Sechs

Geary wusste, wie verdutzt er dreinblicken musste, weil er sich genauso überrumpelt fühlte. Es gab nur eine Frau, die bei Desjani eine solche Reaktion auslösen konnte.

»Rione?«, fragte er. »Victoria Rione?«

Ihr wutentbrannter Blick war auf ihn gerichtet. »Davon wussten Sie nichts?«

»Sie ist an Bord der Dauntless? Seit wann? Und wieso?«

Noch immer aufgebracht, aber ein wenig besänftigt durch Gearys überraschte Reaktion auf diese Neuigkeit nickte Desjani schließlich. »Sie ist mit dem routinemäßigen täglichen Shuttleflug an Bord gekommen. Ich habe erst davon erfahren, als sie vor ein paar Minuten das Shuttle verlassen hat.« Desjani ging in der Kabine auf und ab, dann drehte sie sich abrupt zu ihm um. »Sie können von Glück reden, dass Sie so ein lausiger Lügner sind. Dadurch konnte ich Ihnen ansehen, dass Sie tatsächlich nichts von ihrer Ankunft wussten. Wäre Ihnen das bekannt gewesen, und Sie hätten mir nichts …«

»Tanya, so dumm bin ich nun auch wieder nicht. Was um alles in der Welt hat sie auf der Dauntless verloren?«

»Da Sie es mir nicht sagen können, schlage ich vor, Sie fragen sie.«

Während er insgeheim überlegte, was er nur verbrochen hatte, dass die lebenden Sterne für ihn dieses Schicksal vorsahen, nickte er auf eine Weise, von der er nur hoffen konnte, dass sie etwas Besänftigendes vermittelte. »Wo ist sie?«

»In diesem Moment? So wie ich diese Frau kenne, ist sie auf dem Weg hierher.«

Kaum hatte Desjani ausgesprochen, wurde die Türglocke zu Gearys Quartier betätigt. Desjani verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich auf eine Weise hin, die ihm verriet, dass sie in nächster Zeit den Raum nicht verlassen würde. Er machte sich auf das Schlimmste gefasst, während er die Luke öffnete.

Jede restliche Hoffnung, es könnte sich um jemanden handeln, der Victoria Rione zum Verwechseln ähnlich sah, zerschlug sich in dem Moment, als der Blick auf sie freigegeben wurde. »Ich störe doch nicht, oder?«, fragte sie mit höflich interessierter Miene.

Desjanis bereits rot angelaufenes Gesicht verfärbte sich noch dunkler, ihre Fäuste ballte sie dabei so fest, dass der Ring in die Finger zu beiden Seiten des Ringfingers schnitt. Dennoch brachte sie es fertig, in einem fast emotionslosen Ton zu sagen: »Man hat mich nicht darüber informiert, dass Sie meinem Schiff einen Besuch abstatten würden.«

»Das war ein Auftrag, den mir die Regierung in letzter Minute erteilt hat«, reagierte Rione auf Desjanis Bemerkung, wobei sie es aber irgendwie schaffte, es so aussehen zu lassen, als würde sie auf eine Äußerung von Geary antworten.

»Wird die Callas-Republik Sie nicht vermissen?«, fragte er.

»Leider nicht.« Ein Hauch von echten Gefühlen huschte über Riones Gesicht und war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. »Außerplanmäßige Neuwahlen. Vielleicht haben Sie davon gehört. Die Wähler fanden, ich sei zu sehr auf die Allianz konzentriert und ich würde nicht genügend hinter den Themen stehen, die die Interessen der Callas-Republik angehen.«

Es dauerte einen Moment, das zu erfassen. »Sie sind nicht länger Co-Präsidentin der Callas-Republik?«

»Weder Co-Präsidentin noch Senatorin der Allianz.« Riones Stimme klang gleichbleibend unbekümmert, aber ihre Augen verrieten ihre Gefühlsregungen. »Jemand, der der Allianz loyaler gegenüberzustehen scheint als der Callas-Republik, wäre ein schlechter Repräsentant für die Frage, ob die Republik sich aus der Allianz zurückziehen soll, nachdem der Krieg jetzt vorüber ist, nicht wahr? Immerhin hatte sich die Republik nur wegen der Bedrohung durch die Syndiks der Allianz angeschlossen. Da ich derzeit keine anderweitigen Verpflichtungen habe, ist die Allianz-Regierung auf die Idee gekommen, mich zur Gesandten des Großen Rats zu machen.«

»Zur Gesandten des Großen Rats?«, wiederholte Geary. »Und was heißt das genau?«

»Alles, was es nach Ansicht des Großen Rats und nach meiner Ansicht heißen soll.«

Sie genießt das, erkannte Geary.

Desjani war eindeutig zum gleichen Ergebnis gekommen, und sie hatte Mühe, ihre Zunge im Zaum zu halten. »Ich bin mir sicher, Sie wollen mit dem Admiral alles Notwendige besprochen haben, bevor das Shuttle wieder ablegt, daher …«

»Nein, ich werde bleiben«, unterbrach Rione sie und sprach weiter in Gearys Richtung. »Der Große Rat möchte, dass ich für die Dauer der nächsten Mission auf dem gleichen Schiff bleibe wie der Admiral.«

Da er fürchtete, Desjani könnte vor Wut explodieren, fragte Geary an Rione gewandt: »Und wenn wir ins Allianz-Gebiet zurückkehren, werden Sie uns wieder verlassen?«

Zeigte sich eine Regung in ihr? Etwas so Heftiges, das sich nicht vollkommen verbergen ließ, das aber so schnell überspielt wurde, dass er sich beim besten Willen nicht sicher sein konnte, ob er tatsächlich etwas gesehen hatte. »Das hängt davon ab, welche Befehle mir der Große Rat erteilt«, sagte Rione.

Die Vorfahren mögen uns beistehen. Wieder saß er mit diesen beiden Frauen auf einem Schiff fest. »Ich werde eine Nachricht …«

»Sparen Sie sich die Mühe. Es wäre nur vertane Zeit. Der Große Rat will, dass ich Sie begleite. Der andere vom Großen Rat bestimmte Gesandte wird in Kürze ebenfalls eintreffen.« Dann erst nahm Rione Notiz von Desjani und lächelte sie frostig an. »Aber ich bin nachlässig gewesen. Meinen Glückwunsch an Sie beide. Wie erfreulich, dass alles so gut geklappt hat, als die Flotte das letzte Mal nach Varandal zurückgekehrt ist.«

Desjani versteifte sich wieder und sah zu Geary, der keine Reaktion zu zeigen versuchte. Sollte sie je dahinterkommen, dass Rione ihm geholfen hatte, an dem Tag noch rechtzeitig zu Desjani zu gelangen, dann würde die Hölle los sein. Und das weiß Rione. Warum macht sie also vor Tanya eine solche Anspielung? Was geht diesmal in ihrem Kopf vor? »Was genau ist Ihre Rolle in dieser Flotte?«, wollte Geary wissen.

»Ich repräsentiere die Regierung«, sagte sie und warf Desjani einen flüchtigen Blick zu.

Tanya verstand die Botschaft und schaute finster zu Geary. »Wenn Sie gestatten, Sir. Ich werde mich wieder meinen Pflichten widmen.«

»Vielen Dank, Tanya.« Er versuchte, den Worten eine besondere Bedeutung mitzugeben, was ihm womöglich auch gelang, da ihre Wut ein wenig zu verrauchen schien.

Kaum hatte sich die Luke hinter Desjani geschlossen, ließ Rione sich in einen Sessel sinken und wirkte mit einem Mal abgekämpft. »Es tut mir wirklich leid, dass es keine Vorwarnung gab, bevor ich hier eintraf.«

»Sie mussten Tanya nicht so provozieren.«

»Stimmt. Aber ich bin ein Miststück, und ich muss in Übung bleiben. Dass Sie auch keine Vorwarnung erhalten haben, ist übrigens nicht mein Werk. Der Große Rat handelt in letzter Zeit ziemlich spontan. Mein Co-Gesandter sollte in den nächsten Tagen hier eintreffen.«

»Das will ich ihm auch raten, weil wir in gut einer Woche aufbrechen werden. Kenne ich ihn?«, erkundigte er sich und nahm ihr gegenüber Platz.

»Ich glaube kaum. General a. D. Hyser Charban.« Sie lächelte ironisch. »Er versucht nicht, über den Umweg eines Putsches an die Macht zu gelangen, sondern auf die gute alte Art, indem er allen möglichen mächtigen Politikern irgendeinen Gefallen tut, damit sie sich revanchieren, wenn er sich selbst zur Wahl stellt.«

»General? Ein Marine?«

Sie musste lachen. »Nein, Bodentruppen. Ich kenne Charban auch nicht persönlich. Was ich über ihn gelesen habe, charakterisiert ihn als ›pragmatisch, durch Erfahrung traurig und weise, und mit begrenzter Feuerkraft ausgestattet, wenn es darum geht, entscheidende Ziele zu erreichen‹«, zitierte sie amüsiert.

»Es ist nicht verkehrt, wenn man die Grenzen seiner Feuerkraft kennt«, meinte Geary.

