Kapitel 6

Danilo erschien um vier am Iguana Rock, mit einem gemieteten Triumph, einem knallroten, offenen Hemd und seinem sonnengebräunten breiten Lächeln.

Ich war selbst noch keine Stunde wieder zurück, da Conrad und ich bei Bier und Sandwiches lange in einer unauffälligen Bar herumgesessen hatten. Katya war ins Krankenhaus gekommen, einen verstörten Roderick im Schlepptau, und die anderen Reporter klopften sich momentan die Finger auf ihren Schreibmaschinen wund. Clifford Wenkins war irgendwann im Laufe der Ereignisse unbemerkt entflattert, und als Conrad und ich gingen, sahen wir auch ihn ernst in ein Telefongespräch vertieft. Zweifellos erstattete er Worldic Bericht. Ich unterdrückte einen mutlosen Seufzer. Nicht die Chance eines Schmetterlings im Schneesturm, daß irgendwer die ganze Geschichte als uninteressant abtun würde.

Danilo plauderte auf seine sorglose Art, während er uns die erhöhte Sir-de-Villiers-Graaf-Umgehungsstraße entlang fuhr, Gottes Geschenk an die Bewohner der Stadt, das den Durchgangsverkehr über ihre Häupter verlegte.

«Ich kann mir nicht vorstellen, wie Johannesburg war, bevor sie diese Schnellstraße gebaut haben«, bemerkte Danilo.»Die haben auch jetzt noch ein schweres Verkehrsproblem im Zentrum, und was das Parken angeht — da unten stehen mehr Autos am Straßenrand als einarmige Banditen in Nevada.«

«Sie sind schon länger hier, ja?«

«Ach woher«, sagte er grinsend.»Erst ein paar Tage. Aber ich war schon einmal hier, und man braucht sowieso nur zwanzig Minuten herumzukurven, bis man raushat, daß die Parkplätze dauernd belegt sind und die nächste Lücke mindestens eine Viertelmeile von da weg ist, wo man hinwill.«

Er fuhr ruhig und geschickt auf der für ihn verkehrten Straßenseite.

«Greville wohnt in der Nähe von Turffontein«, sagte er.»Wir gehen jetzt gleich von der Hochstraße runter… Stand auf dem Schild da Ausfahrt Eloff Street?«

«Ja«, bestätigte ich.

«Prima. «Er nahm die Abzweigung, und wir verließen die südafrikanische M 1, um bald darauf an einigen Fußballplätzen und einer Eisbahn vorbeizukommen.

«Sie nennen das Wembley«, sagte Danilo.»Und da drüben ist ein See namens Wemmer Pan, zum Bootfahren. Da haben sie auch eine Wasserorgel, die bunte Fontänen im Takt zur Musik in die Luft schießt.«

«Waren Sie mal dort?«

«Nein… Greville hat mir das erzählt, glaub’ ich. Er sagt auch, es ist eine ideale Stelle, um halbverweste Leichen und Torsos ohne Kopf an Land zu ziehen.«

«Hübsch«, sagte ich.

Er lachte.

Bevor wir nach Turffontein kamen, bog er auf eine Nebenstraße ab, die kurz darauf zu harter, festgebackener Erde wurde, bedeckt mit einer Lage Staub.

«Hier hat es schon vier oder fünf Monate nicht geregnet«, sagte Danilo.»Sieht alles ganz schön trocken aus.«

Das Gras war in der Tat bräunlich, aber damit hatte ich gerechnet. Dagegen erstaunte es mich, von Danilo zu hören, daß in einem Monat, wenn der Regen kam und die Tage wärmer wurden, die ganze Gegend farbenfroh und grün im Saft stehen würde.

«Schade, daß Sie die Jacarandas nicht mehr erleben werden«, sagte Danilo.»Die blühen hier überall, wenn Sie wieder weg sind.«

«Haben Sie sie mal gesehen?«

Er zögerte.»Na ja, also nicht direkt. Als ich voriges Mal hier war, haben sie nicht geblüht. Es ist nur das, was Greville sagt.«

«Verstehe«, sagte ich.

