ACHTES KAPITEL Die Entführung

Als Blücher vorhin zu so später Nachtstunde zu Margot gekommen war, hatte diese sich höchlichst verwundert über diesen Besuch. Als sie aber seine Worte hörte, war eine fürchterliche Angst über sie gekommen, deren sie nicht Herr werden konnte.

„Donnerwetter! Jetzt kriegt ihn diese Bande! Gute Nacht!“ hatte er gesagt; dann war er gegangen. Gegangen? Nein, er war förmlich die Treppe hinabgesprungen, als ob es sich um eine große Gefahr handle.

Wen betraf die Gefahr? Jedenfalls den, den er hier gesucht hatte, also Königsau. Und worin bestand diese Gefahr? Wer war die ‚Bande‘, von welcher der Marschall gesprochen hatte? Bereits einmal war der Geliebte heute in Lebensgefahr gewesen; jetzt vielleicht wieder.

Sollte sie die Mutter und das Dienstmädchen wecken, welche beide bereits schliefen? Nein, diese konnten auch nicht helfen. Sie hätten nur die Angst mit gehabt.

So ging Margot im Zimmer auf und ab. Es wurde ihr zu eng, zu heiß. Sie konnte es nicht länger aushalten. Sie mußte hinaus in die freie Luft. Sie wollte nach der Wohnung des Geliebten gehen, um nachzusehen, ob sein Fenster erleuchtet sei. Sie war zwar noch nicht dort gewesen, aber er hatte sie ihr so deutlich beschrieben, daß sie gar nicht irren konnte.

Sie setzte also das Capuchon auf, schlang sich ein Tuch um die Schulter, nachdem sie schnell ein Oberkleid übergeworfen hatte, und ging.

Der Portier wunderte sich nicht wenig, als er bemerkte, wer es war, dem er abermals zu öffnen hatte.

„Um Gottes willen, Mademoiselle, was ist passiert, daß Sie wieder gehen?“ fragte er.

„Nichts, öffnen Sie nur schnell.“

Er sah beim Schein seiner Lampe ihre Blässe und fragte weiter:

„Wer war der Herr, der vorhin bei Ihnen klingelte und dann so stürmisch das Haus verließ? Ich konnte ihm gar nicht schnell genug öffnen.“

„Es war der Feldmarschall Blücher.“

„Mein Gott, da muß es sich um höchst wichtige Dinge handeln. Gehen Sie!“

Er ließ sie hinaus.

Sie wußte, daß der Geliebte die Richtung nach rechts eingeschlagen habe, und folgte derselben. Sie hatte kaum einige Schritte getan, so war es ihr, als ob sie in weiter Ferne zwei Schüsse schnell hintereinander fallen höre. Wem galten dieselben? Hingen sie im Zusammenhange mit der Gefahr, welche Blücher angedeutet hatte? Sie ertönten aus der Gegend, in welcher Königsau wohnte.

Es erfaßte sie eine unendliche Angst. Sie ging eiligen Schritts die Straße hinab und bog dann links um die Ecke. Dann ging es weiter. Sie sah in der Ferne Laternen, weit, weit unten. Sie eilte weiter, immer weiter. Die Laternen verschwanden wieder und nachher kam sie an das Haus, welches nach der erhaltenen Beschreibung von Königsau mit bewohnt wurde. Sie sah an keinem einzigen Fenster Licht. Wäre der Geliebte nach Hause gekommen, so hätte er sich sicher wenigstens eine Kerze angebrannt. Ihre Angst wuchs.

Da vernahm sie weiter unten Stimmen; sie ging darauf zu. Vielleicht konnte sie hier Etwas hören. Sie kam näher und näher. Da hörte sie die lauten Worte:

„Gute Nacht, lieber August!“

Sie erkannte sofort die Stimme, welche diese Worte gesprochen hatte. Es war diejenige des Feldmarschalls, und wenn sie ja geglaubt hätte, sich zu irren, so erhielt sie den Beweis, daß sie recht gehört hatte, durch die darauf folgende Antwort:

„Gute Nacht, Exzellenz!“

Sie eilte auf die Stelle zu und kam an dem Tor an. Sie sah die beiden Posten.

„War der Feldmarschall hier?“ fragte sie.

„Ja,“ wurde ihr geantwortet.

„So muß ich zu ihm!“

Sie wollte in das Tor treten; da aber hielt ihr der eine Posten das Gewehr quer vor und sagte:

„Hier darf niemand passieren!“

„Aber ich muß zu ihm!“

„Kommen Sie am Tag wieder.“

Blücher hatte bereits den Anfang der Treppe erreicht, als er draußen noch lautes Reden hörte. Er blieb stehen und horchte. Er hörte eine Frauenstimme und dann die Antwort des Postens, daß sie morgen wiederkommen solle. Da fragte er, laut rufend:

„Wer ist denn noch draußen?“

„Ein Frauenzimmer, Exzellenz!“ antwortete der Posten zurück.

Er mochte ein biederer Märker oder Pommer sein, bei dem alles gleich war, ob Dame oder Frau, Mädchen oder Fräulein.

„Ein Frauenzimmer?“ antwortete Blücher. „Weiter nichts? Es soll sich zum Teufel scheren. Nachts drei Uhr gebe ich keiner alten Schachtel Audienz!“

„Sie ist jung, Exzellenz,“ wagte der Mann zu bemerken, aber immer in einem schreienden Ton, um von dem Marschall gehört zu werden.

„Jung?“ brüllte dieser zurück. „Laß dich nicht bemeiern, Junge. Sie lügen sich alle um elf Jahre jünger; jage sie fort!“

„Sie sagt, daß Sie mit Exzellenz bekannt sei!“

„Das ist nicht wahr!“

„Exzellenz sind erst vorhin bei ihr gewesen.“

„Das ist eine Lüge! Ich besuche kein Frauenzimmer. Gib ihr eins auf den Schnabel!“

„Sie meint, ich solle nur den Namen Richemonte sagen,“ rief der Posten.

„Richemonte? Heiliges Elend! Kerl, bist du verrückt, mein Sohn!“

Bei diesen Worten kehrte er sich um und eilte zurück. Als er an den Eingang gelangte, hatte er noch die beiden Stiefel unter den Armen. Er sah Margot stehen und erkannte sie sofort. Da trat er zum Posten und sagte:

„Mensch, Esel, August! Du bist das größte Kamel, was in der Wüste Sahara Datteln und Radieschen frißt! Siehe einmal hierher! Ist das ein Frauenzimmer, he, ein Frauenzimmer?“

Der Mann sah den Marschall ganz verblüfft an und antwortete:

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Ein Frauenzimmer? Wirklich?“

„Zu Befehl!“

„Halte das Maul mit deinem Befehl! Wer hat dir den Befehl gegeben, diese Mademoiselle für ein Frauenzimmer auszugeben, du Waschbär von einem August?“

„Verzeihung, Exzellenz, es ist doch keine Mannsperson!“

Dieser Gegenbeweis schmetterte für den ersten Augenblick den Marschall förmlich zurück. Es wurde ihm ganz fremd im Kopf, und er sagte:

„Hm, das ist nicht übel gesagt! Eine Dame ist eigentlich auch ein Frauenzimmer; aber siehst du, mein Sohn, in Paris gibt es bloß Madame und Mademoisellen. Hättest du mir gesagt, daß eine Mademoiselle da sei, so hätte ich dir nicht befohlen, sie zum Teufel zu jagen. Eigentlich sollte ich dir deines Unsinns wegen diese Stiefeln gelinde um den Kopf herumschlagen, aber weil du in deiner Unschuld nicht weißt, was eine Mademoiselle ist, und es ihr gleich angesehen hast, daß sie keine Mannsperson ist, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und dich mit einem einfachen Verweise abrüffeln. Nimm dir das zu Gemüte, aber stirb mir ja nicht daran; denn es wäre jammerschade um so einen August!“

Jetzt war er mit dem Posten fertig, und nun wendete er sich direkt an Margot. Diese trat näher und bat:

„Verzeihung, Ew. Exzellenz! Die Angst ließ mich nicht zu Hause bleiben; dann hörte ich gar noch Schüsse fallen –!“

„Nicht ich habe Ihnen zu verzeihen, sondern Sie mir, Mademoiselle“, antwortete er. „Ich störte Sie zu so später Stunde und ging fort, ohne Ihnen Auskunft zu erteilen. Das war höchst unhöflich von mir. Bitte, kommen Sie mit mir.“

Er schritt ihr voran, und sie folgte. Er führte sie die Treppe empor in ein hell erleuchtetes Zimmer. Dieses war jedenfalls ein Damenboudoir gewesen. Die Rokokomöbel waren aus Rosenholz, mit Sandel ausgelegt, die Polster und Kissen alle von feinster Seide. Köstliche Uhren und Vasen, herrliche Leuchter und Nippes waren zu sehen, aber neben der Stutzuhr im Wert von wenigstens fünftausend Franken lag der Stiefelknecht; an einer marmornen Venus hing ein alter Tabaksbeutel von Schweinsblase, und auf der Bettdecke von echt persischer Seide paradierten ein Paar dreckige Kanonenstiefel. Eine köstliche Schatulle war mit zerbrochenen Pfeifenköpfen angefüllt, und überall, sogar auf dem Fußboden, lagen Landkarten, Risse, Berichte und Briefkuverts zerstreut umher.

„So, Mademoiselle, das ist meine Studierbude“, sagte er. „Nehmen Sie Platz! Setzen Sie sich, wohin Sie wollen, nur nicht auf mich selbst, und sagen Sie mir getrost, was Sie auf dem Herzen haben.“

Er stand vor ihr, noch immer die Stiefel unter den Armen. Sie war gewiß sehr in Angst und Betrübnis, aber sie hätte doch fast lächeln müssen bei dem Anblick des alten Haudegens, der jetzt beinahe wie ein ehrsamer Flickschuster vor ihr stand.

„Der Besuch Eurer Exzellenz hat mich in die fürchterlichste Unruhe versetzt“, sagte sie. „Galt derselbe meinem Bräutigam?“

„Ja. Zu Ihnen hätte ich sonst doch um diese Zeit nicht kommen dürfen.“

„Oh, sagen Sie, befindet sich Hugo in Gefahr?“

„Hugo? Hm! Wer ist das?“

„Herr von Königsau nennt sich Hugo.“

„Ah so! Siehste, Alter, also ein Hugo biste? So, so! Nun, allerdings befand sich dieser Hugo in Gefahr, Mademoiselle!“

„Mein Gott! War sie groß?“

„Hm! Man wollte ihn ein wenig erschießen.“

„Ist's möglich, Exzellenz?“ rief sie erschrocken.

„Ja. Sie haben ihm an seiner Tür aufgelauert. Es waren zwei Kerls.“

„Was haben sie ihm getan, Exzellenz? O bitte, bitte, sagen Sie es schnell.“

Sie war fürchterlich blaß geworden. Sie dauerte ihn; er wollte sie mit einem Mal beruhigen, und dies glaubte er am sichersten dadurch zu erreichen, daß er den Stiefel unter dem rechten Arme hervorzog und sie fragte:

„Kenn Sie diesen Stibbel, Mademoiselle?“

„Nein“, antwortete sie erstaunt.

„Nun, so kennen Sie vielleicht diesen anderen?“

Er zog jetzt den unter dem linken Arme hervor und hielt ihn ihr entgegen.

„Auch nicht, Exzellenz.“

„Nun, das wundert mich. Aber dennoch gereichen diese Stibbeln Ihnen sehr zum Troste.“

„Diese Stiefel? Mir? Verzeihen, Exzellenz, daß ich Sie nicht verstehe!“

„Diese Stibbeln sprechen eine Sprache, welche Sie eigentlich verstehen sollten. Wir haben sie, diese Stibbeln nämlich, und das ist die Hauptsache. Er wird dann schon ganz von selber kommen, und zwar in Strümpfen.“

Margot war ganz verlegen geworden. Der Marschall sprach ihr in Rätseln.

„Er? Bitte, mir zu sagen, wer?“

„Nun, der Hugo.“

„Hugo? Ah, diese Stiefel gehören ihm?“

„Ja.“

„Ah!“ Sie errötete sehr und fuhr dann fort: „Aber wie kommt er dazu – – –?“

„Solche Stiefel zu haben? Oh, die hat bei uns jeder anständige Offizier.“

„Nein, nein! Ich meine, wie kommen Exzellenz zu diesen Stiefeln?“

„Glauben Sie vielleicht, ich habe sie mir von ihm geborgt? Nein. Sie standen unten am Tor.“

„Aber wie sind sie dorthin gekommen?“ fragte Margot immer erstaunter.

„Er hat sie hingesetzt und meinen Posten gesagt, daß sie auf sie aufpassen sollen.“

„Aber, Exzellenz, ich begreife noch nicht, weshalb er sie dahin gesetzt hat. Wie hängt dies überhaupt mit der Gefahr zusammen, in welcher er sich befindet?“

„Oh, sehr eng. An seiner Tür standen nämlich zwei Menschen, die ihn erschießen wollten, der eine mit der Laterne und der andere mit der Pistole. Er ist ihnen glücklich entkommen, auf welche Weise, das weiß ich noch nicht. Sie sind entflohen, und er ist hinter ihnen her. Damit sie es nun nicht hören, daß er sie verfolgt, so hat er diese Stibbeln ausgezogen und mir zur Aufbewahrung übergeben, eigentlich meinen Posten, aber das bleibt sich gleich.“

„Er verfolgt sie? Wie unvorsichtig!“

„Haben Sie keine Sorge, Mademoiselle! Haben wir einmal seine Stibbeln, so bekommen wir ganz sicher auch ihn. Er wird nur sehen wollen, wer die Kerls sind.“

„Oh, ich ahne bereits, wer es ist.“

„Ah, Sie ahnen?“

„Ja. Jedenfalls ist derjenige dabei, der ihn heute abend bereits gestochen hat.“

„Gestochen? Donnerwetter! Er ist gestochen worden?“

„Leider.“

„Wohin denn?“

„In den Arm.“

„Ah, da hat es nicht viel zu sagen.“

„Aber es wurde nach dem Herzen gezielt.“

„Donner und Doria! Da ist es also ganz und gar ernstlich gemeint gewesen!“

„Ja. Hätte er den Panzer nicht angehabt, so wäre er jetzt tot.“

„Ah, er hatte seinen Küraß getragen?“

„Er hatte sich einen geliehen.“

„So ist er also doch vernünftig gewesen. Aber, wer hat ihn denn gestochen?“

„Mein Gott, es ist mir fast unmöglich, Ihnen dies zu sagen.“

„Oh, jetzt ahne ich, wer der Mann gewesen ist. Sprechen Sie getrost und aufrichtig zu mir. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Erzählen Sie mir alles; aber erlauben Sie mir vorher, mir eine Pfeife zu stopfen. Es leidet mich zu Hause nicht, wenn mich nicht der Knaster an die Nase brennt.“

Er stopfte sich eine seiner kurzen Tonpfeifen, von denen er immer einen großen Vorrat besaß, und als er sie in Brand gesteckt hatte, setzte er sich auf eine offene Nähschatulle, welche am Boden lag. Margot mußte auf einem Tabouret Platz nehmen und dann die Erzählung der heutigen Ereignisse beginnen. –

Unterdessen war es Königsau ganz eigentümlich ergangen.

Er war sehr lange Zeit bei Margot gewesen. Man hatte ihn da aufgehalten. Selbst die Mutter hatte ihm ein Zimmerchen für diese Nacht angeboten, damit er nicht abermals fortzugehen brauche, denn die beiden Damen hatten befürchtet, daß er abermals angefallen werden könne. Er aber hatte diese Gastfreundschaft ausgeschlagen und war endlich doch noch aufgebrochen.

Margot hatte ihn bis zur Tür begleitet und dort die innige Bitte ausgesprochen, doch ja recht vorsichtig zu sein und sich recht fleißig umzuschauen, ob nicht irgendeine Gefahr in der Nähe zu bemerken sei.

Dies hatte er denn auch getan. War er doch selbst schon der Ansicht gewesen, daß der verunglückte Überfall zum zweiten Mal unternommen werden könne. Ja, er sagte sich sogar, daß man sich dabei wohl nicht mehr eines Dolches oder Messers, sondern einer Schußwaffe bedienen werde.

Da war natürlich eine Abwehr bedeutend schwieriger, wo nicht unmöglich. Aus diesem Grund ging er nicht an der Seite, sondern in der Mitte der Straße. Der Feind stand jedenfalls unter einem Tor und konnte ihn auf diese Weise nicht so leicht erkennen.

