SECHZEHN

Allmählich nehme ich die Welt um mich herum wieder wahr, und, o Gott, was für ein unglaubliches Gefühl. Es ist, als würde ich schweben. Meine Glieder fühlen sich leicht an, schwerelos, unkontrollierbar. Ich liege auf ihm, mein Kopf ruht auf seiner Brust. Sein göttlicher Duft steigt mir in die Nase, eine Mischung aus frischgewaschener Wäsche, einem edlen Duschgel und dem herrlichsten, verführerischsten Geruch auf der ganzen Welt: Christian. Ich will mich nicht bewegen, sondern am liebsten für immer hier liegenbleiben und diesen Duft einatmen. Ich schmiege mein Gesicht an seine Brust und wünsche mir, ich wäre nicht durch den Stoff seines T-Shirts von ihm getrennt. Während auch der Rest meines Körpers wieder ins Hier und Jetzt zurückkehrt, spreize ich die Hand auf seiner Brust. Er fühlt sich so fest an … so stark. Grob reißt er meine Finger weg, doch dann hebt er sie an seine Lippen und küsst meine Knöchel, als wolle er die Abruptheit seiner Bewegung ein wenig abmildern. Er dreht sich um, so dass ich unter ihm liege.

»Nicht«, murmelt er und küsst mich flüchtig.

»Wieso lässt du dich nicht gern anfassen?«, frage ich.

»Weil ich komplett abgefuckt bin, Anastasia. Und zwar in fünfzig verschiedenen Facetten.«

Seine Aufrichtigkeit wirft mich komplett aus der Bahn. Verblüfft sehe ich ihn an.

»Ich hatte einen ziemlich schlimmen Start ins Leben. Aber ich will dich nicht mit den Details belasten. Lass es einfach.« Er stupst mich mit der Nase an, dann zieht er sich aus mir zurück und setzt sich auf. »So. Ich denke, damit hätten wir alle wichtigen Teile abgedeckt. Wie war es für dich?«

Er klingt überaus selbstzufrieden und gleichzeitig sachlich, so als hätte er einen weiteren Punkt auf einer Liste abgehakt. Ich hingegen bin in Gedanken immer noch bei seinem »schlimmen Start ins Leben«. Es ist schrecklich frustrierend – ich will unbedingt mehr über ihn erfahren, aber er ist partout nicht bereit, etwas von sich preiszugeben. Ich lege den Kopf schief, wie er es sonst immer tut, und ringe mir ein Lächeln ab.

»Wenn du dir einbildest, ich würde dir allen Ernstes abkaufen, dass du das Ruder auch nur für eine Sekunde aus der Hand geben würdest, hast du offenbar vergessen, wen du vor dir hast.« Ich lächle schüchtern. »Aber danke, dass du mich in dem Glauben lassen wolltest.«

»Miss Steele, Sie haben mehr zu bieten als nur ein hübsches Gesicht. Bislang hatten Sie sechs Orgasmen, die allesamt mir gehören«, erklärt er mit gespieltem Triumph.

Mir schießt die Röte ins Gesicht. Er führt also Buch! »Gibt es irgendetwas, was du mir sagen willst?«, fragt er plötzlich streng.

Mist.

»Ich hatte heute Morgen einen Traum.«

»Ach ja?« Er starrt mich finster an.

Scheiße. Kriege ich jetzt Ärger?

»Ich bin im Schlaf gekommen.« Verschämt lege ich mir den Arm vors Gesicht. Er schweigt. Ich linse unter meinem Arm hervor. Mein Geständnis scheint ihn zu belustigen.

»Im Schlaf?«

»Ich bin davon aufgewacht.«

»Das kann ich mir vorstellen. Wovon hast du geträumt?«

Verdammt.

»Von dir.«

»Und was habe ich gemacht?«

Wieder verschanze ich mich hinter meinem Arm und gebe mich für den Bruchteil einer Sekunde der kindlichen Illusion hin, er könne mich nicht sehen, wenn ich ihn nicht sehen kann.

»Anastasia, was habe ich gemacht? Ich werde dich nicht noch einmal fragen.«

»Du hattest eine Reitgerte.«

Er zieht meinen Arm weg. »Ehrlich?«

»Ja.« Meine Wangen glühen tiefrot.

»Es besteht also doch Hoffnung für dich«, murmelt er. »Ich besitze mehrere Reitgerten.«

»Auch eine aus geflochtenem braunem Leder?«

Er lacht. »Das nicht, aber es sollte kein Problem sein, eine zu besorgen.«

Er gibt mir einen flüchtigen Kuss, dann verlässt er das Bett und hebt seine Boxershorts auf. Was, er will schon gehen? Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist erst Viertel vor zehn. Ich springe ebenfalls aus den Federn, streife mir eine Jogginghose und ein Bustier über und setze mich im Schneidersitz aufs Bett. Ich will nicht, dass er geht. Aber was soll ich machen?

»Wann bekommst du deine Periode?«, fragt er.

Wie bitte?

»Ich hasse diese Dinger«, knurrt er und hält das Kondom in die Höhe, ehe er es auf den Boden legt und in seine Jeans schlüpft.

»Und?«, fragt er, als ich nicht reagiere, und sieht mich gespannt an, als warte er auf die Wettervorhersage. Das ist doch Privatsache, verdammt nochmal.

»Nächste Woche.« Ich blicke auf meine Hände.

»Du musst dir Gedanken über die Verhütung machen.«

Immer muss er den Ton angeben. Ich sehe ihn ausdruckslos an. Er setzt sich auf die Bettkante und zieht sich Strümpfe und Schuhe an.

»Hast du einen guten Arzt?«

Ich schüttle den Kopf. Wir sind also wieder beim Geschäftlichen – der nächste radikale Stimmungsumschwung.

Er runzelt die Stirn. »Ich kann meinen eigenen anrufen und ihn um einen Termin in deinem Apartment bitten. Am Sonntagmorgen, bevor du zu mir kommst. Er kann dich aber auch bei mir zuhause untersuchen. Was ist dir lieber?«

Er lässt also mich entscheiden. Und schon wieder etwas, was er mir spendieren will. Andererseits müsste ich nicht verhüten, wenn es ihn nicht gäbe.

»Bei dir.« Das bedeutet, dass ich ihn am Sonntag sehen werde.

