DREIUNDZWANZIG
Nervös sehe ich mich in der Bar um, kann ihn aber nirgendwo entdecken.
»Was ist los, Ana, du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Christian. Er ist hier.«
Ich habe versäumt, meiner Mutter von Christians Stalking-Neigungen zu erzählen.
Da ist er. Ich sehe ihn. Mein Herz macht einen Satz und beginnt zu hämmern, als er auf uns zukommt. Er ist tatsächlich hier – meinetwegen. Meine innere Göttin springt jubelnd von ihrem Sofa auf. Er bahnt sich einen Weg durch die Gäste. Im Schein der Halogenspots schimmert sein Haar in einem satten Kupferton. Seine grauen Augen funkeln – vor Wut? Vorfreude? Sein Mund ist zu einer schmalen Linie zusammengepresst, sein Kiefer angespannt. Oje … bitte nicht. Ich bin stinksauer auf ihn. Aber vor meiner Mutter?
Inzwischen steht er in seinem gewohnten Outfit aus Jeans und weißem Hemd vor unserem Tisch.
»Hi«, krächze ich und versuche vergeblich, mir nicht anmerken zu lassen, wie schockiert und erschrocken ich über sein Auftauchen bin.
»Hi«, sagt er, beugt sich vor und küsst mich zu meiner Verblüffung auf die Wange.
»Christian, das ist meine Mutter Carla.« Zum Glück lassen mich wenigstens meine Manieren nicht im Stich.
Er wendet sich meiner Mutter zu. »Mrs. Adams, es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen.«
Woher kennt er ihren Nachnamen? Er schenkt ihr sein bewährtes Strahlelächeln, dessen Charme sich niemand entziehen kann. Sie hat keine Chance. Ihre Kinnlade schlägt förmlich auf der Tischplatte auf. Liebe Güte, reiß dich gefälligst zusammen, Mom. Sie ergreift seine ausgestreckte Hand und schüttelt sie. Bisher ist noch kein Wort über ihre Lippen gekommen. Oh, der spontane Komplettverlust meines Sprachvermögens ist also genetisch bedingt. Das wusste ich ja gar nicht.
»Christian«, stammelt sie schließlich atemlos.
Er lächelt wissend, und seine grauen Augen funkeln. Ich beobachte das Szenario mit zusammengekniffenen Augen.
»Was machst du denn hier?« Meine Frage klingt spröder als beabsichtigt. Sein Lächeln verfliegt, und ein reservierter Ausdruck tritt auf seine Züge. Natürlich bin ich völlig aus dem Häuschen vor Freude, weil er hier ist, aber immer noch viel zu verblüfft, um es mir anmerken zu lassen, außerdem brodelt meine Wut wegen dieser Sache mit Mrs. Robinson nach wie vor direkt unter der Oberfläche. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll – ihn anschreien oder mich in seine Arme werfen – ich glaube, keines davon würde ihm sonderlich gefallen –, außerdem würde mich interessieren, wie lange er uns schon beobachtet. Außerdem ist mir nicht ganz wohl beim Gedanken an die letzte Mail, die ich ihm geschrieben habe.
»Ich bin hergekommen, weil ich dich sehen wollte, ganz einfach.« Er mustert mich ausdruckslos. Was denkt er wohl gerade? »Ich wohne hier im Hotel.«
»Du wohnst hier?«, quieke ich mit einer Stimme wie eine Zehntklässlerin auf Amphetaminen.
»Na ja, du sagtest doch gestern, du wünschst dir, dass ich hier wäre.« Er hält inne und sieht mich abwartend an. »Und wir wollen doch, dass Sie zufrieden sind, Miss Steele.« Kein Fünkchen Humor liegt in seiner Stimme.
Verdammt. Ist er wirklich sauer auf mich? Vielleicht liegt es ja an meinen spitzen Bemerkungen über Mrs. Robinson. Oder daran, dass ich inzwischen beim dritten, bald schon beim vierten Cosmopolitan bin. Meine Mutter sieht beklommen von einem zum anderen.
»Möchten Sie sich vielleicht zu uns setzen, Christian?« Sie winkt dem Kellner, der augenblicklich neben ihr steht.
»Ich nehme einen Gin Tonic«, sagt er. »Hendricks, wenn Sie haben, oder Bombay Sapphire. Den Hendricks mit Gurke, den Bombay lieber mit Zitrone.«
Meine Güte … nur Christian schafft es, aus einer einfachen Getränkebestellung eine ganze Abendmahlzeit zu machen.
»Und noch zwei Cosmos, bitte«, füge ich mit einem verstohlenen Seitenblick auf Christian hinzu. Ich bin mit meiner Mutter etwas trinken gegangen – deswegen kann er doch nicht sauer auf mich sein.
»Bitte, nehmen Sie sich doch einen Stuhl, Christian.«
»Danke, Mrs. Adams.«
Christian zieht einen Stuhl heran und nimmt mit einer eleganten Bewegung Platz.
»Also bist du zufällig in dem Hotel abgestiegen, in dem wir etwas trinken gegangen sind?«, frage ich, um einen unbeschwerten Tonfall bemüht.
»Oder ihr beide seid zufällig in dem Hotel etwas trinken gegangen, in dem ich abgestiegen bin«, erwidert Christian. »Ich war essen, bin hier vorbeigekommen und habe dich gesehen. Ich war mit den Gedanken bei deiner letzten E-Mail, und dann sitzt du auf einmal hier. Was für ein Zufall, nicht?« Er legt den Kopf schief, und ich entdecke den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht. Gott sei Dank – vielleicht lässt sich der Abend ja doch noch retten.
»Meine Mutter und ich waren den ganzen Vormittag shoppen und danach am Strand. Wir haben beschlossen, uns heute Abend ein paar Cocktails zu genehmigen.« Keine Ahnung, wieso, aber ich habe das Gefühl, ihm eine Erklärung zu schulden.
»Ist dieses Top neu?«, fragt er mit einem Nicken auf mein grünes Seidenoberteil. »Es steht dir gut. Und du hast ein bisschen Farbe bekommen. Du siehst sehr hübsch aus.«
Ich werde rot.
»Eigentlich wollte ich dich erst morgen besuchen kommen, aber jetzt bist du ja hier.«
Er nimmt meine Hand und streicht mit dem Daumen über meine Fingerknöchel, hin und her … prompt spüre ich das vertraute Ziehen, die elektrische Spannung, die sich unter meiner Haut ausbreitet, durch meine Venen pumpt, meinen ganzen Körper zum Pulsieren bringt. Wir haben uns seit mehr als zwei Tagen nicht mehr gesehen. Verdammt, ich will ihn. Mein Atem stockt. Ich lächle ihn schüchtern an und registriere erleichtert das Lächeln, das um seine Mundwinkel spielt.
»Ich wollte dich überraschen, Anastasia. Aber wie immer bist du diejenige, die mich überrascht.«
Ich sehe flüchtig zu Mom hinüber, deren Blick wie gebannt an Christian hängt. Lass das, Mom. Als wäre er irgendein seltenes Geschöpf, das sie noch nie vorher gesehen hat. Okay, ich weiß ja, dass ich noch nie einen festen Freund hatte und Christian der perfekte Kandidat ist – aber ist es so schwer vorstellbar, dass mich ein Mann anziehend findet? Dieser Mann? Ja, ehrlich gesagt schon – sieh ihn dir doch bloß mal an!, blafft mein Unterbewusstsein mich an. Halt die Klappe! Wer hat dich überhaupt nach deiner Meinung gefragt? Ich werfe meiner Mutter einen finsteren Blick zu, doch sie scheint es nicht mitzubekommen.