«Wir sind da. Zu Greville geht’s da rauf. «Er zeigte, bog dann zwischen ein paar schmucklosen Backsteinsäulen ein und fuhr eine kiesbestreute Auffahrt entlang zu einem Stall, der aussah, als sei er geradewegs aus England hierher verpflanzt worden.

Arknold war bereits draußen auf dem Hof und unterhielt sich mit einem schwarzen Afrikaner, den er als seinen Futtermeister Barty vorstellte. Er sah so hart aus wie Arknold selbst; ein kräftiger, untersetzter Mann um die Dreißig mit einem dicken Hals und ernsten, kalten Augen. Der erste Schwarzafrikaner, dachte ich ein wenig überrascht, dessen Gesichtsausdruck auf mich nicht gutmütig wirkte. In seinem Benehmen lag jedoch nichts als Höflichkeit, und er erwiderte Danilos Gruß mit einem Nicken, wie es unter Leuten üblich ist, die sich öfter sehen.

Arknold sagte, es sei alles bereit, und ohne weitere Umstände begannen wir mit dem Stallrundgang. Die Pferde waren alle wie die, die ich auf der Bahn gesehen hatte: steilgefesselt, von etwas weniger starkem Knochenbau als die daheim.

Es gab nichts, was Nerissas Pferde von ihren Stallgefährten unterschied. Sie sahen genauso gut aus, hatten genauso feste Beine, genauso glänzende Augen; und sie waren auch nicht in einem Block zusammengelegt, sondern zwischen den übrigen verteilt. Hengste in einem Komplex, Stuten in einem anderen. Alles wie es sein sollte, wie es normalerweise in England war.

Die Pfleger — die Boys — waren alle jung und alle schwarz. Wie Pferdepfleger auf der ganzen Welt hingen sie voller Stolz an den Tieren, die sie betreuten, doch neben dem Stolz trat ein zweites Verhaltensmuster recht klar zutage.

Sie begegneten mir lächelnd, Arknold mit Respekt und Barty mit unverkennbarer Furcht.

Ich wußte nicht, ob vielleicht irgendeine Stammessituation ihm solche Macht über sie gab, und fand es nie heraus, doch ihren argwöhnischen Blicken und ihrem Zurückweichen, wenn er sich näherte, war zu entnehmen, daß er sie in einer viel strengeren Knechtschaft hielt, als ein britischer Futtermeister es sich je hätte erlauben können.

Ich dachte an die eiserne Hand zurück, mit der einst mein Vater regierte. Die Pfleger hatten vor ihm gekuscht, die Lehrlinge hatten pariert, und auch ich war seinen Wünschen zügig nachgekommen, aber ich entsann mich nicht, daß jemand regelrecht Angst vor ihm gehabt hätte.

Ich sah Barty an, und mir schauderte leicht. Ich hätte nicht gern unter ihm gearbeitet, so wenig wie Arknolds Pfleger.

«Das ist Tables Turned«, sagte Arknold gerade und ging auf die Tür der Box eines dunklen Fuchshengstes zu.»Ein Pferd von Mrs. Cavesey. Läuft am Samstag in Ger-miston.«»Ich wollte vielleicht nach Germiston fahren«, sagte ich.

«Großartig«, meinte Danilo begeistert.

Arknold nickte eher zurückhaltend und sagte, er werde an der Kasse Freikarten für mich bereitlegen lassen.

Wir gingen in die Box und musterten Tables Turned von Kopf bis Fuß, wie üblich zunächst schweigend, wobei Arknold besonders auf Veränderungen gegenüber dem Vortag achtete und ich auf etwas nicht zu Unvorteilhaftes sann, das sich über ihn sagen ließ.

«Guter Hals«, lobte ich.»Gute, kraftvolle Schultern. «Und ein bißchen rattenartig um den Kopf rum, dachte ich.

