Kapitel 13

Am nächsten Morgen, nachdem die Geschäftsleitung des Iguana freundlicherweise meinen Wagen vor Rodericks Wohnung hatte abholen lassen, packte ich das wenige, das ich für den Krüger-Park brauchte, und schnurrte hinüber zu Evans und Conrads Hotel.

Das Beladen ihres Kombis wurde eben von Evan beaufsichtigt, als handele es sich um die Schlüsselszene einer prestigeträchtigen Regiearbeit, und von Conrad auf das exzentrischste ausgeführt. Kisten, Taschen und schwarz verhüllte Ausrüstungsgegenstände übersäten im Umkreis von zehn Metern den Boden.

«Lieber Junge«, sagte Conrad, als ich herankam,»besorgen Sie um Gottes willen etwas Eis.«

«Eis?«wiederholte ich zerstreut.

«Eis. «Er wies auf eine gelbe Plastikbox von etwa 60 mal 30 Zentimetern.»Dafür. Für die Filme.«

«Wie steht’s mit Bier?«

Er warf mir einen traurigen, vernichtenden Blick zu.»Bier ist in der roten, lieber Junge.«

Die rote Kühlbox hatte Vorrang gehabt, sie stand bereits fest verschlossen im Wagen. Lächelnd ging ich ins Hotel, um meinen Auftrag auszuführen, und kam mit einer großen, vollen Plastiktüte wieder. Conrad legte das Eis in die gelbe Box und packte sorgfältig sein Rohmaterial darauf. Die gelbe Box kam zu der roten, und Evan meinte, wenn

wir in dem Tempo weitermachten, würden wir nicht vor Einbruch der Nacht im Nationalpark ankommen.

Um elf war der Kombi brechend voll, aber der Boden war immer noch übersät mit der erstaunlichen Ansammlung von Kabeln, Kästen, Stativen und Klammern, die Kameraleute anscheinend überallhin begleiten.

Evan schwenkte die Arme, als ließe sich durch Zauberei der ganze Plunder ordnen. Conrad zupfte unsicher an seinem Schnurrbart. Ich öffnete den Kofferraum meiner Limousine, warf ohne viel Federlesens alles hinein und sagte ihnen, sie könnten es sortieren, wenn wir am Ziel seien.

Danach gingen wir etwas Erfrischendes trinken und brachen schließlich gegen Mittag auf. Wir fuhren etwa fünf Stunden nach Nordosten und kamen von der Johannesburger Hochebene herunter auf wenige hundert Fuß über Meereshöhe. Die Luft wurde mit jeder längeren Abwärtsstrecke merklich wärmer, was Anlaß zu drei oder vier weiteren Erfrischungspausen gab. Conrads Trinkvermögen machte dem der Bantus Konkurrenz.

Gegen fünf erreichten wir das Numbi-Tor, die nächste Zufahrt zum Park. Der Nationalpark erstreckte sich von hier zweihundert Meilen nach Norden und fünfzig nach Osten, und nur ihr eigener Wunsch zu bleiben hielt die Tiere in diesen Grenzen fest. Das Numbi-Tor bestand aus einem schlichten Schlagbaum, bewacht von zwei Schwarzafrikanern in Khakiuniform, und einem kleinen Büro. Evan legte Passierscheine für zwei Wagen vor und Buchungsbestätigungen für den Aufenthalt in den Camps, und lächelnd und salutierend stempelte man uns die Scheine, und der Schlagbaum ging hoch.

Leuchtend rote und purpurne Bougainvilleas gleich dahinter erwiesen sich als irreführend: Der Park selbst war nach Monaten ohne Regen trocken wie Zunder und dornig braun. Die schmale Straße erstreckte sich vor uns in eine ausgedörrte Wildnis, in der das einzige sichtbare Werk von Menschenhand der Asphalt selbst war.

«Zebras!«rief Evan durch sein heruntergedrehtes Fenster.

Ich folgte der Richtung seines Zeigefingers und sah die staubige Herde geduldig unter kahlen Bäumen stehen, wobei sie langsam mit den Schwänzen schlugen und auf unheimliche Weise mit dem streifigen Schatten verschmolzen.

