Kapitel 7

Freitag erwies sich als ein magerer Tag für Nachrichten von Weltrang, so daß viel zuviel Platz für Katyas gefährliches Leben blieb. Selten war die Presse im voraus zu einem solchen Schauspiel eingeladen worden, und die meisten Zeitungen brachten es anscheinend auf der Titelseite.

Eine von ihnen deutete unfreundlicherweise erst an, das Ganze sei ein Werbetrick gewesen, der schiefgelaufen war, und bestritt es dann wenig überzeugend in dem nachfolgenden Artikel.

Ich fragte mich, während ich ihn las, wieviele Leute genau das glauben würden. Ich fragte mich im Gedanken an ihr schalkhaftes Lächeln, ob Katya es möglicherweise selbst inszeniert haben könnte. Sie und Roderick gemeinsam.

Aber sie hätte nicht ihr Leben riskiert. Es sei denn, ihr wäre nicht klar gewesen, daß sie es aufs Spiel setzte.

Ich griff zum Rand Daily Star, um zu sehen, was sie mit Rodericks Informationen angefangen hatten, und sah, daß er den Artikel selbst geschrieben hatte.»Vom Augenzeugen des Rand Daily Star, Roderick Hodge«, hieß es vorneweg. Gemessen an seiner gefühlsmäßigen Beteiligung dramatisierte er die Geschichte kaum, doch mehr als jeder andere war er es, der wie Conrad hervorhob, daß ich den Schlag bekommen haben würde, hätte Katya mir das Mikrofon nicht abgenommen.

Ich fragte mich, wie sehr Roderick sich das wünschte. Schon weil es eine bessere Story abgegeben hätte.

Mit einem schiefen Lächeln las ich zu Ende. Katya, berichtete er abschließend, sei über Nacht im Krankenhaus geblieben, ihr Zustand werde als zufriedenstellend bezeichnet.

Ich schob die Zeitungen beiseite, und während ich duschte und mich rasierte, zog ich ein doppeltes Fazit. Einmal, daß das, was ich getan hatte, nicht sonderlich bemerkenswert war und die Berichterstattung wirklich nicht verdiente, und zum anderen, daß es mir nach diesem Rummel noch schwerer fallen würde, Nerissa zu erklären, wieso ich ihr nur Mutmaßungen bringen konnte statt Beweise.

An der Rezeption fragte ich, ob sie mir ein Lunchpaket schnüren und mir für den Tag ein Pferd in irgendeinem vernünftigen Trekkinggelände mieten könnten. Selbstverständlich, hieß es. Sie schwangen ihre Zauberstäbe, und Mitte des Vormittags ritt ich 25 Meilen nördlich von Johannesburg auf einem pensionierten Rennpferd, das einmal bessere Tage gesehen hatte, bei strahlendem Sonnenschein eine Naturstraße entlang. Zufrieden atmete ich in tiefen Zügen den süßen Geruch Afrikas und empfand im Dahintrotten ein großartiges Gefühl von Freiheit. Die Leute, denen das Pferd gehörte, hatten sanft darauf bestanden, mir ihren Stallmeister mitzugeben, damit ich mich nicht verirrte, doch da er wenig Englisch sprach und ich kein Bantu, fand ich in ihm einen denkbar ruhigen Gefährten. George war klein, gut zu Pferd und hatte immer ein bananenbreites Lächeln auf Lager.

Wir kamen zu einer Kreuzung, an der ganz für sich allein eine Bude stand, beladen mit leuchtend orangen Früchten, vollgehängt mit Ananas, behütet von einem strahlenden Verkäufer.

«Naartjies«, sagte George und zeigte mit dem Finger.

Ich signalisierte ihm, daß ich nicht verstand. Manchmal kam einem die Schauspielerei schon zugute.

«Naartjies«, wiederholte George, stieg von seinem Pferd und führte es auf den Obststand zu. Da ich begriff, daß er etwas kaufen wollte, rief ich ihn und kramte einen 5-Rand-Schein hervor. George lächelte, verhandelte flugs und kam mit einem großen Beutel Naartjies, zwei reifen Ananas und dem größten Teil des Geldes zurück.

In ungezwungener, anspruchsloser Zweisamkeit ritten wir weiter, saßen irgendwo im Schatten ab, aßen jeder eine Ananas und kaltes Hähnchen vom Iguana Rock und tranken erfrischenden ungesüßten Apfelsaft aus Dosen, die man George mitgegeben hatte. Die Naartjies waren eine Art große, dicke Mandarinen mit grünen Flecken auf der Schale; sie schmeckten auch wie Mandarinen, nur besser.