»Okay. Ich sage dir später noch die Uhrzeit.«

»Gehst du?«

»Ja.«

Wieso?

»Wie kommst du nach Hause?«, frage ich leise.

»Taylor holt mich ab.«

»Ich kann dich auch fahren. Ich habe einen nagelneuen Wagen vor der Tür stehen.«

Er sieht mich liebevoll an.

»So gefällt mir das gleich viel besser. Aber ich glaube, du hast ein bisschen zu viel getrunken.«

»Hast du mich mit Absicht abgefüllt?«

»Ja.«

»Wieso?«

»Weil du zu viel nachdenkst und genauso zugeknöpft bist wie dein Stiefvater. Ein Gläschen Champagner, und schon redest du wie ein Wasserfall, und ich muss schließlich offen und ehrlich mit dir sprechen können. Sonst ziehst du dich in dein Schneckenhaus zurück, und ich habe keine Ahnung, was in dir vorgeht. In vino veritas, Anastasia.«

»Und du bist sicher, dass du mir gegenüber immer ehrlich bist?«

»Ich bemühe mich redlich darum.« Wieder erscheint dieser wachsame Ausdruck in seinen Augen. »Es wird nur funktionieren, wenn wir absolut ehrlich miteinander sind.«

»Ich wünsche mir, dass du bleibst und das hier benutzt.« Ich halte das zweite Kondom in die Höhe.

Er grinst verschmitzt. »Ich habe heute Abend schon eine ganze Menge Grenzen überschritten, Anastasia. Ich muss gehen. Wir sehen uns am Sonntag. Ich sehe zu, dass eine überarbeitete Version des Vertrags für dich bereitliegt, damit wir endlich anfangen können zu spielen.«

»Spielen?« Mein Herz setzt einen Moment aus.

»Ich würde gern ein Szenario mit dir ausprobieren. Aber erst wenn du unterschrieben hast, kann ich sicher sein, dass du auch wirklich bereit bist.«

»Aha. Wenn ich also nicht unterschreibe, könnte ich noch eine Weile weitermachen wie bisher?«

Er mustert mich abwägend, dann verzieht sich sein Mund zu einem Lächeln. »Tja, wahrscheinlich, aber es könnte durchaus sein, dass ich der Belastung nicht standhalte.«

»Nicht standhalten? Und wie würde das aussehen?« Meine innere Göttin horcht auf.

Er nickt bedächtig und grinst. »Könnte ziemlich schlimm werden.«

Sein Grinsen ist ansteckend.

»Schlimm? Inwiefern?«

»Ach, das Übliche – Explosionen, wilde Verfolgungsjagden, Entführung, Gefangennahme.«

»Du willst mich entführen?«

»Allerdings.« Erneut grinst er.

»Mich gegen meinen Willen festhalten?«

»Ja.« Er nickt. »Und dann gibt’s nur noch eins: TPE. Und zwar total.«

»TPE?«, wiederhole ich atemlos. Ist das sein Ernst?

»Total Power Exchange. Die vollkommene Unterwerfung, rund um die Uhr.« Seine Augen glitzern. Ich kann seine Erregung förmlich spüren.

Wahnsinn!

»Folglich wird dir nichts anderes übrig bleiben«, erklärt er süffisant.

»Das sehe ich.« Vergeblich versuche ich, nicht sarkastisch zu klingen, während mein Blick gen Himmel schweift.

»Miss Anastasia Steele, haben Sie etwa gerade die Augen verdreht?«

Scheiße.

»Nein«, krächze ich.

»Ich glaube schon. Was habe ich gesagt? Was passiert, wenn Sie in meiner Gegenwart die Augen verdrehen?«

Mist.

Er setzt sich auf die Bettkante.

Ich werde blass. O Mann … er meint es tatsächlich ernst. Wie erstarrt sitze ich da und sehe ihn an.

»Noch habe ich nicht unterschrieben«, flüstere ich.

»Ich habe klipp und klar gesagt, was ich von dir erwarte. Ich bin kein Mann der leeren Worte. Ich werde dir den Hintern versohlen, und dann werde ich dich ficken, und zwar schnell und hart. Sieht so aus, als bräuchten wir dieses Kondom heute doch noch.«

Seine Stimme ist leise, drohend. Und unglaublich erregend. Die Lust frisst sich förmlich durch meine Eingeweide, brennend, scharf und übermächtig. Er sieht mich an. Seine Augen funkeln. Zögernd löse ich meine Beine. Was jetzt? Weglaufen? Unsere Beziehung hängt am seidenen Faden, das spüre ich ganz genau. Gehorche ich? Oder sage ich Nein, und das war’s dann? Denn eines ist mir klar: Wenn ich jetzt einen Rückzieher machen, ist es vorbei. Los, mach schon!, bettelt meine innere Göttin. Mein Unterbewusstsein ist genauso gelähmt vor Schock wie ich.

»Ich warte«, sagt er. »Und Geduld gehört nicht zu meinen Stärken.«

Grundgütiger Gott im Himmel! Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Ich habe Angst, bin erregt, meine Beine fühlen sich wie Pudding an. Ganz langsam krabble ich zu ihm hinüber und setze mich neben ihn.

»Braves Mädchen«, lobt er. »Und jetzt steh auf.«

Scheiße, kann er es nicht einfach gut sein lassen? Ich habe keine Ahnung, ob ich dem gewachsen bin. Zögernd stehe ich auf. Er streckt die Hand aus. Ich gebe ihm das Kondom. Unvermittelt packt er mich, legt mich übers Knie und dreht sich mit einer fließenden Bewegung so, dass mein Oberkörper auf dem Bett liegt, dann schwingt er sein rechtes Bein über meine Schenkel und drückt mich mit der linken Hand nach unten, so dass ich mich nicht bewegen kann. Ach du Scheiße!

»Leg beide Hände neben deinen Kopf«, befiehlt er.

Ich gehorche.

»Wieso tue ich das, Anastasia?«, fragt er.

»Weil ich die Augen verdreht habe«, presse ich mühsam hervor.

