»Ein paar Amateure mußten kommen und uns zeigen, wie der Hase läuft«, stellte Marko mit einem breiten Grinsen fest und schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. »Der Gouverneur steht noch immer unter Schock und die Interpolzentrale übt sich in ungläubigem Staunen, denn für sie sind Amateure Relikte aus der Steinzeit.«
»Total aus der Mode gekommen«, stimmte Robin zu, und zu Mrs. Pollifax gewandt, gestand er: »Es war Cyrus, ganz allein Cyrus, der uns aus unserer Lethargie gerissen hat. Wenn er nicht gewesen wäre... «
Sie saßen um einen Tisch im Goldenen-Lotus-Saal, in dem alles begonnen hatte. Mrs. Pollifax' Gedanken kehrten zum vergangenen Montag zurück, zum gemeinsamen Frühstück mit Mr. Hitchens, der sie auf Lars Petterson, den drittreichsten Mann der Welt, aufmerksam gemacht hatte. Nun war es Freitag, und noch immer konnte sie kaum fassen, was in den fünf Tagen alles geschehen war. Am meisten jedoch erstaunte sie die Tatsache, daß sie hier inmitten ihrer Freunde saß und sich ihres Lebens freute.
Doch wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß sie nur mit einem Teil ihres Bewußtseins anwesend war, denn noch immer schwankte sie zwischen dem Hier und Jetzt und jener düsteren, gewalttätigen Welt hin und her, der sie so knapp entronnen war. Trotzdem hatte sie darauf bestanden, bei der Verabschiedung Markos und Robins dabeizusein, die um Mitternacht nach Rom zurückflogen. Zwar war es für sie sehr anstrengend, längere Zeit auf einem Stuhl zu sitzen, doch die einzige Alternative - so hatte sie Cyrus gegenüber argumentiert war, flach auf dem Bauch zu liegen; dies jedoch war nicht nur ermüdend, sondern auch fürchterlich langweilig.
»Betrachtet man im nachhinein die näheren Umstände und die strategischen Voraussetzungen dieses versuchten Terroranschlags, dann sind wir wirklich nur äußerst knapp einem schrecklichen Blutbad entgangen«, stellte Marko fest. »Die Stellung auf dem Victoria Peak ist praktisch uneinnehmbar, und wenn die Regierung Hubschrauber, Polizei, Armee und Marine eingesetzt hätte...« Er schüttelte den Kopf. »Beim geringsten Anzeichen hätten die Terroristen ihre Raketen auf die Stadt abgefeuert und Hunderte oder gar Tausende von Unschuldigen getötet. Eine Handvoll Leute kann sich dort oben mehrere Tage halten und jedes beliebige Ziel in der Stadt unter Beschuß nehmen.«
>Genau das wäre geschehen<, dachte Mrs. Pollifax und nickte bekräftigend. Sie zweifelte nicht im geringsten daran, denn sie hatte - wenn auch nur kurz - die Bekanntschaft der >Befreiungsfront 8o< gemacht. Marko kannte die Psyche und die rücksichtslose Entschlossenheit dieser Männer, und er wußte, wovon er sprach...
Nachdem alles vorbei war, hatte man Mrs. Pollifax in einem Krankenhaus gründlich untersucht und geröngt. Sie hatte sich jedoch beharrlich geweigert, in dem Krankenhaus zu bleiben und war Cyrus nicht mehr von der Seite gewichen. Sie hatte es vorgezogen, sich den kundigen Händen Dr. Chiangs anzuvertrauen, der ihren Rücken mit Kräutersalben behandelt und ihr ein Beruhigungsmittel, Antibiotika und eine Tetanusspritze gegeben hatte. Cyrus hatte ihr eine Hühnerbrühe und Tee eingeflößt, und sie hatte den ganzen Nachmittag geschlafen. Zwar würde sie die Narben am Rücken ihr ganzes Leben lang behalten, meinte Dr. Chiang, doch ihre Beziehung zum CIA und ihre Rolle als Geisel hatte sie vor schlimmeren Qualen bewahrt - wie er ihr versicherte -, um ihr dann in aller Ausführlichkeit die kunstvolleren Foltermethoden der zivilisierten Welt zu schildern.
Mrs. Pollifax hatte ihm aufmerksam zugehört, um in Erfahrung zu bringen, aus welchem Grund sie Dankbarkeit empfinden müsse, sobald die brennenden Schmerzen in ihrem Rücken nachließen, und sie war schließlich zu der Erkenntnis gelangt, daß sie tatsächlich unwahrscheinliches Glück gehabt hatte.
