Vierzehn

Von Tartarus sprang die Flotte nach Hades, wo sie auf ein weiteres Hypernet-Portal stieß. Da dies die Frage aufwarf, ob sie womöglich das andere Ende des von den Enigmas beanspruchten Gebiets erreicht hatten, unternahmen sie einen weiteren Sprung nach Perdition. Dort war von den Enigmas nur wenig zu sehen, aber auch da gab es ein Hypernet-Portal. Ein Sprung vom gleichen Sprungpunkt, diesmal aber in einer Seitwärtsbewegung, brachte sie nach Gehenna, einem anscheinend recht wohlhabenden Sternensystem, das aber über kein Portal verfügte. »Sind wir irgendwie tiefer ins Enigma-Gebiet zurückgekehrt?«, überlegte Desjani, denn auch der nächste Sprung nach Inferno brachte sie in ein weiteres, seit langem besiedeltes System ohne Hypernet-Portal.

Bei jedem Sprung schlossen sich ihnen mehr und mehr Kriegsschiffe der Aliens an, die wie zuvor in gebührlichem Abstand der Flotte folgten. Mittlerweile war diese Armada bereits auf über sechzig Schiffe angewachsen.

Zwei weitere Sterne folgten, beide mit Hypernet-Portal. Die Flotte unternahm einmal mehr einen riskanten Spurt zum nächsten Sprungpunkt und gelangte zu einem Stern, der ebenfalls über ein Portal verfügte.

»Warum sollten wir noch weiter vordringen?«, wollte Armus wissen.

Geary deutete auf das Sternendisplay. »Wir sind nahe dem Punkt, an dem wir umkehren werden. Auf jeden Stern, den wir angeflogen sind, kommen im Durchschnitt drei oder vier, die wir übersprungen haben. Das vermittelt uns ein Bild von der Stärke der Enigmas, trotzdem reden sie noch immer nicht mit uns. Und wir können einfach nicht mehr über sie herausfinden, weil sie uns jedes Mal zuvorkommen, indem sie alles vernichten und jeden umbringen, der uns etwas verraten könnte.«

»Sie sagen das, als wäre das eine schlechte Sache«, murrte Captain Vitali, und fast jeder nickte zustimmend. Die Wut über die Gefallenen hatte noch zugenommen, nachdem sich herumgesprochen hatte, in welcher Verfassung sich die Menschen befanden, die von der Enigma-Rasse gefangen gehalten worden waren.

»Unser Auftrag lautet nicht, sie zu töten, auch wenn uns bislang viele von ihnen zum Opfer gefallen sind.« Geary zeigte auf einen Stern. »Das da ist unser nächstes Ziel. Es ist ein langer Sprung bis dahin. Wir werden sehen, was wir dort vorfinden. Danach machen wir kehrt, aber nicht auf dem Weg, den wir gekommen sind, sondern auf einer anderen Route, um diesem Rudel Kriegsschiffe zu entgehen, das uns auf Schritt und Tritt verfolgt. Wenn wir ihr Gebiet verlassen und sie erkennen können, dass wir uns in ihrem Territorium bewegt haben, ohne sie auslöschen zu wollen und ohne weiter in ihre Privatsphäre einzudringen, werden sie vielleicht in Erwägung ziehen, doch mit uns zu reden und eine feste Grenze zu akzeptieren.«

Dr. Shwartz seufzte frustriert. »Diese Grenze. Warum interessiert es sie nicht, dass wir mit ihnen über den Grenzverlauf reden wollen? Bei Ihren Gesprächen mit den Enigmas im Midway-System haben sie immer wieder betont, dass ihnen Midway ebenso gehört wie einige andere Sterne und dass wir kein Recht haben, uns dort aufzuhalten. Wenn sie schon in diesen Bahnen denken, sollten sie doch auch auf die Idee kommen, dass sie mit uns über einen von beiden Seiten akzeptierten Grenzverlauf reden können, der ihnen das Recht an den Sternensystemen garantiert, die sie nun für sich beanspruchen?«

»Es ist ein Widerspruch«, meinte Duellos. »Aber nur einer von vielen.«

Charban sah Shwartz an, als wollte er etwas sagen, was ihm soeben durch den Kopf gegangen war, aber schließlich versank er wieder in seinen Überlegungen.

»Wenn die mir eine Sache erklären sollten«, warf Badaya ein, »dann die, nach welchem Prinzip die ihre Hypernet-Portale verteilen. Dieser Gedanke, dass sie Superminen sind, die als letztes Abwehrmittel gegen Eroberer zum Einsatz kommen sollen, klang bei den ersten Portalen noch nach der überzeugendsten Erklärung. Aber was sollen dann diese Portale in den inneren Systemen? Und warum stoßen wir in Systemen in Folge auf sie, und dann klaffen wieder Lücken über Systeme hinweg?«

Commander Neeson meldete sich zu Wort: »Ich hätte eine Idee … oder besser gesagt: eine mögliche Erklärung.« Er deutete auf das Display. »Wenn wir es so betrachten, nämlich als dreidimensionale Darstellung, durch die sich unsere Route schlängelt, dann ist Captain Badayas Aussage zutreffend. Es scheint kein einheitliches System für die Verteilung der Portale zu geben. Aber es geht gar nicht nur um die Portale. Die Verteidigungsanlagen von Sternensystemen mit Hypernet-Portal sind ebenfalls wesentlich besser als in anderen Systemen. Ich habe versucht, das zu analysieren, indem ich die Daten in eine andere Form gebracht habe.« Die dreidimensionale Sternenlandschaft wich einer schlichten zweidimensionalen Grafik.

»Die X-Achse gibt die Entfernung an, die wir im Enigma-Gebiet zurückgelegt haben, die Y-Achse steht für das Maß an Verteidigungsanlagen im jeweiligen System. Die ersten Sternensysteme waren wie von uns erwartet massiv gerüstet. Das hier ist ihre Grenze zur Menschheit.« Neeson zeigte auf Spitzen in der Linie, die sich durch das Koordinatennetz zog. »Dann lässt die Verteidigungsfähigkeit nach, auch damit haben wir gerechnet. Die Aliens können es sich so wenig wie wir leisten, jedes Sternensystem maximal zu befestigen, also liegt der Schwerpunkt ihrer Verteidigung an den Grenzen.«

Neeson folgte der Linie und hob eine weitere Spitze hervor. »Aber hier finden wir zwei Sternensysteme, die wieder maßgeblich verteidigt sind, zwei Systeme, die mit Blick auf den Sprungraum Nachbarn sind. Dann kommen weitere Sterne ohne Portale, bis wieder Portale auftauchen, und zwar in zwei Systemen, die für jeden, der den Sprungraum benutzt, gleich nebeneinander liegen.«

Tulev merkte als Erster etwas dazu an: »Sozusagen mehrere Schutzwälle hintereinander? Aber die sind in keiner Weise einheitlich, und ich wüsste auch nicht, welchen Sinn das haben soll, so weit von ihrer Grenze entfernt wieder eine Verteidigungslinie einzurichten.«

»Weit entfernt von ihrer Grenze zu uns«, betonte Neeson. »Wir sehen diese Enigma-Rasse die ganze Zeit über als eine geschlossene Einheit an. Aber wenn das hier von Menschen bewohntes Gebiet wäre, wie würden wir dann solche Verteidigungseinrichtungen interpretieren, die gegeneinander gerichtet sind? Wie würde die Grenze zwischen Allianz und Syndikatwelten auf einen Spähtrupp aus Aliens wirken?«

Fast hätte sich Geary mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. »Die sind gar nicht geeint.«

»Innere Grenzen«, stimmte Tulev ihm zu. »Interne Abwehr gegen Angehörige ihrer eigenen Spezies. Die Enigmas sind so wenig eine geschlossene Einheit wie die Menschen. Und wenn man danach geht, wie oft wir auf solche Verteidigungsvorrichtungen gestoßen sind, dann bilden sie viel mehr für sich lebende Gruppen als die Menschen.«

»Wieso sind wir die ganze Zeit über davon ausgegangen, dass sie ein geeintes Volk sind?«, wunderte sich General Carabali. »Mir ist nämlich gerade aufgefallen, dass ich immer stillschweigend davon ausgegangen bin.«

»Vermutlich weil wir so wenig über sie wissen«, meinte Neeson. »Wir mussten irgendwie unsere Wissenslücken füllen, die in diesem Fall schließlich sehr groß sind. Also sind wir von etlichen Annahmen und Mutmaßungen ausgegangen, und um es uns so einfach zu machen wie möglich, haben wir eine geschlossene Einheit vermutet.«

General Charban nickte. »Das hat es auch emotional einfacher gemacht, nicht wahr? Der Feind. Die Enigma-Rasse. Ich glaube, Ihr Offizier hat eine sehr wichtige Entdeckung gemacht, Admiral, die in der dreidimensionalen Darstellung nicht offensichtlich wurde. Aber aus der richtigen Perspektive betrachtet, wird es offensichtlich. Vielleicht können wir uns die fehlende Einheit dieser Spezies zunutze machen.«

Duellos seufzte leise. »General, ich würde mich freuen, wenn es so wäre, aber wir haben beobachten können, wie die Verfolgergruppe aus Schiffen der Aliens mit jedem Sternensystem größer geworden ist. Wir haben uns nichts dabei gedacht, dass sich in jedem System ein paar mehr Schiffe dieser Gruppe anschließen, weil das zu unserer Vorstellung von einer geeinten Spezies passt. Aber bei einer geteilten Spezies hätten die Schiffe die Verfolgung in dem Moment einstellen müssen, als wir ihr Gebiet verlassen haben. Im nächsten System hätten uns dann wieder neue Schiffe verfolgen müssen. Aber genau das passiert nicht. Stattdessen werden es immer mehr Kriegsschiffe, die uns von Stern zu Stern folgen. Das heißt, sie mögen zwar untereinander zerstritten sein, aber so schlimm kann es nicht sein, sonst wären sie sich nicht so einig darin, geschlossen gegen uns vorzugehen.«

»Auch das sollte uns nicht überraschen«, warf Bradamont ein. »Die Allianz-Flotte hat ein System der Syndikatwelten gegen die Enigma-Rasse verteidigt. Wir haben uns mit anderen Menschen verbündet, mit denen wir unter anderen Umständen niemals kooperieren würden. Die Aliens können sich untereinander vielleicht nicht so gut leiden, dass sie alle eine große Familie sein wollen, und es mag auch sein, dass sie sich gegenseitig bekämpfen, aber wir sind ihnen noch viel unsympathischer.«

