Vier

Nachdem sich die Luke geschlossen hatte, saß Desjani ein paar Sekunden lang schweigend da. »War Ihre Nachricht an die Flotte die formale Mitteilung, dass die Dauntless abermals Ihr Flaggschiff sein wird?«, fragte sie schließlich und schaute dabei stur vor sich.

Oha. »Ich schätze, ja. Vor diesem Treffen wusste ich nicht mal, welchen Befehl ich erhalten und ob die Dauntless daran beteiligt sein würde.«

»Also haben Sie es nach dem Treffen der ganzen Flotte mitgeteilt, bevor Sie es mir gesagt haben.«

Er versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, doch so ganz wollte ihm das nicht gelingen. »Sie haben mir gesagt, ich soll mich so schnell wie möglich an die Flotte wenden.«

Sie sah ihn von der Seite an. »Und von was genau wird die Dauntless das Flaggschiff sein?«

»Von der Ersten Flotte.«

»Das klingt beeindruckend.«

»Das ist es auch«, versicherte er ihr. »Die meisten von den Schiffen, mit denen wir unterwegs waren, werden dazugehören.«

»Und trotzdem gefällt Ihnen irgendetwas daran überhaupt nicht«, stellte Desjani fest und drehte sich zu ihm um. »Wo ist der Haken?«

Er aktivierte die Privatsphäre rund um ihre Plätze, die Piloten mussten ihre Unterhaltung ja nicht mit anhören. Zwar schützte diese Sphäre nicht davor, von hoch entwickelten Spionagesystemen belauscht zu werden, andererseits vertraute er Desjani aber nichts an, was er nicht auch bald den anderen befehlshabenden Offizieren seiner Flotte sagen würde. Er erklärte ihr den Auftrag und die Mission, was Desjani immer wieder mit aufgebrachten Lauten kommentierte.

Als er geendet hatte, schüttelte sie den Kopf. »Ich wusste gar nicht, dass Allianz-Politiker in der Lage sind, so viele widersprüchliche Aufträge in einen einzelnen Befehl zu packen. Wie sollen Sie in das Gebiet einer erwiesenermaßen feindseligen Spezies vordringen und gleichzeitig feindselige Handlungen vermeiden? Wie sollen Sie mit diesen Aliens Kontakt aufnehmen, wenn Sie dabei deren Vorstellungen von Privatsphäre respektieren müssen, ohne überhaupt zu wissen, was das für Vorstellungen sind? Und wie soll es möglich sein, mit den Aliens irgendwelche Vereinbarungen zu treffen, ohne unsere eigenen Zukunftsoptionen zu beschneiden?«

»Das weiß ich selbst nicht«, räumte er ein. »Wie groß dürften Ihrer Meinung nach die Probleme mit den Schiffsbesatzungen werden? Ich meine, weil sie jetzt auf eine solche Mission geschickt werden, ohne dass sie erst einmal eine Weile zu Hause verbringen durften, obwohl das eigentlich ihr gutes Recht wäre.«

»Probleme?« Desjani schnaubte aufgebracht. »Die Regierung weiß ganz genau, dass Sie der Einzige sind, dem die Flotte folgen wird, weil man Ihnen vertraut, dass Sie sie auch wieder nach Hause zurückbringen werden. Probleme würden auftreten, wenn ein anderer das Kommando hätte.«

Durch ihre Worte fühlte er sich noch unbehaglicher. »Weil sie mir vertrauen, werden sie mir in eine Situation folgen, die sich zu einer riesigen Katastrophe ausweiten könnte.«

»Admiral.« Ihr Tonfall veranlasste ihn, Tanya in die Augen zu sehen. »Es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als sich auf einem sehr schwierigen Pfad zu bewegen. Ohne Sie hätte die Flotte Varandal längst in Schutt und Asche gelegt.«

»Wäre ich nicht hier, würde es das Problem gar nicht geben.«

»Admiral, wären Sie nicht hier, dann wäre die Flotte schon vor Monaten im Heimatsystem der Syndiks ausgelöscht worden, und dann hätten die Syndiks Varandal in Schutt und Asche gelegt – so wie jedes andere System in der Allianz, bis zu dem sie vordringen könnten.«

»Warum reicht das nicht?«, wollte Geary wissen. »Wieso hängt das Schicksal der Allianz immer noch von mir ab?«

»Ich sagte ja bereits, dass die lebenden Sterne Sie vielleicht noch nicht zur Ruhe kommen lassen wollen«, gab Desjani zurück. »Was die Frage nach dem Warum angeht, müssen wir uns schon an unsere Vorfahren wenden. Ich weiß zumindest, dass in diesem Fall die Verantwortung jemandem übertragen worden ist, der mit ihr umgehen kann.«

»Tanya.« Er drückte die Handfläche gegen seine Augen. »Wie soll ich hinter der Regierung und hinter der Flotte stehen, wenn jede Seite glaubt, dass die andere sie auslöschen will?«

Desjani legte ihre Hand auf seine, während sie leise und ernst auf ihn einredete: »Versuch einfach, jede Seite von irgendwelchen Dummheiten abzuhalten.«

»Na, wenn’s weiter nichts ist.« Ein ungläubiges Lachen kam über seine Lippen und erfüllte einen Moment lang das Abteil. »Wie soll man andere Leute von Dummheiten abhalten? Menschen sind dafür bekannt, dass sie Dummheiten machen. Es ist eine unserer besonderen Fähigkeiten, und wir lieben es, uns möglichst häufig darin zu üben.«

Es dauerte eine Weile, ehe sie antwortete. »Wenn man seine Fähigkeiten nicht übt, rosten sie ein«, sagte Desjani schließlich. »Wir bleiben in Übung, indem wir möglichst oft Dummheiten begehen. Kannst du dir vorstellen, John, wie es wäre, wenn die Menschen kein Talent für Dummheiten hätten? Es würde Jahrhunderte dauern, um den Schaden anzurichten, für den wir normalerweise nur ein paar Monate benötigen.«

Er schlug die Augen auf und schaute in ihre todernste Miene, dann bemerkte er das Zucken eines Mundwinkels, da Desjani verbissen versuchte nicht zu grinsen. »Wann hast du dir denn diesen bissigen Humor angeeignet, Tanya?«

»Der ist ein kleiner Teil meiner Bemühungen, nicht den Verstand zu verlieren. Apropos Verstand verlieren – sollen wir darüber reden, was sich vorhin während der Beinahe-Revolution abgespielt hat, Admiral? Sie sollten Bescheid wissen, bevor Sie sich mit allen Kommandanten treffen.«

Geary hielt einen Moment lang ihre Hand fest. »Danke, Captain. Ich bewege mich auf einem schwierigen Pfad, aber Sie sorgen dafür, dass ich auf diesem Pfad bleibe. Sie haben natürlich recht. Ich habe nichts von den Übertragungen mitbekommen, die innerhalb der Flotte hin- und hergegangen sein müssen. Ich habe nur ein aktualisiertes Bild gesehen, daher weiß ich von einigen Schiffen, die daran beteiligt waren. Dass die Illustrious dazugehören würde, war mir klar.«

Sie sah ihn mit mürrischer Miene an. »Badaya hat ein unglaubliches Theater gemacht. Mit ihm hatte ich die größten Schwierigkeiten, weil er darauf beharrte, die Regierung versuche, Sie und all Ihre Anhänger in der Flotte aus dem Weg zu räumen. Er ging so weit, mich als Witwe zu bezeichnen. Hätten wir uns gemeinsam in einem Raum aufgehalten, wäre ich auf das Äußerste versucht gewesen, ein ganzes Magazin in seinen Körper zu pumpen.«

»Dann hätte er wenigstens Ruhe gegeben«, meinte Geary.