Conrad hatte eine Karte, und das war ganz gut so. Wir wollten zum nächstgelegenen Camp, Pretoriuskop, aber vor uns wanden sich die Wege kreuz und quer, unbefestigte trockene Sandpisten zweigten jäh ab in weite Landstriche, als deren Bewohner man sich unschwer Löwe, Nashorn, Büffel und Krokodil vorstellen konnte.

Und natürlich Elefanten.

Das Camp erwies sich als ein mehrere Hektar großes Gelände, das umschlossen war von einem starken Drahtzaun und nichts so Lagerartiges wie etwa Zelte enthielt. Es war eher wie Butlin’s im Eingeborenen-Look, fand ich: Grüppchen von runden, strohgedeckten Backsteinhütten wie rosarote Trommeln mit breitkrempigen Hüten drauf.

«Rondavels«, sagte Evan in bester Alleswissermanier und winkte zu den Unterkünften hinüber. Er meldete uns in dem großen Empfangsbüro an und fuhr gleich los, um die Hütten mit den richtigen Nummern zu suchen. Es waren drei: für jeden eine. Im Innern zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle, Einbauschrank, Duschraum und Klimaanlage. Jegliche moderne Errungenschaft mitten im Dschungel.

Evan klopfte an meine Tür und sagte, ich solle herauskommen, wir würden einen kleinen Ausflug machen. Das Camp schließe seine Tore abends um halb sieben, so daß wir noch vierzig Minuten Zeit hätten, nach Affen und Elefanten zu suchen.

«Den Kombi ausräumen dauert zu lange«, sagte er.»Wir nehmen also Ihren Wagen.«

Ich fuhr, und sie sahen unentwegt aus dem Fenster. In der Ferne lausten sich ein paar Paviane im Abendsonnenschein auf einem Felsenhügel, und eine Herde Impalas tat sich an nahezu blattlosen Sträuchern gütlich, doch ein Elefant war nicht zu sehen.

«Kehren wir lieber um, ehe wir uns verfahren«, sagte ich, aber auch so schlüpften wir nur Sekunden vor Torschluß noch zurück ins Lager.

«Was passiert, wenn man zu spät kommt?«fragte ich.

«Dann muß man draußen übernachten«, sagte Evan bestimmt.»Wenn das Tor erst zu ist, bleibt es zu.«

Evan schien wie üblich seine Kenntnisse aus der Luft zu greifen, ein Rätsel, das sich später löste, als er eine Informationsbroschüre hervorholte, die er bei der Anmeldung bekommen hatte. Die Broschüre riet auch davon ab, Wagenfenster herunterzudrehen und» Zebra!«in die Gegend zu schreien, da die Tiere das nicht mochten. Wildtiere hielten Autos offenbar für harmlos und ließen sie in Ruhe, neigten aber dazu, jedes Stück Mensch zu beißen, das hervorschaute.

Conrad hatte den ganzen Kombi ausladen müssen, um an die rote Bierbox ranzukommen; sicher würde er sie in Zukunft als letztes verstauen. Wir setzten uns um einen runden Tisch vor den Hütten, kühlten unsere Kehlen in der warmen Luft und sahen zu, wie die Dunkelheit zwischen den Ron-davels Einzug hielt. Trotz Evan war es friedlich genug, um die angespanntesten Nerven zu beruhigen… und noch den wachsamsten Verstand in Sicherheit zu wiegen.

Am nächsten Tag, Donnerstag, brachen wir in der Morgendämmerung auf und frühstückten im nächsten Camp, Skukusa, wo wir auch die Nacht verbringen wollten.

Skukusa war größer und besaß Rondavels für gehobene Ansprüche, so daß Evans Produktionsfirma natürlich gleich zugegriffen hatte. Sie hatten auch einen Wildhüter namens Haagner zu unserer ganztägigen Betreuung engagiert, und das wäre ausgezeichnet gewesen, hätte es sich nicht um einen Afrikaander gehandelt, mit dessen Englisch es haperte. Er war groß, behäbig, ruhig und emotionslos, der Gegenpol zu Evans leidenschaftlicher Begeisterung fürs Allegorische.