Charbans Miene war während der Beiträge von Duellos und Bradamont noch ernster geworden, und schließlich schüttelte er nachdrücklich den Kopf. »Aber als Sie den Aliens bei Midway begegnet sind, da schienen sie nicht begreifen zu können, wieso Sie ein Sternensystem der Syndiks verteidigen. Das macht nicht den Eindruck, als ob sie das Konzept verstehen, dass ehemalige Gegner auf einmal gemeinsam handeln können.«

»Und dennoch scheinen sie gegen uns gemeinsam vorgehen zu können«, sagte Geary. »Dann kann dieses Konzept ihnen nicht völlig fremd sein.«

»Sie dachten auch, wir und die Syndiks würden die Hypernet-Portale benutzen, um uns gegenseitig auszulöschen, weil wir Feinde waren«, merkte Carabali an. »Aber wir haben kein System im Enigma-Gebiet entdeckt, in dem die Enigmas ihre Portale dazu genutzt haben, um andere Angehörige ihrer Spezies zu vernichten.«

»Sie haben den Menschen nur das Schlechteste zugetraut«, warf Commander Shen in einem nachdenklichen Tonfall ein, der so gar nicht zu seiner üblichen mürrischen Miene passte. »Ist das Voreingenommenheit? Halten sie uns für minderwertig? Oder basiert diese Haltung der Aliens darauf, dass sie zuvor nur mit den Führern der Syndikatwelten zu tun hatten?«

Neeson schaltete wieder um auf das Sternendisplay. »Vielleicht gehen sie auch einfach davon aus, dass wir uns in jeder Hinsicht grundlegend von ihnen unterscheiden. Wir haben angenommen, eine geeinte Spezies vor uns zu haben. Wieso? Weil wir dachten, dass Aliens sich grundlegend von uns unterscheiden, und weil Menschen nun mal Schwierigkeiten haben, gut miteinander auszukommen …«

»… müssten die Aliens eine große, glückliche, wenn auch ein bisschen paranoide Familie sein«, führte Duellos den Satz zu Ende. »Ja, richtig. Es ist gefährlich, wenn wir uns auf irgendwelche Annahmen verlassen, was die Aliens betrifft. Gleichzeitig können wir aber mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass sie Annahmen über uns aufgestellt haben. Sie haben den Krieg zwischen uns und den Syndiks beobachtet, sie haben dabei grenzenloses Zerstören und Morden gesehen. Das und dieser scheinbar niemals endende Konflikt könnte die Aliens zu der Überzeugung gebracht haben, dass verschiedene Gruppen von Menschen auf keinen Fall miteinander kooperieren können. Ganz im Gegensatz zu ihnen selbst. Das wäre eine plausible Denkweise.«

Gearys Blick ruhte wieder auf dem Sternendisplay. »Vielleicht sind wir genau falsch herum vorgegangen und haben sie durch das Eindringen in ihr Gebiet dazu gebracht, sich gegen unsere mutmaßliche ›Invasion‹ zusammenzuschließen. Die Alien-Streitmacht, die Midway angegriffen hat, war wesentlich größer als alles, was wir auf dieser Mission bislang gesehen haben. Das heißt, es könnte sich um eine Koalition oder Allianz aus verschiedenen Enigma-Gruppen gehandelt haben. Der Fehlschlag, Midway zu erobern, könnte das Ende dieser Koalition herbeigeführt haben, aber jetzt findet sie möglicherweise wieder zusammen.«

»Wenn sie schon einmal geschlossen gegen uns vorgegangen sind«, sagte Duellos, »dann hätten sie das früher oder später ohnehin wiederholt, ohne Rücksicht darauf, ob diese Flotte in ihr Territorium eingedrungen ist.«

Badaya lachte rau auf. »Wie sollen wir die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Gruppen zu unseren Gunsten nutzen, wenn keiner von denen mit uns reden will? Es gibt einen Punkt, in dem sie sich von uns Menschen unterscheiden. Würde eine Alien-Flotte durch ein von Menschen besiedeltes Sternensystem fliegen, dann würden die Leute versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, Einzelpersonen genauso wie ganze Gruppen. Alle Politiker, die darauf aus sind, sich zu beschützen, oder die sich einen anderen Vorteil davon versprechen. Wir kapitulieren! Tut uns nichts! Können wir uns irgendwie einig werden? Brauchen Sie Vorräte? Und haben Sie Geld? Ich hasse diese Leute da drüben auch – können wir nicht gemeinsame Sache machen? Die Aliens wüssten gar nicht, auf welche Anfrage sie zuerst reagieren sollten!«

Captain Shen war bei den Konferenzen meistens ein schweigsamer Teilnehmer, nun jedoch meldete er sich ein zweites Mal zu Wort und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Display. »Vermutlich haben sie Zeit und Mühe investiert, um die Menschen zu erforschen. Das Problem ist, dass wir im Gegenzug viel zu wenig über sie wissen. Während sie für uns unsichtbar durch unser Gebiet gezogen sind, müssen sie ungeheure Datenmengen zusammengetragen haben. Wie werten sie diese Daten aus, wie filtern sie sie und welche Schlüsse ziehen sie daraus?«

»Einer unserer ersten Hinweise auf ihre Existenz«, fügte Geary an, »war ein aufgebrochener Safe in einem von den Syndiks aufgegebenen Sternensystem. Das muss Teil der Bemühungen der Enigmas gewesen sein, Daten über uns zu sammeln. Vielleicht dachten sie ja aufgrund ihrer eigenen verschlossenen Art, dass die Wahrheit über uns irgendwo in Tresoren versteckt aufbewahrt wird, und nicht für jeden offen erkennbar ist.«

»Wenn sie die Wahrheit über uns herausfinden«, meinte Shen, »dann hoffe ich, dass sie uns an ihren Erkenntnissen teilhaben lassen. Ich kenne nämlich nur wenige Leute, die zu dem Thema die gleiche Meinung haben. Ich unterstütze den Vorschlag, ins Allianz-Gebiet zurückzukehren, weil ich keinen Sinn darin sehe, noch tiefer in das Territorium der Enigmas vorzudringen. Allerdings möchte ich noch eine Anmerkung zu Commander Neesons Überlegung machen. Wenn Hypernet-Portale der Verteidigung gegen ein benachbartes System dienen, dann wundert mich, wieso wir jetzt in Folge drei Sternensysteme gesehen haben, die alle über ein Portal verfügen.«

»Das könnte eine andere Grenze bedeuten«, sagte Neeson.

»Genau. Und zwar eine, bei der die Enigma-Rasse eine besonders massive Verteidigung für notwendig hält.«

Ein Alarm ertönte, das über dem Tisch schwebende Display wechselte die Ansicht und zeigte das System, in dem sie sich derzeit befanden. »Fünfzig weitere Enigma-Kriegsschiffe sind soeben eingetroffen«, kommentierte Desjani. »Bei über hundert Schiffen könnten sie glauben, dass das genügt, um uns anzugreifen.«

Geary nickte und nahm sich Zeit, die richtigen Worte zu wählen. Er konnte nicht verkünden, dass die Allianz-Streitmacht einem Kampf aus dem Weg gehen oder sich aus diesem System zurückziehen wollte, weil das für die über hundert Jahre entwickelte Einstellung innerhalb der Flotte immer noch zu schwierig zu erfassen war. »Wenn sie sich nähern, werden wir uns um sie kümmern. Aber ich werde nicht dasitzen und darauf warten, dass sie angreifen. Wenn dieses System an einer Grenze liegt, dann könnte es sich um eine Grenze zwischen den Enigmas und einer anderen intelligenten Spezies handeln. Falls die nicht mit den Enigmas klarkommt, stellt sie für uns einen natürlichen Verbündeten dar. Wir machen nach Plan weiter, und wenn sie uns weiterhin verfolgen wollen, können sie das gern tun.«

Desjani lehnte sich zurück und sah ihn kurz an, dann wanderte ihr Blick zu Duellos, und als er sie anschaute, nahm sie eine Hand in einer unauffälligen Geste zur Seite, die nur jemandem auffallen konnte, der sich ganz auf sie konzentrierte.

Einen Moment später nickte Duellos verstehend. »Admiral, darf ich vorschlagen, dass die Flotte ein vorausgeplantes Ausweichmanöver fliegt, sobald wir den Sprungraum verlassen? Wir haben immerhin Grund zu der Annahme, dass uns in dem System irgendetwas erwarten könnte.«

»Guter Gedanke. So machen wir’s.«

Admiral Lagemann hatte an der Konferenz ebenfalls teilgenommen, er vertrat die von Dunai befreiten Gefangenen. Es war eine Geste des guten Willens von Geary gegenüber den Offizieren, die nicht von Zeit zu Zeit versuchten, ihm das Kommando über die Flotte streitig zu machen. Nachdem fast alle anderen den Konferenzraum verlassen hatten, blieb Lagemann noch zurück. »Ich kann nicht leugnen, dass ich froh sein werde, wenn wir die Heimreise antreten. Viele von uns können es kaum erwarten.«

Duellos war auch noch geblieben und sah den Mann verwundert an. »Wieso nur viele von Ihnen? Wieso nicht alle?«

»Weil wir genug darüber gehört haben, was uns zu Hause erwartet. Der Krieg ist vorbei, das Militär wird verkleinert. Da werden wir gleich nach unserer Rückkehr in den Ruhestand geschickt.« Lagemann lächelte ein wenig bedrückt. »Das ist nicht so ganz die Zukunft, an die wir uns geklammert haben, um das Arbeitslager zu überstehen. Wir dachten, wir entkommen ihnen irgendwie und führen dann die Flotte oder die Bodentruppen zu bedeutenden Siegen. So, wie Black Jack von den Toten zurückkehrt.« Er grinste Geary an. »Tut mir leid. Ist eine alte Redewendung.«

»Und nicht die erste, die mir zu Ohren kommt«, erwiderte Geary.