»Ich wollte dich bei deinem Plausch mit deiner Mutter nicht stören. Ich trinke nur kurz etwas mit euch, dann verschwinde ich auch schon. Ich habe noch zu arbeiten«, erklärt er mit ernster Miene.
»Christian, ich freue mich so, Sie endlich kennen zu lernen«, sagt Mom, die offenbar endlich ihre Stimme wiedergefunden hat. »Ana hat so von Ihnen geschwärmt.«
Er lächelt sie an. »Tatsächlich?« Er hebt eine Braue und sieht mich amüsiert an, woraufhin ich erneut rot anlaufe.
Der Kellner kommt mit unseren Getränken.
»Hendricks, Sir«, verkündet er triumphierend.
»Danke«, murmelt Christian.
Nervös nippe ich an meinem frischen Cosmo.
»Wie lange werden Sie in Georgia bleiben, Christian?«, fragt Mom.
»Bis Freitag, Mrs. Adams.«
»Oh, hätten Sie Lust, morgen mit uns zu Abend zu essen? Und nennen Sie mich doch bitte Carla.«
»Das wäre mir ein großes Vergnügen, Carla.«
»Hervorragend. Wenn ihr beide mich für einen Moment entschuldigen würdet.«
Mom, du warst doch gerade erst auf der Toilette. Ich werfe ihr einen flehenden Blick zu, als sie aufsteht und uns verlässt.
»Du bist also sauer auf mich, weil ich mit einer alten Freundin essen war.« Christian hebt meine Hand an seine Lippen und küsst zärtlich jeden einzelnen Fingerknöchel, ohne seinen durchdringenden Blick von mir zu lösen.
Meine Güte, will er ausgerechnet jetzt darüber reden?
»Ja«, antworte ich leise und spüre, wie die Hitze durch meinen Körper schießt.
»Unsere körperliche Beziehung ist schon lange beendet, Anastasia. Ich will keine andere, nur dich. Hast du das immer noch nicht begriffen?«
»Für mich ist sie eine Frau, die kleine Kinder missbraucht, Christian.« Ich warte mit angehaltenem Atem auf seine Reaktion.
Er wird blass. »Du bist voreingenommen. So war es nicht«, flüstert er, sichtlich schockiert, und lässt meine Hand los.
Voreingenommen?
»Ach ja? Wie war es denn dann?« Die Cosmos verleihen mir offenbar Mut.
Er sieht mich bestürzt an. »Sie hat einen verletzlichen fünfzehnjährigen Jungen benutzt«, fahre ich fort. »Wärst du ein fünfzehnjähriges Mädchen und Mrs. Robinson ein Mr. Robinson gewesen, der versucht hätte, dich zu seiner Partnerin einer BDSM-Beziehung zu machen, wäre das für dich in Ordnung gewesen? Wenn es, sagen wir, Mia gewesen wäre?«
Er schnappt nach Luft. »Ana, so war es nicht.«
Ich erwidere seinen finsteren Blick.
»Ich habe es jedenfalls nicht so empfunden«, räumt er leise ein. »Sie hat mich auf den richtigen Weg gebracht. Und genau das habe ich damals gebraucht.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Anastasia, deine Mutter kommt gleich zurück. Ich will jetzt nicht darüber reden. Später, vielleicht. Wenn es dir nicht recht ist, dass ich hier bin, kann ich jederzeit wieder gehen. Am Flughafen Hilton Head steht eine Maschine auf Stand-by. Ich kann jederzeit verschwinden.«
Er ist sauer auf mich … nein.
»Nein, geh nicht. Bitte. Ich freue mich so, dass du hier bist. Ich will doch nur, dass du mich verstehst. Ich bin wütend, weil du mit ihr essen gegangen bist, kaum dass ich weg war. Überleg doch nur, wie wütend du bist, wenn ich auch nur in Josés Nähe komme. Und José ist nur ein guter Freund von mir. Ich habe nie mit ihm geschlafen. Wohingegen du und sie …« Ich lasse meine Stimme verklingen.
»Du bist eifersüchtig?«, fragt er völlig verblüfft, während der Ausdruck in seinen Augen weich wird.
»Ja, und wütend auf das, was sie dir angetan hat.«
»Anastasia, sie hat mir geholfen. Mehr sage ich nicht dazu. Und was deine Eifersucht angeht – versetz dich bitte einmal in meine Lage. In den letzten sieben Jahren musste ich niemandem Rechenschaft ablegen. Niemandem. Ich tue, was mir gerade in den Sinn kommt, Anastasia. Ich liebe meine Unabhängigkeit. Ich habe mich nicht mit Mrs. Robinson getroffen, um dich eifersüchtig zu machen. Sondern weil wir uns ab und zu mal sehen. Sie ist eine alte Freundin und Geschäftspartnerin.«
Geschäftspartnerin? Das ist ja etwas ganz Neues, verdammt.
Er sieht mich abschätzend an. »Ja, wir sind Geschäftspartner. Sexuell läuft nichts mehr zwischen uns. Schon seit Jahren nicht mehr.«
»Und wieso ging es zu Ende?«
Er presst die Lippen aufeinander, und seine Augen funkeln. »Ihr Mann hat es herausgefunden.«
Scheiße!
»Könnten wir vielleicht ein anderes Mal darüber reden? Irgendwo, wo es ruhiger ist?«, knurrt er.
»Du wirst mich wohl kaum davon überzeugen können, dass sie keine Kinderschänderin ist.«
»Das ist sie für mich nicht. War sie nie. Und jetzt reicht’s!«, schnauzt er mich an.
»Hast du sie geliebt?«
»Und? Wie läuft’s bei euch beiden?« Meine Mutter ist zurückgekehrt, ohne dass wir es bemerkt haben.
Schuldbewusst fahren Christian und ich auseinander, während ich mir ein falsches Lächeln abringe. Sie mustert mich angespannt.
»Prima, Mom.«
Christian nippt an seinem Drink und sieht mich an. Wieder liegt dieser reservierte Ausdruck auf seinen Zügen. Was geht in seinem Kopf vor? Hat er sie geliebt? Wenn ja, flippe ich aus, und zwar so richtig.
»Tja, Ladys, dann werde ich euch beide jetzt allein lassen.«
Nein … nein … er kann jetzt nicht einfach verschwinden.
»Bitte schreiben Sie die Drinks auf Zimmer 612. Ich rufe dich morgen früh an, Anastasia. Bis morgen, Carla.«
»Oh, es ist so schön zu hören, wie dich jemand mit deinem vollen Namen anspricht.«
»Ein schöner Name für ein schönes Mädchen«, murmelt Christian und schüttelt ihr die Hand.
Ein verzücktes Wimmern entfährt ihr.
Mom! Auch du, Brutus? Ich stehe auf und sehe ihn an, flehe stumm, meine Frage zu beantworten, doch er gibt mir nur einen züchtigen Kuss auf die Wange.
»Ciao, ciao, Baby«, flüstert er mir ins Ohr, dann ist er verschwunden.
Dieser elende Kontrollf reak. Wieder kocht die Wut mit unverminderter Stärke in mir hoch. Ich lasse mich auf meinen Stuhl fallen und starre meine Mutter finster an.
»Ana, ich bin völlig sprachlos. Der Mann ist unglaublich. Ich weiß ja nicht, was da zwischen euch läuft, aber ich habe den Eindruck, als müsstet ihr dringend miteinander reden. Und dieses Knistern … Wahnsinn! Puh!« Theatralisch fächelt sie sich Luft zu.
