des Sicherheitsministeriums übergingen. Hier konnte man sich leicht verirren. Alle erinnerten sich an einen Fall, als die Patrouille der Garde auf einem Kontrollgang von dem langgedehnten Heulen eines Menschen erschreckt wurde, der ihnen durch das Gitter einer Schießscharte seine zerkratzten Hände entgegenstreckte. »Rettet mich!« schrie der Mann. »Ich bin ein Kammerjunker! Ich weiß nicht, wie ich hier herauskomme! Ich habe schon zwei Tage nichts mehr gegessen! Holen Sie mich heraus!« (Zehn Tage lang fand zwischen dem Ministerium für Finanzen und dem Hofministerium ein angeregter Briefwechsel statt, wonach man dann doch beschloß, das Gitter herauszureißen. In den zehn Tagen aber fütterten sie den armen Kammerjunker mit Brot und Fleisch, das sie ihm auf Lanzenspitzen zusteckten.) Außerdem lauerten hier noch verschiedene andere Gefahren. In den engen Gängen gerieten betrunkene Gardisten, die die Person des Königs bewachten, mit betrunkenen Sturmowiki aneinander, die das Ministerium bewachten. Sie lieferten sich erbitterte Kämpfe. Nachdem sie sich aber genug geschlagen hatten, trennten sie sich wieder und trugen ihre Verwundeten fort. Und schließlich wanderten hier auch die Geister der Ermordeten, von denen sich im Laufe zweier Jahrhunderte eine stattliche Menge im Palast angesammelt hatte.

Aus einer tiefen Nische in der Wand trat ein wachhabender Sturmowik mit erhobenem Beil hervor. »Kein Zutritt«, sagte er düster.

»Was verstehst du schon, Dummkopf!« sagte Rumata nachlässig und schob ihn mit der Hand zur Seite.

Er hörte, wie der Sturmowik hinter ihm unentschlossen mit den Füßen scharrte, und ertappte sich bei dem Gedanken, daß der beleidigende Tonfall und die nachlässigen Gesten bei ihm nun schon reflektorisch auftraten, daß er bereits den hochwohlgeborenen Flegel nicht mehr spielte, sondern daß er selber fast schon zu einem solchen Flegel geworden war. Er stellte sich dieses sein Verhalten auf der Erde vor und wurde sogleich von Scham und Übelkeit befallen. – Warum denn? Was ist denn mit mir vorgefallen? Wohin verschwand denn die seit frühester Kindheit eingepflanzte Achtung und das Vertrauen zu meinesgleichen, zu den Menschen, zu dem wunderbaren Wesen, das man »Mensch« nennt? Aber bei mir kommt ohnehin schon jede Hilfe zu spät, überkam es ihn mit Schrecken. Ich hasse sie doch wirklich und verachte sie … Kein Mitleid – nein, ich hasse und verachte sie. Wenn ich mir auch die Stumpfheit und Bestialität dieses Kerls da vor Augen führe, die sozialen Umstände und seine schauerliche Erziehung … Ich kann tun, was ich will, aber ich sehe jetzt ganz genau, das dies mein Feind ist, ein Feind all dessen, was mir teuer ist, der Feind meiner Freunde, ein Feind all dessen, was mir persönlich heilig ist. Und ich hasse ihn nicht nur theoretisch, nicht als einen »typischen Vertreter«, sondern ihn selbst, seine Person. Ich hasse seine speichelverschmierte Schnauze, den Geruch seines ungewaschenen Körpers, seinen blinden Glauben, seine Bosheit gegen alles, was über sexuelle Bedürfnisse und den Suff hinausgeht. Da scharrt er nun mit den Füßen, dieser Halbwüchsige, den vor einem halben Jahr noch sein dickwanstiger Vater verprügelte, um ihn mit solchen Methoden für den Handel mit wurmigem Mehl und schimmliger Marmelade auszubilden; da ächzt und stöhnt er, der vernagelte Dummkopf, und quält sich ab bei dem Versuch, sich an die Paragraphen der eingepaukten Ordnungen zu erinnern, und kann sich nicht entscheiden, ob er nun den edlen Don mit der Hacke erledigen, »Wache!« schreien oder bloß mit der Hand winken soll. So oder so wird keine Seele von etwas erfahren. Alles auf der Welt tut er mit einer Handbewegung ab, kehrt zurück in seine Nische, steckt sich ein Stück Kaurinde ins Maul, schmatzt und kaut wie eine satte Kuh und läßt den Speichel rinnen. Und nichts auf der Welt kann ihn interessieren, und an nichts auf der Welt will er denken. Denken, Gott behüte! Aber um wieviel besser ist denn unser Lichter Adler, Don Reba? Ja, natürlich, seine Psyche ist verwickelter, und seine Reflexe sind komplizierter, aber seine Gedanken sind diesem nach Ammoniak stinkenden Kerl und den labyrinthischen Verbrechen des Palasts sehr ähnlich, und er ist unaussprechlich niederträchtig – ein abscheulicher Verbrecher, eine gewissenlose Spinne. Ich bin hierhergekommen, um die Menschen zu lieben, ihnen bei ihrer Selbstentfaltung behilflich zu sein, damit sie den Himmel sehen. Nein, ich bin ein schlechter Kundschafter, dachte er betrübt. Ich bin ein untauglicher Historiker. Und wann bin ich denn in diesen Abgrund gefallen, von dem Don Kondor sprach? Hat denn ein Gott ein Recht auf irgendwelche Gefühle außer auf Mitleid?