Evan feuerte Fragen auf ihn ab und mußte däumchendrehend auf die Antwort warten; sicher übersetzte Haagner lediglich das eine für sich in Afrikaans, formulierte das andere und übersetzte es ins Englische, doch die Verzögerung irritierte Evan von Anfang an. Haagner hielt Evan auf Distanz und ließ sich nicht zur Eile drängen, woraus Conrad die (dezent verborgene) Befriedigung des Unterdrückten zog, der seinen Herrn auf einer Bananenschale ausrutschen sieht.

Wir fuhren mit Haagners Rangerover, begleitet von der Arriflex, einem Tonbandgerät, einem halben Dutzend kleinerer Kameras und der roten Kühlbox mit einer gemischten Ladung aus Filmen, Bier, Obst und Sandwiches in Plastiktüten. Evan hatte noch Skizzenblöcke, Karten und Notizbücher eingesteckt und bemerkte sechsmal, die Produktion hätte ihm eine Sekretärin mitgeben sollen. Conrad murmelte, wir könnten froh sein, daß sie uns Drix Goddart noch nicht mitgegeben habe, doch dem säuerlichen Blick nach zu urteilen, den Evan mir zuwarf, war er nicht unbedingt der gleichen Meinung.

«Olifant«, sagte Haagner und zeigte mit dem Finger, nachdem ihm dreimal der Zweck der Expedition erklärt worden war.

Er hielt den Wagen an.»Dort, im Tal.«

Wir schauten. Viele Bäume, ein Streifen Grün, ein sich windender Fluß.

«Da, Mann«, sagte er.

Endlich erblickten unsere ungeschulten Augen sie; drei dunkle, bucklige Silhouetten, die, durch die Entfernung verkleinert, halb durch Buschwerk verdeckt, träge mit den Ohren wackelten.

«Nicht nah genug«, sagte Evan ungehalten.»Wir müssen näher ran.«

«Nicht hier«, sagte Haagner.»Sie sind auf der anderen Seite vom Fluß. Vom Sabiefluß. >Sabie< ist Bantuwort; es bedeutet >Furcht<.«

Ich sah ihn mißtrauisch an, doch er wollte Evan keineswegs provozieren; er gab nur eine Auskunft. Der friedlich wirkende Wasserlauf wand sich langsam durch das Tal und flößte so wenig Furcht ein wie die Themse.

Evan hatte keine Augen für die verschiedenen Verwandten der Antilope, auf die Haagner hinwies, noch für die Blauhäher und Hornraben, die Meerkatzen und die Gnus, und schon gar nicht für die Herden sanftmütiger Impalas. Nur das potentiell Gewalttätige erregte seine Aufmerksamkeit: der Geier, die Hyäne, das Warzenschwein, der möglicherweise auftauchende Löwe, der seltene Gepard.

Und natürlich Olifanten. Evan machte sich das Afrikaanswort zu eigen und ließ es auf seiner Zunge zergehen, als habe er es selbst erfunden. Olifantendung auf der Straße (frisch, sagte Haagner) erregte ihn fast bis zum Orgasmus. Er bestand darauf, daß wir anhielten und zurücksetzten, um die Exkremente besser sehen zu können, und darauf, daß Conrad die Arriflex zum Fenster hinaushielt und gut fünfzehn Meter Film aus verschiedenen Winkeln und mit unterschiedlichen Brennweiten verschoß.

Haagner, der den Wagen für jede neue Aufnahme geduldig in Stellung brachte, sah sich diese Possen an und hielt Evan offensichtlich für geistesgestört; ich lachte innerlich, bis ich platzte. Wäre der gute Elefant zurückgekommen, hätte Evan ihn zweifellos aufgefordert, für Szene 1, die zweite noch einmal Kot abzusetzen. Er hätte daran nichts komisch gefunden.

Evan trennte sich widerstrebend von dem Haufen und überlegte, wie er sich als möglichst sinnfälliges Symbol verwenden ließ. Conrad meinte, er könne ein Bier gebrauchen, doch Haagner deutete geradeaus und sagte:»Onder-Sabie«, der nächste Halt, das nächste Camp, wie sich herausstellte.

