Kapitel 11

Ein Großteil der Zeit, die ich besser zum Schlafen genutzt hätte, verwandte ich in dieser Nacht darauf, mich mit dem Gedanken abzufinden, daß jemand versucht haben könnte, mich umzubringen.

Ich wußte nicht, wer. Ahnte nicht, warum. Und war mir auch immer noch nicht sicher, ob meine Erinnerung nicht trog; vielleicht war ja der andere Mann in der Strosse wieder fortgegangen, und ich hatte es vergessen.

Aber auch, wenn ich mir hundertprozentig sicher gewesen wäre, hätte ich nicht gewußt, was ich tun sollte.

Van Horen anrufen? Eine Untersuchung einleiten? Es waren doch so viele Leute unten in der Mine gewesen, alle gleich gekleidet und halb im Dunkeln. Jede Untersuchung würde mehr Gerede und Zweifel bringen als Ergebnisse, und auf einen Klatschspaltenaufmacher wie» Lincoln erstattet Anzeige wegen Mordversuchs «konnte ich verzichten.

Zweimal innerhalb einer Woche war ich fast über die Klinge gesprungen, hatte Conrad gesagt.

Es ergab keinen Sinn. Nur die Jungs, die ich im Film spielte, wurden bedroht und angegriffen und entkamen wie durch ein Wunder.

Aber was, wenn ich nichts unternahm? Hatte wirklich jemand versucht, mich umzubringen, dann hinderte ihn nichts daran, es noch einmal zu versuchen. Wie sollte ich mich Tag für Tag rund um die Uhr schützen, zumal gegen etwas Unerwartetes wie Mikrofone oder einen Stein im Goldbergwerk?

Wenn — wovon ich nicht ganz überzeugt war — zwei Mordversuche stattgefunden hatten, dann waren sie beide so angelegt gewesen, daß sie wie Unfälle aussahen. Daher hatte es wenig Zweck, Vorsichtsmaßnahmen gegen Gift und Blei und Messerstiche in dunklen Gassen zu ergreifen. Man würde sich eher vor Autos ohne Bremsen, tödlichen Insekten im Schuh oder vor baufälligen Balkons in acht nehmen müssen.

Ich scheute mich lange, darüber nachzudenken, wer es gewesen sein könnte, denn es mußte jemand sein, der mit in der Mine war.

Ein Bergarbeiter, der meine Filme nicht mochte und zur Tat geschritten war, um nicht noch mehr sehen zu müssen? Da brauchte er mich nicht zu töten, er konnte ihnen einfach fernbleiben.

Jemand, der von blindem beruflichem Neid zerfressen wurde? Die einzige mir bekannte Person, die regelmäßig schwor, mich auf den Tod zu hassen, war Drix Goddart, und der war noch nicht in Südafrika, geschweige denn tausenddreihundert Meter unter Welkom.

Von den Leuten in der Mine hatte keiner gewußt, daß ich kommen würde, und bis zu dem Zwischenfall hatte niemand meinen Namen genannt.

Blieben also… Ach, hol’s der Teufel, dachte ich. Blieben also Evan… und Conrad… und Danilo… und Roderick. Und außerdem van Horen, der über eine große Anzahl Menschen gebot und andere für sich handeln lassen konnte.

Was das Warum anging, so waren Evans berufsbedingte Ressentiments wohl kaum ausreichend, und Danilo wußte nicht, daß ich ihm mit den Pferden auf die Schliche gekommen war; aber selbst wenn er es gewußt hätte, würde er nicht versucht haben, ein so geringfügiges Vergehen mit einem Mord zu vertuschen. Eher hätte er es lachend zugegeben und ein Rennbahnverbot mit einem Ach-was-soll’s abgetan.

Motive für Conrad, Roderick und van Horen erforderten noch weniger Denkarbeit. Ich kriegte einfach kein vernünftiges Motiv zusammen.