George aß sein Mittagsbrot zehn Meter entfernt von mir. Ich winkte ihm, näher zu kommen, aber das wollte er nicht.

Am Nachmittag trabten und kanterten wir eine weite Strecke über struppiges, braungedörrtes Gras, und als wir schließlich im Schritt gingen, um die Pferde abzukühlen, stellte ich fest, daß wir uns aus der unserer anfänglichen Marschroute entgegengesetzten Richtung wieder dem Heimatstall näherten.

Sie verlangten zehn Rand Miete für das Pferd, obwohl der Tag, den ich erlebt hatte, mir tausend wert war, und ich gab George fünf Rand extra, auch wenn sein Arbeitgeber flüsterte, das sei zuviel. George reichte mir mit einem letzten blendenden Lächeln den Beutel Naartjies, und sie alle winkten mir freundlich zum Abschied. Wäre doch nur das ganze Leben so natürlich, so anspruchslos, so frei.

Fünf Meilen die Straße hinunter überlegte ich, daß ich mich dann zu Tode langweilen würde.

Conrad war vor mir im Iguana.

Er kam mir entgegen, als ich die Halle betrat, und musterte mich von Kopf bis Fuß — inklusive Staub, Schweiß und Naartjies.

«Mein lieber Junge, was haben Sie denn angestellt?«

«Ich war reiten.«

«Schade, daß ich meine Arriflex nicht dabeihabe«, rief er aus.

«Welch ein Bild — wie Sie da stehen im Zigeunerlook, mit dem Rücken zum Licht und diesen Apfelsinen —, das bringen wir in unserem nächsten gemeinsamen Film unter. So eine Einstellung darf man nicht vergeuden.«

«Sie sind früh dran«, bemerkte ich.

«Ob ich nun hier warte oder irgendwo anders.«

«Dann kommen Sie mit rauf, ich will mich umziehen.«

Er fuhr mit auf mein Zimmer und suchte sich mit unfehlbarem Instinkt den bequemsten Sessel aus.

«Essen Sie ein Naartjie«, sagte ich.

«Ein Martini wäre mir lieber, mein Junge.«

«Dann bestellen Sie sich einen.«

Sein Drink kam, während ich unter der Dusche stand. Ich trocknete mich ab, und als ich in der Unterhose zurück ins Zimmer kam, fand ich ihn außerdem mit einer churchill-kalibrigen Zigarre ausgestattet und in Rauch gehüllt, umweht von einem Duft nach Londoner Clubs und Geldadel. Er sah den Stoß Zeitungen durch, die noch geordnet auf dem Tisch lagen, schlug aber keine auf.

«Die hab’ ich alle gelesen«, sagte er.»Wie finden Sie es, zur Abwechslung mal ein echter Held zu sein?«

«Hören Sie auf zu spinnen. Was ist denn so heldenhaft an Erster Hilfe?«

Er grinste. Wechselte das Thema.

«Was in Dreiteufelsnamen hat Sie veranlaßt, hierher zu einer Premiere zu kommen, nachdem Sie sich all die Jahre geweigert haben, außerhalb der Leinwand Ihr Gesicht zu zeigen?«

«Ich bin hier, um mir ein paar Pferde anzusehen«, sagte ich und erzählte ihm von Nerissa.

«Ah ja, mein Junge, so leuchtet mir das eher ein. Und haben Sie rausgefunden, was da nicht stimmt?«

Ich zuckte die Achseln.»Eigentlich nicht. Wüßte auch nicht, wie. «Ich suchte ein frisches Hemd heraus und zog es an.»Morgen fahre ich zum Pferderennen nach Germiston und halte noch mal die Augen offen, aber ich bezweifle, ob man Greville Arknold etwas nachweisen kann. «Ich zog Socken und dunkelblaue Hosen an und ein Paar Slipper.»Was tun Sie und Evan überhaupt hier?«

«Einen Film drehen, was sonst?«

«Was für einen Film?«

«Irgendeine hanebüchene Geschichte über Elefanten, die sich Evan in den Kopf gesetzt hat. Die war schon geplant, bevor sie ihn verpflichtet haben, den Mann im Wagen fertigzudrehen, und da er so lange in Spanien herumgetändelt hat, sind wir mit Verspätung hier angekommen. Wir sollten längst im Krüger-Nationalpark sein.«

Ich kämmte mir die Haare.