»Darf man so etwas tun, was meinst du?«

»Nein.«

»Wirst du es noch einmal tun?«

»Nein.«

»Künftig werde ich dich jedes Mal versohlen, wenn du es tust, verstanden?«

Im Zeitlupentempo zieht er mir die Jogginghose herunter. Wie entwürdigend! Es ist entwürdigend, Angst einflößend und wahnsinnig erotisch zugleich. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich bekomme kaum noch Luft. Ob es wehtun wird?

Er legt seine Handfläche auf mein nacktes Hinterteil, tätschelt und streichelt es zärtlich. Dann ist seine Hand plötzlich verschwunden … und er schlägt zu. Und wie! Au! Meine Augen quellen beinahe aus den Höhlen vor Schmerz. Ich versuche aufzustehen, doch er legt seine Hand zwischen meine Schulterblätter und drückt mich noch weiter nach unten. Wieder liebkost er die Stelle, die er gerade geschlagen hat. Ich höre seine Atemzüge. Sie sind lauter als vorhin, abgehackter. Er schlägt erneut zu, gleich mehrmals hintereinander. Verdammte Scheiße, tut das weh! Ich gebe keinen Laut von mir, doch mein Gesicht ist schmerzverzerrt. Ich versuche, mich ihm zu entwinden – angetrieben vom Adrenalin, das durch meine Venen pumpt.

»Halt still«, knurrt er, »sonst muss ich noch länger weitermachen.«

Inzwischen reibt er meine Pobacke, dann kommt der nächste Schlag. Er verfällt in einen stetigen Rhythmus: streicheln, tätscheln, schließlich ein kräftiger Schlag. Ich muss meine volle Konzentration aufbieten, um die Schmerzen zu ertragen. Mein Kopf ist wie leer gefegt, während ich versuche, die Schläge wegzustecken. Mir fällt auf, dass er nie zweimal hintereinander auf dieselbe Stelle schlägt, sondern den Schmerz gleichmäßig verteilt.

»Aaaahhh!«, schreie ich beim zehnten Mal – erst jetzt merke ich, dass ich unbewusst mitgezählt habe.

»Ich komme gerade erst in Fahrt.«

Der nächste Hieb saust auf meine nackte Haut herunter, abermals gefolgt von einer zärtlichen Berührung. Die Kombination aus den harten, schmerzenden Schlägen und den behutsamen Liebkosungen betäubt meine Sinne. Und wieder einer … allmählich wird es schwierig. Mein Gesicht ist so verzerrt vom Schmerz, dass selbst das wehtut. Ich spüre seine streichelnde Hand, gefolgt vom nächsten Hieb. Ich schreie auf.

»Außer mir kann dich niemand hier hören, Baby.«

Wieder schlägt er zu. Und noch einmal. Tief in meinem Inneren verspüre ich den Wunsch, ihn zu bitten, er möge endlich aufhören. Aber ich tue es nicht. Diese Genugtuung will ich ihm nicht verschaffen. Er fährt im selben gnadenlosen Rhythmus fort. Ich schreie noch sechs weitere Male. Insgesamt sind es achtzehn Schläge. Mein ganzer Körper schmerzt, glüht regelrecht von seinen erbarmungslosen Hieben.

»Das reicht«, stöhnt er heiser. »Gut gemacht, Anastasia. Und jetzt werde ich dich ficken.«

Wieder streichelt er liebevoll mein Hinterteil, das unter seiner Berührung höllisch zu brennen beginnt. Unvermittelt schiebt er zwei Finger in mich hinein. Ich fahre vor Schreck zusammen und schnappe nach Luft, als der neuerliche Übergriff mich aus meiner Betäubung reißt.

»Spürst du das? Siehst du, wie gut das deinem Körper gefällt, Anastasia? Du bist ganz feucht, kannst es kaum erwarten. Du kannst mich kaum erwarten.« Ein Anflug von Staunen liegt in seiner Stimme. Er beginnt, seine Finger in einem raschen Rhythmus vor- und zurückzuschieben.

Ich stöhne. O nein! Und dann sind seine Finger plötzlich verschwunden … und ich bleibe voller Sehnsucht nach ihnen zurück.

»Nächstes Mal werde ich dich richtig rannehmen. Du wirst jeden Schlag mitzählen. Wo ist das Kondom?«

Er greift danach, hebt meine Hüften ein Stück an und presst mich mit dem Gesicht nach unten aufs Bett. Ich höre, wie er den Reißverschluss seiner Jeans herunterzieht und das Kondompäckchen aufreißt. Dann zieht er mir die Jogginghose ganz nach unten und schiebt meine Beine nach vorn, so dass ich kniend auf dem Bett kauere. Behutsam streichelt er mein Hinterteil, das vor Schmerz glüht.

»Ich werde dich jetzt nehmen. Und du darfst kommen«, sagt er.

Wie bitte? Als hätte ich ernsthaft eine Wahl.

Sekunden später ist er in mir, füllt mich bis zum letzten Millimeter aus. Ich stöhne laut auf. Er beginnt sich zu bewegen, stößt in einem schnellen, heftigen Rhythmus gegen mein wundes Hinterteil. Das Gefühl ist unbeschreiblich, grob und entwürdigend und so intensiv, dass mir Hören und Sehen vergeht. Ich fühle mich völlig losgelöst, während all meine Sinne nur darauf gerichtet sind, was er mit meinem Körper anstellt; auf dieses vertraute Ziehen tief in meinem Unterleib, immer schneller, immer heftiger. NEIN … In diesem Augenblick wird mein Körper, dieser elende Verräter, von einem heftigen Orgasmus erschüttert.

»Oh, Ana!«, schreit er, während auch er Erlösung findet und mich fest umschlungen hält, als er sich in mich ergießt. Schwer atmend lässt er sich gegen mich sinken, dann dreht er mich um, so dass ich auf ihm liege, und versenkt das Gesicht in meinem Haar.

»Oh, Baby«, stöhnt er atemlos. »Willkommen in meiner Welt.«

So liegen wir da, nach Luft schnappend, und warten darauf, dass sich unsere Atemzüge wieder beruhigen. Zärtlich streicht er mir übers Haar. Wieder liege ich auf seiner Brust, nur bringe ich diesmal die Kraft nicht auf, ihn zu berühren. Junge, Junge … ich hab’s überstanden. So schlimm war es eigentlich gar nicht. Ich habe es souveräner über mich ergehen lassen, als ich dachte. Meine innere Göttin ist völlig überwältigt … na ja, zumindest hält sie für den Moment den Mund. Wieder versenkt Christian das Gesicht in meinem Haar und saugt tief meinen Geruch in seine Lunge.