»MOM!«
»Los, geh und rede mit ihm.«
»Ich kann nicht. Ich bin hier, weil ich dich besuchen wollte.«
»Ana, du bist hergekommen, weil du wegen dieses Jungen komplett durcheinander bist. Jeder Blinde sieht, dass ihr völlig verrückt nacheinander seid. Du musst mit ihm reden. Er ist gerade dreieinhalbtausend Meilen geflogen, nur um dich zu sehen. Und du weißt ja selbst, wie unerträglich diese Fliegerei ist.«
Ich werde rot. Bisher habe ich ihr noch nichts von seinem Privatflugzeug erzählt.
»Was ist denn nun schon wieder?«, herrscht sie mich an.
»Er hat ein eigenes Flugzeug«, gestehe ich verlegen. »Außerdem sind es nicht mal dreitausend Meilen.«
Wieso ist mir das Ganze bloß so peinlich?
Sie reißt die Augen auf. »Wow«, stößt sie hervor. »Ana, zwischen euch ist doch irgendetwas. Ich versuche schon die ganze Zeit, aus dir herauszukitzeln, was es ist. Aber es gibt nur eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, was auch immer es sein mag. Du musst mit ihm reden. Du kannst noch so lange darüber nachgrübeln, solange du nicht mit ihm redest, kommst du der Lösung keinen Schritt näher.«
Ich sehe sie stirnrunzelnd an.
»Ana, Schatz, du neigst dazu, alles zu Tode zu analysieren. Das war schon immer so. Hör auf dein Bauchgefühl. Was sagt dir dein Bauch, Schatz?«
Ich starre auf meine Hände. »Ich glaube, ich liebe ihn«, gestehe ich leise.
»Ich weiß, Schatz. Und er liebt dich.«
»Nein!«
»Doch, Ana. Lieber Himmel, was brauchst du denn noch? Eine Leuchtanzeige auf seiner Stirn?«
In meinen Augenwinkeln sammeln sich Tränen.
»Ana, Schatz, wein doch nicht.«
»Ich glaube nicht, dass er mich liebt.«
»Niemand lässt einfach alles stehen und liegen und fliegt mit seiner Privatmaschine quer durchs halbe Land, um ein Tässchen Tee zu trinken, selbst wenn man noch so reich ist. Los, geh zu ihm! Das Hotel ist wunderschön, sehr romantisch. Außerdem seid ihr hier auf neutralem Terrain.«
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Zu ihm gehen oder nicht?
»Du brauchst nicht mit mir nach Hause zu kommen, Schatz. Ich will nur, dass du glücklich bist, und im Augenblick liegt der Schlüssel zu deinem Glück da oben in Zimmer 612. Und solltest du es dir später anders überlegen – der Schlüssel liegt unter der Yucca-Palme auf der Veranda. Wenn du hierbleibst … tja … du bist erwachsen. Pass nur gut auf dich auf.«
Ich laufe tiefrot an. Meine Güte, Mom.
»Aber zuerst trinken wir aus.«
»Schon besser. Das ist mein Mädchen.« Sie grinst.
Schüchtern klopfe ich an die Tür von Zimmer 612. Christian macht mit dem Handy am Ohr auf. Einen Moment lang sieht er mich verblüfft an, dann hält er die Tür auf und winkt mich herein.
»Die Sozialpläne sind in trockenen Tüchern … und die Kosten?« Er stößt einen Pfiff aus. »Junge, Junge … das war ein teurer Fehler … Und Lucas?«
Ich sehe mich um. Es ist eine Suite, ähnlich wie im Heathman, ultramodern eingerichtet, in gedämpften Violett- und Goldtönen und mit bronzenen Strahlenkränzen an den Wänden. Christian tritt vor eine Anrichte aus dunklem Holz und öffnet eine Tür, hinter der eine Minibar zum Vorschein kommt. Er bedeutet mir, mich zu bedienen, dann verschwindet er ins Schlafzimmer; vermutlich, damit ich der Unterhaltung nicht länger lauschen kann. Ich zucke mit den Schultern. Auch als ich zu ihm ins Arbeitszimmer gekommen bin, hat er weitertelefoniert. Ich höre Wasser rauschen … offenbar lässt er ein Bad ein. Sekunden später kehrt er ins Wohnzimmer zurück.
»Andrea soll mir die Grafiken schicken. Barney meinte, er hätte das Problem geknackt.« Christian lacht. »Nein, am Freitag … Hier gibt es ein Grundstück, das ganz interessant sein könnte … Ja, Bill soll mich anrufen … Nein, morgen … Ich will zuerst hören, was Georgia anbietet, wenn wir einsteigen …«, sagt er, ohne den Blick von mir zu wenden, reicht mir ein Glas und deutet auf den Eiskübel.
»Wenn sie genug Fördergelder bieten … Wir könnten es zumindest ins Auge fassen, auch wenn ich wegen dieser verdammten Hitze hier unten so meine Bedenken habe … Das stimmt. Detroit hat eindeutig seine Vorteile, außerdem ist es kühler dort …« Für einen Moment verdüstern sich seine Züge. Warum? »Bill soll mich anrufen. Morgen … aber nicht zu früh.« Er legt auf und sieht mich mit undurchdringlicher Miene an. Die Stille liegt schwer im Raum.
Okay … ich muss etwas sagen.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Nein, habe ich nicht.« Ein wachsamer Ausdruck liegt in seinen grauen Augen.
»Nein, du hast meine Frage nicht beantwortet, oder nein, du hast sie nicht geliebt?«
Er verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich mit dem Anflug eines Lächelns gegen die Wand.
»Weshalb bist du hier, Anastasia?«
»Das habe ich dir doch gerade gesagt.«
Er holt tief Luft. »Nein, ich habe sie nicht geliebt.« Er sieht mich mit einer Mischung aus Amüsement und Verwirrung an.
Fassungslos registriere ich, dass ich den Atem angehalten habe. Ich lasse ihn entweichen und schrumpfe zusammen wie ein schlaffer Luftballon. Dem Himmel sei Dank dafür. Was hätte ich getan, wenn er diese Hexe auch noch geliebt hätte?
»Du bist ja richtig eifersüchtig. Wer hätte das gedacht?«
»Machen Sie sich etwa über mich lustig, Mr. Grey?«
»Das würde ich nie wagen.« Er schüttelt feierlich den Kopf, aber seine Augen glitzern verschmitzt.
»Ich glaube eher, Sie wagen es sehr wohl, und noch dazu ziemlich oft.«
Er grinst, als er seine eigenen Worte wiedererkennt. Seine Augen werden dunkel.
»Bitte hör auf, auf deiner Lippe zu kauen. Du bist in meinem Zimmer, ich habe dich seit fast drei Tagen nicht gesehen und bin quer durchs Land geflogen, nur um mit dir zusammen zu sein.« Ein weicher, sinnlicher Tonfall schwingt in seiner Stimme mit.
Das Summen seines BlackBerrys reißt uns in die Realität zurück. Er stellt ihn aus, ohne nachzusehen, wer angerufen hat. Ich halte die Luft an. Ich weiß genau, was jetzt kommt … aber wir sollten doch reden. Er tritt auf mich zu. In seinen Augen liegt jener sexy Raubtierblick, den ich so gut kenne.
»Ich will dich, Anastasia. Jetzt. Und du willst mich. Deshalb bist du hergekommen.«
»Ich musste es wissen«, verteidige ich mich.