»Aber«, fuhr der Admiral fort, »ich glaube, die Mehrheit wird damit zufrieden sein, wie sich die Dinge entwickelt haben. Natürlich gibt es viele, die mit der neuen Situation wohl nicht glücklich werden und die versuchen werden, die Dinge zu ändern und die Regierung zu kritisieren. Ich muss zugeben, ich kann nicht nachvollziehen, warum die Regierung unsere Befreiung zur Priorität erklärt hat. Wenn wir heimkommen, werden wir für eine Menge Probleme sorgen, aber zumindest haben Sie das um einige Monate hinausgezögert, indem Sie uns auf diese Mission mitgenommen haben.«

Ein Gedanke ging Geary durch den Kopf, und er konnte nur hoffen, dass ihm nichts anzumerken war. Warum mussten wir die Gefangenen befreien, bevor wir die Enigmas aufgesucht haben? Warum wollte die Regierung, dass sie uns auf einer Mission voller unbekannter Gefahren begleiten, bei der Schiffe verloren gehen können? Wenn etwas geschieht und wir werden aufgehalten, wenn wir Schiffe verlieren, wenn es zu einer Katastrophe kommt … dann bin ich nicht die einzige lästige Person, die der Regierung keinen Kummer mehr bereiten kann.

Navarro hätte so was nicht inszeniert, Sakai wohl auch nicht. Aber wer hofft auf einen solchen Ausgang? Welche Person in der Regierung hätte ein Interesse daran? Und wer im Flottenhauptquartier, das ganz sicher genau wie die Regierung keine Lust hat, sich mit Scharen von heimgekehrten Senioroffizieren herumzuschlagen?

Rione wusste, dass das Teil dieses Befehls war. Deshalb auch ihr fassungsloser Blick, als sie erkennen musste, dass ihr Ehemann ebenfalls in dieses Komplott reingerissen worden war. Aber soweit ich weiß, hat sie nichts getan, um den Plan voranzutreiben. Sie ist zwar keine große Hilfe, aber sie sabotiert uns zumindest auch nicht.

Die einzelnen Teile des Puzzles begannen langsam, sich zusammenzufügen, aber das Bild, das sie bildeten, gefiel ihm gar nicht.

Der folgende Sprung machte es erforderlich, aus den Sprungantrieben alles herauszuholen, um eine etwas größere Reichweite zu erzielen. Die Flotte setzte zum Sprung an, während sich hinter ihr mit einer Lichtstunde Abstand die beiden Enigma-Gruppen zusammenschlossen.

»Kann ich Sie sprechen, Admiral?« General Charban setzte sich auf den Platz, auf den Geary deutete, dann sah er sich in dessen Quartier um. »Viel ist es nicht, aber es ist trotzdem ein Zuhause, nicht wahr? Schon eigenartig, wie vertraut einem ein rein zweckmäßiges Quartier oder der Komplex eines Hauptquartiers werden kann, stimmt’s? Menschen können überall zu Hause sein, wo sie gerade sind. Ich habe da eine Idee, Admiral Geary«, wechselte er abrupt das Thema. »Es ist vielleicht eine Möglichkeit, auf der Grundlage von einvernehmlichem Eigeninteresse zu einer Einigung mit der Enigma-Rasse zu gelangen.«

»Ich bin ganz Ohr«, erwiderte Geary.

»Ich habe über ein paar Dinge nachgedacht, unter anderem auch darüber, was Dr. Shwartz bei unserer letzten Flottenkonferenz über die Widersprüche zwischen den Erklärungen der Aliens und ihrem Handeln gesagt hat. Es könnte sein, dass wir bei der Auslegung dieser Worte einen grundlegenden Fehler gemacht haben, indem wir annahmen, dass die Erklärungen der Enigmas ihrer tatsächlichen Motivation entsprechen.«

Geary stützte das Kinn auf seine Hand und sah Charban an. »Warum sollten sie uns belügen und sagen, dass sie das eine wollen, während sie in Wahrheit etwas ganz anderes wünschen?«

Charban lächelte flüchtig. »Wenn Sie zu den Männern und Frauen sprechen, die in der Flotte dienen, reden Sie dann von Kosten-Nutzen-Relationen, von der Notwendigkeit, die Tantiemen der Aktionäre zu steigern oder die Regierungsausgaben zu verringern? Oder sagen Sie ihnen das, was Ihrer Ansicht nach für diese Leute wirklich zählt?«

Nachdem er kurz über diese Frage nachgedacht hatte, entgegnete Geary: »Sie glauben, die Enigmas haben uns bei Midway eine eigens entwickelte Erklärung für ihr Verhalten geliefert, von der sie dachten, wir würden sie verstehen oder akzeptieren?«

»Ja. Jeder außenstehende Agent, der den Krieg mitverfolgt hat, muss zwangsläufig erkannt haben, mit welcher Verbissenheit wir um die Kontrolle über Sternensysteme gekämpft haben. Um die Kontrolle über Territorium. Etwas zu besitzen, ist uns wichtig, auch wenn es für die meisten Menschen gar nicht das Allerwichtigste darstellt. Ich glaube, die Enigmas liefern uns seit Midway die eine Rechtfertigung für ihr Verhalten, von der sie glauben, dass wir sie für plausibel halten. Anstatt ihre wahren Gründe zu nennen, haben sie uns das erzählt, was wir ihrer Meinung nach hören wollten.«

Der General beugte sich vor und fuhr eindringlicher fort. »Bedenken Sie, wie verschlossen sie sind, wie sie nichts über sich enthüllt sehen wollen. Warum sollten sie uns bei Midway den wahren Grund für ihr Auftauchen nennen? Warum sollten sie uns sagen, was sie wirklich wollen?«

»Gute Frage.«

»Ich bin auf diese Überlegung gestoßen, als ich über die Menschen nachgedacht habe, die von der Enigma-Rasse festgehalten wurden«, redete er weiter. »Aus menschlicher Sicht war nichts daran überraschend, dass die Aliens mehr über uns erfahren wollen. Aber war das das wahre Motiv? Haben sie das Verhalten von Menschen nur erforschen wollen, weil sie neugierig sind, oder wollen sie mehr über uns wissen, weil sie uns als Bedrohung ansehen?«

Geary nickte bedächtig. »Aus menschlicher Sicht würde beides zutreffen, und selbst wenn klar wäre, dass keine Gefahr von einer anderen intelligenten Spezies ausgeht, würden wir mehr über sie erfahren wollen.«

»Weil wir neugierig sind.« Charban beugte sich noch etwas weiter vor. »Vor einiger Zeit gab es bei einer Konferenz diese Diskussion über die Besessenheit der Menschen, wenn es um Sex geht. Das ist tatsächlich ein wesentlicher Teil unseres Wesens. Und dann kämpfen wir natürlich noch um Eigentum und um andere Dinge. Aber es gibt noch eine andere Eigenschaft, die für uns Menschen typisch ist. Wir sind neugierig. Wir wollen immer mehr wissen. Was finden wir im nächsten Sternensystem? Wie funktioniert dies und jenes? Warum verhält sich das Universum so und nicht anders? Es ist egal, wie viel wir dazulernen, wir wollen immer noch mehr wissen. Wir stellen uns jeder Sache mit der Absicht, mehr über sie zu erfahren. Was ist aber die wesentliche Eigenschaft der Enigma-Rasse, die wir bislang bei ihr ausmachen konnten?«

»Die Besessenheit, nichts über sich zu verraten.« Geary atmete tief durch. »Wir wollen mehr wissen, und sie wollen nicht, dass jemand etwas über sie weiß. Materie und Antimaterie. Wir sind sozusagen ihr schlimmster Albtraum. Haben sie uns deshalb angegriffen?«

»Möglicherweise. Ich habe mir die Aufzeichnungen angesehen, die die Syndiks uns überlassen haben«, fuhr Charban fort. »Soweit ich das erkennen kann, haben sich die Syndiks der Enigma-Rasse nicht gerade unter dem Motto genähert: ›Wir werden euch in Ruhe lassen.‹ Sie haben das gemacht, was alle Menschen machen. Sie haben ihre Forschungsmissionen ins Gebiet der Enigmas geschickt, ohne etwas von deren Existenz zu ahnen. Sie errichteten Basen und Kolonien, sie breiteten sich immer tiefer in deren Gebiet aus. Als die Syndiks dann von den Aliens erfuhren, wollten sie mehr über sie herausfinden. Sie wollten mit ihnen reden, und möglicherweise haben sie auch deren Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit auf die Probe gestellt. Im Prinzip das Gleiche, was wir auch gemacht haben. Wir haben ihnen gesagt, wir wollen mit ihnen reden und sie kennenlernen – also genau das, was sie an uns überhaupt nicht mögen. Sehen Sie nur an, was wir getan haben. Wir sind auf einer Forschungsmission, um etwas über sie herauszufinden, aber was für uns ein ganz normaler Wunsch ist, stellt für die Enigma-Rasse einen aggressiven Akt dar.«

»Und wenn wir versprechen, sie in Ruhe zu lassen?«, fragte Geary. »Wenn wir sie völlig ignorieren? Wenn wir versuchen, nie wieder in ihr Territorium einzudringen? Wenn wir nichts mehr über sie herausfinden wollen, wenn wir nie wieder Kontakt mit ihnen aufnehmen?«

»Einen Versuch wäre es wert. Aber da sind noch zwei Punkte zu beachten. Zunächst müssen wir ihnen zu verstehen geben, dass unsere Neugier niemals gestillt wird, solange wir glauben, dass sie immer noch Menschen in ihrer Gewalt haben. Dann werden wir weiter nach ihnen suchen. Wenn sie wollen, dass wir so tun, als würde das Universum dort enden, wo ihr Territorium beginnt, müssen sie jeden Menschen freilassen, der noch bei ihnen festgehalten wird.«

»Hervorragende Idee«, fand Geary.

