Zwölf

Das Laka-Sternensystem war im wahrsten Sinn des Wortes so gut wie leer. Weiße Zwerge neigten nicht dazu, sich mit einer Vielzahl von Planeten zu umgeben, und Laka verfügte nur über einen winzigen zerschundenen Felsbrocken, der sich in einem dichten Orbit um den Stern bewegte. Es war sogar anzunehmen, dass der unbedeutende Planet vor Jahrmillionen das System durchflogen hatte und dabei von der Anziehungskraft des Sterns erfasst worden war. Von den Aliens war hier nichts zu entdecken, doch nach Pele wollte niemand die Hand dafür ins Feuer legen, dass sich hier tatsächlich niemand aufhielt. »Viele Möglichkeiten um sich zu verstecken gibt es nicht«, stellte Desjani fest.

Geary sah sich den Weg zu einem Sprungpunkt an, der einen langen Sprung bis tief ins Gebiet der Aliens erlaubte. Der Stern, der diesmal ihr Ziel darstellte, hatte von den Syndiks nie einen offiziellen Namen erhalten. Das zeigte deutlich, dass sie an die wahren Grenzen der menschlichen Erkundung in diesem Teil der Galaxis gestoßen waren. »Das dürfte vermutlich ein seit Langem von den Enigmas besiedeltes Sternensystem sein«, warnte Geary seine Offiziere. »Man könnte uns dort also erwarten. Alle Waffensysteme sind so zu schalten, dass sie automatisch auf jede Bedrohung feuern, die uns dort bei unserer Ankunft erwartet.« Es war ein riskantes Unterfangen, weil der Austritt aus dem Sprungraum manchmal sogar die Gefechtssysteme von Schiffen verwirren konnte, sodass die ein eigenes Schiff für einen Gegner hielten und das Feuer eröffneten. Es war nur zu hoffen, dass das völlig andere Erscheinungsbild der Alien-Schiffe diese Gefahr deutlich minimierte.

Nachdem die Flotte wieder in den Sprungraum übergewechselt war, saß Geary in seinem Quartier und starrte betrübt vor sich hin, weil die Mission bislang so enttäuschend verlaufen war. Trotz allem, was mit den Aliens geschehen war, trotz aller Rückschläge war er immer noch der Ansicht, dass eine Chance bestand, die Aliens zur Vernunft zu bringen und einen Dialog zu beginnen, selbst wenn der nur darin bestünde, dass sie ihre Bereitschaft erklärten, Seite an Seite mit der Menschheit zu koexistieren. Sie mussten sich ja nicht zu einer freundlichen Haltung durchringen, solange sie nur ihre Feindseligkeit aufgaben.

Die Glocke an der Luke zu seinem Quartier wurde betätigt, dann trat Desjani ein. »Wie fühlen Sie sich, Admiral?«

»Mies. Und Sie, Captain Desjani?«

»Wütend.« Sie setzte sich hin und sah ihn an. »Nicht deprimiert, sondern einfach nur wütend. Im Gegensatz zu einigen anderen bin ich nie davon ausgegangen, dass mit den Aliens ein vernünftiges Verhältnis zu erreichen sein könnte. Vielleicht liegt das an den Erfahrungen, die ich mit den Menschen gemacht habe. Wie werden Sie den Stern nennen?«

Von dem abrupten Themenwechsel wurde er überrumpelt. »Was?«

»Der Stern, zu dem wir unterwegs sind, braucht einen Namen. Wir können nicht einfach seine astronomische Bezeichnung benutzen. Normalerweise läuft ein langwieriger bürokratischer Prozess ab, um über einen Namen zu entscheiden. Aber wenn Sie ihm einen Namen geben, dann wird der sich vermutlich durchsetzen. Also wie werden Sie ihn nennen?«

Geary zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung.«

»Sie können ihn nach einer Person benennen.«

»Tanya.«

»Was?«

»Ich kann ihn Tanya nennen.«

»Nein«, widersprach sie. »Das können Sie nicht machen. Ich will nicht, dass die Leute zu einem Stern namens Tanya sehen und sagen: ›Ach, ist das nicht süß, wie sehr er sie liebt?‹ Würg! Benennen Sie ihn nach jemandem, der es verdient hat, auf diese Weise im Gedächtnis zu bleiben.«

»Na gut, dann nenne ich ihn Cresida.«

»Ein Sternensystem, das von Aliens kontrolliert wird, die der Menschheit feindselig gegenüberstehen? So ein System soll nach Jaylen benannt werden?«

»Okay, dann eben Falco.«

»Dieser Mann verdient keinen Stern, der seinen Namen trägt.«

»Tanya«, sagte er. »Warum wählen Sie nicht einen Namen aus?«

»Weil es Ihr Recht ist, den Namen auszusuchen, der Ihnen gefällt«, erwiderte sie.

»Und welcher Name gefällt mir?«

»Ein angemessener, passender Name. Vielleicht nicht unbedingt eine Person, sondern ein Name, der für etwas Unbekanntes, Gefährliches steht.« Sie schnippte mit den Fingern. »Limbo. Nennen Sie ihn Limbo.«

»Es gibt noch keinen Stern, der so heißt?«, hakte er nach.

»Ich überprüfe das schnell.« Mit flinken Fingern bediente Desjani ihren Dateneinheit. »Nein. Es gibt ein paar Planeten namens Limbo, aber die sind alle fiktiv. Sie stammen aus alten Büchern, aus richtig alten Büchern. Wussten Sie, dass die Menschen bereits Bücher über interstellare Reisen geschrieben haben, lange bevor die überhaupt möglich waren?«

»Das muss damals schon etwas Erstaunliches gewesen sein, worauf diese Leute sich gefreut haben. Also gut, ich werde ihn vermutlich Limbo nennen.«

»Eine gute Wahl«, freute sich Desjani. »Warum lächeln Sie, wenn Sie sich so mies fühlen?«

»Weil mir gerade etwas Witziges eingefallen ist.« Er legte den Kopf ein wenig schräg und sah sie an. »Was sollte ich nur ohne Sie machen?«

»Sie würden sich schon durchschlagen.« Sie stand auf. »Vier Tage im Sprungraum, bis wir Limbo erreicht haben. Wenn es uns vorbestimmt ist, Erfolg zu haben, dann wird es auch so kommen. Das wissen Sie.«

»Danke, Tanya.«

Als die Dauntless diesmal den Sprungraum verließ, wurden keine Waffen abgefeuert. Gearys Kopf war schnell genug klar, um sich davon überzeugen zu können, dass sich in der Nähe des Sprungpunkts keine gegnerischen Schiffe aufhielten. Dann wanderte sein Blick zum Display, auf dem das ganze Sternensystem dargestellt wurde. Die Flottensensoren arbeiteten in aller Eile, um die empfangenen Daten zu bewerten und in die Anzeige einzubeziehen.

»Volltreffer!«, hauchte Desjani.

Limbo besaß zwei recht dicht besiedelte Planeten mit einer mutmaßlich hohen Bevölkerungszahl. Unter dem bereits gewohnten Schleier verbargen sich zahlreiche kleine und große Städte. Im Orbit um diese Welten kreiste eine Vielzahl von Einrichtungen, und zwischen beiden Planeten waren ganze Scharen von Frachtern unterwegs. Nur ein Dutzend Enigma-Kriegsschiffe hielten sich in der Nähe des Sterns auf. Wäre dies ein von Menschen besiedeltes System, hätte man es als dicht besiedelt und recht wohlhabend eingestuft.

Und es gab kein Hypernet-Portal.

Geary schaute angestrengt auf sein Display und wunderte sich, wieso ihm das so seltsam vorkam. Es gab im von Menschen bewohnten Territorium auch etliche Sternensysteme ohne Hypernet-Portal.