«Wer spielt die Hauptrolle? «

«Drix Goddart.«

Ich warf Conrad über meine Schulter einen Blick zu. Er lächelte ironisch.»Wachs in Evans Händen, lieber Junge. Lechzt nach Regieanweisungen wie ein gut gestreicheltes Hundebaby.«

«Schön für euch.«»Der ist so neurotisch, wenn dem nicht alle fünf Minuten jemand sagt, er sei glänzend, meint er, alle hassen ihn.«

«Ist er auch hier?«

«Zum Glück nicht. Er sollte zwar erst, aber jetzt kommt er mit dem übrigen Team nach, wenn Evan und ich die Drehorte ausgesucht haben.«

Ich legte Kamm und Bürste weg und band meine Armbanduhr um. Schlüssel, Kleingeld, Taschentuch in die Hosentaschen.

«Haben Sie die Schnellkopien von den Wüstenszenen gesehen, als Sie in England waren?«

«Nein«, sagte ich.»Evan hat mich nicht eingeladen.«

«Sieht ihm ähnlich. «Er nahm einen großen Schluck und rollte den Martini im Mund. Mit zusammengekniffenen Augen sah er auf den langen Aschekegel an der Spitze seines Mini-Torpedos. Er sagte:»Sie waren gut.«

«Das sollten sie verdammt noch mal auch sein. Wir haben sie oft genug gedreht.«

Er lächelte, ohne mich anzusehen.»Der fertige Film wird Ihnen nicht gefallen.«

Weil er es nicht ausführte, sagte ich nach einer Pause:»Wieso nicht?«

«Da liegt mehr und etwas anderes als Schauspielerei drin. «Er zögerte und wog seine Worte ab.»Selbst für einen zynischen Betrachter wie mich, lieber Junge, ist das, was da an Leiden rüberkommt, erschütternd.«

Ich sagte nichts. Er drehte sich mir zu.

«Normalerweise geben Sie nicht viel von sich preis, oder? Also diesmal, lieber Junge, diesmal…«

Ich preßte die Lippen zusammen. Ich wußte, was ich getan hatte. Es war mir von vornherein klar gewesen. Ich hatte nur gehofft, niemand wäre aufmerksam genug, es zu bemerken.

«Werden die Kritiker sehen, was Sie gesehen haben?«fragte ich.

Er lächelte schief.»Müssen Sie wohl, oder? Die guten jedenfalls.«

Ich starrte verzagt auf den Teppich. Das unangenehme an Szenen, die man zu gut spielte, an Gefühlen, die man klar und eingängig vermittelte, war, daß man sich dabei vor der Öffentlichkeit entblößte. Ohne nackte Haut zu zeigen oder so etwas Simples, gab man der ganzen Welt Einblick in sein Innenleben, seine Überzeugungen, seine Erfahrung.

Um ein Gefühl so wiedergeben zu können, daß andere es erkannten und es vielleicht zum erstenmal auch verstanden, mußte man einen Begriff davon haben, wie es wirklich war. Zu zeigen, daß man es kannte, hieß erkennen lassen, was man gefühlt hatte. Niemand präsentierte sich gern allzu nackt, aber wenn man sein Inneres nicht enthüllte, wurde man nie ein großer Schauspieler.

Ich war kein großer Schauspieler. Ich war kompetent und beliebt, doch wenn ich nicht mit ganzem Herzen den Schritt in die gefürchtete Selbstentblößung wagte, würde ich nie etwas Großes vollbringen. Das Spielen einer Rolle war für mich, wo es über eine bestimmte Grenze hinausging, seelisch schmerzhaft. Als ich aber in dem Wagen so spielte, hatte ich gedacht, meine persönlichen Züge würden so mit den Qualen der erfundenen Figur verschmelzen, daß man mich dahinter nicht wahrnahm.

Ich hatte wegen Evan so gespielt: aus Trotz eher, als um es ihm recht zu machen. Es gibt einen Punkt, über den hinaus kein Regisseur die Leistung eines Schauspielers sich selbst als Verdienst anrechnen kann, und ich war weit über diesen Punkt hinausgegangen.

«Woran denken Sie?«wollte Conrad wissen.

«Ich habe gerade beschlossen, in Zukunft ganz bei unrealistischer Action und Unterhaltung zu bleiben.«

«Sie sind ein Feigling, lieber Junge.«

«Ja.«

Er tippte die Asche von seiner Zigarre.