Arknold zuckte bedrückt die Achseln.»Für die Wintersaison habe ich ihn mit nach Natal genommen, genau wie die anderen. Hatte fast das ganze Lot für knapp drei Monate da unten, wie jedes Jahr. Wir halten sie in Summerveld, verstehen Sie?«

«Wo ist Summerveld?«fragte ich.

«Besser, was ist Summerveld«, sagte er.»Es ist ein großes Gebiet mit Stallungen für rund achthundert Pferde in Shongweni bei Durban. Wir buchen immer einen Stallblock für die Saison. Sie haben dort alles, was man braucht, in Reichweite — Arbeitsbahn, Restaurants, Herbergen für die Boys, alles. Und die Schule für Jockeys und Lehrlinge ist auch da.«

«Aber dieses Jahr hatten Sie nicht viel Erfolg?«sagte ich mitfühlend.

«Wir haben mit den anderen ein paar Rennen gewonnen, aber Mrs. Caveseys Lot… Also, das sind so viele, da kann ich’s mir offen gestanden nicht leisten, wenn die alle ausfallen. Schadet meinem Ruf, verstehen Sie?«

Ich verstand es. Und ich dachte bei mir, daß er es gelassener nahm, als am Platz gewesen wäre.

«Tables Turned hier«, sagte er und klopfte dem Pferd aufs Hinterteil,»der schien nach seiner Abstammung und seiner Anfangsform ein ziemlich guter Kandidat für das Hollis Memorial Plate im Juni zu sein — das ist ein Spitzenrennen für Zweijährige —, und er ist genauso gelaufen wie Chink, den Sie in Newmarket gesehen haben. Fünfhundert Meter vorm Ziel bricht er ein und endet erschöpft, obwohl ich geschworen hätte, daß er so fit wie nur irgendeiner ist.«

Er nickte dem Boy zu, der den Kopf des Pferdes hielt, drehte sich auf dem Absatz um und ging aus der Box. Weiter unten in der Reihe kamen wir zu einem anderen Pferd Nerissas, über das er sich besonders empörte.

«Also dieser Hengst, Medic, der hätte wirklich jeden schlagen müssen. Ich dachte mir, er würde das Natal Free Handicap im Juli gewinnen, aber schließlich hab’ ich ihn gar nicht erst nach Clairwood geschickt. Die vier Rennen davor waren zu beschämend.«

Ich hatte stark das Gefühl, daß sein Ärger nur zum Teil echt war. Was sollte man davon halten? Es schien ihn durchaus zu kümmern, daß die Pferde alle versagt hatten, und doch war ich mir sicher, daß er nicht nur wußte, woran es lag, sondern es auch selbst in die Wege geleitet hatte.

Begleitet von Barty, der jeden verschüchterten Boy mit vorstoßendem schwarzen Finger auf Versäumnisse hinwies, inspizierten wir das ganze Lot durch und gingen dann auf einen Drink rüber ins Haus.

«Die Pferde von Mrs. Cavesey gelten natürlich jetzt als Dreijährige«, sagte Arknold.»Das Rennalter wechselt hier am 1. August, nicht am 1. Januar wie bei Ihnen.«

«Ja«, sagte ich.

«Im August gibt es wenig gute Rennen bei uns in Südafrika. Nichts, was für Sie sonderlich interessant wäre, glaube ich.«»Ich finde das alles äußerst interessant«, sagte ich wahrheitsgemäß.»Werden Sie Mrs. Caveseys Pferde denn auch als Dreijährige starten lassen?«

«Solange sie die Trainingsgebühren zahlt«, sagte er düster.

«Und wenn sie zu verkaufen beschließt?«

«Sie bekäme jetzt sehr wenig dafür.«

«Aber wenn — würden Sie welche kaufen?«fragte ich.

Er antwortete nicht gleich, da er uns den Weg in sein Büro wies, einen quadratischen Raum voller Papiere, Rennberichte, Aktenschränke und harter Stühle mit geraden Lehnen. Arknolds Gäste sollten es anscheinend nicht so bequem haben, daß sie länger blieben als erwünscht.

Ich wiederholte meine Frage unklugerweise und bekam Arknolds gebündelte Galle ins Ohr.