Sie hatten alle (bis auf Conrad, der in der Unfallstation gewesen war) erleichtert ausgesehen, als ich heil und gesund aus der Mine kam. Oder sollten sie bloß aufgeatmet haben, weil ich sagte, ich könne mich nicht erinnern, wie ich das Bewußtsein verloren hatte?

Das alles schien so unwahrscheinlich. Ich konnte mir keinen von ihnen als Ränkeschmied in den dunklen Labyrinthen des Bösen vorstellen. Es ergab keinen Sinn. Kurzum, ich mußte mir etwas einbilden. Ich hatte zuviel Kino mitgemacht und fing schon an, es auf die Wirklichkeit zu projizieren.

Ich seufzte. Wurde mir bewußt, daß mein Kopf nicht mehr schmerzte und auch das schwindlige Gefühl einer Gehirnerschütterung nachließ, und schlief bald darauf ein.

Am Morgen erschienen meine nächtlichen Gedanken mir noch abwegiger. Conrad war es, der eine Verbindung zwischen dem Mikro und der Mine hergestellt hatte; und Conrad hatte sich geirrt.

Roderick rief zur Frühstückszeit an. Ob ich Lust hätte, bei ihm daheim mit ihm und Katya zu Abend zu essen — nur wir drei, ohne großes Trara? Und als ich mit der Antwort ein paar Sekunden zögerte, setzte er schnell hinzu, das Ganze werde streng vertraulich sein; nichts, was ich sagte, würde aufgezeichnet und gegen mich verwendet werden.

«Okay «willigte ich ein, mit einem Lächeln in der Stimme und Vorbehalten im Kopf.»Also, wo finde ich Sie?«

Er nannte mir die Adresse und sagte:»Ihr Fahrer weiß schon, wie man dahin kommt.«

«Ach so. Ja«, sagte ich.

Ich legte langsam auf; aber es bestand kein Grund, weshalb er von dem gemieteten Wagen mit Chauffeur nichts wissen sollte, und natürlich hatte er auch seine» Quelle «im Iguana. Roderick hatte die ganze Zeit gewußt, wohin ich ging, was ich machte und wie oft ich mir die Zähne putzte.

Kaum hatte ich die Hand vom Hörer genommen, da klingelte das Telefon wieder.

Clifford Wenkins. Konnte er, äh, oder besser gesagt, war es mir recht, wenn er an diesem Morgen ins Hotel kam, äh, um die Einzelheiten für die, äh, Premiere zu besprechen?

«Äh, ja«, sagte ich.

Danach rief Conrad an. Ob ich mit ihm und Evan zum Krüger-Park fahren wollte.

«Wie lange bleiben Sie?«fragte ich.

«So etwa zehn Tage, nehme ich an.«

«Dann nicht. Ich muß spätestens nächsten Dienstag wieder hier sein. Ich fahre getrennt hin. Mit zwei Wagen sind wir sowieso besser bedient, wenn Sie und Evan auf Drehortsuche gehen.«

«Klar«, meinte er und hörte sich recht froh an; er hatte wohl keinen Wert darauf gelegt, eine Woche lang aufpassen zu müssen, daß Evan und ich uns nicht an die Kehle gingen.

Sie würden vor dem Mittagessen auf ein Glas vorbeikommen, sagte er. Evan, so schien es, platzte vor Einfällen für seinen neuen Film. (Wann tat er das nicht?)

Danach Arknold.

«Hören Sie, Mr. Lincoln. Was Mrs. Caveseys Pferde angeht… Hören Sie…«Schweratmend verstummte er.

Nachdem ich vergebens darauf gewartet hatte, daß er noch mal loslegte, sagte ich:»Ich bin den ganzen Morgen hier, falls Sie vorbeikommen möchten.«

Drei schwere Atemzüge. Dann:»Vielleicht. Wäre vielleicht nicht schlecht. Ja. Also gut. Gegen elf dann, wenn ich die Pferde habe arbeiten sehen.«

«Bis dann«, sagte ich.

Heißer Sonnenschein, blauer Himmel.