«Niemand wird damit zufrieden sein, wenn Sie das tun.«

«Aber selbstverständlich.«

«M-m. «Er schüttelte den Kopf.»Hat einer erst mal gesehen, daß er alles kriegen kann, begnügt er sich nicht mehr mit halben Sachen.«

«Hören sie auf, Martini zu trinken«, sagte ich.»Sie reden schon Unsinn.«

Ich ging durch das Zimmer, nahm mein Jackett, zog es an und verstaute Brieftasche und Terminkalender darin.

«Gehen wir runter in die Bar«, sagte ich.

Er wuchtete sich gehorsam aus dem Sessel.

«Sie können nicht ewig vor sich weglaufen, mein Lieber.«

«Ich bin nicht der, für den Sie mich halten.«

«O doch, lieber Junge«, sagte Conrad.»Das sind Sie.«

Auf der Rennbahn in Germiston am nächsten Tag erwarteten mich am Eingang nicht nur die von Greville Arknold versprochenen Freikarten, sondern auch ein Funktionär, der mir einen zweiten Satz Freikarten gab und Anweisung hatte, mich zum Lunch beim Präsidenten des Rennvereins zu geleiten.

Ich überließ mich seiner Führung und wurde schließlich in einen großen Speiseraum komplimentiert, in dem etwa hundert Personen bereits an langen Tischen saßen. Die ganze Familie van Horen, einschließlich des mürrischen Jonathan, war am ersten Tisch bei der Tür plaziert, und als er mich eintreten sah, erhob sich van Horen.

«Mr. Klugvoigt, das ist Edward Lincoln«, sagte er zu dem Mann am Kopf des Tisches, und zu mir gewandt:»Mr. Klugvoigt ist der Präsident.«

Klugvoigt stand auf, gab mir die Hand, wies auf den leeren Stuhl zu seiner Linken, und wir nahmen Platz.

Vivi van Horen saß in einem breitkrempigen grünen Hut mir gegenüber, dem Präsidenten zur Rechten, an der Seite ihres Mannes. Sally van Horen saß links von mir und ihr Bruder eins weiter. Sie schienen Klugvoigt alle gut zu kennen, und als Persönlichkeit hatte er viel mit van Horen gemein: das gleiche Flair von Wohlhabenheit und Ansehen, das gleiche Selbstbewußtsein, die gleiche massige Statur und der wache Verstand.

Nach der Begrüßung und den Höflichkeiten (wie gefiel mir Südafrika? Nirgends war es so gemütlich wie im Iguana Rock. Wie lange wollte ich bleiben?) kehrte das Gespräch ganz natürlich wieder zu der vorliegenden Hauptangelegenheit zurück.

Pferde.

Die van Horens besaßen einen Vierjährigen, der im Dunlop Gold Cup einen Monat zuvor Dritter geworden war, aber in diesen weniger wichtigen Monaten gaben sie ihm eine Atempause. Klugvoigt besaß zwei Dreijährige, die an diesem Nachmittag starteten, wenn auch nicht sehr aussichtsreich.

Ich lenkte das Gespräch ohne große Mühe auf Nerissas Pferde und von dort auf Greville Arknold, um eher beiläufig zu fragen, was man allgemein von ihm hielt, als Mensch wie auch als Trainer.

Weder van Horen noch Klugvoigt gehörten zu den Leuten, die gleich aussprechen, was sie denken. Jonathan war es, der sich vorbeugte und mit seiner wahren Meinung herausplatzte.

«Das ist ein ungehobelter Kerl mit nichts im Kopf, aber ein Paar Pranken, daß er Goldbarren auswringen könnte.«

«Ich werde mit Nerissa reden müssen, wenn ich zurückkomme«, bemerkte ich.

«Tante Portia hat immer gesagt, er kann gut mit Pferden umgehen«, warf Sally zu seiner Verteidigung ein.

«Jaha. Bis sie umfallen«, sagte Jonathan.

Van Horen warf ihm einen flackernden Blick zu, in dem Humor gewiß nicht fehlte, wechselte aber mit der Gewandtheit eines Mannes, der weiß, was üble Nachrede ist, sofort das Thema.

«Ihr Clifford Wenkins, Link, rief mich gestern nachmittag an, um uns Karten für Ihre Premiere anzubieten. «Er sah belustigt aus. Ich nahm dankbar zur Kenntnis, daß er warm genug mit mir geworden war, um auf das steife» Mr. «zu verzichten; in ein, zwei Stunden würde ich vielleicht auch zu» Quentin«übergehen können.

«Offenbar fand er, daß er doch ein bißchen schroff zu mir war, als ich Ihre Adresse haben wollte.«

«Hat wahrscheinlich seine Hausaufgaben nachgeholt«, stimmte Klugvoigt zu, der voll informiert zu sein schien.