»Das wäre dann noch ein weiterer Vorteil gewesen.«

Geary wollte im Augenblick nicht weiter über das Problem Badaya reden, stattdessen ging er im Geist die lange Liste an Kriegsschiffen durch, die sich gegenwärtig im System aufhielten. »Die Dreadnaught

»Ja.« Es schien Desjani unangenehm zu sein, dass er ausgerechnet auf dieses Schiff zu sprechen kam. »Sie beharrte darauf, dass Sie Hilfe benötigen.«

»Obwohl Sie meinen Befehl weitergeleitet hatten.«

»Richtig. Jane Geary verhielt sich sehr aggressiv und wollte unbedingt eine Konfrontation mit der Regierung herbeiführen. Dabei sind ihr mehr Schiffe gefolgt, als Sie vermutlich gesehen haben.«

Das ergab keinen Sinn. »Sie war nicht von den Anklagen betroffen, also sollte sie auch nicht das Kommando über ihr Schiff abgeben. Die Dreadnaught gehörte bis zur Schlacht hier im System nicht mal zur Flotte. Und Jane hat das Kommando über ein Schlachtschiff erhalten, weil man ihr einen Schlachtkreuzer nicht geben wollte, nachdem man sie als nicht energisch genug beurteilt hatte. Was hat sie so ausrasten lassen?«

»Das weiß ich nicht. Aber den Leuten ist aufgefallen, dass sie jeden dazu gedrängt hat, genau das zu tun, was sie laut meinen Anweisungen nicht tun sollten. Auf den privaten Kanälen wurde viel darüber diskutiert, dass sie mir keine Rückendeckung geben wollte. Nicht, dass ich das persönlich genommen hätte«, betonte Desjani nachdrücklich, »aber aus professioneller Sicht war ich wirklich wütend auf sie. Ich schlage vor, Sie reden mit ihr.«

»Das werde ich machen.« Geary durchforstete wieder sein Gedächtnis. »Ist sonst noch jemand besonders aus der Reihe getanzt?«

»Hmm.« Sie überlegte kurz, dann sah sie Geary auf eine rätselhafte Weise an. »Die Dragon

»Die Dragon?« Commander Bradamont, einer von Tulevs Offizieren. »Was war daran überraschend? Tulevs sämtliche Schlachtkreuzer sind auf ihren Positionen geblieben.«

»Richtig«, bestätigte Desjani. »Aber auf den privaten Kanälen hat sich Bradamont ganz besonders engagiert, um mir den Rücken zu stärken.«

»Wieso ist das ein Problem?« Geary dachte nach. »Es ist ungewöhnlich, nicht wahr?« Er hatte Bradamont als eine Befehlshaberin in Erinnerung, die ihr Schiff gut und aggressiv einzusetzen wusste, die bei den Besprechungen aber stets schweigsam agierte und in Tulevs Schatten stand. Er hätte nicht sagen können, dass sie sich je zu Wort gemeldet oder auf irgendeine andere Weise während einer Besprechung die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte.

»Auch richtig. Bradamont hat sich bedeckt gehalten, seit ihr das Kommando über die Dragon übertragen wurde. Und das aus gutem Grund.«

»Augenblick mal.« Eine Erinnerung regte sich bei ihm, etwas, das er in ihrer Akte gesehen hatte, etwas Ungewöhnliches. »Sie hatte sich in Kriegsgefangenschaft befunden.«

»Sehr gut, Admiral. Sie wurde befreit, als man sie von einem Gefangenenlager in ein anderes verlegen wollte. Das war, noch bevor Sie zu uns kamen.« Wieder warf ihm Desjani einen von diesen rätselhaften Blicken zu. »Ihr Transporter wurde von einem Allianz-Verband abgefangen, was nicht sehr oft vorkam, genau wie die Verlegung von Kriegsgefangenen in andere Lager.«

Geary lehnte sich zurück und beobachtete Desjani. »Es gab einen Sicherheitsvermerk in ihrer Akte, aber nichts von besonderer Dringlichkeit. Deshalb bin ich bislang nicht dazu gekommen, mich damit zu beschäftigen.«

»Das wundert mich nicht. Was den Vermerk angeht … Es ist witzig, wie schwer es einem immer noch fällt, so etwas auszusprechen.«

»Was auszusprechen?«

»Bradamont hatte sich während ihrer Gefangenschaft in einen Syndik-Offizier verliebt.«

Diese Antwort wäre ihm wohl als letzte in den Sinn gekommen. Eher hätte er darauf getippt, dass sie eine schwierige Gefangene gewesen war, die unter den Mitgefangenen Widerstand organisierte. Oder dass sie im Besitz geheimer Informationen gewesen war, die die Syndiks aus ihr hätten herausholen wollen. Oder dass Bradamont irgendwelche familiären Verbindungen innerhalb der Allianz hatte, die die Syndiks ausnutzen wollten. »Sie hatte sich in einen Syndik verliebt? In einem Kriegsgefangenenlager?«

»Er war wohl eine Art Verbindungsoffizier im Lager.« Sie musterte Gearys Gesichtsausdruck. »Jetzt wissen Sie, warum sie bislang immer so ruhig war. Mit einer solchen Vergangenheit empfiehlt es sich nicht, sich in den Mittelpunkt zu rücken.«

Der Hass auf die Syndiks war allen während des endlosen Kriegs immer mehr in Fleisch und Blut übergegangen. Die zersetzende Wirkung auf Ehre und Professionalität hatte Geary entsetzt, als er nach dem Erwachen aus dem Kälteschlaf damit konfrontiert worden war. Aber auch unter nicht so extremen Umständen war eine solche Beziehung zwischen Offizieren aus verfeindeten Lagern nur schwer nachvollziehbar. »Wie hat sie es geschafft, das Kommando über einen Schlachtkreuzer zu bekommen?«

Desjani zuckte mit den Schultern. »Eine hervorragende Frage, Admiral, aber niemand kennt die Antwort darauf. Absolut sicher ist nur, dass der Sicherheitsdienst ihr uneingeschränkte Tauglichkeit attestiert haben muss. Natürlich hat jeder seine eigenen Theorien darüber, welche Beziehungen sie haben muss, um das zu schaffen. Manche meinen, sie sei mit einem Gefangenen in geheimer Mission unterwegs gewesen. Mit Gewissheit kann ich nur sagen, dass Bradamont eigentlich als XO auf der Dragon hatte dienen sollen. Dann wurde Captain Ming versetzt, und Bradamont erhielt das Kommando über das Schiff. Bloch führte damals noch die Flotte, und zu der Zeit hörte ich Bloch darüber klagen, dass Bradamont das Kommando von höherer Stelle erhalten hatte, obwohl er die Beförderung als Zeichen der Anerkennung für einen Offizier benutzen wollte, der ihm gegenüber loyal war.«

»Sie scheint eine gute Offizierin und eine gute Kämpferin zu sein, aber …«

»Genau«, sagte Desjani. »Aber. Eine Zeit lang hielt ich es nicht mal aus, sie nur anzusehen.«

Er betrachtete sie eindringlich und musste daran denken, wie sie ihm kurz nach ihrem Kennenlernen erklärt hatte, sie bedauere es, nicht ganze Syndik-Planeten auslöschen zu können. »Und wie ist das jetzt?«

»Sie … hat ihre Pflicht getan und tapfer gekämpft.« Desjani sah ihn etwas gereizt an. »Ich respektiere ihr Verhalten im Gefecht. Unmittelbar bevor Sie das Kommando über die Flotte übernahmen, führte Bradamont mitten im großen Chaos des Syndik-Hinterhalts ein gewagtes Manöver mit der Dragon aus, um den Beschuss durch zwei Syndik-Schiffe von der Dauntless abzulenken und auf sich zu ziehen. Vermutlich hat sie dadurch mein Schiff gerettet.«

Er nickte bedächtig. »Dann hat sie vermutlich auch uns beiden das Leben gerettet.«

»Das ist mir auch aufgefallen, aber das war für mich nicht so wichtig wie die Tatsache, dass sie so gut gekämpft hat wie Black Jack.« Desjani hielt inne. »Das ist eine alte Redewendung in der Flotte.«

»Davon habe ich gehört«, entgegnete er.

