8. Die Halbmenschen

Roger hatte von einem »Strandhaus« gesprochen, doch es war sehr weitläufig und zweistöckig und hatte zehn Morgen subtropischer Gärten mit zahlreichen Nebengebäuden. Der ganze Besitz war umgeben von einer sechs Meter hohen Dornenhecke mit winzigen roten Blüten. Eine Landkrabbe hätte sich da vielleicht mit Mühe durchzwängen können, aber für ein menschliches Wesen war dies ausgeschlossen.

Roger führte uns zu einer Tür in der Hecke, eine drei Meter hohe getriebene Metalltür, über der die Hecke dicht zusammengewachsen war. Die Tür stand weit offen, und niemand war zu sehen, doch unbewacht war sie nicht.

»Halt!« rief uns eine metallene Stimme an. »Halt, ihr da! Wohin geht ihr? Was wollt ihr?« Die Tür bewegte sich ein wenig, obwohl kein Wind ging. Sie schien sich vor uns schließen zu wollen.

»Das ist der automatische Wächter«, erklärte uns Roger ein wenig nervös, dann schrie er: »Ich bin Roger Fairfane. Ich habe Erlaubnis, hier ‘reinzukommen!«

»Roger Fairfane«, krackelte die mechanische Stimme. »Tritt vor!« Es zischte etwas, Statik knisterte, als suche ein unsichtbares elektronisches Gehirn eine Datenbank nach einem Roger Fairfane durch.

Roger tat einen Schritt vorwärts, und von einem Projektor seitlich an der Tür zuckte ein roter Lichtstrahl über ihn. In diesem Licht sah er nervös und ängstlich aus.

»Roger Fairfane«, ratterte die mechanische Stimme, »du hast Erlaubnis, zum Bootshaus zu gehen. Folge dem bezeichneten Pfad.« Es klickte, das Summen des Lautsprechers verklang. Die Tür schüttelte sich ein wenig, als bedaure sie es, sich nicht schließen zu dürfen.

Eine Linie aus dem violetten Licht von reiskorngroßen Troy-on-Leuchtkörpern leuchtete auf und bezeichnete einen Pfad, der durch die Palmen und Hibiskusbüsche zum Wasser führte.

»Kommt mit und bleibt auf dem Pfad«, drängte Roger.

Wir folgten dem gewundenen Korallenweg, der vom violetten Licht gekennzeichnet war. Das Bootshaus erwies sich als so groß wie ein normales Wohnhaus für eine mittelgroße Familie. Es gab hier ein Becken für einen privaten Tiefsee-Kreuzer, um das herum ein Haus gebaut war, in dessen Oberstock sich eine Wohnung befand. Rötliches Licht schoß uns aus dem Eingang heraus entgegen und erfaßte Roger Fairfane. Die Tür ging auf. Wir traten ein, die Tür schloß sich hinter uns. Ich fühlte mich so unbehaglich wie in einer Falle.

Erst mußten wir uns etwas zu essen suchen, denn wir alle waren hungrig, nicht nur David. Keiner von uns hatte seit dem Marathonschwimmen etwas gegessen. Roger verschwand in die Küche, und wir hörten ihn, als er mit den Instrumenten des elektronischen Haushälters herumprobierte. Nach ein paar Minuten kam er mit einem Tablett heraus und brachte Milch und belegte Brote mit. »Mehr konnte ich nicht finden«, erklärte er bedauernd. »Die Wohnung gehört dem Piloten des Seewagens und ist nicht sehr gut bestückt.«

Aber es genügte uns. Wir verschlangen die belegten Brote und saßen dabei vor dem röhrenden Kaminfeuer, das sich selbst entzündet hatte, als wir den Raum betraten. Wenn dies die Pilotenwohnung war, wie mochte erst die des Hausherrn aussehen! Wir waren sehr beeindruckt von dem Luxus, der uns umgab, sogar Roger. Und dann redeten wir.

David schluckte den letzten Bissen hinunter und schaute uns an. »Es ist schwierig, ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll«, sagte er schließlich.

»Nun, dann fang mal mit den Tonga-Perlen an«, schlug Roger vor.

David sah erst ihn an, dann Bob und mich. Er sah besorgt drein.

»Ehe ich damit beginne, müßt ihr mir etwas versprechen. Das, was ich euch jetzt erzähle, dürft ihr ohne meine Erlaubnis an keinen Menschen weitergeben. Besonders wichtig ist, daß ihr keinen Bericht an die Flotte macht.«

»In Ordnung«, erwiderte Roger sofort.