»Nicht, wenn es das ist, was Sie tatsächlich glauben.«

»Was genau werden Sie beide hier als Teil der Flotte machen?«

Einen Moment lang hielt sie inne, als überlege sie, was sie darauf am besten sagen sollte. »Unsere Aufgabe ist es, die Regierung zu repräsentieren.«

»Das haben Sie eben auch schon erzählt«, hielt Geary dagegen. »Das sagt mir überhaupt nichts.«

»Sieh an, Sie machen sich ja. Lassen Sie es mich so formulieren: Da weder Charban noch ich ein gewähltes Amt innehaben, können wir nicht während einer Mission entmachtet werden. So etwas würde unsere Legitimation als Repräsentanten in Zweifel ziehen.«

»Victoria, sagen Sie mir, warum Sie die Flotte begleiten.«

Sie schaute in eine Ecke, ihr Gesichtsausdruck verriet nichts. »Vielleicht sollten Sie mich lieber fragen, was die Regierung mit dieser Mission tatsächlich erreichen will.«

Mit seiner Antwort ließ er sich Zeit, weil er sicherstellen wollte, dass er die richtige Formulierung wählte. »So wie ich das verstehe, soll ich mehr über die fremde Rasse in Erfahrung bringen, vor allem über ihre Technologie und ihre Schlagkraft. Und ich soll versuchen, friedliche Beziehungen zu ihnen aufzubauen.«

»Mehr oder weniger.« Rione schloss kurz die Augen und machte abermals einen sehr erschöpften Eindruck. »Die Regierung will im Grunde genommen ein großes, kompliziertes und möglicherweise sehr kostspieliges Problem auf die einfachste und billigste Weise lösen. Das sollte bedeuten, mit den Aliens zu reden und jeden Konflikt zu vermeiden. Vielleicht aber auch nicht. Die Aliens werden im Gegenzug irgendetwas von uns fordern. Vielleicht muss man sie auch ein wenig unter Druck setzen. Meine Aufgabe und die von Charban ist es sicherzustellen, dass Sie den Weg wählen, der zunächst einmal mit den geringsten Kosten und Risiken verbunden ist.«

»Und was ist mit langfristigen Kosten und Risiken?«, wollte er schnaubend wissen.

»Mit langfristigen Problemen kann man sich immer noch befassen, wenn der Moment dafür gekommen ist«, sagte sie. Ihre Stimme verriet dabei nichts darüber, was sie selbst fühlte. »Und zwar mit weiteren billigen und kurzfristigen Lösungen, mit denen sich die Probleme weiter hinausschieben lassen, damit sich irgendwann irgendjemand anders den Kopf darüber zerbrechen darf. So denken Politiker nun mal. Ich war der Meinung, das wüssten Sie inzwischen.«

»Sie sind eine Politikerin.«

»Eine, die man aus dem Amt gewählt hat.« Sie lächelte humorlos. »Alle Regierungen in der Allianz haben im Augenblick auf Überlebensmodus umgeschaltet. Man hat Angst vor Ihnen, aber man braucht Sie auch. Darum schickt man Sie weg, damit Sie weit, weit entfernt den Helden spielen, aber hier in der Allianz nicht für Schwierigkeiten sorgen können.«

»Das wusste ich bereits. Das ist ungefähr so wie zuletzt, als ich tot war. Die Regierung konnte von dem profitieren, der ich angeblich war, aber sie musste sich keine Gedanken darüber machen, was ich tatsächlich tun könnte.«

»Ja, es ist eine ganz ähnliche Situation. Aber jetzt leben Sie, und Sie sind zu allem Möglichen fähig. General Charban und ich sollen Ihre Entscheidungen in die Richtung lenken, von der die Regierung jeweils am meisten profitiert.«

Vielleicht hatte er einfach nur zu lange mit Rione zu tun gehabt, auf jeden Fall wurde ihm die Bedeutung ihrer Worte sofort klar. »Von der die Regierung profitiert«, wiederholte er. »Nicht ›von der die Allianz profitiert‹.«

»Aber ist das nicht ein und dasselbe?«, gab sie in einem Ton zurück, der seine Erkenntnis bestätigte, ohne dass sie das sagen musste. »Jetzt wissen Sie, wo wir beide stehen.«

»Ich weiß, was Sie über Ihre Befehle gesagt haben«, stellte er fest.

Wieder lächelte sie auf eine Weise, die alles bedeuten konnte. »Ja.«

»Warum sind Sie hergekommen, Victoria? Ihnen muss klar gewesen sein, wie Tanya darauf reagieren würde.«

»Ich habe meine Gründe, und ich habe meine Befehle vom Großen Rat.« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Da ich kurz zuvor meine Arbeit verloren hatte, befand ich mich nicht in einer Situation, in der ich das Angebot des Rats hätte ablehnen können.«

»Ich kann noch immer nicht glauben, dass man Sie abgewählt hat.«

»Die Dankbarkeit der Wähler reicht nicht allzu weit«, erwiderte sie unüberhörbar verbittert. »Ich bin bereit gewesen, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Dummerweise bin ich in diesem Punkt sehr stark von einem Relikt vergangener Zeiten beeinflusst worden, von einem Mann, der gemeinhin unter dem Namen ›Black Jack‹ bekannt ist.« Sie warf ihm einen kühlen Blick zu, der ihm nur zu gut in Erinnerung war. »Mein Kontrahent war dagegen bereit, den Wählern alles zu versprechen, was sie von ihm hören wollten, und er hat ihnen garantiert, dass niemand von ihnen dafür Opfer würde bringen müssen. Eine Mehrheit der Wähler hielt das für eine großartige Idee.«

Geary hielt ihrem Blick stand. »Also haben Sie die Wahl verloren, weil Sie ehrlich waren.«

»Ironisch, nicht wahr?«

»Wie Sie mir einmal sehr deutlich zu verstehen gaben, besteht ein Teil dieser Flotte aus Schiffen der Callas-Republik. Deren Besatzungen und auch die Besatzungen der Schiffe der Rift-Föderation rechnen stündlich mit dem Befehl, nach Hause zurückzukehren. Sie haben diesen Befehl noch nicht erhalten, aber ich versuche zu entscheiden, ob ich diese Schiffe hier bei Varandal zurücklassen soll.«

Wieder schaute Rione zur Seite und schüttelte den Kopf. »Auf einen solchen Befehl werden sie lange warten können. Die Regierung der Republik wird diese Schiffe nicht zurückrufen. Erwarten Sie nicht von mir, dass ich das öffentlich wiederhole, aber Sie müssen auch nicht damit rechnen, dass die Rift-Föderation ihre Schiffe nach Hause holt.«

Er musste an die hoffnungsvollen Mienen der Befehlshaber dieser Schiffe denken, die davon ausgingen, schon bald die Heimat wiederzusehen. »Das ergibt aber keinen Sinn. Wenn sie sich von der Allianz lösen wollen, warum sollten sie dann den größten Teil ihrer Flotte unter dem Kommando der Allianz belassen?«

»Weil sie sich vor diesen Kriegsschiffen fürchten.« Sie musterte ihn ernst. »Die neue Regierung hegt den Verdacht, die Besatzungen könnten eher zu Black Jack Geary stehen als zur Callas-Republik. Und vermutlich liegen sie damit sogar richtig.«

Wut regte sich in ihm, wie er sie zuletzt bei seiner Konfrontation mit dem Großen Rat verspürt hatte. »Mutmaßungen sind keine Entschuldigung, um diese Besatzungen so zu behandeln, nachdem die so viel Tapferkeit und Opferbereitschaft gezeigt haben! Wie kann man mit den eigenen Leuten so umgehen? Wenn sie mir misstrauen, fein. Ich habe mich daran schon gewöhnt! Aber ich werde nicht zulassen, dass diese Schiffe verstoßen werden, nur weil jemand vage Bedenken hat, was ich vielleicht eines fernen Tages einmal tun könnte!«

Sie stellte sich seinem Zorn, ohne mit der Wimper zu zucken, indem sie ihn einfach nur ansah. »Das ist doch das Gleiche, was die Allianz mit ihren eigenen Kriegsschiffen macht, oder nicht, Admiral?«

»Meine Schiffe kehren zwischen zwei Missionen heim!«

»Ja, natürlich.« Ihr Tonfall vermittelte nicht den Hauch von Zustimmung.

»Ich werde diese Schiffe nach Hause schicken«, entschied er. »Auf meinen eigenen Befehl hin. Ich werde ihnen sagen, dass sie zur Callas-Republik zurückkehren sollen und …«

»Ich habe Befehle mitgebracht, aber die Befehle von der Republik lauten, dass besagte Schiffe in der Flotte zu verbleiben haben. Die Befehle legen zwar nahe, dass es sich nur um eine vorübergehende Maßnahme handelt, aber ausdrücklich gesagt wird das an keiner Stelle.« Sie starrte auf einen Punkt in einer Ecke, um Gearys Blick auszuweichen. »Sie müssen eines wissen: Sie können sich über diese Befehle nicht hinwegsetzen, ohne politische Autorität über den Haufen zu werfen. Zudem hat die neue Regierung der Republik jede Menge überzeugend klingender Gründe angeführt, warum die Schiffe unter Ihrem Befehl bleiben sollten.«

»Ich verstehe das nicht.« Sein verärgerter Tonfall veranlasste Rione dazu, ihn wieder anzusehen. »Niemand in der Regierung vertraut mir, aber alle wollen, dass die Kriegsschiffe weiter meinem Kommando unterstellt bleiben. Die Callas-Republik will sich von der Allianz lösen, aber die Kriegsschiffe sollen bei mir bleiben. Sind die anderen alle verrückt … oder ich?«

Wieder schloss sie für einen Moment die Augen. »Sie dürfen die Schiffe behalten. Jeder andere Admiral würde das als ein Geschenk ansehen.«

»Aber wo ist der Haken?«

Das anschließende Schweigen zog sich so lange hin, dass Geary bereits davon überzeugt war, keine Antwort mehr zu erhalten, als Rione unvermittelt sagte: »Erwarten Sie von der Callas-Republik keine große Unterstützung für diese Schiffe. Die Besatzungen erhalten weiter ihren Sold, aber Wartung und Reparaturen werden scheibchenweise erledigt, widerstrebend und gemächlich, und es wird kein neues Personal entsendet, um die Besatzungsstärke beizubehalten.«

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er verstand. »Dann lässt man diese Schiffe einfach allmählich verkümmern? Bis sie in einem Gefecht zerstört werden oder bis sie der Reparatur oder Instandhaltung nicht mehr wert sind? Dann werden die Überreste der Besatzungen nach Hause geschickt, die inzwischen so dezimiert worden sind, dass sie für niemanden mehr eine Gefahr darstellen?«

Diesmal antwortete Rione überhaupt nicht.