Captain Duellos meldete sich und ließ eine nachdenkliche Miene erkennen. »Das ergibt keinen Sinn, Admiral. Aus unserer Sicht ist es zwar gut, aber warum richten die Aliens in so unbedeutenden Systemen wie Hina und Alihi Portale ein, hier hingegen nicht?«

»Eine wirklich gute Frage«, stimmte Desjani ihm zu. »Heißt das, in diesem System lauert eine andere Falle auf uns?«

Geary ließ die Flotte abbremsen, damit sie nahe dem Sprungpunkt zum Stillstand kam, während die Sensoren wieder und wieder das System abtasteten und dabei die Positionen der anderen Sprungpunkte bestimmte. Gleichzeitig versuchten sie irgendetwas zu entdecken, das sich als Gefahr für die Flotte erweisen könnte. »Und, Lieutenant Iger? Fündig geworden?«

»Nein, Sir. Da sind nur die Kriegsschiffe, die wir sehen können. Wäre hier ein Portal kollabiert, würden wir zumindest die Überreste der Trossen entdecken. Es sieht nicht danach aus, als hätte es hier je ein Hypernet-Portal gegeben.«

Er wandte sich an seine Senior-Flottenoffiziere, um deren Meinung zu hören, warum es in diesem System kein Portal gab, aber keiner von ihnen konnte ihm eine überzeugende Erklärung liefern. Auch Rione und Charban wussten darauf keine Antwort.

Admiral Lagemann und seine Kollegen konnten sich keinen Reim darauf machen und wiederholten nur die Warnung, dass diese Aliens eine Vorliebe für Fallen hatten. Das half Geary natürlich nicht, Herr seiner Besorgnis zu werden.

Als ihm gar nichts anderes mehr einfallen wollte, richtete er die gleiche Frage an die zivilen Experten.

»Vielleicht finden wir keine Antwort«, gab Dr. Shwartz zu bedenken, »weil wir die Situation aus einer menschlichen Perspektive betrachten.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Geary.

»Wir gehen von bestimmten Annahmen aus. Überlegen Sie mal, was Sie für selbstverständlich halten. Welchem Zweck dient ein Hypernet-Portal?«

»Um in sehr kurzer Zeit interstellare Entfernungen zu überwinden.« Es war das, was man ihm als Erstes erzählt hatte, und so wurden die Portale von den Menschen auch genutzt.

»Wofür kann man sie sonst noch benutzen? Überlegen Sie, welche potenziellen Einsatzmöglichkeiten es gibt, die die Aliens als vorrangig betrachten könnten.«

»Ich wüsste nicht, was man sonst noch mit den Portalen machen kann. Was andere Eigenschaften angeht, wissen wir nur, wenn sie zusammenbrechen, dann …« Er stutzte und sah zu Desjani. »Waffen. Die Portale sind Waffen. Verteidigungsvorkehrungen für jedes System, in dem sie installiert werden.«

»Verteidigungsvorkehrungen?«, fragte Desjani ungläubig. »So was wie ein Minenfeld?«

»Das größte Minenfeld, das man sich vorstellen kann.« Geary ließ ein Sternendisplay anzeigen. »Die Enigmas haben herausgefunden, wie man das Hypernet nutzen kann. Sie wussten schon vor dem Bau des ersten Portals, wie gefährlich die sein können. Deshalb befinden die sich nicht bei den wertvolleren Sternen, sondern nur in den Grenzsystemen.«

Charban schüttelte den Kopf. »Eine Bereitschaft, diese Dinger als Verteidigungswaffe einzusetzen? Eine Mauer aus Hypernet-Portalen? Das ist eine Verbrannte-Erde-Politik, die über jedes begreifbare Maß hinausgeht.«

»Die Aliens haben bereits gezeigt, dass sie ihre beschädigten Schiffe zerstören«, betonte Rione, »ohne Rücksicht darauf, dass sie damit auch ihre eigenen Besatzungen umbringen. Für uns mag so was unvorstellbar grausam sein, aber für sie ist eine solche Verteidigung akzeptabel.«

»Wir haben diese Verteidigungsmauer überwunden«, redete Geary weiter. »Vielleicht weil wir niemals vorhatten, diese Sternensysteme anzugreifen. Wir wollten sie nur durchqueren, und das hat die Enigmas womöglich überrascht.«

Dr. Shwartz hatte aufmerksam zugehört. »Es besteht auch noch die Möglichkeit, dass die Enigmas davor zurückgeschreckt sind, solche Waffen tatsächlich einzusetzen. So sehr sie sich auch von uns unterscheiden, muss der Selbsterhaltungstrieb bei diesen Aliens eine Rolle spielen, auch wenn der mehr die Spezies insgesamt und nicht so sehr das Individuum betrifft. Es gibt auch Beispiele aus unserer eigenen Geschichte, als Menschen Waffen gebaut und einsatzbereit gemacht haben, die aber nie zum Einsatz kamen, weil ihre Vernichtungskraft sogar diejenigen in Angst und Schrecken versetzte, die sie geschaffen hatten. Diese Portale können als Abschreckung dienen, weil ihr Einsatz jeden Angriff auf das jeweilige Sternensystem sinnlos macht. Der Zweck kann darin bestehen, diese Waffen eben nicht einzusetzen.«

»Das funktioniert aber nur, wenn potenzielle Angreifer davon überzeugt sind, dass die Enigmas alles Leben in einem Sternensystem auszulöschen bereit sind, nur um diese Angreifer zu eliminieren«, beharrte Charban.

»Ich bin davon überzeugt«, sagte Desjani.

Gearys Blick ruhte nach wie vor auf dem Display. Vielleicht lauerte ja irgendwo da draußen doch noch eine andere Falle. Er allein konnte die Entscheidung treffen, ob sie ihren Platz unmittelbar vor dem Sprungpunkt verließen und tiefer in das System vordrangen. Die Unwägbarkeiten, was die technologischen Fähigkeiten der Enigma-Rasse und deren Vorliebe für Überraschungsangriffe anging, machten ihm die Entscheidung umso schwieriger. Aber wenn er mehr über diese Spezies erfahren wollte, musste er zumindest ein paar Schiffe zu dem einen oder anderen Planeten schicken.

Sollte er die Streitmacht aufteilen? Sollte er eine schlagkräftige Formation zusammenstellen, die es mit diesem Dutzend Enigma-Schiffe ebenso aufnehmen konnte wie mit allem anderen, was noch auf dem Weg ins innere System auftauchen mochte? Und sollte der Rest in der Zwischenzeit am Sprungpunkt oder anderswo warten? »Wie viel wäre genug?«, überlegte er laut.

Desjani stutzte kurz, dann verstand sie. »Das hängt von der Bedrohung ab.«

»Aber die kennen wir nicht, weshalb ich überlege, ob ich die Flotte teilen soll. Besteht die richtige Antwort auf eine unbekannte Bedrohung darin, dass ich meine Flotte teile?«

»Nicht, wenn Sie es so formulieren.« Sie deutete auf das Display. »Gäbe es hier ein Portal, dann wäre die Vernichtung der ganzen Flotte in dem Moment sichere Sache, wenn Sie sie tiefer ins System schicken. Aber es gibt hier kein Portal.«

Er konnte noch eine halbe Ewigkeit damit verbringen, sich die Frage zu stellen, wie er sich verhalten sollte, während er wartete und darauf hoffte, dass noch irgendeine neue Information einging, die ihm weiterhelfen konnte. Doch die Enigmas hatten die Verfolgung dieser Flotte aufgenommen, und sie verfügten über eine Kommunikationstechnologie, die Nachrichten mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen konnte. Je länger er wartete, umso wahrscheinlicher war es, dass weitere Kriegsschiffe der Aliens hier auftauchten. »Wir rücken als ganze Flotte vor. Mein Gefühl sagt mir, dass jede Bedrohung, die in den nächsten Tagen hier auftaucht, uns ernsthaft in Gefahr bringen kann. Aber in geschlossener Formation sollten wir mit allem klarkommen, was uns in dieses System folgt.«