»Sehr gut gemacht, Baby«, flüstert er.

Ich höre die Freude in seiner Stimme. Seine Worte hüllen mich ein wie eines dieser weichen, flauschigen Handtücher aus dem Heathman Hotel, und ich freue mich unbändig, dass er zufrieden mit mir ist.

Er zupft an meinem Bustier. »Schläfst du etwa in diesem Ding?«, fragt er.

»Ja«, antworte ich schläfrig. »Ein so schönes Mädchen sollte ausschließlich Seide tragen. Ich werde mit dir einkaufen gehen.«

»Ich mag die Sachen aber«, erwidere ich und kämpfe vergeblich gegen meinen leicht verärgerten Tonfall an.

Erneut küsst er mich auf den Scheitel. »Wir werden sehen.«

Wir bleiben noch ein paar Minuten liegen, vielleicht auch Stunden. Ich glaube sogar, dass ich irgendwann eingenickt bin.

»Ich muss gehen«, sagt er irgendwann und küsst behutsam meine Stirn. »Alles in Ordnung?« Seine Stimme ist sanft und weich.

Gute Frage. Mein Hinterteil ist wund und glüht, aber abgesehen davon, dass ich ziemlich fertig bin, fühle ich mich erstaunlicherweise großartig – eine ernüchternde Erkenntnis, mit der ich nicht gerechnet hätte und die ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann.

»Mir geht es gut.« Mehr will ich nicht sagen.

Er steht auf. »Wo ist das Badezimmer?«

»Den Flur runter links.«

Er hebt das zweite Kondom auf und verlässt das Schlafzimmer. Steifbeinig stehe ich auf und ziehe meine Jogginghose wieder an, die auf meinem schmerzenden Hinterteil ein klein wenig scheuert. Meine Reaktion macht mir immer noch zu schaffen. Ich erinnere mich genau an seine Prophezeiung, wie toll ich mich nach einer anständigen Tracht Prügel fühlen würde. Wie ist so etwas möglich? Ich verstehe es einfach nicht. Aber seltsamerweise hat er Recht. Ich kann nicht behaupten, ich hätte es genossen – offen gestanden, bin ich nach wie vor nicht scharf darauf, so etwas noch einmal über mich ergehen zu lassen. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass es sich gut anfühlt. Wie ein tiefes, sattes, befriedigendes Nachglühen. Ich stütze den Kopf auf die Hände. Ich verstehe es einfach nicht.

Christian kommt wieder herein. Ich kann mich nicht überwinden, ihm in die Augen zu sehen.

»Ich habe Babyöl gefunden, mit dem ich deinen Hintern einreiben kann.«

Wie bitte?

»Nein. Ich komme schon klar.«

»Anastasia«, sagt er warnend. Am liebsten würde ich die Augen verdrehen, reiße mich aber zusammen. Er setzt sich aufs Bett und zieht mir die Jogginghose herunter. Hoch und runter, hoch und runter. Wie bei einer Hure, bemerkt mein Unterbewusstsein bitter. Ich werfe ihm lautlos an den Kopf, was es mich mal kann. Christian gibt einen Klecks Öl auf seine Hand und verteilt es behutsam auf meiner Pobacke – vom Make-up-Entferner zur Lotion, um die Haut nach einer Tracht Prügel zu beruhigen. Wer hätte geahnt, dass dieses Zeug eine solche Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten besitzt.

»Ich liebe das Gefühl meiner Hände auf deiner Haut«, gesteht er, und ich kann ihm nur zustimmen.

»So«, sagt er, als er fertig ist, und zieht mir die Hose wieder hoch.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Halb elf.

»Ich werde jetzt gehen.«

»Ich bringe dich noch zur Tür.« Ich kann ihn immer noch nicht ansehen.

Er nimmt meine Hand und geht zur Haustür. Zum Glück ist Kate noch nicht da. Bestimmt sitzt sie noch mit ihrer Familie und Ethan beim Abendessen. Ich bin heilfroh, dass sie nicht hier war und etwas von meiner Züchtigung mitbekommen hat.

»Musst du nicht Taylor anrufen?«, frage ich mit abgewandtem Blick.

»Taylor wartet schon seit neun Uhr auf mich. Sieh mich an.«

Ich überwinde mich, und als ich den Kopf hebe, sehe ich die Bewunderung in seinem Blick.

»Du hast nicht geweint«, stellt er fest, zieht mich unvermittelt an sich und küsst mich voller Hingabe. »Sonntag«, murmelt er dicht an meinem Mund. Seine Worte sind ein Versprechen und eine Drohung zugleich.

Ich sehe ihm nach, wie er die Einfahrt hinuntergeht und in den großen schwarzen Audi steigt. Er dreht sich nicht einmal um. Ich schließe die Tür und stehe hilflos im Wohnzimmer des Apartments, in dem ich nur noch zwei weitere Nächte verbringen werde. Ein Apartment, das fast vier Jahre lang mein Zuhause war … und in dem ich mich heute zum ersten Mal einsam und unwohl fühle. Meine eigene Gesellschaft ist mir unangenehm. Habe ich mich selbst so sehr verleugnet? Ich weiß genau, dass unter meiner scheinbar betäubten Oberfläche die Tränen lauern. Was tue ich hier eigentlich? Das Ironische an der Situation ist, dass ich mich noch nicht mal hinsetzen und mich ausheulen kann. Ich muss es im Stehen tun. Mir ist zwar klar, dass es schon spät ist, trotzdem rufe ich meine Mutter an.

»Schatz, wie geht’s dir? Wie war die Abschlussfeier?«, fragt sie. Ihre Stimme ist wie Balsam für mich.

»Tut mir leid, dass ich so spät noch anrufe«, flüstere ich.

Sie hält inne.

»Ana? Was ist denn?« Mit einem Mal ist sie todernst.

»Gar nichts, Mom. Ich wollte nur deine Stimme hören.«

Einen Moment lang herrscht Stille in der Leitung.

»Ana, was ist los? Bitte sag es mir.« Ihre Stimme ist sanft und beschwichtigend, und ich weiß, dass sie sich Sorgen um mich macht. Unvermittelt kommen mir die Tränen. Wie so oft in den letzten Tagen.