»Tut mir leid.« Sie wusste, wie wenig er für den größten Teil der Sprüche übrig hatte, die über ihn kursierten oder die ihm als Zitate aus dem Mund von Black Jack zugeschrieben wurden. »Jedenfalls ist das der Grund, wieso Bradamont seitdem bei mir einen guten Stand hat. Und … ähm … na ja, inzwischen weiß ich aus persönlicher Erfahrung auch mehr darüber, welche Streiche einem das Herz spielen kann, ob man das nun will oder nicht. Offenbar hat sie sich aber in diesem Gefangenenlager nichts zuschulden kommen lassen, sonst hätte die Sicherheitsüberprüfung bei ihr keine Freigabe ergeben. Da hätte sie sogar eine Geary sein können … ähm … Entschuldigung. Das ist auch so eine Redewendung. Aber auf jeden Fall ist das der Grund, wieso Bradamont nie die Gelegenheit genutzt hat, irgendwelche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und das wiederum macht es umso ungewöhnlicher, dass sie sich so engagiert hat, um die Ordnung in der Flotte wiederherzustellen. Allerdings haben sich die Umstände geändert. Vor nicht allzu langer Zeit hätten Leute wie Kila oder Faressa sie sich vorgeknöpft, wenn sie den Mund aufgemacht hätte. Aber der Krieg ist jetzt offiziell beendet, und die beiden sind tot. Mögen meine Vorfahren und die lebenden Sterne mir verzeihen, dass ich das im Fall dieser beiden nicht im Mindesten bedauere.«

Wieder folgte eine Pause, dann lächelte Desjani einen Moment lang. »Mir fehlt Jaylen Cresida. Aber Bradamont … Es fühlte sich heute mit ihr an, als würde ich von Jaylen Unterstützung erhalten.«

»Das ist ein ziemlich großes Lob.«

»Es ist mein Ernst.« Desjani sah ihn an. »Aber nicht jeder hat ihr Engagement in dieser Angelegenheit begrüßt. Wie wollen Sie Badaya und seinen Anhängern erklären, dass Sie mit der Flotte die Allianz verlassen, wenn die glauben, dass Sie in Wahrheit die Fäden in der Hand halten?«

Der abrupte Themenwechsel irritierte ihn einen Moment lang, und das galt auch für die Erkenntnis, dass er auf diese Frage keine Antwort wusste. »Ich bin offen für jeden Vorschlag.«

Sie warf einen Blick auf das Display vor ihr. »Zwanzig Minuten bis zur Dauntless. Ich würde mir die Zeit ja lieber mit meinem Ehemann vertreiben, weil die lebenden Sterne allein wissen, wann wir dazu das nächste Mal Gelegenheit haben werden, aber wie es aussieht, müssen wir jede Minute nutzen, um unser Gehirn anzustrengen.«

»Das sehe ich leider auch so.« Geary aktivierte sein eigenes Display. »Mal sehen, ob wir hier fündig werden. Suchen: Führer … nein, Herrscher … kämpft … jenseits … der Grenze.« Eine extrem lange Liste an Ergebnissen wurde angezeigt. »Na, großartig. Und wie soll ich mich da durchwühlen?«

Desjani beugte sich vor und zeigte auf einen Eintrag. »Marcus Aurelius? Was für ein seltsamer Name. Und wie alt dieses Zitat ist. Römischer Imperator. Was ist ein Römischer Imperator?«

»Was war ein Römischer Imperator?«, korrigierte Geary sie und sah sich die Daten an. »Das ist sehr lange her. Das ist noch die Alte Erde. Aber was hat das zu tun mit meiner … Halt. Er war Herrscher über ein Imperium, der seine Zeit damit verbrachte, an den Grenzen zu kämpfen.«

»Klingt, als hätten wir einen Treffer gelandet.«

»Wollen wir’s hoffen.« Er las den Eintrag weiter. »Er war offenbar auch eine Art Philosoph. ›Wenn es nicht richtig ist, dann tu es nicht. Wenn es nicht wahr ist, dann sag es nicht‹, wird er hier zitiert.«

»Er hat gut reden«, beklagte sich Desjani. »Damit Sie das richtige tun können, müssen Sie verdammt gut darauf achten, was Sie sagen. Vielleicht war das in der Zeit des Römischen Imperiums einfacher. Da spielte sich alles auf einem einzelnen Planeten ab. Sogar nur auf einem Teil eines einzelnen Planeten. Wie kompliziert kann es da schon zugegangen sein?«

»Ich würde sagen, das hängt ganz davon ab, wie sehr sich die Menschen seitdem verändert haben – oder ob sie sich überhaupt verändert haben. Dieser Aurelius musste an den Grenzen seines Imperiums kämpfen, um dessen Sicherheit zu gewährleisten«, überlegte Geary. »Währenddessen haben seine Untergebenen zu Hause die Amtsgeschäfte weitergeführt. Das ist unsere Antwort. Alle sagen, ich bin der Einzige, der mit diesen Aliens klarkommen kann, also erzählen wir, dass ich mich auf den Weg machen muss, während meine vertrauenswürdigen Agenten innerhalb der Allianz meine Befehle ausführen.«

»Sehr geschickt«, lobte ihn Desjani. »Und die Identität dieser Agenten muss geheim bleiben?«

»Aber natürlich.« Er sagte es jedoch in einem so missmutigen Tonfall, dass er damit wieder einen warnenden Blick einfing.

»Admiral Geary, Sie führen damit nur die Leute in die Irre, die ansonsten nur für Unruhe und Probleme sorgen würden. Jetzt ziehen Sie Ihre Uniform glatt.«

»Die sitzt gut …«

»Sie sind ein Admiral, und Sie müssen sich von Ihrer besten Seite zeigen. Außerdem möchte ich nicht, dass Sie beim Verlassen des Shuttles so aussehen, als hätte ich Sie begrapscht.«

»Jawohl, Ma’am.«

Abermals sah sie ihn an und verdrehte die Augen, während sie aufgebracht schnaubte.

Nachdem das Shuttle im Hangar aufgesetzt hatte, ging er die Rampe hinunter und betrat eines der Decks der Dauntless. Das weckte die Erinnerung an all die Ereignisse, die sich an Bord dieses Schiffs abgespielt hatten. Gearys letzte Worte zu Admiral Bloch, bevor der sich auf den Weg in sein Verderben machte; die erste Begegnung mit Männern und Frauen der Allianz, die aus Arbeitslagern der Syndikatwelten befreit worden waren; seine überhastete Abreise vier Wochen zuvor, mit der er einer erneuten Beförderung und neuen Befehlen entflohen war, um Desjani einzuholen.

Dass sie ihre Ankunft so kurz vor ihrem Eintreffen angekündigt hatten, schien die Crew der Dauntless nicht in Angst und Schrecken versetzt zu haben. Eine perfekt angeordnete Garde empfing Geary mit allen ihm gebührenden Ehren, als er das Deck betrat. Aus den Lautsprechern überall an Bord ertönte die Durchsage: »Admiral Geary eingetroffen.« Er hob den Arm, der sich eben von der Anstrengung zu erholen begonnen hatte, und erwiderte den Salut.

Als Desjani nach ihm die Rampe verließ, wurde auch sie mit allen Ehren empfangen, gefolgt von der Ankündigung: »Dauntless, eingetroffen.« Alten Traditionen entsprechend, die die befehlshabenden Offiziere von Kriegsschiffen betrafen, wurde Desjani bei derartigen Anlässen mit dem Namen ihres Schiffs bezeichnet.

