15. Schiff aufgeben!

Jetzt konnten wir nur noch darauf warten, daß uns die Killer den Rest gab.

Gideon und Bob Eskow kamen aus dem Maschinenraum. »Das Schiff geht in die Luft! Wir haben zu lange die Maschinen strapaziert, der Reaktor ist zu heiß. Wir müssen hier ‘raus, Roger!«

Roger nickte in aller Ruhe. Sein Gesicht war so gesammelt, als rechne er für sich irgendein taktisches oder Navigationsproblem aus. Das Mikrosonar funktionierte irgendwie noch immer. Das fraß natürlich Strom von den Batterien. Die Killer kreiste hoch über uns und wartete.

Die tote Dolphin lag in unheilvoller Stille da, nur die Zirkulator-Röhren des Reaktors pulsten noch leise. Nukleare Reaktionen verursachen kein Geräusch, und nichts warnte uns, daß sich ein paar Meter von uns eine Explosion vorbereitete. Hier und dort ächzte das Metall, gelegentlich schnappte auch etwas, als gebe die Edenit-Panzerung nach.

Wir lagen an einem Abhang, mit dem Heck nach unten. Roger hielt sich mit einer Hand am Ruder ein und schaute uns an.

»Schiff aufgeben«, befahl er. Und das war das Ende der Dolphin.

In der Druckschleuse versammelten wir uns zu einem letzten Kriegsrat. »Wir sind nur ein paar Meilen von Jason Crakens Seefestung entfernt«, sagte er. »David, du zeigst uns den Weg. Wir müssen Energie sparen, also wird immer nur einer von uns seine Flutlampe brennen haben. Und alle zusammenbleiben! Bleibt einer zurück, so ist er verloren. Rettungsmöglichkeiten gibt es da nicht. Und wir müssen uns so schnell wie möglich bewegen. Die Luft in den Anzügen wird nicht viel länger als eine halbe Stunde reichen. Die Batterien der Anzüge sind alt. Sie müssen gegen hohen Druck ankämpfen. Vielleicht halten sie nicht einmal so lange aus wie die Luft. Haben alle verstanden?«

Wir alle nickten und sahen einander an.

Noch einmal wurde die Tiefenbeschichtung überprüft. Die Anzüge schienen ziemlich dürftig zu sein und bestanden aus Aluminium und Plastik. Nur der glühende Edenit-Film hinderte sie daran, sofort zusammenzubrechen, und viel Energie hatten wir nicht, wie Roger sehr richtig sagte, um das Edenit am Glühen zu halten.

»Helme versiegeln!« befahl Roger. Das taten wir, und sofort begann die Wirkung der Edenit-Beschichtung mit rippelnden Lichtern bei jeder Bewegung.

Roger gab Alarmzeichen. Laddy Angel, der an den Schleusenventilen stand, bedeutete mit einer Geste, daß er verstanden habe, und begab sich zum Schleusenverschluß. Die Tür hinter uns schob sich zu. Als sie versiegelt war, öffnete sich die Außenblende, und das Seewasser schoß in dicken Strahlen herein. Fast rissen sie uns von den Füßen, aber einen Moment später war die Schleuse gefüllt. Nun öffnete sich die Außentür, und wir traten hinaus auf den Boden des Tonga-Grabens, mit vier Meilen Wasser über uns.

Die Dolphin hinter uns schimmerte hell und beleuchtete den ganzen Seeboden um uns herum. Aber als ich einmal zurückschaute, flogen Schatten über den Rumpf, ein sicheres Zeichen, daß die Energie, die den Edenit-Belag wirksam erhielt, allmählich nachließ.

Dann mußten wir aber nach vorne schauen. Wir bildeten eine Reihe mit David Craken in Führung. Eine kleine Anpassung an das Verhältnis Auftrieb gegen Gewicht war mit einer winzigen Drehung des Luftventils erledigt, so daß wir in großen Sprüngen über den Meeresboden setzen konnten. Wir kamen recht schnell vorwärts, und ein paar Augenblicke später war die Dolphin hinter uns nur noch ein schwachleuchtender Umriß. Aber ... da war doch Licht!

War denn das in dieser Tiefe möglich? Und noch unglaubli-cher war, daß hier offensichtlich Dinge wuchsen.