»Danke, aber ich sollte wohl besser erwähnen, dass meine Kollegin mir dabei behilflich war.« Charban hielt inne und verzog den Mund, als hätte er eben etwas unappetitlich Schmeckendes runtergeschluckt. »Der zweite Punkt: Die Enigmas haben sich entschlossen, militärische Optionen gegen uns einzusetzen. Ich halte es für möglich, dass sie auch weiter nach militärischen Lösungen suchen werden, bis wir ihnen gezeigt haben, dass sie so nicht siegen können.«

»Das funktioniert ja nicht mal bei allen Menschen. Es gibt genügend von der Art, auf die man einprügeln kann und die trotzdem gleich darauf wieder vor einem steht, um sich die nächste Abreibung abzuholen.«

»Ja, das ist eine unserer besonders irrationalen Verhaltensweisen, mit der Realität umzugehen. Aber das sind die Enigmas. Die treibende Kraft scheint bei ihnen nicht dem Überleben oder dem Siegen zu dienen, sondern der Wahrung ihrer Geheimnisse. Zeigen Sie ihnen, dass sie das mit militärischer Gewalt nicht erreichen werden, und es könnte sie zum Umdenken bewegen.«

Geary betrachtete das Display über dem Tisch in seinem Quartier und schaltete auf das letzte Bild des Sternensystems um, aus dem sie den Sprung in Richtung des vor ihnen liegenden Systems unternommen hatten. Es zeigte einhundertzehn Enigma-Kriegsschiffe, die die Allianz-Flotte verfolgten. »Es könnte sein, dass wir wieder kämpfen und möglichst viele von diesen Schiffen zerstören müssen.«

»Ja.« Charban nickte Geary zu. »Sie betrachten das so wie ich als eine traurige Notwendigkeit. Victoria sagte bereits, Sie würden so reagieren.«

»Hat Victoria Rione sonst noch etwas gesagt?«

Charban legte die Stirn in Falten. »Nein. Sie meinte nur, ich sollte mit Ihnen reden, Admiral. Ich weiß, ich bin weit davon entfernt, die am besten qualifizierte Person für diese Aufgabe zu sein. Ich frage mich manchmal, wieso sie mir überhaupt aufgetragen wurde und ob …«

»… und ob jemand will, dass wir scheitern?«

»So weit bin ich mit meinen Verdächtigungen nicht gegangen, Admiral. Einige von den Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, würden so etwas niemals machen.«

»Aber andere schon?« Er musste an Riones seltsame Warnung denken. Viele Gehirne, die alle versuchten, eine einzelne plumpe Hand zu bewegen.

»Vertrauen Sie meiner Kollegin, Admiral?«, fragte Charban ihn.

»Ja.« Aber mir sind schon früher Fehler unterlaufen. Ich will hoffen, das ist diesmal nicht der Fall. »Ich bin froh, dass Sie mir von dieser Idee erzählen, General. Mit den zivilen Experten können wir erst darüber reden, wenn wir den Sprungraum verlassen haben, aber nehmen Sie mit ihnen bitte sofort Kontakt auf, sobald wir das nächste System erreichen. Arbeiten Sie zusammen eine Möglichkeit aus, wie wir uns den Enigmas verständlich machen können.«

Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.

Das Letzte, was man beim Verlassen des Sprungraums hören wollte, war das hektische Gellen der Alarmsirenen, während Gefechts- und Steuersysteme ihre Warnungen hinausschrien, obwohl die Menschen sich erst noch orientieren mussten. Geary hielt sich fest, als die Dauntless sich dem vorprogrammierten Ausweichbefehl entsprechend seitlich nach oben bewegte, und versuchte, Herr zu werden über die Mischung aus Bewegungsstress und Desorientierung als Folge des Auftauchens aus dem Sprungraum.

»Verdammt noch mal!«, keuchte Desjani, die den Bruchteil einer Sekunde schneller als Geary wieder ihre Sinne unter Kontrolle hatte.

Er brauchte noch einen Moment länger, während er zu begreifen versuchte, was er da eigentlich sah. »Was zum Teufel ist denn das?«

Auf dem Kurs, der die Flotte eigentlich auf geradem Weg aus dem Sprungpunkt herausgeführt hätte, befand sich in einer Entfernung von nur einer Lichtminute ein riesiges, massives Objekt. Die Gefechtssysteme hatten bereits die gesamte Oberfläche des Dings mit Warnsymbolen übersät, trotzdem kamen unentwegt neue Symbole dazu, da laufend weitere Bedrohungen identifiziert wurden. Geary kniff die Augen zusammen und las noch einmal die Einschätzung der Gefechtssysteme zur Schildstärke des Leviathans. Er wollte die Werte nicht glauben, die ihm da angezeigt wurden.

Eine der Wachhabenden lieferte die Antwort auf Gearys Fragen, ihre Stimme verriet ihre Fassungslosigkeit: »Es weist die Größe und Masse eines kleinen Planeten auf, Admiral. Sein Orbit ist fest mit dem Sprungpunkt verbunden. Entweder haben sie einen Planeten in eine Festung umgewandelt und hierher versetzt, oder aber sie haben hier etwas derart Großes hingebaut.«

Desjani schüttelte den Kopf. »Hätten wir nicht das Ausweichmanöver programmiert, wäre die Flotte dem Ding viel zu nah gekommen, um noch reagieren zu können. Das einzig Gute …«

Weiter kam sie nicht, da die Gefechtssysteme einen neuen Alarm ausgelöst hatten.

Geary sah verständnislos mit an, wie ein Teil der Planetenoberfläche ihnen entgegenzuspringen schien. Dann erst erkannte er, dass es sich in Wahrheit um einen dichten Schwarm aus kleinen Schiffen handelte, die in so großer Zahl auf die Allianz-Flotte zugerast kamen, dass sie zeitweise die Sicht auf die Festung hinter ihnen nahmen. »Wie viele sind das?«

Es kam keine Antwort, und als sich Desjani auf ihrem Platz umdrehte und ihrer Gefechtswachhabenden einen energischen Blick zuwarf, konnte Lieutenant Castries nur den Kopf schütteln. »Die Systeme rechnen noch. Schätzung bei mehr als zweihundert … mehr als vierhundert … mehr als achthundert …« Castries schnappte nach Luft. »Schätzung stabilisiert sich bei neunhundert plus minus zehn Prozent.«

Auch Desjani konnte nur nach Luft schnappen, dann sah sie Geary an. »Neunhundert«, wiederholte sie in nüchternem Tonfall.

»Plus minus zehn Prozent«, ergänzte er und wunderte sich, dass ihm in diesem Moment sein Humor nicht einfach den Dienst verweigerte. »Irgendeine Idee, was das sein soll?«

»Wenn es Raketen sind, dann sind sie verdammt groß.« Desjani tippte auf ihr Display. »Sie beschleunigen sehr schnell. Ich frage mich, ob sie bemannt sind oder automatisch gelenkt werden.«

»Sie sind ungefähr doppelt so groß und doppelt so schwer wie unsere standardmäßigen Schnellen Angriffsschiffe«, meldete die Gefechtswachhabende. »Da ist Platz genug für eine Besatzung.«

»Oder Platz genug für sehr große Sprengköpfe.« Desjani zeigte auf ihr Display. »Sie könnten aus Sprengkopf und Antriebseinheit bestehen. Wenn sie weiter so beschleunigen …«

»… werden wir ihnen nicht entkommen können«, führte Geary den Satz zu Ende und nahm eine neue Einschätzung der Steuersysteme vor, aber das Ergebnis war identisch. »Jedenfalls nicht, wenn sie so dicht beisammenbleiben und diese Geschwindigkeit beibehalten.«

Der Rest der Flotte hatte inzwischen den Sprungpunkt verlassen und das gleiche Flugmanöver wie die Dauntless ausgeführt. »An alle Einheiten: Hier spricht Admiral Geary. Bei Zeit vier eins drehen Sie null acht null Grad nach Backbord und gehen auf maximale Beschleunigung.« Damit würden zumindest die Unterformationen der Flotte in einer langen Kolonne vor der Streitmacht der Aliens davonfliegen, was ihm Zeit gab, sich eine Lösung auszudenken, die imstande wäre, die Flotte vor schweren Verlusten zu bewahren. Seine Augen erfassten ein detailliertes Bild des fremden Schiffs, das von den Flottensensoren zusammengesetzt und an den Rand des Displays platziert worden war. Anders als die schildkrötenförmigen Schiffe, denen sie bislang überall begegnet waren, handelte es sich hier um einen simplen Zylinder mit gerundetem Bug. Eine Art Antriebseinheit nahm die gesamte untere Hälfte in Anspruch, einige flache dünne Grate zogen sich über die Oberfläche und enthielten vermutlich Sensoren. Und dazu die Festung von der Größe eines Planeten … »Das ist nicht schön«, sagte er zu Desjani. »Aber nichts davon sieht nach den Enigmas aus.«

»Nein, ganz und gar nicht. Wenigstens gibt es hier kein Hypernet-Portal.«

»Wenigstens etwas.« Sie konnten also versuchen, den Sprungpunkt so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, ohne sich Gedanken über die Bedrohung zu machen, die von einem Portal für sie ausgegangen wäre. Aber wenn das hier keine Enigmas waren … »Könnte es sein, dass wir ein von Menschen besiedeltes System entdeckt haben? Irgendeine Gruppe, die ins Enigma-Gebiet geraten ist und so lange vor ihnen fliehen musste, bis sie auf ein Sternensystem außerhalb dieses Territoriums stieß?«

Desjani schaute zu ihrem Maschinenwachhabenden. »Was meinen Sie, Master Chief?«

Gioninni schüttelte den Kopf. »Nein, Captain. Nichts von dem, was wir da sehen können, erinnert in irgendeiner Weise an menschliches Design. Außerdem wäre die industrielle Grundlage, um eine solche Festung zu bauen und zu betreiben, so gewaltig, dass menschliche Kolonisten so etwas nicht innerhalb von ein paar Jahrzehnten auf die Beine stellen könnten. Dafür hätten sie schon einige Jahrhunderte lang völlig isoliert hier leben müssen. Und wie sollen sie vor so langer Zeit so weit gekommen sein? Mag sein, dass das keine Enigmas sind, aber ich kann da auch nichts entdecken, was mich an menschliche Erbauer denken lässt.«

»Haben wir irgendeine Nachricht von ihnen erhalten?«, fragte Geary. »Die Zeit sollte ausreichen, um uns von dieser Festung aus irgendeine Drohmitteilung zu senden.«

Der Komm-Wachhabende antwortete ihm: »Nein, Admiral. Kein Wort, von dem wir sagen könnten, dass es für uns bestimmt ist. Und auch nichts, das einen Hinweis auf ihre Identität enthält. Wir empfangen eine Menge Komm-Verkehr, aber der ist massiv verschlüsselt.«

»Ist alles verschlüsselt?«, wollte Desjani wissen.