«Hören Sie, Mister«, sagte er heftig,»was Sie da unterstellen, gefällt mir nicht. Sie wollen damit sagen, daß ich vielleicht Rennen verliere, um die Pferde billig kaufen zu können, und wenn sie dann mir gehören, Rennen gewinne und sie mit Profit in die Zucht verkaufe. Das meinen Sie doch, Mister.«

«Ich habe nichts dergleichen gesagt«, widersprach ich mild.

«Sie denken es aber.«

«Nun«, sagte ich,»es war eine Möglichkeit. Wenn Sie es mal objektiv von außen betrachten, hätten Sie dann nicht auch daran gedacht?«

Er blickte immer noch finster, aber die Feindseligkeit legte sich langsam. Ich wünschte, ich hätte entscheiden können, ob er wütend geworden war, weil ich ihn beleidigt hatte oder weil ich der Wahrheit zu nah gekommen war.

Danilo, der die ganze Zeit hinterhergelaufen war und sonnige Bemerkungen an niemand Bestimmten gerichtet hatte, versuchte seinen gereizten Freund zu beruhigen.

«Ach kommen Sie, Greville, er hat’s nicht so gemeint.«

Arknold warf mir einen säuerlichen Blick zu.

«Na, kommen Sie. Tante Nerissa hat ihm wahrscheinlich gesagt, er soll, wenn’s geht, nach Gründen suchen. Kann man ihr doch nicht verdenken, wo sie all das gute Geld in schlechte Pferde steckt, Greville, hab’ ich recht?«

Arknold gab sich einigermaßen besänftigt und bot uns etwas zu trinken an. Danilo lächelte breit und sagte erleichtert, es ginge ja nun nicht, es käme gar nicht in die Tüte, daß wir uns zankten.

Ich nippte an meinem Drink und sah die beiden an. Schicker, strahlender Goldjunge. Mürrischer, bulliger Mann mittleren Alters. Beide tranken und beobachteten mich über den Rand ihrer Gläser hinweg.

Ich konnte ihnen keinen Zentimeter in die Seele blicken.

Im Iguana Rock erwartete mich ein durch Boten abgegebener Brief. Ich las ihn oben in meinem Zimmer, an dem Fenster stehend, das auf die Gärten, die Tennisplätze und die großartige afrikanische Landschaft hinausging. Es dämmerte schon und würde bald dunkel sein, aber die selbstbewußte Handschrift war noch gut zu sehen.

Sehr geehrter Mr. Lincoln,

Ich habe ein Telegramm von Nerissa Cavesey erhalten mit der Bitte, Sie zum Dinner einzuladen. Meine Frau und ich würden uns freuen, Sie im Verlauf Ihres Besuches als unseren Gast begrüßen zu dürfen, falls Sie uns das Vergnügen machen können.

Nerissa ist die Schwester von Portia, der Frau meines verstorbenen Bruders, und durch ihre Besuche hier sind wir eng mit ihr befreundet. Ich erkläre dies, da

Mr. Clifford Wenkins von Worldic Cinemas, der mir nur widerstrebend mitteilte, wo Sie zu erreichen sind, nachdrücklich betont hat, daß Ihnen an privaten Einladungen nichts liege.

Mit bestem Gruß, Quentin van Horen

Hinter den steifen, höflichen Sätzen spürte man die Gereiztheit, mit der er diese Zeilen geschrieben hatte. Ich war offenbar nicht der einzige, der Nerissa zuliebe etwas auf sich nahm, das ihm gegen den Strich ging; und Clifford Wenkins hatte mit der vorwitzigen Verkennung seiner Kompetenzen die Lage keineswegs verbessert.

Ich ging zum Telefon am Bett hinüber und wählte die Nummer, die neben der Adresse auf dem Briefkopf stand.

Der Anruf wurde von einer schwarzen Stimme entgegengenommen — einer Frau, die sagte, sie wolle schauen, ob Mr. van Horen zu Hause sei.