In seinem Rücken ertönte ein eiliges Klopfen von Stiefeln im Gang. Rumata drehte sich um und faßte seine beiden Schwerter mit den Händen kreuzweise am Griff. Don Ripat kam zu ihm geeilt, eine entblößte Klinge in der Hand.

»Don Rumata, Don Rumata!« schrie er schon von weitem in heiserem Flüsterton.

Rumata ließ die Schwerter wieder los. Als er schon ganz nahe bei ihm war, blickte Don Ripat um sich und flüsterte ihm kaum hörbar ins Ohr:

»Ich suche Sie schon eine ganze Stunde. Waga Koleso ist im Palast! Er spricht mit Don Reba im lila Zimmer.« Rumata kniff eine Sekunde lang die Augen zusammen. Dann trat er vorsichtig einen Schritt zur Seite und sagte mit höflicher Verwunderung:

»Sie meinen doch nicht etwa den berühmten Räuberhauptmann? Der ist doch entweder längst hingerichtet oder existiert überhaupt nur in der Phantasie des Volks.« Der Leutnant leckte seine trockenen Lippen.

»Es gibt ihn … Er ist im Palast … Ich dachte, es wird Sie interessieren.«

»Mein bester Don Ripat«, sagte Rumata eindringlich. »Mich interessieren Gerüchte. Der Klatsch. Anekdoten … Das Leben ist so langweilig … Sie haben mich anscheinend nicht richtig verstanden …«

Der Leutnant blickte ihn mit verständnislosen Augen an. »Urteilen Sie doch selbst – was habe ich denn zu tun mit den unsauberen Beziehungen Don Rebas, den ich übrigens viel zu sehr schätze, als daß ich ihn verurteilen könnte? – Und dann, verzeihen Sie, ich bin in Eile … Eine Dame erwartet mich.«

Don Ripat leckte noch einmal seine Lippen, machte eine ungeschickte Verbeugung und ging seitlich ab. Rumata kam plötzlich ein glücklicher Gedanke.

»Übrigens, mein Freund«, rief er ihm wohlwollend nach, »wie gefiel Ihnen denn die kleine Intrige, die wir heute früh Don Reba gespielt haben?«

Don Ripat blieb bereitwillig stehen. »Wir sind äußerst befriedigt«, sagte er. »Nicht wahr, das war doch allerliebst?«

»Ganz prächtig war das! Die Führung der Grauen ist sehr froh darüber, daß Sie nun endlich ganz offen für uns Partei ergreifen. So ein kluger Mensch wie Sie, Don Rumata, und gibt sich mit Baronen ab, mit adeligen Ausgeburten …«

»Mein teurer Ripat!« sagte Rumata von oben herab und machte sich zum Weggehen bereit. »Sie vergessen anscheinend, daß von der Höhe meiner Herkunft herab überhaupt kein Unterschied ersichtlich ist zwischen dem König und Ihresgleichen. Auf Wiedersehen!« Zuversichtlichen Schrittes ging er durch die Korridore, schwenkte ohne die geringste Unsicherheit in die Nebengänge ein und schob die Wachen schweigend aus dem Weg. Er hatte nur eine verschwommene Vorstellung davon, was er jetzt tun würde, aber er war sich sicher, daß dies ein erstaunlicher und seltener Zufall war. Er mußte das Gespräch zwischen den beiden Spinnen hören. Nicht umsonst hatte Don Reba für den lebenden Waga vierzehnmal mehr versprochen als für den toten …

Aus den schweren lila Vorhängen traten zwei Graue Leutnants mit entblößten Klingen hervor.