«Olifant im Salijifluß«, sagte Haagner, als er vom Plausch mit einigen Kollegen wiederkam.»Wenn wir gleich hinfahren, sehen Sie sie vielleicht.«

Evan scheuchte uns von dem schattigen Tisch und unseren halb geleerten Gläsern auf und preschte wieder hinaus in die zunehmende Mittagshitze. Rings um uns fächelten vernünftigere Sterbliche sich Luft zu und dachten an Siesta, aber Evan stellte Olifanten über die Vernunft.

Der Rangerover war wie ein Backofen.

«Heiß heute«, sagte Haagner.»Morgen noch heißer. Der Sommer kommt. Bald ist der Regen da, und der ganze Park wird grün.«

Evan sagte bestürzt:»Nein, nein. Der Park muß so ausgedörrt sein, wie er jetzt ist. Unwirtliches Land, kahl, hungrig, räuberisch, aggressiv und grausam. Bloß nicht satt und üppig.«

Haagner verstand kaum ein Zehntel. Nach einer langen Pause wiederholte er lediglich die schlechte Neuigkeit:»Wenn der Regen einsetzt, ist in einem Monat der ganze Park grün. Dann gibt es viel Wasser. Jetzt gibt es nicht viel. Die kleinen Flußläufe sind alle trocken. Olifant finden wir an den großen Flüssen. Am Saliji.«

Er fuhr mehrere Meilen und hielt bei einem großen hölzernen Sonnendach, das hoch oben am Ende eines Tals errichtet worden war. Unter uns floß der Saliji, und die Elefanten zeigten sich Evan im besten Licht. Eine große Familie von ihnen spielte im Wasser, bespritzte sich gegenseitig mit ihren Rüsseln und paßte auf ihren Nachwuchs auf.

Da es ein offizieller Picknickplatz war, eigens angelegt auf planiertem Gelände, durften wir alle aussteigen. Ich streckte mich dankbar und kramte in der roten Box nach etwas Trinkbarem. Conrad hielt eine Kamera in der einen Hand und ein Bier in der anderen, und Evan schwang seine Begeisterung wie eine Peitsche über uns.

Haagner und ich saßen bei vierzig Grad im Schatten an einem der verstreut stehenden kleinen Tische und aßen von den eingepackten Sandwiches. Er hatte Evan ermahnt, sich beim Filmen nicht zu weit von dem Unterstand zu entfernen, da dies eine offene Einladung für hungrige Löwen darstelle, aber Evan glaubte selbstredend, er würde keinem begegnen; und er begegnete auch keinem. Er schleifte Conrad samt Arriflex für ein paar Nahaufnahmen fünfzig Meter bergab in den Busch, und Haagner rief drängend hinter ihm her, er solle zurückkommen; er verliere seinen Job, wenn ihm Evan verlorengehe.

Conrad kam bald wieder herauf, wischte sich Tropfen von der Stirn, die nicht bloß hitzebedingt waren, und erzählte, irgend etwas habe da hinter ein paar Felsen geknurrt.

«Es gibt zwölfhundert Löwen im Schutzgebiet«, sagte Haagner.»Wenn sie Hunger haben, töten sie. Die Löwen allein töten jedes Jahr dreißigtausend Tiere im Park.«

«Gott«, rief Conrad, und sein Interesse an Evans ganzem Projekt ließ sichtlich nach.

Endlich kehrte Evan unversehrt zurück, doch Haagner betrachtete ihn mit Mißfallen.

«Mehr Olifant im Norden«, sagte er.»Für Olifant müssen Sie nach Norden. «Raus aus seinem Bezirk, besagte sein Tonfall.

Evan nickte kurz und beruhigte sich.

«Morgen. Wir brechen morgen nach Norden auf und übernachten in Camp Satara.«

Ebenfalls beruhigt, fuhr Haagner uns langsam zurück in Richtung Skukusa und wies uns die ganze Zeit wieder gewissenhaft auf Tiere hin.

«Könnte man den Park auf einem Pferd durchqueren?«fragte ich Haagner.