Mr. van Horen entschied, daß er es war.

«Ich rufe an, um mich für Ihren Brief zu bedanken«, begann ich.»Und um Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Einladung, während meines Aufenthalts einmal bei Ihnen zu Abend zu essen, sehr gern annehme. «Ultrahöflich sein konnte ich auch.

Seine Stimme war so fest wie seine Handschrift und ebenso reserviert.»Gut«, kam die Antwort, aber allzuerfreut klang sie nicht.»Nerissa tut man immer gern einen Gefallen.«

«Ja«, sagte ich.

Eine Pause entstand. Man konnte kaum behaupten, daß unser Gespräch in schwindelerregendem Tempo dahinrauschte.

Hilfsbereit sagte ich:»Ich bin bis Mittwoch in einer Woche hier.«

«Verstehe. Ja. Aber ich bin die ganze nächste Woche nicht zu Hause, und diesen Samstag und Sonntag haben wir schon etwas vor.«

«Dann machen Sie sich bitte keine Gedanken«, sagte ich.

Er räusperte sich.»Morgen«, meinte er zweifelnd,»wären Sie wohl nicht frei? Oder noch heute abend? Mein Haus ist nicht weit vom Iguana Rock… aber bestimmt sind Sie längst vergeben.«

Morgen früh, dachte ich, würden sämtliche Zeitungen mindestens eine Meldung über die Freundin von Roderick Hodge bringen. Bis morgen abend konnte es Mrs. van Horen einfallen, in ihrem Haus die Art von Party aufzuziehen, an der mir nichts lag. Und morgen abend war ich mit Conrad zum Essen verabredet, obwohl sich das notfalls verschieben ließ.

Ich sagte:»Wenn es Ihnen nicht zu kurzfristig ist, wäre mir heute abend sehr recht.«

«Also gut. Sagen wir, um acht? Ich schicke Ihnen meinen Wagen.«

Beim Auflegen bedauerte ich schon halb, daß ich gesagt hatte, ich würde kommen, denn seine Freude über meine Zusage war ungefähr so lebhaft wie ein pochiertes Ei. Doch die Alternativen waren die gleichen wie am Abend zuvor: entweder im Restaurant des Iguana Rock zu essen, wo man mir von den anderen Tischen Seitenblicke zuwarf, oder allein auf meinem Zimmer, mit dem Wunsch, daheim bei Charlie zu sein.

Das Haus, zu dem mich der Wagen der van Horens brachte, war groß, alt und roch schon auf der marmornen Türschwelle nach Geld. Die Halle war riesig, mit einer ins

Unsichtbare entschwebenden Decke, und hatte auf allen vier Seiten eine anmutige Kolonnade, mit Säulen und Rundbögen: Es sah aus wie eine reizende kleine italienische Piazza mit einem Dach irgendwo oben darüber.

Aus einer Tür unter der Kolonnade auf der anderen Seite kamen ein Mann und eine Frau in die Halle.

«Ich bin Quentin van Horen«, sagte er.»Und das ist meine Frau Vivi.«

«Guten Tag«, sagte ich höflich und gab ihnen die Hand.

Eine kleine Pause trat ein.

«Ja. so«, sagte er und machte eine Gebärde, die fast ein Achselzucken war.»Dann kommen Sie mal rein.«

Ich folgte ihnen in den Raum, aus dem sie gekommen waren. Im hellen Licht dort war Quentin van Horen sofort als ein seriöser, vermögender Mann zu erkennen, denn ihn umgab jene unverwechselbare Aura von Erfahrung, Tüchtigkeit und Sachverstand, die wahre Autorität ausmacht. Da Solidität und Professionalismus mir vertraute Eigenschaften waren, war ich gleich geneigt, ihn mehr zu mögen als er wahrscheinlich mich.

Vivi, seine Frau, war anders: elegant anzusehen, aber geistig nicht auf demselben Niveau.

Sie sagte:»Setzen Sie sich doch, Mr. Lincoln. Wir sind so froh, daß Sie kommen konnten. Nerissa ist uns eine sehr liebe Freundin.«

Sie hatte kühle Augen und routinierte Umgangsformen. In ihrer Stimme lag weniger Wärme als in ihren Worten.