So war er bis in die unmittelbare Nähe seines Hauses gekommen. Da erst kam ihm der Gedanke, daß ein etwaiger Angreifer sich gerade hier verstecken müsse, um ihn sicher zu treffen. Er hemmte seinen Schritt und ging ganz langsam, jeden Zollbreit mit dem Auge fixierend, soweit es die dichte Dunkelheit zuließ.

Er war nur noch vier Schritte von der Haustür entfernt, da hörte er den Ruf:

„Königsau! Halt! Zurück! Sie wollen dich abmurksen!“

Er wußte sofort, wer der Warner war. Es war die Stimme und auch die Ausdrucksweise des Marschalls. Diese Warnung hatte jedenfalls ihren guten Grund; darum wollte er sie befolgen und sich umdrehen, da blitzte vor ihm eine Laterne auf.

Mit Gedankenschnelligkeit kam ihm die Ahnung, daß er angeleuchtet werde, um ein sicheres Ziel zu bieten, und daß im nächsten Moment der Schuß fallen werde. Augenblicklich warf er sich zur Erde. Diese Geistesgegenwart rettete ihm das Leben, denn er hatte den Boden noch nicht berührt, so krachte auch bereits der Schuß. Die Kugel wäre ihm in den Kopf gedrungen, so aber flog sie weit über ihn hinweg.

„Er hat sich niedergeworfen. Leuchten Sie zur Erde!“

So hörte er eine halblaute Stimme sagen. Er erkannte sie; es war diejenige des Kapitäns. Sogleich fiel das Licht der nach ihm gedrehten Laterne abwärts. Er sah sich abermals hell erleuchtet, schleuderte sich jedoch mit aller Gewalt zur Seite, und zwar keinen Augenblick zu früh, denn da krachte auch bereits der zweite Schuß, und er hörte ganz deutlich, daß die Kugel hart neben ihm auf den Stein schlug.

Nun war es aber auch aus mit seiner Langmut. Der Schütze hatte beide Kugeln verschossen; ob er noch eine zweite Doppelpistole bei sich trage, das war Königsau in diesem Augenblick sehr gleichgültig. Er schnellte sich vom Boden auf und sprang auf die beiden Kerls zu. Ein Faustschlag traf den, welcher die Laterne hielt. Er ließ sie fallen und lief davon. Nun packte der Deutsche den Kapitän.

„Jetzt lasse ich dich nicht wieder laufen, Schurke!“ sagte er.

Er hielt ihn umschlungen und wollte ihn zu Boden ringen. Da ließ der Kapitän die Pistole fallen, um die Hand frei zu bekommen, und faßte ihn bei der Brust. Diese aber war vom Metall bewahrt.

„Feigling!“ knirschte der Franzose. „Versteckst du dich hinter dem Küraß!“

Er faßte ihn beim Arm, gerade da, wo die Wunde war. Königsau stieß unwillkürlich einen Ruf des Schmerzes aus.

„Ah, ist das die richtige Stelle!“ sagte der Gegner mit unterdrückter Stimme.

Er griff jetzt mit beiden Händen zu, und zwar mit Aufbietung aller Kräfte. Königsau konnte nicht anders, er mußte den Kapitän fahren lassen, um zunächst seinen verwundeten Arm zu befreien. Das gelang ihm; dadurch wurde aber auch der Gegner frei und entsprang. Der Deutsche hielt ihn noch für nahe und sprang auf ihn zu, stürzte aber zur Erde nieder. Dadurch gewann der Fliehende einen Vorsprung.

Königsau rannte ihnen nach, kam aber schnell zur Einsicht, daß dies eine Torheit sei, denn der laute Schall seiner Schritte ließ ihn die Schritte derer, die er verfolgte, nicht hören. Er blieb daher sogleich stehen und riß seine Stiefel herunter. Er bemerkte, daß er sich an Blüchers Wohnung befinde; er hatte bereits einige Sprünge an den Posten vorüber getan. Er rief ihnen daher in fliegender Eile zu:

„Ich bin Lieutenant Königsau. Habt mir acht auf meine Stiefel!“

Dann stürzte er seinen Feinden nach, deren Vorsprung mittlerweile ein bedeutender geworden war.



Glücklicherweise hörte er noch ihre lauten, schnellen Schritte. Er war ein ausgezeichneter Läufer; darum gedachte er, den Vorsprung schnell einzuholen; aber der Küraß war ihm nicht auf den Leib gemacht; er paßte schlecht und hinderte ihn am Laufen. Dennoch war zu hören, daß sich der Abstand zwischen ihm und jenen sehr rasch verminderte, denn er hörte die Schritte immer deutlicher.

Da aber mußte er plötzlich stehen bleiben, um zu lauschen. Er vernahm nämlich, daß sie sich getrennt hatten. Der eine war links in ein Seitengäßchen eingebogen, während der andere geradeaus rannte. Welchem sollte er folgen?

Das Seitengäßchen schien nicht gepflastert zu sein; die Schritte des Fliehenden konnten nicht weit gehört werden; daher war hier eine Verfolgung sehr erschwert, gar nicht gerechnet, daß dieses Gäßchen in ein Gassengewirr führen konnte, in welchem die Spur des Flüchtlings sofort verlorengehen mußte. Er beschloß daher, dem anderen zu folgen, welcher sich geradeaus gehalten hatte.

Er rannte ihm nach, merkte aber bald, daß er auch links eingebogen war. An einer weiteren Ecke mußte er abermals halten, um zu hören, woher die Schritte tönten. Dies nahm ihm Zeit weg. Bei einer dritten Ecke ging es ihm ebenso. Auch hinderte ihn die große Dunkelheit am schnellen Fortkommen.

Endlich stand er abermals vor einem Seitengäßchen, in welchem die Schritte des Fliehenden verhallt zu sein schienen. Er drang da hinein und hatte sehr bald die Ahnung, daß es dasselbe Gäßchen sei, in welches bereits der erste entkommen war.

Da galt es Vorsicht, denn jedenfalls hatten die beiden verabredet, sich hier zu treffen.

Er tastete in der Dunkelheit nach rechts und links. Das Gäßchen war kaum acht Fuß breit. Rechts waren Hintermauern von Häusern, und links schien eine lange Gartenmauer zu sein. Er glitt leise und langsam weiter.

Da war es ihm, als ob er ein Geräusch gehört habe, als ob ein Schlüssel sich in einem alten Schloß drehe. Er lauschte. Und wirklich wiederholte sich der eigentümliche, quietschende Laut, ganz nahe vor ihm, zu seiner Linken, also in der Gartenmauer.

Er schlich weiter hinzu, und nun hörte er gar zwei Stimmen, zwar gedämpft, aber doch auch nicht ganz leise.

Königsau fühlte mit der Hand ein Pförtchen, welches sich in der Mauer befand, und hinter demselben, im Garten also, standen die beiden Sprechenden, welche wohl nicht ahnten, daß der Verfolger so nahe sei.

„Das war ein ganz verfluchter Tag!“ hörte er sagen.

„Wer ist schuld als Sie!“ meinte der andere.

„Ich? Inwiefern?“

„Erst stechen Sie verkehrt und dann zielen Sie falsch.“

„Konnte ich zielen, wenn Sie falsch leuchteten? Übrigens, warum ergriffen Sie die Flucht? Wir hätten ihn kaltmachen können, wenn Sie blieben; mir allein war dies nicht möglich. Sie haben mich immer einen Feigling genannt; jetzt aber gebe ich Ihnen dieses Wort mit doppelten Zinsen zurück.“

„Oh, es wäre mir gar nicht eingefallen, fortzulaufen, wenn nicht Hilfe gekommen wäre.“

„Hilfe? Wieso?“

„Hörten Sie es nicht rufen, gerade ehe ich zur Laterne griff?“

„Ja. Wer muß der Mensch gewesen sein? Es ist, als sollte uns jetzt alles quer gehen. Aber morgen ist auch ein Tag. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

„Gewiß. Aber kommen Sie. Hier ist nicht der Ort zu unserer Unterhaltung.“

„Wie kommen wir hinein? Durch die Tür?“

„Nein. Man würde dies bemerken. Alle meine Leute denken, ich arbeite noch in der Bibliothek. Wir steigen an der Veranda empor und dann zum Fenster hinein.“

„Steht es auf?“

„Ja. Kommen Sie.“

Sie entfernten sich. Königsau verhielt sich ruhig. Er hörte nach einer längeren Weile ein Fenster klingen und wußte nun, daß sie sich im Innern des Hauses befanden.

Die Mauer war so hoch, daß er ihre Kante nicht mit der Hand zu erreichen vermochte. Nun suchte er nach einer schadhaften Stelle. Es gab keine, aber dafür fand er eine, an welcher der Mörtel vollständig los- und herausgebrochen war. Die großen, zwischen den Steinen befindlichen Ritzen gaben seinen Fingern und Fußspitzen einen zwar nicht bequemen, aber doch genügenden Haltepunkt, so daß er emporklettern konnte. Drüben ließ er sich wieder hinab.

Es war kein ungefährliches Unternehmen für ihn, hier einzudringen. Er befand sich als Feind des Vaterlandes in Paris und verfolgte hier zwei persönliche Feinde. Wurde er erwischt, so galt es jedenfalls einen Kampf auf Leben und Tod. An Gnade und Erbarmen war auf keinen Fall zu denken.

Er befand sich jetzt im Garten, aber es war so dunkel, daß er sich forttasten mußte. Da anzunehmen war, daß sich die Hausfront parallel mit der Gartenmauer ziehe, so ging er im rechten Winkel von der letzteren aus gerade vorwärts und gelangte auch bald in den Hofraum, wo er die Veranda fand, von welcher der eine gesprochen hatte.

„Also hier sind sie emporgeklettert“, dachte er. „Trägt sie diese beiden, so trägt sie jedenfalls auch mich. Ich werde es auf alle Fälle versuchen.“

Er fühlte die Querlatten. Es ließ sich an ihnen wie an einer Leiter emporsteigen. Als er oben anlangte, untersuchte er die Decke der Veranda, ob sie ihn auch halten werde. Sie war stark genug dazu. Er trat auf sie und richtete sich empor. Er stand vor einem Fenster, das zwar von innen verschlossen, jedenfalls aber dasselbe war, durch welches jene eingestiegen waren.

Ein Blick überzeugte ihn, daß dasselbe zu einem jetzt unerleuchteten Raum führe. Von diesem aber ging eine Tür, welche fast ganz geöffnet war, in ein Nebenzimmer, in welchem eine große Lampe eine hinreichende Helligkeit verbreitete, um alles erkennen zu können. Zwei Männer gingen darin auf und ab. So oft sie an der geöffneten Tür vorübergingen, konnte er sie sehen.

„Ah; der Kapitän und dieser Baron Reillac! Ich habe es mir gleich gedacht.“

So sagte Königsau zu sich, indem er diese beiden betrachtete.

Sie mußten ein sehr erregtes Gespräch führen, wie aus ihren Mienen und den lebhaften Gestikulationen zu ersehen war. Leider konnte der Lauschende nicht alles hören; nur einige abgerissene Brocken wurden ihm verständlich.

„Das, ja, das ist das Beste!“ hörte er den Kapitän sagen.

„… komme ich unblutig in ihren Besitz“, meinte darauf der Baron. „Ob ich dann aber auch das gleiche zahle, das …“

„Das versteht sich ja ganz von selbst, denn wenn ich es nicht zugebe, so wird aus diesem Plan nicht das …“

„Na, so mag es sein. Ich denke … soll es mir auf die versprochene Summe nicht ankommen … Sie ja mein Schwager werden, und da darf man als anständiger Mann nicht …“

Diese auseinandergerissenen Sätze waren von dem Baron zu hören. Der Kapitän antwortete darauf:

„Wenn es gelingt, so … man vergeblich suchen wird. Besonders dieser verdammte Königsau … der mir …“

„Die Hauptsache ist“, fuhr der Baron fort, „ob wir bereits … welche Uhr er stets zu kommen pflegt … muß es schon geschehen sein … sonst ist es jedenfalls zu spät.“

„Ich werde morgen genaue Erkundigungen einziehen“, meinte der Kapitän, „und Ihnen beizeiten … Widerstand leisten wird.“

„Ich werde ihn zu brechen wissen, da ich dabei auf Ihre Hilfe rechnen darf“, sagte der Baron. „Jedenfalls steht zu erwarten … ihre Ehre retten, so bleibt nichts anderes übrig als … darauf rechne ich!“

Bei diesen letzten Worten schob er die Tür zu. Nun wurde es finster, und Königsau konnte kein einziges Wort mehr vernehmen. Er wartete noch eine längere Weile, doch vergebens, und so beschloß er, seinen Rückweg anzutreten.

Dieser gelang ihm vollständig, denn da das Gartenhaus höher lag, als das Gäßchen draußen, so war von innen aus die Mauer leichter zu erklettern, als von draußen herein. Jetzt war es aber Hauptsache, sich das Gäßchen genau zu merken; dies konnte unter Umständen von größtem Vorteil sein.

Er schritt es mehrmals auf und ab, ebenso die anliegenden Straßenteile und war endlich sicher, es am Tag sehr leicht auffinden zu können. Nun kehrte er nach Hause zurück.

Auf dem Heimweg dachte er über das nach, was er gehört hatte. Er entnahm daraus, daß ein neuer Anschlag gegen ihn und Margot verabredet worden war, doch ließ sich nicht denken und erraten, worin derselbe bestehe. Es war die Rede davon gewesen, daß der Kapitän morgen Erkundigungen einziehen wolle, daß Margots Ehre zu retten sei, daß ihr Widerstand besiegt werden solle. Aus alledem ließ sich doch nichts Bestimmtes folgern. Nur das schien festzustehen, daß der neue Anschlag recht bald ausgeführt werden solle.

Königsau gelangte bald auf seine Straße und an das Palais des Marschalls. Es standen, wie vorhin, zwei Posten da. Er bückte sich da, wo er seine Stiefel abgelegt hatte, nieder; sie waren weg. Er trat daher zu den Posten. Seines leisen Ganges und der Dunkelheit wegen hatten sie ihn nicht kommen gehört. Sobald sie ihn aber erblickten, riefen sie ihn an:

„Wer da?“

„Preußischer Husarenoffizier“, antwortete er. „Seit wann steht ihr hier?“

„Nicht ganz eine Stunde.“

„Wurden euch keine Stiefel übergeben?“

„Nein.“

„Wurde auch nicht der Name eines Offiziers genannt?“

„O ja, Herr Lieutenant, den habe ich gehört.“

„Welcher?“

„Lieutenant von Königsau.“

„Gut, ich bin es.“

„Herr Lieutenant sollen sofort zum Marschall kommen.“

„So spät?“

„Sofort. Sie sollen gar nicht erst nach Ihrer Wohnung gehen.“

„Sapperlot! Ich habe ja keine Stiefel an!“

„Die haben Exzellenz mit hinaufgenommen.“

„Alle Teufel! Konfisziert?“

„Ich weiß nicht. Wir sollen aber sagen, daß der Herr Lieutenant sofort erscheinen sollen, und zwar in Strümpfen.“

„Na, da muß ich es wohl oder übel tun.“

Er trat ein und stieg die Treppe empor. Droben im Vorsaal stand der Unteroffizier von der Wache.

„Was tun Sie so spät hier?“ fragte der Lieutenant.

„Ich habe den Herrn Lieutenant anzumelden.“

„Ah, so werde ich erwartet.“

„Ja.“

„Na, melden Sie!“

Der Unteroffizier verschwand hinter der Tür, und es dauerte eine ganze Weile, ehe er wiederkam, um Königsau zu sagen, daß er eintreten könne. Diese Zeit hatte nämlich Blücher gebraucht, um Margot zu verstecken, die auch bei ihm war.

Als der Lieutenant die Tür hinter sich zugezogen hatte, trat er drei Schritte vor und machte sein Honneur. Blücher hatte die Pfeife im Mund, und in der Stube gab es fürchterlichen Tabaksqualm. Auf dem Tisch stand eine kostbare japanische Schale, welche der Marschall benutzt hatte, um die ausgerauchten Pfeifen auszuputzen. Schwefelfaden und Zunder lagen in einem silbernen Fruchtkörbchen.