»Und was tust du jetzt, da du es weißt? Kommen oder gehen?«
Er steht ganz dicht vor mir.
»Ich komme«, murmle ich.
»Oh, das möchte ich doch hoffen.« Er sieht mich an. »Du warst so wütend auf mich.«
»Ja.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand außer meiner Familie jemals wütend auf mich gewesen wäre. Aber es gefällt mir.«
Er streicht mir mit der Fingerspitze über die Wange. O Gott, seine Nähe, sein herrlicher Geruch. Eigentlich sollten wir reden, aber mein Herz hämmert, und mein Blut rauscht singend durch meinen Körper, lässt meine Lust erwachen … überall. Christian beugt sich vor und streicht mit der Nase über meine Schulter bis hinauf zu meinem Ohr. Seine Finger berühren mein Haar.
»Wir sollten reden«, sage ich leise.
»Später.«
»Aber es gibt so vieles, was ich dir gern sagen würde.«
»Ich dir auch.«
Er haucht einen zarten Kuss auf die Stelle unter meinem Ohrläppchen, packt mein Haar etwas fester und zieht meinen Kopf nach hinten. Er beginnt, meinen Hals zu küssen und mit kleinen Bissen zu liebkosen.
»Ich will dich«, raunt er.
Stöhnend hebe ich die Arme und packe seine Hände.
»Hast du deine Tage?« Er küsst mich weiter.
Scheiße. Entgeht diesem Mann denn überhaupt nichts?
»Ja«, flüstere ich beschämt.
»Hast du Krämpfe?«
»Nein.« Großer Gott …
Er hält inne und sieht mich an. »Nimmst du die Pille schon?«
»Ja.« Wie peinlich ist das denn?
»Lass uns ein Bad nehmen.«
Oh?
Er nimmt mich bei der Hand und führt mich ins Schlafzimmer, in dessen Mitte ein riesiges, überbreites Bett mit kunstvoll arrangierten Vorhängen steht. Wir betreten das großzügige, aus zwei Räumen bestehende Badezimmer – ein Traum aus weißem Kalkstein und Aquamarin. Im zweiten Raum steht eine im Boden eingelassene Wanne mit Stufen, in der ohne Weiteres vier Personen Platz finden würden und die sich langsam mit Wasser füllt. Dampfwolken wabern über dem bauschigen Badeschaum, und ich mache eine steinerne Bank aus, die ringsum an der Wand verläuft. Der Raum ist in flackerndes Kerzenlicht getaucht. Wow … all das hat er offenbar arrangiert, während er am Telefon war.
»Hast du etwas, um dein Haar zusammenzubinden?«
Ich krame ein Zopfband aus meiner Jeanstasche.
»Bind dein Haar zusammen«, befiehlt er sanft, und ich gehorche.
Es ist drückend warm, und ich spüre, wie mir der Schweiß ausbricht. Er beugt sich vor und dreht den Hahn zu, dann führt er mich in den vorderen Teil des Badezimmers, schiebt mich vor den Wandspiegel über den beiden Glaswaschbecken und tritt hinter mich.
»Zieh deine Sandalen aus«, murmelt er.
Eilig streife ich sie mir von den Füßen und lasse sie auf den Boden fallen.
»Heb die Arme.« Wieder gehorche ich. Er zieht mir das Top über den Kopf. Mit nacktem Oberkörper stehe ich vor ihm. Ohne den Blick von mir zu lösen, greift er um mich herum, öffnet den Knopf meiner Jeans und zieht den Reißverschluss herunter.
»Ich werde dich hier im Badezimmer nehmen, Anastasia.«
Er beugt sich vor und küsst meinen Hals. Ich lege den Kopf schief, um es leichter für ihn zu machen. Er schiebt die Daumen in meine Jeans und streift sie langsam über meine Hüften und Schenkel. Schließlich liegen sie, mit meinem verhedderten Höschen darin, auf dem Boden.
»Steig aus deinen Jeans.«
Ich halte mich am Waschbeckenrand fest und trete heraus. Nun bin ich splitternackt. Er kniet hinter mir und beginnt, mein Hinterteil mit Küssen und zarten Bissen zu bedecken. Ich schnappe nach Luft. Er richtet sich wieder auf und sieht mich erneut im Spiegel an. Ich bemühe mich, ganz still dazustehen, und unterdrücke mein instinktives Bedürfnis, die Arme um ihn zu schlingen. Er legt seine Hand auf meinen Bauch. Seine ausgestreckten Finger reichen beinahe von einer Seite meiner Taille zur anderen.
»Sieh dich an. Du bist so wunderschön«, sagt er leise. »Und dich zu spüren …« Er nimmt meine Hände, spreizt meine Finger, verschränkt sie mit seinen und legt sie auf meinen Bauch. »Fühl doch nur, wie weich deine Haut ist.« Seine Stimme ist leise und butterweich. Er beschreibt einen Kreis auf meinem Bauch, dann wandert seine Hand nach oben, in Richtung meiner Brüste. »Fühl nur, wie voll deine Brüste sind.« Er hält meine Hände so, dass sie meine Brüste bedecken, während er behutsam mit den Daumen meine Brustwarzen liebkost.
Ich stöhne und wölbe mich nach vorn, seinen Händen entgegen. Vorsichtig drückt er meine Brustwarzen zwischen unseren Daumen zusammen und zieht ganz leicht daran. Fasziniert betrachte ich die Frau im Spiegel, die sich vor Lust windet. Oh, es fühlt sich so gut an. Wieder stöhne ich und schließe die Augen, um nicht länger mit ansehen zu müssen, wie dieses hemmungslose Geschöpf im Spiegel unter seinen Händen dahinschmilzt … unter ihren eigenen Händen … wie sie meine Haut so spürt, wie er sie spürt, wie sie am eigenen Leib erlebt, wie erregend es sich anfühlt – seine Berührung, seine leisen, ruhigen Kommandos.
»So ist es richtig, Baby«, murmelt er.
Er schiebt meine Hände seitlich an meinem Körper entlang, über meine Taille und Hüften und mein Schamhaar. Dann drängt er sein Bein zwischen meine Schenkel, so dass ich die Beine spreizen muss, und streicht mit der Hand über meine Vulva, immer abwechselnd zuerst die eine Hand, dann die andere. Es ist unglaublich erotisch. Er ist der Puppenspieler, ich seine Marionette.
»Sieh nur, wie du von innen heraus leuchtest, Anastasia«, raunt er, während er sich mit einer Reihe von Küssen über meine Schulter arbeitet. Ich stöhne. Unvermittelt lässt er von mir ab.
»Mach weiter.« Er tritt zurück und sieht mir zu.
Ich massiere mich selbst. Nein. Ich will, dass er es tut. Es ist nicht dasselbe. Ohne ihn bin ich verloren. Er zieht sich das Hemd über den Kopf und schlüpft aus seinen Jeans.
»Es wäre dir lieber, wenn ich das tun würde?« Seine grauen Augen suchen meinen Blick im Spiegel.
»Oh, ja … bitte«, stöhne ich.
Wieder schlingt er die Arme um mich, nimmt meine Hand und führt sie nach unten, liebkost meine Vagina, meine Klitoris. Sein Brusthaar kratzt auf meinem Rücken, ich spüre seine Erektion an meinen Hüften. Oh, gleich … bitte. Er zieht die Haut in meinem Nacken zwischen die Zähne. Ich schließe die Augen und gebe mich den Myriaden an Empfindungen hin, die mich durchströmen – an meinem Hals, meinem Unterleib … ihn hinter mir zu spüren. Abrupt hält er inne und dreht mich herum. Er umfasst meine Handgelenke und hält sie hinter meinem Rücken fest, während ich mich gegen ihn presse. Ohne mich loszulassen, küsst er mich voller Leidenschaft. Sein Atem kommt stoßweise, ebenso wie mein eigener.