«Whisky?«fragte van Horen, und ich sagte:»Ja, danke «und bekam das Glas voll Wasser mit dem Spritzer Scotch.

«Leider habe ich noch keinen Ihrer Filme gesehen«, sagte van Horen ohne hörbares Bedauern, und seine Frau setzte hinzu:»Wir gehen selten ins Kino.«

«Sehr klug«, sagte ich neutral, und beide wußten nicht recht, wie sie das auffassen sollten.

Ich fand es im großen ganzen leichter, mit Leuten umzugehen, die mich kurz abfertigten, als mit Schmeichlern aller Art. Den Achselzuckern fühlte ich mich nicht verpflichtet.

Ich setzte mich auf das Goldbrokatsofa, auf das sie gedeutet hatte, und nippte an meinem verpanschten Drink.

«Hat Nerissa Ihnen gesagt, daß sie… krank ist?«fragte ich.

Sie setzten sich beide ohne Eile. Van Horen verrückte ein kleines Kissen, drehte sich dabei im Sessel, um zu sehen, was er machte, und antwortete über seine Schulter hinweg.

«Sie hat vor einiger Zeit geschrieben. Sie schrieb, mit ihren Drüsen stimme etwas nicht.«

«Sie stirbt«, sagte ich geradeheraus und bewirkte damit ihre erste ehrliche Reaktion. Sie hörten auf, an mich zu denken. Dachten an Nerissa. An sich selbst. Der Schock und das Bedauern in ihren Gesichtern waren echt.

Van Horen hielt noch das Kissen in der Hand.

«Sind Sie sicher?«sagte er.

Ich nickte.»Sie hat es mir selbst gesagt. Ein oder zwei Monate, sagt sie, bleiben ihr noch.«

«O nein«, sagte Vivi, und der Kummer stach durch den gesellschaftlichen Firnis wie eine Distel im Orchideenbeet.

«Ich kann es nicht glauben«, rief van Horen aus.»Sie ist immer so voll Leben. So fröhlich. So vital.«

Ich dachte an Nerissa, wie ich sie zurückgelassen hatte: die Vitalität dahin, das Leben selbst rapide im Schwinden begriffen.

«Sie macht sich Sorgen um ihre Rennpferde«, sagte ich.»Die Pferde, die Portia ihr hinterlassen hat.«

Sie waren beide noch nicht bereit, an Rennpferde zu denken. Van Horen schüttelte den Kopf, legte das Kissen endgültig in seinem Sessel zurecht und starrte ins Leere. Er war ein gut gebauter Mann in den Fünfzigern, mit edlen grauen Schläfen wie Hermesflügel. Im Profil gesehen, war seine Nase oben stark gehöckert, endete aber gerade und kurz, ohne den Eindruck einer Hakennase zu vermitteln. Er hatte einen vollippigen, festen, klar gezeichneten Mund, Hände mit geraden, gut manikürten Fingernägeln und trug einen dunkelgrauen Anzug, mit dem sich jemand viel Mühe gegeben hatte.

Die Tür zur Halle wurde plötzlich geöffnet, und ein Junge und ein Mädchen, die sich erstaunlich ähnlich sahen, kamen herein. Er, ungefähr zwanzig, hatte den leicht verdrießlichen Zug eines jungen Mannes, der sich bei aller Lust am Rebellieren nicht entschließen konnte, das feudale Elternhaus zu verlassen. Sie, ungefähr fünfzehn, hatte die unkomplizierte Direktheit eines Mädchens, dem der Gedanke an Rebellion noch nicht gekommen war.

«Oh, Entschuldigung«, sagte sie.»Wußte nicht, daß jemand mit uns zu Abend ißt. «Sie kam in ihren Jeans und einem blaßgelben T-Shirt durch den Raum, hinter ihr der ähnlich gekleidete Bruder.