»Bitte, Ana.« Sie klingt so bedrückt, wie ich mich fühle.

»Oh, Mom, es geht um einen Mann.«

»Was hat er dir getan?«

Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie sich versteift.

»Das ist es nicht.« Obwohl … Mist. Ich will nicht, dass sie sich um mich sorgt. Ich brauche nur jemanden, an dessen Schulter ich mich für einen Augenblick anlehnen kann.

»Ana, bitte. Du machst mir Angst.«

Ich hole tief Luft. »Ich habe mich in ihn verliebt, aber er ist so ganz anders als ich, und ich weiß nicht, ob es das Richtige ist.«

»Oh, Schatz, ich wünschte, ich könnte bei dir sein. Es tut mir so leid, dass ich nicht zu deiner Feier kommen konnte. Du hast endlich jemanden gefunden. Schatz, Männer sind nun mal ein Fall für sich. Sie gehören einer anderen Spezies an, Liebes. Wie lange kennst du ihn schon?«

Christian gehört nicht nur einer anderen Spezies an, sondern lebt auf einem völlig anderen Planeten als ich.

»Seit knapp drei Wochen oder so.« »Ana, Schatz, das ist ja gar nichts. Wie willst du jemanden innerhalb so kurzer Zeit wirklich kennen lernen? Lass es locker angehen und mach dich rar, bis du dich entschieden hast, ob er dich überhaupt verdient.«

Wow … eigentlich nerven mich die klugen Ratschläge meiner Mutter, aber dafür ist es jetzt zu spät. Ob er mich überhaupt verdient.

Ein interessanter Denkansatz. Und ich zerbreche mir ständig den Kopf darüber, ob ich ihn verdiene.

»Du klingst so unglücklich, Schatz. Komm nach Hause. Du fehlst mir, Liebling. Und Bob würde dich auch gern wiedersehen. Damit würdest du ein bisschen Abstand bekommen und könntest die Dinge aus einer ganz neuen Perspektive betrachten. Ein kleiner Tapetenwechsel wäre genau das Richtige für dich, nachdem du so hart gearbeitet hast.«

Das klingt echt verlockend. Einfach nach Georgia abhauen. Ein bisschen Sonne tanken, Cocktails schlürfen. Die gute Laune meiner Mutter … mich in ihre liebevollen Arme fallen lassen.

»Ich habe aber am Montag zwei Vorstellungsgespräche in Seattle.«

»Oh, das ist ja wunderbar.«

Die Tür geht auf. Kate kommt strahlend herein, doch ihr Lächeln verfliegt sofort, als sie die Tränenspuren auf meinem Gesicht sieht.

»Ich muss Schluss machen, Mom. Ich werde es mir überlegen. Danke.«

»Schatz, lass nicht zu, dass dir eine Beziehung so an die Nieren geht. Dafür bist du noch viel zu jung. Und jetzt amüsier dich.«

»Ja, Mom. Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch, Ana. Sehr sogar. Pass auf dich auf, Schatz.«

Ich lege auf und sehe Kate an, die mit finsterer Miene vor mir steht.

»Hat dich dieser obszön reiche Drecksack etwa zum Weinen gebracht?«

»Nein … na ja … irgendwie … ja.«

»Sag ihm einfach, er soll die Kurve kratzen, Ana. Seit du ihn kennst, bist du komplett durch den Wind. Ich habe dich noch nie so erlebt.«

In der Welt von Katherine Kavanagh gibt es nur Schwarz und Weiß. Für die undurchsichtigen, geheimnisvollen, vagen Grauschattierungen, wie sie in meiner Welt existieren, ist dort kein Platz. Willkommen in meiner Welt.

»Setz dich hin. Lass uns eine Flasche Wein aufmachen. Oh, du hast Champagner getrunken.« Sie liest das Etikett. »Und noch dazu einen wirklich edlen Tropfen.«

Ich lächle halbherzig und beäuge misstrauisch die Couch. Hm … hinsetzen?

»Alles klar?«

»Ich bin hingefallen und ziemlich unsanft auf dem Hintern gelandet.«

Sie denkt nicht einmal im Traum daran, meine Erklärung in Zweifel zu ziehen, weil ich einer der tollpatschigsten Menschen in ganz Washington bin. Ich hätte nie geglaubt, dass ich diese Eigenschaft irgendwann mal als Segen betrachten würde. Vorsichtig lasse ich mich aufs Sofa sinken und stelle erstaunt fest, dass es weniger wehtut, als ich gedacht hatte. Ich muss wieder an den Morgen in seiner Suite im Heathman denken – Wenn du mir gehören würdest, könntest du nach dem, was du dir gestern geleistet hast, eine Woche lang nicht sitzen.

Schon damals hat er es angekündigt, aber ich hatte nur einen Gedanken: möglichst schnell ihm zu gehören. All die Warnschilder gab es damals schon, nur war ich zu unbedarft und viel zu fasziniert von ihm, um sie zu bemerken.

Kate kehrt mit einer Flasche Rotwein und den beiden ausgespülten Tassen ins Wohnzimmer zurück.

»Hier, bitte.« Sie reicht mir eine Tasse voll Wein. Er wird bestimmt nicht so lecker schmecken wie der Champagner.

»Ana, wenn der Typ nur ein Arschloch mit Bindungsangst ist, dann schieß ihn ab. Andererseits würde es mich wundern, denn vorhin im Zelt hat er dich ja praktisch mit Argusaugen bewacht. Wenn du mich fragst, war er hin und weg von dir, aber vielleicht hat er eben eine seltsame Art, es zu zeigen.«

Hin und weg? Christian? Eine seltsame Art, es zu zeigen?

»Es ist ziemlich kompliziert, Kate. Wie war dein Abend?«, frage ich.

Ich kann nicht mit Kate darüber reden, ohne zu viel preiszugeben, aber eine kurze Frage nach ihrem Tag genügt schon, und Kate beginnt wie ein Wasserfall zu reden. Es tut gut, einfach nur dazusitzen und ihrem Geplapper zu lauschen. Die große Neuigkeit des Tages ist, dass Ethan nach ihrem gemeinsamen Urlaub vielleicht zu uns zieht. Das wird bestimmt ein Riesenspaß – Ethan ist ein echter Knaller. Ich runzle die Stirn. Das wird Christian garantiert nicht gefallen. Tja … Pech gehabt. Diese Kröte wird er wohl oder übel schlucken müssen. Ich trinke noch ein paar Schluck Wein und beschließe, es für heute gut sein zu lassen. Es war ein langer Tag. Kate umarmt mich und schnappt sich das Telefon, um Elliot anzurufen.