»Seid gegrüßt, Freunde«, sagte Don Rumata und blieb zwischen ihnen stehen. »Ist der Minister auf seinem Zimmer?«

»Der Minister ist beschäftigt, Don Rumata«, sagte einer der beiden Leutnants.

»Ich werde warten«, sagte Rumata und begab sich zwischen die Vorhänge.

Hier war es stockfinster, man konnte die Hand nicht vor den Augen sehen. Rumata tastete sich durch Stühle, Tische und schwere gußeiserne Laternenuntersätze. Einige Male hörte er deutlich jemandes Atem über seinem Ohr, und er fühlte sich von starkem Knoblauch- und Biergeruch umhüllt. Dann sah er einen schwachen Lichtstreifen, hörte die vertraute heisere Tenorstimme Waga Kolesos und blieb stehen. Im selben Augenblick preßte sich ihm eine Lanzenspitze vorsichtig, aber unmißverständlich zwischen die Schulterblätter. »Ruhig, Dummkopf!« sagte er gereizt, aber leise. »Ich bin es, Don Rumata!«

Die Lanze zog sich zurück. Rumata schob einen Stuhl zu dem Lichtstreifen hin, setzte sich nieder, schlug ein Bein über und gähnte so laut, daß man es hören mußte. Dann beobachtete er. Die Spinnen waren zusammengetroffen. Don Reba saß in angespannter Pose, stützte die Ellbogen auf den Tisch und verschränkte die Finger. Zu seiner Rechten lag auf einem Stoß Papier ein schweres Wurfmesser mit hölzernem Griff.

Auf dem Gesicht des Ministers lag ein angenehmes, wenn auch etwas starres Lächeln. Der ehrenwerte Waga saß auf dem Sofa mit dem Rücken zu Rumata. Er glich einem wunderlichen alten Magnaten, der die letzten dreißig Jahre seines Lebens völlig abgeschieden auf einem Landsitz zugebracht hatte.

»Die Murgeln sind verkrochnet«, sagte er, »und die Krachstampeln schlurren uns bängs mit aufgequapperten Greumen um die Warrein. Und das sind schon zwanzig lange Zäckerlinge. Krumpf und krässig würde ich denen auf die Schnölle schraben. Aber die Zäckerlinge scharmaunern zunklich. Darauf brimstern wir auch unseren Frunke. Das ist unser Beispall …«

Don Reba umfaßte sein ausrasiertes Kinn.

»Schwurrebar eingebröhmt«, sagte er nachdenklich. Waga zuckte mit den Schultern.

»Das ist kräpaul unser Beispall. Mit uns zu kruckeln würde ich Ihnen nicht flarren. Also auf Krammscheid?«

»Auf Krammscheid«, sagte der Sicherheitsminister fest entschlossen.

»Und schmacks ab«, sagte Waga und erhob sich. Rumata, der diesem Unsinn verblüfft zugehört hatte, entdeckte in Wagas Gesicht einen buschigen Schnurrbart und einen kleinen grauen Spitzbart. Ein echter Höfling aus der Regierungszeit des vorigen Königs.

»Es war eine angenehme Unterhaltung«, sagte Waga. Don Reba erhob sich ebenfalls.

»Das Gespräch mit Ihnen verschaffte mir größtes Vergnügen«, sagte er. »Zum erstenmal in meinem Leben sehe ich einen so kühnen Menschen wie Sie, Verehrtester …«

»Ich auch«, sagte Waga mit gelangweilter Stimme. »Ich bin ebenso erstaunt wie stolz über die Kühnheit des Ersten Ministers unseres Königreichs.«

Er dreht Don Reba seinen Rücken zu und ging, auf einen Stock gestützt, dem Ausgang zu. Don Reba wandte seinen nachdenklichen Blick nicht von ihm ab und legte seine Hand zerstreut auf den Griff des Messers. Unmittelbar darauf pustete jemand im Rücken Rumatas aus voller Kraft, und der lange blaue Lauf eines Blasrohres fuhr an seinem Ohr vorbei zu dem Spalt zwischen den Vorhängen. Eine Sekunde lang verharrte Don Reba, wie um zuzuhören, dann nahm er wieder Platz, zog eine Tischlade heraus, entnahm ihr einen Stoß Papiere und versenkte sich in die Lektüre. Im Rücken Rumatas spuckte jemand aus, das Blasrohr verschwand. Alles war klar. Die Spinnen hatten ihre Lösung gefunden. Rumata stand auf, stieg irgend jemandem auf die Füße und verließ endlich das schauerliche Gemach mit den lila Vorhängen.