„Ach, was ist denn das?“ fragte Blücher in erstauntem Ton. „Sie kommen ja so leise wie ein Spitzbube herein. Das klingt gerade, als ob kein Geldbeutel vor ihren Fingern sicher wäre. Ach Teufel noch einmal! Sie haben keine Stiefel!“

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Nun, wo stecken denn diese Stibbeln?“

„Sie sind nicht sicher gewesen vor den Fingern Eurer Exzellenz!“

Blücher schmunzelte und sagte, die Hand drohend erhebend:

„Junge, mache keine guten Witze! Du weißt, die schlechten verzeihe ich, aber die guten bestrafe ich mit Lattenarrest!“ Und einen ernsten Ton aufschlagend, fuhr er fort: „Es ist mir noch nie vorgekommen, daß ein Lieutenant sich in Strümpfen bei mir gemeldet hat! Das ist unbegreiflich!“

„Desto begreiflicher ist es, wenn Ew. Exzellenz einem Lieutenant befehlen, in Strümpfen zu erscheinen.“

„Du, das ist ein schlechter Witz; den rechne ich dir nicht an. Bilde dir also nichts auf ihn ein! Übrigens wärst du bald schrecklich blamiert gewesen. Es war jemand da, der schöne Augen über deine Strümpfe gemacht haben würde. Gucke sie dir mal an, mein Sohn! Sie sind ja dreckiger wie ein Paar Pferdehändlerstiefel. Und die Zehen gucken wohl – ach, zeige doch her! Na, sie stecken noch drin; da geht es! Gehe dort hin in den Silberschrank, und fahre in deine Feueressen!“

Königsau gehorchte und öffnete den Schrank. Da, wahrhaftig standen seine Stiefel mitten unter dem funkelnden Gold- und Silbergeschirr. Er nahm sie heraus und zog sie vor den Augen des Marschalls an.

„So“, sagte dieser. „Jetzt bist du wieder der Hugo, der sich sehen lassen kann. Gehe doch mal hin an die Tür, und klopfe an!“

Königsau tat es. Sofort öffnete sich die Tür.

„Margot!“

„Hugo!“

Sie lagen sich in den Armen, ohne sich durch die Gegenwart des Marschalls stören zu lassen. Dieser zupfte an seinem Schnurrbart herum, zog allerlei glückliche und verdrießliche Gesichter und sagte schließlich:

„Ja, die haben sich beim Kopf! Wo aber bleibt der alte Gebhard Leberecht von Blücher? Den nimmt niemand bei den Ohren!“

„O doch!“ antwortete Margot.

Sie trat auf ihn zu, legte ihm die Arme furchtlos um den Hals und küßte ihn recht herzhaft auf die Wange.

„Mädel“, sagte er, „das ist die falsche Adresse: hat dir's der Hugo denn nicht besser beigebracht? Komm her!“

Er nahm sie beim Kopf und küßte sie auf den Mund; dann sagte er zu Königsau:

„Wenn du es nicht leiden willst, so verklage mich oder hau mich! Aber ich habe mit der Hexe jetzt stundenlang beisammengesessen; sie hat mir's angetan, und wir sind so hübsch einig geworden, daß ich wollte, du wärst der General und ich der Lieutenant. Sie hat mir alles erzählt, was heute passiert ist. Nun erzähle du weiter, mein Sohn, damit man klar sehen kann.“

Königsau setzte sich neben Margot, legte den Arm um sie und begann zu erzählen. Unterdessen ging Blücher auf und ab und rauchte wie ein feuerspeiender Berg.

Der Lieutenant ließ nicht das geringste hinweg. Margot lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter und weinte vor Glück, ihn wieder zu haben. Es war, als ob Blücher der Vater dieser beiden sei, vor dem sie sich gar nicht zu genieren brauchten.

Als Königsau geendet hatte, sagte der Marschall:

„Fürchterlich! Der eigene Bruder! Was willst du tun, mein Junge?“

„Sie beide niederschlagen, wo ich sie finde.“

„Nein. Das geht nicht, das verbiete ich dir. Verstanden!“

„Exzellenz –!“

„Papperlapapp Exzellenz! Ich habe es der da versprechen müssen.“

Er zeigte bei diesen Worten auf Margot. Königsau sah dem schönen Mädchen in die dunklen, feuchten Augen und fragte:

„Margot, du wünschst, daß ich mich nicht räche?“

„Hugo, er ist doch immer mein Bruder!“ bat sie.

„Gut! Aber dieser Baron Reillac?“

„Auch ihm soll nichts geschehen, mein lieber Freund.“

„Ja, so wie es in der Bibel zu lesen ist“, sagte Blücher gerührt. „Rebecca hat auch feurige Steinkohlen auf das Haupt des Herodes gesammelt.“

Der Lieutenant konnte denn doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Der Marschall sah es, und fragte mit etwas verlegener Miene:

„Was lachst du, he? War's etwa bloß Torf und keine Steinkohlen?“

„Es müssen doch Steinkohlen gewesen sein, Exzellenz, denn dem Herodes ist dabei die ganze obere Hälfte des Kopfes weggebrannt. Übrigens möchte ich nicht sagen, daß es mir sehr leicht wird, den Baron entkommen zu lassen. Er geht uns nichts an; wir sind ihm keine Rücksichten schuldig, und er wütet als Todfeind gegen uns.“

„Da weiß ich Hilfe“, meinte Blücher. „Anstatt sie unschädlich zu machen, will ich euch unverletzlich machen; beides führt zu ganz demselben Ziel. Wie wäre es, wenn ich dich nach Berlin schicke, mein Junge?“

„Oh, Exzellenz, soll Margot ohne meinen Schutz hier zurückbleiben?“

„Nein. Ich habe vorhin mit ihr darüber gesprochen. Frau Richemonte hat da in Belgien eine nahe Verwandte. Dorthin reisen die beiden Damen morgen ab, und kein Mensch erfährt, wo sie sich befinden. Dort werden die beiden Spitzbuben dir die Margot sicherlich nicht ausgattern.“

„Dieser Vorschlag ist prächtig, Exzellenz! Führen wir ihn aus, so entziehen wir uns den Verfolgungen und sind nicht zur Rache gezwungen.“

„Siehst du! Ich habe heute bereits einmal gesehen, daß der Blücher ein guter Amtskopist hätte werden können. Und was dich betrifft, so bringst du die Damen an Ort und Stelle und gehst dann nach Berlin. Du wirst schon noch erfahren, wozu. Aber du wirst da heute den ganzen Tag bei mir sein müssen, um mir zu helfen, die dazu nötigen Schreibereien anzufertigen.“

„Ich stehe ganz zu Befehl, Exzellenz!“

„Gut. So führe jetzt dein Mädel nach Hause, wie es einem richtigen Burschen geziemt. Punkt neun Uhr bist du bei mir; da geht das Arbeiten los, und erst am Abend sehen wir uns alle wieder. Damit euch aber nicht wieder etwas Schlimmes widerfährt, gebe ich euch acht Mann Garde mit, unter scharf geladenem Gewehr, vier Mann auf der einen, vier Mann auf der anderen Seite der Straße und ihr in der Mitte. Hier ist der Befehl, mein Junge; gib den Wisch unten in der Wachstube ab. Und nun gute Nacht, Kinder! Und wenn ihr euch küßt, so macht nicht zu viel Lärm dabei; leise und zart schmeckt's viel besser.“

Sie gingen und erreichten unter der erwähnten Bedeckung glücklich die Wohnung Margots. Der Portier öffnete wieder persönlich.

„Verzeihung, Mademoiselle“, sagte er, „Sie waren bei dem Marschall Blücher?“

„Ja“, antwortete sie.

Er machte eine außerordentlich tiefe Reverenz, und als sie außer Hörweite von ihm waren, brummte er leise in den Bart:

„Der ist sicher kein Lieutenant, sondern irgendein Prinz inkognito, sonst würden die beiden nicht so intim mit dem berühmten Marschall sein. Na, ich gönne es Mademoiselle Margot von ganzem Herzen, eine Prinzessin zu werden.“

Margot war ganz erfüllt von dem, was sie erlebt und mit dem Marschall besprochen hatte. Sie konnte nicht anders, sie weckte ihre Mutter, und als diese vernahm, um was es sich handle, verzichtete sie gern auf die Fortsetzung der unterbrochenen Nachtruhe. Königsau wurde nicht fortgelassen; er mußte bleiben.

Frau Richemonte erschrak zwar außerordentlich, als sie erfuhr, in welcher Lebensgefahr sich der Lieutenant befunden habe, und daß Margot nochmals so kühn gewesen sei, sich auf die Straße zu wagen; da jedoch alles so glücklich abgelaufen war, so wurde es ihr nicht schwer, sich bald wieder zu beruhigen.

Den Vorschlag Blüchers, die Freundin aufzusuchen, fand sie ganz und gar akzeptabel. Sie war von dieser Dame hundert Mal eingeladen worden, ohne dieser Einladung Folge leisten zu können. Sie war gewiß, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und schrieb stehenden Fußes einen Brief, in welchem sie ihre Ankunft meldete und den Königsau schleunigst zu besorgen versprach.

Es wurde ausgemacht, das Einpacken der mitzunehmenden Effekten so geheim wie möglich zu betreiben. Das Dienstmädchen sollte entlassen werden und nicht erfahren, wohin die Reise gehe. Von der Freundin würden Mutter und Tochter später nach Berlin kommen, wo die Hochzeit sein solle; daher beschloß man, alles schwere Gepäck zu vermeiden und Meubles und anderes Gerät unter der Hand zu verkaufen. Das würde der gute Papa Blücher wohl auch bewerkstelligen, so daß auch hierbei ein Verrat des Aufenthaltsortes der beiden Damen nicht zu befürchten sei.

Unter diesen Gesprächen und Beratungen verging die Zeit. Es wurde Tag, und als es acht Uhr schlug, mußte Königsau aufbrechen, um zur bestimmten Stunde bei dem Marschall zu sein.

Während Königsau mit diesem in allerlei wichtigen und geheimnisvollen Schreibereien vertieft war, hatten Mutter und Tochter genug zu tun, um ihre wirtschaftlichen Fragen und Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, damit morgen ihrer Abreise nichts im Wege stehe. Die Mutter war in letzter Zeit immer leidend gewesen; der Kummer und Gram über ihren Stiefsohn hatten zu tief auf sie eingewirkt, und als nun der Abend kam, da fühlte sie sich so angestrengt und ermüdet, daß sie sich legen mußte, um sich für die Reise auszuruhen.

„Du denkst, der Marschall wird kommen?“ fragte sie dabei Margot.

„Entweder das, oder er lädt uns zu sich ein, Mama. Er hat ganz bestimmt gesagt, daß heute abend noch alles Nötige besprochen werden soll.“

„Wenn er kommt, so werde ich aufstehen müssen, schickt er aber eine Einladung, so wirst du mich entschuldigen müssen, ich bin heute wirklich zu schwach, ihr zu folgen. Vielleicht finde ich morgen noch Zeit, mich von ihm zu verabschieden und ihm zu danken für alles, was er uns so Liebes und Ungewöhnliches getan hat.“

Es war draußen dunkel geworden, und Margot hatte vor einer Viertelstunde Licht angebrannt, als sie auf der Straße das Rasseln eines Wagens vernahm, welcher unten an der Tür zu halten schien. Nach wenigen Augenblicken läutete es an der Glocke. Sie ging selbst, zu öffnen, und erblickte einen jungen Offizier in deutscher Uniform mit der Adjutantenschärpe.

„Verzeihung, Mademoiselle“, sagte er unter einer eleganten Verneigung, „komme ich hier recht zu Frau Richemonte!“

„Gewiß; bitte treten Sie ein, Herr Lieutenant!“

Sie führte ihn in den Salon und nötigte ihn zum Sitzen; er lehnte dies jedoch mit den höflichen Worten ab:

„Entschuldigen, daß ich, ehe ich Ihrem Befehle gehorche, mich zuvor meines Auftrages entledige! Ist Frau Richemonte zu sprechen?“

„Leider nein. Sie befindet sich nicht wohl.“

Über das Gesicht des Offiziers ging ein schnelles Lächeln der Befriedigung, welches Margot aber nicht beachtete. Er sagte im Ton des Bedauerns:

„So gestatten Sie, daß ich kondoliere, gnädiges Fräulein! Ich habe doch die Ehre, Fräulein Richemonte vor mir zu sehen?“

Sie antwortete durch eine bejahende Verneigung.

„Nun, dann teile ich Ihnen mit, daß ich als Ordonnanz seiner Exzellenz, des Herrn Feldmarschalls von Blücher komme. Exzellenz lassen die beiden Damen höflichst ersuchen, bei ihm das Souper einzunehmen; da sie jedoch wußten, daß Ihre gnädige Frau Mama in letzter Zeit immer leidend gewesen ist, so bin ich beauftragt, die Dame von der Befolgung der Einladung zu dispensieren.“

„Ich danke Ihnen, mein Herr! Wir haben diese Einladung fast erwartet und uns bereits besprochen, daß Mama ablehnen muß. Ich aber werde sogleich mit Ihnen kommen und bitte nur um einen Augenblick Geduld, um Mama zu benachrichtigen. Ist Lieutenant von Königsau bei Exzellenz?“

„Allerdings.“

„Er wird mich dort erwarten. Da ich schon vorbereitet bin, so nimmt meine Toilette keine Zeit in Anspruch. Ich stehe gleich zu Diensten!“

Als sie in das Nebenzimmer getreten war, sah sich der angebliche Offizier erstaunt um und murmelte:

„Bei Gott, ich bin ganz versteinert! Ich glaubte hier auf Schwierigkeiten zu stoßen, welche man nur mit der größten diplomatischen Finesse beseitigen kann, und nun geht alles wie genudelt. Man ist vorbereitet: man hat bereits Toilette gemacht; man nimmt die Mama nicht mit. Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt; dann habe ich gewonnen.“

Nach kaum zwei Minuten trat Margot wieder herein und erklärte sich zum Mitgehen bereit. Da sie die Anspruchslosigkeit des Marschalls kannte, so hatte sie es unterlassen, große Toilette zu machen. Sie war sehr einfach, aber doch geschmackvoll gekleidet; aber gerade diese Einfachheit hob ihre Schönheit hervor, daß die angebliche Ordonnanz den Blick mit hoher Bewunderung auf ihr ruhen ließ. Sie sah so vornehm, so distinguiert aus und dabei doch so mädchenhaft, so kindlich lieb und gut, daß dem Schwindler fast ein Gefühl des Bedauerns und des Mitleids ankam.

„Wie schön sie ist“, dachte er. „Wie rein und züchtig sie aussieht! Und dieses gute, herrliche Wesen soll diesem alten, trockenen Baron zum Opfer fallen! Ah, wenn mein Vater nicht sein Diener wäre, so würde ich mich sehr hüten, ihm behilflich zu sein. Wenn er noch jung und hübsch wäre! So aber kann sie mich dauern!“

Er gab ihr durch eine Verbeugung das Zeichen, daß er bereit sei, mit ihr zu gehen, und so trat sie den Weg an, von dem sie nicht ahnte, wie verhängnisvoll er ihr werden sollte.

Unten wartete die Equipage. Der Kammerdiener saß als Kutscher verkleidet auf dem Bock. Der Offizier öffnete den Wagenschlag, Margot stieg ein, und dann setzte sich der Wagen in Bewegung.

Es war bereits finster auf der Straße. Hier und da brannte eine Laterne, doch war das dadurch verbreitete Licht nicht hinreichend, eine genügende Helle zu geben. Übrigens begann der Offizier eine lebhafte Unterhaltung, welche den Zweck hatte, zu verhindern, daß Margot ihre Aufmerksamkeit hinaus auf die Straße richte; sie hätte ja sonst bemerken müssen, daß der Wagen zwar in die Straße einbog, in welcher Blüchers Wohnung lag, aber nicht vor derselben hielt.

Dennoch wurde sie aufmerksam. Das einem jeden Menschen innewohnende Vermögen, ganz unwillkürlich die Zeitdauer abzumessen, sagte ihr, daß sie das Ziel bereits erreicht haben mußten. Darum unterbrach sie die Unterhaltung mit der Frage:

„Aber, Monsieur, müßten wir nicht bereits angekommen sein?“

„Allerdings, Mademoiselle“, antwortete der Gefragte; „aber ich bemerke, daß der Kutscher einen kleinen Umweg eingeschlagen zu haben scheint. Lassen Sie einmal sehen, ob ich richtig rate oder mich irre.“

Er blickte durch die Fensterscheibe seiner Wagenseite und tat so, als ob er da nichts erkennen könne. Dann neigte er sich zur anderen Seite herüber und sagte:

„Gestatten Sie! Hier kann man deutlicher sehen.“

Sie bog sich ein wenig zurück, um ihm Raum zu lassen, aber in demselben Augenblick fühlte sie sich von ihm ergriffen und mit aller Gewalt in die Ecke gedrückt.

„Herrgott, was ist das! Was wollen – – –“

Sie konnte nicht weiter sprechen. Ein Tuch verschloß ihr den Mund, und diesem Tuch entströmte ein scharfer, unangenehmer Geruch, welcher ihr in die Atmungsorgane drang und ihr fast augenblicklich die Kraft, zu widerstehen, benahm. Sie versuchte zwar noch, den Angreifer von sich zu schieben, doch geschah dies so schwach, daß sie damit kein Kind fortzustoßen vermocht hätte. Einige Sekunden später lag sie vollständig bewußtlos in der Ecke.