Ich putze mir die Zähne und checke meine E-Mails. Eine von Christian ist in meinem Posteingang.

Von: Christian Grey

Betreff: Sie

Datum: 26. Mai 2011, 23:14 Uhr

An: Anastasia Steele


Sehr geehrte Miss Steele,

Sie sind absolut exquisit. Die schönste, intelligenteste, witzigste und tapferste Frau, die mir je begegnet ist. Nehmen Sie eine Schmerztablette – das ist keine Bitte. Und Finger weg von Ihrem Käfer. Verlassen Sie sich drauf, ich finde es heraus, wenn Sie’s nicht tun.

CHRISTIAN GREY


CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Oh, also darf ich meinen eigenen Wagen nicht mehr fahren.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Schmeichelei

Datum: 26. Mai 2011, 23:20 Uhr

An: Christian Grey


Sehr geehrter Mr. Grey,

Ihre Schmeicheleien führen nirgendwo hin, aber da Sie ja ohnehin schon überall waren, ist dieser Punkt irrelevant.

Ich werde meinen Käfer in die Werkstatt fahren müssen, damit ich ihn anschließend verkaufen kann, und bin deshalb nicht bereit, mir Ihre Stänkereien über Wanda noch länger anzuhören.

Rotwein ist eindeutig die bessere Wahl als Schmerztabletten.

Ana

PS: Schläge mit dem Rohrstock sind definitiv ein Hard Limit für mich.

Ich drücke auf »Senden«.

Von: Christian Grey

Betreff: Frustrierte Weiber, die keine Komplimente annehmen können

Datum: 26. Mai 2011, 23:26 Uhr

An: Anastasia Steele


Sehr geehrte Miss Steele,

das sind keine Schmeicheleien. Sie sollten jetzt zu Bett gehen. Mit Ihrer Ergänzung der Hard Limits bin ich einverstanden. Behalten Sie Ihren Alkoholkonsum im Auge.

Taylor wird sich um die Entsorgung Ihres Wagens kümmern und einen guten Preis dafür erzielen.

CHRISTIAN GREY


CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.


Von: Anastasia Steele

Betreff: Taylor – Ist er der richtige Mann für diese Aufgabe?

Datum: 26. Mai 2011, 23:40 Uhr

An: Christian Grey


Sehr geehrter Mr. Grey,

es erstaunt mich, dass Sie so bereitwillig das Risiko eingehen, dass sich Ihre rechte Hand hinters Steuer meines Wagens setzt, nicht jedoch eine x-beliebige Frau, die Sie ab und zu mal vögeln. Wie kann ich sicher sein, dass Taylor tatsächlich den besten Preis dafür erzielt? Ich habe immerhin einen Ruf als knallharte Verhandlungspartnerin.

Ana

Von: Christian Grey

Betreff: Achtung!

Datum: 26. Mai 2011, 23:44 Uhr

An: Anastasia Steele


Sehr geehrte Miss Steele,

ich gehe davon aus, dass der ROTWEIN aus Ihnen spricht, außerdem liegt ein langer, schwerer Tag hinter Ihnen.

Trotzdem bin ich versucht, noch einmal bei Ihnen vorbeizufahren, um dafür zu sorgen, dass Sie eine geschlagene Woche lang nicht mehr auf Ihrem Hintern sitzen können und nicht nur einen Abend.

Taylor ist ehemaliger Soldat und kann alles fahren – vom Motorrad bis hin zum Sherman-Panzer. Ihr Wagen stellt keinerlei Gefahr für seine Unversehrtheit dar.

Und bitte titulieren Sie sich nicht als »x-beliebige Frau«, die ich »ab und zu mal vögle«, denn es macht mich, offen gestanden, WÜTEND, und Sie wollen definitiv nicht in meiner Nähe sein, wenn ich wütend bin.

CHRISTIAN GREY


CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.


Von: Anastasia Steele

Betreff: Selber Achtung!

Datum: 26. Mai 2011, 23:57 Uhr

An: Christian Grey


Sehr geehrter Mr. Grey,

ich bin nicht sicher, ob ich Sie trotzdem leiden kann. Vor allem im Moment nicht.

Miss Steele

Von: Christian Grey

Betreff: Selber Achtung!

Datum: 27. Mai 2011, 00:03 Uhr

An: Anastasia Steele


Wieso können Sie mich nicht leiden?

CHRISTIAN GREY


CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.


Von: Anastasia Steele

Betreff: Selber Achtung!

Datum: 27. Mai 2011, 00:09 Uhr

An: Christian Grey


Weil Sie nie bei mir bleiben.

So. Damit habe ich ihm ein wenig Stoff zum Nachdenken gegeben. Mit einer schwungvollen Bewegung klappe ich den Laptop zu und verkrieche mich ins Bett. Ich knipse die Nachttischlampe aus und starre an die Zimmerdecke. Christian hat Recht – es liegt tatsächlich ein langer Tag hinter mir. Ein Tag mit einer Achterbahn der Gefühle. Ray wiederzusehen hat unendlich gutgetan. Er sah so gut aus, und erstaunlicherweise schien er Christian sehr sympathisch zu finden. Lieber Gott, Kate und ihre Riesenklappe. Und Christian über den Hunger sprechen zu hören. Was zum Teufel hat er genau damit gemeint? O Gott, und dieses Auto. Das habe ich Kate noch gar nicht erzählt. Was hat er sich nur dabei gedacht?