«Es ist nur ein — ein Abenteuerfilm«, sagte ich.»Möglich, daß er Ihnen nicht gefällt.«

Er lächelte ein trockenes ironisches Lächeln.»Sie werfen mir nicht noch einmal vor, daß ich etwas verurteile, was ich nicht gesehen habe.«

Ich lächelte zurück. Ich mochte den Bruder des Mannes von Nerissas Schwester.

Wir beendeten das vorzügliche Mittagessen und gingen zum ersten Rennen hinaus. Die Jockeys saßen bereits auf, und Vivi und Sally eilten davon, um rasch noch die Quoten mit einigen Rand durcheinanderzubringen.

«Ihr Freund Wenkins wollte heute auch hier sein«, bemerkte van Horen.

«Ach je.«

Er lachte leise.

Arknold warf im Führring seinen magentarot bedreßten Jockey in den Sattel.

«Wie schwer ist ein Goldbarren?«fragte ich.

Van Horen folgte meinem Blick.»Zweiundsiebzig Pfund normalerweise. Die lassen sich aber nicht so leicht heben wie zweiundsiebzig Pfund Jockey.«

Danilo stand an den Rails und schaute zu. Er drehte sich um, als die Pferde mit ihren Reitern hinausgingen, erblickte uns und kam geradewegs herüber.

«Tag, Link. Ich hab Sie schon gesucht. Wie wär’s mit einem Bier?«

Ich sagte:»Quentin«(nicht zwei Stunden: zehn Minuten)»das ist Danilo Cavesey, Nerissas Neffe. Und Danilo, das ist Quentin van Horen, dessen Schwägerin Portia van Horen Nerissas Schwester war.«

«Na so was«, sagte Danilo. Seine Augen weiteten sich und blieben geweitet, ohne zu blinzeln. Er war mehr als überrascht.

«Du meine Güte«, rief van Horen aus.»Ich wußte gar nicht, daß sie einen Neffen hat.«

«Ich bin wohl irgendwie aus ihrem Leben verschwunden, als ich sechs war«, sagte Danilo.»Ich habe sie erst diesen Sommer wiedergesehen, als ich von den Staaten rüber nach England bin.«

Van Horen sagte, er sei Nerissas Mann nur zweimal begegnet und dessen Bruder, Danilos Vater, niemals. Danilo sagte, er habe Portia nie kennengelernt. Beide spürten den verwandtschaftlichen Beziehungen nach, bis sie sie zufriedenstellend geklärt hatten, und schienen sehr bald schon zu einem guten Einvernehmen zu gelangen.

«Tja, was sagt man dazu?«meinte Danilo, offenbar hocherfreut.»Hat man da noch Töne?«

Als Vivi und Sally und Jonathan nach dem Rennen wieder zu uns stießen, schnatterten sie darüber wie die Vögel, warfen die Arme umher und ließen kleine Freudenschreie erschallen.

«Er ist so was wie ein Cousin«, sagte Sally entschieden.»Ist das nicht völlig irre?«

Selbst Jonathan schien von dem Gedanken, diesen Sohn der Sonne in die Familie aufzunehmen, angetan, und bald darauf schleppten die beiden ihn auf eigene Faust davon. Ich sah, wie er dabei über die Schulter zurückschaute und mir einen Blick zuwarf, der viel älter war als alles, was Jonathan und Sally hervorbringen konnten.

«Was für ein netter Junge«, sagte Vivi.

«Nerissa hat ihn sehr gern«, stimmte ich zu.

«Wir müssen ihn mal einladen, solange er hier ist, meinst du nicht, Quentin? Ach, schau mal, wer da hinten steht — Janet Frankenloots… die hab’ ich eine Ewigkeit nicht gesehen. Ach, bitte entschuldigen Sie mich, Link…«Der große Hut wippte der langvermißten Freundin entgegen.

Van Horen hatte deprimierenderweise nur allzurecht damit, daß Clifford Wenkins auf dem Rennplatz war. Zu sagen, daß der Filmverleiher direkt auf uns zukam wie Danilo, wäre unzutreffend: er näherte sich in einem schräg verzogenen, Entschuldigung heischenden Halbkreis, stol-perte über seine Füße und landete feuchtwarm an meiner Seite.

«Äh — Link, schön Sie zu sehen… Äh, Sie sind wohl Mr. van Horen? Erfreut, äh — sehr erfreut, Sir.«

Er gab van Horen die Hand, und dessen Umgangsformen waren so gefestigt, daß er es unterließ, sich die Handflächen danach an der Hose abzuwischen.