Als sie am Nachmittag nach sechs Stunden Schlaf erwachte, waren die Schmerzen bereits erträglicher gewesen, und sie fühlte sich mittlerweile wieder soweit erholt, daß sie nun neugierig fragte: »Erzählt mir doch! Ich möchte alles hören.«
Wie ein Kind wartete sie darauf, eine wunderbare Geschichte mit glücklichem Ausgang zu hören, die ihr dabei helfen würde, wieder ganz in die Wirklichkeit zurückzufinden.
Robin lächelte ihr mitfühlend zu. »Na gut - schön... Zunächst mußt du dir jedoch das Bild vergegenwärtigen, wie wir alle ratlos und bis ins Mark frustriert die ganze Nacht in unserer Suite rumsaßen und entnervt auf ein Zeichen von dir warteten. Nur - es gab kein Zeichen von dir, und die Stunden, bis die Armee eingesetzt werden konnte, schienen endlos.
Es war Cyrus, der gegen vier Uhr plötzlich aufsprang und mitleidlos verkündete, daß wir uns alle wie verdammte Idioten benähmen, daß wir schließlich fünf ausgewachsene Männer seien und mit Witkowski, Krugg und Upshot sowie mit Dun-cans sieben Leuten des Sonderdezernats - falls dieser nichts gegen Freiwillige einzuwenden habe - eine recht schlagkräftige Truppe auf die Beine stellen könnten... «
»Wobei er sich gegen das Wort Freiwillige verwahrte«, warf Mr. Hitchens dazwischen.
»Na schön - Amateure«, gab Robin zu und konnte ein Grinsen nicht verbergen. »Amateure wie Cyrus, Mr. Hitchens, Sheng Ti und Ruthie...«
>Das klingt alles so wirklich - so real<, dachte Mrs. Pol-lifax, während sie aufmerksam zuhörte und keinen Blick von den Gesichtern ihrer Freunde ließ. Doch sie selbst fand noch immer nicht den Bezug zur Wirklichkeit, und nach wie vor schienen die Worte von weit her an ihr Oht zu dringen.
»Wenn ich mich recht erinnere«, berichtete Ruthie weiter, »hat Cyrus' Initiative endlich diesem quälenden Gefühl, völlig nutzlos herumzusitzen, ein Ende bereitet - und immerhin bestand die theoretische Möglichkeit, daß die >Befreiungsfront 8o< früher losschlagen könnte als erwartet.«
»Was sie dann ja auch getan hat«, erklärte Mr. Hitchens. »Mein Gott - wenn ich nur daran denke, was geschehen wäre, wenn wir nicht auf dem Peak gewesen wären...« Ruthie warf ihm einen warnenden Blick zu, und er verstummte taktvoll.
»Gott sei Dank griff Duncan den Vorschlag sofort auf«, fuhr Marko fort. »Ihm bereiteten die zehn Stunden, die wir noch auf den Einsatz der Armee warten sollten, ebensolches Unbehagen wie uns. Er war sogar bereit, mit dem Einsatzbefehl für seine Männer seinen Job zu riskieren; allerdings nur unter der Bedingung, daß wir äußerst professionell und mit der Annahme, die »Befreiungsfront 8o< werde tatsächlich zuschlagen, vorgehen würden.«
»Was keiner von uns für möglich hielt«, warf Robin dazwischen. »Außer Cyrus.«
»Richtig«, brummte Marko. »Trotzdem versicherten wir Duncan natürlich, daß wir davon überzeugt seien, und er gab uns freie Hand und schloß sich mit seinen sieben Männern an. Wir setzten uns zusammen und kamen - vor allem aufgrund des Wortes >Kommandozentrale< auf dem Zettel im Geheimfach des Buddhas - zu dem Schluß, daß wir unsere Aktivitäten auf den Gipfelturm des Victoria Peaks zu konzentrieren hatten... «
Robin nickte. »Wir postierten Duncans Männer auf dem Dach des Turms... «
»Das Restaurant ist nämlich bis zwölf Uhr geschlossen«, erklärte Ruthie. »Nur das Cafe im dritten Stock war geöffnet.«
»Richtig«, bestätigte Marko. »Und Ruthie und Mr. Hitchens saßen hinter einem Busch an der Auffahrt zum Turm mit Walkie-Talkies ausgerüstet... «
»... und mit Decken und Kaffee«, fügte Mr. Hitchens schmunzelnd hinzu.