Und zu guter Letzt der heutige Abend. Er hat mich geschlagen. Ich bin noch nie in meinem Leben geschlagen worden. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Ganz langsam kullern mir die Tränen, die Kates Auftauchen für eine kurze Weile aufgehalten hat, über die Wangen. Ich habe mich in einen Mann verliebt, der emotional so verschlossen ist, dass ich dabei nur verlieren kann – tief in meinem Innern weiß ich ganz genau, dass er mich verletzen wird. Ich habe mich in jemanden verliebt, der nach eigener Aussage komplett abgefuckt ist. Aber wieso ist er abgefuckt? Es muss entsetzlich sein, mit dieser Gewissheit zu leben, und die Vorstellung, dass er als kleiner Junge unsäglichem Leid und Grausamkeiten ausgesetzt war, treibt mir erst recht die Tränen in die Augen. Aber wäre er normaler, würde er vielleicht gar nicht auf dich stehen, meldet sich mein Unterbewusstsein zu Wort. Und tief im Herzen weiß ich, dass es Recht hat. Ich vergrabe den Kopf im Kissen und lasse meinen Tränen freien Lauf … zum ersten Mal seit vielen Jahren weine ich mir die Augen aus dem Kopf.

Kates Stimme reißt mich für einen kurzen Moment aus meinem Tal der Tränen.

»Was zum Teufel wollen Sie denn hier?«

»Nein, das geht nicht!«

»Was zum Teufel haben Sie mit ihr angestellt?«

»Seit sie Ihnen begegnet ist, weint sie die ganze Zeit nur noch!«

»Sie kommen hier nicht rein!«

Christian stürmt in mein Zimmer und knipst ohne Umschweife die Deckenbeleuchtung an.

Blinzelnd sehe ich ins helle Licht.

»Großer Gott, Ana«, stößt er hervor, macht das Licht wieder aus und durchquert den Raum mit wenigen Schritten.

»Was tust du denn hier?«, stammle ich zwischen Schluchzern. Mist. Ich kann nicht aufhören zu heulen.

Er knipst die Nachttischlampe an. Wieder blinzle ich. Kate erscheint im Türrahmen.

»Soll ich dieses Arschloch rausschmeißen?«, fragt sie mit thermonuklearer Feindseligkeit.

Sichtlich überrascht von ihrer leidenschaftlichen Abneigung und dem herzhaften Schimpfwort, hebt Christian die Brauen. Ich schüttle den Kopf, woraufhin sie die Augen verdreht … Oh, das würde ich in Mr. Greys Gegenwart lieber nicht tun.

»Ruf mich einfach, wenn du mich brauchst«, sagt sie eine Spur sanfter. »Grey – ich habe Sie auf dem Radar, nur damit Sie’s wissen«, faucht sie. Er blinzelt. Sie dreht sich um und zieht die Tür zu, lässt sie jedoch angelehnt.

Christian sieht mich an. Sein Gesicht ist aschfahl, seine Miene ernst. Er trägt ein Nadelstreifenjackett, aus dessen Innentasche er ein Taschentuch zieht und mir reicht. Soweit ich weiß, muss sein anderes hier noch irgendwo herumliegen.

»Was ist los?«, fragt er leise.

»Wieso bist du hergekommen?« Ich ignoriere seine Frage. Wie durch ein Wunder sind meine Tränen versiegt, trotzdem werde ich immer noch von trockenen Schluchzern geschüttelt.

»Zu meiner Rolle gehört auch, mich um dich zu kümmern. Du möchtest, dass ich bei dir bleibe, also bin ich hergekommen. Und dann finde ich dich in so einem Zustand vor.« Er scheint aufrichtig bestürzt zu sein. »Ich bin sicher, ich bin der Grund dafür, dass du so aufgelöst bist, aber ich habe keine Ahnung, wieso. Liegt es daran, dass ich dich geschlagen habe?«

Ich setze mich auf, doch der Schmerz lässt mich zusammenzucken.

»Hast du eine Tablette genommen?«

Ich schüttle den Kopf.

Er kneift die Augen zusammen, steht auf und verlässt das Zimmer. Ich höre ihn mit Kate reden, verstehe aber nicht, was sie sagen. Kurz darauf kehrt er mit den Tabletten und einer Tasse Wasser zurück.

»Hier, nimm«, befielt er sanft und setzt sich auf meine Bettkante.

Ich gehorche.

»Erzähl mir, was los ist«, flüstert er. »Du hast gesagt, es wäre alles in Ordnung. Hätte ich gewusst, dass es dir so schlecht geht, hätte ich dich auf keinen Fall alleingelassen.«

Ich betrachte meine Hände. Was soll ich dazu noch sagen? Das genügt mir nicht. Ich will, dass er bleibt, weil er gern hier ist, und nicht, weil ich das heulende Elend bin. Und ich will nicht geschlagen werden. Ist das zu viel verlangt?

»Also war vorhin doch nicht alles in Ordnung, obwohl du es behauptet hast?«

Ich werde rot. »Ich dachte, es geht mir gut.«

»Es bringt doch nichts, mir eine Lüge aufzutischen, nur weil du denkst, dass ich sie gern hören will, Anastasia. Das ist unaufrichtig«, tadelt er. »Wenn du so etwas tust, kann ich dir doch kein Wort mehr glauben.«

Er sieht mich mit gerunzelter Stirn an und fährt sich mit den Händen durchs Haar. »Wie hast du dich gefühlt, als ich dich geschlagen habe und danach?«

»Es hat mir nicht gefallen. Es wäre mir lieber, du würdest es nicht mehr tun.«

»Es sollte dir auch nicht gefallen.«

»Aber wieso tust du es dann gern?« Ich sehe ihn an.

Mit dieser Frage hat er offenbar nicht gerechnet.

»Willst du das allen Ernstes wissen?«

»O ja, ich kann es kaum erwarten, glaub mir.« Vergeblich versuche ich, den Hauch von Sarkasmus in meiner Stimme zu unterdrücken.

Wieder mustert er mich mit zusammengekniffenen Augen. »Vorsicht«, warnt er.

Ich werde blass. »Schlägst du mich noch einmal?«

»Nein, heute Abend nicht.«

Puh … mein Unterbewusstsein und ich stoßen gleichermaßen einen erleichterten Seufzer aus.