«Nun denn. Äh — Link. Ich habe Sie ein paarmal zu erreichen versucht, aber Sie sind anscheinend nie, äh — ich meine, ich habe nie angerufen, wenn Sie, äh — da waren. Und da dachte ich — nun, ich meine — äh, hier würde ich Sie doch bestimmt treffen.«

Ich wartete ohne viel Geduld. Er zog hastig ein Bündel Papiere aus einer Innentasche.

«Also, wir möchten — das heißt, Worldic hat vorgesehen

- äh, weil Sie doch die Presseinterviews gegeben haben, meine ich — daß Sie nun einiges noch mitnehmen, und zwar… schauen wir mal… Bei der Wahl der Miss Johannesburg am nächsten Mittwoch, da möchten Sie als Preisrichter fungieren — und, äh, bei den FilmkunstKochkunst-Frauen am Donnerstag, da sind Sie Ehrengast— und weiter geht’s am Freitag mit einer Sammelaktion, einem Benefizempfang unserer — äh, unserer Sponsoren für die Premiere — das heißt, äh, Wau-Miau-Tiernahrung natürlich, und, äh, nun, am Samstag ist die offizielle Eröffnung der Ausstellung Modernes Heim. Lauter gute Publicity — äh — «

«Nein«, sagte ich. Und daß du hier bloß nicht die Nerven verlierst, ermahnte ich mich streng.

«Äh«, sagte Wenkins, der keine Gefahrensignale wahrnahm.

«Wir — äh, das heißt, Worldic findet, meine ich — Sie sollten wirklich etwas hilfsbereit sein.«»So?«Ich verlangsamte bewußt mein Atemtempo.»Und was glauben Sie, warum ich Worldic nicht meine Spesen zahlen lasse? Warum bezahle ich wohl alles selbst?«

Er war zutiefst unglücklich. Worldic mußte ihn von der einen Seite unter Druck gesetzt haben, und jetzt hielt ich von der anderen dagegen. Die Schweißperlen sprangen ihm auf die Stirn.

«Ja, aber — «Er schluckte.»Nun — ich nehme an, die einzelnen Organisationen wären vielleicht auch bereit, Ihnen - äh, ich meine — nun ja, ein Honorar anzubieten.«

Ich zählte bis fünf. Kniff die Augen zusammen und öffnete sie. Sagte, als ich sicher war, daß es gemäßigt klingen würde:»Mr. Wenkins, Sie können Worldic ausrichten, daß ich keine dieser Einladungen annehmen möchte. Tatsache ist, ich werde nur zu der Premiere selbst gehen und zu einem einfachen Empfang vorher und nachher, wie ich schon sagte.«

«Aber wir haben allen zugesagt, daß Sie kommen.«

«Sie wissen, daß mein Agent Sie gleich zu Anfang ausdrücklich gebeten hat, nichts zu verabreden.«

«Schon, aber Worldic sagt — ich meine — «

Zum Teufel mit Worldic, dachte ich heftig. Ich sagte:»Die Sachen da mache ich nicht.«

«Aber Sie können doch — ich meine — Sie können doch all diese Leute nicht draufsetzen. Die werden nicht in Ihre Filme gehen, wenn Sie nicht erscheinen, obwohl, äh — wir, äh, nun ja — es versprochen haben.«

«Dann müssen Sie ihnen eben sagen, daß Sie mich verpflichtet haben, ohne mich vorher zu fragen.«

«Das wird Worldic nicht recht sein.«

«Es wird ihnen nicht recht sein, weil es möglicherweise auf ihre Einnahmen drückt. Aber sie sind selbst schuld daran. Wenn sie dachten, sie könnten mich durch eine Art Erpressung dazu bringen, daß ich diese Veranstaltungen besuche, haben sie sich getäuscht.«

Clifford Wenkins sah mich besorgt an und van Horen ein wenig neugierig, und ich wußte, daß mir allen guten Vorsätzen zum Trotz der Ärger anzumerken war.

Ich bekam Mitleid mit Clifford Wenkins und nahm mich zusammen.»Sagen Sie Worldic, daß ich die ganze kommende Woche nicht in Johannesburg bin. Sagen Sie ihnen, wenn sie vernünftig gewesen wären und hätten erst bei mir rückgefragt, hätte ich ihnen sagen können, daß ich bis zu der Premiere anderweitig verpflichtet bin.«

Er schluckte erneut und sah noch unglücklicher aus.