Ich zögerte. »Ich weiß nicht recht, ob wir das versprechen sollten«, wandte ich ein. »Schließlich sind wir Kadetten und werden für die Flotte ausgebildet .«

Bob Eskow schien sich auch mit einem Gedanken herumzuschlagen, wollte schon etwas sagen, ließ es dann aber sein.

David Craken sah mich fest an. Seine Stimme drückte große Sicherheit und Bestimmtheit aus. »Jim, wenn du nicht versprechen kannst, den Mund zu halten, muß ich dich bitten, zu gehen. Es hängt zuviel davon ab. Ich brauche dringend Hilfe, aber ich kann das Risiko nicht auf mich nehmen, daß etwas nach außen dringt. Leben und Tod hängen davon ab, Jim. Meines Vaters Leben.«

»Hör mal, Jim, da gibt es doch gar kein Problem«, fuhr mich Roger an. »David verlangt doch nicht von dir, daß du gegen deinen Eid verstoßen sollst. Du bist ja noch gar nicht vereidigt. Also, warum willst du dieses Versprechen nicht geben?«

»Moment, Roger«, bat David. Er wandte sich wieder an mich. »Angenommen, ich bitte dich, diese Unterredung solange geheim zu halten, als dies nicht gegen deine Pflichten der Flotte gegenüber verstößt. Und wenn du darüber sprechen zu müssen glaubst, daß du vorher mit mir darüber redest.«

Ich überlegte. Das erschien mir vernünftig, aber ehe ich etwas sagen konnte, stand Bob Eskow auf. »Ich rede für mich«, sagte er. »Ich finde das in Ordnung. Das besiegeln wir mit einem Handschlag.«

Wir reichten einander alle ein wenig düster die Hände.

»So, und woher hast du die Perlen?« fragte Roger.

»Sei nicht so ungeduldig«, wehrte David lachend ab. »Weißt du, Roger, ich könnte dir die Stelle ganz genau beschreiben, sie auf der Tiefsee-Karte bezeichnen und dir den Weg dorthin angeben. Aber das würde dir gar nichts nützen. Verstehst du, Roger, lebendig würdest du nämlich nicht davon zurückkommen.« Das fügte er sehr ernst hinzu.

Er lehnte sich zurück und schaute ins Feuer. »Mein Vater ist ein sehr erfahrener Benthologe, ein Wissenschaftler, der Flora und Fauna des Meeresbodens genau kennt. Seinen Ruf erwarb er sich viele Jahre vor meiner Geburt und unter einem anderen Namen. Er machte viele Forschungsreisen und entdeckte unter anderem die Austernbänke, von denen die Tonga-Perlen stammen ... Ich wollte, das hätte er nie getan, denn diese Perlen sind sehr ... gefährlich.«

»Das sind doch dumme Legenden«, warf Roger verächtlich ein.« Aberglaube! Seit vielen Jahrtausenden gibt es die Unglücksgeschichten über berühmte Edelsteine, aber das einzige Unglück besteht darin, sie nicht zu besitzen.«

David Craken schüttelte den Kopf. »Die Tonga-Perlen haben wirklich schon viel Unheil gebracht. Vielleicht deshalb, weil sie so ungeheuer kostbar sind, vielleicht auch nur wegen ihrer Schönheit. Ich weiß es nicht. Aber glaubt mir, an diesen Geschichten ist schon einiges. Sie sind die Ursache dafür, daß alle Männer dieser Expedition starben - mit der einzigen Ausnahme meines Vaters.«

»Willst du damit sagen, sie haben einander wegen der Perlen umgebracht?« fragte Roger.

»Oh, nein! Es waren lauter tadellose Männer - Wissenschaftler, Forscher, Tiefsee-Fachleute. Aber die Perlenbänke sind sehr gut bewacht. Deshalb ist noch nie jemand zurückgekommen von den Tonga-Bänken, der ihre Lage hätte beschreiben können.«

»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Von wem bewacht?«

David runzelte die Brauen. »Jim, du darfst nicht vergessen, daß die Ozeane größtenteils noch so fremd und unerforscht sind wie andere Planeten. Es gibt auf der Erde dreimal soviel Ozeanboden wie Festland. Und Ozeanboden ist sehr schwer zu erforschen. Wir können im Ozean reisen, wir können mit Fadenmessern und Mikrosonar suchen, aber wie weit reicht äußerstenfalls diese Suche? Es ist ungefähr so, als wollten wir die Bermudas während eines Gewitters vom Flugzeug aus kartographisch aufnehmen. Wir sehen Flecken, wir können mit Radar die Wolken durchdringen, aber da bekommen wir nur die großen, groben Umrisse und keine Feinheiten. Unter der See gibt es Dinge, die du nie glauben würdest.«