»Wann hat deine Periode eingesetzt, Anastasia?«, fragt er aus heiterem Himmel und sieht mich an.
»Äh … gestern.« Vor Erregung bringe ich kaum einen Ton heraus.
»Gut.« Er lässt mich los und dreht mich wieder um.
»Halt dich am Waschbecken fest«, befiehlt er und zieht mich an den Hüften nach hinten, so wie in seinem Spielzimmer.
Dann greift er zwischen meine Beine, langt nach dem blauen Faden – wie bitte!? –, zieht mir behutsam den Tampon heraus und wirft ihn in die Toilette neben uns. Scheiße! Gütige Mutter Gottes … Und dann ist er plötzlich in mir … ah! Haut an Haut … Er bewegt sich, langsam zuerst und vorsichtig … o ja. Ich umfasse das Waschbecken noch fester und presse mich mit dem Rücken gegen ihn, während er sich in mir bewegt. Oh, der köstliche Schmerz, die Lust … Er packt meine Hüften und verfällt in einen erbarmungslosen Rhythmus … Seine Finger finden meine Klitoris und massieren sie … Gütiger Gott!
»So ist es richtig, Baby«, stöhnt er mit rauer Stimme und versenkt sich wieder und wieder in mir. Und mit einem Mal ist es, als würde ich fliegen, ganz hoch oben.
O Gott. Ich komme, laut und stöhnend. Mit aller Kraft klammere ich mich am Waschbecken fest, als der Orgasmus über mich hinwegspült und sich alles um mich herum zu drehen beginnt. Er folgt mir, hält mich fest umfasst, seine Brust gegen meinen Rücken gepresst, als er zum Höhepunkt gelangt und meinen Namen ruft, immer wieder, wie ein Gebet oder eine Litanei.
»Oh, Ana!« Ich höre seine schweren Atemzüge im Gleichklang mit meinen eigenen. »Oh, Baby, kriege ich jemals genug von dir?«
Langsam sinken wir zu Boden. Er schlingt die Arme um mich und hält mich fest. Wird es immer so sein? So überwältigend, so alles umschlingend, so verwirrend und betörend zugleich? Eigentlich bin ich hergekommen, um mit ihm zu reden, aber jetzt bin ich viel zu erschöpft und benommen von seinen Künsten als Liebhaber. Werde ich jemals genug von diesem Mann bekommen?
Ich liege zusammengerollt auf seinem Schoß. Mein Kopf ruht an seiner Brust, während wir allmählich wieder zu Atem kommen. Verstohlen sauge ich seinen herrlichen Duft in meine Lunge. Ich darf ihn nicht streicheln, ich darf ihn nicht streicheln. Ich wiederhole das Mantra im Geiste ein ums andere Mal, obwohl die Versuchung groß ist. Wie gern würde ich die Hand ausstrecken und mit den Fingerspitzen Muster in sein Brusthaar zeichnen … Aber ich reiße mich zusammen, weil ich genau weiß, wie sehr er es hasst. Eine Weile liegen wir schweigend da, jeder verloren in seinen eigenen Gedanken. Ich habe mich verloren … in ihm.
In diesem Moment fällt mir wieder ein, dass ich ja meine Periode habe.
»Ich blute«, murmle ich.
»Das macht mir nichts aus«, sagt er.
»Das habe ich gemerkt.« Mir entgeht nicht, dass meine Stimme spröde klingt.
Er versteift sich. »Macht es dir etwas aus?«, fragt er.
Ob es mir etwas ausmacht? Vielleicht sollte es mir ja etwas ausmachen … oder? Nein, eigentlich ist es mir egal. Ich lehne mich gegen ihn und sehe in seine grauen Augen, in denen ein weicher Ausdruck liegt.
»Nein, überhaupt nicht.«
Er grinst. »Los, lass uns in die Wanne steigen.«
Er löst sich von mir und steht auf. Dabei fällt mein Blick erneut auf die kleinen runden Narben auf seiner Brust. Sie stammen nicht von den Masern. Grace hat selbst erzählt, die Symptome seien bei ihm nur schwach ausgeprägt gewesen. O Gott … dann müssen es Verbrennungen sein. Aber wovon? Ich werde blass, als der Groschen fällt. Ekel und blankes Entsetzen packen mich. Stammen sie etwa von Zigaretten? Und wer hat ihm das angetan? Mrs. Robinson oder seine leibliche Mutter? Aber vielleicht gibt es ja eine plausible Erklärung dafür, und ich bin nur hysterisch. Ein Hoffnungsschimmer keimt in mir auf. Hoffnung, dass ich mich irre.
»Was ist?« Christian sieht mich erschrocken an.
»Deine Narben«, flüstere ich. »Sie stammen nicht von den Masern.«
Innerhalb von Sekundenbruchteilen ist er verschlossen wie eine Auster. Seine entspannte Gelassenheit schlägt in Trotz um … oder sogar Wut. Seine Miene verfinstert sich.
»Nein«, herrscht er mich an, macht jedoch keine Anstalten fortzufahren. Stattdessen nimmt er meine Hand und zieht mich hoch.
»Sieh mich nicht so an.« Seine Stimme ist eisig. Er lässt meine Hand los.
Ich werde rot und blicke verlegen auf meine Hände. Jemand hat Zigaretten auf Christians Haut ausgedrückt. Ich weiß es. Mir ist speiübel.
»Hat sie das getan?« Die Worte kommen über meine Lippen, bevor ich es verhindern kann.
Er schweigt, deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn anzusehen. Er mustert mich mit finsterem Blick.
»Sie? Du meinst Mrs. Robinson? Die Frau ist kein Tier, Anastasia. Natürlich war sie es nicht. Ich verstehe nicht, weshalb du sie unbedingt dämonisieren musst.«
Er steht vor mir, splitternackt in seiner vollen männlichen Pracht und meinem Blut, das an ihm klebt … und endlich führen wir das Gespräch, weswegen ich eigentlich hier bin. Auch ich bin nackt – keiner von uns kann sich verstecken, es sei denn, in der Badewanne. Ich hole tief Luft, trete an ihm vorbei und steige in die Wanne. Das Wasser ist herrlich warm und beruhigend. Ich lasse mich in den duftenden Schaum sinken und sehe aus dem Meer von Blasen zu ihm hoch.
»Ich frage mich nur, wie du wohl wärst, wenn du sie nicht kennen gelernt hättest. Wenn sie dich nicht in ihren … Lebensstil eingeführt hätte.«
Seufzend tritt er über die Stufen in die Wanne. Sein Kiefer ist angespannt, sein Blick eisig, als er sich mit einer eleganten Bewegung gegenüber von mir ins Wasser sinken lässt, sorgsam darauf bedacht, mich nicht zu berühren. Meine Güte – habe ich ihn schon wieder so sehr verärgert?
Er mustert mich mit ausdrucksloser Miene. Wieder hängt die Stille wie eine düstere Wolke über uns, aber diesmal gebe ich nicht nach. Jetzt bist du dran, Grey. Mein Unterbewusstsein kaut nervös an den Nägeln. Alles könnte passieren. Wir starren einander an, aber ich bin fest entschlossen, mich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, schüttelt er den Kopf und grinst.