Ich ging nach unten, trank meinen Kaffee auf der Terrasse und las die Zeitung. Eng gedruckte Spalten über lauter landesspezifische Themen, die ein Hintergrundwissen voraussetzten, das mir fehlte. Es war etwa so, als ob man in einen Film kommt, der schon halb vorbei ist.

Ein Mann war in Johannesburg ermordet worden: gefunden vor zwei Tagen, mit einer Drahtschlinge um den Hals.

Schaudernd legte ich die Zeitung weg. Mich wollte keiner ermorden. Ich hatte entschieden, daß das Unsinn war. Der Tod eines anderen brauchte mir also keine Gänsehaut zu verursachen. Dummerweise hatte niemand meinem Unterbewußtsein erklärt, daß der Alarmzustand beendet war.

«Guten Morgen«, sagte eine frische junge Stimme mir ins Ohr.

«Was machen Sie?«

«Ich sehe zu, wie die Blumen wachsen.«

Sie setzte sich mir gegenüber und grinste über ihr ganzes fünfzehnjähriges Gesicht.

«Ich bin zum Tennisspielen hier.«

Sie trug einen kurzen weißen Dreß, weiße Socken, weiße Tennisschuhe und hatte zwei Schläger in wasserdichten Hüllen dabei. Ihr dunkles, schulterlanges Haar wurde von einem grünen Band zurückgehalten, und der Wohlstand der van Horens sprach so beredt wie immer aus ihrer Haltung und ihrem natürlichen Selbstvertrauen.

«Kaffee?«schlug ich vor.

«Lieber Orangensaft.«

Ich bestellte ihn.

«Fanden Sie die Goldmine nicht einfach riesig?«wollte sie wissen.

«Die war einfach riesig«, stimmte ich zu und ahmte Danilos Akzent nach, da sie eine Wendung von ihm gebraucht hatte. Sie zog belustigt die Nase kraus.»Ihnen entgeht aber auch gar nichts, was? Dad sagt, Sie haben einen intuitiven Verstand, was’ immer das nun sein soll.«

«Es bedeutet, daß ich voreilige Schlüsse ziehe«, sagte ich.

Sie schüttelte zweifelnd den Kopf.»M-m. Er scheint es gut zu finden.«

Der Orangensaft kam, und sie trank und ließ das Eis klirren. Sie hatte lange dunkle Wimpern und eine Haut, die eher creme- als pfirsichfarben war. Ich unterdrückte wie immer die plötzliche innere Wehmut, die Mädchen wie Sally in mir auslösten: Meine eigene Tochter wurde vielleicht einmal ebenso hübsch, aber der Schwung und das Feuer würden fehlen.

Sie setzte ihr Glas hin, und ihre Augen suchten die Clubgebäude hinter mir ab.

«Haben Sie Danilo gesehen?«fragte sie.»Das Schwein hat gesagt, er wäre um zehn hier, und jetzt ist es schon Viertel nach.«»Er hat gestern den ganzen Tag schwer gerechnet«, sagte ich ernst.»Das hat ihn geschafft, nehme ich an.«

«Was denn gerechnet?«fragte sie mißtrauisch.

Ich sagte es ihr.

Sie lachte.»Dann glaube ich fast, der kann nicht anders. Am Samstag auf dem Rennplatz hat er das auch gemacht. Einen wandelnden Computer hab’ ich ihn genannt. «Sie trank noch einen Schluck Orangensaft.»Ach, und wußten Sie, daß er ein hemmungsloser Zocker ist? Er hat zehn Rand auf eins von den Pferden gesetzt. Zehn Rand!«

Ich dachte bei mir, daß van Horen sie sehr vernünftig erzogen hatte, wenn zehn Rand Einsatz ihr noch überhöht erschienen.

«Wohlgemerkt«, setzte sie hinzu,»das Pferd hat gesiegt. Ich hab’ den Gewinn mit ihm abgeholt. Fünfundzwanzig Rand, ist das zu glauben? Er sagt, er gewinnt öfter. Er war richtig fröhlich und aufgedreht deswegen.«

«Am Ende verliert jeder«, sagte ich.