Desjani grinste erfreut. »Und wohin soll’s gehen, Admiral? Zum nächsten bewohnten Planeten?«

»Nein.« Er markierte eine Einrichtung von passabler Größe auf einem großen Mond, der in zwei Stunden Entfernung vom Stern um einen Gasriesen kreiste. »Das ist unser Ziel. Abgelegen und nicht zu groß. Da wird es nicht gleich eine solche Ansammlung von Verteidigungseinrichtungen geben wie auf einem der Planeten. Falls die Tarntechniken der Syndiks auch noch aus nächster Nähe unsere Erkundungsausrüstung stören, können wir immer noch unbemannte Sonden losschicken.«

»Sie könnten in der Lage sein, die Sonden zu zerstören.«

»In dem Fall schalten wir ihre Verteidigung aus, schicken die Marines los und holen uns die Informationen auf die harte Tour.«

Natürlich war Desjani damit einverstanden, und als Geary einen Blick über die Schulter warf, sah er, dass Rione wie mittlerweile gewohnt keine Regung zeigte, während Charban sich allem Anschein nach mit der Tatsache abgefunden hatte, dass Gewaltanwendung nicht zu vermeiden war.

Er legte für die Flotte einen Vektor fest, der auf den Gasriesen im Orbit um den Stern Limbo ausgerichtet war, und gab als Geschwindigkeit 0,1 Licht vor.

Der anvisierte Mond war sechs Lichtstunden von ihnen entfernt, sodass der Flug dorthin zweieinhalb Tage dauern würde. Am ersten Tag ereignete sich nichts, außer dass die Kriegsschiffe der Aliens zu ihnen geeilt kamen und dann in einer Entfernung von einer Lichtstunde Position bezogen, um ihnen zu folgen. Es waren zu wenige, als dass sie der Allianz-Flotte hätten gefährlich werden können, doch ihre ständige Präsenz erwies sich als an den Nerven zehrende Erfahrung. Als die Flotte nur noch eineinhalb Tage entfernt war, zeigten die Aliens endlich eine Reaktion, die unmittelbar mit den Bewegungen der Menschen in ihrem System zu tun hatte.

»Ein Schiff hat die Einrichtung verlassen«, meldete der Steuerwachhabende. »Kein Kriegsschiff, sondern eins von den kompakten Schiffen, die wir für Frachter halten.«

»Sie evakuieren ihr Personal«, sagte Desjani.

Geary schaute sich die Daten an. »Das Schiff beschleunigt nur langsam. Ihre Frachter scheinen den gleichen wirtschaftlichen Zwängen zu folgen wie unsere.«

»Ganz genau. Man kann keine vernünftigen Gewinne machen, wenn man zu viel Geld für Antriebseinheiten und Brennstoffzellen ausgibt.« Ihre Finger tanzten über das Display. »Lieutenant Casque, berechnen Sie einen Abfangkurs für diesen Frachter und überprüfen Sie meine Kalkulation.«

Casque arbeitete fast so flink wie Desjani und nickte dann. »Ich komme zum gleichen Ergebnis, Captain. Wir können ihn einholen.«

»Schicken Sie das Ergebnis auf das Display des Admirals.«

Geary betrachtete die lang gestreckte Kurve, die den zum Frachter führenden Abfangkurs zeigte. Die Allianz-Flotte flog in einem flachen Winkel in das System hinein, während der Alien-Frachter Kurs auf eine der besiedelten Welten genommen hatte. Hinter der Flotte folgten ein Dutzend Enigma-Kriegsschiffe wie ein Wolfsrudel auf der Pirsch. »Unsere Streitmacht muss schnell handeln, um vor den Kriegsschiffen der Aliens diesen Frachter zu erreichen. Wenn alle Enigmas diese Einrichtung verlassen haben, brauchen wir den Frachter, weil es sonst niemanden mehr geben wird, den wir befragen können. Ich stelle eine schnelle Eingreiftruppe zusammen, damit die das erledigt, während der Rest der Flotte weiter in Richtung Mond fliegt, um sich diese Einrichtung dort genauer anzusehen.«

»Die Dauntless ist bereit um …«

»Tanya, sie ist das Flaggschiff, sie muss diesmal bei der Flotte bleiben.« Er schaute flüchtig auf die Formation seiner Schiffe, dann hielt er in dem Moment inne, da er eigentlich eine Nachricht hatte senden wollen. Verdammt, ich möchte, dass Tulev das übernimmt, aber ich muss die drei anderen Schlachtkreuzer losschicken, zu der auch die Illustrious mit Badaya als Captain gehört … der ein höheres Dienstalter vorweisen kann als Tulev.

Also gut, Badaya sollte das hinbekommen. Wenn er tatsächlich derjenige sein soll, der diese Flotte übernimmt, wenn mir etwas zustößt, dann muss ich mehr darüber wissen, wie er mit einer eigenen Streitmacht umgeht. »Captain Badaya, Sie übernehmen das Kommando über die Eingreiftruppe Alpha und fangen das Schiff der Aliens, das soeben die Einrichtung auf dem Mond verlassen hat. Wir wollen Schiff und Crew unversehrt in unsere Gewalt bringen.« Nun folgte die Mitteilung an die Schiffe, die zu dieser Eingreiftruppe gehören sollten. Sie musste groß genug sein, um notfalls mit dem Dutzend Enigma-Kriegsschiffe fertig zu werden – und auch mit weiteren Schiffen, falls die plötzlich von irgendwoher kommend im System auftauchten. Außerdem musste sie sich aus Schiffen zusammensetzen, die schon jetzt recht dicht beieinander positioniert waren. »Erste Schlachtkreuzerdivision, Zweite Schlachtkreuzerdivision, Sechste Schlachtkreuzerdivision, Zweites, Fünftes, Achtes und Neuntes Leichte Kreuzergeschwader, Drittes, Viertes, Siebtes, Zehntes und Vierzehntes Zerstörergeschwader, lösen Sie sich sofort aus der Hauptformation und bilden Sie die Eingreiftruppe Alpha unter dem Kommando von Captain Badaya.«

Desjani saß ein wenig in sich zusammengesunken da und starrte finster auf ihr Display. »Jede andere Schlachtkreuzerdivision fliegt mit.«

»Die Eingreiftruppe muss stark genug sein, um mit diesen Alien-Kriegsschiffen zurechtzukommen, sollten die versuchen, um den Frachter zu kämpfen. Die Adrift bleibt bei uns.«

»Ha-ha. Sie sind mir was schuldig.«

»Ich setze es auf die Liste zu den anderen Dingen.«

Badaya ließ keine Zeit verstreichen. Die Schiffe Inspire, Formidable, Brilliant, Implacable, Leviathan, Dragon, Steadfast, Valiant, Illustrious, Incredible und Invincible scherten aus der Formation aus, die Leichten Kreuzer und Zerstörer machten einen Satz zur Seite, um sich um sie zu scharen.

Unerwartet kam Rione nach vorn und beugte sich zu Geary vor. »Badaya?«, fragte sie leise.

»Er weiß, was er tut«, erwiderte er genauso leise. »Und er wird von Tulev und Duellos begleitet.«

»Sie sind der Admiral. Allerdings würde ich empfehlen, dass jemand anders die Kommunikation mit den Aliens übernimmt.« Mit diesen Worten kehrte Rione zu ihrem Platz hinter ihm auf der Brücke zurück.

Er drehte sich zu ihr und Charban um. »Hervorragende Idee. Den Enigmas dürfte klar sein, dass unsere Eingreiftruppe unterwegs ist, um den Frachter abzufangen. Außerdem wissen sie, dass wir die Einrichtung auf diesem Mond erreichen wollen. Ich wäre Ihnen beiden dankbar, wenn Sie eine Nachricht an die Enigmas senden und ihnen sagen, dass wir trotz ihres bislang feindseligen Verhaltens nicht beabsichtigen, irgendwem auf diesem Frachter etwas zu tun, solange niemand uns zur Gegenwehr zwingt.«

»Wieder mal«, murmelte Desjani, dann sah sie auf ihr Display. »Das ist ja eigenartig.«

»Was ist eigenartig?«, erkundigte sich Geary.