»Ja, Captain. Zivile Kommunikation können wir nicht auffangen. Das ist alles militärische Verschlüsselung. Zumindest würden wir es so bezeichnen, wenn wir es mit Menschen zu tun hätten.«

»Menschen mit einer solchen Disziplin? Niemand, der eine Abkürzung nimmt oder sich über Komm-Anforderungen hinwegsetzt?«

»Klingt nicht sehr wahrscheinlich«, fand auch Geary. »Wir haben keine Zeit, die Experten zu befragen. Und solange diese kleinen Schiffe auf uns zuhalten, bleibt uns auch keine andere Wahl, als dass wir uns zur Wehr setzen.« Er drehte sich zu Rione um, die auf ihrem Platz saß und schweigend ihr Display betrachtete. »Versuchen Sie, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Sagen Sie ihnen, wir werden gern wieder von hier abreisen. Und dass wir gar nicht vorhatten zu bleiben und auch keine feindseligen Absichten verfolgen. Es bleibt nicht viel Zeit, um diese Nachricht zu übermitteln.«

Rione klang resigniert, als sie antwortete: »Sie haben keinen Versuch unternommen, mit uns in Kontakt zu treten, und es wurde auch keine Forderung an uns gerichtet, dass wir uns zurückziehen oder kapitulieren sollen. Ich glaube, die wollen gar nicht mit uns reden, Admiral Geary. Sie scheinen äußerst feindselig zu sein und sich nicht für unsere Absichten zu interessieren.«

»Geben Sie Ihr Bestes, Madam Gesandte.« Er schaute wieder auf sein Display. »Wenn wir sie nicht dazu bringen, den Angriff abzubrechen«, meinte er leise zu Desjani, »dann steht uns eine brutale Schlacht bevor.«

»Eine an Zielen reiche Umgebung«, gab Desjani fröhlich und laut genug zurück, um auf der ganzen Brücke gehört zu werden. Ihre Wachhabenden, die nervös zwischen ihren Vorgesetzten und der immensen Anzahl Angreifer hin- und herblickten, entspannten sich ein wenig, als die Zuversicht des Captains auf sie übersprang.

Allerdings hatte Geary Mühe, der Situation die gleiche Begeisterung entgegenzubringen. »So kann man es auch sehen. Es sind so verdammt viele.« Er ließ noch einmal die Zahlen durchrechnen, auch wenn er wusste, er würde die gleiche schreckliche Antwort erhalten. Nach einer unglaublichen Startbeschleunigung hatten sich die unbekannten Schiffe bei einer etwas niedrigeren, aber immer noch beeindruckenden Beschleunigung eingependelt. Seine Kriegsschiffe hatten mittlerweile so weit abgedreht, dass sie vor den herannahenden Aliens davonflogen und dabei ihre Antriebssysteme bis zum Äußersten strapazierten. Doch die Steuersysteme bestätigten Gearys Verdacht, dass seine Schiffe einfach nicht schnell genug beschleunigen konnten, um den unbekannten Verfolgern zu entkommen. Lediglich die Schlachtkreuzer wären in der Lage, einem Kontakt mit ihnen zu entwischen. Die Kreuzer und Zerstörer konnten es fast mit den Schlachtkreuzern aufnehmen, doch dieses »fast«, bedeutete, dass die Aliens mit ziemlicher Sicherheit viele Eskortschiffe einholen würden. Die vier Sturmtransporter waren dem Untergang geweiht, und mit ihnen die an Bord befindlichen Marines und die befreiten Gefangenen. Die Schlachtschiffe und die Schnellen Hilfsschiffe waren ebenfalls verloren. Selbst wenn die Hilfsschiffe all ihre Ladung über Bord warfen, konnten sie einfach nicht so beschleunigen, dass sie noch eine Chance auf Flucht gehabt hätten. Zwar konnten die Schlachtschiffe schneller Fahrt aufnehmen, doch angesichts der wenigen Zeit, die ihnen zum Beschleunigen blieb, waren sie wegen ihrer großen Masse nicht viel beweglicher als die Hilfsschiffe.

Geary versuchte, alles auszublenden, was er nicht brauchte, auch die natürliche Angst, die eine solche Situation bei jedem Menschen auslöste. Völlig konzentriert suchte er nach einer Möglichkeit, den nötigen Platz für Ausweichmanöver zu finden, doch da schien kein Platz zu sein. Immerhin saßen ihnen neunhundert Schiffe im Nacken, die immer näher kamen, während er normalerweise mehr Zeit hatte, um sich eine Lösung zu überlegen und die Situation zu beurteilen, bevor er einen Plan entwickelte. Hier dagegen waren seine Kenntnisse zu gering und er hatte auch zu wenig Zeit. »Vorteile«, murmelte er.

»Wir haben deutlich mehr Feuerkraft«, antwortete Desjani. »Und da unsere Schiffe mit maximaler Beschleunigung davonfliegen, während die Aliens uns hinterherfliegen müssen, dauert es länger, den Abstand zu uns zu verringern. Das bedeutet, sie brauchen keine Millisekunden, sondern Minuten, um in Feuerreichweite zu gelangen. Das gibt uns mehr Zeit, um auf sie einzuprügeln. Andererseits wird ein Schuss mit einem Höllenspeer nicht genügen, um eines von diesen Dingern abzuschießen. Wir werden mehrere Treffer landen müssen, und da es sich um eine so große Menge an Zielen handelt, müssen wir in kürzester Zeit so viele Salven abfeuern wie möglich. Dafür sind die Waffensysteme allerdings nicht ausgelegt.«

»Das weiß ich doch alles!« Warum erzählte sie ihm so etwas, wenn er Lösungsvorschläge hören wollte? Zugegeben, er hatte sich diese Dinge noch nicht alle durch den Kopf gehen lassen, aber das hätte er noch gemacht. Seine Bemerkung war ihm schroff und aufgebracht über die Lippen gekommen, weil sich in seinem Hinterkopf der Gedanke an die Vergeblichkeit jeder Gegenmaßnahme hielt. Er sah, wie Desjani als Reaktion darauf die Brauen zusammenzog, auf ihr Display schaute und ihn demonstrativ ignorierte, während sie ihr Schiff gefechtsbereit machte.

Verdammt, ich kann so eine persönliche Ablenkung jetzt wirklich nicht gebrauchen. Warum muss sie ausgerechnet in diesem Augenblick so empfindlich reagieren? Sie ist die Beste, die ich habe, um uns durch dieses Chaos zu steuern, aber offenbar will sie lieber auf die Angreifer zuhalten und aus allen Rohren feuern …

Mitten im Gedanken erstarrte Geary, da er versuchte, zu der möglichen Lösung zurückzufinden, die im Durcheinander aus sich überschlagenden Gedanken, Verärgerung und Bestürzung fast untergegangen wäre. Drauf zuhalten. »Tanya.«

»Was, Sir?«

»Wir wissen nicht, wie wendig die Dinger sind. Aber wir können beurteilen, wie schnell sie sich bewegen, weil sie mit maximaler Geschwindigkeit hinter uns herfliegen dürften. Uns bleibt ein schmales Zeitfenster, um sie zu kontrollieren, wenn wir mit den Angreifern in Kontakt kommen. Allerdings müssen wir unsere eigenen Manöver bis ins Detail genau abstimmen.«

Ihr finsterer Blick blieb bestehen, doch Desjanis Gesichtsausdruck nahm einen berechnenden Zug an. »Sie könnten ihre Geschwindigkeit drosseln, damit ihre Zielerfassungssysteme präzise arbeiten und damit sie ihre Brennstoffreserven schonen, weil eine lange Verfolgungsjagd vor ihnen liegen könnte. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie momentan alles geben, was sie haben.« Desjani kniff die Augen zusammen und betrachtete ihr Display, als würde sie mit einer Waffe zielen. Dann wandte sie sich an ihre Wachhabenden. »Ich will, dass menschliche Augen die Sensoranzeigen studieren. Die Sensoren erzählen mir, dass sie an den Schiffen bislang noch keine Waffen identifizieren konnten. Sagen Sie mir, was Sie sehen.«

Es folgte eine Pause, da die Offiziere und Unteroffiziere die von den Sensoren erzeugte Darstellung eines der fremden Schiffe auf ihren Displays aufriefen, dann meldete sich ein Lieutenant zu Wort: »Captain, vielleicht arbeiten ihre Waffen grundlegend anders als unsere, aber ich kann nirgends Geschützöffnungen oder etwas Ähnliches entdecken. Ich sehe auch nichts, was abgesprengt werden könnte, um einen im Inneren befindlichen Flugkörper abzufeuern. Das sind einfach nur Rohre.«

»Patronenhülsen«, sagte Lieutenant Castries. »Verdammt große Patronenhülsen.«

Desjani sah zu den anderen Wachhabenden hinüber, die alle bestätigend nickten. Dann wandte sie sich zu Geary um. »Wir müssen davon ausgehen, dass diese Objekte keine Waffen mit sich führen, sondern selbst die Waffen sind. Das gibt uns die Gelegenheit zu entscheiden, wann wir uns ihnen stellen. Das ist das Positive. Ich langweile Sie doch nicht schon wieder mit Dingen, die Sie längst wissen, oder?«

»Tut mir leid, aber ich stehe im Augenblick ein bisschen unter Druck …«

»Wenn die Dauntless zerstört wird, Admiral, dann werden wir beide sterben. Was haben Sie überlegt?«

Geary bemühte sich um eine knappe Antwort. »Wir konzentrieren die Flotte, indem wir die Beschleunigung nach Schiffstyp sequentiell verringern.«

»Damit wir ein leichteres Ziel für die Aliens abgeben, die uns so früher einholen werden? Ich würde sagen, das läuft gegen die eigene Intuition. Die Flotte sequentiell konzentrieren?« Sie hielt inne und überlegte, dann setzten sich ihre Finger in Bewegung und vollzogen auf dem Display verschiedene Manöver nach. »Ich verstehe, was Sie meinen. Es wird nicht schön werden, aber es könnte funktionieren, und es ist besser als jede Option, die ich zu bieten habe.«

»Verbinden Sie mich mit Ihrem Display, dann können wir das schneller erledigen.« Die nächsten Minuten zogen wie in Trance vorüber, da Geary gemeinsam mit Desjani die Flugmanöver von Hunderten von Schiffen koordinierte. Parallel dazu stellten die Steuersysteme automatisch die Befehle zusammen, damit jedes Schiff zum erforderlichen Zeitpunkt drehte, beschleunigte oder abbremste, und achteten gleichzeitig darauf, dass es dadurch nicht zu Kollisionen kam. Das war die Art von Problemen, für deren Lösung Menschen Wochen benötigten, während die Systeme der Flotte auf der Stelle die Befehle von Geary und Desjani verarbeiteten.

Natürlich erzeugte jedes noch so gute System auch ein paar Schwächen und Fehler. Im Idealfall blieb den Menschen eine ausreichende Frist, mithilfe ihrer Intuition diesen Schwächen und Fehlern auf die Spur zu kommen, sobald sie das Gesamtbild sahen und auf winzige Ungereimtheiten aufmerksam wurden. Doch dafür blieb jetzt keine Zeit, und Geary konnte nur hoffen, dass diese unvermeidbaren Fehler keine gravierenden Folgen nach sich ziehen würden. Zwei Schiffe, die zum gleichen Zeitpunkt den gleichen Platz im Raum für sich beanspruchten, würden sich in eine riesige Trümmerwolke verwandeln, die keine Überlebenden zurückließ.