Der König speiste in einem riesigen, zwei Stockwerke hohen Saal. Der dreißig Meter lange Tisch war für hundert Personen gedeckt. An der Tafel saßen der König selbst, Don Reba, Personen königlichen Bluts (zwei Dutzend vollblütiger Persönlichkeiten, Vielfraße und gelernte Säufer), Hof- und Zeremonienminister, eine Reihe von bodenständigen Adeligen, die aus Tradition eingeladen wurden (darunter auch Rumata), ein paar umherziehende Barone mit holzköpfigen Gattinnen, und ganz am unteren Ende des Tisches jeglicher Klein- und Kleinstadel, nach Privilegien oder auch ohne Privilegien zur königlichen Tafel geladen. Jene letzteren erhielten zusammen mit der Einladung und ihrer Sitznummer eine Reihe von Verhaltensmaßregeln: »Stillsitzen, der König hat es nicht gern, wenn man herumwetzt. Die Hände auf den Tisch, der König hat es nicht gern, wenn man die Hand unterm Tisch versteckt. Nicht umdrehen, der König liebt es nicht, wenn man sich umdreht.« – Bei jedem Essen dieser Art wurde eine ungeheure Menge auserlesenster Speisen verschlungen, ganze Seen alter Weine gesoffen und Berge von Tafelgeschirr aus dem berühmten estorischen Porzellan zerschlagen. In einem seiner Berichte an den König prahlte der Finanzminister damit, daß ein einziges Mittagessen seiner Majestät ebensoviel koste wie der Unterhalt der soanischen Akademie der Wissenschaften für ein halbes Jahr.

Während er wartete, bis der Zeremonienminister unter dem Klang von Fanfaren dreimal »zu Tisch!« rief, stand Rumata in einer Gruppe von Höflingen und hörte zum zehntenmal Don Tameos Geschichte von dem königlichen Mahl, an dem er, Don Tameo, vor einem halben Jahr die Ehre hatte, teilzunehmen. » … Ich komme an meinen Platz, wir stehen, kommt der König herein, er setzt sich, wir setzen uns auch, das Mahl nimmt seinen gewöhnlichen Verlauf. Und plötzlich, stellen Sie sich vor, teure Dons, plötzlich spüre ich, daß es unter mir naß ist … Naß! ich getraue mich weder, mich vom Fleck zu rühren noch mich umzudrehen oder auch nur nach unten zu greifen. Dann aber passe ich einen günstigen Augenblick ab und fahre mit der Hand nach unten. Und was glaubt ihr? Tatsächlich naß. Ich schnüffle an den Fingern – nein, riecht nicht nach irgendwas Besonderem. Welche Teufelei! Inzwischen geht das Essen zu Ende, alle erheben sich, mir aber, stellen Sie sich das vor, edle Dons, mir ist es irgendwie unheimlich, aufzustehen … Ich sehe, der König kommt auf mich zu – der König! Ich aber bleibe sitzen auf meinem Stuhl, wie ein Baron aus der tiefsten Provinz, der die Etikette nicht kennt. Seine Majestät tritt dicht an mich heran, lächelt huldvoll und legt mir eine Hand auf die Schulter. >Mein teurer Don Tameo<, sagt er, >wir sind schon alle aufgestanden und gehen uns das Ballett anschauen, Sie aber sitzen noch immer da. Was ist mit Ihnen, sind Sie vielleicht nicht satt geworden?< – >Eure Majestät<, sage ich, >lassen Sie mir den Kopf abschlagen, aber unter mir ist es feucht.< Seine Majestät geruhte zu lachen und befahl mir, aufzustehen. Ich erhob mich – und was glaubt ihr? Lautes Lachen ringsum. Edle Dons, ich bin das ganze Essen hindurch auf einer Rumtorte gesessen! Seine Majestät geruhte aus Leibeskräften zu lachen. >Reba, Reba!< sagte er schließlich. >Das sind alles Ihre Streiche! Machen Sie den edlen Don sauber, Sie haben ihm das Gesäß besudelt!< Don Reba biegt sich vor Lachen, zieht seinen Dolch und kratzt die Torte von meinem Hosenboden. Können Sie sich meine Lage vorstellen, edle Dons? Ich will es nicht verbergen, ich zitterte und bebte vor Furcht bei dem Gedanken, daß Don Reba, der vor allen erniedrigt worden war, sich an mir rächen würde. Glücklicherweise fand sich aber alles zum Guten. Ich versichere Sie, edle Dons, das war das glücklichste Ereignis meines Lebens! Und wie der König gelacht hat! Und wie seine Majestät zufrieden waren!«