Der Seeboden in der Tiefsee ist nackter, schwarzer Schlamm, doch hier gab es Vegetation, einen Wald wiegender federiger Gewächse, die ganz merkwürdig aus den Felshängen vor uns wuchsen. Die dünnen, biegsamen Stämme mußten sehr hoch sein, denn sie verloren sich in den Schatten über uns. Und sie hatten dicke, merkwürdig geformte Blätter. Stämme und Äste und Blätter schimmerten in einem ganz seltsamen sanftgrünen Licht.

Ich tat einen Satz vorwärts und tippte David Craken auf die Schulter. Der Edenit-Film an meinem Handschuh und der an seiner Schulter strahlten bei der Berührung auf. Die Berührung hatte David bestimmt nicht gespürt, wohl aber aus dem Augenwinkel heraus das Glühen bemerkt. Er schwang sich mit dem ganzen Körper herum, so daß ich verschwommen sein Gesicht hinter dem Edenit-Film seiner Sichtplatte erkannte.

Ich winkte wortlos zu dem glühenden Wald hinüber. Er nickte, und seine Lippen formten Worte, die ich aber nicht verstand. Nur eines wußte ich, für ihn war dieser Wald keine Überraschung.

Und dann fiel mir das merkwürdige Aquarell ein, das Laddy Angel mir gezeigt hatte; es hing über Davids Bett in der Akademie. Einen solchen Wald, einen solchen Abhang hatte er gemalt. Und auf dem Bild war ein riesiger, häßlicher Saurier durch den Tiefsee-Wald gepflügt. Ich hatte dieses Aquarell damals für ein Phantasiegebilde gehalten, doch nun hatte ich es vor meinen Augen. Wo waren die Saurier?

Aber mit solchen Gedanken konnte ich mich nicht beschäftigen, es gab viel wichtigere Dinge. David schien hier zu Hause zu sein. Mit riesigen Känguruh-Sprüngen, als sei er auf dem Mond, eilte er voraus. Nach ein paar Minuten gab er das Signal zum Halten. Gideon trat neben ihn. Seine Lampe ging an, und Roger löschte die seine und reihte sich hinter Gideon ein. Das war eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, denn die Anzugleuchten waren sehr hell und fraßen eine Menge Energie. Wir mußten also unsere Energie ziemlich gleichmäßig verbrauchen, damit die Edenit-Beschichtung immer Strom bekam. Wenn nämlich erst einmal das unheildrohende Knistern zu hören war, so hörte man gleich darauf nichts mehr, nie mehr!

Wir rannten weiter. Die paar Meilen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Ich fühlte mich allmählich ein wenig benommen, gleichzeitig auf sonderbare Art heiter. Da wußte ich aber auch sofort den Grund: der Sauerstoff ging allmählich zur Neige. Wegen der alten Batterien hatten wir es nicht gewagt, Elektrolungen zu verwenden, und die kleinen Tanks waren nur für Notfälle gedacht. Jedenfalls atmete ich keine gute Luft mehr.

Etwas stieß mich von hinten heran, ich hörte ein fernes Röhren, das durch das Wasser rumpelte, und dann lagen wir alle zusammen auf dem Boden. Gideon rappelte sich hoch und winkte zur Dolphin zurück. Da verstand ich. Der Reaktor hatte den Geist aufgegeben, und eine Nuklearexplosion hatte den Rumpf des toten Schiffes in Atome zerfetzt.

Dem Himmel sei Dank! Wir hatten schon einen Bergrücken hinter uns und waren nicht mehr in der unmittelbaren Gefahrenzone. Also standen wir auf und setzten unseren Weg fort.

Wir umgingen gerade einen alten Lavafluß aus einem Unterseevulkan, der zu grotesken Formen erstarrt war. Nun waren überall diese seltsamen glühenden Pflanzen um uns, und sie wuchsen aus dem nackten Fels heraus, wie mir schien. Und da sah ich, wie sich zwischen ihnen etwas Riesiges bewegte ...