»Die Beschleunigung dieses Frachters. Etwas kam mir seltsam vor, und jetzt weiß ich, was es ist. Wir haben ja festgestellt, dass ihre Kriegsschiffe eine höhere Leistungsfähigkeit zu besitzen scheinen als unsere Schiffe. Und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass ein Frachter über den gleichen Antrieb verfügt wie ein militärisches Fahrzeug. Doch die Beschleunigungsfähigkeit dieses Frachters liegt ziemlich nah an den Werten unserer Frachter. Wenn sie einen militärischen Antrieb bauen können, der mehr leistet als unsere Kriegsschiffe, warum können sie dann nicht einen Frachterantrieb bauen, der ebenfalls leistungsfähiger ist als die Antriebsaggregate unserer Frachtschiffe?«

Er richtete den Blick auf den voraussichtlichen Vektor des Alien-Frachtschiffs. »Das ist eine gute Frage. Dieser Antrieb ist nicht im Mindesten besser. Vielleicht erhalten wir ja eine Antwort, wenn wir den Frachter geentert haben.«

Sie schnaubte verächtlich. »Sie sollten besser sagen ›falls wir den Frachter entern können‹.«

Charban hatte Rione dabei geholfen, eine Nachricht an die Aliens zu senden, nun kam er nach vorn und stellte sich neben Gearys Platz. »Mir ist da etwas durch den Kopf gegangen, Admiral.«

»Ihnen auch?«

»Die Alien-Kriegsschiffe hätten die Bombardierung dieser Einrichtung beginnen können, sobald sie wussten, wohin wir wollen. Das haben sie aber nicht gemacht. Wieso? Sie sind davon besessen, ihre Privatsphäre zu wahren, und jetzt auf einmal sollen sie nichts dagegen einzuwenden haben, dass wir uns auf diesem Mond umsehen?«

Zum ersten Mal reagierte Desjani mit einer respektvollen Miene auf etwas, das der Gesandte gesagt hatte. »Die haben uns eine Falle gestellt?«

»Ich wäre sehr, sehr vorsichtig, was eine Einheit angeht, die sich da unten umsehen soll, Admiral«, sagte Charban, nickte Desjani zu und zog sich wieder zurück.

Danach gab es für sie alle nichts weiter zu tun als der Eingreiftruppe dabei zuzusehen, wie sie sich dem Frachter näherte, und abzuwarten, wie die Enigma-Kriegsschiffe darauf reagieren würden. Einige Stunden verstrichen. Die Flotte näherte sich der Einrichtung auf dem Mond des Gasriesen, während der Frachter langsam, aber zielstrebig ins innere Sternensystem vordrang. Die Eingreiftruppe entfernte sich rasch vom Rest der Flotte, da sie beschleunigte, um den Frachter einzuholen. Nur die Alien-Kriegsschiffe blieben wie zuvor eine Lichtstunde hinter dem Hauptteil der Allianz-Flotte. »Die tun überhaupt nichts?«, polterte Geary und konnte nicht anders, als daraus eine Frage zu formulieren, weil es völlig dem bisherigen Verhalten der Enigmas widersprach.

»Ihnen muss klar sein, dass die Eingreiftruppe es auf den Frachter abgesehen hat«, bestätigte Desjani. »Eine Reaktion darauf hätten wir längst zu sehen bekommen. Aber sie halten unverändert ihre relative Position zu uns.«

»Ob sie auf Befehle warten?«

»Wenn ich das wüsste, Sir. Aber bei Überlicht-Kommunikation sollten sie längst irgendwelche Befehle erhalten haben, selbst wenn die zuständige vorgesetzte Stelle auf einem der inneren Planeten zu finden ist.«

Die Eingreiftruppe würde noch zwanzig Stunden benötigen, um den Frachter einzuholen. Danach sollte es weitere fünf Stunden dauern, ehe die Flotte den Mond erreichte. Geary betätigte seine Komm-Kontrolle. »An alle Schiffe: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Besatzungen die Gelegenheit bekommen, sich auszuruhen und etwas zu essen.« In Situationen wie dieser fiel es einem ungeheuer schwer, sich zu entspannen, auch wenn es noch einen ganzen Tag dauern würde, ehe überhaupt irgendetwas geschehen konnte. Selbst wenn die Verfolger beschleunigen sollten, würden immer noch Stunden vergehen, ehe sie überhaupt in Gefechtsreichweite kommen konnten. Einer der größten Fehler, der einem unter diesen Umständen unterlaufen konnte, bestand darin dazusitzen, angespannt und einsatzbereit zu sein, nur um von Müdigkeit und Hunger heimgesucht zu werden, während man auf dem Display die Schiffe beobachtete, wie sie näher kamen, dabei in Wahrheit aber noch durch gewaltige Entfernungen voneinander getrennt waren.

»Ich werde mir was zu essen holen und mich dann eine Weile hinlegen«, sagte Geary zu Desjani.

Sie nickte bestätigend. »Ich lasse meine Crew über die normalen Schichten rotieren. In Kürze werde ich ebenfalls eine Pause einlegen.«

Entgegen seiner erklärten Absicht unternahm Geary wieder einmal einen seiner langen Spaziergänge durch die Korridore des Schiffs, da er sich noch nicht müde genug fühlte, um sich schlafen zu legen. Unterwegs nahm er sich immer wieder Zeit, um mit dem einen oder anderen Besatzungsmitglied ein Gespräch zu führen. Alle machten einen entspannteren Eindruck, da nun die Aussicht näher rückte, enger an den Feind heranzukommen. Zugleich war aber auch jeder einzelne enttäuscht, weil die Dauntless nicht die Eingreiftruppe anführte, die den Frachter abzufangen hatte.

In einem Abteil der Offiziersmesse nahm er eine Mahlzeit zu sich, und kam mit weiteren Matrosen ins Gespräch. Die meisten stammten von Kosatka, was ganz der gegenwärtigen Absicht der Flotte entsprach, eine Schiffscrew größtenteils mit Männern und Frauen von einer einzelnen Welt zu besetzen. Als er sie etwas von ihrer Welt erzählen hörte, da kam es Geary so vor, als sei dieser Planet auch sein Zuhause. Aus einem unerfindlichen Grund war er ihnen dafür dankbar. Er war auf Glenlyon aufgewachsen, aber der Gedanke an die Heldenverehrung, die ihm dort noch mehr als auf jedem anderen Planeten begegnen würde, ließ ihm diese Welt fast genauso fremd erscheinen wie das Sternensystem Limbo.

Er nahm sich auch Zeit für einen kurzen Besuch bei den Gebetskammern, wo er dafür betete, nicht noch mehr sinnlose Tote betrauern zu müssen. Danach gelang es ihm zu seinem eigenen Erstaunen, zunächst einige Stunden ungestört zu schlafen und dann einen großen Teil der liegengebliebenen Arbeit zu erledigen, ehe er auf die Brücke zurückkehrte.

Desjani nahm gerade auf ihrem Sitz Platz, als er die Brücke betrat. »Ich habe mir ein Bild davon gemacht, wie die Reparaturen vorankommen«, sagte sie zu ihm. »Es ist fast alles von dem repariert, was gerade erst erneuert worden war, bevor die verdammten Enigmas es uns zerschossen haben.«

»Eine halbe Stunde, dann hat die Eingreiftruppe den Frachter eingeholt, Captain«, meldete Lieutenant Casque.

»Sehr g …« Weiter kam Desjani nicht, da sie auf ihr Display starrte.

