Als Frau Wurm von den Ereignissen in der Bibliothek hörte, bekam sie einen so heftigen Schluckauf, daß sie sich erst mal aufs Sofa legen mußte.
»Soll üch sü oin büßchön örschröckön?« säuselte Hugo hilfsbereit. »Vülloicht oin büßchön Oisfüngörküt- zöln? Jo?«
»Nein«, sagte Tom. »Aber du kannst Tür und Fenster im Auge behalten. Wer weiß, wann die Blutige Baronin wiederkommt.«
»Wü longwoilüg!« säuselte Hugo. »Nümondön örschröckön, nüchts zu össön ols Spünnön, pfui Toi- föl!«
»Nun hört euch das an!« rief Hedwig Kümmelsaft. Sie saß mit dem dicken alten Buch, das Jasparas Geist ihr so gern entrissen hätte, vor dem Kamin. »Hier steht, daß die Blutige Baronin an ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag bei Morgengrauen von ihrer Schwägerin in den Burggraben gestoßen wurde, wo sie jämmerlich ertrank. Das bedeutet.«
»Aber das ist ja - icks«, Frau Wurm bekam einen knallroten Kopf. »Das ist ents-icks - ents-icks...«
»Entsetzlich? Och, ich glaube, sie hatte es nicht besser verdient«, sagte Tom. »Aber das bedeutet, daß sie zur Geistergattung der SPUMIDUVs gehört, was ziemlich interessant ist.«
»SPUMIDUVs?« fragte Herr Wurm.
»Spuk mit dunkler Vergangenheit«, übersetzte Tom. »Und da sie im Wassergraben gelandet ist, schätze ich, daß sie auch ein paar Eigenschaften der sogenannten SCHLAWAGs angenommen hat.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist 'ne teuflische Mischung.«
»SPUMIBLUV, SCHLAWAGONG«, Frau Wurm schüttelte verständnislos den Kopf. »Was bedeutet das?«
»Nun«, Frau Kümmelsaft ließ sich mit einem Seufzer aufs Sofa sinken. »Dafür, Tom, wirfst du am besten deinen Computer an.«
»Wird gemacht«, sagte Tom und stellte seinen kleinen, handlichen Laptop auf den Tisch. »Igitt!« rief er. »Hugo, hast du schon wieder an dem Computer rumgeschleimt?«
»Ooch«, säuselte Hugo. »Nur oin büßchön. Oin kloi- nös büßchön.«
»Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, streu' ich Salz drauf«, schimpfte Tom. »Kapiert?«
»Jo, jooo«, maulte Hugo. »Schon gut.«
Ärgerlich wischte Tom den Gespensterschleim ab und klappte den Bildschirm hoch. »Na, ein Glück, daß der Akku voll ist«, sagte er. »Sonst hätten wir ohne Strom ganz schön alt ausgesehen.«
Blitzschnell flitzten seine Finger über die Tastatur. »FOG« erschien auf dem kleinen Bildschirm. »DATEI P- Z. Stichwort SPUMIDUV.«
»Da ist es«, murmelte Tom. »Also los.« Er drückte auf die Enter-Taste, und schon füllte sich der Bildschirm mit Text.
»Lies vor«, sagte Hedwig Kümmelsaft. Und Tom las:
»SPUMIDUV Spuk mit dunkler Vergangenheit
Die große Gattung der HISPEGs hat viele Unterarten, von denen mit Sicherheit eine besonders schwer zu bekämpfen ist: der SPUMIDUV. Diese Gespensterart zeichnet sich schon zu Lebzeiten durch außerordentlich unangenehme Charaktereigenschaften aus, die sich nach ihrem Ableben noch verstärken. Dies gilt in besonderem Maße für SPUMIDUVs, die ein gewaltsames Ende genommen haben. Diese Exemplare einer höchst unangenehmen Gattung verfügen über die scheußliche Fähigkeit des Körperschlüpfens, wobei sie in einen lebendigen Körper schlüpfen.