Genau war es nicht zu sehen, denn das einzige Licht kam von den Pflanzen selbst, und es war spukhaft. Ich durfte nicht stehenbleiben, denn ich konnte sonst die anderen nicht mehr einholen. Es gab keinen Zweifel daran, daß die Luft in meinem Anzug schlechter wurde. Wir liefen einen langen Hang hinab, dann über eine weite Ebene. Der Wald war jetzt überall um uns herum, und über uns hing ein bizarrer Vorhang aus Gewäch-sen. David blieb stehen und deutete mit weit ausgebreiteten Armen ein Stück voraus.

Ich hustete, würgte und versuchte weiterzugehen. Dann wurde mir klar, daß Laddy Angel bereits nach vorne gegangen war. David zeigte uns also etwas.

Ich hob den Kopf, und da sah ich zwischen den Seepflanzen etwas Riesiges, Dunkles, einen Seeberg! Und auf der abgeplatteten Spitze etwas, das blaßgolden und bläulich schimmerte.

Edenit! Es war die Kuppel von Jason Craken.

Ob wir wohl noch rechtzeitig ankamen?

Jemand - ich wußte nicht, wer es war - fiel, kämpfte sich wieder in die Höhe und stand schwankend da. Jemand, es mußte wohl Gideon sein, war mit einem Satz neben ihm und stützte ihn mit einem Arm. Es schien also nicht nur meine Atemluft schlecht zu werden.

Wir hielten uns jetzt eng beisammen und bewegten uns langsamer voran. Wieder sah ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung, schaute hin und erwartete, wieder nichts zu sehen.

Wie sehr ich mich doch täuschte! Es war etwas Riesiges und Drohendes. Ein Saurier, ungeheuer groß, und er kam direkt auf uns zu! Ich schaltete meine Anzuglampe ein, um die anderen aufmerksam zu machen. Sie sahen das Monstrum auch, aber David Craken machte eine aufgeregte Bewegung, nur wußte ich nicht, was er damit meinte. Die anderen taten einen Satz vorwärts und fächerten sich auf. Ich rannte auch, so schnell ich konnte, wir duckten uns um die schwankenden Stämme der Seepflanzen und hielten nach einem Versteck Ausschau.

Ich hörte, wie mein Atem im Helm rasselnd ging, und die Welt wurde immer dunkler. Im Kopf war ein schmerzhaftes Pochen, und die Luft wurde nun so schlecht, daß ich versucht war, mich einfach fallen zu lassen, zu schlafen ...

Es gelang mir noch, in ein schützendes, hell schimmerndes Gebüsch zu kommen. Dort lag ich auf dem Rücken, atmete schwer und stellte ohne irgendeine Gemütsbewegung fest, daß dieses Ungeheuer ganz in meiner Nähe war. Und seltsam, auf diesem Ungeheuer ritt etwas, genau wie auf Davids Aquarell

Eine Person war es, ein Mädchen, schlank, braunhäutig und schwarzhaarig, sehr zierlich, und die Augen glühten perlig wie die Joe Trenchers. Ihr blauer Schwimmanzug war aus etwas gewoben, das so glühte wie die Pflanzen, die über uns hingen. Sie war so nahe, daß ich die geblähten Nüstern sah, sogar den Ausdruck ihres Gesichts.

Das war leicht zu erkennen, denn sie trug keinen Druckanzug! In vier Meilen Tiefe atmete sie das Wasser der Tiefsee!

Ich hatte keine Zeit, sie zu studieren, denn das Monstrum forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Selbst in meinem Zustand halber Vergiftung war ich mir darüber klar, daß hier eine tödliche Gefahr für mich war. Der riesige Kopf kam pendelnd zu mir herab, der lange, biegsame Hals war ebenso beweglich wie der eines Schwans. Und das Maul war so riesig, daß es mich mit einem einzigen Schnappen hätte verschlingen können.

Und die spitzen Zähne, die so lang waren wie die Säbel eines Kavalleristen .

Da wurde der blauglühende Wald um mich herum grauschwarz und drehte sich. Ich sah noch die übereinanderliegenden Schuppen am Hals des Sauriers und die schwarzen Klauen an den ruderartigen Gliedmaßen; dann kam der Kopf herab durch die Stränge zerrissenen Tangs, und ich dachte schon, jetzt sei meine letzte Minute gekommen. Dann rauschte das Blut in meinen Ohren, das Grau wurde schwarz, ich war bewußtlos.

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