Es ertönten die Fanfaren, der Zeremonienminister rief mit lauter melodischer Stimme zu Tisch, den einen Fuß ein wenig nachziehend, kam der König herein, und alle nahmen ihre Plätze ein. In den Ecken des Saales war die wachhabende Garde postiert, unbeweglich auf ihre beidhändigen Schwerter gestützt. Rumata hatte schweigsame Sitznachbarn. Rechts von ihm füllte den Sessel der bebende Schmerbauch des düsteren Vielfraßes Don Pifa, des Gatten einer berühmten Schönheit, und zu seiner Linken stierte der Dichter Gur ausdruckslos in seinen leeren Teller. Die Gäste blickten angespannt auf den König. Der König band sich eine mehr graue als weiße Serviette vor, fuhr mit einem raschen Blick über alle Schüsseln und langte nach einem Hühnerbein. Kaum hatten sich seine Zähne darin festgebissen, als auch schon hundert Messer mit Geklirr auf die Teller niedersausten und sich hundert Hände über die Schüsseln hermachten. Der Saal füllte sich mit Geschlürf und Geschmatz, der Wein rann in Strömen. Die Schnurrbärte der unbeweglich auf ihre beidhändigen Schwerter gestützten Gardisten gerieten in gierige Zuckungen. In früheren Zeiten war es Rumata bei solchen Anlässen übel geworden. Jetzt hatte er sich schon daran gewöhnt. Während er mit seinem Dolch den Schenkel eines Widders zerlegte, schielte er nach rechts und wandte sich aber gleich wieder ab: Don Pifa hing mit seinem Oberkörper über einem im ganzen gebratenen Eber und arbeitete sich hinein wie ein Bulldozzer. Hinter ihm blieben nicht einmal die Knochen zurück. Rumata hielt den Atem an und leerte auf einen Zug ein Glas Irukanischen. Dann wandte er sich leicht nach links. Der Dichter Gur stocherte lustlos mit einem Löffel in einer Schüssel Fleischsalat. »Schreibt Er etwas Neues?« fragte Rumata halblaut. Gur fuhr zusammen.

»Ich schreibe etwas …? Ich? Ich weiß nicht … ja, ja, vielerlei …«

»Gedichte?«

»Ja, ja … Gedichte …«

»Er schreibt abscheuliche Gedichte, Vater Gur.« Gur blickte ganz seltsam zu ihm auf. »Ja, ja, Er ist kein Poet!«

»Kein Poet … Manchmal denke ich darüber nach, was ich eigentlich bin, und wovor ich mich fürchte. Ich weiß nicht …« »Schau Er in seinen Teller und fahr Er mit dem Essen fort. Ich werd Ihm sagen, was Er ist. Er ist ein schöpferisches Genie, der Entdecker eines neuen Weges in der Literatur und des allerfruchtbarsten obendrein.« Auf den Wangen Gurs stieg eine leichte Röte auf. »In hundert Jahren, und vielleicht auch schon früher, werden Dutzende Dichter auf Seinen Spuren gehen.«

»Gott bewahr sie!« entfuhr es Gur.