»Was ist mit den Schiffen der Rift-Föderation?«, wollte er wissen.

»Ich komme aus der Callas-Republik …«

»Ich habe Sie nicht gefragt, woher Sie kommen. Wissen Sie etwas darüber, was deren Regierung vorhat?«

Nun loderte in ihren Augen Wut auf. »Aus recht zuverlässigen Berichten weiß ich, dass die Rift-Föderation dem Beispiel der Callas-Republik folgen wird, zumal sie nur noch wenige Schiffe in der Flotte hat.«

»Verflucht.« Mehr schien es nicht zu geben, was er dazu sagen konnte. Geary bemerkte einen Schmerz in einer Hand und stellte fest, er hatte die Faust vor Wut so fest geballt, dass er sich selbst damit wehtat. »Wie wollen diese beiden Regierungen ihren eigenen Leuten erklären, dass die Besatzungen der Schiffe nicht zu ihnen zurückkehren werden?«

»Sie dürfen nicht vergessen, Admiral«, wandte sie ein, »dass so viele Schiffe gar nicht mehr übrig sind. Bevor Sie das Kommando übernahmen, hatten wir bereits einen Großteil beider Kontingente verloren. Weitere Schiffe wurden bei den anschließenden Kämpfen zerstört. Es geht nicht mehr darum, eine gewaltige Zahl an Besatzungsmitgliedern nach Hause zurückkehren zu lassen, sondern nur noch die Überlebenden. Gemessen an den Bevölkerungszahlen dieser Völker stellen die Überlebenden nur einen winzigen Bruchteil dar.«

Seine Wut schien verraucht zu sein, zurückgeblieben war eine dumpfe Hitze, die keine Wärme ausstrahlte. »So wie die Allianz-Flotte vor dem Krieg. Kaum jemand war zu der Zeit mit einem Angehörigen des Militärs verwandt.«

»Richtig, und damit wird auch die Logik klar. Diese beiden Regierungen wollen die von ihren Kriegsschiffen und den Besatzungen ausgehende Bedrohung so weit entfernt wie möglich wissen. Beklagen werden sich darüber nur wenige, weil auch nur wenige sich daran stören können, dass diese Männer und Frauen noch immer nicht nach Hause zurückkehren. Gleichzeitig kann man sich weiter damit brüsten, dass die Regierung auch künftig den großen Helden Black Jack unterstützt.«

»Ich werde nach wie vor benutzt«, stellte Geary fest.

»Ja, das werden Sie. Was werden Sie dagegen unternehmen?«

»Ich könnte den Dienst quittieren …«

Wieder kochten ihre Emotionen hoch. »Wer sonst sollte denn in der Lage sein, diese Leute am Leben zu erhalten, Admiral? Geben Sie auf, dann übernimmt irgendein Idiot wie Admiral Otropa Ihren Platz. Wollen Sie, dass sie alle sterben müssen?«

»Das ist einfach nur unfair!«

»Glauben Sie immer noch daran, irgendetwas könnte fair sein?«, fragte sie.

»So seltsam das auch sein mag, aber genau das tue ich.« Dennoch hatte Rione etwas Wahres gesagt. Diese Soldaten werden von ihren eigenen Leuten verstoßen, jemand muss sich um sie kümmern. Solange ich niemanden gefunden habe, der das kann, werde ich dieser Jemand sein müssen. »Ich werde meine Arbeit nach Kräften erledigen.«

»Sie werden also weiterhin Ihre Befehle befolgen?« Riones Stimme klang sanfter, zugleich aber auch eindringlicher.

»Ja.« Geary bleckte die Zähne. »Und zwar so, wie ich diese Befehle auslege. Das bedeutet, dass ich für die Leute unter meinem Kommando alles tun werde, was in meiner Macht steht.«

»Und die Aliens?«

»Sie haben Ihre Anweisungen, ich habe meine. Meine Befehle beschränken sich nicht darauf, kurzfristige Gefahren und Bedrohungen auszuräumen. Ich soll das Ganze auf eine Art und Weise lösen, die langfristig funktioniert. Wenn die Regierung oder einer ihrer Gesandten damit ein Problem hat, dann sollen sie sich einen anderen suchen, den sie zu ihrem Hampelmann machen können.«

Rione begann, schwach zu lächeln, was jedoch nichts daran änderte, dass sie immer noch müde und irgendwie viel älter wirkte. »Jeder unterschätzt Sie. Nur ich nicht.«

»Und Tanya.«

»Ja, aber sie betet Sie auch noch an, was ich nicht machen werde.« Rione stand auf. »Ich muss mich jetzt erst mal ein wenig ausruhen. Charban wird vor morgen nicht hier eintreffen. Also können Sie sich für eine Weile wieder von allen Politikern befreit fühlen.«

»Ich bin mir sicher, Ihr Quartier ist inzwischen fertig.« Er musterte sie und fragte sich, wieso sich bei ihm der beharrliche Eindruck hielt, dass mit Rione irgendetwas anders war als beim letzten Mal. »Ist alles in Ordnung?«

»Alles bestens«, sagte sie und lächelte abermals, was jetzt aber so emotionslos wirkte wie das Lächeln eines Syndik-CEOs. Ihre Augen verrieten ebenfalls keine Gefühlsregung.

Nachdem sie gegangen war, saß er noch eine Weile da und ließ sich die Unterhaltung noch einmal durch den Kopf gehen. Manche Äußerung, wie zum Beispiel die Andeutung in Tanyas Gegenwart, dass sie einen Beitrag dazu geleistet hatte, ihn mit Desjani zusammenzubringen, war untypisch gedankenlos. Dann wieder hatte Rione den Eindruck erweckt, ein noch heimlicheres Spiel zu treiben als beim letzten Mal, selbst wenn sie auf den ersten Blick ganz offen und ehrlich zu reden schien. Warum sind Sie tatsächlich zurückgekommen, Victoria? Wie sehr sind Sie meine Verbündete, und wie sehr folgen Sie der von der Regierung vorgegebenen Linie? Und inwieweit arbeiten Sie heimlich an der Vollendung Ihrer eigenen Ziele, wie auch immer die aussehen mögen?

Und so viel Sie mir auch anvertraut haben – wie viel haben Sie mir gleichzeitig verschwiegen?

Viel später an diesem Tag begegnete er Tanya in einem der Schiffskorridore wieder. »Hatten Sie Gelegenheit, sich diese speziellen Befehle vom Großen Rat anzusehen?« Die Befehle, die Rione für ihn mitgebracht hatte und die ausschließlich für ihn bestimmt waren. Zum Teufel mit der Geheimniskrämerei, ich brauche andere Perspektiven.

Desjani verzog den Mund. »Leider ja.«

»Genau. Endlos viele Anweisungen nach dem Prinzip: ›Tun Sie dies, es sei denn, Sie sollten es besser bleiben lassen, und tun Sie jenes nicht, es sei denn, Sie sollten es tun.‹«

Sie antwortete nicht sofort, sondern schaute auf einen weit entfernten Punkt. »Berücksichtigen Sie bitte, dass meine persönlichen Gefühle nicht hineinspielen, wenn ich sage, dass diese Frau Sonderbefehle für uns mitgebracht hat, und wenn ich mich dann frage, wie eigentlich ihre eigenen Befehle lauten.«

»Das habe ich mich auch schon gefragt.«

»Die haben sie nicht bloß als Kurier hergeschickt, sondern noch aus irgendwelchen anderen Gründen. Solange wir diese Gründe nicht kennen, möchte ich Sie bitten, sie wie eine potenzielle Gefahr zu behandeln.«

»Das werde ich auch«, versicherte Geary ihr. »Mir passen schon die Befehle nicht, von denen sie uns in Kenntnis gesetzt hat. Vor allem nicht ihre Anweisung, dass wir uns ins Dunai-Sternensystem begeben sollen. Ich hatte vor, einen Sprung nach Indras im Syndik-Territorium zu unternehmen und von dort durch das Hypernet der Syndiks bis nach Midway zu reisen, damit wir von da den Sprung ins Alien-Territorium unternehmen können. Der einfachste und schnellste Weg, um die Strecke zurückzulegen. Stattdessen will der Große Rat, dass die Flotte einen Abstecher nach Dunai unternimmt, damit wir unsere Kriegsgefangenen aus einem Lager der Syndiks holen.« Er war wütend und fühlte sich zugleich hilflos, weil er sich über solche Befehle nicht hinwegsetzen konnte. »Die erforderlichen Zwischenstopps und Sprünge verlängern unseren Flug nach Midway um drei Wochen.«

»Wieso Dunai?«, hakte Desjani nach. »Wieso ist dieses Gefangenenlager wichtiger als all die anderen, in denen es auch noch genügend Gefangene gibt, die auf eine Rückkehr in die Allianz warten?«

»Der Befehl sagt darüber nichts aus, und Rione behauptet, nichts zu wissen.«

»Stecken Sie sie für eine halbe Stunde in einen Verhörraum, dann …«

Er winkte ab und machte eine hilflose Geste. »Ich wünschte, ich könnte das machen. Aber es gibt keine Grundlage, um eine Zivilperson und Regierungsrepräsentantin so zu behandeln. Wir müssen nach Dunai, Tanya.«