„Ah, das ist mir leicht geworden“, flüsterte der Schauspieler. „Ich hatte es mir bedeutend schwerer vorgestellt. Nun aber werde ich mir einen Lohn nehmen, der allerdings nicht vereinbart worden ist. Ich werde sie küssen, bis der Wagen hält!“

Er setzte sich auf das Sitzkissen neben sie nieder, zog ihren Kopf herbei und legte seine Lippen auf ihren Mund. Da aber spürte er den scharfen Geruch des Parfüms, welcher ihm beinahe den Atem versetzte.

„Donnerwetter, es geht nicht“, sagte er, „ich muß gewärtig sein, daß ich die Besinnung geradeso verliere wie sie. Wie schade! Ach der Genuß wäre ja auch ein nur kurzer gewesen, denn wir sind bereits am Ziel. Der Wagen hält.“

Die Equipage hatte das Gäßchen erreicht, war in dasselbe eingebogen und hielt nun vor dem Gartenpförtchen. Dieses öffnete sich auf der Stelle, und zwei Männer traten hervor. Es waren Baron Reillac und Kapitän Richemonte.

„Nun? Gelungen?“ fragte der erstere den Kutscher.

„Weiß nicht genau!“ antwortete dieser.

„Nicht genau? Alle Teufel! Du mußt doch wissen, ob ihr sie habt!“

„Wir haben sie, aber –“

„Was, aber –?“

„Ob die Narkotisierung gelungen ist –!“

„Das werden wir gleich sehen!“

Er öffnete den Schlag, aus welchem ihm jener Geruch sogleich entgegendrang.

„Gelungen?“ fragte er nun in den Wagen hinein.

„Vollständig“, antwortete der verkleidete Schauspieler.

„Heraus mit ihr!“

Er griff zu, und der Kapitän half ihm.

„Jetzt schafft den Wagen fort, und hier ist das Geld.“

Er gab dem Schauspieler eine Börse, welche den vereinbarten Sünderlohn enthielt. Dieser steckte jene ein, bedankte sich und setzte sich wieder im Wagen zurecht.

„Wie lange darf ich ausbleiben?“ fragte der Kutscher.

„Bis du den Wagen abgeliefert hast; ich brauche dich vielleicht nötig.“

„Das Abliefern wird langsam gehn.“

„Warum?“

„Wir müssen den Wagen erst ausräuchern; der Geruch könnte uns verraten.“

„Ach. Wie wollt ihr dies tun?“

„Ich habe das Notwendigste bereits bei mir. Wir fahren hinaus vor die Stadt, wo wir auf freiem Feld unbeobachtet sind. Vielleicht kommen wir vor Mitternacht nicht retour.“

„So müssen wir versuchen, ohne euch zu auszukommen. Vorwärts!“

Der Wagen setzte sich in Bewegung und verließ das Gäßchen.

„Tragen Sie Ihre Schwester“, meinte der Baron zu dem Kapitän. „Ich habe die Türen zu öffnen und zu schließen.“

Richemonte folgte dieser Aufforderung. Sie schafften in der angegebenen Weise Margot in das Haus hinauf in das Bibliothekzimmer. Das konnte unbeobachtet geschehen, da der Baron den meisten seiner Leute Urlaub gegeben und die übrigen mit irgendeinem Auftrage aus dem Haus entfernt hatte.

Droben setzte der Kapitän seine Schwester auf einen Stuhl.

„Wollen wir sie binden?“ fragte er.

„Binden? Wird dies nötig sein?“

„Ich denke es. Sie wird jedenfalls Widerstand leisten.“

„Pah, diesen Widerstand werden wir wohl brechen können!“

„Sie wird um Hilfe rufen!“

„So verhüllen wir ihr den Mund.“

„Sie wird die Hülle losreißen, wenn wir ihr nicht auch die Arme binden.“

„Gut, so wollen wir sie an den Stuhl fesseln. Wie blaß sie ist. Wie eine Leiche.“

„Sie wird doch nicht erstickt sein?“ fragte der Kapitän, indem sein Auge eine unheimliche Glut erkennen ließ.

„Ich hoffe es nicht!“

„Es wäre dies wohl ein Strich durch die Rechnung, Baron?“

„Durch die Ihrige ebenso!“

„Pah! Mir würde dies sehr gleichgültig sein!“

„Ich bezweifle dies. Ich würde in diesem Fall nicht ihr Schwager werden und also die Wechsel nicht zerreißen.“

Der Kapitän lächelte und fletschte dabei die Zähne.

„Oh, diese Wechsel sind mir von jetzt an nicht mehr fürchterlich!“

„Nicht? Warum?“ fragte der Baron, aufmerksam werdend.

„Sie haben meine Schwester in Ihrer Hand, und ich fordere die Wechsel.“

„Noch aber ist sie nicht meine Frau.“

„Ob sie es wird oder nicht, das wird ganz allein von Ihrer Geschicklichkeit abhängen.“

„Sie kann mir noch entrissen werden.“

„Das geht mich nichts an.“

„Ich begreife Sie nicht, Kapitän. Ich habe Ihnen versprochen, ihre Accepte zu vernichten, sobald Margot meine Frau ist. Ich werde Wort halten, aber eher nicht.“

Der Kapitän zuckte die Achsel und antwortete:

„Ganz wie es Ihnen beliebt. Behalten Sie die Papiere meinetwegen ganz; es ist ja ebensogut, als ob sie vernichtet wären.“

Der Baron betrachtete ihn verwundert und fragte:

„Ah, wie meinen Sie das?“

„Muß ich Ihnen dies wirklich erklären?“

„Ich bitte darum!“

„Wissen Sie, welch eine Strafe das Gesetzbuch auf widerrechtliche Freiheitsberaubung legt?“

„Ah, meinen Sie es so?“

„Ja. Und wissen Sie, wie die gewalttätige Bezwingung einer Dame bestraft wird?“

Da rötete der Zorn das Gesicht des Barons.

„Hole Sie der Teufel!“ sagte er. „Sie werden doch nicht glauben, daß ich mich fürchte.“

„Ich glaube es allerdings nicht, ersuche Sie aber, dasselbe auch von mir zu denken!“

„Sie wollen drohen?“

„Nicht im mindesten. Ich will nur eben bemerkt haben, daß ich Ihre Wechsel jetzt nicht mehr fürchte. Ich werde sie nicht honorieren.“

„Und ich werde sie Ihnen doch präsentieren, falls sich meine Wünsche in betreff Ihrer Schwester doch nicht erfüllen!“

„Präsentieren Sie sie in Gottes Namen! Zahlung aber setzt es nicht.“

„So dürfte Ihnen der Schuldturm offen stehen.“

„Und Ihnen das Zuchthaus.“

„Ah, Sie würden mich anzeigen?“

„Ganz gewiß.“

Der Baron blickte den anderen überlegen an und antwortete:

„Sie sind ein schlechter Rechner. Sie haben einen bedeutenden Faktor vergessen.“

„Welchen?“ fragte der Kapitän gleichgültig.

„Sie sind ja mitschuldig.“

„Pah! Beweisen Sie das!“

„Nun, Sie stehen ja hier mit dabei.“

Da stieß der Kapitän ein geringschätziges Lachen aus und antwortete:

„Wie wollen Sie meine Mitschuld beweisen? Habe ich mit Ihrem Kammerdiener über ihren Coup gesprochen?“

„Nein.“

„Oder mit seinem Sohne, dem famosen Ordonnanzoffizier?“

„Nein.“

„Oder mit sonst einem Menschen?“

„Außer mir allerdings nicht.“

„Wie also wollen Sie beweisen, daß ich Ihr Mitschuldiger bin?“

„Die beiden Genannten haben Sie vorhin bei mir stehen sehen.“

„Ja, doch können sie unmöglich beschwören, daß ich gewußt habe, um was es sich handelt. Ich verhalte mich in dieser Angelegenheit vorsichtig, daß mir später kein Mensch an den Leib gehen kann. Nur allein Margot werde ich zeigen, daß ich mit im Komplott bin. Ich hasse sie, und sie soll wissen, daß ich mich räche.“

„Kapitän, Sie sind ein fürchterlicher Mensch!“

„Oh“, antwortete dieser kalt, „wir beide sind einander jedenfalls ebenbürtig. Aber, merken Sie auf, Baron! Mir scheint, daß sie bald erwachen wird. Die Röte kehrt bereits auf ihre Wangen zurück. Wir müssen sie binden.“

Sie schlangen jetzt Tücher um das Mädchen und den Stuhl herum und banden ihr zugleich ein Taschentuch um den Mund, so daß sie nicht rufen konnte. –

Als der verkleidete Schauspieler vorhin in Margots Wohnung gedacht hatte: „Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt, so habe ich gewonnen“, hatte er wohl nicht geglaubt, daß diese gefürchtete Entdeckung nur an einem einzigen Augenblick hing.

Königsau hatte mit Blücher ganz angestrengt gearbeitet. Er sollte in öffentlichen und auch geheimen Aufträgen des Marschalls nach Berlin gehen, und dieser hatte ihm eine Menge in die Feder diktiert.

„Man munkelt davon“, hatte der alte Held gesagt, „daß die Majestäten nach England gehen werden, um sich dort als Retter Europas angaffen und feiern zu lassen. Wir sind eingeladen. Wenn der König diese Einladung befolgt, so muß ich auch mit. Man wird uns dort wochenlang herumschleppen, und weitere Wochen werden auf der Heimreise vergehen. Darum muß ich mich nach einem zuverlässigen Mann umsehen, der mir während dieser Zeit die Augen aufhält, damit ich erfahre, was daheim vorgeht. Ich habe meine Feinde, große und kleine. Verstanden?“

„Sehr wohl, Exzellenz“, antwortete Königsau verständnisinnig.

„Na, ich sehe, daß du nicht auf die Nase gefallen bist, mein Junge; darum habe ich dich auserwählt. Ich weiß, daß ich mit dir aufrichtig sein kann. Sage mir doch einmal, was sie mit diesem Napolium getan haben?“

„Verbannt.“

„Wohin?“

„Nach Elba.“

„Schön! Ich will gleich sterben, wenn ich gewußt habe, was dieses Elba für ein Land ist. Ich habe sogar den Namen nie gehört. Und nun hat man mir gesagt, was ich unter Elba zu verstehen habe. Was denkst du wohl?“

„Eine Insel.“

„Ja. Was für eine?“

„Eine offene.“

„Sehr gut geantwortet, mein Junge! Eine offene Insel, ohne Mauern und Festungswerke, so offen, daß dieser Bounaschwarte sofort echappieren kann. Und die Hauptsache, wo liegt diese Insel?“

„Bei Italien.“

„Ja, ganz in der Nähe der italienischen Küste, wo man den abgesetzten Kaiser anbetet. Der Teufel soll diese Dummheit holen! Ja, sie könnten ihn meinetwegen in Kuckucks Namen nach Italien verbannen, aber nicht nach Elba, sondern in den Vesuv hinein; da wäre es ihm auch einmal so warm geworden, wie er es uns gemacht hat. Ich sage dir, ich traue dieser Geschichte nicht. Der Kerl kommt wieder.“

„Ich glaube es auch, Exzellenz!“

„Wirklich?“

„Ja. Er hat einen großen Anhang in Frankreich. Man wird seine Rückkehr sogar mit Jubel begrüßen.“

„Das meine ich auch. Wir Soldaten haben uns die größte Mühe gegeben, ihn hinauszuschmeißen, und diese verteufelten Federfuchser halten ihm die Hintertür offen, damit er ja nur recht bald hereinkommen kann. Man möchte diese Kerls in einem Mörser zerstampfen und dann das Pulver aus einer Pistole in die Luft blasen. Da bilden sie einen Friedenskongreß. Sie nehmen das bißchen Europa her, zwicken hier einen Lappen ab und leimen dort einen Lappen an. Und ehe sie mit dem Leimen und Zwicken zustande gekommen sein werden, wird Napoleon hinter ihnen stehen und ihnen auf die Finger klopfen. Und was wird dann geschehen, mein Sohn?“

„Sie werden dann rufen: ‚Blücher her!‘“

„Ja, Blücher her! Du hast recht. Und was diese politischen Schneiderseelen dann gezwirnt, gefädelt und gestecknadelt haben, das werde ich mit dem Säbel wieder zerhauen müssen, das ist so sicher wie sonst etwas. Darum muß ich die Augen offen halten, und du sollst auch nach Berlin, um mir heimlich zu helfen, das bißchen preußischen Verstand zusammenzuhalten. Du schreibst mir regelmäßig, und ich schreibe dir. Und kannst du meine Briefe nicht lesen, so steckst du sie lieber ins Feuer, statt daß du sie einem anderen zeigst. Und nun schreibe! Ich werde dir schriftliche Instruktionen geben.“

So hatten diese beiden bis zum Abend gearbeitet. Als der letzte Federstrich getan war, sagte Blücher:

„Nun schmeiß die Feder in den Ofen, das Tintenfaß an die Wand und stecke die Scriblifaxerei in die Tasche. Ich habe das Ding satt. Geh zu deiner Margot, und sage ihr, sie soll mit ihrer Mutter ein bißchen herkommen. Wir haben ja noch verschiedenes zu besprechen.“

Das war Königsau willkommen. Er machte sich schleunigst auf, um den Befehl des Alten auszuführen.

Es war dunkel, und als er die Straße hinabschritt, begegnete ihm da, wo er in die Rue d'Ange einzubiegen hatte, eine Equipage, welche im Trab an ihm vorüberrollte. Er achtete kaum auf sie. Er ahnte nicht, daß man in diesem Wagen ihm soeben die Geliebte entführt habe.

Als er die Wohnung erreicht hatte, ließ ihn das Mädchen ein, welches sich zugegen befand, als Margot fortfuhr, morgen aber entlassen werden sollte. Er grüßte und fragte:

„Mademoiselle Margot?“

„Ist ausgefahren!“

„Ah! Wohin?“

„Zum Feldmarschall Blücher.“

„Wirklich? Eigentümlich! Frau Richemonte ist natürlich mit?“

„Nein.“

„So fuhr Mademoiselle Margot allein?“

„Nein. Ein Offizier war bei ihr.“

Königsau erstaunte noch mehr als vorher.

„Was für ein Offizier?“ fragte er. „Ein Deutscher?“

„Ich weiß es nicht. Madame wird es wissen.“

„So melden Sie mich sofort an!“

Frau Richemonte erstaunte natürlich ebenso, als sie erfuhr, daß Königsau mit ihr sprechen wolle. Sie ließ ihn eintreten und sagte: „Margot ist zum Marschall, Herr Leutnant.“

„Wann?“

„Vor wenigen Minuten.“

„Ah! Zu Wagen?“

„Ja.“

„Ich bin ihm begegnet. Ich höre, daß ein deutscher Offizier mit ihr sei?“

„Allerdings. Es war eine Ordonnanz des Marschalls.“

„Eine Ordonnanz? Unmöglich!“

„Oder ein Adjutant.“

„Ebenso unmöglich!“

„Aber mein Gott, der Marschall schickte ja den Herrn, um uns zum Souper abzuholen.“

Königsau erbleichte, doch nahm er sich der kranken Dame gegenüber zusammen und fragte:

„Wie hieß er?“

„Ich weiß es nicht, ich habe nicht gefragt; ich habe ihn gar nicht gesehen.“

„Sie waren auch mit eingeladen, Madame?“

„Ja. Ich ließ mich entschuldigen, weil ich mich sehr angegriffen fühle.“

„Ah, so liegt meinerseits ein kleiner Irrtum vor.“

„Welcher?“

„Ich wußte nicht, daß der Marschall so aufmerksam war, bereits nach Ihnen zu senden; ich glaubte, Sie abholen zu müssen. Sie verzeihen, daß da meine Zeit gemessen ist.“

„Gehen Sie, mein lieber Leutnant, und haben Sie die Güte, mich nochmals beim Marschall zu entschuldigen. Wenn die Stunde unserer Abreise bestimmt ist, werde ich sehen, ob mir Zeit bleibt, mich noch persönlich bei Blücher zu empfehlen.“

Königsau ging.

Er hatte ihr von seinem Schreck nichts merken lassen. Er war beinahe überzeugt, daß ein neuer Anschlag gegen Margot vorliege, und rannte in größter Eile zum Marschall zurück, bei welchem er atemlos und mit hochrotem Gesicht eintrat.

„Donnerwetter, müssen Sie gelaufen sein!“ sagte Blücher. „Was gibt es?“

„Ist Margot hier, Exzellenz?“ keuchte der Leutnant.