«Man sagte mir, ich müsse Sie überreden.«

«Das tut mir leid.«

«Vielleicht wirft man mich sogar raus.«

«Auch Ihnen zuliebe kann ich es nicht machen. Ich bin ja nicht hier.«

Er sah mich an wie ein geprügelter Spaniel, was ich überhaupt nicht putzig fand, und als ich nichts mehr sagte, wandte er sich empört ab und ging davon, wobei er die Papiere unsanft in die Seitentasche seines Jacketts stopfte.

Van Horen wandte den markanten Kopf und warf mir einen abschätzenden Blick zu.

«Warum haben Sie ihn abgeschmettert?«fragte er. Kein Vorwurf in der Stimme, lediglich Interesse.

Ich holte tief Atem, setzte mein klägliches Lächeln auf und drängte den Ärger zurück, den Clifford Wenkins hervorgerufen hatte wie einen allergischen Ausschlag.

«Ich mache so was nie mit — Schönheitswettbewerbe oder Festessen oder Eröffnungen.«

«Ja. Aber warum nicht?«»Ich habe nicht das Stehvermögen.«

«Sie sind doch kräftig«, meinte er.

Ich lächelte und schüttelte den Kopf. Es hätte überheblich geklungen, ihm zu sagen, daß ich mich nach sogenannten» persönlichen Auftritten «ausgehöhlt, ausgelaugt und aufgerieben fühlte und daß ich schmeichelhaften Grußreden nichts abgewinnen konnte. Das einzige Kompliment, daß ich wirklich gelten ließ, war das Geld, das die Leute an der Kinokasse zahlten.

«Wohin wollen Sie denn nächste Woche?«fragte er.

«Afrika ist groß«, sagte ich, und er lachte.

Wir schlenderten zurück, um uns den nächsten hoffnungsvollen Trupp im Führring anzusehen, und identifizierten die Nummer acht als Nerissas Stute Lebona.

«Sie sieht tadellos aus«, bemerkte van Horen.

«Sie wird auch tadellos ab kommen«, stimmte ich zu.»Und drei Viertel der Strecke wird sie gut laufen. Dann wird sie innerhalb von wenigen Schritten plötzlich ermüden und weg vom Fenster sein, und wenn sie zurückkommt, heben sich ihre Seiten, und sie sieht erschöpft aus.«

Er war verblüfft.»Das hört sich an, als wüßten Sie, was kommt.«

«Reine Vermutung. Ich habe Chink am Mittwoch in Newmarket so laufen sehen.«

«Aber glauben Sie denn, die laufen alle nach dem gleichen Muster?«

«Den Rennberichten nach sieht es so aus.«

«Was werden Sie Nerissa sagen?«

Ich zuckte die Achseln.»Ich weiß nicht… Wahrscheinlich, daß sie ihren Trainer wechseln soll.«

Zur gegebenen Zeit kehrten wir auf die Tribüne zurück und sahen Lebona wie erwartet laufen. Da van Horen offenbar nicht darauf brannte, mich zugunsten anregenderer Gesellschaft loszuwerden, und ich ihn ganz gern als Puffer um mich hatte, beschlossen wir, uns an einen der Tische unter den Sonnenschirmen der Cafeterrasse zu setzen und eine Erfrischung zu bestellen.

Zum erstenmal seit meiner Ankunft schien die Sonne richtig warm. Kein Luftzug bewegte die Fransen an den geblümten Schirmen, und rings umher legten die Damen ihre Mäntel ab.

Van Horen seufzte jedoch, als ich auf das schöne Wetter zu sprechen kam.

«Mir ist der Winter am liebsten«, sagte er.»Wenn es kalt, trocken und sonnig ist. Die Sommer sind naß und viel zu heiß, auch hier oben auf dem Highveld.«

«In Südafrika stellt man es sich immer heiß vor.«

«Das ist es natürlich auch. Kommt man erst runter auf Meereshöhe, kann es selbst um diese Jahreszeit schon sengend heiß sein.«

Der Schatten von zwei Männern fiel über den Tisch, und wir blickten auf.

Zwei Männer, die ich kannte. Conrad… und Evan Pentelow.

Ich übernahm die Vorstellung, und sie zogen Stühle heran und setzten sich zu uns: Conrad extravagant wie gewohnt, mit» lieber Junge «nur so um sich werfend, und Evan, die Haare widerspenstig wie gehabt, die Augen brennend wie eh und je.

Evan stürzte sich gleich ins Gefecht.»Jetzt weigern Sie sich ja wohl hoffentlich auch nicht, zu der Premiere von meinem Mann im Wagen zu erscheinen.«»Das klingt aber sehr nach Besitzerstolz«, sagte ich mild.»Es ist nicht ganz allein Ihr Werk.«

«Mein Name erscheint als erster im Vorspann«, entgeg-nete er aggressiv.