»Jetzt werd ich Ihm sagen, wovor Er sich wirklich fürchtet.«

»Ich fürchte die Finsternis.«

»Die Dunkelheit des Abends?«

»Die auch. Denn in der Abenddämmerung sind wir in der Macht der Gespenster. Am meisten aber fürchte ich die Finsternis der Nacht, weil in der Nacht doch alles in gleicher Weise grau wird.«

»Gut gesagt, Vater Gur. Aber jetzt zu etwas anderem: Kann man Sein Werk noch haben?«

»Ich weiß nicht … und will es auch nicht wissen.«

»Sei Er jedenfalls versichert: Ein Exemplar befindet sich in der Hauptstadt, in der Bibliothek des Kaisers. Ein weiteres wird im Raritätenmuseum von Soan aufbewahrt. Und ein drittes ist in meinem Besitz.«

Gur nahm sich mit zitternder Hand einen Löffel Gelee. »Ich … ich weiß nicht …«

Mit seinen großen tiefliegenden Augen blickte er niedergeschlagen zu Rumata auf. »Ich möchte es gern lesen … wieder lesen …«

»Ich werde es Ihm mit Vergnügen zukommen lassen …«

»Und dann …?«

»Dann gibt Er es zurück.«

»Ja, ja, zurückgeben!« sagte Gur mit beißender Stimme. Rumata wiegte den Kopf.

»Don Reba hat Ihn sehr eingeschüchtert, Vater Gur.«

»Eingeschüchtert … Habt Ihr schon einmal Eure eigenen Kinder verbrannt? Was wißt Ihr vom Terror, von der Angst, edler Don?«

»Ich verneige mein Haupt vor dem, was Er durchmachen mußte, Vater Gur. Aber ich verurteile Ihn aus ganzer Seele dafür, daß Er aufgegeben hat!«

Da begann Gur, der Dichter, plötzlich so leise zu flüstern, daß ihn Rumata durch das allgemeine Schmatzen und Stimmengewirr bei Tisch kaum mehr verstehen konnte.

»Und was soll das alles? … Was ist Wahrheit? … Prinz Chaar liebte wirklich jene schöne kupferhäutige Frau … Sie hatten Kinder … Ich kenne ihre Enkel … Man hat sie tatsächlich vergiftet … Mir hat man aber erklärt, daß das alles erlogen sei … Man hat mir erzählt, daß die Wahrheit das ist, was dem König zum Segen gereicht … Alles übrige ist Lüge und Verbrechen. Mein ganzes Leben habe ich also nur Lügen geschrieben … Und erst jetzt schreibe ich die Wahrheit …« Er erhob sich plötzlich von seinem Platz und brüllte mit rhetorisch gezogener Stimme:

»Groß und ruhmreich wie die Ewigkeit

Der König, dessen Name Edelsinn!

Und es verblasset die Unendlichkeit,

Und es verflog der Prinzen Sinn!«

Der König unterbrach mit vollem Mund seine Kaubewegungen und starrte ihn stumpf an. Die Gäste zogen ihre Köpfe ein. Einzig Don Reba lächelte und klatschte ein paarmal fast unhörbar in die Hände. Der König spuckte einige Knochen auf den Teppich und sagte:

»Unendlichkeit? … Richtig. Ist verblaßt? … Gut! Du kannst weiter essen.«

Das Geschmatze und Gerede hob wieder an. Gur setzte sich. »Wie süß und angenehm es ist, dem König die Wahrheit ins Gesicht zu sagen«, sagte er heiser. Rumata schwieg eine Weile. Dann sagte er:

»Ich werde Ihm ein Exemplar Seines Buches bringen lassen, Vater Gur. Nur eine Bedingung. Er beginnt gleich, an einem neuen Werk zu schreiben.«

»Nein«, sagte Gur. »Zu spät. Soll Kiun schreiben. Ich bin schon vergiftet. Und überhaupt, mich interessiert das alles nicht mehr. Jetzt möchte ich eigentlich nur mehr eines – trinken lernen. Und dabei kann ich nicht … Der Magen schmerzt …«

Schon wieder eine Niederlage, dachte Rumata. Zu spät gekommen. »Hören Sie, Reba«, sagte plötzlich der König. »Wo ist denn der Quacksalber? Sie haben mir doch einen Arzt versprochen nach dem Mittagessen?«

»Er ist hier, Eure Hoheit«, sagte Don Reba. »Befehlen Sie, zu rufen?«

»Befehle ich? Da hört sich alles auf! Wenn Sie solche Schmerzen im Knie hätten, würden Sie quieken wie ein Schwein …! Lassen Sie ihn sofort bringen!«