Geary blieb stehen und wartete auf sie, während sein Blick über die versammelten Offiziere des Schiffs wanderte, ebenso über die Reihen der Matrosen und Marines dahinter, die den Rest der Crew repräsentierten. Sie sahen alle gut aus, nein, sogar besser als gut. Ihm wurde bewusst, dass er beim Anblick seiner Leute zu lächeln begonnen hatte. Das Lächeln behielt er bei, weil er wusste, dass sie alle seine Reaktion sehen konnten.

Desjani stellte sich zu ihm, ihre Miene verriet keine Regung. Schließlich nickte sie ihrem XO zu. »Die Crew scheint sich in annehmbarer Verfassung zu befinden.«

»Danke, Captain.«

»Der Admiral und ich werden an einer dringenden Flottenkonferenz teilnehmen, im Anschluss daran werde ich eine Inspektion des Schiffs durchführen.«

»Jawohl, Ma’am.« Der XO nahm von einem anderen Offizier ein rechteckiges Objekt entgegen, das ungefähr einen halben Meter breit und vielleicht fünfundzwanzig Zentimeter hoch war. Er trat vor und überreichte es Desjani. »Von den Offizieren und der Crew der Dauntless, mit den besten Wünschen und Glückwünschen für Sie und Admiral Geary, Captain.«

Desjani stutzte, als sie den Gegenstand an sich nahm, doch dann begann sie zu lächeln und drehte das Geschenk so, dass auch Geary es sehen konnte. Es handelte sich um eine Tafel aus echtem Holz, in das eine glänzende metallene Sternenkarte eingelassen war. Diese Karte zeigte den Weg der Flotte unter Gearys Kommando, jedes dabei durchflogene Sternensystem war mit seinem Namen versehen worden. Die Reise endete im Varandal-System auf dem Gebiet der Allianz. Unter dieser Einlegearbeit waren echte Fäden auf das Holz aufgesetzt worden, um die Namen Geary und Desjani zu bilden, zwischen denen die Fäden zu einem wunderschönen Knoten gebunden worden waren.

Geary hatte seit seiner Zeit als Junioroffizier Matrosen miterlebt, die sich mit solchen Knoten befasst und sie immer wieder geübt hatten. Von ihnen wusste er auch, dass diese Knoten ein unglaublich altes Handwerk waren. Sie hatten bis heute nichts von ihrem Nutzen verloren, wenn es darum ging, etwas mit einem Seil festzuzurren, wie es schon auf den allerersten Handelsschiffen auf den Meeren der Erde gemacht worden war. »Sehr schön«, erklärte er. »Vielen Dank.«

»Ja«, stimmte Desjani ihm zu. »Wir danken Ihnen allen«, fügte sie laut genug an, um auch noch im letzten Winkel des Hangardecks gehört zu werden. »Bitte bringen Sie das in mein Quartier«, wandte sie sich wesentlich leiser an ihren XO und gab ihm die Tafel zurück. »Der Admiral und ich müssen jetzt die Konferenz einberufen.«

»Ja, Captain. Willkommen zurück.«

Dann endlich lächelte sie. »Es ist schön, wieder hier zu sein. Zweifellos haben Sie das schon längst gehört, dennoch freue ich mich, noch einmal formell zu bestätigen, dass die Dauntless wieder Admiral Gearys Flaggschiff sein wird. Informieren Sie bitte die Besatzung dahingehend.«

Zusammen mit Desjani verließ Geary das Hangardeck, während sich hinter ihnen die geordneten Reihen aus Offizieren und Besatzungsmitgliedern auflösten. Stimmengewirr machte sich nach der Ankündigung des Captains breit. Geary atmete langsam und gleichmäßig tief durch, froh darüber, wieder in vertrauten Korridoren unterwegs zu sein. Man konnte sich zwar nirgendwo verlaufen, wo es eine Komm-Verbindung gab, die einen zu jedem Ziel dirigieren konnte. Dennoch hatte es etwas Beruhigendes, sich an einem Ort aufzuhalten, an dem man sich auch ohne Hilfe zurechtfand. »Sie wollen die Tafel in Ihrem Quartier haben?«, fragte er.

»Ja, Sir, sie wird an einem Schott in meinem Quartier aufgehängt. Auf diese Weise bekommt sie nicht gleich jeder zu sehen.«

»Wenn sie in Ihrem Quartier hängt, werde ich sie womöglich nie zu sehen bekommen. Ich dachte, wir waren uns einig, dass ich Sie dort nicht besuchen werde, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.«

Der Gedanke ließ sie die Stirn runzeln. »Vielleicht werde ich sie Ihnen von Zeit zu Zeit ausleihen.«

»Danke.«

Auch der Konferenzraum der Dauntless war ihm vertraut, wenn auch nicht so behaglich wie der Rest des Schiffs. Zu viele Dramen hatten sich hier abgespielt, als dass es möglich gewesen wäre, Ruhe und Entspannung zu finden. Seufzend setzte sich Geary hin und überprüfte die Konferenzsoftware, während er überlegte, was er sagen sollte. Die Flotte war derzeit im ganzen Varandal-System verteilt, wobei die Distanz zu den am weitesten entfernten Schiffen fast zehn Lichtminuten betrug. »Das wird die Menge der Fragen und Antworten deutlich reduzieren«, sagte er.

»Wenn Sie meinen«, kam Desjanis Antwort, während sie etwas auf ihrem eigenen Display überprüfte.

Wie üblich hatte sie genau verstanden, wie es ihm in Wahrheit erging. »Man wird ja noch träumen dürfen.«

Ihre Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, als die virtuellen Darstellungen der befehlshabenden Offiziere zu beiden Seiten des Tisches Gestalt annahmen. Der Tisch und mit ihm der Raum schienen sich immer mehr in die Länge zu strecken, um den immer zahlreicher auftauchenden Teilnehmern Platz zu bieten. Die meisten Gesichter waren ihm mittlerweile vertraut, aber bei Hunderten von Offizieren konnte Geary nur ein paar wirklich gut kennen, wohingegen manche andere ihm gar nichts sagten. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich auf den aktuellen Kommandanten der Orion zu konzentrieren, da in diesem Augenblick das Bild von Commander Shen auftauchte. Er war ein dünner Mann, von schmaler Statur, und sein Gesichtsausdruck hatte etwas Verärgertes an sich, was bei ihm aber ein Dauerzustand zu sein schien, nicht jedoch die Reaktion auf irgendeinen aktuellen Vorfall. Geary nahm sich vor, sich so bald wie möglich mit der Dienstakte dieses Mannes zu befassen.

Doch dann sah er, dass Desjani Shens Ankunft bemerkt hatte, den Mann anlächelte und ihm zuwinkte. Commander Shens Blick wanderte zu ihr, und dann sah es aus, als würde seine untere Gesichtshälfte wie ein Felsblock bersten, der von einem Erdbeben erschüttert wurde. Er erwiderte ihr Lächeln und nickte zum Gruß, dann nahm sein Gesicht gleich wieder diesen auffallend gereizten Ausdruck an.

»Sie kennen ihn?«, erkundigte sich Geary bei Desjani.

»Wir haben zusammen auf einem Schweren Kreuzer gedient«, antwortete sie. »Er ist ein sehr guter Offizier.« Als wisse sie genau, was Geary dachte, ergänzte sie dann noch: »Der äußere Eindruck kann täuschen.«

»Ich vertraue auf Ihr Urteil, jedenfalls was ihn angeht.«

»Die Orion hat sich an die Befehle gehalten«, machte sie deutlich.

»Ein sehr gutes Argument.« Wenn Shen die Orion umkehren lassen konnte, dann hatte er sich das Recht verdient, jeden Gesichtsausdruck zur Schau zu stellen, der ihm gefiel.

Einen Moment später stutzte Geary, als ein weiterer befehlshabender Offizier auftauchte. Dieser Captain hätte fast ein Zwilling von Commander Shen sein können, was auch für seine finstere Miene galt, die so wirkte, als könnte sie gar keinen anderen Ausdruck annehmen. Da die Konferenzsoftware erkannte, worauf Gearys Blick gerichtet war, holte sie das Bild des Captains näher heran und listete neben ihm Informationen auf. Captain Shand Vente, Invincible.