«Vor meinem?«

Die Plakate von Evans Filmen waren meist so gestaltet, daß oben groß»EVAN PENTELOW «stand, darunter der Titel des Films und darunter, eng zusammengedrängt im letzten Plakatdrittel, die Namen der Schauspieler. Piraterie war das, oder doch beinah.

Evan blickte böse, und ich nahm an, daß er meinen Vertrag für den Film eingesehen und dabei, wie ich selbst, festgestellt hatte, daß mein Agent in der Frage der Plazierung keine Mißverständnisse aufkommen ließ.

«Vor dem anderen Regisseur«, sagte er widerwillig.

Das mochte angehen. Er hatte zwar bei weniger als einem Viertel des Films Regie geführt, aber die Endfassung würde auf seiner Idee beruhen.

Van Horen verfolgte aufmerksam amüsiert unser Geplänkel.

«Wer an welcher Stelle genannt wird, ist also doch so wichtig wie man immer hört.«

«Es kommt darauf an«, - ich lächelte —»wer wem das Messer in den Rücken stößt.«

Evan hatte keinen Humor und war nicht belustigt. Statt dessen begann er von dem Film zu reden, den er als nächstes drehen wollte.

«Es ist eine Allegorie… Jeder Szene mit Menschen wird eine ähnliche gegenübergestellt, die unter Elefanten spielt. Sie sollten ursprünglich die Guten in der Handlung sein, aber inzwischen habe ich so einiges über Elefanten gelernt. Wußten Sie, daß die dem Menschen gefährlicher werden als jedes andere Tier in Afrika? Wußten Sie, daß die keinerlei Feinde haben außer den Elfenbeinjägern und daß infolge des Elfenbeinjagdverbots im Krüger-Park die Elefanten dort mitten in einer Bevölkerungsexplosion stehen? Sie vermehren sich pro Jahr um tausend, so daß in zehn Jahren für irgendwelche anderen Tiere kein Platz mehr sein wird und der Park wahrscheinlich auch keine Bäume mehr hat, da die Elefanten sie zu Hunderten ausreißen.«

Evan war wie immer, wenn ein Thema seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, dogmatisch und eindringlich.

«Und wußten Sie schon«, fuhr er fort,»daß Elefanten keine Volkswagen mögen? Diese kleinen, meine ich. Für gewöhnlich greifen Elefanten selten Autos an, aber auf Volkswagen scheinen sie geradewegs loszugehen.«

Van Horen lächelte ungläubig, was Evan naturgemäß zu noch größerem Eifer anspornte.»Es ist wahr! Ich nehme es vielleicht sogar mit in den Film rein.«

«Dürfte interessant sein«, meinte Conrad mit mehr als einem Hauch trockenen Humors.»Ein Auto, das als Köder rumsteht, ist doch mal etwas anderes als immer Ziegen und Tiger.«

Evan sah ihn scharf an, nickte aber.»Wir fahren am Mittwoch in den Park.«

Van Horen wandte sich mit bedauernder Miene zu mir.

«Schade, daß Sie nächste Woche da nicht auch hinfahren können, Link. Sie suchen ja etwas, und da hätte es Ihnen gefallen. Die Wildschutzgebiete sind so ungefähr das einzige, was noch vom alten, natürlichen Afrika geblieben ist, und der Krüger-Park ist groß und offen und noch immer ziemlich wild. Aber ich weiß, daß die Unterkünfte dort immer Monate im voraus ausgebucht sind.«

Ich hätte nie gedacht, daß Evan mich würde dabeihaben wollen, doch zu meiner Überraschung sagte er langsam:»Nun, zufälligerweise haben wir für Drix Goddart mitgebucht, aber der kommt erst in ein, zwei Wochen. Wir haben die Reservierung nicht rückgängig gemacht… Da wäre also ein Bett frei, wenn Sie mitkommen wollen.«

Ich blickte erstaunt zu Conrad, fand aber in seinen hochgezogenen Brauen und dem ironischen Mund keine Erklärung.

Wäre Evan nicht gewesen, hätte ich begeistert zugegriffen; aber selbst er war dem Programm von Clifford Wenkins wohl bei weitem vorzuziehen. Und wenn ich nicht zum Krüger-Park fuhr, der mich wirklich reizte, wohin dann?

«Würde ich gern«, sagte ich.»Schönen Dank auch.«

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