«Ach, jetzt seien Sie doch nicht so negativ«, fuhr sie auf.»Genau wie Dad.«

Ihre Augen weiteten sich plötzlich, und sie verlagerte ihre Aufmerksamkeit auf etwas hinter mir. Danilo trat zu uns. Weiße Shorts, kräftige braungebrannte Beine, hellblaue offene Windjacke.

«Hallo«, sagte er vergnügt zu uns beiden.

«Hallo«, erwiderte Sally und sah hingerissen aus.

Sie verließ mich und den halb getrunkenen Orangensaft, ohne sich noch einmal umzudrehen, und zog mit dem aufgeweckten Jungen los, wie die Mädchen es seit Evas Zeiten tun. Aber der Vater dieses Mädchens besaß eine Goldmine; und Danilo hatte seine Rechenaufgaben gemacht.

Arknold kam, und die Rezeption wies ihn in den Garten. Er gab mir die Hand, setzte sich, schnaufte und pustete und ließ sich ein Bier spendieren. In der Ferne knallten Danilo und Sally sporadisch den Ball übers Netz und lachten viel dabei.

Arknold folgte meinem Blick, erkannte Danilo, und die Falten auf seiner Stirn verdichteten sich zu einem Ausdruck tiefer Unentschlossenheit.

«Ich wußte nicht, daß Danilo hier sein würde«, sagte er.

«Er kann Sie nicht hören.«

«Nein, aber… Hören Sie, Mister, können wir vielleicht reingehen?«

«Wenn Sie möchten«, sagte ich; also verzogen wir uns in die Halle, wo er aber auch zu unruhig war, um zur Sache zu kommen, und schließlich hinauf in mein Zimmer. Man konnte die Tennisplätze zwar immer noch sehen, aber die Tennisplätze uns nicht.

Er setzte sich wie Conrad in den größeren der beiden Sessel, da er sich als starke Persönlichkeit ansah. Das großflächige Gesicht ließ keine feineren Gefühlsnuancen in der wechselnden Muskelspannung um Augen, Mund oder Kinn sichtbar werden, so daß ich es wie immer fast unmöglich fand, zu erraten, was er dachte. Der Gesamteindruck war der eines Tauziehens zwischen Aggressivität und Besorgnis: das Ergebnis offenbar Unschlüssigkeit, ob er angreifen oder beschwichtigen sollte.

«Hören Sie«, sagte er schließlich,»was werden Sie Mrs. Cavesey erzählen, wenn Sie zurück nach England kommen?«

Ich überlegte.»Das habe ich noch nicht entschieden.«

Er schob sein Gesicht vor wie eine Bulldogge.»Sagen Sie ihr bloß nicht, sie soll den Trainer wechseln.«»Und wieso nicht, bitte?«

«Weil das Training, das die Pferde kriegen, in Ordnung ist.«

«Sie sehen gut aus«, stimmte ich zu.»Aber sie laufen miserabel. Die meisten Besitzer hätten sie längst zu einem anderen Trainer gegeben.«

«Es ist nicht meine Schuld, daß sie nicht siegen«, behauptete er mit schwerer Stimme.»Sagen Sie ihr das. Deshalb bin ich hergekommen. Sagen Sie ihr, daß es nicht meine Schuld ist.«

«Sie würden die Trainingsgebühren einbüßen, wenn man Ihnen die Pferde nimmt«, sagte ich.»Und Sie würden vielleicht an Prestige verlieren. Dafür brauchten Sie aber keine Angst mehr zu haben, daß man Sie wegen Betrugs verklagt.«

«Jetzt passen Sie mal auf, Mister«, begann er wütend, aber ich unterbrach ihn.

«Die andere Möglichkeit wäre, Sie entlassen Ihren Futtermeister Barty.«

Was immer er hatte sagen wollen, blieb ungesagt. Sein Nußknackerkinn fiel herunter.