»Was ist aus Commander Stiles geworden?«, fragte er verwundert.

Desjani sah wieder auf, entdeckte Vente und verzog angewidert das Gesicht. »Jemand mit höherem Dienstgrad und besseren politischen Beziehungen dürfte die richtigen Leute um einen Gefallen gebeten haben, damit er das Kommando übernehmen kann. Vergessen Sie nicht, das Kommando über einen Schlachtkreuzer wird als wichtiger Schritt hin zum Dienstgrad des Admirals angesehen. Es war schon schwierig, in Kriegszeiten zum Admiral befördert zu werden, und da die Admiräle nun nicht mehr scharenweise bei Raumschlachten ums Leben kommen, sind die Aussichten umso schlechter.« Ihr Blick kehrte zu Geary zurück. »Ausgenommen natürlich Sie. In Ihrem Fall ist es ja sogar so, dass Sie immer und immer wieder zum Admiral befördert werden.«

»Ich Glückspilz«, murmelte Geary. Von Zeit zu Zeit kam es zu solchen Situationen, die ihm vor Augen führten, wie sehr der hundert Jahre währende Krieg gegen die Syndiks die alten Werte der Flotte in ihr Gegenteil verkehrt hatten. Es war keineswegs so, dass Politik für Senioroffiziere ein Jahrhundert zuvor ein Fremdwort gewesen wäre, aber politische Einflussnahme hatte sich auf Umwegen abgespielt. Es war nie so offensichtlich gewesen, dass einem Offizier nach wenigen Monaten ein Kommando abgenommen worden wäre, um einen anderen auf diesen Platz zu setzen, damit sich dessen Aussichten auf eine weitere Beförderung verbesserten. »Ist Vente mit Shen verwandt?«

»Wieso …?« Sie schaute Vente genauer an und stutzte. »Nicht dass ich wüsste.«

Vente, dem die Konferenzsoftware signalisiert hatte, dass Geary ihn ansah, drehte sich zum Kopfende des Tischs um. Anders als bei Shen änderte sich sein Gesichtsausdruck kein bisschen. Er nickte abrupt und wandte sich wieder ab, um weiter vor sich auf den Tisch zu starren, als liege dort etwas, das ihn schrecklich ärgerte.

Die Crew der Invincible tat Geary leid, aber er war sich nicht sicher, ob er in der verbleibenden Zeit noch etwas wegen Vente würde unternehmen können. Die Ankunft von Captain Tulev lenkte ihn von dem Ärger ein wenig ab. Fast zeitgleich mit Tulev tauchten auch die befehlshabenden Offiziere seiner Division am Konferenztisch auf, darunter auch Commander Bradamont. Sie saß schweigend da und schaute vor sich hin, wie Geary es von früheren Besprechungen von ihr gewohnt war, sofern er sie dabei überhaupt wahrgenommen hatte. Wären da nicht noch so viele andere Dinge gewesen, die ihm Kopfzerbrechen bereiteten, hätte er sich vermutlich gründlicher mit der Frage beschäftigt, wie es sein konnte, dass jemand im Gefecht so energisch auftrat, bei den Konferenzen aber keinen Ton herausbrachte. Aber letztlich wäre er ihr dafür vermutlich einfach nur dankbar gewesen, wenn er an die Probleme dachte, die er in der gleichen Zeit mit Offizieren wie Captain Numos gehabt hatte, die am Konferenztisch genauso agierten wie auf dem Schlachtfeld.

Der Gedanke lenkte Geary genügend ab, um sich schnell nach Numos’ Status zu erkundigen. Er wartet noch immer auf sein Kriegsgerichtsverfahren. Die Mühlen der Justiz mahlen manchmal sehr langsam. Aber sie hatten Zeit genug, um sich diese idiotischen Anklagen gegen mehr als hundert befehlshabende Offiziere auszudenken, anstatt sich mit Numos zu befassen.

Weitere virtuelle Bilder entstanden, während der Konferenzraum immer größer und größer zu werden schien, um allen Teilnehmern Platz zu bieten. Captains, Commander und Lieutenant Commander, die das Kommando über Schlachtkreuzer, Schlachtschiffe, Schwere und Leichte Kreuzer, Hilfsschiffe und Zerstörer hatten. Captain Duellos lehnte sich auf seinem Platz gemächlich zurück, als hätte sich die Flotte nicht erst kurz zuvor noch am Rand der Meuterei befunden. Captain Tulev saß stocksteif da und ließ kaum eine Gefühlsregung erkennen, aber er nickte Geary zum Gruß zu. Captain Badaya schaute sich argwöhnisch um; er rechnete unübersehbar damit, dass jeden Augenblick regierungstreue Agenten aus ihren Verstecken kamen, um Offiziere festzunehmen. Captain Jane Geary saß ruhig da und ließ sich nicht anmerken, dass sie erst vor Kurzem noch andere Kommandanten dazu angestachelt hatte, sich über Befehle hinwegzusetzen. Auch Captain Armus ließ kein Unbehagen erkennen, wofür er aber auch gar keinen Grund gehabt hätte, wirkte er doch wie üblich so schwerfällig wie das von ihm befehligte Schlachtschiff. Bis zu diesem Augenblick war es Geary nicht bewusst gewesen, wie beruhigend diese Art von Schwerfälligkeit sein konnte, wenn ringsum andere kopflos hin- und hereilten.

Als auch der letzte noch fehlende Offizier aufgetaucht war, stand Geary auf, woraufhin die virtuell Anwesenden sich zu ihm umdrehten. Diejenigen, deren Schiffe sich in unmittelbarer Nähe zur Dauntless aufhielten, reagierten fast in Echtzeit, während andere, deren Schiffe einige Lichtminuten entfernt waren, unter Umständen erst sehen würden, dass er sich erhoben hatte, wenn er längst zu Ende gesprochen hatte. »Lassen Sie mich damit beginnen, Ihnen die Situation zu erklären. Mir ist das Kommando über die neue Erste Flotte übertragen worden. Da jedes Schiff hier im System zu dieser Flotte gehört, bin ich seit einer halben Stunde wieder offiziell Ihr Befehlshaber.«

Badayas Argwohn wich aus seinen Gesichtszügen, stattdessen schaute er so selbstsicher drein wie jemand, dessen feste Überzeugung soeben bestätigt worden war. Andere zeigten sich sichtlich erleichtert oder lächelten erfreut, doch durch die Zeitverzögerungen entging Geary nicht, dass der eine oder andere keine Miene verzog oder sogar eine gewisse Sorge erkennen ließ.

»Wie Sie sich zweifellos denken können, wurde die Erste Flotte zu einem bestimmten Zweck geschaffen. Wir sollen uns mit Bedrohungen für die Allianz befassen, bevor diese die Allianz erreichen können. Unsere erste Mission entspricht genau dieser Aufgabenstellung, und es ist eine komplexe Aufgabe. Ich bin aber davon überzeugt, dass diese Flotte sie erledigen kann.« Er tippte auf verschiedene Tasten, dann entstand die Darstellung eines weit entfernten, aber vertrauten Gebiets. »Sie alle kennen diese Region, sie stellt einen Teil der Grenze zwischen den Syndiks und diesen Aliens dar, gegen die wir bereits gekämpft haben. Die Allianz muss mehr über die Aliens in Erfahrung bringen, sogar viel mehr. Vor allem müssen wir wissen, wie groß die von ihnen ausgehende Gefahr für uns ist. Deshalb kehren wir dorthin zurück, und diesmal dringen wir in ihr Territorium vor und beschaffen uns ein paar Antworten auf unsere Fragen.«

Die meisten Anwesenden hörten auf zu lächeln und reagierten zum Teil erstaunt, zum Teil beunruhigt. »Wie groß soll denn die Gefahr sein, die von ihnen ausgeht?«, wollte Captain Armus wissen, dessen breites Gesicht wie üblich eine Mischung aus Sturheit und Trotz zur Schau stellte. »Wir haben sie geschlagen.«