Bei dem Opfer hinterläßt dieser unappetitliche Vorgang eine große seelische Verwirrtheit, verbunden mit einem oft bis zu 24 Stunden anhaltenden heftigen Schluckauf.«
»Vierund-icks-zwanzig Stunden - icks - o nein!« seufzte Frau Wurm.
Tom las weiter:
»Über die Bekämpfung der SPUMIDUVs mit der Fähigkeit des Körperschlüpfens ist wenig bekannt, da jedes Exemplar so einzigartig ist, daß jede Verallgemeinerung bei der Bekämpfung gefähr-
lich wäre. Eins steht jedoch fest: eine Vertreibung ist nur, wir betonen, ausschließlich in der Todesstunde des jeweiligen Exemplars möglich. Wird diese nicht herausgefunden, so ist jeder Versuch einer Vertreibung vollkommen sinnlos.«
»Die Todesstunde!« rief Herr Wurm. »Na, ein Glück. Das wissen wir. Die Morgendämmerung.«
»Ja, aber wann?« Tom schob seine Brille zurecht. »Im Winter oder im Sommer? Das kann schließlich mehrere Stunden Unterschied bedeuten. Ohne den genauen Tag hilft uns das herzlich wenig.«
Bestürzt sahen die Wurms einander an.
»Nun, darüber können wir uns noch später den Kopf zerbrechen«, sagte Frau Kümmelsaft. »Das finden wir schon irgendwie heraus. Jetzt wüßte ich gern noch etwas über die Folgen des feuchten Ablebens der Baronin. Gib doch bitte mal Spumiduv/Tod durch Ertrinken ein.«
»Ist okay«, sagte Tom.
Wieder füllte sich der Bildschirm. Und wieder las Tom laut vor:
»SPUMIDUV/SCHLAWAGSCHLAmmWAsserGeist Sollte der SPU- MIDUV, mit dem es ein Gespensterjäger zu tun bekommt, ein gewaltsames Ende im Wasser gefunden haben, so resultiert hieraus wiederum eine äußerst tückische Spukform, deren unangenehmste Fähigkeit das Strom schlürfen ist. Diese Gespensterart schlürft Strom aus sämtlichen verfügbaren Quellen: Steckdosen, Kabeln, elektrischen Geräten, ja sogar Batterien. Durch diese energiereiche Nahrung kann ein SPUMIDUV eine solche Kraft entwickeln, daß er seine Gegner durch bloße Berührung verflüssigt, und - was besonders entsetzlich ist - er schlürft die Pfütze seiner Opfer auf und wird dadurch noch mächtiger.«
»Aber das ist ja widerlich!« rief Herr Wurm. »Einfach widerlich. Wie gut, daß wir diesem Monstrum den Strom abgeschaltet haben.«
»Warten Sie«, sagte Tom. »Moment mal.« Er runzelte die Stirn. »Der Akku von meinem Computer ist spukgesichert, unsere Autobatterie auch. Aber ich hoffe, Sie haben hier nicht irgendwo Batterievorräte oder so was?«
Die Wurms wurden leichenblaß.
»Dodododoch!« stammelte Herr Wurm. »In den ehemaligen Pferdeställen stehen die Autos des Grafen, alle mit nagelneuen Batterien. Ich habe sie erst letzte Woche überprüft. Der Graf sammelt alte Wagen, wissen Sie, und er besteht darauf, daß alle jederzeit fahrbereit sind.«
Hedwig Kümmelsaft und Tom wechselten einen alarmierten Blick.
»Autobatterien!« stöhnte Tom. »Wie viele?«
»Fünf«, antwortete Herr Wurm.
»Fünf.« Frau Kümmelsaft schüttelte besorgt den Kopf. »Du meine Güte. Wo sind die Dinger untergebracht?«
»Im linken - icks - Seitenflügel der Burg«, sagte Frau Wurm.