»...Und mit dem Auftrag, jedes Fahrzeug, das vorbeikam, zu melden. Sheng Ti war unser Gärtner..., der ein ganzes Waffenarsenal in seinem Sack hinter sich herzog.«
Sheng Ti nickte eifrig und fügte strahlend hinzu: »Und einen Walkie-Talkie. Sehr gut!«
»Ich muß jedoch zugeben«, ergriff Robin das Wort, »daß wir alle, wie wir hier sitzen, unseren Augen nicht trauten, als die Terroristen tatsächlich am Turm ankamen. Wir waren gerade noch rechtzeitig gekommen!«
»Ich habe sie zuerst gesehen«, verkündete Sheng Ti stolz. Ruthie nickte. »Ja. Hitch und ich hatten lediglich einen Wagen auf der Straße zum Turm gemeldet, doch Sheng Ti fiel auf, daß zwei schwerbewaffnete Männer aus dem Wagen stiegen und nach oben zum Cafe fuhren.«
»Wo acht Besucher sowie Krugg und Upshot beim Frühstück saßen«, bemerkte Mr. Hitchens. »Die beiden Terroristen bedrohten sie mit Maschinenpistolen und zwangen sie, auf das Dach des Turms zu gehen.«
»Und dort nahmen wir sie in Empfang«, berichtete Cyrus.
»Robin, Marko, meine Wenigkeit, der dritte Mann von Interpol - wie war doch gleich sein Name? - und Duncans sieben Leute.«
»Es geschah alles so schnell!« murmelte Mr. Hitchens.
»Kurz danach«, fuhr Marko fort, »kam von Mr. Hitchens und Ruthie bereits die Meldung, daß ein VW-Bus die Straße zum Gipfel herauffahre, hinter dessen Fenster eindeutig Mrs. Follifax zu erkennen sei.«
Voller Verwunderung und mit dem hartnäckigen Gefühl, dies alles sei nicht wirklich geschehen, registrierte Mrs. Polli-fax, daß dies der Zeitpunkt war, an dem sie in die Handlung der Geschichte eintrat. Unwillkürlich verglich sie die niederdrückende Einsamkeit und Verzweiflung, die sie auf der Fahrt im VW-Bus empfunden hatte, mit der überschwenglich und freudig erregten Beschreibung der Geschehnisse seitens ihrer Freunde; doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich des deprimierenden Gefühls nicht erwehren, isoliert und im Grunde genommen alleine zwischen all diesen lieben Menschen zu sitzen. Sie war einfach nicht fähig, die qualvollen Stunden und die schrecklichen Erlebnisse der Nacht und des Morgens so ohne weiteres abzuschütteln. Der Gedanke an Detwiler bedrückte sie, und als sie den Blick hob, sah sie direkt in Alec Wis Augen und sie erkannte in ihnen denselben Schmerz, dieselbe Trauer, die sie empfand. Sie lächelte ihm aufmunternd zu und im selben Augenblick fühlte sie den leichten, beruhigenden Druck von Cyrus' Hand auf ihrem Arm und sie begriff, daß Cyrus sie verstand.
Mit einemmal fiel die beklemmende Düsterkeit von ihr ab, und wie ein freudiger Schock durchströmte sie die Erkenntnis, daß sie wieder empfinden konnte - sich selbst, das Leben, Cyrus, Alec und all die wunderbaren Menschen um sie. Es war, als wäre sie mit einem einzigen Schritt aus dem dumpfen Schatten eines Grabs in das helle, sanfte Sonnenlicht getreten.
»Cyrus fuhr ins Erdgeschoß hinab«, berichtete Robin weiter, »um auf dich zu warten und um dich durch seine Anwesenheit zu warnen... «
»Er machte sich natürlich Sorgen, Ihnen könnte bei der zu erwartenden Schießerei etwas geschehen«, warf Marko dazwischen.