Geary folgte ihrem Blick und hatte Mühe, einen Fluch zu unterdrücken.

»Sie haben ihn in die Luft gejagt«, sagte Casque in einem Tonfall, als könnte er selbst nicht glauben, was er da sah.

Auf Gearys Display war das kleine Symbol für den Enigma-Frachter durch eine sich ausbreitende Trümmerwolke ersetzt worden. Das Ganze hatte sich vor zwei Stunden abgespielt, aber die Wucht der Explosion fühlte sich noch immer an, als sei es gerade erst geschehen. »Wie kann ein Frachter mit solcher Gewalt hochgehen?«

»Analyse«, befahl Desjani ihrer Brückencrew. »Die Vorfahren mögen uns beistehen«, fügte sie an Geary gewandt hinzu. »Sie haben die Selbstzerstörung aktiviert, obwohl sich an Bord all die Leute befanden, die aus der Einrichtung geflohen waren. Gibt es eigentlich irgendetwas, wovor sie zurückschrecken, nur damit wir nichts über sie herausfinden?«

»Das frage ich mich allmählich auch.« Es überraschte ihn kaum, als einen Moment später der Alarm auf seinem Display erneut aufflammte. Feste Verteidigungsanlagen in der Nähe der Einrichtung auf dem Mond hatten kinetische Projektile abgefeuert, deren Flugbahnen eindeutig nicht zur Allianz-Flotte führte, sondern zu eben dieser Einrichtung, die immer noch dreißig Lichtminuten entfernt war. Die Salve war kaum entdeckt worden, da verwischte das Bild der Einrichtung und platzte aus der Mondoberfläche heraus. »Sie haben die Selbstzerstörung für die Anlage aktiviert, und sie bombardieren sie auch noch, damit außer Staub nichts übrig bleibt.«

»Charban hatte recht, nur mit dem Unterschied, dass die Aliens nicht warten wollten, bis unsere Leute da unten eingetroffen sind. Wahrscheinlich hatten sie Angst, sie könnten bis zur Auslöschung der Station doch irgendetwas in Erfahrung bringen. Und jetzt?«, fragte Desjani. »Fliegen wir einen der bewohnten Planeten an?«

»Tun Sie das bitte nicht«, warf Rione ein, die von den beiden unbemerkt soeben mit Charban auf die Brücke zurückgekehrt war. »Ich möchte lieber nicht wissen, was diese Enigmas tun, wenn wir uns einer ihrer Welten nähern.«

»Die würden bestimmt nicht …«, begann Desjani, kniff dann aber die Augen zu. »Vielleicht würden sie es doch.«

»Was glauben Sie, General Charban?«, wollte Geary wissen.

»Ich teile die Ansicht meiner Kollegin, Admiral.«

»Genau genommen trifft uns keine Schuld, wenn die sich selbst umbringen«, murrte Desjani. »Und ich werde darüber ganz sicher nicht mit den lebenden Sternen diskutieren, wenn ich ihnen begegne. Aber was sollen wir sonst machen? Wir stecken in einer Sackgasse. Entweder löschen sie uns und sich mit den Hypernet-Portalen aus, oder sie jagen sich selbst in die Luft, wenn sie uns anders nicht daran hindern können, etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Mir ist zwar die zweite Variante lieber, aber so oder so finden wir nichts über sie heraus.«

Nachdenklich stieß Geary langsam den Atem aus. »Also gut. Wir bleiben auf unserem Kurs. Vielleicht hat ja irgendetwas die Selbstzerstörung überlebt, und mit etwas Glück überlebt es auch das kommende Bombardement.«

Einige Zeit später ging eine kurze Nachricht von der Eingreiftruppe ein. Captain Badaya machte eine mürrische Miene, als er meldete: »Wir bleiben auf unserem Kurs, um das Trümmerfeld nach irgendetwas Brauchbarem zu durchsuchen. Danach kehren wir zur Flotte zurück, Admiral.«

Von der Einrichtung auf dem Mond war so wenig übrig, dass man gerade noch die Zusammensetzung des Materials bestimmen konnte, aus der sie erbaut worden war. Carabali hatte sich dagegen ausgesprochen, Personal auf die Oberfläche zu schicken, und damit argumentiert, dass dort weitere Fallen auf sie lauerten und nur darauf warteten, einen Erkundungstrupp in Stücke zu reißen. Unbemannte Sonden hatte jedoch keinen Hinweis auf irgendwelche Fallen finden können. Die angerichtete Zerstörung war so umfassend, dass man nicht mal die Größe und Form einzelner Räumlichkeiten rekonstruieren konnte.

Captain Smythe steuerte seine Kenntnisse als Ingenieur bei: »Die müssen beim Bau schon die mögliche Selbstzerstörung vorgesehen haben. Mit ein paar Sprengladungen kann man ein Gebäude nicht so restlos zerstören. Da benötigt man jede Menge Sprengladungen, die zudem alle an genau den richtigen Stellen platziert sein müssen. Mich würde nicht wundern, wenn die Rohbauten bereits den Sprengstoff für eine mögliche Zündung enthalten.«

»Ist so etwas nicht extrem gefährlich?«, erkundigte sich Geary.

»Und das aus dem Mund des Mannes, der in einem Schiff sitzt, vollgepackt mit Waffen, gefährlichen Schaltkreisen, instabilen Brennstoffzellen und einem Antrieb, der das alles in winzige Stückchen zerreißen kann. Des Mannes, der damit durch das All reist, also einer Umgebung, wie sie für das menschliche Leben nicht feindseliger sein könnte. Wir sind daran gewöhnt, und vielleicht sind die Enigmas daran gewöhnt, dass in ihren Hauswänden Sprengstoff steckt.« Smythes Miene hellte sich auf. »Möglicherweise verfügen sie über einen extrem stabilen Sprengstoff, der sich nicht so einfach zünden lässt. Ich würde mir das Zeugs gern mal ansehen.«

»Falls wir etwas finden, erfahren Sie’s als Erster. Glauben Sie, ihre Städte könnten in der gleichen Weise gebaut sein?«

»Möglich wär’s, aber den gleichen Effekt erzielt man auch, wenn man genügend Atombomben dicht genug beieinander platziert und zündet.«

Die Eingreiftruppe hatte die sich weiter ausdehnende Trümmerwolke erreicht, die kurz zuvor noch der Frachter der Aliens gewesen war, und verlangsamte ihre Fluggeschwindigkeit, um die Überreste gründlich zu untersuchen. Als Badayas Nachricht schließlich Geary erreichte, machte der Mann einen unerklärlich gut gelaunten Eindruck, obwohl es seinen Schiffen nicht gelungen war, das fliehende Schiff unversehrt zu stellen. Aber nach den ersten Worten wurde der Grund für diese gute Laune deutlich: »Admiral, diesmal ist es den Enigmas nicht gelungen, restlos alles zu vernichten. Die Dragon hat eine nicht ganz vollständige Leiche gefunden. Wenigstens wissen wir jetzt, wie sie aussehen. Es ist ganz allein Commander Bradamonts Verdienst, weil sie auf die Idee kam, die Aliens könnten sich in Tarnmaterial kleiden und damit für uns unsichtbar sein. Sie ist mit der Dragon um das Trümmerfeld geflogen und hat in den Überresten nach kühlen Flecken gesucht, dabei hat sie eine halb erhaltene Leiche entdeckt. Aus irgendeinem Grund war dieser Alien teilweise vor der Explosion geschützt, die den Frachter zerstört hat.«

Neben Badaya tauchte ein Bild auf, das Geary zusammenzucken ließ – aber nicht vor Abscheu vor dem Alien, sondern wegen des Zustands der Leiche. Das Wesen war nicht nur von der Explosion des Schiffs in Mitleidenschaft gezogen worden, sondern auch noch durch das Vakuum zusätzlich zerrissen worden, sodass eine größtenteils blutige Masse zurückgeblieben war. Dennoch konnte er stellenweise etwas von der Haut ausmachen, die recht zäh zu sein schien und zumindest an einigen Stellen mit dünnen Schuppen überzogen war. An dem zerschmetterten Schädel war noch eine schmale Mundöffnung zu erkennen. In lebendigem Zustand war dieser Enigma offenbar so lang und so dürr gewesen, dass er auf einen Menschen so wirkten musste, als hätte man ihn am Kopf und an den Füßen gepackt und ihn dann immer weiter in die Länge gezogen. »Sorgen Sie dafür, dass unsere Mediziner und die zivilen Experten das da zu sehen bekommen«, sagte er an den Komm-Wachhabenden gerichtet, dann rief er den Chefmediziner der Flotte.