»Wir haben sie überrascht«, machte Desjani ihm klar. »Aber sie haben beeindruckende Manövrierfähigkeiten demonstriert. Wir müssen die Gewissheit haben, dass wir sie auch weiterhin überraschen können und dass sie uns im Gegenzug keine neuen Überraschungen präsentieren.«

Geary nickte zustimmend. »Denken Sie nur an die Hypernet-Portale. Die Aliens konnten uns damit so geschickt hinters Licht führen, dass sie die menschliche Rasse fast komplett hätten auslöschen können.«

Bei Desjanis Worten hellte sich Commander Neesons Miene auf. »Wenn wir herausfinden, wie diese Manövriertechnologie funktioniert, wären wir deutlich im Vorteil, falls die Syndiks erneut versuchen sollten, uns anzugreifen.«

Commander Shen sah sich am Tisch um. »Ich weiß, diese Flotte hat eine große Zahl an Kriegsschiffen der Aliens bei Midway zerstört. Wie schnell können die sich von einem solchen Schlag erholen?«

»Wir haben keine Ahnung«, erwiderte Geary. »Wir wissen nicht, welche Schlagkraft sie besitzen, wie viele Sternensysteme in ihrer Hand sind, wie groß ihre Bevölkerungszahl ist. Wir verfügen über keinerlei Informationen, anhand derer wir einschätzen könnten, welche Gefahr sie für uns darstellen.«

»Aber wir werden gegen sie kämpfen?«

»Unsere Absicht ist es, einen Kontakt herzustellen und mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Kämpfen werden wir nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Er sah die unterschiedlich zeitverzögerten Reaktionen auf seine Worte, unter die sich die Reaktionen auf seine vorangegangene Äußerung mischten. »Es trifft zu, dass die Aliens bei unserer letzten Begegnung kein Interesse an irgendwelchen Verhandlungen gezeigt haben. Aber als wir gegen sie gekämpft haben, konnten wir sie in ihr eigenes Territorium zurückdrängen. Diesmal könnten sie etwas anders reagieren, und sei es nur aus Respekt vor unseren Fähigkeiten, ihnen Schaden zuzufügen.«

Captain Parr vom Schlachtkreuzer Incredible meldete sich zu Wort. Bislang hatte er noch den Anstand besessen, ein wenig betreten dreinzuschauen, weil er so wie einige andere gegen die Station Ambaru vorgerückt war, jetzt dagegen grinste er breit. »Die wissen jetzt, dass sie uns nicht so leicht zum Narren halten können wie zuvor die Syndiks.«

Eine Anmerkung von Captain Casia von der Conqueror traf erst jetzt ein, bezog sich aber auf eine frühere Äußerung: »Es scheint, als würde die Allianz keinerlei Angriffe erwarten, Admiral Geary, wenn sie uns alle zu einem Ziel schickt, das so weit von unserem Territorium gelegen ist. Werden im Allianz-Gebiet denn nur die Verteidigungsstreitkräfte der einzelnen Systeme für Sicherheit sorgen?«

Er reagierte sofort auf diese Frage, da er wusste, dass andere sich diese Frage auch gestellt haben mussten. »Sie haben wahrscheinlich davon gehört, dass die meisten im Bau befindlichen Kriegsschiffe nicht fertiggestellt werden. Einige wenige dieser Schiffe wird man aber weiterbauen. Sie bilden dann gemeinsam eine deutlich kleinere Flotte, die sich der Verteidigung des Allianz-Territoriums widmen wird.«

»Wann brechen wir auf?«, wollte Captain Vitali vom Schlachtkreuzer Daring wissen.

»Ich muss mir zunächst ein Bild vom Zustand unserer Schiffe machen. Wie viel Arbeit muss noch erledigt werden? Wie viel Personal hatte bislang die Gelegenheit zu einem Heimaturlaub? Wie viele Leute benötigen erst noch diese Gelegenheit?«, sagte Geary. »Aber meine Absicht ist es, mindestens einen Monat darauf zu verwenden, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Das ist das Mindeste, was die Besatzungen unserer Schiffe verdient haben.«

»Sie verdienen mehr Zeit daheim«, grummelte der Captain der Warspite.

Das stimmte zwar, aber noch während Geary sich im Geiste eine geeignete Antwort zurechtlegte, meldete sich wieder Captain Parr zu Wort und deutete auf das Sternendisplay. »Was ist mit den Menschen, von denen die Syndiks gesagt haben, dass sie im Gebiet der Aliens verschwunden sind? Werden wir versuchen, etwas über ihr Schicksal in Erfahrung zu bringen? Wenn wir herausfinden, was sie mit menschlichen Gefangenen anstellen, dann erfahren wir zugleich eine Menge über diese Aliens.«

»Einige von diesen Menschen leben noch«, erklärte Badaya in einem überzeugten Tonfall, der alle Anwesenden aufhorchen ließ. »Ich bin gerade zu diesem Schluss gekommen«, ergänzte er, als er merkte, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren. »Während des … ›Durcheinanders‹ vor ein paar Stunden musste ich daran denken, wie leicht es ist, uns zum Narren zu halten. Nicht nur, weil wir alle Menschen sind, sondern weil es sich bei denjenigen, die das mit uns machen, ebenfalls um Menschen handelt. Wir kennen unsere Schwächen, wir wissen, wie unser Verstand arbeitet und was wir übersehen, wenn der andere will, dass wir es übersehen. Wir kennen die besten und wirkungsvollsten Tricks, um andere Menschen zu täuschen.«

Duellos reagierte darauf mit einer widerstrebend respektvollen Miene. »Aber diese Aliens haben uns auch mehr als nur einmal getäuscht, ganz zu schweigen von den Syndiks, denen sie hundert Jahre lang etwas vorgemacht haben. Das heißt, sie besitzen ein umfassendes Wissen über die menschliche Denkweise, und sie verstehen es auch, dieses Wissen wirkungsvoll anzuwenden.«

»Genau! Wir können über eine andere Spezies so viel lesen, wie wir wollen, ob es Katzen, Hunde, Rinder oder Fische sind – aber ohne sie persönlich zu erforschen, können wir nicht darauf hoffen, sie zu verstehen.«

Geary musste ein Schaudern unterdrücken, als er sich vorstellte, dass Menschen gefangen gehalten wurden, um sie zu studieren. Die Reaktionen der anderen zeigten ihm, dass er nicht als Einziger diesen Gedanken hatte. »Als wir das Ultimatum sahen, das die Aliens den Syndiks geschickt hatten, fanden wir doch, dass es sich wie etwas las, das von einem Menschen verfasst worden war. Von menschlichen Anwälten, nicht wahr?«, fragte er an Duellos gerichtet.

»Ja, richtig«, bestätigte der. »Es waren die Formulierungen in diesem Ultimatum, die uns auf diesen Gedanken brachten. Wenn die Aliens menschliche Anwälte gefangen halten, würde ich persönlich empfehlen, dass wir uns nicht weiter darum kümmern. Wir haben auch so schon genug Anwälte.«

»Die werden den Aliens einigen Schaden zufügen«, meinte Desjani. »Besser denen als uns.«

»Es gibt Schicksale, die sind sogar für Anwälte zu hart«, merkte Commander Landis von der Valiant an und fügte hinzu: »Mein Bruder ist Anwalt.«

»Herzliches Beileid«, kommentierte Duellos diese Äußerung.