»Ohne Mrs. Robinson hätte mir wahrscheinlich dasselbe Schicksal geblüht wie meiner leiblichen Mutter.«
Ich sehe ihn verblüfft an. Was meint er damit? Cracksucht oder Strich? Oder beides?
»Sie hat mich auf eine Art und Weise geliebt, die für mich … annehmbar war«, fügt er achselzuckend hinzu.
Was zum Teufel soll das denn bedeuten?
»Annehmbar?«, frage ich leise.
»Ja.« Er betrachtet mich angespannt. »Sie hat mich von dem destruktiven Weg abgebracht, den ich eingeschlagen hatte. Es ist sehr schwer, in einer perfekten Familie aufzuwachsen, wenn man selbst nicht perfekt ist.«
Mein Mund ist staubtrocken. Ich sehe ihn an, doch ich kann den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht deuten. Es liegt auf der Hand, dass er nicht mehr preisgeben wird. Wie frustrierend. Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Er scheint so voller Selbsthass zu sein, und Mrs. Robinson hat ihn geliebt. O Gott … tut sie es vielleicht sogar heute noch? Es ist, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst.
»Liebt sie dich immer noch?«
»Ich glaube nicht. Zumindest nicht auf diese Weise.« Er runzelt die Stirn, als wäre ihm dieser Gedanke noch nie vorher gekommen. »Ich sage doch die ganze Zeit, dass es lange her ist. Vergangenheit. Ich könnte es nicht ändern, selbst wenn ich es wollte, was ich aber nicht tue. Sie hat mich vor mir selbst gerettet. « Aufgewühlt fährt er sich mit der Hand durch sein feuchtes Haar. »Ich habe noch nie mit jemandem darüber geredet.« Er hält inne. »Außer mit Dr. Flynn natürlich. Und es gibt nur einen Grund, weshalb ich mit dir darüber rede – weil ich will, dass du mir vertraust.«
»Ich vertraue dir auch, aber ich will dich besser kennen lernen, und wann immer ich versuche, über etwas mit dir zu reden, weichst du mir aus. Es gibt aber so vieles, was ich gern wissen möchte.«
»Herrgott nochmal, Anastasia. Was brauchst du denn noch? Was muss ich tun?« Seine Augen funkeln, und obwohl er die Stimme nicht erhoben hat, sehe ich ihm an, dass er um seine Beherrschung ringt.
Ich starre auf den Schaum, der bereits in sich zusammenfällt.
Vielleicht liegt es an den vier Cosmos, dass ich auf einmal so mutig bin, aber mit einem Mal ertrage ich die Distanz zwischen uns keine Sekunde länger. Ich gleite durchs Wasser und schmiege mich an ihn. Im ersten Moment spannt er sich an und beäugt mich misstrauisch, als hätte er Angst, dass ich ihn beiße. Das ist ja mal etwas ganz Neues. Meine innere Göttin betrachtet ihn mit stillem Staunen.
»Bitte sei nicht mehr böse auf mich«, flüstere ich.
»Ich bin nicht böse auf dich, Anastasia. Ich bin nur nicht daran gewöhnt, solche Gespräche zu führen, diese bohrenden Fragen. Normalerweise führe ich diese Art von Unterhaltung nur mit Dr. Flynn und mit …« Er hält abrupt inne.
»Mit ihr. Mrs. Robinson. Du redest mit ihr.« Nun bin ich diejenige, die um ihre Beherrschung ringt.
»Ja.«
»Worüber redet ihr genau?«
Er dreht sich so um, dass er mir direkt ins Gesicht sehen kann, wobei das Wasser über den Wannenrand schwappt. Er legt den Arm um meine Schulter.
»Du gibst nicht so schnell auf, was?«, fragt er mit einem Anflug von Verärgerung in der Stimme. »Wir reden über das Leben, über Gott und die Welt – übers Geschäft. Sie und ich kennen uns eine halbe Ewigkeit, Anastasia. Wir können über alles reden.«
»Auch über mich?«
»Ja.« Noch immer sieht er mich aufmerksam an.
Ich beiße mir auf die Lippe und kämpfe gegen den Anflug von Verärgerung an.
»Wieso redest du mit ihr über mich?« Eigentlich will ich nicht weinerlich und bockig klingen, aber es gelingt mir nicht. Mir ist völlig klar, dass ich es gut sein lassen sollte. Wieder einmal hat mein Unterbewusstsein das Gesicht zu einer Munch-Fratze verzogen.
»Ich habe noch nie jemanden wie dich kennen gelernt, Anastasia.«
»Was heißt das? Jemanden, der gleich alles unterschreibt, was du ihm vorlegst, ohne auch nur einmal nachzufragen?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich brauchte einen Rat.«
»Und was Mrs. Pädo dir rät, befolgst du?«, blaffe ich ihn an. Offenbar habe ich mein Temperament weniger gut im Griff, als ich dachte.
»Das reicht jetzt, Anastasia«, herrscht er mich an. Seine Augen sind zu Schlitzen verengt.
Ich bewege mich auf dünnem Eis und riskiere, jederzeit einzubrechen.
»Sonst lege ich dich übers Knie. Ich habe keinerlei sexuelles oder romantisches Interesse an ihr. Sie ist eine enge Freundin und Geschäftspartnerin, mehr nicht. Zwischen uns war früher einmal etwas, wovon ich mehr profitiert habe, als ich sagen kann, dafür hat es sie ihre Ehe gekostet – aber diese Phase liegt längst hinter uns.«
Das ist ein weiterer Punkt, der mir beim besten Willen nicht in den Kopf will. Sie war auch noch verheiratet. Wie konnten sie so lange zusammen sein, ohne dass jemand dahinterkam?
»Und deine Eltern haben es nie herausgefunden?«
»Nein, das habe ich dir doch gesagt.«
Mir ist klar, dass ich so nicht weiterkomme. Ich kann ihn nicht mit weiteren Fragen löchern, ohne Gefahr zu laufen, dass er vollends ausflippt.
»War’s das jetzt?«, fährt er mich an.
»Fürs Erste.«
Er holt tief Luft und entspannt sich sichtlich, als wäre ihm eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen worden.
»Gut, jetzt bin ich an der Reihe.« Ein stählerner Ausdruck tritt in seine Augen. »Du hast nicht auf meine Mail geantwortet.«
Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen. Und wann immer wir unterschiedlicher Meinung sind, scheint er wütend zu werden. Er ist eben nicht daran gewöhnt, dass ihm jemand Paroli bietet – eine Erkenntnis, die mir ganz und gar nicht gefällt.
»Ich wollte antworten, aber jetzt bist du ja hier.«
»Wäre es dir lieber, wenn ich nicht hergeflogen wäre?« Wieder ist seine Miene ausdruckslos.
»Nein, ich freue mich sogar darüber«, antworte ich leise.
»Gut.« Sichtlich erleichtert, lächelt er mich an. »Ich freue mich auch, hier zu sein, trotz deines Verhörs. Du glaubst also, es ist völlig in Ordnung, mich in die Mangel zu nehmen, während du eine Art diplomatische Immunität genießt, nur weil ich durchs halbe Land geflogen bin, um dich zu sehen? Vergiss es. Ich will wissen, wie du empfindest.«
O nein …
»Das habe ich doch gerade gesagt. Ich freue mich, dass du hergekommen bist. Danke, dass du den langen Weg auf dich genommen hast«, antworte ich lahm.