»Und warum nicht auf dem Rückweg?«, wollte sie wissen. »Was wir an Vorräten für diesen Umweg verbrauchen, könnte uns fehlen, wenn wir uns später im Gebiet der Aliens befinden. Außerdem wäre das schon deshalb sinnvoller, damit wir nicht mit Schiffen voller befreiter Kriegsgefangener zu den Aliens reisen müssen.«

»Sie haben völlig recht. Aber es bleibt keine Zeit mehr, gegen den Befehl Einspruch einzulegen, weil das unsere Abreise um Wochen hinauszögern würde. Und wie soll ich argumentieren, wenn der Abstecher nach Dunai einfach nur lästig ist, aber sonst nichts? Ich kann diesen Befehl nicht verweigern. Es ist machbar und es ist völlig rechtmäßig vom Hauptquartier, so etwas anzuordnen. Das Ganze ist nicht unverhältnismäßig gefährlich oder riskant – soweit wir das wissen – und es stellt keine Gefährdung unserer eigentlichen Mission dar. Das ist nicht mit diesem Kriegsgerichtsblödsinn des Hauptquartiers vergleichbar.«

»Ja, Sir.«

»Tanya, es könnte gute Gründe geben, nach Dunai zu reisen. Ihnen muss es nicht gefallen … Mir selbst gefällt es auch nicht. Aber Sie müssen respektieren, dass ich die Autorität derjenigen akzeptieren muss, die über mir stehen, solange sie diese Autorität legitim einsetzen.«

»Das tue ich.« Sie lächelte ihn entschuldigend an. »Sie stehen auch so schon genug unter Druck. Ich weiß, wie unglücklich die Schiffsbesatzungen der Rift-Föderation und der Callas-Republik sind. Glauben Sie mir, wenn nicht Sie der Befehlshaber dieser Flotte wären, dann hätten die längst gemeutert und die Heimreise angetreten. Wenigstens können Sie dafür nun dieser Hexe die Schuld geben, die diese Befehle mitgebracht hat.« Riones ohnehin geringes Ansehen innerhalb der Flotte war fast auf den Nullpunkt gesunken. »Unsere eigenen Besatzungen sind nicht begeistert, aber sie vertrauen darauf, dass Sie sie zurück nach Hause bringen.«

»Ich weiß.« Dieser Druck ließ nie nach. Das Vertrauen dieser Männer und Frauen, dass er das Leben eines jeden Einzelnen von ihnen als jenes unermesslich wertvolle Gut behandelte, das es ja auch war, war einfach unerschütterlich. Aber er wusste auch, dass er eben diese Frauen und Männer in Situationen würde schicken müssen, aus denen sie womöglich lebend nicht wieder herauskommen würden.

»Es tut mir leid. Aber es gibt da noch eine Sache, die Sie wissen müssen. Ich bin wegen einer anderen Sache beunruhigt, die mit Politikern gar nichts zu tun hat. Glaube ich jedenfalls. Zumindest ist es sehr eigenartig. Heute hat die Dauntless einen weiteren Knotenpunkt zur Energieverteilung verloren.«

»Sie meinen, er lässt sich nicht mehr reparieren?« Er wunderte sich, warum sie dieses Thema anschnitt. Verteilerknoten fielen eben manchmal aus. So was kam zwar nur ziemlich selten vor, aber bekanntlich funktionierte nichts ewig.

»Er ist vollständig ausgebrannt. Es ist nichts übrig, was man noch irgendwie gebrauchen könnte.« Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Ihre Augen blickten in seine. »Normalerweise behellige ich Sie nicht mit Materialproblemen. Die Dauntless in Schuss zu halten, ist meine Aufgabe, nicht ihre. Aber wir hatten drei Ausfälle von Energieverteilerknoten, während ich nicht hier war. In zwei Fällen hat eine Inspektion dafür gesorgt, dass sie aus dem Verkehr gezogen wurden, der dritte machte einen so wackligen Eindruck, dass mein XO ihn vorsorglich abschalten ließ. Zum Glück konnte in Varandal Ersatz hergestellt werden, aber jetzt haben wir schon wieder einen verloren.«

Geary schaute in die Ferne und versuchte nachzudenken. »Vier Verteilerknoten? Innerhalb weniger Monate? Das ist eine sehr hohe Ausfallquote für ein Schiff, das seitdem keine Schäden im Gefecht mehr davongetragen hat. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich so was vor hundert Jahren jemals mitbekommen hätte.«

»Wahrscheinlich wurden Schiffe vor hundert Jahren auch anders gebaut«, wandte Desjani ein. »Außerdem wurden sie nicht ständig in Gefechte verwickelt, wie es danach der Fall gewesen ist. Tatsache ist aber auch, dass die Dauntless noch nie mit solchen Problemen zu tun hatte. Ich habe meinen Leuten gesagt, sie sollen den Grund für diese Ausfälle herausfinden, aber alle Ingenieure an Bord der Dauntless und an Bord der Hilfsschiffe können mir nur sagen, dass die Verteilerknoten eine ›schwere Komponentenfehlfunktion erlitten haben, die sich maßgeblich auf die Funktionsparameter auswirkt‹. Normale Menschen bezeichnen eine Sache dann als ›kaputt‹.«

»So viele Ausfälle der Ausrüstung, und es gibt keinen Hinweis auf die Ursache?« Er legte die Stirn in Falten und ließ eine vage Geste folgen. »Kommen Sie, wir sehen uns das mal genauer an.« Er führte sie zu seinem Quartier, deutete auf den Sessel, in dem Desjani Platz nehmen sollte, dann setzte er sich ebenfalls hin. Geary rief die Datenbank der Flotte auf, dann engte er die Anzeige ein, bis nur noch die Ausfälle der Verteilerknoten während der letzten Monate aufgelistet wurden. Eine Fülle von Schiffen wurde genannt, die alle im Zuge von Kampfhandlungen entsprechende Schäden erlitten hatten, also gab er als Obergrenze zwei Monate ein. »Die Dauntless hat nicht als einziges Schiff diese Probleme. Die Warrior hat fünf verloren, die Amazon drei, die Leviathan vier …« Er stutzte und forderte das System auf, Gemeinsamkeiten zwischen den Kriegsschiffen zu suchen. Als er das Ergebnis sah, schwieg er einen Moment lang. »Die ältesten Schiffe der Flotte, die Dauntless eingeschlossen.«

»Die Dauntless wurde vor fast drei Jahren in Dienst gestellt«, sagte Desjani und ergänzte stolz. »Es gibt nicht viele Schiffe, die im Krieg so lange überlebt haben.«

»Nur die Warspite ist noch ein paar Monate älter.« Geary betätigte den Komm-Schirm. »Ich muss darüber mit Captain Smythe reden.«

Die Flotte hatte ihre Einheiten enger zusammengezogen, da der Zeitpunkt näher gerückt war, Varandal zu verlassen. Aus diesem Grund waren die Tanuki und die anderen Hilfsschiffe nur ein paar Lichtsekunden entfernt. Das Bild von Captain Smythe tauchte mit nur geringer Verzögerung in Gearys Quartier auf. Der Mann salutierte auf seine gewohnt nachlässige Art, von seiner üblichen guten Laune war nichts zu merken. »Ja bitte, Admiral?«

»Wir scheinen auf den älteren Schiffe ein Problem mit den Energieverteilerknoten zu haben«, begann Geary.

Smythe seufzte angestrengt. »Mit älter meinen Sie alles, was vor zwei Jahren und mehr vom Stapel gelaufen ist, richtig, Admiral?«

»Sie klingen nicht überrascht.«

»Nachdem heute Morgen von der Dauntless und der Warspite neue Meldungen über Ausfälle bei der Ausrüstung eingegangen sind, habe ich mich damit beschäftigt und bin zu einigen unerfreulichen Schlussfolgerungen gekommen. Ich war eigentlich noch nicht ganz fertig, um Ihnen Bericht erstatten zu können, aber die Ergebnisse sind weit genug gediehen. Und wenn Sie schon danach fragen, kann ich es Ihnen ja auch direkt erzählen.« Er ließ eine kurze Pause folgen, in der er vor sich auf etwas schaute, ehe er sich wieder an Geary wandte. »Ihr letztes Schiff, Sir, die Merlon. Für welche Einsatzdauer war sie konstruiert worden?«

Darüber musste er erst einmal nachdenken. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass er das letzte Mal auf den Decks der Merlon gestanden hatte. Obwohl er ein Jahrhundert im Kälteschlaf verbracht hatte, war die Erinnerung an sein Schiff noch sehr klar und deutlich. »Sie war ungefähr dreißig Jahre alt, als ich das Kommando übernahm. Geplant war eine Lebensdauer von ungefähr hundert Jahren, was für alle Schiffe dieser Klasse galt. Die Hülle konnte notfalls auch länger im Einsatz bleiben, aber wenn man die Lebensdauer um mehrere Jahrzehnte verlängern wollte, musste ein Schiff komplett überholt und ein Großteil des Innenlebens ersetzt werden.«

Desjani sah ihn ungläubig an. »Hundert Jahre? Man hat tatsächlich geglaubt, die Schiffe würden so lange durchhalten?«

»Sie haben so lange durchgehalten«, gab Geary zurück. »Bis der Krieg begann. Natürlich wurden die Systeme der Schiffe ständig auf den neuesten Stand gebracht.«

»Erstaunlich«, murmelte Smythe. »Ich wünschte, ich hätte mal so ein Schiff sehen können. Die Ingenieursleistung muss ja von außergewöhnlich hoher Qualität gewesen sein.« Traurig lächelnd schüttelte er den Kopf. »Wissen Sie, auf welche Lebensdauer unsere Schiffe ausgelegt sind, Sir?«

Die Erinnerung an Gearys erste Eindrücke kam an die Oberfläche. »Scharfe Kanten, nachlässige Schweißnähte. Sie werden schnell zusammengebaut, und ich habe gehört, dass an ihre Lebenserwartung keine hohen Anforderungen gestellt werden.«