Er schüttelte entschieden den Kopf.»Sehr gefährlich. Gefährlicher, als wenn man zu Fuß geht, und zu Fuß gehen ist auch nicht sicher. «Er sah Evan an.»Wenn Ihr Wagen liegenbleibt, warten Sie auf das nächste Fahrzeug und bitten Sie jemand, die Wildhüter im nächsten Camp zu verständigen. Steigen Sie nicht aus. Laufen Sie nicht im Park herum. Laufen Sie vor allem nicht bei Nacht im Park herum. Bleiben Sie die ganze Nacht im Wagen.«

Evan lauschte dem Vortrag mit allen Anzeichen von Gleichgültigkeit. Er zeigte auf eine der unbeschotterten Nebenstraßen mit dem Schild» Keine Durchfahrt«, an denen wir immer wieder vorbeikamen, und fragte, wo sie hinführten.

«Manche gehen zu den Wachstationen der BantuRanger«, sagte Haagner nach einer Übersetzungspause.»Andere zu Wasserlöchern. Manche sind Feuerschneisen. Es sind Wege für die Ranger — die Wildhüter. Nicht für

Besucher. Benutzen Sie diese Wege nicht. «Er blickte Evan an, der ganz so aussah, als ob er sich nicht unbedingt daran halten würde.»Es ist nicht gestattet.«

«Warum nicht?«

«Der Park hat achttausend Quadratmeilen. Besucher können sich verfahren.«

«Wir haben eine Karte«, wandte Evan ein.

«Die Nebenstraßen«, sagte Haagner stur,»sind auf den Karten nicht eingezeichnet.«

Evan aß meuterisch ein Päckchen Sandwiches und drehte das Fenster runter, um die Plastiktüte hinauszuwerfen.

«Unterlassen Sie das«, sagte Haagner so scharf, daß es ihn bremste.

«Warum?«

«Die Tiere fressen das und ersticken daran. Es darf kein Abfall rausgeworfen werden. Für die Tiere ist das lebensgefährlich.«

«Na gut«, sagte Evan mißmutig und gab mir die zerknüllte Tüte, damit ich sie wieder in die rote Kühlbox legte. Da die Box jedoch verschlossen und auch nicht für Abfall gedacht war, steckte ich die Tüte in meine Hosentasche. Evan rundete seinen ärgerlichen Auftritt dadurch ab, daß er die halbverzehrte Kruste seines Käse-und-Tomaten-Sandwiches hinauswarf.

«Bitte nicht die Tiere füttern«, sagte Haagner automatisch.

«Wieso?«Evan setzte ein trotziges Tierschützergesicht auf.

«Es ist unklug, den Tieren beizubringen, daß Autos Freßbares enthalten.«

Das brachte ihn prompt zum Schweigen. Conrad sah mich mit hochzuckender Augenbraue an, und ich verbannte jeden Ausdruck aus meinem Gesicht, soweit das geht, wenn man sich innerlich kugelt.

Wegen eines Olifanten, der einen Steinwurf entfernt vor uns mit den Ohren schlackerte, kamen wir nicht rechtzeitig nach Skukusa zurück. Evan, blind für die rasch untergehende Sonne, sah überall Allegorien und ließ Conrad kilometerweise Film mit Aufnahmen durchs Fensterglas verschwenden. Er hatte gewollt, daß Conrad draußen ein Stativ aufstellte, um ein ruhigeres Bild als mit der Hand zu bekommen, doch selbst sein Eifer wurde ein wenig gedämpft durch den entgeisterten Ton, in dem Haagner sich dagegen stemmte.

«Olifant ist das gefährlichste von allen Tieren«, sagte er ernst, und Conrad versicherte ihm ebenso ernst, daß er, Conrad, um nichts auf der Welt den Rangerover verlassen werde. Haagner erlaubte nicht einmal ein offenes Fenster und wollte sofort wegfahren. Anscheinend brachten Olifanten, wenn sie auf diese Weise mit den Ohren wedelten, ihren Unmut zum Ausdruck, und da sie sieben Tonnen wogen und mit 25 Meilen in der Stunde Sturm laufen konnten, war Herumlungern nicht ratsam.