»Ich nehme an, Sie wollen sich das persönlich ansehen«, begann Geary. »Wohin soll das Shuttle der Dragon die Überreste bringen?«

»Auf die Tsunami bitte, Admiral. Dort befindet sich ein exzellenter Chirurg, der auch einige Erfahrungen mit Autopsien hat. Das ist auch das Schiff, auf dem sich die … ähm … die Experten für intelligente nichtmenschliche Spezies befinden. Wie lange, bis wir den Leichnam zu sehen bekommen?«

»Sie schicken uns vorab schon ein paar Scans, aber es wird fast einen Tag dauern, bis die Eingreiftruppe zurück bei der Flotte ist und bis Sie den Alien persönlich begutachten können, Doctor.« Danach wurde es nötig, sich an die viel weiter entfernte Illustrious zu wenden. »Captain Badaya, mein Kompliment gilt Ihnen und Commander Bradamont für eine hervorragend gelöste Aufgabe. Sobald die Eingreiftruppe die Flotte erreicht hat, möchte ich, dass die Dragon diese sterblichen Überreste per Shuttle zur Tsunami bringen lässt.«

Endlich hatten sie etwas gefunden. Vielleicht waren seine Gebete ja erhört und zum Teil beantwortet worden.

Geary hielt sich in seinem Quartier auf, als Badaya sich wieder bei ihm meldete, da seine Eingreiftruppe zur Flotte zurückgekehrt war und die Schiffe nun wieder ihren Platz in der größeren Formation einnahmen. »Tut mir leid, dass ich Ihnen diesen Frachter nicht mitbringen konnte, Admiral. Aber wenigstens haben wir jetzt einen Teil einer Leiche. Hässliche Geschöpfe, nicht wahr?«

»Schwer zu sagen«, erwiderte Geary. »So zugerichtet, wie die Leiche ist.«

»Gutes Argument. Ernsthafte Probleme gibt es nicht zu berichten, aber ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie mit dem befehlshabenden Offizier der Invincible ein ernstes Wort reden könnten.«

»Was ist denn passiert?«

»Captain Vente kommt nicht so gut damit klar, dass er meiner Division zugeteilt worden ist. Er macht immer wieder Anspielungen, dass er das höhere Dienstalter hat und er eigentlich das Kommando haben sollte. Während der Operation hat er sich über jeden meiner Befehle beklagt, um zu betonen, wie unzufrieden er damit ist, dass ich die Eingreiftruppe befehlige und nicht er.«

Es war keine große Überraschung, das zu hören. »Hat er irgendetwas gemacht, das einen formellen Tadel rechtfertigen würde?«

»Leider nicht«, antwortete Badaya und verzog missmutig den Mund. »Vente stehen die Admiralsabzeichen ins Gesicht geschrieben, aber er ist schlau genug, es nicht zu übertreiben. Schließlich will er ja ein großes Kommando abkriegen, damit er bei der Rückkehr zum Hauptquartier etwas vorweisen kann, das ihm seine erhoffte Beförderung einbringt.«

»Vielleicht hätte ihm jemand sagen sollen, dass der Beförderungsautomatismus der Vergangenheit angehört.«

»Ha! Ich habe in meiner Zeit oft genug mit Leuten von Ventes Schlag zu tun gehabt. Diese Typen glauben, dass ihre Beziehungen ihnen trotzdem dazu verhelfen, das zu kriegen, was allen anderen verwehrt bleibt.«

Geary nahm sich einen Moment Zeit, um sich für eine lästige, aber unverzichtbare Aufgabe zu wappnen, dann rief er Vente. Fast zwanzig Minuten später – lange genug, um Gearys Geduld zu strapazieren, aber nicht lange genug, um sich dafür eine Zurechtweisung einzuhandeln – tauchte Ventes Bild in Gearys Quartier auf. »Captain Vente, aus gegebenem Anlass muss ich Ihnen offenbar erklären, dass ich die Befehlsstrukturen innerhalb dieser Flotte nicht verändern werde, nur weil ein Captain ein höheres Dienstalter vorweisen kann als ein anderer. Captain Badaya befehligt seine Division bereits seit einer ganzen Weile mit Erfolg, und er wird sie auch weiterhin befehligen.«

Daraufhin wurde Ventes Gesichtsausdruck noch finsterer. »Das verstößt gegen die Vorschriften.«

»Nein, das tut es nicht. Ansonsten würden Sie jetzt schon die entsprechenden Vorschriften zitieren. Lassen Sie sich von mir sagen, dass ich den Dienst und die Ehre all meiner Offiziere respektiere. Ich werde nicht zulassen, dass irgendein Offizier in dieser Flotte auf eine Weise behandelt wird, die diesen Respekt infrage stellt.«

»Admiral Chelak …«

»… hat nicht das Kommando über diese Flotte. Habe ich mich klar ausgedrückt, welches Verhalten ich von meinen Offizieren erwarte, Captain Vente?«

»Ja … Admiral.«

Nachdem Vente wieder verschwunden war, gab Geary den Unterstützungssystemen der Flotte den Befehl, ihn häufiger und detaillierter als bislang über den aktuellen Status der Invincible zu informieren. Gebt mir einen Grund, damit ich diesem Mann das Kommando entziehen kann. Irgendetwas, das ich problemlos rechtfertigen kann. Ich will nur hoffen, dass das bald geschieht.

Die medizinischen Vertreter sahen sich mit kaum verhohlener Neugier im Konferenzraum um. Der Kreis der Teilnehmer an Besprechungen war in den letzten Jahrzehnten immer enger gezogen worden, da die Konferenzen nach und nach zu politischen Debatten darüber ausgeartet waren, wer die Flotten kommandieren und wohin sie fliegen sollten. Zu der Zeit, da man Geary aus dem Kälteschlaf geholt hatte, war es üblich, dass außer den Befehlshabern der zur Flotte gehörenden Schiffe niemand zu diesen Besprechungen zugelassen war. Aber Geary hatte viel von der verloren gegangenen Disziplin wiedereingeführt, sodass die Besprechungen nicht länger in hitzige Diskussionen ausarteten – was vermutlich die enttäuschten Mienen der Ärzte erklärte.

Der Chirurg, der die Autopsie des Aliens geleitet hatte, hielt einen Vortrag über die Untersuchung, begleitet von virtuellen Bildern, die manchem Anwesenden auch dann auf den Magen geschlagen wären, wenn sie nicht dreidimensional und wie echte Körperteile über dem Konferenztisch schwebend projiziert worden wären. »Wir können nicht mit Gewissheit etwas dazu sagen, wieso dieser Alien-Körper so vergleichsweise gut erhalten geblieben ist, aber eine Analyse mit einer speziellen Software, mit der sich ein wahrscheinlicher Verletzungsablauf zurückverfolgen lässt, ergibt mit großer Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Individuum nicht mehr an Bord des Frachters befand, als der explodierte. Eine Neuanalyse der Aufzeichnungen von den letzten Augenblicken in der Existenz des Frachters hat ergeben, dass Sekunden vor der Explosion ein getarntes Objekt aus dem Schiff ausgestoßen wurde.«

»Eine Rettungskapsel?«, fragte Duellos überrascht.