Smythe nickte. »Bei Kampfeinsätzen lag die Lebenserwartung bei einigen Monaten. Sollte ein Schiff nicht in Kampfhandlungen einbezogen werden, konnte man von ein paar Jahren ausgehen. Aber kaum ein Schiff hat drei Jahre schaffen können. Und fünf Jahre hat nicht ein einziges Schiff zustande gebracht.« Er machte eine ausholende Geste. »Ich schicke eine Entschuldigung an die Befehlshaberin und ihre Crew voraus, aber gemessen an den Anforderungen an ihr Design ist die Dauntless ein altes Mädchen.«

Vielleicht lag es daran, dass Geary mit dieser Denkweise noch nicht vertraut war, aber Desjani verstand die Bemerkung gut. »Die Dauntless war nie für einen so langen Einsatz vorgesehen. Ihre Systeme sind verschlissen.«

»Genau«, bestätigte Smythe. »Wenn man das Schiff mit einem lebenden Organismus vergleicht, dann stirbt es an Altersschwäche. Die Energieverteilerknoten auf der Dauntless und den anderen älteren Schiffen sind so etwas wie die Kanarienvögel in Kohlebergwerken. Sie sind die ersten Komponenten, die den Geist aufgeben, weil ihre Konstruktionsweise nicht darauf angelegt ist, dass sie überhaupt so lange hätten funktionieren sollen. Sehen Sie hier.« Ein Fenster öffnete sich neben Smythe, und er zeigte auf einige der dargestellten Informationen. »Die Energieverteilerknoten auf der Dauntless, die wir in den letzten Monaten verloren haben, sind exakt die Bauteile, die alle Raumschlachten unbeschadet überstanden hatten. Bei ihnen handelt es sich noch um Originalteile aus der Zeit, als das Schiff gebaut wurde. Ihre geplante Lebensspanne ist überschritten worden, und das gilt für alle anderen Schiffe gleichen Alters in dieser Flotte.«

Geary zuckte zusammen, als er sich das Ausmaß der erforderlichen Reparaturen vor Augen hielt. »Heißt das, wir müssen auf den älteren Schiffen den größten Teil der Systeme austauschen?«

»Nein, Admiral«, sagte Smythe und zog entschuldigend die Schultern hoch. »Alles auf diesen Schiffen ist auf eine Lebensdauer von ein paar Jahren ausgelegt.«

»Bei den Vorfahren!«

»Mit meinen habe ich schon gesprochen«, meinte Smythe. »Leider glaube ich nicht, dass unsere Vorfahren uns mit Ersatzteilen überschütten und sie auch noch für uns einbauen werden.«

Desjani sah den Mann entsetzt an. »Wenn alle älteren Schiffe diese Probleme haben …«

»… dann werden diese Probleme in den nächsten Jahren auch bei allen anderen Schiffen auftreten, genau. Das sind die schlechten Neuigkeiten.«

»Gibt es denn auch gute?«, fragte Geary, der rätselte, was diese Erkenntnis für seine Zeitplanung bedeuten würde.

»Relativ gute.« Smythe rief ein anderes Fenster auf und zeigte auf Graphen und Kurven. »Zunächst einmal werden die Ausfälle nicht alle gleichzeitig einsetzen. Sie werden in einer Kurve verlaufen, die langsam einsetzt, sobald die älteren Schiffe wie zum Beispiel die Dauntless an ihre Grenzen stoßen. Wenn unsere Hilfsschiffe sich darum kümmern und nicht dadurch abgelenkt werden, dass Gefechtsschäden zu beheben oder Waffen zu produzieren sind, dann können wir neue Komponenten nicht nur schneller herstellen, als sie benötigt werden. Wir sind auch in der Lage, bessere Qualität zu liefern, die länger hält, sodass wir imstande sind, einen kleinen Vorsprung herauszuholen. Allerdings steht uns in gut eineinhalb Jahren ein großes Problem ins Haus, weil nämlich dann der größte Teil der gegenwärtigen Flotte ein Lebensalter von zweieinhalb bis drei Jahren erreicht.«

Geary betrachtete die Daten. »Sind das alle guten Neuigkeiten?«

»Nun, die hauptsächlichen Schwierigkeiten bescheren uns die Systeme und die Sensoren. Die Schiffsrümpfe sind in guter Verfassung. Sie mussten so stabil gebaut werden, weil gewisse Toleranzen und eine bestimmte Haltbarkeit erforderlich sind, um in einem Gefecht manövrieren zu können. Da konnte die Regierung nicht zu viel einsparen, sonst wären die Schiffe beim ersten abrupten Kurswechsel auseinandergebrochen. Das heißt, wir müssen uns keine Sorgen machen, die Schiffe könnten allein wegen ihres Alters zerfallen. Allerdings empfehle ich, häufiger Inspektionen vorzunehmen und dabei auf Schwachstellen im Rumpf zu achten, die durch wiederholten Stress entstanden sein könnten.«

»Das hört sich nach einer guten Idee an.« Mit einem Finger zeichnete Geary die Kurve nach. »Wenn das hier zutrifft, dann wird in eineinhalb Jahren ein Drittel der Flotte genauso schwer in Mitleidenschaft gezogen sein wie nach einer Schlacht mit erheblichen Schäden.«

»Es könnte sogar die Hälfte der Flotte treffen«, warnte Smythe. »Ich bin von einer optimistischen Schätzung ausgegangen. Aber wenn die Konstruktionsfirmen und die Schiffswerften selbst noch fleißig gespart haben, um genug Profit zu machen, dann halten die Schiffe vielleicht nicht mal so lange durch. Und falls Sie natürlich darauf bestehen, sich mit irgendwem ein Gefecht zu liefern, macht das alles nur noch komplizierter, weil dann erst einmal diese Schäden repariert und Ersatzteile hergestellt werden müssen, ganz zu schweigen von den Waffen, die verbraucht worden sind.«

»Ich werde das im Hinterkopf behalten. Was ist mit regelmäßigen Wartungen hier im Allianz-Gebiet? Haben Sie die einkalkuliert?«

Smythe verzog den Mund. »Wartungen entsprechen heute wahrscheinlich nicht mehr dem, was Sie mal kannten. Eine Wartung bedeutete, dass alle Schäden behoben werden und dass man überprüft, ob alles funktioniert.«

Geary wurde bewusst, dass er Smythe erneut anstarrte. »Was ist mit dem Austausch von veralteten Systemen? Was ist mit Aufrüstungen?«

»Solange etwas nicht kaputt ist, wird es weder repariert noch ersetzt«, ließ der Techniker ihn wissen. »Diese Vorgehensweise hat sich natürlich im Verlauf dieses sehr langen Kriegs entwickelt, durch den die Überlebensdauer aller Schiffe drastisch schrumpfte. Warum soll man sich die Mühe machen und zudem Geld ausgeben für eine Aufrüstung, wenn das Schiff doch ohnehin innerhalb des nächsten Jahrs zerstört und durch ein neues ersetzt wird?«

Geary ließ sich in seinen Sessel sinken. »Diese Dinge müssen sich ändern. Das System muss ab sofort wieder davon ausgehen, dass Schiffe eine längere Lebensdauer haben. Und die Anforderungen an den Bau, an Wartungen und Reparaturen müssen sich entsprechend ändern.«

»Welcher Bau?«, warf Desjani ein. »Es werden nur noch ein paar Schiffsrümpfe zu Ende gebaut, alles andere hat man eingestellt.«

Smythe lächelte ironisch. »Trotzdem sagen Sie da etwas völlig Richtiges, Admiral. Aber das erfordert nicht nur ein Umdenken bei den Senioroffizieren, bei der gesamten Flottenbürokratie und bei einem Großteil der Regierung, sondern es müssen auch beträchtliche Summen zur Verfügung gestellt werden.«

»Das haben die absichtlich gemacht«, knurrte Desjani. »Die wussten, was kommen würde, und trotzdem haben sie es Admiral Geary zugeschoben.«

»Das glaube ich nicht«, wandte Smythe ein. »Oder zumindest war ihnen nicht das ganze Ausmaß klar. Wir selbst haben ja nicht mal gemerkt, was da auf uns zukommt. Im Fall von Admiral Geary ist es so, dass seine Erfahrung mit diesen Aspekten sich auf die Zeit vor dem Krieg beschränkt. Sie und ich und all die anderen konnten das nicht kommen sehen, weil wir nie zuvor in einer solchen Situation gewesen sind. Wenn je ein Schiff lange genug durchgehalten hätte, um die Lebenserwartung seiner Systeme auszuschöpfen, wäre es durch unzählige Gefechte wahrscheinlich so in Mitleidenschaft gezogen gewesen, dass man es nur noch hätte verschrotten können.«

Wieder sah sich Geary die Kurven und Graphen an, während er zu ergründen versuchte, was er in diesem Moment empfand. »Aber wenn wir das der Regierung und dem Flottenhauptquartier sagen, heißt das nicht, dass irgendjemand irgendetwas dagegen unternimmt. Stattdessen werden sie einfach die Flotte aus Altersgründen zusammenschrumpfen lassen.« Was allerdings nicht bedeutete, dass sie auch die Missionen in ihrem Umfang schrumpfen lassen würden, nur weil dann weniger Schiffe zur Verfügung standen. Er fragte sich, wie lange es her sein mochte, seit zum allerersten Mal jemandem gesagt worden war, dass er mit weniger mehr leisten sollte. Vermutlich waren das irgendwelche Steinzeitmenschen gewesen, die über zu wenig Faustkeile verfügt hatten. »Geld ist ein Faktor, sagen Sie. Wie viel können wir uns leisten, dass wir es von Ihren Hilfsschiffen erledigen lassen? Ich weiß, diese Schiffe können alles herstellen und installieren, was wir benötigen, aber wie viel wird das kosten?«