Evan glaubte nicht, daß irgendein Tier sich unterstehen würde, so wichtige menschliche Wesen wie E. Pentelow, Regisseur, und E. Lincoln, Schauspieler, zu attackieren. Er überredete Conrad, die Kamera einzuschalten, und Haag-ner saß da bei laufendem Motor, den Fuß auf dem Gaspedal. Als der Elefant schließlich einen Schritt in unsere Richtung machte, schossen wir in einem solchen Ruck davon, daß es Conrad samt Kamera und allem auf den Wagenboden warf.

Ich half ihm auf, und Evan beschwerte sich bei Haagner. Der Wildhüter, dessen Geduld sich dem Ende näherte, hielt mit einem nicht minder scharfen Blick den Wagen an und zog die Handbremse.

«Also schön«, sagte er.»Wir warten.«

Der Elefant kam hundert Meter hinter uns auf die Straße. Die großen Ohren flatterten wie Fahnen.

Conrad schaute sich um.»Fahren Sie doch, lieber Junge«, sagte er mit Angst in der Stimme.

Haagner kniff die Lippen zusammen. Der Elefant beschloß uns zu folgen. Außerdem beschleunigte er zum Trab.

Es dauerte länger, als mir lieb war, bis Evan nachgab. Er sagte gerade:»Herrgott noch mal, wo ist die Arriflex?«zu Conrad, als ihm endlich zu dämmern schien, daß echte Gefahr bestehen könnte.

«Fahren Sie los«, sagte er drängend zu Haagner.»Sehen Sie nicht, daß das Tier angreift?«

Und Stoßzähne hatte es auch, stellte ich fest.

Haagner fand ebenfalls, daß es reichte. Mit einer einzigen flotten Bewegung hatte er die Handbremse gelöst und den Gang eingelegt, und der Elefant kriegte den Rüssel voll Staub.

«Was ist mit dem nächsten Wagen, der kommt?«fragte ich.

«Die fahren direkt auf ihn drauf.«

Haagner schüttelte den Kopf.»Heute kommen hier keine Autos mehr lang. Es ist zu spät. Jetzt dürften alle bei den Camps sein. Und dieser Olifant, der läuft gleich wieder in den Busch. Er bleibt nicht auf der Straße.«

Conrad sah auf die Uhr.»Wie lange brauchen wir noch bis Skukusa?«

«Wenn wir nicht mehr anhalten«, sagte Haagner bissig,»ungefähr eine halbe Stunde.«

«Aber es ist doch schon Viertel nach sechs!«rief Conrad.

Haagner macht eine unverbindliche Bewegung mit dem Kopf und antwortete nicht. Evan schien es die Sprache verschlagen zu haben, und ein Ausdruck ruhiger Befriedigung breitete sich über das Gesicht des Afrikaanders. Der Ausdruck blieb dort während der restlichen Fahrt, zuerst in der kurzen Dämmerung, dann im zurückgeworfenen Licht der Scheinwerfer. Bevor wir Skukusa erreichten, lenkte Haagner den Rangerover plötzlich auf eine der für den Verkehr gesperrten Nebenstraßen, ein Abstecher, der uns nach ein oder zwei Meilen unverhofft in ein Dorf mit modernen Bungalows, kleinen Blumengärten und Straßenbeleuchtung brachte.

Wir bekamen große Augen. Ein Vorort, nichts Geringeres, erhob sich da grün aus dem staubtrockenen Veld.