»Sie müssen einzelnen Schiffen ermöglichen, dass sie eigenständig manövrieren, sobald die Angreifer nahe genug sind«, warnte ihn Desjani. »Das wird die Steuersysteme unter großen Druck setzen, wenn sie die Bewegungen anderer Schiffe vorausberechnen sollen, um Kollisionen zu vermeiden.«

»Ich habe keine andere Alternative, oder?«

»Nein. Aber das wussten Sie ja auch schon, nicht wahr?«, gab sie zurück.

Auch wenn sich gerade rund neunhundert Angreifer der Flotte näherten, versetzte Desjanis spitze Bemerkung ihm dennoch einen Stich. »Ja, aber sagen Sie mir trotzdem weiter die Dinge, die ich bereits weiß.«

»Ich werde drüber nachdenken. Dieser Plan sieht für mich nach der besten Lösung aus, die wir in der Kürze der Zeit finden können.«

Dennoch hielt er kurz inne und sah sich alles noch einmal an. Es hatte etwas Beängstigendes, Hunderte von individuell geplanten Flugbahnen zu sehen, die ein so dichtes und in sich verstricktes Muster bildeten, dass das Ganze eher an ein Wollknäuel erinnerte als an eine Gefechtsstrategie. Die Zeitanzeige in einer Ecke des Displays lief unbeirrt rückwärts und erinnerte ihn daran, dass ihm nur zwei Minuten blieben, um diese Manöver zu befehlen, da ansonsten nicht genug Zeit für die einzelnen Schiffe blieb, die Anweisungen in die Tat umzusetzen. Dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben als sich einen komplett neuen Plan auszudenken. Er schickte ein gemurmeltes Gebet zu seinen Vorfahren, damit sie die lebenden Sterne bitten konnten, seine Schiffe zu beschützen. Dann drückte er die Bestätigungstaste, und der Plan wurde augenblicklich an jedes Kriegsschiff, jeden Transporter und jedes Hilfsschiff übertragen.

»An alle Einheiten: Hier spricht Admiral Geary. Ihre individuellen Manöverbefehle sind in diesem Augenblick an Sie unterwegs. Unsere Versuche, mit den Bewohnern dieses Sternensystems Kontakt aufzunehmen, haben zu keinen Ergebnissen geführt, und allem Anschein nach hat die uns verfolgende Streitmacht die Absicht, uns anzugreifen. Wir werden uns diesen fremden Schiffen stellen und jedes von ihnen vernichten, das unsere Schiffe gefährdet. Nachdem wir dem Gegner möglichst hohe Verluste zugefügt haben, halten Sie sich bereit, dass weitere Befehle für jedes Schiff folgen, um ab diesem Zeitpunkt individuell zu manövrieren, abhängig davon welches Handeln der Feind uns abverlangt.« Einen Moment lang verspürte er den Impuls, noch etwas Dummes im Sinne von »Versuchen Sie, nicht mit anderen Schiffen zu kollidieren« anzufügen, aber davon konnte er sich dann doch gerade noch abhalten. »Nach dem Gefecht werden wir wieder unsere Formation einnehmen.« Vorausgesetzt, es ist noch genug von uns übrig, um eine Formation zu bilden. Aber ich muss noch irgendetwas sagen. Wir ziehen in einen brutalen Kampf, aber meine Leute müssen wissen, dass ich einen Sieg erwarte, auch wenn die Umstände noch so widrig sind. »Zeigen wir den Bewohnern dieses Systems, dass es ein schwerer Fehler war, die Allianz-Flotte anzugreifen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«

Desjani sah ihn an. »Sie haben ihnen nicht gesagt, dass sie sich nicht gegenseitig treffen sollen …«

»Davon konnte ich mich gerade noch abhalten.«

»… aber ich nehme an, das wussten sie auch schon selbst.«

Geary schwieg nur und sah sich mit der Tatsache konfrontiert, dass er nach vielen Minuten extrem hektischer Arbeit und komplexer Überlegungen nun gezwungen sein würde, einfach nur zuzusehen, wie sich das Geschehen vor seinen Augen entfaltete. Für die nächste Zeit konnte er nicht mehr eingreifen, wenn er nicht den eigenen Plan zunichtemachen und seiner Flotte die beste Chance nehmen wollte, sich gegen die Bedrohung erfolgreich zur Wehr zu setzen. »Wie lange werde ich für meine Bemerkung eigentlich noch büßen müssen?«, fragte er schließlich.

»Das weiß ich noch nicht so genau«, antwortete Desjani. »Auf jeden Fall ist das ein guter Plan, Admiral. Besser als alles, was ich in der verfügbaren Zeit hätte bewerkstelligen können. Lassen wir dem Geschehen seinen Lauf und beobachten wir es, damit Sie wissen, wann Sie neue Befehle erteilen müssen.« Mit lauterer Stimme wandte sie sich dann an ihre Brückencrew und betätigte gleichzeitig eine Taste auf ihrem Display, damit ihre Worte im ganzen Schiff zu hören waren. »Wir ziehen jetzt ins Gefecht, und die Dauntless wird die Flotte anführen. Ich erwarte maximale Gefechtsbereitschaft von allen Besatzungsmitgliedern und allen Systemen. Zeigen wir der Flotte, wie es gemacht wird.«

Die Dauntless begann, sich auf Desjanis Befehl hin zu drehen, damit der Bug mit seiner dicksten Panzerung und den leistungsfähigsten Schilden den zahlreichen Verfolgern zugewandt war. Geary lehnte sich zurück und sah schweigend zu, wie auch die anderen Schlachtkreuzer wendeten.

Rational betrachtet ergab das alles keinen Sinn. Die Schlachtkreuzer würden auf den Feind losstürmen, obwohl der zahlenmäßig hoffnungslos überlegen war, wobei das Losstürmen eigentlich nur bedeutete, dass die Schlachtkreuzer ihre Fahrt verlangsamten, dabei aber weiter in die Richtung unterwegs waren, in die sich der Rest der Flotte bewegte. Die Schlachtschiffe, Kreuzer, Zerstörer, Transporter und Hilfsschiffe beschleunigten unterdessen weiter und zogen an den Schlachtkreuzern vorbei, um hinter ihnen Schutz vor den Verfolgern zu suchen. Auf der Brücke der Dauntless herrschte ausgelassene Stimmung über diese Entwicklung der Ereignisse, auch wenn die bedeutete, dass sie sich rund neunhundert Schiffen in den Weg stellten, die sich ihnen rasch näherten und bald in Reichweite der Höllenspeere gelangen würden. Die Crew war der Ansicht, dass die Schlachtkreuzer die Flotte gegen den Feind ins Gefecht führen sollten, und dank der positiven Einstellung ihres befehlshabenden Offiziers und dank ihres unerschütterlichen Glaubens an Gearys Fähigkeit, sie aus jeder noch so kniffligen Situation unversehrt herauszuholen, waren sie bereit, sich sogar einer solchen Übermacht zu stellen. »An alle Einheiten: Feuer eröffnen, sobald sich die Ziele in Reichweite Ihrer Waffen befinden«, ordnete er an. Minen mochten unter den gegebenen Umständen nicht viel nützen, aber das hier war nicht der richtige Augenblick, um mit Munition sparsam umzugehen.

Ein leichtes Zittern durchfuhr die Dauntless, als die Phantomraketen abgefeuert wurden, um auf ihre Ziele zuzurasen. Auch die anderen Schlachtkreuzer begannen ihr Sperrfeuer. »Jetzt werden wir sehen, über welche Art von Verteidigung sie verfügen«, kommentierte Desjani das Geschehen.

Was immer sie auch an Verteidigungssystemen aufzubieten hatten, sie waren nicht in der Lage, die Phantome zu stoppen. Zwar schafften es viele der kleinen Schiffe, in letzter Sekunde ihren Vektor zu ändern, sodass die Geschosse zu weit entfernt von ihren Zielen detonierten, um noch eine Wirkung zu erzielen. Aber andere Schiffe der Aliens wurden von den Sprengköpfen in winzige Fetzen gerissen, zumal durch die Detonation auch ihre eigene Munition hochging. »Sehen Sie sich nur diese Explosionen an«, staunte Desjani. »Die Dinger sind mit gigantischen Sprengköpfen bestückt.«

»Die Gefechtssysteme gehen nach der Art der Zerstörung davon aus, dass die Schiffe der Aliens am Bug eine ganz erhebliche Panzerung aufweisen«, meldete der Gefechtswachhabende.

»Das wird es den Höllenspeeren erschweren, bei ihnen etwas zu bewirken«, beklagte sich Desjani. »Sie machen es uns wirklich nicht leicht.«

Geary wunderte sich insgeheim über Tanyas Fähigkeiten, in Augenblicken wie diesen noch immer Sinn für Humor zu demonstrieren, aber er nickte nur und wartete ab. Die Frage war nach wie vor, mit welchen verborgenen Waffen diese Schiffe bestückt sein mochten, doch als sie näher und näher kamen, begann nicht eines, auf die Schlachtkreuzer zu feuern, die eine Barriere zwischen den Aliens und dem Rest der Allianz-Flotte bildeten. »Fünf Sekunden bis zum Erreichen der Feuerreichweite der Höllenspeere«, meldete der Gefechtswachhabende.

Ein Schlachtkreuzer nach dem anderen stieß die Höllenspeer genannten Strahlen aus hochenergetischen Partikeln aus, die für das menschliche Auge nicht sichtbar waren. Die vordersten feindlichen Schiffe erzitterten, als sie getroffen wurden und die Höllenspeere ihre Schilde überwanden, um Löcher in den Bug zu reißen. Dennoch flogen sie unbeirrt weiter.

»Zähe Mistkerle«, meinte Desjani.

»Kann man wohl sagen.« Mit einem Auge hatte Geary die näher rückenden Aliens beobachtet, mit dem anderen die Statusberichte der Schlachtkreuzer verfolgt. Wie Desjani bereits angemerkt hatte, waren Gefechtssysteme auf extrem schnell ablaufende Raumschlachten ausgelegt, die darin bestanden, bei jeder Begegnung der Kontrahenten eine oder maximal zwei Salven abzufeuern. Höllenspeere konnten nur über einen bestimmten Zeitraum in Folge abgefeuert werden, da die Batterien sonst mit Überhitzung zu kämpfen hatten. Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, sah er die ersten Warnhinweise auf seinem Display aufleuchten.