Smythe lächelte wie ein Pirat, der eine fette Beute vor sich sah. »Da gibt es einige faszinierende Möglichkeiten, Admiral. Es hängt davon ab, wie wir die Arbeiten weiterbelasten. Ich verfüge über Trainingskonten, darunter würde so etwas ganz sicher fallen. Gefechtsschäden müssen den Flottenvorschriften entsprechend repariert und über verschiedene Konten beim Hauptquartier abgerechnet werden. Aber die kostenmäßige Bewertung eines Gefechtsschadens, der repariert werden muss, ist eine unsichere Kunst. Manchmal werden solche Schäden erst einige Zeit nach einer Schlacht festgestellt, und dann muss darüber geurteilt werden, ob tatsächlich ein Zusammenhang zu den Kampfhandlungen besteht. Ich werde ganz bestimmt nicht anzweifeln, dass der Ausfall irgendeines Systems die Folge einer vorangegangenen Kampfhandlung ist. Und wenn es zu Ausfällen bei der Ausrüstung kommt, während wir auf einer Operation unterwegs sind, dann würde das den entsprechenden Operationskonten belastet.«

Zum ersten Mal seit Beginn dieser Unterhaltung verspürte Geary den Wunsch, den Ingenieur anzulächeln. »Um wie viel könnten Sie die Konten der Flotte und der Regierung erleichtern, bevor das jemand bemerkt und versucht, uns an die kurze Leine zu nehmen?«

»Ich würde niemals etwas Vorschriftswidriges tun, Admiral«, gab Smythe prompt zurück. »Aber ich trage dafür Verantwortung, dass die Schiffe dieser Flotte einwandfrei funktionieren. Das bedeutet eine Menge Arbeit. Die Finanzierung läuft über viele Kanäle, durch zahlreiche Abteilungen und Organisationen, immer abhängig davon, was gemacht wird und aus welchem Grund es gemacht wird. Um zu entscheiden, wie und was belastet wird, wer damit belastet wird und wie sich das rechtfertigen lässt … also, damit sind unter normalen Bedingungen zahlreiche Leute beschäftigt, die wahrscheinlich was ganz anderes zu tun haben. Unter diesen speziellen Umständen werden diese Entscheidungen einen sehr wachsamen Findungsprozess durchlaufen müssen. Zum Teil wird man im Hauptquartier und in den Abteilungen der Regierung leichte Schwierigkeiten haben, bei dem Ganzen den Durchblick zu bekommen; vor allem seit Gerüchte kursieren, dass entsprechende Stellen mit dem Kriegsende wegfallen sollen. Aber ich bin mir sicher, wenn jemand in dem Prozess irgendwelche Unregelmäßigkeiten entdeckt oder wenn es jemandem gelingt, die gesamten, über alle Konten verteilten Summen zusammenzurechnen, dann werden sie sich in dieser Sache irgendwann bei uns melden.«

»Zweifellos«, stimmte Geary ihm zu. »Arbeiten Sie schon einen Plan aus?«

»Der steht kurz vor der Vollendung, aber ich muss noch an einigen Details arbeiten«, meinte Smythe und grinste Desjani an. »Keine Angst, Captain. Die Dauntless wird ihren jugendlichen Eifer zurückerhalten, damit Sie und Ihre Leute sie wieder strapazieren können, bis das nächste Teil ausfällt. Die Titan verfügt über die erfahrenste Crew, darum werde ich sie sofort an der Dauntless arbeiten lassen, wenn Ihnen das recht ist, Admiral.«

»Das ist mir sogar mehr als recht«, gab er zurück. »Was ist mit den Plänen der Flotte? Wie wirkt sich das auf unseren vorgesehenen Einsatz aus?«

»Im Idealfall würden wir hier im System bleiben und alles ersetzen, was ersetzt werden muss«, erklärte Smythe. »Allerdings habe ich so meine Zweifel, dass die Regierung uns die nächsten paar Jahre in Ruhe lassen wird, damit wir alle erforderlichen Reparaturen vornehmen können. Wenn Sie wissen wollen, ob uns das von unserer Mission in das Gebiet der Aliens abhalten wird, dann muss ich das wohl verneinen. Eigentlich ist es umso besser, je eher wir aufbrechen, weil es dann auf weniger Schiffen zu Ausfällen kommen kann.«

»Vielen Dank, Captain Smythe.« Nachdem das Bild des Ingenieurs verschwunden war, sah Geary zu Desjani. »Es ist übel, aber es könnte noch viel übler sein.«

»Den lebenden Sternen sei Dank, dass wir jetzt acht Hilfsschiffe haben«, sagte sie. »Ist Ihnen eigentlich sein Gesichtsausdruck aufgefallen, als er davon sprach, wie er das System überlisten kann? Das ist nicht das erste Mal, dass er so was macht.«

»Er macht es ja für einen wirklich guten Zweck«, betonte er.

»Das trifft nur zum Teil zu«, konterte sie. »Was hat er noch vor? Und was hat er schon alles gemacht, ohne erwischt worden zu sein? Smythe könnte auf jedem der acht Hilfsschiffe ein Casino betreiben.«

»Wen kennen wir, der nach so etwas Ausschau halten könnte?«

Desjani überlegte kurz. »Ich weiß nicht. Roberto Duellos mag es, sich als Gesetzloser hinzustellen, obwohl er in Wahrheit grundehrlich ist. Wir brauchen jemanden, der sich in Smythes Welt so gut auskennt, dass er jedes Quark entdeckt, das nicht an seinem Platz ist. Mindestens ein Senior-Unteroffizier, vielleicht auch ein Offizier, der einmal ein Unteroffizier war. Ich werde mit ein paar Leuten reden und herausfinden, ob ihnen der eine oder andere Kandidat in den Sinn kommt.«

Nachdem sie gegangen war, rief Geary die Daten über seine acht Hilfsschiffe auf, um sich mit deren Fähigkeiten zu beschäftigen. Titan, Tanuki, Witch, Jinn, Alchemist, Cyclops, Kupua und Domovoi. Er konnte von großem Glück reden, dass er die beiden Letzteren bekommen hatte, gehörten sie doch zur größeren Titan-Klasse. Fertiggestellt worden waren sie, unmittelbar bevor die Neuigkeit vom Kriegsende den meisten im Bau befindlichen oder geplanten Schiffen ein jähes Ende bereitet hatte. Acht Hilfsschiffe hätten die Rückkehr aus dem Heimatsystem der Syndiks deutlich angenehmer gestalten können. Stattdessen war er gezwungen gewesen, sich mit gerade mal halb so vielen Schiffen zu begnügen, von denen dann auch noch die Goblin zerstört worden war. Diesmal dagegen würden acht Hilfsschiffe und weniger von ihnen abhängige Kriegsschiffe für eine weitaus passablere logistische Sicherheitsmarge sorgen, um wohlbehalten ins Gebiet der Aliens vorzudringen und von dort wieder zurückzukehren, ohne dass irgendwelche Vorräte auf ein bedenkliches Niveau absinken konnten.

Natürlich bekam man eine solche logistische Sicherheitsmarge nicht geschenkt. Die schweren Hilfsschiffe Titan, Tanuki, Kupua und Domovoi konnten von Glück reden, wenn man sie in voll beladenem Zustand lediglich als schwerfällig bezeichnete. Die übrigen vier Schiffe waren zwar kleiner und damit etwas leichter zu manövrieren, aber auch sie waren weit davon entfernt, die offizielle Bezeichnung als Schnelle Hilfsschiffe verdient zu haben. Innerhalb eines Sternensystems musste die Flotte ihr Tempo drosseln, um die trägen Hilfsschiffe nicht weit hinter sich zurückzulassen. Und sollte die Flotte in ein Gefecht geraten, dann galt eine der größten Sorgen der Unversehrtheit der nur leicht bewaffneten Hilfsschiffe.

Nicht mal eine Stunde später meldete sich Desjani bei ihm. »Es nähert sich ein Shuttle von der Tanuki. An Bord befindet sich ein Besucher, der zu Ihnen will.«

Mit Blick darauf, wie mühelos es war, anderen Schiffen virtuelle Besuche abzustatten, kam es nur selten vor, dass sich jemand tatsächlich auf den Weg von einem Schiff zum anderen machte. Aber auch die sicherste Software konnte nicht verhindern, dass virtuelle Besuche belauscht wurden, und offenbar war Captain Smythe der Meinung, dass es etwas zu bereden gab, das niemand sonst mitbekommen sollte.