»War mir ein Vergnügen.« Seine Augen leuchten, als er sich vorbeugt und mich zärtlich küsst.
Ich ertappe mich dabei, wie ich seinen Kuss reflexartig erwidere. Das Wasser ist immer noch warm, der Dampf wabert über unseren Köpfen. Er löst sich von mir und sieht mich an.
»Nein. Ich will zuerst ein paar Antworten, bevor mehr passiert.«
Mehr? Schon wieder dieses Wort. Und er will Antworten … aber worauf? Ich habe keine geheimnisvolle Vergangenheit, keine schreckliche Kindheit, die ich in den Ring werfen könnte. Was könnte er über mich erfahren wollen, das er nicht schon längst weiß?
Ich seufze resigniert. »Also gut. Was willst du wissen?«
»Wie stehst du zum Beispiel zu unserem möglichen Arrangement?«
Ich starre ihn verblüfft an. Wahrheit oder Pflicht. Mein Unterbewusstsein und meine innere Göttin sehen einander nervös an. Pfeif drauf, nehmen wir die Wahrheit.
»Ich glaube nicht, dass ich es über einen längeren Zeitraum schaffen werde, beispielsweise ein ganzes Wochenende über jemand zu sein, der ich nicht bin«, gestehe ich und blicke auf meine Hände.
Er umfasst mein Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen. Zu meiner Verblüffung spielt ein belustigtes Lächeln um seine Mundwinkel.
»Nein, das glaube ich auch nicht.«
Seine Bemerkung kränkt mich beinahe ein bisschen. »Lachst du mich etwa aus?«, frage ich trotzig.
»Ja, aber ich meine es nicht böse«, antwortet er, immer noch lächelnd.
Er beugt sich vor und küsst mich flüchtig.
»Deine Talente als Sub sind nun mal nicht besonders groß«, sagt er, ohne mein Kinn loszulassen. Immer noch funkeln seine Augen vor Belustigung.
Überrascht blicke ich ihn einen Moment lang an, dann breche ich in schallendes Gelächter aus – und er stimmt ein.
»Vielleicht liegt es ja an meinem Lehrer.«
Er schnaubt. »Kann sein. Vielleicht sollte ich strenger mit dir sein.« Er legt den Kopf schief und grinst verschlagen.
Ich schlucke. Oje. Doch gleichzeitig spüre ich wieder dieses köstliche Ziehen im Unterleib. Das ist seine Art, mir zu zeigen, dass ich ihm etwas bedeute; vielleicht die einzige Art und Weise, wie er es zeigen kann, das ist mir mittlerweile klar geworden. Er sieht mich abwartend an.
»War es so schlimm, als ich dich das erste Mal übers Knie gelegt habe?«
Ratlos erwidere ich seinen Blick. War es so schlimm? Ich weiß noch, dass mich meine Reaktion völlig durcheinandergebracht hat. Es hat wehgetan, aber nicht so sehr, wie man hätte annehmen können. Er hat mir wieder und wieder gesagt, dass mein Kopf das Problem sei. Und beim zweiten Mal … war es gut … heiß.
»Eigentlich nicht«, flüstere ich.
»Es geht also mehr ums Prinzip?«, hakt er nach.
»Vermutlich. Darum, Lust zu empfinden, obwohl man es eigentlich nicht dürfte.«
»Mir ging es am Anfang ebenfalls so. Es dauert eine Weile, bis man sich an den Gedanken gewöhnt hat.«
Damals war er noch ein Teenager, verdammt nochmal!
»Du hast immer noch die Möglichkeit, das Safeword zu sagen, Anastasia. Vergiss das nicht. Und solange du dich an die Regeln hältst, die mein tiefes Bedürfnis nach Kontrolle befriedigen und deiner eigenen Sicherheit dienen, finden wir vielleicht einen Weg.«
»Wieso hast du das Bedürfnis, mich zu kontrollieren?«
»Weil genau dieses Bedürfnis während der Prägephase in meinem Leben nicht befriedigt wurde.«
»Also ist das Ganze eine Art Therapie für dich?«
»So habe ich es bisher noch nie betrachtet, aber, ja, vermutlich ist es das.«
Das kann ich nachvollziehen. Ein sehr hilfreicher Ansatz.
»Aber das Problem ist, dass du in der einen Sekunde sagst, ich soll mich dir nicht widersetzen, in der nächsten aber willst, dass ich dir Paroli biete. Dich zufrieden zu stellen ist eine echte Gratwanderung.«
Er sieht mich einen Moment lang an, dann runzelt er die Stirn. »Das sehe ich ein. Aber bislang machst du deine Sache sehr gut.«
»Aber zu welchem Preis? Mir sind die Hände gebunden.«
»Ich mag es, wenn dir die Hände gebunden sind.« Er grinst.
»Das habe ich nicht damit gemeint.« Ich spritze ihm eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
Er hebt eine Braue. »Hast du mich etwa gerade angespritzt?«
»Ja.« Oje – dieser Blick schon wieder.
»Oh, Miss Steele.« Er zieht mich so schwungvoll auf seinen Schoß, dass ein weiterer Schwall Badewasser über den Wannenrand schwappt. »Genug geredet.«
Er umfasst meine Hände und küsst mich. Leidenschaftlich. Drückt meinen Kopf zur Seite … kontrolliert mich. Ich stöhne. So gefällt es ihm. Darin ist er Experte. Ich spüre, wie meine Lust abermals erwacht, erwidere seinen Kuss voller Inbrunst, presse mich gegen ihn – es ist die einzige Art, wie ich ihm sagen kann, dass auch ich ihn will. Stöhnend zieht er mich an sich, so dass ich rittlings auf ihm sitze. Ich spüre seine Erektion an meiner Vulva. Er lehnt sich zurück und sieht mich mit verschleiertem Blick an. Seine Augen flackern vor Lust. Ich beuge mich vor und stütze mich am Wannenrand ab, doch er packt meine Hände, dreht sie auf meinen Rücken und hält sie fest, so dass ich sie nicht mehr bewegen kann.
»Ich werde dich jetzt nehmen«, sagt er leise und hebt mich ein Stück hoch. »Bist du bereit?«, raunt er.
»Ja«, flüstere ich.
Mit köstlicher Langsamkeit schiebt er seinen Penis in mich hinein, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Stöhnend schließe ich die Augen, ergebe mich meinem Verlangen, dem Gefühl, wie er jeden Millimeter von mir ausfüllt. Er hebt die Hüften ein Stück an. Ich schnappe nach Luft, lasse mich nach vorn sinken und lehne meine Stirn gegen seine.
»Bitte lass meine Hände los«, wispere ich.
»Aber fass mich nicht an«, sagt er, lässt meine Hände los und umklammert mit seinen meine Hüften.
Mit beiden Händen stütze ich mich auf den Wannenrand, ziehe mich daran hoch und lasse mich wieder herabsinken, ganz langsam. Ich schlage die Augen auf und begegne seinem Blick. Sein Mund ist leicht geöffnet, seine Atemzüge sind schwer. Ich sehe seine Zunge zwischen seinen Zähnen aufblitzen. Er sieht so … unglaublich heiß aus. Unsere nassen, glitschigen Leiber reiben sich aneinander. Ich beuge mich vor und küsse ihn. Er schließt die Augen. Zögernd löse ich die Hände und vergrabe sie in seinem Haar, ohne meine Lippen von seinem Mund zu lösen. Das darf ich. Und es gefällt ihm. Wir bewegen uns im Gleichklang. Ich ziehe seinen Kopf nach hinten und vertiefe meinen Kuss, während ich ihn reite – schneller, immer schneller. Ein Stöhnen entfährt mir. Er beginnt, mich noch schneller zu bewegen, erwidert meinen Kuss. Das Verlangen durchströmt mich … reißt mich mit sich. Ich spüre, dass ich dicht davor bin … Ich spüre bereits das köstliche Ziehen … Das Wasser schwappt um uns herum, wie ein Whirlpool, den wir selbst erschaffen haben, ein heftiger Strudel … eine kaum zu bändigende Woge, die widerspiegelt, was in meinem Innern geschieht. Doch es kümmert mich nicht.