„Nein. Ich denke, Sie bringen sie mit.“

„Ah, Exzellenz haben nicht nach den Damen geschickt?“

„Nein.“

„Keine Equipage?“

„Nein.“

„Keinen Ordonnanzoffizier oder einen Adjutanten?“

„Nein. Was ist denn los?“

„So ist Margot entführt worden.“

Da sprang der Marschall vom Stuhl auf und rief:

„Tausend Teufel! Entführt? Sind Sie bei Trost oder nicht?“

„Oh, gegenwärtig bin ich allerdings ganz und gar nicht bei Trost, Exzellenz. Ich muß fort, augenblicklich fort!“

Er wendete sich um, um sich schleunigst zu entfernen; aber Blücher kommandierte:

„Halt! Rechtsumkehrt! Weiß er Tausendsapperloter nicht, daß er zu bleiben hat, bis ich ihn entlasse! Also, was ist mit Margot? Ich muß es wissen. Wenn eine neue Teufelei im Werke sein sollte, so darf man nicht besinnungslos hineinstürmen, sondern man hat fein klug und schlau zu verfahren. Verstehst du mich, Junge?“

Königsau sah ein, daß der Alte recht habe; er zwang sich zur möglichsten Ruhe und wiederholte:

„Margot ist entführt worden, Exzellenz.“

„Das hast du bereits einmal gesagt. Aber beweise es.“

„Es ist vor einigen Minuten eine Equipage vorgefahren.“

„Ah! Mit einem Offizier?“

„Ja.“

„Was für einer?“

„Ich weiß es nicht. Mama hat ihn nicht gesehen gehabt. Er hat sich für eine Ordonnanz ausgegeben –“

„Von mir?“

„Ja, und hat eine Einladung zum Souper von Ew. Exzellenz gebracht.“

„Donnerwetter!“

„Mama ließ sich entschuldigen: sie ist sehr angegriffen und konnte nicht kommen.“

„Und Margot ist mitgefahren?“

„Ja.“

„Wohin?“

„Diese Straße herab; ich bin dem Wagen begegnet.“

Königsau konnte sich kaum zur Ruhe zwingen. Vor Aufregung klang seine Stimme heiser. Auch Blücher stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab.

„Das ist eine Lüge, eine verdammte Lüge, ein Schwindel ohnegleichen!“ sagte er. „Ich habe niemand gesendet. Ja, sie ist entführt, aber von wem?“

„Von wem anders als von Baron Reillac!“

„Donnerwetter, das glaube ich selbst! Und ihr sauberer Stiefbruder ist im Komplott.“

„Jedenfalls, Exzellenz.“

„Aber, wohin hat man sie geschafft? Wenn man das wüßte!“

„Ich glaube es zu erraten.“

„Ah, wirklich?“

„Ja, und ich denke nicht, daß ich mich irre.“

„Das wäre gut! Wir könnten ihnen auf die Bude rücken. Wo?“

„Man hat sie nach der Wohnung Reillacs geschafft.“

„Hm. Warum denkst du das?“

„Weil ich gestern abend bemerkt habe, daß dort noch andere Heimlichkeiten ausgeheckt werden. Erinnern sich Exzellenz dessen, was ich dort belauschte?“

„Was?“

„Den neuen Anschlag. Der Kapitän wollte sich heute erkundigen. Oh, mir ahnt, was man mit Margot vorhat.“

Er ballte die Fäuste und machte eine Wendung, als ob er fortstürmen wollte.

„Was?“ fragte Blücher abermals.

„Ich hörte gestern, daß sie gezwungen werden sollte, in die Ehe mit diesem Baron zu willigen. Heute weiß ich, wodurch. Erraten es Exzellenz nicht?“

Da trat Blücher einen Schritt zurück; sein Auge glühte, als er sagte:

„Ah! Mensch! Wäre das möglich!“

„Ich bin überzeugt davon.“

„So haue ich sie zu Brei, alle beide.“

„Erst muß man sie haben, Exzellenz. Ich muß fort! Bitte, mich zu entlassen.“

„Entlassen? Unsinn! Ich muß auch fort, und zwar mit dir. Hast du Waffen?“

„Jetzt habe ich keine bei mir.“

„So steckst du ein Paar Pistolen von mir ein. Glaubst du, daß wir das Haus des Barons finden werden?“

„Ich habe es mir sehr genau gemerkt.“

„Gut, so werden wir gehen und es stürmen.“

Er schnallte seinen Säbel um und nahm zwei Paar Pistolen von der Wand. Er war ganz so in Rage, als ob es zu einer Schlacht gehen sollte. Königsau wollte auch nicht gern einen Augenblick verlieren, aber er besann sich doch und sagte:

„Exzellenz, der Degen würde uns im Weg sein.“

„Warum?“

„Weil wir eine Mauer und eine Veranda zu ersteigen haben.“

„Gut, so lasse ich ihn zu Hause. Werden wir es allein machen können?“

„Man weiß es nicht. Es kommt auf die Umstände an.“

„Gut, so nehmen wir aus der Wachstube ein paar tüchtige Kerle mit.“

Da aber kam Königsau ein bedenklicher Gedanke.

„Werden wir so mir nichts, dir nichts eindringen dürfen, Exzellenz?“ fragte er.

„Warum nicht? Wir steigen hinauf und schlagen das Fenster ein.“

„Hausfriedensbruch!“

„Meinetwegen Weltfriedensbruch! Wer will uns etwas tun?“

„Es ist verboten, ohne Erlaubnis einzudringen.“

„Die Kerls haben das Mädchen. Das entschuldigt alles.“

„Aber wenn sie Margot nicht haben?“

„Sie haben sie ganz bestimmt.“

„Können wir dies beweisen? Wird man uns suchen lassen?“

Blücher machte eine Miene des Mißmutes.

„Junge, du kannst recht haben“, sagte er, jetzt ein wenig nachdenklich.

„Denken Exzellenz an das Aufsehen.“

„Hm. Ja.“

„Feldmarschall Blücher auf der Anklagebank wegen Hausfriedensbruch.“

„Verdammt fatal.“

„Und im Feindesland. Das könnte böses Blut geben.“

„Ja, ja. Aber wir müssen Hilfe bringen auf alle Fälle.“

„Auf möglichst gesetzlichem Weg aber.“

„Dann kann Margot zwanzig Jahre auf uns warten. Ich kenne die Schnelligkeit der Gesetze. Eine Schnecke ist eine Schwalbe gegen sie. Hast du einen Gedanken?“

„Ja.“

„Nun, so schieß ihn heraus.“

„Wir begeben uns zum Maire des Arrondissements.“

„Ah, zum Vorsteher des Stadtviertels! Gut. Wenn der Blücher zu ihm kommt, so wird er wohl keine Sperenzien machen.“

„Das denke ich auch. Wir sagen ihm, in welchem Verdacht der Baron bei uns steht. Er muß mit, um dort auszusuchen.“

„Gut. Aber er ist Franzose und wird einem Landsmann die Augen nicht auskratzen.“

„So unterstützen wir seinen Scharfsinn.“

„Schön. Ich schlage vor, wir nehmen doch einige pommersche Grenadiere mit.“

„Jawohl, Exzellenz, aber nur heimlich. Wir stecken sie hinauf auf die Veranda, wo sie unser Zeichen erwarten und vielleicht auch etwas erlauschen können.“

„Dieser Gedanke ist sehr gut. Jetzt haben wir einen Plan, und wir werden ihn sofort ausführen. Weiß du die Mairie?“

„Ja. Sie ist vis-à-vis des Gäßchens, um welches es sich handelt.“

„Das paßt. Da verlieren wir nicht viel Zeit. Hier hast du die zwei Pistolen, komm!“

Jeder der beiden steckte zwei geladene Pistolen zu sich, und dann begaben sie sich hinunter in das Wachlokal. Dort erregte das Erscheinen des Marschalls nicht wenig Aufsehen. Die Mannschaft sprang schleunigst von ihren Pritschen auf und salutierte.

Blücher überflog die Leute mit einem raschen Blicke, dann trat er zu einem von ihnen.

„Du, Kerl, bist du nicht der August, mit dem ich gestern gesprochen habe?“

„Zu Befehl!“ antwortete der Mann.

„Du hast mich gemeldet?“

„Zu Befehl!“

„Ist dir das Urteil bekannt gemacht worden?“

„Zu Befehl!“

„Wie lautet es?“

„Ein Verweis.“

„Gut, diesen Rüffel habe ich auch erhalten, schriftlich natürlich. Ja, lieber August, nun kannst du dich rühmen, daß du den alten Blücher angezeigt und in Strafe gebracht hast. Man wird dich anstaunen, mein Junge! Aber euer Geld habt ihr euch nicht geholt!“

„Exzellenz!“

„Was, Exzellenz?“

„Das wäre zu bettelig erschienen.“

„Donnerwetter, August, du bist stolz, du hast Zartgefühl! Das freut mich von dir, alter Schwede. Deshalb will ich dir jetzt Gelegenheit geben, dich auszuzeichnen. Kannst du klettern?“

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Über eine Mauer?“

„Ja.“

„Auch auf eine Veranda hinauf, welche Querlatten hat?“

„Ja.“

„Nun gut. Nimm noch drei zu dir, welche auch so klettern können. Gewehre braucht ihr nicht. Das übrige sollt ihr erfahren. Aber macht schnell.“

In der Zeit von einer Minute standen die vier Männer zur Verfügung, und der Marsch wurde angetreten.

Königsau machte den Führer. In dem Gäßchen und an dem Pförtchen angekommen, sagte er ihnen flüsternd:

„Wir suchen ein Mädchen, welches man, wie wir vermuten, gewaltsamerweise hierhergebracht hat. Ihr steigt hier über die Mauer und schleicht euch geradeaus nach dem Hof und an die Veranda, welche sich dort befindet. An dieser steigt ihr in die Höhe und sucht zu erlauschen, was geschieht. Aber ihr nehmt euch in acht, daß man euch nicht bemerkt. Sollten wir euch rufen, so kommt ihr durch das Fenster in die Stube gestiegen.“

„Ja“, meinte der Marschall, „sobald ich rufe ‚August, herein!‘, so zerhaut ihr das Fenster und springt in das Zimmer.“

August Liebmann fühlte sich geschmeichelt. Er war nicht dumm; es kam ihm ein Gedanke, den er auch sofort auszusprechen wagte:

„Exzellenz, ist das Mädchen gelaufen oder gefahren?“

„Gefahren natürlich! Warum?“

„Vor vielleicht einer Viertelstunde fuhr ein Wagen in dieses Gäßchen.“

„Ah! Was für ein Wagen?“

„Eine feine Kutsche.“

„Sapperlot! Woher weißt du das?“

„Ich habe es selbst gesehen. Ich wurde durch den Wachhabenden nach der Mairie geschickt; da sah ich die Kutsche, welche hier her einlenkte.“

„August, du bist kein übler Kerl! Hast du schon eine Liebste?“

„Nein, Exzellenz.“

„Na, sieh, wenn ich einmal eine Tochter übrig habe, werde ich sie dir anbieten. Und nun klettert los, ihr Schlingel. Laßt euch aber von niemandem sehen!“

Während die vier Soldaten sich leise und möglichst geräuschlos emporschwangen, begaben sich die beiden Männer nach der Mairie. Sie fragten einen der anwesenden Unterbeamten nach dem Maire und wurden in das Zimmer gewiesen, in welchem sich derselbe befand. Er saß bei seiner Arbeit, von welcher er nicht aufsah; er erwiderte den Gruß der beiden mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken und schrieb weiter.

Blücher hustete leise, da aber der Maire gar nicht darauf achtete, so fragte der Marschall Königsau leise:

„Was heißt Schafskopf oder Pinsel auf französisch?“

„Benêt“, antwortete der Gefragte ebenso leise.

Blücher nickte befriedigt, trat einen Schritt auf den Maire zu und rief laut:

„Benêt, Doppel-Benêt, dreifaches Benêt!“

Da fuhr der Maire wie von einer Otter gestochen von seinem Stuhl auf und fragte:

„Was ist das? Wer spricht da? Wer ist gemeint?“

Blücher legte ihm die Hand auf die Achsel und fragte:

„Können Sie Deutsch?“

„Ja“, nickte er stolz.

„Na, wenn ich das wußte, so hätte ich anstatt Benêt Einfaltspinsel gesagt.“

Da schob der Maire, welchem die Brille nach der Nasenspitze gerutscht war, dieselbe in die Höhe und blitzte den Marschall wütend an. Er legte sich eine Strafrede zurecht.

„Monsieur“, begann er, „wie können Sie es wagen, hier in meiner –“

Er hielt plötzlich inne. Erst jetzt hatte er den Alten richtig angesehen. Seine Züge nahmen den Ausdruck des höchsten Schreckens an.

„Ah, mein Sohn, du scheinst mich zu kennen?“ sagte Blücher freundlich.

Da machte der Maire eine knietiefe Verbeugung und antwortete:

„Ich habe die ausgezeichnete Ehre. Was befehlen Exzellenz?“

„Zunächst, mein Sohn, befehle ich dir, in Zukunft nicht wieder ein Schafskopf zu sein. Man kommt zu dir, um mit dir zu reden, nicht aber, um sich deine hintere Front abzumalen. Verstanden? Und sodann wollte ich wissen, ob du vielleicht ein bißchen Zeit für mich hast.“

„Ich stehe stundenlang zur Verfügung“, antwortete der Gefragte.

„Stehe so lange, wie du willst; jetzt aber sollst du einmal mit uns gehen.“

„Wohin?“

„Kennst du einen Baron de Reillac?“

„Sehr wohl. Ich habe die Ehre, sein Schwager zu sein.“

„Sein Schwager? Hm! Woher kommt denn diese Bekanntschaft?“

„Seine Schwester ist meine Frau.“

„Alle Teufel, da brauche ich mich nicht zu wundern, daß du vorhin ein so großer Schafskopf warst.“

Bisher hatte der Maire getan, als ob er die Mätzchen des Alten gar nicht bemerkte, jetzt aber stellte er sich einigermaßen in Positur und sagte:

„Exzellenz vergessen wohl, daß ich Beamter bin!“



„Als ich dich vorhin sitzen sah, vergaß ich es allerdings; da hielt ich dich für einen Ölgötzen. Gut, daß du mich daran erinnerst! Du bist doch der Maire?“

„Zu dienen.“

„Schön. Ziehe mal deinen Gottfried an, setze den Hut auf und komm mit.“

„Wohin?“

„Zu deinem lieben Schwager.“

„Aus welchem Grund?“

„Das wird sich finden, mein Söhnchen.“

„Exzellenz erlauben mir die Bemerkung, daß ich das wissen muß.“

„Und du erlaubst mir die Bemerkung, daß du das an Ort und Stelle erfahren wirst. Willst du oder willst du nicht?“

„Eigentlich brauche ich nicht mitzugehen.“

„So bleibe da, mein Sohn. Aber ich werde dich holen lassen.“

„Ah! Durch wen?“

„Oh, ich habe da in und um Paris eine Viertelmillion blauer Jungens stecken; da tut mir ein jeder gern den Gefallen, dich beim Hinterbein aus dem Stall zu ziehen.“

„Wenn Exzellenz drohen, so kann ich allerdings nicht widerstehen, mache aber –“

„Schon gut! Geh mit; weiter brauchst du nichts zu tun.“

Der Maire legte den Schreibärmel ab, zog den Überzieher an, griff nach dem Hut und erklärte sich bereit, die Herren zu begleiten. Draußen auf der Straße nahmen sie ihn in die Mitte, und Blücher begann:

„Herr Bürgermeister, Sie haben vielleicht gehört, daß ich ein eigentümlicher Querkopf bin. Im guten geht alles, im schlimmen geht nichts! Jetzt spreche ich zu Ihnen als zum Vertreter der Polizei. Wir bedürfen Ihrer Hilfe.“

„In welcher Angelegenheit?“

„Man hat einer Mutter ihre Tochter entführt.“

„Ah, der Geliebte ist mir ihr durchgegangen?“

„Nein, die Sache liegt strafbarer; man hat sie förmlich geraubt.“

„Ah! Menschenraub? Das wäre schlimm! Wer ist das Mädchen?“

„Es ist Mademoiselle Richemonte.“

„Ah, vielleicht die Schwester des Kapitän Richemonte?“

„Allerdings. Kennen Sie ihn?“

„Ich sah ihn einige Male bei meinem Schwager. Wann ist sie entführt worden?“

„Vor noch nicht einer halben Stunde.“

„Von wem?“

„Wir haben eben Ihren Schwager im Verdacht.“

Da blieb der Maire erschrocken stehen und sagte:

„Meinen Schwager? Den Baron?“

„Ja, den neugebackenen Baron.“

„Aber warum, Exzellenz?“

„Weil er ein Halunke ist, dem man so eine Niederträchtigkeit zutrauen muß.“

„Exzellenz verzeihen; ich darf unmöglich anhören, daß ein Verwandter von mir –“

„Papperlapapp! Ihre Verwandtschaft geht uns gar nichts an. Ihr Schwager will Mademoiselle mit Gewalt zu seiner Frau machen; sie liebt ihn nicht. Hier dieser Herr, ein junger Freund von mir und wackerer Offizier, ist ihr Verlobter. Gestern abend hat Ihr Schwager ihn meuchlings auf der Straße überfallen und zwei Kugeln auf ihn abgegeben. Der Mord gelang nicht; da hat der Baron sich entschlossen, das Mädchen zu rauben.“

„Unmöglich!“

„Schwatzen Sie keinen Unsinn! Wenn ich, der alte Blücher, es sage, so haben Sie es zu glauben, sonst soll Sie der Teufel holen! Er hat sich zu dieser Schlechtigkeit sogar meines eigenen Namens bedient und einen als deutschen Offizier verkleideten Menschen zu der Dame geschickt, der sie angeblich zu mir zum Souper abholen sollte. Der Wagen ist nach der Wohnung des Barons gefahren.“

„Aber, Exzellenz, wie ich meinen Schwager kenne, so ist er –“

„Ein Erzspitzbube, nicht wahr?“ fiel Blücher ein. „Dem stimme ich vollständig bei!“

„Ich wollte allerdings das Gegenteil sagen.“

„Damit haben Sie bei mir kein Glück.“

„Aber, die ganze Geschichte klingt so fabelhaft, daß ich –“

„Herr!“ donnerte ihn da Blücher an. „Glauben Sie, daß ich mit meinem Heer nach Frankreich gekommen bin und Paris eingenommen habe, nur um einem kleinen Maire eine Fabel zu erzählen. Was ich sage, das sage ich!“

„Aber, was wünschen Sie von mir?“

„Ihr Schwager wohnt in Ihrem Arrondissement. Nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Nun, wir wünschen eine Haussuchung bei ihm zu halten.“

„Mein Gott, ist dies möglich?“

„Sogar sehr. Diese Haussuchung soll keine heimliche, sondern eine offizielle sein.“

„Da soll ich mithelfen?“

„Natürlich. Ich respektiere die Gesetze, Herr Maire.“

„Da muß ich Ihnen leider sagen, daß eine Haussuchung unmöglich ist.“

„Ah, warum?“

„An eine Haussuchung sind gewisse Vorbedingungen geknüpft, meine Herren, die –“

„Die hier vollständig vorhanden sind“, fiel Blücher ein.

„Im Gegenteil, im Gegenteil.“

„Was? Wie sagen Sie?“ fragte Blücher. „Zu einer Haussuchung gehört nur zweierlei?“

„Oh, mehr, viel mehr.“

„Papperlapapp! Zu einer Haussuchung gehört erstens ein Haus und sodann, der, welcher es aussucht, pasta, abgemacht! Das Haus ist da, der Aussucher auch, ja, es sind sogar deren mehrere da. Es gibt keinen Grund zur Ausrede für Sie.“

„Ich muß dennoch bei meinem Bescheid beharren, Messieurs.“

„So beharren Sie, uns wird das gar nicht stören. Aber Sie werden die Freundlichkeit haben, uns zu Ihrem lieben Schwager zu begleiten.“

„Eigentlich bin ich dazu viel zu sehr beschäftigt.“

„So arbeiten Sie eine Stunde länger, Monsieur. Wir Deutschen haben Ihretwegen manche Stunde arbeiten müssen. Wo ist das Haus, Lieutenant?“

„Hier, Exzellenz!“

Sie waren natürlich nicht nach dem Gäßchen, sondern nach der vorderen Front der Straße gegangen. Die erste Etage des angedeuteten Hauses war nur teilweise erleuchtet. Der Marschall klingelte, und der Portier öffnete.

„Wohnt hier Baron Reillac?“ fragte Königsau.

„Ja, Monsieur.“

„Ist er ausgegangen?“

„Nein.“

„Also daheim?“

„Ja.“

„Hat er Besuch?“

„Der Herr Kapitän Richemonte scheint bei ihm zu sein.“

„Ah! Wer noch?“

„Weiter niemand.“

„Da hören Sie es!“ sagte der Maire mit befriedigter Miene.

„Was hören wir?“ fragte Blücher, indem er den Maire die Treppe emporschob. „Denken Sie, wir sind so dumm wie ihr Franzosen? Ihr meldet es wohl dem Portier, wenn ihr ein Mädchen entführt und nach Hause schleppt? Gott segne euren Verstand! Lieutenant, klingeln Sie. Man wird sehen, wo man Margot versteckt hat.“ –

Während Königsau mit Blücher gesprochen hatte und dann mit diesem nach der Maire gegangen war, hatte Margot ihr Bewußtsein wiedererhalten.

Sie blickte umher und fand sich in einem ihr fremden Zimmer. Sie wußte nicht, wie sie hierhergekommen war, und wollte mit der Hand nach der Stirn greifen, wie man zuweilen tut, wenn man etwas überlegen will. Da merkte sie, daß sie gefesselt war, ja, daß man ihr sogar den Mund verbunden hatte. Und nun kam es plötzlich klar und hell über sie, wie sie hierhergekommen war. Es fiel ihr ein, daß eine Ordonnanz sie abgeholt hatte. Sie erinnerte sich des Duftes, welchen sie eingeatmet hatte, und nun wurde sie von der Gewißheit durchschauert, daß sie das Opfer eines Betruges geworden sei.

Sie ließ ihre Augen im Zimmer herumschweifen; es war kein Mensch vorhanden. Wo befand sie sich? Es wurde ihr vor Angst siedend heiß im Inneren.

Da hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie konnte den Kopf nicht bewegen, aber dies war auch nicht nötig, denn der Betreffende trat gleich darauf vor sie hin.

Es war ihr Bruder.

Er verschränkte die Arme ineinander und blickte sie an. Sie schloß die Augen, um das Spiel seiner Mienen nicht ansehen zu müssen. Nach einer Weile stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und sagte:

„Das hat man davon, wenn man sich zur Geliebten eines Deutschen herabwürdigt!“

Sie konnte ihm nicht antworten. Er hatte große Lust, mit ihr zu spielen, wie die Katze mit der Maus, darum trat er näher und schob ihr das Tuch ein wenig vom Mund fort.

„Welch eine Luft! Nicht wahr? Nur meine Nähe verpestet sie.“

Sie hielt noch immer die Augen geschlossen. Sie wollte, bevor sie sich in ihrem Verhalten bestimmte, erst erfahren, welche Absicht er mit ihr habe.

„Wie schade, hier bei mir sein zu müssen, während du glaubtest, bei Blücher und deinem Soldaten speisen zu können.“ Und höhnisch fügte er hinzu: „Welcher rühmt sich denn eigentlich des Glücks, dich zu besitzen? Der Alte oder der Junge?“

Auch jetzt noch schwieg sie. Das ärgerte ihn, und darum sagte er:

„Doch das ist ja gleich. Du wirst von jetzt an das Eigentum eines anderen sein.“

Das half, denn sie öffnete jetzt die Augen und fragte:

„Wessen?“

„Das weißt du nicht?“

„Nein.“

„Nun, des Barons!“

„Ah! Er hat mich rauben lassen, und du hast ihm geholfen?“

„So ist es!“

„Mein Gott, ein Bruder!“

„Mein Gott, eine Schwester!“ höhnte er.

„Weiß Mama, wo ich bin?“

Die Angst um die Mutter gab ihr diese Frage ein. Er lachte laut auf und antwortete:

„Sie? Es wissen? Hältst du uns für wahnsinnig?“

„Sie wird es erfahren.“

„Gewiß, das wollen wir ja.“

„Wann?“

„Sobald es dir beliebt.“

„Ich verstehe dich nicht.“

„Du wirst mich sofort verstehen. Paß auf.“

In diesem Augenblick neigte sich der Baron über die Lehne des Stuhls herüber und küßte sie auf den Mund. Sie hatte nicht gewußt, daß er hinter ihr gestanden hatte. Sie stieß einen lauten Hilferuf aus, da aber sagte ihr Bruder schnell:

„Halt! Keinen Laut! Sobald du rufst, bekommst du einen Knebel in den Mund; das wird deine Lage keineswegs angenehmer machen.“

„Wer berührte mich jetzt?“ fragte sie, zitternd vor Abscheu.

„Ich.“

Bei diesen Worten trat der Baron hervor, so daß sie ihn deutlich sehen konnte.

„Unverschämter!“ zürnte sie.

„Zanken Sie immerhin!“ lachte er. „Sie befinden sich in meiner Hand. Ich werde Sie jedenfalls zu zähmen wissen.“

„Nie, niemals!“

„Ah, Sie glauben es nicht?“ fragte er. „Nun, so hören Sie, was Ihrer wartet. Ich liebe Sie, und Sie stoßen mich von sich. Ich habe sie gebeten und Ihnen gedroht, alles umsonst. Nun greife ich zu dem letzten, aber unfehlbaren Mittel: Sie werden heute die Meine werden, heute, noch diesen Abend. Sie werden es so lange sein, bis es mir gefällt, Sie zu entlassen; Sie werden dann in Ehren keinem anderen gehören können und mich kniefällig bitten, die Schande von Ihnen zu nehmen, indem ich Sie zur Baronin Reillac mache. Und das werde ich dann vielleicht tun, vielleicht auch nicht.“

„Teufel.“

„Ja, ich bin ein Teufel, und Sie sind ein Engel; es wird eine interessante Verbindung.“

„Nie, niemals!“ rief sie.

„Pah, Sie können nicht widerstehen!“ lachte er.

„Gott wird mich schützen.“

„Glauben Sie das nicht. Gott hat mehr zu tun, als sich um die kleine Margot zu kümmern. Sie werden heute noch mein.“

„Ich werde sterben“, hauchte sie.

„Es stirbt sich nicht so leicht und schnell. Meine Zärtlichkeiten werden Ihnen bald gefallen, und dann werden Sie recht gern leben.“

Sie war leichenblaß geworden. Sie blickte ihm ängstlich forschend in das Gesicht und sagte:

„Baron, das kann Ihre Absicht nicht sein.“

„O gewiß, doch.“

„Ich kann Sie nie lieben.“

„Sie werden es lernen.“

„Haben Sie Mitleid! Denken Sie an meinen Vater, dessen Freund Sie einst waren, und an meine arme Mutter, welche bereits so viel gelitten hat.“

„Ihr Vater ist tot, und Ihre Mutter geht mich jetzt nichts an. Als meine Schwiegermutter jedoch wird sie mir sehr angenehm und willkommen sein.“

„So denken Sie an Gott, der alles sieht.“

„Wirklich?“ lachte er. „Er wird eine interessante Liebesszene sehen.“

„Und der alles bestraft.“

„Vor dieser Strafe fürchte ich mich nicht.“

Sie schauderte. Dieser Mensch war wirklich ein Teufel. Sie wendete sich an den Bruder:

„So erbarme du dich meiner; du bist ja doch der Bruder.“

„Unsinn!“ antwortete er. „Hast du dich meiner erbarmt?“

„Albin“, sagte sie vorwurfsvoll, „du weißt, daß Mama und ich im stillen für dich gearbeitet und gehungert haben.“

„Das ist dir gut bekommen“, sagte er mitleidslos. „Wenn du die Frau des Barons bist, quittiert er meine Schulden. Als gute Schwester würdest du dies beherzigen und ihm aus freien Stücken dein Jawort geben. Du stehst an der letzten Entscheidung. Ich frage dich: Willst du freiwillig seine Frau werden oder gezwungen?“

Sie sah, daß hier auf kein Mitleid zu rechnen war, und antwortete:

„Ich werde es weder freiwillig, noch gezwungen sein. Gott wird mich beschützen.“

Sie dachte an das, was Königsau ihr gestern erzählt hatte, als sie bei Blücher saßen.

„So hast du also gewählt“, sagte Margots Bruder. „Baron, ich übergebe sie Ihnen. Tun Sie mit ihr, was Ihnen beliebt. Sie hat alles nur sich selbst zuzuschreiben!“

„Albin“, sagte sie da. „Das wirst du nicht tun. Du wirst mich nicht verlassen!“

„Papperlapapp!“ antwortete er achselzuckend.

„Denke an den Vater!“

„Oh, er ist schuld, daß ich leichtsinnig geworden bin. Sein Andenken kann deine Lage nicht im geringsten verbessern!“

„Gott, was soll ich da noch sagen“, klagte sie. „Ihr seid keine Menschen!“

„Oh, wenigstens ich bin ein Mensch“, meinte der Baron. „Ich werde Ihnen beweisen, daß mein Herz sehr menschliche Regungen verspürt.“

Er näherte sich ihr, um sie zu küssen.

„Gehen Sie, gehen Sie, Ungeheuer!“ rief sie.

Er spitzte dennoch den Mund. Sie konnte den Kopf nicht wenden, sie hatte kein anderes Mittel der Verteidigung, sie spuckte ihm in das Gesicht.

„Da, du Widerwärtiger!“ rief sie. „Gebt mir nur wenigstens meine Glieder frei, damit ich mit Euch kämpfen kann.“

„Fällt mir nicht ein!“ lachte der Baron, indem er sich das Gesicht abtrocknete. „Sie haben eine eigentümliche Manier, Küsse zu empfangen. Ich werde Ihnen den Mund verbinden, um Wiederholungen zu vermeiden.“

Er schob ihr das Tuch wieder auf den Mund. Dadurch wurde der Hals frei, welcher alabasterweiß und verlockend aus dem Kleiderausschnitt hervorleuchtete. Hierher richtete jetzt der Baron seine Küsse. Er sah, daß der ganze Körper des schönen Mädchens unter diesen Berührungen zusammenzuckte; aber die herrlichen Formen, welche da vor ihm lagen, erweckten seine Glut, so daß er zu Richemonte sagte:

„Also, jetzt ist sie mein?“

„Ja.“

„Sie geloben Stillschweigen?“

„Gewiß.“

„Nun gut, so werde ich Ihnen jetzt eins Ihrer Akzepte zurückgeben.“

„Nur eins?“

„Nach der Hochzeit die anderen.“

„Aber wenn es zu keiner Hochzeit kommt?“

„Oh, sie wird jedenfalls einwilligen.“

„Ich meine, wenn Sie es sind, der von der Verbindung absieht.“

„Ich? Das ist unmöglich.“

„Oh, man kennt Beispiele, daß die leidenschaftlichste Liebe nach der Erhörung erkaltet.“

„Nun, in diesem Fall werde ich mich so gegen Sie verhalten, als ob Ihre Schwester meine Frau geworden sei.“

„Dann her mit dem Akzept!“

„Ich habe es im Schreibtisch. Kommen Sie. Wir wollen erst Margot in Sicherheit bringen.“

„Wohin?“

„Ich habe da in der Nähe ein außerordentlich bequemes Tapetenzimmer, dessen Tür kein Uneingeweihter zu finden vermag. Dort ist sie so sicher wie in Abrahams Schoß.“

„So machen Sie, ich möchte am liebsten fort von hier.“

„Gut, vorwärts.“

Er öffnete die Tür zum Nebenzimmer. Es war derselbe Raum, in welchem gestern die beiden zur Besprechung beisammen gewesen waren.

Draußen auf dem Dach der Veranda lagen die vier pommerschen Grenadiere. Es war ihnen gelungen, ganz unbemerkt heraufzukommen. Nun hatten sie schon eine geraume Zeit gewartet, aber nichts sehen oder hören können.

„Verdammt langweilig!“ flüsterte der eine.

„Wie auf Vorposten“, sagte der andere.

„Haltet das Maul!“ meinte August. „Wir haben aufzupassen.“

„Auf was denn?“

„Auf das Mädchen.“

„Wo ist es denn?“

„Da drin natürlich.“

„Besser wär's, wir hätten es hier.“

„Unsinn. Ich mag keine Französin.“

„Warum nicht?“

„Am Dienstag verliebte ich mich in eine.“

„Ah! Und sie?“

„Sie verliebte sich in mich. Ich führte sie nach Hause.“

„Gratuliere.“

„Haltet das Maul! Als ich am Mittwoch zu ihr kam, saß ein anderer bei ihr.“

„Der auch ihr Liebster war?“

„Natürlich. Er war ein Eckensteher.“

„Pfui Teufel!“

„Am Donnerstag beluxte sie mich wieder.“

„Das war dumm.“

„Am Freitag nahm sie abermals einen anderen mit nach Hause.“

„Was war er?“

„Lumpensammler.“

„Pfui Teufel!“

„Und am Sonnabend, da –“

„Da beluxte sie zur Abwechslung wieder dich?“

„Beinahe, denn sie war hübsch, aber – hört ihr drin nicht Leute reden?“

„Ja.“

Die vier Soldaten horchten.