»Ich glaube aber, seine Bemerkung spricht einen wichtigen Punkt an«, sagte Tulev ernst. »Wir haben es hier mit Syndiks zu tun. Die Frage muss gestellt werden, welches Risiko wir eingehen sollen, um sie zu retten. Wird es davon abhängen, ob sie als Sklaven gehalten werden?«, fragte er. »Oder als Versuchskaninchen?«

Jane Geary schüttelte den Kopf. »Es ist möglich, dass sie gar nicht so schlecht behandelt werden; zwar gefangen, aber in einer … na ja, in einer natürlichen Umgebung. In einer Stadt oder etwas Ähnlichem. Wenn die Aliens sich ein Bild davon machen wollen, wie wir auf unsere Umwelt reagieren, dann werden sie sich nicht ansehen, wie sich Menschen in einem Labor verhalten, sondern wie sie in einem natürlicheren Umfeld agieren.«

»Vielleicht werden einige gefangene Menschen von ihnen so behandelt«, räumte Tulev ein. »Aber die Zahl der Syndik-Bürger, die im Territorium der Aliens spurlos verschwunden sind, liegt zu hoch, als dass sie alle in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet werden können, es sei denn, sie haben einen ganzen Planeten für die Forschung reserviert.«

»Dann können wir uns ja auf die Suche nach diesem Planeten machen«, konterte sie.

»Ja, aber das ändert nichts am eigentlichen Argument. Ich schlage vor, wir suchen nach diesen Menschen. Sofern sie noch leben, und falls Captain Badayas Gedanke zu diesem Thema zutrifft, sollten wir sie befreien, auch wenn sie Syndiks oder deren Nachfahren sind.«

Dass Tulev so etwas sagte, war besonders bemerkenswert. Seine Heimatwelt war während des Kriegs von den Syndiks so massiv bombardiert worden, dass dort kein Leben mehr existieren konnte. Zudem waren alle seine Verwandten bei diesen Angriffen getötet worden.

»Nicht mal Syndiks haben ein solches Schicksal verdient«, pflichtete Armus ihm bei. »Außerdem können wir nicht ausschließen, dass sie auch ein paar Allianz-Bürger in ihre Gewalt gebracht haben. Ihre Schiffe könnten dank dieser verdammten Würmer bis auf unser Gebiet vorgedrungen sein, ohne von irgendwem bemerkt worden zu sein.«

»Das ist durchaus möglich«, sagte Badaya. »Wer würde dem bloßen Auge glauben, wenn die Sensoren nichts anzeigen? Und selbst wenn, wer würde dann diesen Leuten glauben? Nirgendwo wurde etwas registriert, das man als Beweis vorlegen könnte.«

»Auf welche Weise sollen Landemissionen durchgeführt werden?«, wollte der Befehlshaber der Revenge wissen. »Das normale Marines-Kontingent der Flotte ist bei solchen Missionen schnell überfordert.«

»General Carabali wird uns begleiten«, antwortete Geary. »Zusammen mit einem größeren Kontingent Marines. Die Flotte wird um mehrere Sturmtransporter für diese Marines erweitert, die auch genug Platz bieten, um Gefangene aufzunehmen, die wir im Gebiet der Aliens oder im Syndik-Territorium retten können.«

Armus verzog das Gesicht. »Jede Menge Marines. Die lebenden Sterne mögen uns beistehen, wenn die losgelassen werden. Sobald die auf einem Planeten sind, gibt es für sie kein Halten mehr.«

»Mit Carabali kommt man ganz gut zurecht«, meinte Duellos. »Jedenfalls für eine Marine.«

»Stimmt. Für eine Marine ist sie nicht allzu schwierig im Umgang«, fand auch Armus und schaute zu Geary. »Was genau wird eigentlich von uns erwartet, wenn wir in das Gebiet der Aliens vorgedrungen sind?« So wie das von ihm befehligte Schlachtschiff war auch Armus nicht der Schnellste, dafür neigte er aber dazu, eine Sache genau auf den Punkt zu bringen.

»Vor uns liegen vier grundlegende Aufgaben«, erklärte Geary. Die schriftlichen Befehle des Großen Rats waren ihm inzwischen zugeschickt worden und enthielten auch die von den Senatoren bereits ausgesprochenen widersprüchlichen Einschränkungen und Warnungen. »Wir sollen Kontakt mit den Aliens aufnehmen und eine Kommunikation etablieren.« Unwillkürlich sah er zu Desjani. »Kommunikation bezieht alle Methoden ein, allerdings nicht den Gebrauch von Waffen.«

»Unsere Höllenspeere haben ihr Interesse geweckt«, stellte Desjani fest.

»Das ist verdammt richtig«, pflichtete Badaya ihr bei.

»Stimmt«, sagte Geary, »aber wir müssen trotzdem andere Wege finden, um mit ihnen zu reden. Sofern das möglich ist. Die zweite Aufgabe verlangt von uns herauszufinden, wie schlagkräftig diese Aliens tatsächlich sind. Wenn wir mit ihnen verhandeln können, wird es uns vielleicht ermöglicht, diese Frage zu beantworten, ohne sie erst zu provozieren, damit sie ihr ganzes Arsenal auffahren.«

Duellos lehnte sich seufzend zurück. »Es wäre schön, wenn wir wüssten, wie viele Kriegsschiffe sie noch besitzen. Ich nehme an, wir sollen auch auskundschaften, über welche Waffen sie verfügen.«

Geary nickte. »Vorzugsweise ohne uns erst mit diesen Waffen beschießen zu lassen.«

»Wenigstens versucht die Regierung diesmal nicht wieder, das so billig wie möglich über die Bühne zu bringen«, meinte Tulev. »Immerhin bekommen wir für diese Mission den größten Teil der verbliebenen offensiven Kriegsschiffe.«

Badaya legte die Stirn ein wenig wichtigtuerisch in Falten. »Und was sollen wir noch erledigen, Admiral?«

Er zeigte auf das Sternendisplay. »Wir sollen uns ein Bild davon machen, wie groß das von den Aliens beanspruchte Gebiet ist. Wahrscheinlich werden wir dafür ziemlich tief in ihr Territorium vordringen müssen, was auch der Grund dafür ist, dass wir zusätzliche Hilfsschiffe mitnehmen. Ich beabsichtige, zügig vorzurücken und dabei die Grenzen des Alien-Gebiets zu bestimmen.«

Neesons Blick ruhte auf dem Sternendisplay. »Ich frage mich, was wohl hinter dem Gebiet liegt, das von den Aliens kontrolliert wird. Weitere intelligente, nichtmenschliche Spezies?«

»Das gehört zu den Dingen, die wir in Erfahrung bringen sollen.«

»Potenzielle Verbündete«, murmelte Badaya.

»Möglicherweise«, meinte Geary.

»Oder«, warf Armus mit säuerlicher Miene ein, »weitere Wespennester, die uns das Leben zur Hölle machen könnten. Sie sprachen von vier Missionen, Admiral. Ich habe bislang drei gezählt.«

»Über die vierte Mission haben wir bereits gesprochen.« Geary hielt inne um sicherzustellen, dass beim nächsten Thema alle wieder aufmerksam zuhörten. »Wir wissen, die Schiffe mit menschlicher Besatzung sind im von den Aliens kontrollierten Raum verschwunden. Wir wissen auch, dass es diesen Syndiks nicht möglich war, alle Sternensysteme komplett zu evakuieren, die sie auf Druck der Aliens räumen sollten. Was aus diesen Menschen geworden ist, weiß niemand.« Alle Augen waren auf ihn gerichtet, die Mienen waren wie versteinert, noch bevor Geary weiterreden konnte. »Wir werden dort Ausschau nach irgendwelchen Hinweisen auf diese Menschen halten, um festzustellen, ob sie dort gefangen gehalten werden und ob wir sie retten müssen.«

Ausgedehntes Schweigen schloss sich an, bis Shen schließlich fragte: »Obwohl sie Syndiks sind?«

»In diesem Fall«, sagte Tulev, »hat die Tatsache, dass es sich um Menschen handelt, Vorrang vor der politischen Ausrichtung dieser Leute.«

Shen nickte. »Wenn das Ihre Meinung dazu ist, werde ich mich nicht dagegen aussprechen.«

»Der Pragmatismus verlangt es von uns, auch wenn unsere Pflicht gegenüber den lebenden Sternen und die Ehre unserer Vorfahren es nicht von uns fordern«, merkte Duellos an. »Ganz gleich, um welche Art von Kreaturen es sich bei diesen Aliens handelt, wir können nicht zulassen, dass Menschen so behandelt werden.«

»Außer von anderen Menschen«, fügte Armus leise hinzu.