»Wo früher die Pferde standen. Die Zugbrücke mußte für die Autos stabilisiert werden.« Erschrocken sah sie die Gespensterjäger an. »O Gott, meinen Sie etwa.«
»Das meine ich in der Tat!« Frau Kümmelsaft sprang auf. »Wenn wir nicht alle als Pfützen enden wollen, sollten wir die Wagen schleunigst überprüfen.«
»Wir kommen mit«, sagte Herr Wurm. »Nicht wahr, meine Liebe?«
Frau Wurm rückte ihre Schleife zurecht. »Auf- icks - jeden Fall.«
»Das halte ich aber für keine gute Idee«, widersprach Tom. »Was ist, wenn die Baronin auch schon an die Wagen gedacht hat und uns draußen erwartet, vollgeschlürft bis oben hin mit Strom?«
»Und was ist, wenn sie - icks - hier in der Burg ist«, fragte Frau Wurm mit bebender Stimme, »und kommt, sobald Sie - icks - draußen sind?«
»Hugo kann doch zu Ihrem Schutz bei Ihnen bleiben«, schlug Tom vor.
Die Wurms warfen Hugo einen mißtrauischen Blick zu - was der allerdings gar nicht mitbekam, denn er schnüffelte gerade an Toms Rucksack herum.
»O bitte, wir - icks - würden wirklich gern mitkommen!« rief Frau Wurm. »Ich möchte - icks - nicht noch einmal körpergeschlüpft werden.«
»Na gut«, Hedwig Kümmelsaft zuckte die Schultern, »wenn Sie das so sehen. Dann möchte ich Sie aber bitten, Gummi Stiefel und Gummihandschuhe anzuziehen.
Das wird Sie vielleicht ein bißchen vor der Berührung der Baronin schützen. Und noch eins: Sollte die Baronin uns begegnen und sollte sie die Batterien schon geschlürft haben.«
Die Wurms blickten sie mit angstvoll aufgerissenen Augen an.
»... dann sollten Sie rennen«, sagte Tom. »Rennen, so schnell Sie können, und zwar im Zickzack.«
»Wüoin Hooosö«, säuselte Hugo und verschwand bis zur Hüfte in Toms Rucksack.
»Ja, wie ein Hase Haken schlagen«, Hedwig Kümmelsaft nickte. »Das bringt Gespenster meist ziemlich durcheinander. Durch den ständigen Richtungswechsel fangen sie an zu schlottern wie.«
». wie ein wild gewordener Wackelpudding«, sagte Tom und grinste. »Wir werden dann versuchen, ihr den Strom wieder abzuzapfen.«
Er blickte Frau Kümmelsaft fragend an.
»Wie wär's, soll ich vorsichtshalber noch die Geisterpfeife mitnehmen?«
Hedwig Kümmelsaft nickte. »Kann nicht schaden. Also, gehen wir. Jede Minute ist kostbar.«
»Was ist mit dir, Hugo?« fragte Tom. »Willst du hier die Stellung halten oder mitkommen? Hugo?«
Von dem MUG war nichts zu sehen.
»Oh, verdammt, wo ist der denn nun schon wieder?« Entnervt sah Tom sich um.
»Ich glaube, er ist in Ihrem Rucksack verschwunden«, sagte Herr Wurm.
»Im Rucksack. Oh«, Tom grinste. »Na, da wird er wohl gleich wieder rauskommen.«
»Aaaaiiiiiiih!« kreischte Hugo und schoß wie eine schimmelgrüne Rakete aus dem Rucksack. »WÜBOI- GOIS!« heulte er. »Schoißlüchö, stünküg gömoinö
WÜBOIGOIS! Sü hobön müch ün du Füngör göbüs- sön!«
»Mann, die hätte ich fast vergessen«, sagte Tom kichernd.
»Die werde ich auf jeden Fall mitnehmen. Vielleicht nützen sie uns noch was. Wenn die Baronin nur halb so laut kreischt wie du, bin ich schon zufrieden.«
»Söhör wützüg«, säuselte Hugo und lutschte beleidigt an seinen Fingern herum. »Würklüch söhr, söhr wützüg!«