Doch der Besucher, der zwanzig Minuten später in Gearys Quartier eintrat, war nicht Smythe, sondern ein Lieutenant. Eine Frau mit grünen Haaren. Nicht bloß ein grünlicher Schimmer, sondern ein leuchtendes, kräftiges Grün. »Lieutenant Elysia Jamenson, Sir. Captain Smythe war der Meinung, ich sollte mich persönlich mit Ihnen treffen, um meine Rolle beim Assistieren der Flottenbereitschaft und der Reparaturen zu besprechen, Admiral.«

Er bedeutete ihr, sich zu setzen, während er sie einen Moment lang musterte und dann die zwangsläufige Frage stellte: »Warum ist Captain Smythe der Meinung, Sie müssten persönlich zu mir kommen, Lieutenant Jamenson?«

Jamenson saß stocksteif auf ihrem Platz und antwortete in sachlichem Tonfall: »Captain Smythe hat mir den Befehl erteilt, Sie hinsichtlich der Reparaturanforderungen der Flotte direkt zu unterstützen, Admiral Geary. Ich werde dafür verantwortlich sein, Berichte, Anforderungen und alle sonstigen logistischen Aspekte zu organisieren, die im Zusammenhang mit der Vorgabe stehen, die Kriegsschiffe dieser Flotte in ihren bestmöglichen Zustand zu versetzen. Außerdem werde ich Sie mit Statusberichten in all diesen Angelegenheiten versorgen.«

Er lehnte sich zurück und stützte das Kinn auf eine Faust. Jamenson schien Mitte zwanzig zu sein, was zu ihrem Dienstgrad passte. Dennoch war sie ungewöhnlich jung für jemanden, der eine so große Verantwortung tragen sollte. »Was haben Sie, was andere nicht haben, dass Captain Smythe Sie für die richtige Person für diese Aufgabe hält?«

»Ich verdrehe Dinge, Sir.«

»Wie bitte?«

»Ich verdrehe Dinge.« Jamenson machte eine ausholende Geste, als wollte sie das ganze Universum einbeziehen. »Ich kann mir Informationen, Daten, Berichte und Anforderungen vornehmen und sie in eine Form bringen, dass es so gut wie unmöglich ist, sie anschließend noch zu verstehen.«

Geary konnte sich ein Lachen nur mit Mühe verkneifen. »Tut mir leid, aber ich kenne viele Leute, darunter auch etliche Lieutenants, die das auch können und die sich dafür nicht mal anstrengen müssen.«

»Ja, Admiral, aber Sie müssen wissen, ich mache das absichtlich, und ich verändere damit nicht den Inhalt der Information, ich lasse nichts weg und ich füge nichts hinzu, und ich bringe sie auch nicht in eine Form, in der sie nicht den Anforderungen der Vorschriften und anderen Regelwerke genügt. Die Information ist vollständig, akkurat und korrekt abgefasst. Es ist nur sehr, sehr schwer, sie zu verstehen.«

Diesmal musste Geary lachen. »Dann werden Sie das also mit Blick auf die Arbeit der Hilfsschiffe machen, die unsere Schiffe in Schuss halten? Sie werden das Hauptquartier und die zivile Bürokratie damit so verwirren, dass sie nicht merken, wie viel wir in Wahrheit ausgeben?«

»So lautet mein Einsatzbefehl, Admiral.«

Kein Wunder, dass Smythe diese Unterhaltung nicht über die Komm-Systeme der Flotte hatte führen wollen. »Und wie soll ich oder sonst jemand in der Flotte nachhalten können, was tatsächlich geschieht?«

Jamenson lächelte ihn selbstbewusst an. »Ich kann das auch in entgegengesetzter Richtung, Admiral. Solange die ursprüngliche Information echt ist, kann ich sie entwirren und in eine leicht verständliche Form bringen.«

Geary wurde bewusst, dass er beide Brauen hochgezogen hatte, während er Jamenson ansah. »Das sind sehr beeindruckende Begabungen, Lieutenant. Wo haben Sie das gelernt?«

»Das hat sich bei mir einfach so entwickelt, Sir. Mein Vater sagt, ich hätte es von meiner Mutter geerbt.«

»Verstehe.«

Jamensons Stimme hatte einen entschuldigenden Unterton. »Captain Smythe hat mir auch befohlen, Ihnen auszurichten, dass es für ihn ein schwerer Schlag wäre, sollten Sie versuchen, mich Ihrem Stab einzuverleiben, Admiral.«

Wieder lachte er auf. »Captain Smythe und Sie können beruhigt sein. Ich ziehe es vor, meinen Stab mit Leuten zu besetzen, die andere Begabungen haben, damit sie das tun, was ich von ihnen brauche, und nicht Energie darauf zu verwenden, andere zu verwirren, so nützlich das in diesem Fall auch sein mag.«

»Ich werde das Captain Smythe wissen lassen, Sir.«

»Danke.« Geary musterte die Frau und fragte sich unwillkürlich, für welche Zwecke Smythe Jamenson in der Vergangenheit wohl schon eingesetzt hatte. Die Fähigkeit, vor der Bürokratie das eigene Handeln zu verschleiern, konnte unbezahlbar sein. »Ich möchte sicherstellen, dass wir auf der gleichen Seite stehen, was die von uns angestrebten Ziele angeht. Was sehen Sie als Ihre Verantwortung an?«

»Alles in meiner Macht Stehende zu tun, um den gegenwärtigen Bereitschaftsstatus der Flotte zu bewahren und die vorhandenen Systeme aufzurüsten, damit ihre Einsatzfähigkeit auch langfristig gesichert ist.«

»Hervorragend. Haben Sie irgendwelche Fragen zu meinen Anforderungen?«

Es war das erste Mal, dass sie zögerte, was Geary als beruhigend empfand. Zu selbstbewusste Offiziere konnten allzu leicht übers Ziel hinausschießen oder Fehler machen. »Soweit ich weiß, ziehen Sie es vor, im Rahmen der Vorschriften zu handeln, Sir.«

»Das ist korrekt.«

»Gibt es Umstände«, fragte Jamenson behutsam, »unter denen Sie ein Handeln erlauben würden, das sich außerhalb …«

»Nein.« Er lächelte aufmunternd, um seine knappe Antwort nicht so schroff wirken zu lassen, wie sie sich anhören musste. »Wenn wir etwas so dringend benötigen, dann erwarte ich, dass Leute wie Sie und Captain Smythe einen Weg finden werden, wie wir das im Rahmen der Vorschriften lösen können. Suchen Sie nach einem Schlupfloch in den Vorschriften oder legen Sie die Vorschriften so aus, dass Sie Ihr Handeln rechtfertigen können.« Der Gedanke an die Beinahe-Katastrophe nach der massenhaften Androhung von Kriegsgerichtsverfahren gegen seine Offiziere ließ Geary schnell wieder ernst werden. »Es soll niemand dem Irrtum erliegen, dass ich von irgendjemandem einen Verstoß gegen bestehende Vorschriften wünsche. Wenn eine derartige Handlung die einzige Alternative ist, dann werde ich dafür offen die Verantwortung übernehmen. So etwas machen wir nicht unter der Hand, selbst wenn wir es anderen erschweren dahinterzukommen, dass wir etwas getan haben.«

Lieutenant Jamenson hörte ihm aufmerksam zu und nickte. »Ich verstehe, Admiral.«

»Gut. Gibt es sonst noch was?«

»Captain Smythe hat mich gebeten, Sie zu einem persönlichen Besuch auf der Tanuki einzuladen, wann immer Sie dafür Zeit finden, Admiral«, sagte sie. »Ich sollte vielleicht erwähnen, dass die Offiziersmesse der Tanuki über eine der besten Sammlungen aus Weinen, Likören und anderen destillierten und fermentierten Getränke im von Menschen besiedelten All verfügt.«

Das erklärte schon mal teilweise, was Smythe so alles trieb. Geary fragte sich, wie viele VIPs hatten feststellen müssen, dass eine an sie gerichtete Lieferung nur unvollständig eintraf, weil sie angeblich »beim Transport beschädigt« worden war. Und wie viele Anforderungen für ungewöhnliche Objekte waren von der Tanuki vorgenommen worden, die wegen einer verdrehten Formulierung niemandem aufgefallen waren? »Danke, Lieutenant Jamenson. Ich weiß nicht, wann sich ein Besuch auf Ihrem Schiff einrichten lassen wird, aber ich werde die Einladung im Gedächtnis behalten. Ich freue mich schon darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«

»Die meisten meiner Besuche werden über die virtuelle Konferenzsoftware ablaufen«, fügte sie hinzu. »Aber Captain Smythe hielt es für ratsam, dass ich Ihnen meine Rolle persönlich darlege.«

Desjani hatte recht gehabt. Smythe war eindeutig sehr erfahren darin, wie man nachvollziehbare Spuren vermied, die auf seine kleinen Gaunereien hätten aufmerksam machen können. »Eine gute Idee, Lieutenant. Eine Sache möchte ich allerdings noch ansprechen, die etwas damit zu tun hat, dass Sie und Captain Smythe sich gern im Hintergrund halten wollen.«

»Meinen Sie meine Haare, Sir?«

»Ja. Ich habe schon den einen oder anderen Matrosen mit grün gefärbten Haaren gesehen, aber keinen von ihnen angesprochen, weil es sich im Rahmen der Vorschriften bewegte. Dennoch ist es etwas sehr auffällig.«

Jamenson lächelte ihn kläglich an. »Das ist meine natürliche Haarfarbe, Sir. Ich stamme von Éire.«

»Éire?« Der Name sagte ihm auf Anhieb nichts, daher rief er eine Sternenkarte auf. »Das ist ziemlich weit weg. Eines der Systeme, die unmittelbar von der Alten Erde aus kolonisiert wurden.«

»Richtig, Admiral. Die ersten Kolonisten auf Éire hatten eine ausgeprägte Vorliebe für die Farbe Grün, und vermutlich hat man ihnen zu viel freie Hand bei Genmanipulationen gelassen.« Sie berührte leicht ihre Schläfe. »Es kann umgekehrt werden, aber viele von uns halten das für nicht angebracht, weil es unseren Vorfahren so viel bedeutet hat. Außerdem ist es für uns größtenteils harmlos und schadet Dritten nicht.«

»Größtenteils harmlos?«, wiederholte Geary, während er darüber nachdachte, dass er sich gewundert hatte, wieso ein Offizier der Flotte einen solchen Farbton wählte.

»Ich kann nichts daran ändern, was andere von meinen Haaren halten, Admiral. Aber der Farbe habe ich auch einen Spitznamen zu verdanken. Noch bevor ich Éire verließ, nannte man mich Kleeblatt.«

»Kleeblatt? Das ist eine Pflanze, nicht wahr?«

»Eine grüne Pflanze. Man findet sie überall auf Éire.« Wieder huschte ein betrübtes Lächeln über ihr Gesicht. »Die hat unseren Vorfahren offenbar auch sehr viel bedeutet.«

Nachdem Lieutenant Jamenson gegangen war, machte sich Geary auf den Weg zur Brücke. Je näher der Zeitpunkt der Abreise für die Flotte rückte, umso rastloser wurde er, da er aufbrechen wollte. Diese Mission war der Daseinszweck seiner Flotte, und je früher sie von hier wegkamen, desto eher geriet er außer Reichweite für Nachrichten vom Hauptquartier und für weitere unsinnige Befehle vonseiten der Regierung.