«Sollten Sie sich entschließen, Barty rauszuwerfen«, sagte ich im Gesprächston,»dann könnte ich Mrs. Cavesey raten, die Pferde zu lassen, wo sie sind.«

Er schloß den Mund. Eine lange Pause entstand, während die Angriffslust zum größten Teil versiegte und einer müden Resignation wich.

«Das kann ich nicht«, sagte er mürrisch, ohne die Notwendigkeit des Schrittes zu leugnen.

«Weil man Ihnen gedroht hat, daß Sie sich damit ein Rennbahnverbot einhandeln?«tippte ich an.»Oder wegen des künftigen Profits?«

«Hören Sie, Mister — «

«Sorgen Sie dafür, daß Barty geht, bevor ich heimfahre«, sagte ich freundlich.

Er stand schwerfällig auf und sah mich scharf an, was ihm nicht sonderlich viel einbrachte. Er atmete laut durch die Nase, kriegte aber den Mund nicht auf; und ich konnte aus seinem Gesichtsausdruck nicht ersehen, ob das, was ihm auf der Zunge brannte, ein Schwall von Verwünschungen war, ein Plädoyer für mildernde Umstände oder gar ein Hilferuf.

Er vergewisserte sich mit einem Blick aus dem Fenster, daß sein Kumpel Danilo noch auf den Courts war, dann wandte er sich jäh ab und ging, ohne noch etwas zu sagen, aus meinem Zimmer: ein Mann auf einer dreizinkigen Röstgabel, wenn ich je einen gesehen hatte.

Ich kehrte auf die Terrasse zurück und fand Clifford Wen-kins, wie er unschlüssig umherlief und fremde Menschen hinter ihren Zeitungen anstarrte.

«Mr. Wenkins«, rief ich.

Er schaute auf, nickte nervös und schlängelte sich zwischen Tischen und Stühlen hindurch zu mir herüber.

«Guten Morgen — äh — Link«, begann er und streckte halb die Hand aus, aber nicht weit genug, daß ich sie schütteln konnte. Ich deutete einen ebenso unverbindlichen Gruß an. Sein bester Freund mußte es ihm gesagt haben, dachte ich.

Wir setzten uns an einen der kleinen Tische im Schatten einer gelb-weiß gestreiften Markise, und er stimmte mir bei, daß — äh — ein Bier ausgezeichnet wäre. Wieder zog er ein unordentliches Bündel Papiere aus seiner Innentasche. Der Blick darauf schien ihm Kraft zu verleihen.

«Äh — Worldic hat beschlossen… Äh — sie halten es für das beste, meine ich, den Empfang vor dem — äh — vor dem Film zu geben, wenn Sie verstehen.«

Ich verstand. Sie hatten Angst, ich könnte während der Vorführung verschwinden, wenn sie es andersherum aufzogen.

«Hier — äh — ist eine Liste von Leuten, die — äh — Worldic eingeladen hat. Und hier — Moment — ah ja, da ist die Presseliste und — äh — eine Liste der Leute, die Karten für den Empfang gekauft haben… Wir haben die Anzahl — äh — begrenzt, aber es gibt — äh — es gab — ich meine, es könnte sein, daß es vielleicht ein bißchen ein Gedränge gibt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Er schwitzte. Wischte sich mit einem säuberlich gefalteten weißen Vierecktuch die Stirn. Wartete anscheinend darauf, daß ich hochging. Aber was sollte ich sagen? Ich hatte es selbst eingefädelt, und an sich war ich dankbar, daß wirklich Leute kommen wollten.

«Äh — wenn es Ihnen recht ist… ich meine — also, es sind noch ein paar Karten — äh — für die Premiere selbst übrig, wenn Sie verstehen — äh — zu zwanzig Rand.«

«Zwanzig Rand?«sagte ich.»Das ist doch wohl zu teuer.«

«Es ist für einen wohltätigen Zweck«, sagte er schnell.