»Wahrscheinlich ja. Der Abstand zum Frachter und die Hülle der Kapsel dürften den Insassen teilweise vor der Vernichtung geschützt haben.« Der Chirurg zeigte auf verschiedene Organe. »Vom Hals ist noch genug erhalten, um ein duales Atmungssystem auszumachen. Wir glauben, dass sich dieser Hautlappen schließt und dass die Atemluft von der Mehrkammerlunge zu diesen Organen umgeleitet wird. Die sind sehr empfindlich, und viel ist von ihnen nicht erhalten geblieben, dennoch vermuten wir, dass sie eine ähnliche Funktion erfüllen wie Kiemen.«

»Also Amphibienwesen!«, rief Dr. Setin dazwischen und lächelte erfreut, weil das bereits von seinen Experten vermutet worden war.

»Sehr wahrscheinlich«, antwortete der Chirurg. »Von den Augen ist nicht genug erhalten, um die Wellenlänge zu bestimmen, bei der sie optimal arbeiten. Die Kreatur könnte sechs Gliedmaßen gehabt haben, aber es lässt sich nicht sagen, wie die sich auf Arme und Beine verteilen. Wir können die wahrscheinlichen Funktionen der meisten noch vorhandenen Organe bestimmen, allerdings sind nicht viele Organe erhalten geblieben. Es handelt sich um eine Lebensform auf Kohlenstoffbasis, die unserem grundsätzlichen Aufbau ähnelt, und sie atmet Sauerstoff. Das Gehirn wurde sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Größe lässt sich annähernd schätzen, aber eine Bestimmung der verschiedenen Hirnregionen wäre extrem schwierig. Was jedoch offensichtlich erscheint, ist das Fehlen einer bilateralen Symmetrie des Hirns. Bei primitiveren fremden Lebensformen, wie wir sie auf von Menschen kolonisierten Welten vorgefunden haben, bedeutet das ein Fehlen von Rechts- oder Linkshändigkeit.«

»Können Sie etwas dazu sagen, was diese Kreaturen essen?«

»Nein. Bis auf ein paar Fetzen war der Verdauungstrakt komplett herausgerissen. Es kann ein Fleischfresser sein, ein Vegetarier, ein Allesfresser.«

»Ist von den Fingern etwas übrig, um zu bestimmen, ob diese Aliens Fingernägel oder Krallen haben?«

»Ein Finger war ausreichend erhalten. Er läuft an der Spitze in einer verhärteten Struktur aus, eine Art konischer Fingernagel.«

»Damit ließe sich Beute töten oder aber Gemüse aus dem Boden ausgraben«, erläuterte Shwartz.

Commander Lomand von der Titan hatte aufmerksam zugehört und gab nun ein Zeichen, dass er gehört werden wollte. »Sir, Sie sprachen von Kiemen. Sind Sie sich sicher, dass diese Wesen in der Lage sind, unter Wasser zu atmen?«

»Ja«, erwiderte der Chirurg und nickte dabei nachdrücklich.

»Wir haben etwas von der Umgebung sehen können, in der sie leben«, warf Dr. Setin ein. »Ihre Städte reichen vom Land bis ins Wasser, sie sind nicht auf eine von beiden Seiten beschränkt. Wasser ist eine erstaunliche Substanz, müssen Sie wissen. Unglaublich nützlich. Sauerstoff ist eine starke Kraftstoffquelle, daher überrascht es uns nicht, dass wir eine andere hoch entwickelte Spezies sehen, die sich ebenfalls dieser Quelle bedient. Und Kohlenstoff ist extrem flexibel. Das alles ist praktisch maßgeschneidert für komplexe Lebensformen. Die meisten höher entwickelten Lebensformen, auf die wir bislang gestoßen sind, basieren auf Kohlenstoff und sind Sauerstoffatmer.«

Commander Lomand tippte eilig etwas ein, dann gab er einen zufriedenen Laut von sich. »Ich habe eine vorläufige Berechnung durchgeführt, Admiral, und die Werte von einigen Ingenieuren an Bord der Titan überprüfen lassen, die sich mit Schiffsdesign auskennen. Wir haben bekanntlich beobachten können, dass die Kriegsschiffe der Aliens schneller beschleunigen und manövrieren können als unsere. Wenn diese Schiffe nicht mit Sauerstoff, sondern mit Wasser gefüllt sind, dann würde das die Auswirkung der Beschleunigungskräfte auf ihre Körper ganz erheblich dämpfen und so die Arbeit der Trägheitsdämpfer unterstützen.«

»So erheblich, dass sich damit die Manöver erklären lassen, die wir gesehen haben?«, wollte Commander Neeson wissen.

»Ja, wenn diese Kriegsschiffe über eine erheblich größere Antriebseinheit verfügen als vergleichbare Kriegsschiffe unserer Flotte.«

»Es gibt keine Hinweise darauf, dass das auch der Fall ist«, wandte Badaya ein.

»Doch, die gibt es«, widersprach Lomand. »Nämlich die Gewalt der Explosionen, die die Kriegsschiffe der Aliens zerrissen haben. Das kann auf einen effizienteren Antrieb hindeuten oder aber auf einen Antrieb, der nach den gleichen Prinzipien funktioniert wie unserer, aber erheblich größer ist.«

Daraufhin meldete sich Smythe zu Wort und redete sehr bedächtig, da er keinen seiner Offiziere vor den anderen Anwesenden blamieren wollte. »Wir haben aber keine Werte bei den Alien-Kriegsschiffen festgestellt, die auf eine größere Antriebseinheit schließen lassen, oder?«

»Nein, Sir. Aber wenn das Schiff mit Wasser gefüllt sein sollte, würde dieses Wasser die von der Antriebseinheit ausgehende Strahlung zusätzlich isolieren, damit die Besatzung vor den Emissionen schützen und uns daran hindern, von außen die wahre Größe der Antriebseinheit zu bestimmen.«

Einen Moment lang lauschte Captain Smythe jemandem auf der Tanuki, der ihm etwas sagte, dann nickte er. »Ich kann Commander Lomants Berechnungen bestätigen. Die Wucht der Explosionen, die wir beobachten konnten, lässt sich mit Antriebseinheiten erklären, die deutlich größer sind als das, was wir in unsere Schiffe einbauen.«

»Aber Wasser wiegt mehr als eine Atmosphäre«, wandte Tulev ein. »Wirkt sich das nicht negativ auf die Manövrierbarkeit aus?«

»Ja, wenn der Schiffsrumpf bestimmte Ausmaße erreicht. Wenn die Hülle in ihren Dimensionen nur um ein kleines Stück wächst, erhöht sich das Volumen ganz erheblich – und damit auch die benötigte Wassermenge.«

»Keine Schlachtschiffe«, merkte Desjani an. »Darum haben sie keine Schiffe, die größer als ein Kreuzer sind.«

Neeson schaute nachdenklich drein, während er sich mit irgendetwas beschäftigte. »Selbst wenn das Wasser die Strahlung isoliert, können so große Antriebseinheiten auf Dauer für die Crew nicht gesund sein.«

»Möglicherweise machen ihnen die Emissionen nicht so viel aus«, überlegte Smythe und sah den Chirurgen an, der nur mit den Schultern zuckte, um ihm zu verstehen zu geben, dass er darauf keine Antwort wusste.

»Es ist wohl eher anzunehmen, dass ihnen die Gesundheit ihrer Besatzungsmitglieder nicht sonderlich am Herzen liegt«, meinte Captain Vitali.