Rumata lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um besser zu sehen. Don Reba hob die Hand über seinen Kopf und schnalzte mit den Fingern. Die Tür ging auf, und in den Saal trat unter ständigen Verbeugungen ein gebückter alter Mann in einer bodenlangen Mantille, welche mit den Abbildungen von silbernen Spinnen, Sternen und Schlangen geschmückt war. Unter dem Arm hielt er eine längliche, flache Tasche. Rumata war besorgt und ein wenig enttäuscht: Er hatte sich Budach ganz anders vorgestellt. Ein weiser Mann und Humanist, der Autor des allumfassenden Traktats über die Gifte, konnte doch unmöglich so unruhig hin und her laufende entzündete Augen haben, vor Furcht bebende Lippen und ein klägliches, unterwürfiges Lächeln. Aber da fiel ihm der Dichter Gur ein. Offenbar war die Verfolgung eines irukanischen Spions ein literarisches Gespräch im Kabinett Don Rebas wert. Reba am Ohr zu fassen wäre schön, dachte er und schnalzte im Geist mit der Zunge. Ins Verließ sollte man ihn schleppen. Und den Folterknechten sagen: Da habt ihr einen irukanischen Spion, der sich als arkanarischer Sicherheitsminister verkleidet hat. Der König hat befohlen, aus ihm herauszubekommen, wo sich der echte Minister befindet. An die Arbeit! Und wehe euch, wenn er früher stirbt als in einer Woche … Er mußte sogar sein Gesicht mit der Hand bedecken, damit ihn niemand sehen konnte. Welch ein schreckliches Ding, dieser Haß …

»Na, na also, komm schon her, du Quacksalber«, sagte der König. »Ach du, mein Brüderchen, du Geistesriese. Na, setz dich her, setz dich, sag ich dir, und fang schon an!«

Der unglückliche Budach machte sich ans Werk. Sein Gesicht verzerrte sich vor Angst.

»Weiter, weiter«, maulte der König. »Mach schon weiter, sag ich dir! Auf die Knie mit dir, deine eigenen Knie werden dir doch nicht weh tun? Hat sie sich selbst geheilt, der Teufel! Und jetzt zeig einmal deine Zähne her! Sooo. Na, allerhand, deine Zähne.Wenn ich nur solche hätte … Und auch die Hände sind in Ordnung, kräftig. Gesund ist er, gesund, und trotzdem ein Geistesriese … Na ja … Also, mein Täubchen, mach weiter, kuriere mich, was stehst du da herum …«

»Eu-eure Ma-majestät … ge-geruhen das kranke Bein zu zeigen … das Bein …«, brachte der Arzt stotternd hervor. Rumata hob die Augen.

Der Arzt kniete vor dem König nieder und untersuchte vorsichtig sein Bein.

»He, he!« schnaubte der König. »Was soll das! Rühr mich nicht an! Hast du einmal damit begonnen, so kurier mich nun!«

»M-mir ist schon alles klar, Eure Majestät«, murmelte der Arzt nervös und machte sich eilig daran, in seiner Tasche zu kramen. Die Gäste hörten auf zu kauen. Die Aristokraten niederen Adels am unteren Tischende standen sogar von ihren Sitzen auf und reckten die Hälse, brennend vor Neugierde.

Budach entnahm der Tasche einige Fläschchen aus Stein, entkorkte sie, roch an einem nach dem andern und stellte sie dann in einer Reihe auf. Dann nahm er den Pokal des Königs und füllte ihn zur Hälfte mit Wein. Während er mit seinen Händen über dem Pokal geheimnisvolle Bewegungen vollführte, flüsterte er Beschwörungsformeln und goß dann rasch den Inhalt sämtlicher Fläschchen in den Becher. Im Saal verbreitete sich ein deutlicher Geruch von Salmiakgeist. Der König kniff die Lippen zusammen, schaute in den Becher, rümpfte die Nase und blickte zu Don Reba hin. Der Minister lächelte mitfühlend. Den Höflingen stockte der Atem. Was tut er denn bloß, dachte Rumata verwundert, der Alte hat doch die Gicht! Was hat er da zusammengebraut? In seinem Traktat ist doch deutlich gesagt: Die geschwollenen Gliedmaßen mit dem dreytaegichten Gifte der Schlange Qu eynreyben. Möglicherweise ist das zum Einreiben?