«Für welchen?«

«Oh — äh — Moment. Das hab’ ich hier irgendwo. «Aber er konnte es nicht finden.»Jedenfalls — für einen guten Zweck — und deshalb möchte Worldic, daß Sie… ich meine, weil doch noch Karten zu haben sind — äh — na ja, daß Sie ein wenig die Trommel dafür rühren.«

«Nein«, sagte ich.

Er sah unglücklich aus.»Das hab’ ich denen auch gesagt, aber sie meinten — na ja…«Er blendete sich aus wie ein Popsong und sagte nicht, daß Worldics Umgang mit Schauspielern das KGB direkt väterlich erscheinen ließ.

«Wo findet der Empfang statt?«fragte ich.

«Oh — äh — gegenüber dem Wideworld-Kino, im Klipspringer Heights Hotel. Ich — äh — ich denke, das wird Ihnen gefallen… ich meine, es ist eins der besten — äh — Hotels in Johannesburg.«

«Prima«, sagte ich.»Ich bin Dienstag abend, sagen wir, so gegen sechs wieder hier. Dann können Sie mir alles Nötige telefonisch noch durchgeben.«

«Ach so, ja — äh«, sagte er,»aber Worldic hätte gern gewußt — äh — wo Sie sich im Krüger-Park — äh — aufhalten.«

«Das weiß ich nicht«, sagte ich.

«Nun, äh — könnten Sie es rausfinden?«Er sah unglücklich aus.»Worldic sagte — äh —, das soll ich auf alle Fälle in Erfahrung bringen.«

«Ah. Na schön«, sagte ich.»Ich gebe Ihnen Bescheid.«

«Danke«, keuchte er.»Nun — äh — also — ich meine — äh — «

Beim Vortragen des nächsten Punktes verhaspelte er sich mehr denn je. Im stillen hatte ich bereits ein großes NEIN formuliert, ehe der Gedanke, daß Worldic ihm im Nacken saß, ihn zwang, damit herauszurücken.

«Wir — äh, das heißt vielmehr Worldic hat einen, äh — Fototermin für Sie angesetzt… Ich meine — also heute nachmittag, genau gesagt.«

«Was für einen Fototermin?«fragte ich finster.

Er wischte sich wieder übers Gesicht.»Na ja — Fotos eben.«

Er machte Schlimmes durch, während er erklärte — und noch Schlimmeres, als ich begriff —, daß Worldic Fotos von mir haben wollte, auf denen ich in Badehose mit einer vollbusigen Bikinischönheit unter einem Sonnenschirm lag.

«Gehen Sie bloß schnell heim zu Worldic und sagen denen, daß ihre Werbeideen fünfzig Jahre hinter der Zeit zurück sind, wenn sie glauben, daß sich mit so was 20-Rand-Plätze verkaufen lassen.«

Er schwitzte.

«Und außerdem können Sie Worldic bestellen, noch so ein hirnrissiger Vorschlag, und ich werde nie mehr an einer ihrer Veranstaltungen teilnehmen.«

«A-aber«, stammelte er.»Verstehen Sie, nach den Fotos in der Zeitung — wie Sie Katya zurück ins Leben küssen — also danach wurden wir von Anfragen überschwemmt — richtig überschwemmt… Und die ganzen billigeren Plätze waren im Nu weg — und auch die Karten für den Empfang — allesamt…«

«Aber das«, sagte ich langsam und bestimmt,»war kein Werbetrick.«

«Aber nein. «Er schluckte.»Aber nein. Natürlich nicht. Nein. «Er stand so ruckartig auf, daß er dabei seinen Stuhl umstieß. Der Schweiß lief ihm über die Stirn, und seine Augen blickten wild. Er war dicht, ganz dicht davor, in Panik zu flüchten, als Danilo und Sally laut und munter vom Tennis wiederkamen.

«Hallo, Mr. Wenkins«, sagte Sally auf ihre jugendlichunbekümmerte Art.»He, Sie sehen ja fast so verschwitzt aus wie wir.«

Wenkins warf ihr einen glasigen Blick zu, wie hypnotisiert, und fummelte mit seinem Taschentuch herum. Danilo sah ihn durchdringend und nachdenklich an, ohne etwas zu sagen.