»Also … ja. Nur wir haben das Recht, unsere eigene Spezies schlecht zu behandeln. Es ist eine sonderbare Moral, aber etwas Besseres will mir auch nicht einfallen.«

Commander Landis von der Valiant meldete sich zu Wort. »Admiral, ich war so erleichtert wie alle anderen, als Sie uns sagten, dass die Nachricht des Hauptquartiers hinsichtlich der Anklagen gegen uns widerrufen worden ist. Aber mich wundert, dass diese Nachricht überhaupt erst verschickt wurde.« Er sah kurz zu Badaya, der ihm zunickte. Geary war sich nie ganz darüber im Klaren gewesen, ob Landis zu Badayas Gefolgsleuten gehörte, doch jetzt konnte er sich dessen recht sicher sein. Trotzdem hatte die Valiant bislang seine Befehle befolgt.

Er beschloss, auf eine Weise zu antworten, die der angespannten Atmosphäre entgegenwirkte und dabei so vage wie möglich war. »Glauben Sie mir«, sagte Geary übertrieben sarkastisch, »Sie waren nicht der Einzige, der davon überrascht wurde.« Ringsum waren mit unterschiedlichen Verzögerungen die Reaktionen der anderen Offiziere zu beobachten. »Befehle werden erteilt, aber manchmal dauert es eine Weile, bis die Leute darauf reagieren.« Die Doppeldeutigkeit dieser Worte sollte bewirken, dass diejenigen, die auf die Mitteilung überreagiert hatten, sich in Acht nahmen. »Und manchmal bekommen wir es mit widersinnigen Aktionen von Leuten zu tun, die es eigentlich besser wissen sollten. Ich kann Ihnen und jedem anderen versichern, dass alle es jetzt besser wissen.« Er musste seine Versprechen auf ein Minimum beschränken, da niemand zu sagen vermochte, welchen Unsinn man im Hauptquartier als Nächstes für eine gute Idee halten würde.

»Das Thema ist erledigt«, ergänzte Tulev. »Admiral Geary hat es uns soeben gesagt.«

»Die Lektion ist angekommen«, stimmte Badaya zu und schaute dabei zu Landis, der nur knapp nickte.

Geary wartete einige Minuten, um Gelegenheit für weitere Kommentare zu geben. Dann sah er, dass der Kommandant des Schweren Kreuzers Tetsusen sich erhob. »Admiral, es klingt so, als würden wir wieder für eine lange Zeit fernab von zu Hause unterwegs sein. Ich gebe unumwunden zu, dass ich nicht weiß, was ich von diesem Frieden erwarten soll, außer dass es angenehm ist, eine feste Vorstellung davon zu haben, was die Zukunft für uns vorsieht, nachdem so lange Unsicherheit darüber geherrscht hat, ob wir aus dem Militärdienst entlassen werden oder ob wir bis in alle Ewigkeit hier im Orbit um diesen Stern kreisen müssen. Aber, Sir, wir haben auch ein Zuhause und Familie. Werden wir die in Friedenszeiten genauso selten zu Gesicht bekommen wie im Krieg?«

Er antwortete schnell, weil er diese berechtigten Bedenken nach Kräften ausräumen wollte. »Commander, es ist meine Absicht, diese Flotte so lange und so häufig wie möglich im Allianz-Gebiet zu belassen, wie es unter den Umständen einer von außen drohenden Gefahr möglich ist. Diese Flotte wird noch einen Monat lang in diesem System bleiben, ehe sie sich auf den Weg macht, weil jeder von Ihnen eine Erholungspause verdient hat. Meiner Ansicht nach muss diese Flotte sich an einer Position befinden, von der aus sie gut und schnell auf Bedrohungen von außen reagieren kann. Sie darf nicht an einen einzelnen Ort gebunden sein, um von dort gegen diese Bedrohungen zu kämpfen. Das bedeutet, diese Flotte muss sich so oft wie möglich in ihrem Heimatsystem aufhalten.«

Es erschien ihm richtig, das zu sagen, und es musste auch das gewesen sein, was die Leute hören wollten, denn die anderen Offiziere nickten zustimmend, auch wenn Badaya fragend dreinblickte.

Geary ließ seinen Blick über den endlos erscheinenden virtuellen Konferenztisch schweifen, wobei er versuchte, mit jedem der Offiziere Blickkontakt herzustellen. »Ich fühle mich geehrt, die Gelegenheit zu bekommen, erneut Ihr Befehlshaber zu sein. Willkommen bei der Ersten Flotte. Bis auf Weiteres werden Sie die Aufgaben fortführen, die Ihnen aufgetragen wurden. Ich werde mich mit dem Status der Schiffe befassen und alle notwendigen Veränderungen vornehmen, damit wir in einem Monat bereit sein werden.«

Alle Offiziere standen auf, was aufgrund der Zeitverzögerungen zu den am weitesten entfernten Schiffen völlig ungeordnet erfolgte. Einige von ihnen würden erst in zehn Minuten aufstehen, aber ein jeder salutierte, dann löste sich sein Bild auf.

Die meisten virtuellen Teilnehmer verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, lediglich eine Gruppe von Offizieren blieb zurück. Als Geary genauer hinsah, erkannte er, dass es sich bei ihnen ausnahmslos um Befehlshaber der Kriegsschiffe der Callas-Republik und der Rift-Föderation handelte.

Captain Hiyen vom Schlachtschiff Reprisal salutierte auf eine fast zeremonielle Weise. »Admiral, auch wenn wir gegenwärtig weiter Teil der Allianz-Streitkräfte sind und daher unsere Zuteilung zur Ersten Flotte vorbehaltlos akzeptieren, rechnen wir dennoch damit, dass wir in nächster Zeit nach Hause zurückbeordert werden. Als ranghöchster Offizier des Kontingents der Callas-Republik und der Rift-Föderation möchte ich im Namen aller förmlich für die Ehre und die Gelegenheit danken, unter Ihrem Kommando gedient zu haben. Wir wissen, dass der Sieg und unser Überleben in vielen Schlachten zu einem großen Teil Ihrer Führung zu verdanken sind.«

Die übrigen Offiziere salutierten genauso schwungvoll wie Hiyen, woraufhin Geary die Geste erwiderte und dabei ein flüchtiges Lächeln nicht unterdrücken konnte. »Die Ehre war ganz meinerseits, weil ich die Gelegenheit hatte, so ausgezeichnete Schiffe und Crews wie Ihre in meiner Flotte zu haben. Ich werde immer für den Beitrag dankbar sein, den Ihre Republik und Ihre Föderation zu dem Sieg beigetragen haben, den wir gemeinsam erringen konnten.« Es betrübte ihn, auf diese Schiffe verzichten zu müssen, aber angesichts der politischen Umwälzungen wäre es dumm von ihm gewesen zu erwarten, dass dieser Pulk aus Kriegsschiffen weiter unter der Kontrolle der Allianz bleiben würde.

Die Offiziere verschwanden ebenfalls, und dann war Geary allein mit den Bildern von Badaya und Duellos sowie der real anwesenden Desjani.

Badaya lehnte sich zurück und schaute Geary forschend an. »Während Sie geredet haben, sind mir auf den privaten Kanälen diverse Bedenken zu Ohren gekommen. Nachdem Sie nun der Öffentlichkeit die offizielle Version präsentiert haben, Admiral, möchten einige Offiziere dieser Flotte ein paar Fragen an Sie richten, die beantwortet werden müssen

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