»Die Höllenspeerbatterien 1A und 2B sind bedenklich überhitzt«, meldete der Gefechtswachhabende der Dauntless. »Geschätzte Zeit bis zur vorübergehenden Abschaltung maximal zehn Sekunden.«

»Verstanden«, gab Desjani zurück. »Wie lange werden die anderen noch weiterfeuern?«

»Schätzung liegt bei maximal einer Minute, Captain. Aber die Gefechtssysteme gehen davon aus, dass wir in dreißig Sekunden nur noch zwanzig Prozent der Höllenspeere abfeuern können. Fünf Sekunden, bis Nachladen der Phantome abgeschlossen.«

Die Geschosse jagten von der Dauntless davon, während der Beschuss mit Höllenspeeren unterbrochen wurde. Geary warf einen Blick auf die Anzeigen der anderen Schlachtkreuzer. Die Leviathan und die Dragon hatten bereits vorübergehend mehrere Batterien wegen Überhitzung verloren, und der Beschuss durch die übrigen Schlachtkreuzer wurde ebenfalls rasch schwächer. Immer mehr gegnerische Schiffe fielen dem Sperrfeuer der Allianz-Flotte zum Opfer, doch auf die Masse gesehen war das nur ein Bruchteil, und der Feind rückte dabei unerbittlich näher.

Auch wenn er gewusst hatte, dass das geschehen würde, erschrak Geary für einen Moment, als die Dauntless und die anderen Schlachtkreuzer sich abermals drehten, dem Feind das Heck zeigten und dann die Hauptantriebseinheiten erneut zum Leben erwachten. Die Gefechtssysteme der Flotte hatten von vornherein einkalkuliert, wie lange die Höllenspeerbatterien bis zum Überhitzen durchhalten würden, und auf dieser Grundlage das nächste Wendemanöver eingeplant, das nun ausgeführt wurde. Zwar kamen die Gegner nun nicht mehr so schnell näher, doch die Schlachtkreuzer konnten den Feind nun nicht mehr so wirkungsvoll unter Beschuss nehmen, da der Bug von den Verfolgern abgewandt war.

Desjani stützte das Kinn auf ihre Hand, während sie das Gefecht beobachtete. »Und da kommt das zweite Team.«

Die von Geary versandten Manöverbefehle wurden nun von der Masse der Eskortschiffe der Allianz-Flotte befolgt. Scharen von Zerstörern und Leichten Kreuzern sowie Dutzende Schwere Kreuzer drehten sich, um ihren Bug auf die Verfolger auszurichten, während die Schlachtkreuzer die kleineren Schiffe zu überholen begannen. Die eröffneten das Feuer auf die Schiffe der Aliens, wobei sie von den nach hinten gerichteten Geschützen der Schlachtkreuzer unterstützt wurden.

Manche feindliche Schiffe vergingen restlos in gewaltigen Explosionen, während andere in Stücke gerissen wurden. Doch für jedes Schiff, das zerstört wurde, schienen mindestens zwei neue aus den hinteren Reihen der Formation nachzurücken. Geary sah mit an, wie die Höllenspeer-Anzeigen der Eskortschiffe sich viel zu schnell der Überhitzungsmarke näherten, während eine dritte Salve Phantome von den Schlachtkreuzern ins Gefecht geschickt wurde. Inzwischen waren die Aliens so nahe, dass die Geschosse der Allianz Mühe hatten, ein Ziel zu erfassen, da der Schauplatz des Geschehens an ihnen vorbeiraste. Die meisten von ihnen verfehlten die gegnerischen Schiffe deutlich. »An alle Einheiten: Feuern Sie Flugkörper nur ab, wenn Sie eine brauchbare Feuerlösung für ein feindliches Schiff haben.« Die Höllenspeere fielen unterdessen wegen Überhitzung aus, woraufhin die Kreuzer und Zerstörer dem Gegner wieder das Heck zuwandten und maximal beschleunigten, um zu den Schlachtkreuzern aufzuschließen und den Abstand zu den Verfolgern so groß wie möglich zu halten.

Geary sah zu Desjani. »Wir bekommen sie nicht schnell genug klein.«

»Noch nicht. Aber jetzt dürfen die großen Jungs und Mädchen zeigen, was sie können«, meinte sie und klang wieder so fröhlich wie zuvor.

Die Flotte, die vor Kurzem noch auf Unterformationen verteilt gewesen war, hatte sich nach und nach zu einer kompakten Lage verdichtet, in der die Schlachtkreuzer und die Eskortschiffe die vorderste Reihe bildeten, gefolgt von Schlachtschiffen, Transportern und Hilfsschiffen. Nun drehten sich die Schlachtschiffe um ihre Achse, bis der Bug auf die gegnerische Flotte wies. Ihre Beschleunigung kam vorübergehend zum Erliegen, und sie wurden schnell von den restlichen Allianz-Schiffen überholt. Lediglich die Transporter und die Hilfsschiffe behielten ihren Platz an der Spitze der Formation, wo sie allmählich von den eigenen und den gegnerischen Kriegsschiffen eingeholt wurden.

Die Schlachtschiffe nahmen ihren Platz inmitten der Schlachtkreuzer und Eskortschiffe ein, dann brachten sie ihre gewaltigen Waffenarsenale ins Spiel. Unwillkürlich musste Geary lächeln, als das All von solchen Energieentladungen erfüllt wurde, dass es sogar für das menschliche Auge wahrnehmbar schwach zu leuchten begann. Gleich darauf wurden die vordersten Reihen der verbliebenen feindlichen Flotte von dieser Energie getroffen, die die kleinen Schiffe förmlich verdampfen ließ.

»Es wird trotzdem knapp werden«, meinte Desjani in einem Tonfall, als überlege sie, was es zum Abendessen geben sollte. »Es sind einfach zu viele, und sie kommen immer näher und näher. Unsere vorderen Batterien haben sich inzwischen weit genug abgekühlt, um wieder ein paar Salven abzufeuern, aber wenn wir drehen, werden wir diese Aliens genau vor unserer Nase haben.«

»Alles klar.« Bis hierhin hatte es also für die im Voraus geplanten Flugmanöver der Allianz-Flotte gereicht. Jetzt hing es von seinem Urteil ab, wann die letzte, richtig chaotische Phase des Gefechts beginnen sollte. Er saß da und beobachtete, wie die Aliens sich immer mehr näherten, während auch der Beschuss durch die Schlachtschiffe abzuebben begann. So nah sind sie schon. Aber sie müssen noch etwas näher kommen, damit sie weniger Zeit haben, um auf unseren nächsten Zug zu reagieren. Wie weit ist es bis zu den entlegensten Einheiten meiner Formation? Wie lange wird es dauern, bis mein Befehl sie erreicht? Zum Glück zielen die Angreifer unverändert auf die Masse unserer Schiffe im Kern der Formation. Also wird eine zeitlich leicht verzögerte Reaktion an unseren Flanken diesen Kriegsschiffen nichts ausmachen. Es ist fast so weit.

»Admiral?«, fragte Desjani. Sie klang nur halbwegs interessiert, doch die Tatsache, dass sie überhaupt etwas sagte, verriet die Anspannung, die sie sonst so gut überspielte.

»Noch nicht.« Er hielt eine Hand hoch und bewegte sie ein paar Mal nach unten, als würde er einen Takt mitzählen, dann drückte er auf seine Kontrollen. »An alle Einheiten: Befehl sofort ausführen! Weichen Sie mit maximaler Leistung den feindlichen Schiffen eigenständig aus, schießen Sie dabei weiter mit allen Kurzstreckenwaffen auf den Gegner.«

Er spürte, wie er trotz der Arbeit der Trägheitsdämpfer in seinen Sessel gepresst wurde, als Desjani die Dauntless zu einer möglichst engen Kurve ansetzte und gleichzeitig das Schiff dabei drehte, um den Feind sofort ins Visier zu nehmen. »Kartätschen abfeuern, sobald die Werfer ein Ziel erfassen!«, befahl sie. »Alle Höllenspeere abfeuern und weiterschießen, bis auch der letzte Angreifer ausgeschaltet ist!«

Kollisionswarnungen tönten aus den Lautsprechern, als Hunderte Kriegsschiffe sich drehten und auf neue Vektoren einschwenkten. Gearys Display wurde in leuchtendes Rot getaucht, da sich die zahlreichen Warnsymbole gegenseitig überlagerten. Zum Glück waren die ersten Kursänderungen, als die Schiffe noch am dichtesten beisammen waren, für die Steuersysteme der Flotte noch einigermaßen vorhersagbar, da praktisch jedes Schiff wendete, um sich dem Feind zu stellen. Aber vielleicht lag es auch an der von Geary erbetenen himmlischen Unterstützung, dass es zumindest in dieser ersten Phase nicht zu irgendwelchen Katastrophen kam.

Die Schiffe der Aliens waren genau vor der Allianz-Flotte, als über zweihundert Kriegsschiffe Kartätschen abfeuerten, die bei einer relativen Geschwindigkeit von einigen tausend Kilometern pro Sekunde mit ihren Zielobjekten zusammenstießen. Hunderte von überlebenden Alien-Schiffen wurden von einer Welle der Zerstörung erfasst und ausgelöscht, dann begannen wieder Höllenspeere durchs All zu zucken, da die Bugwaffen abermals individuelle Ziele entdeckt hatten.

Geary wusste nicht genau, wie viele Schiffe der Aliens in dem Chaos aus Trümmern und anhaltenden Energieentladungen noch kampffähig waren. Die Allianz-Schiffe waren inzwischen so weit im Raum verteilt, als hätte eine gewaltige Explosion die Flotte in Hunderte kleine Stücke zerrissen. Sogar die Hilfsschiffe und die Transporter hatten das Feuer eröffnet und richteten ihre spärlichen Munitionsbestände auf die verbliebenen Angreifer, die zum großen Teil den Eindruck machten, dass die mit einem Mal großflächig verteilte Flotte sie verwirrte. Andere dagegen hielten unbeirrt auf die Ziele zu, die sie sich vermutlich schon lange zuvor ausgesucht hatten, wobei es sich bei diesen Zielen ausgerechnet um die Hilfsschiffe und die Transporter handelte. Offenbar hatten sie sie als die Achillesferse der Flotte identifiziert.