«Das ist ein Wildhüterdorf«, sagte Haagner.»Mein Haus steht da drüben, das dritte in der Straße. Alle Weißen, die im Camp arbeiten, und die weißen Wildhüter wohnen hier. Die Bantu-Ranger und — Arbeiter haben auch Dörfer im Park.«

«Aber die Löwen«, sagte ich.»Ist so ein Dorf denn sicher, bei der Abgeschiedenheit?«

Er lächelte.»Es liegt nicht abgeschieden. «Der Rangerover kam ans Ende der Häuserreihe, fuhr etwa fünfzig Meter unbeleuchtete Straße entlang und schnurrte geradewegs in die Randzone von Camp Skukusa hinein.»Aber völlig sicher ist es auch nicht. Man darf sich abends nicht weit von den Häusern entfernen. Löwen halten normalerweise Abstand von den Gärten — und wir haben sie eingezäunt —, aber einmal wurde nachts ein junger Bantu von einem Löwen geholt, auf dem kurzen Stück Weg zwischen unserem Dorf und dem Camp. Ich kannte ihn gut. Man hatte ihm gesagt, er solle nie zu Fuß gehen… Es war wirklich traurig.«

«Werden oft Leute von Löwen — geholt?«fragte ich, als er bei unseren Rondavels anhielt und wir mit den Kameras und der roten Kühlbox ausstiegen.

«Nein. Manchmal. Nicht oft. Leute, die im Park arbeiten. Besucher nie. Im Auto ist man sicher. «Er warf Evan einen letzten bedeutungsvollen Blick zu.»Verlassen Sie Ihr Fahrzeug nicht. Das ist gefährlich.«

Vor dem Abendessen im Camp-Restaurant meldete ich ein Gespräch nach England an. Zwei Stunden Wartezeit, hieß es, aber um neun sprach ich mit Charlie.

Alles sei in Ordnung, sagte sie; die Kinder seien kleine Rabauken, und sie habe Nerissa besucht.

«Ich war gestern den ganzen Tag bei ihr. Die meiste Zeit haben wir bloß dagesessen, weil sie furchtbar müde war, aber sie wollte anscheinend nicht, daß ich gehe. Ich habe sie gefragt, was du wissen wolltest — nicht alles auf einmal, sondern so nach und nach.«

«Was hat sie gesagt?«

«Nun, mit einigem lagst du richtig. Sie hat Danilo erzählt, daß sie die Hodgkinsche Krankheit hat. Sie sagt, damals hat sie selbst noch nicht gewußt, daß es unheilbar ist, aber sie meint nicht, daß er besonders Notiz davon genommen hat; er sagte lediglich, er habe geglaubt, nur junge Leute bekämen die Krankheit.«

Wenn er das wußte, dachte ich, dann wußte er noch viel mehr.

«Anscheinend war er so etwa zehn Tage bei ihr, und sie wurden gute Freunde. So hat sie das bezeichnet. Bevor er nach Amerika zurückfuhr, sagte sie ihm also, daß sie ihm die Pferde als persönliches Geschenk vermachen wollte und, da er ihr einziger Verwandter sei, außerdem alles, was nach Verteilung der anderen Legate von ihrem Vermögen übrigbliebe.«

«Glücklicher Danilo.«

«Ja. Nun, er hat sie noch einmal besucht, vor ein paar Wochen, Ende Juli oder Anfang August. Als du in Spanien warst, jedenfalls. Da wußte sie inzwischen, daß sie sterben muß, hat aber Danilo nichts davon gesagt. Allerdings hat sie ihm ihr Testament gezeigt, da es ihn zu interessieren schien. Nachdem er es gelesen hatte, sei er sehr lieb gewesen und habe gesagt, er erbe hoffentlich erst in zwanzig Jahren.«

«Der kleine Heuchler.«

«Ich weiß nicht«, meinte Charlie zweifelnd,»obwohl du in vielem recht hast, ist nämlich doch ein dickes Haar in der Suppe.«

«Was für eins?«

«Danilo kann nichts dafür, wenn die Pferde verlieren. Das haut nicht hin.«

«Doch«, sagte ich,»wieso denn nicht?«

«Als Nerissa ihm erzählte, daß sie über das schlechte Abschneiden der Pferde besorgt sei und gern herausfinden würde, woran es liegt, hat Danilo selbst den Einfall gehabt, dich zu schicken.«

«Das ist doch nicht möglich«, rief ich.

«Hundertprozentig«, sagte Charlie.»Sie ist ganz sicher. Es war Danilos Vorschlag.«

«Verdammt«, sagte ich.

«Er hätte wohl nicht vorgeschlagen, daß jemand mal nach dem Rechten sieht, wenn er sie selber dopt.«

«Nein, wahrscheinlich nicht.«

«Du hörst dich deprimiert an«, sagte sie.