„Jetzt war's, als ob ein Frauenzimmer gerufen hätte“, meinte August Liebmann.

„Das wird sie sein.“

„Wollen wir hinein?“ fragte einer.

„Nein. Ihr wißt, daß ihr mir Subordination schuldig seid“, sagte August. „Blücher hat die Angelegenheit ganz in meine Hände gelegt. Sogar das Stichwort bin ich selber. Halt, da ist ja Licht!“

Drinnen wurde eine Tür geöffnet und dann die zweite. Die beiden Männer brachten Margot in das Zimmer, vor dessen Fenster die vier lagen.

„Um Gottes willen, laßt euch nicht sehen“, sagte August. „Aber paßt genau auf!“

Und nun flüsterten sich die Soldaten alle Bemerkungen zu, welche sie machten.

„Sie ist an den Stuhl gebunden.“

„Und vor dem Mund hat sie ein Tuch!“

„Donnerwetter, muß die hübsch sein!“

„Ja, wenn die verdammten Tücher nicht wären.“

„Wer aber mögen die beiden Kerls sein?“

„Hört, mir kommt eine Ahnung!“ meinte August.

„Welche?“

„Ob das nicht die beiden Halunken sind, welche gestern nach Lieutenant Königsau geschossen haben?“

„Du, das wäre möglich.“

„Und das Mädchen ist die, welche dann zu Blücher kam, wo mir der Alte den Ausdruck Frauenzimmer so um die Nase rieb.“

„Weißt du es genau?“

„Jetzt sehe ich es deutlich. Wir haben sie ja mit nach Hause geführt.“

„Sapperlot, was machen sie mit ihr? Das sieht gerade aus, als ob sie mit ihr und dem Stuhl durch die Wand rennen wollten.“

„Das tun sie auch. Guckt, eine Tapetentür. Habt ihr gesehen, wie man sie öffnet?“

„Ich“, sagte August stolz.

„Wie denn? Ich habe nichts gesehen; es ging mir zu rasch.“

„Dir habe ich's nicht zu melden, sondern Blücher.“ –

Der Baron war mit dem Kapitän in dem Tapetenzimmer verschwunden, doch kamen die beiden sehr bald zurück. Sie gingen miteinander wieder nach der Bibliothek. Dort öffnete der Baron den Schreibtisch, zog ein verborgenes Fach heraus und entnahm demselben einen Wechsel.

„Hier!“ sagte er.

Der Kapitän griff hastig danach, überlas ihn und riß ihn dann in Stücke, welche er vorsichtig in seine Tasche steckte. Da wurde draußen die Glocke gezogen.

„Wer mag das sein?“ meinte der Baron.

„Vielleicht Ihr Kammerdiener.“

„Möglich. Warten Sie, ich werde öffnen.“

Er durcheilte die vorderen Zimmer bis zum Vorsaal, dessen Tür er entriegelte. Anstatt seines Dieners erkannte er den Maire. Die beiden anderen standen etwas seitwärts, so daß er sie noch nicht sehen konnte.

„Ah, du?“ fragte er. „Was führt dich zu so ungewöhnlicher Zeit zu mir?“

„Ich habe dir diese beiden Herren vorzustellen“, antwortete der Beamte.

„Wen?“

Er trat bei diesen Worten vollständig auf den Vorsaal hinaus und erkannte nun allerdings zu seinem Schrecken augenblicklich, wen er vor sich habe.

„Baron Reillac?“ fragte Blücher kurz und gebieterisch.

„Zu dienen!“

„Herr Richemonte bei Ihnen?“

„Ja“, antwortete der Gefragte zögernd.

„Weiter niemand?“

„Nein.“

„Wollen sehen.“

Er machte Miene, einzutreten, da aber stellte sich ihm der Baron in den Weg.

„Bitte, mein Herr“, sagte er. „Bei mir ist jetzt nicht Besuchsstunde.“

„Aber bei mir, alter Junge!“ sagte der Marschall, indem er ihn einfach zur Seite schob und eintrat. „Überhaupt wirst du gleich erfahren, was die Stunde ist.“

Der Baron sah sich überrumpelt; er mußte nun auch die beiden anderen eintreten lassen. Er war außerordentlich froh, Margot bereits in das verborgene Zimmer gebracht zu haben. Wären diese Kerls eher gekommen, so hätten sie ihn mit ihr überrascht.

Was aber wollten sie bei ihm? Suchten Sie nach Margot? Vermuteten sie diese bei ihm?

„Wo ist dieser Richemonte?“ fragte Blücher.

„In meiner Bibliothek“, antwortete der Baron.

„Gehen wir also dorthin. Führen Sie uns.“

Als sie in die Bibliothek traten, war Richemonte nicht weniger bestürzt, als vorher sein Verbündeter. Man konnte ihm seinen Schreck zwar nicht anmerken, dazu besaß er zuviel Selbstbeherrschung, aber im stillen sagte er sich, daß jetzt eine schlimme Stunde kommen werde und daß nur die größte Unverfrorenheit imstande sei, darüber hinwegzuhelfen.

„Kapitän Richemonte, Exzellenz, Feldmarschall von –“

Diese Namen nannte der Baron, um die Herren einander vorzustellen. Blücher jedoch fiel ihm schnell in die Rede:

„Schon gut. Geben Sie sich keine Mühe. Brauche den Namen nicht zu hören, denn ich kenne diese Sorte schon! Der Herr Lieutenant von Königsau kennt Sie beide auch genau. Wozu also solche Wippchen! Wo haben Sie Mademoiselle Margot?“

Man sieht, der alte Marschall Vorwärts sprang mit seiner Frage gleich mitten in den Feind hinein. Sie war an den Kapitän gerichtet.

„Jedenfalls zu Hause“, antwortete dieser.

„Ah, zu Hause, hm!“ meinte der Alte, indem er sich im Zimmer umblickte.

„Exzellenz“, meinte da Königsau, „riechen Sie nichts?“

Blücher sog die Luft ein und sagte:

„Hm, ein verfluchter Geruch! Grad wie Schwefeläther! Lieutenant, ich glaube, sie ist betäubt worden.“

„Wenn es ihr im geringsten geschadet hat“, sagte dieser, „so gnade Ihnen Gott!“

„Natürlich. Also, Baron Reillac, wo haben Sie Mademoiselle Margot?“

„Exzellenz“, antwortete der Gefragte, „ich weiß wirklich nicht, wie ich dazu komme, nach einer Dame gefragt zu werden, über welche Lieutenant Königsau jedenfalls die beste Auskunft zu geben weiß.“

„Ja, das tut er auch“, meinte Blücher.

„Nun, warum die Frage an mich?“

„Weil der Lieutenant behauptet, die Dame befinde sich bei Ihnen.“

„Ah“, lächelte der Baron, „ich habe noch nie die Ehre gehabt, Mademoiselle bei mir zu sehen.“

„Also auch heute nicht?“

„Natürlich nicht.“

„Dürfen wir uns überzeugen?“

„Das heißt, sie zweifeln an der Wahrheit meiner Versicherung?“

„Ja.“

„Sie halten mich für einen Lügner?“

„Ja.“

„Ah, welche Beleidigung! Bei mir haben nur Leute Zutritt, welche höflich aufzutreten wissen. Ich ersuche Sie, mich zu verlassen, und zwar sofort. Am allerwenigsten aber kann es mir einfallen, solchen Menschen zu erlauben, meine Räume zu durchsuchen.“

Da trat der Alte auf ihn zu und rief:

„Was, du Wechselbalg! ‚Solche Menschen‘ nennst du uns? Da schlage doch der helle, lichte Teufel hinein! Hier hast du etwas, um zu sehen, wie höflich ich sein kann! Und hier, hier, hier und hier!“

Er holte mit aller Force aus und schlug dem Baron bei jedem ‚hier‘ die Rechte in das Gesicht, daß es klang, als ob er ihm den Kopf zerschlagen wolle. Da trat der Maire hinzu und rief:

„Exzellenz, um Gottes willen!“

Der Kapitän machte Miene, sich zu beteiligen; da aber zog Königsau seine beiden Pistolen und rief:

„Halt! Wer Exzellenz anrührt, den schieße ich nieder!“

Da trat der Kapitän erschrocken zurück.

Der Baron war von den Ohrfeigen so überrascht worden, daß er an eine Gegenwehr zunächst gar nicht denken konnte, als aber Blücher von ihm abließ, da zog ihm der Grimm und die Bestürzung die Hand empor. Es hatte ganz das Aussehen, als ob er die Ohrfeigen erwidern wolle. Da aber funkelte auch bereits Blüchers Pistolenlauf ihm vor dem Gesicht.

„Nieder mit der Hand, Halunke!“ gebot der Alte.

Der Baron ließ den Arm sinken; er sah es Blücher an, daß derselbe im nächsten Augenblick losdrücken werde.

„Aber, Messieurs, so ein Auftritt“, sagte der Maire. „Exzellenz, ich muß mir wirklich die Bemerkung erlauben, daß ich's wundersam finde –“

„Pah!“ unterbrach ihn der Alte. „Ich finde hier gar nichts Wundersames. Der andere hat seine Keile von dem Lieutenant bekommen, nun erhält sie der da von mir. Es gibt Subjekte, welchen man nur mit Ohrfeigen antworten kann.“

„Oh, Exzellenz tragen außerdem Pistolen in der Hand.“

„Ja, aus Vorsicht! Gestern abend hat der eine von diesen beiden zweimal auf den Lieutenant geschossen, während ihm der andere dazu geleuchtet hat. Bei solchen Leuten muß man sich vorsehen.“

„Welche Verleumdung!“ rief der Baron.

„Welche Lüge!“ erwiderte der Kapitän.

„Sie sehen, daß hier nicht einmal Ohrfeigen mehr fruchten. Diese Sorte Äpfel ist bereits so tief hinein faul, daß sie stinkt; ihr ist nicht mehr zu helfen. Und weil es ihnen gestern nicht gelang, den Bräutigam zu töten, so haben sie sich heute der Braut bemächtigt. Aber wir werden sie finden.“

Da nahm sich der Baron zusammen. Er wendete sich an den Maire:

„Du bist Beamter. Wenn du uns nicht beschützen kannst, so werde ich Beschwerde erheben. Wenn diese Leute mein Haus nicht verlassen, so werde ich mich doch so weit zurückziehen, daß ich gegen Insulte geschützt bleibe, für welche ich mir allerdings Genugtuung geben lassen werde. Kommen Sie, Kapitän.“

Er wandte sich zum Gehen, dies lag aber ganz und gar nicht in Blüchers Absicht. Dieser hob vielmehr die Pistole und sagte:

„Ohne meine ausdrückliche Erlaubnis zieht sich hier niemand zurück.“

„Exzellenz“, rief da der Maire, „das geht zu weit!“

„Unsinn! Ich weiß gar wohl, was ich darf“, meinte der Alte. „Es ahnt mir im Gegenteil, daß ich heute noch viel weiter gehen werde.“

„Das heißt, Sie wollen die Durchsuchung des Hauses erzwingen?“

„Ja.“

„Selbst mit bewaffneter Hand?“

„Wie Sie sehen.“

„Ich lege Widerspruch ein.“

„Hilft nichts.“

„Ich mache Exzellenz auf alle Folgen aufmerksam.“

„Ist nicht nötig.“

„Gut, so wasche ich meine Hände in Unschuld.“

„Meinetwegen in Sirup oder Buttermilch! Kann es losgehen?“

„Da Sie mich in dieser Weise zwingen, so muß ich mich allerdings fügen. Ich erkläre also als oberster Beamter dieses Arrondissements, daß Sie seine Exzellenz der Feldmarschall von Blücher behaupten, es sei in diesem Haus eine junge Dame versteckt, welche man unter Anwendung von List und Gewalt entführt hat. Ich werde also jetzt alle Räumlichkeiten nach der Verschwundenen durchsuchen, weise jedoch alle Konsequenzen von mir ab.“

„Ich werde sie zu tragen wissen“, meinte Blücher.

„Gut. Führt uns!“ meinte der Maire zu dem Baron.

„Mich wird man wohl von der Teilnahme an dieser Entdeckungsreise gnädigst dispensieren“, meinte der Kapitän höhnisch.

Der Maire warf einen fragenden Blick auf Blücher. Dieser antwortete: „Hat dazubleiben und mit uns zu gehen. Lieutenant, lassen Sie die beiden Kerle nicht aus den Augen.“

Jetzt begann die Durchsuchung des Hauses, soweit es von dem Baron bewohnt wurde. Sie wurde mit allem Nachdruck und aller Aufmerksamkeit geführt, lieferte aber nicht das geringste Resultat. Als man nach der Bibliothek zurückkehrte, hatte sich nicht eine Spur der Gesuchten gefunden.

Der Baron und der Kapitän warfen einander triumphierende Blicke zu.

„Ich werde Genugtuung fordern!“ drohte der erstere.

„Ich ebenso“, stimmte der letztere bei.

Der Maire zuckte die Achseln.

„Ich kann leider nicht davon abraten“, sagte er. „Ich selbst bin in der Art vergewaltigt worden, daß ich den Weg des Rechtes betreten werde, um meine geschändete Amtsehre wiederherzustellen. Übrigens habe ich nun die Verpflichtung, darauf aufmerksam zu machen, daß der Herr Baron jetzt unbedingt fordern kann, daß die beiden deutschen Herren sein Haus verlassen.“

„Ich fordere es sofort und unbedingt!“ sagte Reillac.

Blücher lachte. Er wendete sich an Königsau:

„Schau, mein Junge, wie ihnen der Kamm schwillt! Wollen einmal sehen, ob sie nicht noch zu Kreuze kriechen. Komm!“

Er machte Miene, nochmals in die bereits durchsuchten hinteren Zimmer zu treten, da aber rief der Baron:

„Halt! Jetzt ist meine Geduld zu Ende. Hier herein tritt man nicht.“

„Mache dich nicht mausig, Kerl!“ antwortete der Alte. „Jetzt kommt ihr alle noch einmal mit, sonst soll euch der Donner krachen.“

„Exzellenz!“ meinte der Maire.

„Halt das Maul! Vorwärts! Alle da hinein, sonst schieße ich.“

Sie gehorchten und mußten ihm bis in das Zimmer folgen, vor welchem die Soldaten lagen. Blücher wendete sich nochmals an den Maire:

„Sie behaupten also, daß die Gesuchte sich nicht in diesem Haus befindet?“

„Ich kann es beschwören.“

„Gut. Ich habe auch nichts gesehen; aber oft hat der Teufel sein Spiel, und ich will doch erst einmal mit Leuten reden, welche gescheiter zu sein pflegen als ein französischer Maire von Paris. August, herein!“

Er wirbelte bei diesem Worte das Fenster auf.

Da kommandierte August draußen:

„Ganzes Bataillon, marsch!“

Die vier Grenadiere sprangen herein. Der Maire erstaunte; die beiden anderen aber erschraken. Befanden diese Soldaten sich bereits längere Zeit da draußen auf der Veranda, so war das Geheimnis verraten.

Der Kapitän suchte unbemerkt wieder in die Nähe der Tür zu kommen. Es gelang ihm nicht, denn die Pistole Königsaus richtete sich sofort nach seinem Kopf.

„Halt! Zurück!“

„Ah!“ meinte Blücher. „Die Kerls wollen echappieren? Das mögen sie bleiben lassen, sonst fahren sie in den Sack. Vorwärts! Alle drei in diese Ecke!“

„Ah, ich auch mit?“ fragte der Maire.

„Ja, freilich! Habe ich Paris belagert und erobert, so kann ich schon einmal drei so sanfte Kröten in Belagerungszustand erklären. Vorwärts!“

Er reckte seine Pistole vor, und da zog sich denn der Maire mit den beiden anderen in die Ecke zurück, aus der sie nicht zu entweichen vermochten. Nun wendete sich Blücher an die Grenadiere:

„Das Fenster zu, Kinder, und drei von euch an die Tür. Werden diese drei Messieurs schon festhalten. Und nun, mein lieber August, hast du aufgepaßt?“

Liebmann nickte wichtig und antwortete:

„Ich hab' sie gesehen, Exzellenz!“

„Wen?“

„Die Mademoiselle, welche kein Frauenzimmer ist.“

„Donnerwetter! Ist's wahr?“

„Ja.“

„Wo hast du sie?“

„Dort!“

Er zeigte mit der Hand nach der Tapetentür.