Desjani hielt sich natürlich schon auf der Brücke auf und beendete soeben eine Trainingssimulation für die Brückencrew. »Und? Wie war das Treffen?«, fragte sie.

»Aufschlussreich.«

»Da Sie offenbar Wert darauf legen, gezielte Fragen gestellt zu bekommen, werde ich es so formulieren: Warum hat Captain Smythe eine grünhaarige Offizierin hergeschickt, die mit Ihnen persönlich reden sollte?«

»Ihre Aufgabe ist es, Sachverhalte zu verdrehen.«

Desjani wartete einen Moment, ob Geary in irgendeiner Weise erkennen ließ, dass er sich einen Scherz erlaubt hatte, dann sagte sie: »Wenn Sie einen Lieutenant brauchen, der Sachverhalte verdreht, dann habe ich auf der Dauntless mindestens einen Kandidaten, der diese Anforderungen erfüllt.«

»Ich werde es mir merken. Ich erkläre Ihnen später die Einzelheiten.« Das Privatsphären-Feld, das seinen und Desjanis Platz auf der Brücke umgab, war zwar ein guter Schutz, doch aus seiner eigenen Erfahrung als Junioroffizier wusste Geary, dass man eine erstaunliche Fülle an Informationen gewinnen konnte, wenn man in ein Gespräch vertiefte Senioroffiziere heimlich beobachtete. Er ließ sich in seinen Sessel sinken und sah sich auf der Brücke der Dauntless um, wobei er einen zufriedenen Seufzer unterdrücken musste. »Wissen Sie, nach dem ganzen Hin und Her mit dem Großen Rat, den Allianz-Politikern und dem Hauptquartier wird es eine angenehme Abwechslung sein, wieder mit verlogenen Syndiks und mordlüsternen Aliens zu tun zu haben.«

»Wenn man sich Gefahren gegenübersieht, wünscht man sich, wieder zu Hause zu sein«, sagte sie nachdenklich. »Aber wenn man erst mal wieder zu Hause ist, dann kann es sein, dass man sich sehr schnell wünscht, wieder weit weg zu sein und irgendwelchen Bedrohungen zu trotzen.«

»Sie können wirklich mit Worten umgehen, Captain Desjani. Als wir auf Kosatka waren …«

»Die ganzen vier Tage?«

»… hatten Sie da Gelegenheit, mit Ihrem Onkel zu reden, dem Literaturagenten?«

»Nur einmal.« Ihr Blick schweifte in die Ferne ab. »Er wollte, dass ich ein Tagebuch unserer Reise vom Syndik-Heimatsystem bis nach Hause schreibe. Ich habe gesagt, dass es die meiste Zeit über ziemlich langweilig war.«

»Außer wenn es aufregend war.«

Sie grinste ihn an. »Und ich habe ihm gesagt, auf Persönliches würde ich ohnehin nicht eingehen. Man konnte förmlich zusehen, wie die Träume meines Onkels sich in Rauch auflösten.«

Geary musste sich ein Lachen verkneifen. »Sie haben die Träume eines Literaturagenten zerstört?«

»Das macht mich schon jetzt fast zu einer Schriftstellerin, nicht wahr?«, entgegnete Desjani.

Der Rest der Woche verging zu langsam in der Hinsicht, dass Geary mit neuen unangenehmen Überraschungen rechnete, während die Zeit für noch zu erledigende Arbeiten viel zu schnell verging. Eine Flut von Crewmitgliedern, die nach ihrem Landurlaub auf ihre Schiffe zurückkehrten, hielt die Shuttles auf Trab, und an Bord der Dauntless war Geary bei seinen Spaziergängen immer häufiger zu Umwegen gezwungen, da die Ingenieure von der Titan immer wieder Korridore absperrten, um mit großem Enthusiasmus alte Komponenten aus den Kreisläufen des Schiffs herauszureißen und gegen Ersatzteile austauschten, die so konstruiert waren, dass sie eine weitaus höhere Lebenserwartung aufwiesen.

Dr. Setin, der sich als der Führer der Expertengruppe vorgestellt hatte (»allerdings nicht als ein Führer in einem strikt hierarchischen Sinn«), bewerkstelligte es, lange genug von der Tsunami zu entwischen, um mit einem Shuttle zur Dauntless zu fliegen. »Eine unglaubliche Gelegenheit, Admiral«, hatte er zu Geary gesagt. »Können Sie sich vorstellen, wie aufregend das ist, tatsächlich einer anderen intelligenten Spezies zu begegnen?«

Während er an die Schlacht bei Midway zurückdachte, musste Geary höflich lächeln. »Ja.«

»Ja, natürlich. Sie sind mit dieser Spezies ja bereits zusammengetroffen. Und? Wie war das?«

»Aufregend.«

Dr. Setin hatte ihm bei dieser Gelegenheit auch die notwendige Autorisierung vorgelegt, damit er sich ansehen konnte, was von der Flotte bislang über die Enigma-Rasse zusammengetragen worden war. Geary versorgte ihn mit diesen Informationen und schickte ihn zurück zur Tsunami.

Am Tag vor der Abreise unternahm Geary einen virtuellen Rundgang durch die Orion, um sich persönlich ein Bild davon zu machen, wie weit die Reparaturen vorangekommen waren und wie es um die Moral der Crew bestellt war. Mittlerweile hatte er sich an den deprimierenden Gedanken gewöhnt, dass die Orion ihn immer dann im Stich ließ, wenn die Unterstützung durch dieses Schiff sich am dringendsten erwies. Auch wenn Desjani von Commander Shens Fähigkeiten überzeugt war, glaubte Geary, dass das Schiff nur noch durch eine göttliche Intervention zum Umkehren veranlasst werden konnte.

Shen schaute so finster drein wie gewohnt, während er Gearys virtuelle Präsenz durch das Schiff führte. Gelegentlich wies er auf das eine oder andere hin, für gewöhnlich überließ er jedoch seiner Crew das Reden. Bemerkenswert war, wie viele Reparaturen man erledigt hatte, doch das beeindruckte Geary nicht annähernd so sehr wie die enthusiastische Art, mit der die Besatzungsmitglieder ihm präsentierten, was sie alles geleistet hatten. »Sämtliches Batterie-Personal ist zertifiziert, die Projektoren der Höllenspeere liegen bei hundert Prozent«, erklärte ein Chief voller Stolz, als Geary stehen blieb und sich dessen Batterie ansah.

Shen, der die ganze Zeit über eine Miene zog, als hätte er sich eine Blase gelaufen, konzentrierte sich auf den Chief: »Hat Lironi seine Qualifikation abgeschlossen?«

Der Chief deutete auf einen der Matrosen, die in der Nähe in Reih und Glied standen. »Jawohl, Sir.«

»Wird auch Zeit.« Shen wandte sich an den betreffenden Matrosen. »Das hätten Sie schon vor sechs Monaten machen können, dann würden Sie jetzt diese Batterie befehligen. Beim nächsten Mal enttäuschen Sie weder die Orion noch sich selbst.«

»Sieht gut aus«, sagte Geary zu Shen, bevor er seinen Rundgang beendete. »Crew und Schiff gleichermaßen.«

Shen sah ihn an, als hätte er bloß eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen, dann salutierte er steif, während Geary die Verbindung unterbrach. Er stand einen Moment lang in seinem Quartier, rieb sich den Nacken und fragte sich, was er wohl zu hören bekäme, wenn er sich das nächste Mal an die Orion wandte.

Am nächsten Tag saßen er und Desjani auf der Brücke der Dauntless, und Geary war bereits im Begriff, den Befehl an die Flotte zu geben, den Orbit um Varandal zu verlassen und Kurs auf den Sprungpunkt nach Atalia im Gebiet der Syndikatwelten zu nehmen. Oder besser gesagt: In das Gebiet, das einmal der Kontrolle durch die Syndikatwelten unterstanden hatte, bevor deren Regierung zusammengebrochen war. Atalias derzeitiger Status war ungewiss, was aber immer noch besser war als ein feindseliger Status.

Wie teils befürchtet, teils erwartet ging in diesem Moment eine dringende Mitteilung ein. »Admiral Timbale?«, fragte Geary mit gemischten Gefühlen. Timbale war die ganze Zeit über ein hilfreicher und zuverlässiger Offizier gewesen, doch nun wirkte seine Miene angespannt. »Ich hoffe, Sie wollen uns eine gute Reise wünschen.« Timbale hatte genau das schon vor ein paar Stunden gemacht, aber Geary wollte die Hoffnung nicht aufgeben.

Timbales Reaktion traf mit fast einer halben Minute Verspätung ein, da die Dauntless entsprechend weit von der Station Ambaru entfernt war. »Admiral Geary, haben Sie irgendwelche Befehle hinsichtlich Ihrer Hilfsschiffe erhalten?«

»Meine Hilfsschiffe?« War Smythes Plan etwa schon aufgedeckt worden? Die Flotte war praktisch schon im Aufbruch begriffen. »Nein.«

»Ich habe einen Befehl mit hoher Priorität erhalten, der mich anweist, mit sofortiger Wirkung die Kontrolle über die Titan, die Tanuki, die Kupua und die Domovoi zu übernehmen. Sie sollen vom Rest der Flotte getrennt werden und sich für anderweitige Befehle bereithalten.«

Загрузка...