«Also — ich — äh, ich gebe das weiter — aber es wird ihnen — nicht gefallen.«

«Sagen Sie es ihnen«, hakte ich nach.»Keine Werbetricks.«

«Keine Werbetricks«, echote er schwach, aber ich zweifelte, ob er den Mut aufbringen würde, das auszurichten.

Sally schaute seinem unsicher sich zum Club durchfädelnden Rücken nach und ließ sich in einen Sessel fallen.

«Na, der ist aber ganz schön runter mit den Nerven, was? Haben Sie das arme Lämmchen schikaniert, Link?«

«Er ist ein Schaf, kein Lamm.«

«Ein dummes Schaf«, sagte Danilo vage, als wäre er mit den Gedanken irgendwo anders.

«Kriege ich einen Orangensaft?«sagte Sally.

Evan und Conrad trafen vor dem Kellner ein, und die Getränkebestellung wurde erweitert. Evan zeigte sich von seiner fanatischsten Seite, fuchtelte mit den Armen herum und erzählte Conrad in der üblichen dominierenden» Ich-bin-der-Regisseur-und-ihr-anderen-seid-Dreck«-Manier, wo es langging. Conrad wirkte halb geduldig, halb gereizt; ein Chefkameramann war dem Regisseur untergeordnet, aber gefallen mußte ihm das nicht.

«Symbolik«, sagte Evan grimmig.»Symbolik ist das A und O dieses Films. Und Funktürme sind das neue Phallussymbol, das für die Kraft einer Nation steht. Jedes potente Land braucht sein kreisendes Turmrestaurant.«

«Gerade weil jedes Land eins hat, ist das von Johannesburg vielleicht nichts Neues«, murmelte Conrad in einem Ton, aus dem die Streitlust etwas zu sorgfältig getilgt war.

«Der Turm kommt rein«, konstatierte Evan entschieden.

«Selbst wenn sich kein Elefant von entsprechender Statur findet«, sagte ich nickend.

Conrad verschluckte sich, und Evan blickte finster.

Sally sagte:»Was ist denn ein Phallussymbol?«Und Danilo bat sie freundlich, es im Lexikon nachzusehen.

Ich fragte Evan, wo genau wir im Krüger-Park wohnen würden, damit man mich notfalls erreichen konnte.

«Erwarten Sie von mir keine Hilfe«, sagte er ungefällig.»Die Produktionsabteilung hat das vor Monaten gebucht. Mehrere verschiedene Camps, angefangen im Süden und dann rauf nach Norden, soweit ich weiß.«

Conrad fügte beiläufig hinzu:»Wir haben im Hotel eine Liste. Die könnte ich Ihnen kopieren, lieber Junge.«

«So wichtig ist das nicht«, sagte ich.»Worldic wollte nur informiert sein.«

«Nicht so wichtig!«rief Evan aus.»Wenn Worldic informiert sein will, dann müssen sie natürlich eine Liste bekommen. «Evan hatte keine Vorbehalte gegenüber Verleihfirmen, die seine Meisterwerke in die Kinos brachten.»Conrad kann die Adressen kopieren und sie ihnen direkt schicken.«

Ich blickte belustigt zu Conrad.»An Clifford Wenkins dann«, meinte ich.»Er wollte sie haben.«

Conrad nickte kurz. Die Liste aus Gefälligkeit zu kopieren war etwas ganz anderes, als es auf Evans Anweisung hin zu tun; ich wußte genau, was in ihm vorging.

«Sie wollen ja wohl nicht mit dem Chauffeur kommen, den Worldic Ihnen gestellt hat«, sagte Evan barsch zu mir.»Für den haben wir kein Zimmer.«

Ich schüttelte den Kopf.»Nein«, sagte ich mild.»Ich miete einen Wagen und fahre selbst.«

«Na gut.«

Auch an diesem schönen Dienstag morgen, bei einem halb ausgetrunkenen bekömmlichen Gin und frei von jedem Druck, ließ Evan die brennenden Augen noch wie Lanzen blitzen und krümmte seine Finger, daß die Sehnen straff hervortraten. Das ungebändigte Lockenhaar umzüngelte ihn wie Medusas Schlangen, und selbst die Luft um ihn herum schien unter seinem Energieausstoß zu beben.