„Dort? Da ist ja die Wand.“

„Ja, aber dahinter.“

„Alle Teufel! Eine Tapetentür vielleicht?“

„Ja.“

„Wie geht sie auf?“

„Da im Fußboden ist ein Ast. Man bückt sich und drückt daran.“

„Kerl, woher weißt du das?“

„Habe genau aufgepaßt“, schmunzelte der Grenadier.

„Mensch, Freund, Erretter, August, wenn sich deine Worte bewahrheiten, so bist du der Kerl, den man eigentlich in Gold fassen sollte!“

Er sah den scheinbaren Ast, welchen Liebmann meinte, und drückte mit dem Daumen darauf. Sofort sprang die Tapetentür auf, und das Zimmer war zu sehen. Es war finster darin; das Licht aus der Stube hier durfte man nicht nehmen, darum gebot Blücher dem Grenadier, die Lampe aus der Studierstube zu holen. Dies geschah, und nun trat Königsau in das Tapetenzimmer, während die anderen die Gefangenen nicht aus den Augen ließen. Er ließ einen Ruf des Entsetzens hören.

„O Gott, meine Margot!“

„Was ist?“ fragte Blücher draußen.

„Sie ist gefesselt, an den Stuhl gebunden. Auch geknebelt ist sie.“

„Alle Teufel, da fällt jede Rücksicht weg! August!“

„Exzellenz?“

„Reißt einmal hier die Gardinen auseinander, damit wir Stricke bekommen, und bindet mir diese beiden Menschen fest, so fest wie ihr könnt, und wenn ihnen das Blut aus den Nägeln spritzt!“

Das war Wasser auf die Mühle der Grenadiere. Im Nu waren die Gardinen in Stricke verwandelt. Der Baron und der Kapitän wollten sich wehren, aber sie waren den Pommern nicht gewachsen.

„Nun komm, Bursche, und sieh dir einmal die Bescherung an!“ gebot Blücher den Maire, welcher kein Wort mehr zu sagen wagte.

Er gehorchte. Als die beiden hinaustraten, sahen sie Margot noch immer auf dem Stuhl festgebunden. Aber den Knebel hatte Königsau entfernt, und nun hingen die beiden Liebenden einander an den Lippen, während er sie und den Stuhl umschlungen hielt.

„Endlich, endlich!“ sagte er. „Welche Angst habe ich ausgestanden!“

„Oh, ich noch viel mehr!“ flüsterte sie, ganz müde vor Glück. „Ich hörte euch suchen.“

„Du hörtest uns?“

„Ja, ich verstand sogar jedes Wort, welches gesprochen wurde.“

„Und dann gingen wir wieder, nicht wahr?“

„Ja. Ihr gingt fort, und da gab ich alles verloren!“

„Du Allerärmste, was mußt du ausgestanden haben!“

„Aber dann, dann kamt ihr wieder“, lächelte sie.

„Und du hörtest, daß die geheime Tür entdeckt worden war?“

„Ja, und nun war alles gut.“

„O nein, es ist noch nicht alles gut“, meinte da der Marschall. „Es gibt noch sehr viel zu tun. Aber, Lieutenant, Junge, willst du sie denn nicht endlich losbinden?“

Diese beiden waren durch das Wiedersehen so beglückt, daß sie gar nicht an die Bande gedacht hatten, welche Margot noch immer an den Stuhl fesselten. Sie wurden nun gelöst. Sobald sie sich erheben konnte, flog sie auf Blücher zu, drückte seine Hand an ihre Lippen und sagte:

„Exzellenz, das habe ich Ihnen zu verdanken!“

„Daß du entführt wurdest, Mädel?“ fragte er lächelnd.

„O nein, sondern daß ich befreit wurde!“

„Da irrst du dich bedeutend, meine Goldtochter. Das hat alles hier dein Schatz getan. Ich hätte den Teufel gewußt, wo du zu suchen bist; er aber hat es geahnt.“

„Aber er hätte mich doch nicht befreit. Wer hätte auf ihn gehört?“

„Ah, du meinst den Nachdruck, welchen es gibt, wenn der alte Blücher etwas will? Nun ja. Aber der Lieutenant hätte dich ganz allein geholt. Er wäre mit dem Kopf durch die Wände gefahren. Nun aber erzähle vor allen Dingen, wie man es angefangen hat, dich in diese Klemme zu bringen.“

Sie erzählte den ganzen Vorgang vom Anfang bis zum Ende. Sie sprach dabei so laut, daß alle es hören konnten, auch die beiden Gefangenen, welche gefesselt draußen auf der Diele lagen. Wie mußte diesen jetzt zumute sein!

Sie verhehlte auch nicht, daß sie geküßt worden war. Das aber brachte den Alten fürchterlich in Harnisch.

„Was? Geküßt hat er dich?“ fragte er.

„Ja.“

„Wohin?“

„Einmal auf den Mund.“

„Und dann?“

„Hierher.“

Sie deutete dabei nach der Stelle des Halses, welche von seinen Lippen getroffen worden war.

„Ach, das soll ihm schlecht bekommen! Unsere Margot zu küssen! Heda, Königsau, sinne dir eine Strafe aus. Mit fällt nicht gleich eine ein.“

„Ich könnte ihn erdrosseln!“ knirschte der Lieutenant.

„Gut, erdrosseln wir sie ein wenig!“ rief Blücher. „Sie haben es verdient.“

Da wagte der Maire denn doch eine Bemerkung:

„Exzellenz wollen bedenken, daß nur das Gesetz die Strafe übernehmen kann.“

Blücher warf ihm einen zornigen Blick zu und antwortete:

„Behalte Er seine Weisheit für sich, Er Dummrian! Vorhin war auch nur das Gesetz berechtigt, die Haussuchung vorzunehmen. Was aber hat denn Er Mann des Gesetzes gefunden, he? Ich wäre der größte Esel Frankreichs – und die sind doch groß genug – wenn ich es mir einfallen lassen könnte, diese beiden Kerls euren Gesetzen zu übergeben. Da erhielten sie wohl gar noch eine Prämie für ihre Schlechtigkeit!“

Der Maire schwieg, aber ein anderer Fürsprecher trat auf – oder vielmehr eine Fürsprecherin – Margot selbst.

„Exzellenz, lassen Sie es gut sein“, bat sie.

„Ja, er ist dein Bruder und so weiter, gerad wie schon früher, nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Das gilt heute nichts mehr. Auf das, was sie getan haben, steht Todesstrafe.“

„Um Gottes willen, Exzellenz!“

Sie bat und flehte, aber er ließ sich lange nicht erweichen. Königsau verhielt sich dabei ganz passiv. Er gönnte den beiden jede Strafe und wollte doch der Geliebten nicht widersprechen. Endlich meinte Blücher:

„Straflos ausgehen können sie unmöglich. Sie haben nicht bloß dich entführt. Sie haben auf einen deutschen Offizier geschossen und heute mich beleidigt. Sie haben zweimal den Tod verdient. Es kostet mich ein Wort, so hängen sie morgen am Galgen. Aber ich will dich nicht so sehr betrüben. Das Leben soll ihnen geschenkt sein.“

„Aber nicht die Freiheit?“ fragte sie.

„Werde es mir überlegen!“

Sie begann von neuem zu bitten, bis er endlich losbrach:

„Hole dich der Teufel, Goldkind! Dir kann man nichts abschlagen. Ich will ihnen auch die Freiheit schenken, aber wenn du nun noch ein Wort sagst, so nehme ich alles zurück und lasse sie noch heute abend aufhängen!“

Jetzt glaubte sie genug erreicht zu haben, und ließ mit Bitten ab. Blücher nickte dem Lieutenant heimlich zu, zum Zeichen, daß es ihm gar nicht einfalle, sie ganz straflos zu lassen. Dann sagte er:

„Was wir hier noch zu tun haben, ist für eine Dame zu langweilig. Protokolle aufnehmen und Akten schreiben gewährt keine Unterhaltung. Ich denke, Königsau, du führst Margot nach Hause, und ich komme nach, sobald ich fertig bin.“

„In die Wohnung von Exzellenz?“

„Nein, zur Mutter. Die muß ich heute auch noch sehen.“

Das ließ sich der Lieutenant nicht zweimal sagen. Er nahm den Arm der Geliebten unter den seinigen und ging, nicht aber, ohne daß Margot sich vorher herzlich bei den braven Pommern bedankt hätte.

Jetzt nun sollte das Verhör beginnen. Blücher machte seine Sache kurz.

„Akten schreiben und Protokolle verfassen werde ich nicht“, meinte er. „Ich wollte damit nur Mademoiselle zum Fortgehen bewegen. Ihr beiden Halunken werdet gehört haben, daß ich euch das Leben und auch die Freiheit schenke. Ich tue das aber nur unter der Bedingung, daß ihr mir zwei Fragen beantwortet; sonst verspreche ich euch bei meiner Ehre, daß ihr morgen dennoch gehenkt werdet.“

Die beiden Delinquenten nahmen sich vor, wenn es halbwegs möglich war, die Fragen zu beantworten.

„Wer war der Kerl, welcher den Offizier gespielt hat?“ fragte Blücher.

„Ein Schauspieler, der Sohn meines Kammerdieners“, antwortete der Baron.

„Und wer war der Kutscher?“

„Mein Kammerdiener.“

„Ah, wo ist er?“

„Er muß daheim sein. Ich hörte ihn während der Haussuchung kommen. Der Portier wird ihm gesagt haben, wer sich bei mir befindet.“

„Ah, und da fürchtet er sich?“

„Wahrscheinlich.“

„So werde ich ihn herzitieren.“

Blücher ging in die Bibliothek, in welcher er einen Glockenzug bemerkt hatte, und gab das Zeichen. In kurzer Zeit klingelte es am Vorsaal, welcher verschlossen war. Der Marschall öffnete. Ein langer Mann stand da, in Livree gekleidet.

„Wer bist du?“ fragte Blücher.

„Der Kammerdiener“, antwortete der Mann.

„Gut, dein Herr hat längst auf dich gewartet. Wo ist dein Sohn?“

„Unten beim Portier. Er wollte sich noch nicht von mir trennen.“

„Hole ihn herauf, mein Sohn. Der Baron braucht euch notwendig.“

In der Zeit von einer Minute kam der Schauspieler, jetzt natürlich in Zivil gekleidet. Blücher nahm die beiden in Empfang und brachte sie in das Verhörzimmer.

„Ist das dein Kammerdiener?“ fragte er den Baron.

„Ja“, antwortete dieser.

„Und der andere ist dessen Sohn?“

„Ja.“

„Nun gut, so will ich mein Urteil sprechen.“

Erst jetzt merkte der Kammerdiener, in welche Falle er gegangen war. Er blickte sich nach der Tür um, sah aber, daß an ein Entkommen gar nicht zu denken war.

Blücher wandte sich an seine Grenadiere und sagte:

„Ihr habt eure Sache sehr brav gemacht, und darum will ich euch eine Erholung gönnen. Wüßte ich nur, wo recht hübsche Rütchen und Schwibbchen zu finden sind!“

Das war allerdings eine sehr freudige Überraschung für die Grenadiere. August trat sogleich vor und sagte, indem sein ganzes Gesicht schmunzelte:

„Mit Verlaub, Exzellenz, sollte in dieser Wirtschaft sich nicht ein biegsames Spazierröhrchen finden, mit einigen hübschen Knötchen drinnen?“

„Sapperlot, ja, du hast Recht. Suche einmal nach, mein Junge.“

Das ließ sich August nicht zweimal sagen. In kurzer Zeit hatte er alle Spazierstöcke des Barons beisammen.

„Wird es gehen, August?“ fragte der Alte.

„Sehr gut! Besonders hier die drei Bambusse!“

„Schön! Wollen wir anfangen. Da ist zunächst ein Kammerdiener, welcher bei Entführungen den Kutscher macht und seinen eigenen Sohn zu solchen Dingen verführt. Er soll sechzig haben, und zwar aus dem ff. Bindet ihn, und knüpft ihm auch den Mund zu, denn sein Winseln mag ich nicht hören.“

Der Kammerdiener wurde von den Grenadieren gebunden und geknebelt. Als er die sechzig erhalten hatte, kam sein Sohn an die Reihe.

„Dieser hat sich für meine Ordonnanz ausgegeben. Der Kerl hat Anlage zum größten Schwindler. Er bekommt hundert.“

So geschah es auch. Das Blut der Beiden schwamm auf dem Fußboden.

Jetzt stieß Blücher mit dem Stiefel an den Kapitän.

„Der ist schon gebunden. Wir wollen ihm den Mund nicht verschließen, denn ich will einmal sehen, ob ein Kapitän der alten Garde zu schweigen versteht. Er hat seine eigene Schwester verkauft und auf einen preußischen Offizier geschossen. Er erhält zweihundert, aber so, daß er gleich liegen bleibt. Dann sind wir wenigstens sicher, daß er binnen der ersten Zeit nicht daran denken kann, neue Schlechtigkeiten auszuhecken. Fangt an, Burschen!“

Zweihundert Hiebe sind für jeden Menschen eine böse Strafe, für einen Offizier aber geradezu eine fürchterliche. Der Kapitän hielt sie aus, ohne einen Laut auszustoßen. Als man mit ihm fertig war, sah man seine Lippen zerbissen und seine Augen ganz blutig gerötet. Er sprach kein Wort, aber sein Blick war mit dem Ausdruck teuflischer Rache auf den Marschall gerichtet.

Jetzt nun war an dem Baron die Reihe.

„Dieser hat ein Mädchen entführt und auf einen Offizier geschossen,“ entschied Blücher. „Er erhält auch zweihundert. Und für die Küsse, welche er gegeben hat, soll er ein Gegengeschenk von fünfzig Hieben außerdem haben. Schont ihn nicht, Jungens!“

Der Maire hatte bisher geschwiegen. Jetzt, da es sich um seinen Schwager handelte, glaubte er sich desselben annehmen zu müssen. Er sagte:

„Exzellenz gestatten die Frage, ob diese Fälle auch in Ihrer Kompetenz liegen.“

„Nein, nicht in meiner Kompetenz, sondern hier auf dem Fußboden liegen die Kerls mit all ihren Fällen und Hieben. Wenn Sie den Mund nicht halten, werde ich Ihnen jedoch beweisen, daß meine Kompetenz sich sogar über die Mairie dieses Arrondissements erstreckt. Meine Jungens sind einmal im Zuge, Monsieur.“

Dem Baron wurde der Mund verbunden; ihm war die Selbstüberwindung des Kapitäns nicht zuzutrauen. Er erhielt die ihm zugesprochenen zweihundertfünfzig Streiche ohne allen Abzug, und dann war das Tagewerk der Grenadiere vollbracht.

„So, jetzt können wir gehen, Kinder“, sagte der Alte. „Diese vier Messieurs werden mit uns zufrieden sein, denn wir haben sie um keinen einzigen Hieb betrogen. Der Herr Maire kann hier bleiben, um zu sehen, welche Salbe ihnen gut tun wird; die unserige jedoch ist ihnen am gesündesten gewesen. Sollte ihm übrigens meine Kompetenz nicht gefallen, so bin ich gern erbötig, den Mädchenraub und den Mordanfall auf einen preußischen Offizier noch nachträglich vor das kompetente Kriminalgericht zu bringen. Gute Nacht, Herr Maire dieses Arrondissements.“

Er ging mit seinen Grenadieren. Diese verließen das Haus nicht so, wie sie es betreten hatten, sondern auf dem gewöhnlichen Weg durch den Eingang.

Bei seinem Palais angekommen, trennte er sich von ihnen, um noch zu Frau Richemonte zu gehen, vorher aber sagte er:

„Höre, lieber August, ihr habt Euch heut durch große Taten ein ungeheures Verdienst erworben. Ihr sollt morgen jeder fünf Laubthaler ausgezahlt erhalten und so viele Pfeifen Tabak, als Ihr heut Hiebe ausgeteilt habt. Wie viele sind dies?“

„Sechshundertundzehn“, antwortete Liebmann schnell.

„Das ist ein bißchen viel Tabak, für die, welche die Hiebe erhalten haben, und auch für mich, der ich ihn Euch geben muß. Aber es ist gut; ihr habt ihn verdient. Am Liebsten hätte ich den Maire auch noch klopfen lassen und sein Arrondissement dazu, aber ich hätte dann nicht gewußt, woher ich morgen den Tabak für euch genommen hätte. Gute Nacht, Jungens!“

Er setzte seinen Weg in bester Laune fort. Er hatte Gelegenheit gehabt, einigen Franzosen deutsche Hiebe zukommen zu lassen, und dies war stets sein größtes Gaudium.


Загрузка...