«Ich habe sonst keine Antworten für Nerissa.«

«Mach dir nichts draus. Du hättest ihr sowieso nicht gesagt, daß ihr Neffe krumme Touren abzieht.«

«Stimmt auch wieder«, gab ich zu.

«Und es war nicht schwer für Danilo, das Testament zu lesen. Sie läßt es immer auf dem Intarsientisch in der Wohnzimmerecke herumliegen. Sie hat es mir gleich gezeigt, als ich darauf zu sprechen kam, weil es sie sehr beschäftigt. Und ich habe gesehen, was sie uns zum Andenken hinterläßt, falls es dich interessiert.«

«Was denn?«fragte ich nebenher, während ich an Danilo dachte.

«Sie vermacht dir ihren Anteil an etwas, das sich Rojedda nennt, und mir einen Diamantanhänger und ein paar Ohrringe. Die hat sie mir gezeigt. Sie sind einfach wunderschön, und ich sagte ihr, das sei viel zuviel, aber ich mußte sie anlegen, damit sie sehen konnte, wie sie mir stehen. Sie schien richtig froh, richtig glücklich zu sein. Ist sie nicht unglaublich? Ich kann es kaum ertragen — o je — o je…«:

«Weine nicht, Liebes«, sagte ich.

Es kamen ein paar Schluckgeräusche.

«Ich — ich kann nichts — dafür. Es geht ihr schon viel schlechter als bei unserem letzten Besuch, und sie fühlt sich sehr unwohl. Eine von ihren geschwollenen Lymph-drüsen drückt ihr die Brust zusammen.«

«Wir besuchen sie, sobald ich zurückkomme.«

«Ja. «Sie schnüffelte die Tränen weg.»Gott, was fehlst du mir.«

«Du mir auch«, sagte ich.»Nur noch eine Woche. Heute in acht Tagen bin ich zu Hause, und wir fahren mit den Kindern nach Cornwall.«

Nach dem Anruf ging ich hinaus und wanderte langsam über das unebene, grasige Gelände hinter den Rondavels. Die afrikanische Nacht war sehr still. Kein Verkehrslärm von irgendeiner fernen Stadt, nur das leise, stetige Summen des Generators, der Skukusa mit Strom versorgte, und das nimmermüde Zirpen der Zikaden.

Nerissa hatte mir meine Antworten geliefert.

Ich begriff, was sie bedeuteten, und wollte es nicht glauben.

Ein Spiel. Nicht mehr, nicht weniger.

Mit meinem Leben als Einsatz.

Ich ging zurück zum Telefon und tätigte noch einen Anruf. Van Horens Butler sagte, er wolle einmal nachsehen, und Quentin kam an den Apparat. Ich sagte, ich hätte ein etwas merkwürdiges Anliegen, das ich ihm erklären würde, wenn ich ihn das nächste Mal sah, aber könnte er mir vielleicht sagen, wie groß ungefähr Nerissas Anteil an Rojedda sei?

«So groß wie meiner«, erwiderte er ohne Zögern.»Sie hat den Anteil meines Bruders von Portia geerbt.«

Ich dankte ihm benommen.

«Bis zur Premiere«, sagte er.»Wir freuen uns sehr darauf.«

Stundenlang konnte ich nicht schlafen. Und doch, wo hätte ich sicherer sein können als in einem bewachten Camp, wo Evan und Conrad in den Nachbarhütten schnarchten, daß sich die Wände bogen?

Aber als ich aufwachte, lag ich nicht mehr im Bett.

Ich war in dem Wagen, den ich in Johannesburg gemietet hatte.

Der Wagen stand im frühen Tageslicht im KrügerNationalpark. Bäume, Gestrüpp und dürres Gras. Kein Rondavel weit und breit.

Leichter Äthergeruch benebelte mir die Sinne, aber eine Tatsache war klar und augenfällig.

Einer meiner Arme ging durch die Speichen des Lenkrads, und meine Handgelenke waren mit einem Paar Handschellen aneinandergefesselt.

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