Die Dauntless, die sich auf einem leicht nach unten weisenden Kurs befand, wurde durchgeschüttelt, als ein Alien-Schiff von einem Höllenspeer getroffen wurde und dicht neben dem Flaggschiff explodierte. Zwei Allianz-Zerstörer und ein Leichter Kreuzer stiegen im Steilflug auf, während die Dauntless unter ihnen hinwegtauchte, dann jagte ein Schlachtschiff so dicht über sie hinweg, dass es sogar Desjani sekundenlang die Sprache verschlug. Hastig erholte sie sich von dem Schreck, dann fluchte sie und erfasste zwei weitere Ziele. Sie löste den Feuerbefehl aus, die Waffen schalteten ein Alien-Schiff aus, das auf die Titan zuhielt, während das andere der Dauntless so nah war, dass sie durch dessen Explosion erneut heftig durchgeschüttelt wurden.

Aber die Dauntless befand sich längst auf einer Flugbahn, die es ihr unmöglich machte, schnell genug umzukehren, um die Verfolgung jener Alien-Schiffe aufzunehmen, die es geschafft hatten, an ihr vorbeizukommen. Geary konnte nur mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zusehen, wie weitere feindliche Schiffe Kurs auf die Titan und die Tanuki nahmen. Doch dann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts die Orion auf. Das Schlachtschiff kam von unten herangeschossen und machte ein Alien-Schiff kurz vor der Kollision mit der Titan unschädlich, gleich darauf ließ es ein zweites in einer Explosion vergehen, das die Tanuki zum Ziel gehabt hatte. Die Wucht der Detonation versetzte sogar dem schweren Schlachtschiff einen heftigen Stoß.

Ein weiteres Schiff der Aliens steuerte auf den Transporter Mistral zu, doch die Schweren Kreuzer Diamond, Gauntlet und Buckler waren nahe genug herangekommen, um den Flugkörper mit ihren Höllenspeeren zu durchbohren, sodass der kurz vor dem Transporter in Stücke gerissen wurde.

Kein weiteres Schiff der Aliens hatte lange genug überlebt, um in die Nähe der Transporter und Hilfsschiffe zu gelangen. Als Geary seinen Blick wieder auf das Hauptgeschehen richtete, hatte er Mühe, inmitten der Trümmerfelder die Markierungen für die feindlichen Schiffe auszumachen, während Allianz-Kriegsschiffe nach weiteren Zielen suchten und dabei Ausweichmanöver fliegen mussten, um nicht mit den eigenen Schiffen oder den größeren Wrackteilen zu kollidieren.

Nichts. Die einzigen roten Symbole auf seinem Display waren die Warnmeldungen wegen drohender Kollisionen, die aber in schneller Folge erloschen, da die Steuersysteme der Flotte innerhalb von Millisekunden die notwendigen Entscheidungen trafen und Vektoränderungen vornahmen, durch die Zusammenstöße verhindert wurden. Auch das letzte feindliche Schiff war zerstört worden, doch nun musste er herausfinden, wie viel Schaden der Gegner angerichtet hatte. Auf den ersten Blick konnte er nur erkennen, dass es nicht das befürchtete Massaker geworden war. »An alle Einheiten: Nehmen Sie wieder Formation Delta ein, wenn es sicher ist, an Ihren Platz zurückzukehren. Die Formationsgeschwindigkeit beträgt 0,05 Licht.« Alle Schiffe sollten mit gemächlicher Fahrt weiterfliegen, dabei aber den Abstand zu der Festung am Sprungpunkt kontinuierlich vergrößern. Die Formation war eine schlichte Kastenformation, die genügen sollte, während er sich ein Bild von der Situation verschaffen und sich Gedanken über seine nächsten Schritte machen konnte.

»Wow«, meinte Desjani lächelnd. Ihr Gesicht war leicht gerötet. »Es hat funktioniert. Ein toller Plan, Admiral.«

»Sie sind verrückt«, gab er zurück. Sein Herz raste noch immer.

»Ich dachte, das gefällt Ihnen an einer Frau. Haben Sie gesehen, was die Orion veranstaltet hat?«

»O ja«, sagte er und fühlte sich erleichtert, auch wenn er sich vor der Auflistung der Schäden fürchtete, die die Flotte bei dieser Schlacht erlitten haben musste. »Sie hatten recht, was Captain Shen angeht.«

»Ich habe immer recht, Admiral. Lieutenant Yuon, welches Schlachtschiff war uns da so dicht auf den Leib gerückt?«

»Die Systeme haben es als die Dreadnaught identifiziert, Captain. Der geringste Abstand betrug …« Yuon verstummte, dann fuhr sie in einer etwas höheren Tonlage fort: »Das kann nicht stimmen.«

Desjani überprüfte den Abstand selbst und saß anschließend sekundenlang schweigend da. »Admiral, Sie müssen noch mal ein ernstes Wort mit der Befehlshaberin der Dreadnaught reden. Captain Jane Geary schuldet mir einen Drink«, fügte sie hinzu. »Und ich schulde meinen Vorfahren einen großen Dank.«

»So geht es uns allen.« Aber Jane Geary und seine Vorfahren würden noch ein wenig warten müssen. Geary veränderte den Maßstab seines Displays und gönnte sich den Luxus, das Sternensystem insgesamt nach weiteren Bedrohungen abzusuchen. Die gewaltige Festung direkt vor dem Sprungpunkt hatte keine weiteren Raketen oder Schiffe oder was für Dinge auch immer losgeschickt, aber sie war auch nicht die einzige monströse Befestigung in diesem System. »Ich habe das ungute Gefühl, dass wir Schwierigkeiten bekommen werden, die Position der anderen Sprungpunkte in diesem System zu bestimmen.«

Desjani zog fragend eine Augenbraue hoch, dann sah sie auf ihr eigenes Display. »Bei den Vorfahren! Die haben an zwei weiteren Stellen solche Festungen in einen Orbit um den Stern geschickt. Nach der Entfernung zum Stern zu urteilen, könnten sie da ebenfalls Sprungpunkte bewachen.«

Diese Anlagen waren zweifellos mit den gleichen Objekten bestückt, und ganz sicher auch dort gleich zu Hunderten. In einer Entfernung von mehreren Lichtstunden machten die Sensoren unterdessen zahlreiche Kriegsschiffe aus. Geary stieß einen leisen Pfiff aus, als er die Daten dieser Schiffe betrachtete. »Mehrere von den Kriegsschiffen sollen laut unseren Sensoren dreimal so groß sein wie ein Schlachtschiff der Guardian-Klasse.«

»Offenbar bauen sie gern im großen Stil«, meinte Desjani. »Zum Glück ist keines von ihnen weniger als drei Lichtstunden entfernt, und bei einer solche Masse Schiff können sie nicht sehr schnell und wendig sein. Trotzdem würde sogar ich mich lieber nicht mit ihnen anlegen.«

»Wir haben von den Bewohnern dieses Systems noch keine Nachricht erhalten«, meldete Rione tonlos. »Sie haben auch noch nicht auf unsere Übermittlungen geantwortet.«

Geary ließ sich in seinen Sessel sinken. »Wenn sie Menschen wären, hätte sie sich längst gemeldet.« Unmittelbare Gefahren waren nicht mehr zu erkennen, und alles andere würde Stunden oder Tage benötigen, ehe es einen Grund zur Sorge gab. Aber es gab auch ohne irgendwelche Bedrohungen genug zu tun. Schäden und Verluste der Flotte bewerten. Reparaturen anordnen. Sicherstellen, dass Überlebende von zerstörten oder schwer beschädigten Schiffen geholt werden. Versuchen, mit diesen Aliens Kontakt aufzunehmen oder zumindest mehr über sie herauszufinden. Die Flotte auf einen Kurs bringen, der die Aliens davon abhält, uns noch mal diese kleinen Schiffe oder Raketen auf den Hals zu hetzen. Sein Blick wanderte zu den gigantischen Festungen, die vor den Sprungpunkten in Position gebracht worden waren. Die Festung, der sie beim Eintreffen in diesem System mit Mühe ausgewichen waren, hatte womöglich ihren ganzen Waffenbestand verbraucht, aber etwas von dieser Größe verfügte über genug Platz, um nachzuladen und das Feuer wieder zu eröffnen, bevor die Flotte es passiert hatte. Um einen Sprungpunkt zu erreichen, mussten sie an einer dieser Festungen vorbei, und das würde auf dem Weg nach draußen viel schwieriger werden als das, was sie gerade überstanden hatten.

»Meinen Glückwunsch, Admiral. Sie haben eine weitere intelligente Spezies entdeckt«, sagte Rione.

»Danke, ich bin froh darüber, dass die Regierung mit mir zufrieden ist.« Er machte sich nicht die Mühe, seinen sarkastischen Tonfall zu überspielen.

»Nicht jeder in der Regierung ist zufrieden«, murmelte sie fast zu leise, um noch von ihm vernommen zu werden. Ihre Augen waren auf das Display vor ihr fixiert, der Blick hatte etwas von einem Menschen, der sich letztlich in sein seit langer Zeit erwartetes Schicksal gefügt hatte.

Desjani beugte sich zu Geary vor. »Wie finden wir hier wieder raus, Admiral?«

»Wenn ich das wüsste.« Obwohl das Problem eigentlich nicht darin bestand, wie sie hier rausfanden, denn die Festungen wiesen ihnen mehr als deutlich den Weg zu den Sprungpunkten. Die Frage war vielmehr, wie sie es anstellen konnten, ohne dass die Flotte in Stücke gerissen wurde.

Aber jetzt hatte er Zeit und Ruhe zum Nachdenken, und er hatte Tanya an seiner Seite – und außerdem etliche gute Leute, die zwar alle davon abhängig waren, dass er die richtigen Entscheidungen traf, die aber auch eng mit ihm zusammenarbeiteten. Die Flotte war größtenteils intakt geblieben, und vielleicht würde ja sogar Rione sich wieder von ihrer hilfsbereiten Seite zeigen, anstatt alles mit dieser sonderbaren Passivität über sich ergehen zu lassen.

Geary zwang sich, seine verkrampften Muskeln zu entspannen, damit er gleichmütig erschien. »Wir werden uns schon was überlegen«, versicherte er an Desjani gewandt und sprach dabei laut genug, dass jeder auf der Brücke die Gelassenheit mitbekommen konnte, die er demonstrativ ausstrahlte.

Загрузка...