Die Erinnerung an die Sekunden vor dem Aufzug zauberte ein zaghaftes Lächeln in Mrs. Pollifax' Züge, und erleichtert, endlich den Zugang zur Wirklichkeit wiedergefunden zu haben, gestand sie: »Ich dachte... Ich habe wirklich die ganze Zeit über geglaubt, ich hätte Halluzinationen ... Sheng Ti als Gärtner und Cyrus vor dem Aufzug des Gipfelturms - das konnte unmöglich die Wirklichkeit sein... Ich war überzeugt, verrückt geworden zu sein.«
»Sie befanden sich in einem tiefen Schockzustand«, erinnerte sie Ruthie. »Hervorgerufen durch die Folter, wie Dr. Chiang sagte, und dadurch, daß Sie mit ansehen mußten, wie Detwiler erschossen wurde.«
>Hervorgerufen durch die Folter und dadurch, daß ich mit ansehen mußte, wie Detwiler erschossen wurde...<, wiederholte Mrs. Pollifax in Gedanken. >Vielleicht werde ich eines Tages - eines schönen Sommertages, zwischen den Blumen in meinem Garten - in der Lage sein, alles aus einer größeren Distanz heraus zu überdenken und endlich diese Welt begreifen, die einerseits Mikrochips, computergesteuerte Roboter und Satelliten produziert, die sogar Menschen zum Mond schickt, andererseits jedoch nicht fähig ist, in Frieden und Eintracht zu leben, und deren Bewohner ohne das geringste Mitgefühl einander foltern, quälen und töten. Eines Tages vielleicht; doch nicht jetzt - noch nicht.. .<
Es fiel ihr leichter, an Detwiler zu denken; an den Menschen Detwiler, der mißbraucht und manipuliert worden war, hin und her gerissen zwischen Schwäche und Entschlossenheit, zwischen Selbstaufgabe und Opfermut - bis er dann doch noch die Kraft fand, zu handeln. Detwiler, der lieber gestorben war, als sich weiterhin zu unterwerfen und erniedrigen zu lassen...
Ihr wurde bewußt, daß alle sie verwundert und besorgt anstarrten. »Ich mußte an Detwiler denken«, erklärte sie. »Daran, daß es doch nicht umsonst war, daß er sein Leben für ein Funksignal von drei Minuten Länge geopfert hat.«
»Nein - es war nicht umsonst«, versicherte Marko. »Ganz sicher nicht, meine liebe Mrs. Pollifax! Denn hätte uns Cyrus nicht aus unserer Lethargie gerissen, wäre Detwilers Verzweiflungstat die einzige Chance gewesen, Sie und Alec doch noch zu retten. Das Signal wurde tatsächlich aufgefangen und das Gebäude gefunden. Wir hatten soeben die Vorhut der Terroristen im Turm überwältigt, als die Besatzung des Funkortungswagens Verstärkung anforderte, doch Duncan versicherte ihnen, wir hätten die Situation bereits unter Kontrolle. Sie hatten die Anweisung, Ihnen und dem VW-Bus in sicherer Distanz zum Gipfel zu folgen. Detwilers Tat war also keinesfalls umsonst.«
Mrs. Pollifax suchte Alecs Blick. »Vielleicht fällt es Ihnen nun leichter, ihm zu vergeben?«
»Vergeben - ja. Aber nicht vergessen«, erwiderte Alec verbittert. »Er war es ja nicht, der meinen Vater erschossen hat. Es war Mr. Feng... Mr. Feng hat...« Alecs Stimme versagte.
»Feng ist tot«, versuchte ihn Marko zu beschwichtigen.
»Er hat sich nach dem ersten Verhör erschossen.«
»Dann erklären Sie mir doch endlich, aus welchem Grund er diesen ganzen Wahnsinn angezettelt hat!«
Marko seufzte. »Sobald die Terroristen Hongkong in ihre Gewalt gebracht hatten, sollten sie die sofortige Einstellung aller Verhandlungsgespräche zwischen Großbritannien und Peking und eine Berücksichtigung Taiwans bei der Aufteilung der ehemaligen Kronkolonie fordern... Das sind Fengs eigene Worte...«
»War der Mann verrückt?« fuhr Alec auf.
»Alle Fanatiker sind mehr oder weniger verrückt«, stellte Marko trocken fest. »Er hat sein ganzes Leben der Rückeroberung Chinas durch die Nationalchinesen geopfert und ist damit gescheitert. Er war entschlossen, wenigstens zu verhindern, daß 1997 auch Hongkong an Rotchina fällt«, erklärte Marko. »Der Erwerb von Häusern in den verschiedensten Stadtvierteln Hongkongs, in denen Waffen und Munition versteckt und gelagert werden konnten... Wir nehmen sehr stark an, daß ihn dabei sein Bruder und andere Sympathisanten von Taiwan aus unterstützt haben. Den Kontakt mit der >Befreiungsfront 80'< hat sein Neffe Xian Pi hergestellt. Dann folgten die Überfälle auf die Diamantenkuriere, um die Operation zu finanzieren, und schließlich die methodische Verteilung der Diamanten, um Waffen und Schweigen zu kaufen.«
>Und die allmähliche Versklavung Detwilers<, dachte Mrs. Pollifax.