»Was soll das?« fragte der König mißtrauisch und deutete mit dem Kopf zum Becher hin. »Zum Einreiben, was?«

»Ganz und gar nicht, Eure Majestät«, sagte Budach. Er hatte sich schon etwas gefaßt. »Das ist innerlich.«

»In-ner-lich?« Der König blies die Backen auf und lehnte sich im Sessel zurück. »Ich will nicht innerlich! Reib mich ein!«

»Wie Eure Majestät befehlen«, sagte Budach gehorsam. »Aber ich gestatte mir, Majestät zu warnen, daß eine Einreibung überhaupt nichts nützen wird.«

»Warum machen dann alle Einreibungen«, sagte der König mürrisch, »und du willst mir unbedingt diese Scheußlichkeit einflößen?«

»Eure Majestät«, sagte Budach und richtete sich stolz auf. »Diese Arznei ist allein mir bekannt. Ich habe damit den Onkel des Herzogs von Irukan geheilt. Und was die Einreiber betrifft, so haben sie Majestät nicht gesund gemacht …«

Der König schaute zu Don Reba. Don Reba lächelte mitfühlend. »Du Gauner!« sagte der König mit unangenehmer Stimme zu dem Arzt. »Du Bauernlümmel! Du lausiger Besserwisser!« Er ergriff den Pokal. »Da, ich schmeiß dir den Becher zwischen die Zähne …« Er blickte in den Pokal hinein. »Und wenn ich erbrechen muß?«

»So muß man die Prozedur wiederholen, Eure Majestät«, antwortete Budach mit trauriger Miene.

»Also gut, meinetwegen«, sagte der König und wollte den Becher schon zum Mund führen, stieß ihn aber so heftig wieder von sich, daß er ein wenig auf den Teppich verschüttete. »Ha, mein Lieber, trink zuerst selbst! Ich kenne euch doch, ihr Irukanier, ihr habt den heiligen Micky den Barbaren verkauft. Trink, sag ich dir!« Budach nahm mit beleidigter Miene den Becher und trank einige Schlucke daraus.

»Nun, wie ist es?« fragte der König.

»Bitter, Eure Majestät«, sagte Budach mit gedrückter Stimme. »Aber Majestät müssen es trinken.«

»Müssen, müssen!« zeterte der König. »Ich weiß schon selber, was ich muß. Gib her! Die Hälfte ist ohnehin schon verschüttet … Na, gib schon her!«

Er leerte den Pokal mit einem Zug. Am Tisch hörte man mitfühlende Seufzer – und plötzlich war alles still. Der König erstarrte mit aufgerissenem Mund. Aus seinen angelaufenen Augen quoll eine Träne nach der andern. Er wurde langsam rot, und dann plötzlich ganz blau. Er streckte eine Hand über den Tisch und schnalzte krampfartig mit den Fingern. Don Reba reichte ihm eilig eine Salzgurke. Der König schleuderte die Gurke stumm auf Don Reba und streckte noch einmal die Hand aus. »Wein …!« krächzte er heiser.

Irgend jemand bückte sich und reichte ihm einen Tonkrug. Der König trank in hastigen, großen Schlucken und verdrehte dabei wie toll die Augen. Rote Streifen flossen auf seine weiße Weste. Als er den Krug ausgetrunken hatte, warf er ihn nach Budach, verfehlte ihn jedoch.

»Hundesohn!« sagte er in einem völlig unerwarteten Baß. »Warum willst du mich umbringen? Hat man noch zu wenig von deiner Sorte aufgehängt? Daß dich der Teufel hole!« Er verstummte und berührte sein Knie.

»Es schmerzt!« sagte er mit seiner früheren weinerlichen Stimme. »Trotzdem schmerzt es!«

»Eure Majestät!« sagte Budach. »Zur Erzielung einer vollständigen Heilung müßten Majestät die Mixtur täglich trinken, und zwar mindestens eine Woche lang …« In der Kehle des Königs schien etwas zu platzen.

»Hinweg!« winselte der König. »Schert euch alle hinweg von hier!«

Die Höflinge sprangen auf, stürzten haufenweise auf die Türen zu und warfen dabei einige Stühle um.

»Hinwe-e-e-g!« brüllte der König erneut, außer sich vor Wut, und fegte das Geschirr vom Tisch.

Nachdem er mit den andern schleunigst das Feld geräumt hatte, tauchte Rumata hinter den nächstbesten Vorhang und begann zu lachen. Hinter dem Vorhang nebenan lachten sie auch – stoßweise, nach Atem ringend und winselnd vor Lust.

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