Sally fand ihn faszinierend.»Es wird Ihnen gefallen im Wildpark«, sagte sie ernst.»Die Tiere sind so lieb.«

Evan wußte mit so jungen Mädchen nur umzugehen, wenn er sie vor einer Kamera tyrannisieren konnte; und der Gedanke, daß Tiere lieb sein könnten statt symbolisch, schien ihn zu verwirren.

«Äh…«sagte er unsicher und hörte sich genau wie Wenkins an.

Conrad wurde gleich sichtlich fröhlicher, strich sich den Schnurrbart und sah Sally gutmütig an. Sie schenkte ihm ein offenes Lächeln und wandte sich Danilo zu.

«Dir würde es da auch gefallen«, sagte sie.»Wenn du nächstes Mal nach Südafrika kommst, müssen wir mit dir hinfahren.«

Danilo versicherte, er könne es kaum erwarten. Conrad fragte ihn, wie lange er diesmal noch bliebe, und Danilo sagte, so etwa acht Tage noch. Sally bestand ängstlich darauf, daß er nur ja bis zu meiner Premiere blieb; sicher wisse er doch noch, daß er mit den van Horens zu dem Empfang gehen wollte. Danilo wußte es noch; na und ob.

Er lächelte sie an. Sie blühte auf. Ich hoffte, der Sonnyboy hatte neben der Mathematik auch noch genügend Mitgefühl zu bieten.

Evan und Conrad blieben zum Mittagessen und besprachen endlos die Drehorte, die sie überall in der Stadt ausgesucht hatten. Sie wollten offenbar eine Menge Cinema verite einbauen, Szenen vom ungeschminkten Leben, die Conrad mit einer Handkamera filmen sollte. Bis der Käse uns den Magen schloß, hatte ich den Eindruck gewonnen, daß der ganze Film — Symbolik, Elefanten und alles — dazu verdammt war, gähnende Langeweile zu verbreiten.

Conrads Interesse war vor allem technischer Natur. Meins war inexistent. Evans wie gewohnt unerschöpflich.

«Also nehmen wir die Arriflex natürlich mit«, sagte er zu Conrad.»Vielleicht sehen wir unwiederbringliche Bilder. Es wäre dumm, nicht gerüstet zu sein.«

Conrad stimmte zu. Sie sprachen auch über die tontechnische Ausrüstung und beschlossen, sie ebenfalls mitzunehmen. Die Produktion hatte einen Wildhüter verpflichtet, der sie mit einem Landrover im Park herumfahren sollte; sie würden also bequem vom Auto aus drehen können.

Alles, was sie für die Hinfahrt nicht in ihren gemieteten Kombi hineinkriegten, sagten sie, könnte ich doch in meinem Wagen mitnehmen, oder? Ich konnte. Ich erklärte mich bereit, am nächsten Morgen als erstes zu ihrem Hotel zu kommen und den Überschuß einzuladen.

Als sie fort waren, bezahlte ich den Wagen mit Chauffeur, den Worldic gestellt hatte, und mietete statt dessen eine Mittelklasse-Limousine zum Selbstfahren. Ein Mann von der Autovermietung brachte sie zum Iguana, zeigte mir die Gangschaltung, sagte, es sei ein neuer, gerade erst eingefahrener Wagen, der mir keine Probleme bereiten werde, und fuhr mit dem Chauffeur davon.

Ich drehte eine Übungsrunde, verfuhr mich, kaufte einen Stadtplan und fand wieder zurück. Der Wagen war bergauf etwas schwach, aber sehr kurvengängig: ein Auto für den Sonntagsnachmittagsausflug mit Großmama und ihrem feschen Hut.

Загрузка...