»Genau betrachtet«, fügte Marko freudlos hinzu, »waren seine Motive am Ende dann nicht mehr von denen der >Befreiungsfront 8o'< zu unterscheiden: Er wollte Hongkong in Schutt und Asche legen und seine Wut und seinen Haß gegen die ganze Welt befriedigen. Ihm kann nicht entgangen sein, daß es für seinen Traum von der Rückkehr der nationalistischen Regierung auf das Festland längst keine reale Grundlage mehr gibt. Doch er hatte sein ganzes Leben dieser Vorstellung gewidmet, und konnte offenbar nicht mehr zurück.«
»Das war Fengs Beweggrund«, warf Robin ein. »Der der >Befreiungsfront 8o'< war etwas profaner: Sie hatte die Absicht, zehn Millionen Dollar in Gold und freien Abzug auf Hongkong - vermutlich nach Libyen - zu fordern.«
Mrs. Pollifax schüttelte den Kopf angesichts dieses Wahnsinns. »Und was ist mit Eric dem Roten?«
»Tot«, erwiderte Robin ausdruckslos. »Er und zwei andere starben im Kugelhagel vor dem Aufzug. Die überlebenden Terroristen waren geständig und zeigten der Polizei, wo die Bomben deponiert waren - übrigens eine ganze Menge -, sicherlich in der Hoffnung auf ein milderes Urteil... Die Gerüchteküche in Hongkong produziert immer neue Variationen der Ereignisse. Um eine Panik zu vermeiden, hat der Gouverneur eine Nachrichtensperre verhängt, bis alle Bomben gefunden sind.«
»Natürlich war eines der Hauptmotive für die >Befrei-ungsfront 8o'< die Macht, die sie mit einemmal besitzen würde«, erinnerte Marko. »Mr. Fengs teufischer Plan war für sie eine verlockende Möglichkeit, einen vernichtenden Schlag gegen Recht und Ordnung, gegen die Regierungen der gesamten zivilisierten Welt zu führen. Zweifellos spielte in der Gruppe auch der Zwang, immer wieder neue Aktionen durchzuführen, eine gewisse Rolle; doch das zentrale Motiv war wohl das berauschende Gefühl der Macht, mit einer Schar von Geiseln im Gipfelturm zu sitzen und uns alle nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.«
»Doch das ist Gott sei Dank nicht eingetreten«, sagte Cyrus.
»Dieses Mal nicht - nein«, erwiderte Marko. »Nicht hier, nicht in Hongkong.«
Sie dachten über diese Bemerkung Markos nach, und nach einer Weile hob Mr. Hitchens sein Glas. »Dann schage ich vor, wir trinken auf das, was nicht geschehen ist... Vielleicht hat Mrs. Pollifax dem noch einiges hinzuzufügen?«
Sie lächelte ihm zu. »Ja - ja, ich denke schon«, sagte sie und ließ ihren Blick über die Gesichter ihrer Freunde schweifen: von Marko, mit seinen klugen, empfindsamen Augen, zu Robin, mit dem sie nun ein zweites gemeisames Abenteuer verband, zu Sheng Ti, der zusammen mit Lotus in die Vereingten Staaten gehen würde - Carstairs' Zusage war vor knapp einer Stunde eingetroffen - und zu Alec, der seinen Vater verloren, doch sein Leben neu gewonnen hatte.
Ihr Blick wanderte weiter zu Mr. Hitchens, dessen Leben wohl um einige Erfahrungen reicher geworden war, und schließlich zu Ruthie, die auf einer Pauschalreise ihr individuelles Glück gefunden hatte... Sie dachte an das Telegramm Bishops, das am frühen Abend eingetroffen war: »TUN SIE SO ETWAS NIE - NIE WIEDER STOP CARSTAIRS KONSUM AN BERUHIGUNGSMITTELN ERSCHRECKEND GESTIEGEN STOP ERBITTEN ANKUNFTSZEIT IN NEW YORK STOP BEREITEN SIE CYRUS AUF ÜBERSCHWENGLICHE DANKESBEZEIGUNGEN VOR STOP ALLES LIEBE BISHOP.
Schließlich fand ihr Blick Cyrus' Augen... Cyrus, der Mann, mit dem sie ihr Leben und die kleinen kostbaren Freuden der Gemeinsamkeit teilen konnte...
Sie erhob ihr Glas und lächelte ihm glücklich zui Dann sagte sie: »Auf alle Amateure - auf alle besorgten, zornigen und entschlossenen Amateure... Und darauf, daß das, was in Hongkong hätte geschehen können, niemals geschehen wird.«