»Also …«

»Es geht um die Kontrolle, Anastasia. Ich will, dass du ein bestimmtes Verhalten an den Tag legst, und wenn du es nicht tust, bestrafe ich dich dafür. Und du wirst lernen, dich so zu verhalten, wie ich es gern will. Ich genieße es, dich zu bestrafen. Schon seit du mich gefragt hast, ob ich schwul bin, freue ich mich darauf, dich zu versohlen.«

Die Erinnerung treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. Nach dieser Frage hätte ich mir am liebsten selbst eine Tracht Prügel verpasst. Also ist Katherine Kavanagh an allem schuld. Wäre sie zu diesem Interview gegangen und hätte ihm die Frage gestellt, würde sie jetzt mit einem wunden Hintern hier sitzen. Die Vorstellung gefällt mir überhaupt nicht. Was mich ziemlich verwirrt.

»Also magst du mich nicht so, wie ich bin.«

Wieder starrt er mich fassungslos an. »Ich finde, du bist wunderbar, so wie du bist.«

»Wieso willst du mich dann verändern?«

»Ich will dich gar nicht verändern, sondern nur, dass du brav bist, dich an die Regeln hältst und mir nicht widersprichst. So einfach ist das.«

»Aber bestrafen willst du mich trotzdem.«

»Ja.«

»Und genau das verstehe ich nicht.«

Seufzend rauft er sich abermals das Haar. »So bin ich nun mal gestrickt, Anastasia. Ich brauche diese Kontrolle über dich. Es ist wichtig, dass du dich auf eine bestimmte Art und Weise verhältst, und wenn du es nicht tust … genieße ich es zuzusehen, wie deine wunderschöne Alabasterhaut unter meinen Händen heiß und rot wird. Es macht mich an.«

Allmählich kommen wir der Sache näher.

»Also geht es gar nicht um den Schmerz, den du mir zufügst?«

Er schluckt. »Doch, auch ein bisschen. Ich will sehen, ob du ihn aushältst, aber das ist nicht der Hauptgrund. Es geht darum, dass du mir gehörst und tun musst, was ich für richtig halte. Es geht um die ultimative Kontrolle über einen anderen Menschen. Genau das törnt mich an. Und zwar unglaublich, Anastasia. Es fällt mir schwer, genau zu erklären, was ich dabei empfinde … bisher musste ich das noch nie tun. Bislang habe ich mir nie groß Gedanken darüber gemacht, weil ich immer nur mit Gleichgesinnten zu tun hatte.« Er zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Außerdem hast du meine Frage immer noch nicht beantwortet. Wie ging es dir danach? Wie hast du dich gefühlt?«

»Ich war durcheinander.«

»Es hat dich sexuell erregt, Anastasia.« Er schließt für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnet, sehe ich die Leidenschaft darin flackern.

Sein Blick berührt mich, jenen dunklen Teil, der in meinem Unterleib schlummert – meine Libido, von ihm zum Leben erweckt und bezähmt und dennoch nach wie vor unersättlich.

»Sieh mich nicht so an«, murmelt er.

Ich runzle die Stirn. Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?

»Ich habe kein Kondom dabei, Anastasia, außerdem bist du völlig durcheinander. Ich bin kein Sex-Ungeheuer, auch wenn deine Mitbewohnerin anderer Meinung sein mag. Zurück zum Thema. Du warst also durcheinander.«

Ich winde mich unbehaglich unter seinem eindringlichen Blick.

»In deinen Mails fällt es dir offenbar überhaupt nicht schwer, mir genau zu erklären, was in dir vorgeht. Wieso schaffst du es dann nicht, wenn ich vor dir stehe? Hast du so große Angst vor mir?«

Ich zupfe einen unsichtbaren Fussel von dem blau-cremefarbenen Quilt, den mir meine Mutter geschenkt hat.

»Ich bin restlos verzaubert von dir, Christian. Überwältigt. Ich fühle mich wie Ikarus. Als würde ich der Sonne zu nahe kommen«, flüstere ich.

»Wenn du mich fragst, ist es genau umgekehrt.«

»Was?«

»Oh, Anastasia, du hast mich regelrecht verhext. Sieht man das nicht?«

Nein, ich nicht. Verhext … meiner inneren Göttin fällt die Kinnlade herunter. Nicht einmal sie kauft ihm das ab.

»Aber du hast meine Frage nach wie vor nicht beantwortet. Schreib mir eine Mail. Bitte. Aber jetzt wird erst einmal geschlafen. Kann ich hierbleiben?«

»Willst du das denn?«, frage ich mit unüberhörbarer Hoffnung in der Stimme.

»Du wolltest doch, dass ich hier bin.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Ich werde dir eine E-Mail schreiben.«

Er steht auf und beginnt, seine Hosentaschen zu leeren – BlackBerry, Schlüssel, Brieftasche und Münzen. Da behaupte noch einer, Männer hätten nie etwas in den Taschen. Er zieht Schuhe und Socken aus, legt seine Uhr ab, schlüpft aus seinen Jeans und legt sein Jackett über den Stuhl. Dann tritt er auf die andere Seite des Bettes und legt sich neben mich.

»Leg dich hin«, befiehlt er.

Langsam rutsche ich unter die Decke, zucke vor Schmerz zusammen und sehe ihn an. O Mann … er bleibt tatsächlich hier. Ich bin wie betäubt vor Schock, vor Freude. Er stützt sich auf einen Ellbogen und sieht auf mich herunter.

»Wenn du weinen musst, dann tu es vor mir. Ich muss wissen, was in dir vorgeht.«

»Du willst, dass ich weine?«

»Nein, eigentlich nicht. Ich will nur wissen, wie du dich fühlst. Ich will nicht, dass du mir entgleitest. Und jetzt mach das Licht aus. Es ist schon spät, und wir müssen morgen beide zur Arbeit.«

Er ist hier … und kommandiert mich wie gewohnt herum. Er liegt in meinem Bett. Ich verstehe es immer noch nicht so recht … vielleicht sollte ich ja häufiger in Tränen ausbrechen. Ich knipse die Nachttischlampe aus.

»Leg dich auf die Seite, mit dem Rücken zu mir«, murmelt er in der Dunkelheit.

Ich verdrehe die Augen, wohl wissend, dass er es nicht mitbekommt, gehorche jedoch. Vorsichtig rückt er näher, legt die Arme um mich und zieht mich an sich.

»Schlaf jetzt, Baby«, flüstert er. Ich spüre, wie er die Nase in mein Haar steckt und tief einatmet.

Wow. Christian Grey schläft in meinem Bett. In der tröstlichen Wärme seiner Umarmung falle ich in einen tiefen, friedlichen Schlaf.

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