Van Horen sagte:»Das sind mein Sohn Jonathan und meine Tochter Sally.«

Ich stand auf, um dem Mädchen die Hand zu geben, was sie anscheinend belustigte.

«Na sowas«, sagte sie.»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie wie Edward Lincoln aussehen?«

«Ja«, sagte ich,»der bin ich auch.«

«Wer sind Sie?«»Edward Lincoln.«

«Aber sicher. «Sie sah mich genauer an.»Menschens-kind. Du lieber Himmel. Der sind Sie auch. «Dann zweifelnd, besorgt, ich könnte sie zum Narren halten:»Sind Sie es wirklich?«

Ihr Vater sagte:»Mr. Lincoln ist ein Freund von Mrs. Cavesey.«

«Tante Nerissa! Stimmt ja. Sie hat uns mal erzählt, daß sie Sie gut kennt. Die ist richtig lieb, was?«

«Ja«, sagte ich und setzte mich wieder.

Jonathan betrachtete mich ruhig, mit kalten, unbeeindruckten Augen.

«So Filme wie Ihre sehe ich mir nie an«, stellte er fest.

Ich lächelte ein wenig und antwortete nicht; solche herabsetzenden Bemerkungen wurden mir mehr oder minder aggressiv fast jede Woche an den Kopf geworfen. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß die einzige nicht provozierende Antwort darauf Schweigen war.

«Aber ich«, sagte Sally.»Ich hab’ eine ganze Reihe gesehen. Haben Sie das Pferd in Spion über Land wirklich selbst geritten, wie’s auf den Plakaten stand?«

Ich nickte.»Mhm.«

Sie sah mich nachdenklich an.»Wären Sie da mit einem gebißlosen Zaum nicht besser gefahren?«

Ich lachte unwillkürlich.»Nein. Ich weiß, daß laut Drehbuch das Pferd ein sehr empfindliches Maul hatte, aber das Pferd, auf das sie mich dann gesetzt haben, hatte ein hartes.«

«Sally ist eine große Pferdefreundin«, sagte ihre Mutter überflüssigerweise.»Sie hat die Großpony-Klasse hier beim Osterturnier gewonnen.«

«Auf Rojedda Reef«, fügte Sally hinzu.

Der Name sagte mir nichts. Die anderen dachten aber offensichtlich, er sei mir bekannt. Sie sahen mich erwartungsvoll an, und schließlich sagte Jonathan von oben herab:»So heißt unsere Goldmine.«

«Ah ja? Ich wußte nicht, daß Sie eine Goldmine haben. «Ich sagte das halb absichtlich in dem gleichen Tonfall, in dem Vater und Sohn gesagt hatten, sie sähen sich meine Filme nicht an, und Quentin van Horen bemerkte es. Unvermittelt wandte er sich mir zu, und ich spürte, wie ein Lächeln in meine Augen stieg.

«Ja«, sagte er nachdenklich und hielt meinen Blick fest.»Ich verstehe. «Seine Lippen zuckten.»Hätten Sie Lust, mal eine zu besichtigen? Sich den Betrieb anzusehen?«

Den erstaunten Gesichtern der übrigen Familie entnahm ich, daß sein Angebot mehr oder weniger das Gegenstück zu einer von mir vorgeschlagenen Pressekonferenz war.

«Das würde ich sehr, sehr gern«, versicherte ich ihm.

«Ich fliege Montag früh nach Welkom runter«, sagte er.»Das ist der Ort, wo Rojedda liegt. Ich bleibe die ganze Woche da, aber wenn Sie Montag mit mir kommen, können Sie am selben Abend zurückfliegen.«

Ich sagte, das wäre großartig.

Gegen Ende des Abendessens hatte das van Horen-Lincoln-Bündnis sich so weit entwickelt, daß drei von der Familie beschlossen, am Samstag mit nach Germiston zu kommen, um Nerissas Pferde laufen zu sehen. Jonathan sagte, er habe Wichtigeres zu tun.

«Was denn zum Beispiel?«hakte Sally ein.

Jonathan wußte es nicht genau.

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