Ich liebe diesen Mann. Ich liebe seine Leidenschaft, die Wirkung, die ich auf ihn habe. Ich liebe es, dass er den weiten Weg hierhergekommen ist, nur um mich zu sehen. Ich liebe es, dass ich ihm etwas bedeute. Denn genau das tue ich. Die Erkenntnis kommt unerwartet, und sie ist wunderbar. Er gehört mir, und ich gehöre ihm.
»Ja, so ist es gut, Baby«, stöhnt er.
In diesem Moment komme ich. Der Orgasmus erschüttert mich, ein leidenschaftlicher Höhepunkt, der wie eine Woge über mich hinwegschwappt und mich unter sich begräbt. Und dann kommt auch Christian. Er schlingt die Arme um mich und hält mich fest an sich gepresst, als er Erlösung findet.
»Ana, Baby!«, schreit er laut und voller Inbrunst, und ich spüre, wie sein Schrei bis tief in mein Innerstes vordringt und meine Seele berührt.
Wir liegen einander zugewandt in Christians riesigem Hotelbett. Blaue Augen sehen in graue Augen. Wir sind nackt unter dem dünnen Laken. Wir berühren uns nicht. Sondern sehen einander nur bewundernd an.
»Willst du schlafen?«, fragt Christian mit besorgter Stimme.
»Nein. Ich bin nicht müde.« Stattdessen fühle ich mich seltsam erfrischt und energiegeladen. Es war so schön, mit ihm zu reden – und ich will, dass es weitergeht.
»Was willst du dann machen?«
»Reden.«
Er lächelt. »Worüber denn?«
»Über Dinge.«
»Was für Dinge?«, fragt er.
»Über dich.«
»Was ist mit mir?«
»Was ist dein Lieblingsfilm?«
Wieder grinst er. »Heute ist es Das Piano.«
Sein Grinsen ist ansteckend.
»Natürlich. Das hätte ich mir denken können. Die Filmmusik ist so traurig und spannungsgeladen. Bestimmt kannst du die Stücke selbst spielen. So viele Erfolge, Mr. Grey.«
»Und Sie sind der größte Erfolg von allen, Miss Steele.«
»Also bin ich Nummer sechzehn.«
Er sieht mich verständnislos an.
»Sechzehn?«
»Die Anzahl der Frauen, mit denen du … äh … Sex hattest.«
Seine Mundwinkel heben sich zuckend. »Nicht ganz.«
»Aber du hast doch von fünfzehn gesprochen«, erwidere ich verwirrt.
»Damit war die Zahl der Frauen gemeint, die in meinem Spielzimmer waren. Ich dachte, danach hättest du mich gefragt. Du hast mich nicht gefragt, mit wie vielen Frauen ich Sex hatte.«
»Oh.« Scheiße, es sind also mehr, aber wie viele? Ich starre ihn mit offenem Mund an. »Blümchensex?«
»Nein, du bist meine einzige Blümchensex-Eroberung.« Noch immer grinsend, schüttelt er den Kopf.
Was ist daran so lustig? Und wieso grinse ich wie eine Idiotin zurück?
»Ich kann dir keine genaue Zahl nennen, weil ich keine Kerben in den Bettpfosten geritzt habe oder so was.«
»Aber wovon reden wir hier? Mehrere Dutzend, hunderte … tausende?« Meine Augen weiten sich mit jedem Wort.
»Du liebe Güte, auf jeden Fall unter hundert.«
»Und sie waren alle devot?«
»Ja.«
»Hör endlich mit dem Gegrinse auf«, tadle ich milde und versuche vergeblich, ernst zu bleiben.
»Ich kann nicht. Du bist so komisch.«
»Komisch im Sinne von seltsam oder komisch-witzig?«
»Ein bisschen von beidem, würde ich sagen.«
Etwas in dieser Art habe ich schon einmal zu ihm gesagt.
»Ziemlich dreist, dass ausgerechnet du so etwas sagst.«
Er beugt sich vor und küsst mich auf die Nasenspitze. »Ich werde dir jetzt etwas sagen, was dich schockieren wird. Bist du bereit?«
Ich nicke, noch immer mit weit aufgerissenen Augen und diesem idiotischen Grinsen auf dem Gesicht.
»Sie waren allesamt Subs in der Ausbildung, als ich meine Ausbildung erhalten habe. In Seattle gibt es eine ganze Reihe an Etablissements, wo man zum Üben hingehen kann. Und lernen kann, was ich gelernt habe.«
Wie bitte?
»Ja, ich habe für Sex bezahlt, Anastasia.«
»Nichts, worauf man stolz sein könnte«, stoße ich aufgebracht hervor. »Und du hast völlig Recht – ich bin schockiert darüber. Und wütend, weil es nichts gibt, womit ich dich schockieren kann.«
»Du hast meine Unterwäsche getragen.«
»Hat dich das schockiert?«
»Ja.«
Meine innere Göttin nimmt den Stab und schwingt sich über die 4,50-Meter-Hürde.
»Und du bist ohne Höschen zum Abendessen bei meinen Eltern erschienen.«
»Hat dich das auch schockiert?«
»Ja.«
Prima. Die Stange liegt bei 4 Metern 80.
»Sieht ganz so aus, als könnte ich dich nur mit irgendwelchen Unterwäscheabenteuern schockieren.«
»Du hast mir erzählt, du seist noch Jungfrau. Das war der größte Schock meines Lebens.«
»Ja, dein Gesichtsausdruck war wirklich sehenswert«, kichere ich.
»Du hast mir erlaubt, dich mit einer Reitgerte zu züchtigen.«
»Hat dich das auch schockiert?«
»Ja.«
Ich grinse. »Ich glaube, dazu könnte ich mich noch einmal überreden lassen.«
»Oh, das hoffe ich doch, Miss Steele. Am Wochenende vielleicht?«
»Okay«, sage ich verschämt.
»Okay?«
»Ja. Ich gehe mit dir in die Kammer der Qualen.«
»Und du sprichst mich mit meinem Namen an.«
»Das schockiert dich etwa auch?«
»Eher die Tatsache, dass es mir gefällt.«
»Christian.«
Wieder grinst er. »Ich habe für morgen etwas vor.« Seine Augen funkeln vor Aufregung.
»Was denn?«
»Eine Überraschung. Für dich.« Seine Stimme ist butterweich.
Interessiert hebe ich eine Braue und muss ein Gähnen unterdrücken.
»Langweile ich Sie etwa, Miss Steele?«, fragt er süffisant.
»Niemals.«
Er beugt sich vor und küsst mich zärtlich auf den Mund.
»Schlaf jetzt«, befiehlt er und macht das Licht aus.
Ich liege in der dunklen Stille, völlig erschöpft und befriedigt, und schließe die Augen. Für einen Moment ist es, als befände ich mich mitten im Auge eines Hurrikans. Trotz allem, was er gesagt und nicht gesagt hat, bin ich so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben.