Kapitel 15

Danilo hatte Nerissa vorgeschlagen, daß ich nach Südafrika fahren sollte, weil er dort, fern von zu Hause, jede sich bietende Gelegenheit ergreifen konnte, mich so um die Ecke zu bringen, daß es wie ein Unfall aussah. Er hatte mich mit einem Köder an die Hinrichtungsstätte gelockt, von dem er wußte, ich würde ihn annehmen — der Wunsch einer sterbenskranken Frau, die ich mochte und der ich dankbar war.

Ein offensichtlicher Mord hätte ihn allzu leicht in Verdacht geraten lassen. Ein scheinbarer Unfall — wie etwa ein Stromschlag durch ein Mikrofon — würde mit weniger Mißtrauen untersucht werden.

Danilo war nicht in Randfontein House gewesen.

Roderick war dort gewesen und Clifford Wenkins und Conrad. Und fünfzig andere außerdem. Wenn Danilo das stromführende Mikro besorgt hatte, mußte es mir bei der Pressekonferenz jemand in die Hände gespielt haben. Nur durch einen glücklichen Zufall wurde es mir wieder abgenommen.

Und in der Mine unten, als sich die nächste Chance bot — kracks.

Wäre nicht die Beharrlichkeit eines Kontrolleurs namens Nyembezi gewesen, hätte der Versuch damals geklappt.

Das hier würde hingegen nicht nach einem Unfall aussehen. Die Handschellen konnten nicht zufällig dasein.

Vielleicht hatte Danilo vor, nach meinem Tod wiederzukommen und sie mir abzunehmen. Dann würde man vielleicht glauben, ich hätte mich im Park verfahren und sei lieber in dem Wagen gestorben, als einen Fußmarsch zu riskieren.

Aber die Zeit war knapp bemessen. Er konnte keine Woche warten, um sicherzugehen, daß ich tot war, bevor er wiederkam, denn bis dahin würden alle nach mir suchen, und jemand konnte vor ihm zu mir gelangen.

Ich seufzte entmutigt. Nichts davon ergab einen Sinn.

Der Tag erwies sich als Inferno im Vergleich zu dem davor. Viel schlimmer noch als Spanien. Die sengende Hitze setzte mir derart zu, daß Denken unmöglich wurde und Krämpfe meine Schultern, meine Arme, meinen Magen schüttelten.

Ich steckte meine Hände in die Ärmel, bog den Kopf aus dem direkt angestrahlten Bereich zurück und saß einfach da und hielt es aus, weil mir nichts anderes übrigblieb.

Soviel zu meinen läppischen kleinen Versuchen, den Wasserhaushalt zu regeln. Die brutale Sonne dörrte mich mit jeder Minute mehr aus, und ich wußte jetzt, daß eine Woche heillos optimistisch war. Bei dieser Hitze genügten ein bis zwei Tage.

Meine Kehle brannte vor Durst, und Speichel war ein Ding der Vergangenheit.

Vier Liter Wasser unter der Kühlerhaube… so unerreichbar wie eine Fata Morgana.

Als ich nicht mehr schlucken konnte, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken, und nicht mehr atmen, ohne die Luft zu spüren wie ein Messer, band ich die Plastiktüte los und schüttete mir ihren Inhalt in den Mund. Ich kostete das himmlische H2O so lange wie möglich aus, spülte es um Zähne und Gaumen und unter meine Zunge. Zum Schluk-ken war kaum noch etwas übrig, und als es weg war, fühlte ich mich elend. Jetzt war nichts mehr zwischen mir und dem Dunkelwerden.

Ich stülpte die Tüte um, leckte sie aus und hielt sie mir an den Mund, bis die Hitze sie völlig getrocknet hatte; dann füllte ich sie wieder mit meinem Atem und klemmte sie mit zitternden Fingern in den Gummiring am Steuer.

Mir fiel ein, daß der Kofferraum noch einen ganzen Teil von Conrads Ausrüstung enthielt. Die Sachen brauchte er doch bestimmt, und danach würde er suchen, wenn schon nicht nach mir.

Evan, dachte ich, um Gottes willen komm und finde mich. Aber Evan war in den Norden des Reservats gereist, das sich über 200 Meilen erstreckte bis zu seiner Grenze oben am großen, graugrün-grießigen Limpopofluß. Evan suchte dort sein Elefantenkind.

Und ich… ich saß in einem Auto und war im Begriff, für eine Goldmine zu sterben, die ich nicht haben wollte.

Die Nacht kam und der Hunger.

Die Menschen bezahlten dafür, daß man sie auf Schönheitsfarmen hungern ließ, und die Menschen traten in den Hungerstreik, um gegen dies und jenes zu protestieren — was also war so Besonderes am Hunger?

Nichts. Er war schlicht und einfach quälend.

Die Nacht war kühl, ein Segen. Am Morgen, als ich soweit wie möglich das Fenster abgeleckt hatte, begab ich mich wieder ans Schreiben. Ich schrieb alles auf, was mir an Einzelheiten einfiel, die der Untersuchung meines Todes dienlich sein konnten.

Die Hitze ging los, bevor ich damit fertig wurde. Ich schrieb» Liebe Grüße an Charlie «und setzte meinen Namen darunter, da ich mir nicht sicher war, ob ich am Abend noch in der Lage sein würde zu schreiben. Dann schob ich die beschriebenen Blätter unter meinen linken Oberschenkel, damit sie nicht außer Reichweite auf den Boden fielen, steckte den kleinen Bleistift unter mein Uhrarmband, drückte die Luft aus der Plastiktüte, um den nächsten Teelöffel Wasser zu sichern, und fragte mich, wie lange ich durchhalten würde.

Am Mittag wollte ich nicht mehr.

Bis dahin hatte ich wegen meines Tropfens Wasser ausgeharrt, aber als der fort war, wäre ich gern gestorben. Nachdem die Tüte an meinem Gesicht getrocknet war, brauchte ich viel Zeit und sehr viel Willenskraft, um sie aufzublasen und wieder am Lenkrad zu befestigen. Morgen, dachte ich, würde sich der Fingerhut voll Flüssigkeit wieder gebildet haben, aber ich würde ihn nicht mehr trinken können.

In dem Film hatten wir uns geirrt, dachte ich. Wir hatten uns zu sehr auf das geistige Befinden des Mannes konzentriert und das körperliche dabei vernachlässigt. Von Beinen wie Blei und von Knöcheln, die auf Ballgröße anschwellen, hatten wir nichts geahnt. Ich hatte mich längst meiner Socken entledigt, und die Chance, meine Schuhe wieder anzubekommen, war etwa so groß wie die, daß mir Flügel wuchsen.

Wir hatten nicht gewußt, daß Gase den Bauch qualvoll aufblähen und daß der Gurt dann auf ihn drückt wie ein

Tau. Wir hatten nicht geahnt, daß die Augen sich anfühlen wie Sandpapier, wenn die Tränendrüsen austrocknen. Wir hatten unterschätzt, wie der Wasserentzug sich auf die Kehle auswirkt.

Die überwältigende Hitze erdrückte und betäubte jegliches Empfinden. Da war nichts mehr außer Schmerz und keine Aussicht darauf, daß er enden würde.

Außer mit dem Tod natürlich.

Am Spätnachmittag kam ein Elefant und riß den Baum aus, den die Giraffe abgekämmt hatte.

Das wäre für Evan wohl allegorisch genug, dachte ich verwirrt. Elefanten waren die unzerstörbaren Zerstörer der Wildnis.

Aber Evan war Meilen entfernt.

Evan, dachte ich, Evan. O Gott, Evan. Komm. finde mich.

Der Elefant fraß einige saftige Blätter von dem Baum, zog dann ab und ließ ihn mit den Wurzeln in der Luft zurück, so daß er an Wassermangel sterben würde.

Vor Einbruch der Dunkelheit schrieb ich noch ein paar Sätze. Meine Hände zitterten fortwährend, verkrallten sich in Krämpfen und waren am Ende zu schwach, um den Bleistift zu halten.

Er fiel auf den Boden und rollte unter meinen Sitz. Ich konnte ihn weder sehen noch ihn mit meinen geschwollenen Zehen aufheben.

Heulen wäre Wasserverschwendung gewesen.

Die Nacht kam wieder, und die Zeit verschwamm.

Ich wußte nicht mehr, wie lange ich schon dort war oder wie lange es noch bis Mittwoch dauerte.

Mittwoch war so weit weg wie Charlie, und ich würde beide nicht mehr sehen. Ich hatte eine Vision von dem Schwimmbecken im Garten, in dem die Kinder planschten, und was mir unwirklich erschien, war der Wagen, nicht das Schwimmbecken.

Krämpfe beutelten stundenlang meine Glieder.

Die Nacht war kalt. Die Muskeln wurden steif. Die Zähne klapperten. Der Magen schrie nach Nahrung.

Am Morgen war die Kondensation an den Fenstern so stark, daß das Wasser in Rinnsalen am Glas hinunterlief. Ich konnte wie immer nur die kleine Fläche neben meinem Kopf erreichen. Matt leckte ich sie ab. Es war nicht genug.

Ich hatte nicht mehr die Energie, zum Lüften das Fenster zu öffnen; aber Autos sind niemals völlig luftdicht, und ersticken würde ich schon nicht.

Die unvermeidliche Sonne kehrte als unschuldige Morgenröte wieder, ein sanftes Vorspiel zu dem entsetzlichen Tag, der vor mir lag.

Ich glaubte nicht mehr, daß jemand kam.

Mir blieb nur, bis zur Bewußtlosigkeit zu leiden, denn danach würde Frieden einkehren. Selbst das Delirium würde eine Art Frieden sein, war doch die schlimmste Tortur das Wachsein, das Verstehen. Ich würde die Bene-belung willkommen heißen, wenn sie kam. Sie war für mich der eigentliche Tod. Derjenige, der zählte. Ich würde es nicht merken und mir nichts daraus machen, wenn schließlich mein Herz stehenblieb.

Die Hitze knallte in den Wagen wie ein Sturmbock. Ich brannte.

Ich brannte.

Загрузка...