Mit überspitzter Diplomatie in seinem Tonfall sprach Dr. Setin: »Die Enigma-Rasse hat ohne jeden Zweifel ein hohes Maß an Bereitschaft gezeigt, Individuen für das Wohl der Rasse zu opfern. Admiral Geary hat meine Gruppe gebeten, eine Einschätzung abzugeben, was unserer Ansicht nach geschehen würde, wenn diese Flotte versucht, sich einer anderen Anlage oder einem Planeten zu nähern, um mehr über die Enigma-Rasse herauszufinden. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass ein solcher Versuch die Enigma-Rasse sehr wahrscheinlich dazu veranlassen wird, alles Leben und alle Bauwerke auf einem Planeten auszuradieren, damit nichts übrig bleibt, das uns etwas über diese Spezies verraten könnte.«

»Und wenn sie wüssten, dass wir bereits im Besitz dieser Leiche sind?«, fragte Duellos. »Würde sie das einsehen lassen, dass es sinnlos geworden ist, Massenselbstmord zu begehen, weil wir schon mehr über sie wissen, als ihnen recht sein kann?«

»Ich weiß nicht. Es hängt davon ab, welchen Grund es gibt, dass sie so im Verborgenen bleiben wollen. Wenn es sehr tief in ihnen verwurzelt ist, könnte sie die Erkenntnis, dass wir etwas über sie wissen, nur noch gewalttätiger reagieren lassen. Diese Mutmaßung basiert auf dem, was wir aus der menschlichen und der Tierpsychologie wissen. Eine andere Grundlage haben wir nicht.«

»Die sind verrückt«, sagte Badaya und löste damit ringsum zustimmendes Nicken aus.

»Sie sind anders«, korrigierte ihn Dr. Shwartz. »Diese Besessenheit, andere nichts über sie herausfinden zu lassen, kann so tief verwurzelt sein, dass sie sie nicht infrage stellen und nicht von ihr abweichen können, weil es in einer Frühphase ihrer Entwicklung so festgeschrieben wurde. Versuchen Sie, sich einmal vorzustellen, welches Bild Aliens von uns bekommen, wenn sie uns nach unserer ständigen Besessenheit in Sachen Sex beurteilen sollen.«

General Carabali gab ein herablassendes Schnauben von sich. »Menschen sind durchaus in der Lage, für kurze Zeit nicht an Sex zu denken und davon auch nicht ihr Handeln bestimmen zu lassen. Natürlich rede ich da nur von den weiblichen Vertretern der Spezies.«

»Ich habe auch schon mal ein paar Sekunden lang nicht an Sex gedacht«, warf Duellos ein. »Allerdings hat mich das dazu gebracht, meine Männlichkeit infrage zu stellen. Tatsache ist aber, dass dieses Streben der Aliens nach der völligen Wahrung ihrer Privatsphäre übermächtig genug ist, um dafür sogar ihr Leben zu geben. Und um dafür zu töten. Über andere Aspekte dieser Enigmas können wir lang und breit spekulieren, aber es gibt keinen Zweifel daran, dass zumindest diese Erkenntnis feststeht.«

»Apropos Motivation«, warf Jane Geary ein. »Hat irgendjemand eine Erklärung dafür, wieso dieses eine Alien versucht hat, der Vernichtung des Frachters zu entkommen?«

Es folgte langes Schweigen, bis Shwartz Setin zunickte. »Vielleicht war ja gerade dieser eine Alien verrückt, jedenfalls nach den Maßstäben der Enigma-Rasse. Er … sie … es wollte nicht sterben, nur um uns weiter im Ungewissen über diese Spezies zu lassen.«

»Ein Feigling?«, meinte Badaya lachend. »Ich würde sagen, dieser eine Alien war mehr bei Verstand als alle anderen zusammengenommen, wenn er nicht für diese Sache sterben wollte. Aber sie würden ihn wohl als Feigling bezeichnen, wie?«

»Zweifellos«, bestätigte Setin.

Geary ließ seinen Blick über den Tisch wandern und sah, wie alle ihn anschauten und auf seine Entscheidung warteten. »Ich sehe keinen Sinn darin, dass wir weiter versuchen, in diesem Sternensystem etwas über die Enigmas herauszufinden. Vielleicht wird es ihnen nicht gelingen, all ihre Städte komplett auszulöschen, aber sie könnten durchaus über die Mittel verfügen, um einen Schaden anzurichten, der mit dem dieser Einrichtung auf dem Mond vergleichbar wäre. Wir sind hergekommen, um so viel wie möglich über die Enigma-Rasse herauszufinden, aber wie es scheint, können wir nicht mehr herausfinden. Wenn unsere Spekulationen über ihre Technologien zutreffen, dann wäre unsere vorrangigste Aufgabe, ihr überlichtschnelles Kommunikationssystem in die Finger zu bekommen. Allerdings sind die Chancen dafür so gering, dass sie nicht mal im Quantenbereich messbar sind. Daher werde ich der Flotte eine Reihe von Sprüngen befehlen, um festzustellen, in wie viele von den Enigmas kontrollierte Systeme wir vordringen können, ehe wir uns auf den Rückweg ins Allianz-Gebiet begeben. Unsere einzige Aufgabe besteht jetzt darin, so viel wie möglich über die Ausdehnung ihres Territoriums und über ihre Schlagkraft in Erfahrung zu bringen, auch wenn unsere Gesandten weiterhin ihre vermutlich vergeblichen Bemühungen fortsetzen werden, den Enigmas die Möglichkeit einer sinnvollen Kommunikation anzubieten.«

Er wartete auf Kommentare und Fragen, aber niemand sagte etwas. »Ich danke Ihnen allen. Ich werde die neuen Flugbefehle in Kürze übermitteln.«

Nachdem die meisten Offiziere verschwunden waren, blieb Dr. Setin noch anwesend, während Dr. Shwartz ihm wutentbrannt etwas zuflüsterte. »Admiral, es gibt da etwas, das ich mit Ihnen besprechen möchte«, erklärte Setin. »Vielleicht wäre es von Nutzen, einen einzelnen Menschen hier zurückzulassen, wenn die Flotte weiterfliegt. Er könnte womöglich mehr darüber …«

»Nein.«

»Ich würde mich freiwillig melden. Die Gelegenheit …«

»Das kann ich nicht zulassen, Doctor. Es tut mir leid. Nach allem, was die Syndiks uns erzählt haben, wurden bereits etliche Menschen von den Enigmas gefangen genommen. Es gäbe für die keinen Grund, Sie am Leben zu lassen.«

Setin stand unschlüssig da, bis Dr. Shwartz wieder etwas zu ihm sagte. »Ja, das ist wahr«, lenkte er schließlich ein. »Vielleicht stoßen wir nach einem der von Ihnen geplanten Sprünge ja auf eine andere intelligente Spezies.«

»Das wäre schön, Doctor.« Vor allem wenn es sich dabei um eine Spezies handelte, die nach menschlichen Maßstäben nicht verrückt war.

Die Flotte unternahm einen langen Sprung hin zu einem Stern, der ganz frisch auf den Namen Tartarus getauft worden war – gleich nachdem Captain Desjani hatte herausfinden müssen, dass es im Gebiet der Syndiks bereits einen Stern namens Purgatory gab.

Tartarus erinnerte, gemessen an der Enigma-Bevölkerung, an Limbo, allerdings störte sich Geary mehr an der Tatsache, dass die Zahl der sie verfolgenden Alien-Kriegsschiffe immer weiter anwuchs und sich mittlerweile auf fünfunddreißig belief. Aber hier gab es kein Hypernet-Portal, und nachdem Dr. Setin hartnäckig genug gebettelt hatte, war Geary bereit gewesen, lange genug im System zu bleiben, damit sie Erkundungssonden aussenden und einen letzten Versuch unternehmen konnten, mit den Aliens sinnvoll zu kommunizieren.

Nachdem auch ein paar Tage später auf keinem der beiden Gebiete irgendwelche Fortschritte erzielt worden waren, wollte Geary der Flotte den Befehl zum Verlassen des Systems geben, als eine dringende Mitteilung einging.

»Sir!« Lieutenant Iger klang ein wenig außer Atem. »Admiral, wir haben Menschen entdeckt!«

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