Ich hätte ihn jetzt gerne gefragt, ob er diesen schrecklichen Saurierkopf meinte, den ich über der Reling des Übungsschiffs gesehen hatte, oder das Geheimnis seines eigenen Verschwindens und seiner Rückkehr, oder die seltsamen Augen der Kreatur, die sich Joe Trencher genannt hatte. Aber etwas hieß mich schweigen.

»Das Schiff ging verloren«, fuhr David fort. »Mein Vater kam mit seiner Taucherausrüstung durch und brachte die ersten paar Perlen mit. Ich denke, er hätte genau berichten müssen, was der Expedition zugestoßen war, doch er tat es nicht.« Er schien sich für seinen Vater entschuldigen zu wollen. »Versteht ihr, damals waren die Zeiten noch anders. Die Eroberung der Tiefsee-Welt begann ja erst. Es gab damals keine TiefseeFlotte, Piraterie war an der Tagesordnung. Er wußte, daß er seine Rechte als Entdecker verlieren würde, vielleicht sogar sein Leben, wenn das Geheimnis der Perlen durchsickerte.

Also berichtete er nichts. Er änderte seinen Namen ab in Jason Craken. Kraken - nur die Schreibweise ist leicht verän-dert - ist der Name für die legendären Ungeheuer der Tiefsee. Der war sehr geeignet, wie ihr seht. Er nahm die Perlen, die zu retten ihm gelungen war und verkaufte sie, immer nur ein paar, und er war darin sehr sorgfältig. Es war auch nicht immer ganz legal, doch ihm blieb keine andere Wahl, müßt ihr wissen.«

David richtete sich höher auf, und seine Augen blitzten. »Nun, ich sagte euch ja schon, daß er ein erfahrener Bentholo-ge war. Er erfand eine neue Technik, mit der mehr Perlen geerntet werden konnten, ohne daß er dabei sein Leben verlor. Glaubt mir, leicht war das nicht. Diese ganzen Jahre hindurch hat er die Tonga-Perlenbänke abgeerntet .«

»Und das ganz allein!« rief Roger Fairfane, schob seinen Stuhl zurück und sprang auf. Wie ein Tiger im Käfig lief er auf und ab. »Ein Mann allein, der alle Tonga-Perlen erntet! Welch eine Gelegenheit!«

»Viel mehr als das, Roger«, bemerkte David. »Denn ganz allein war er nicht. Er hatte - nun, wir können sie Angestellte nennen - er hatte also Leute, die ihn beschützten und ihm bei der Perlenernte halfen.«

Bob Eskow stand auf. »Ich meinte, du sagtest, dein Vater sei der einzige gewesen, der die Lage der Perlenbänke kannte.«

David nickte und schwieg eine Weile. »Diese Angestellten waren ja auch keine Menschen.«

»Keine Menschen? Aber .«

»Bitte, Bob. Laß mich das auf meine Art erzählen.« Bob setzte sich wieder. »Mein Vater hat sich in der Nähe der Perlenbänke ein Heim geschaffen, eine Tiefsee-Festung, mit Edenit gepanzert. Er hat viele Perlen gesammelt. Er hat für sich selbst in den Tiefsee-Städten eine neue Identität geschaffen, so daß er die Perlen verkaufen konnte. Er hat damit viel Geld verdient.

Solange meine Mutter noch lebte, hatten wir jeden Luxus. Es war ein phantastisches, wundervolles Leben, halb in den Tiefsee-Städten, halb in unserer eigenen geheimen Kuppel.

Aber dann starb meine Mutter. Danach wurde alles anders.«

Seine Stimme wurde nun ein wenig undeutlich, sein Gesicht sehr blaß. Ich bemerkte auch, daß seine Hände zitterten, doch er sprach schon weiter.

»Alles hatte sich verändert. Mein Vater ist jetzt ein alter, kranker Mann. Er kann seine ... Angestellten nicht mehr so regieren, wie er es tat. Sein Tiefsee-Reich entgleitet ihm langsam. Die Leute, denen er vertraute, haben sich gegen ihn gewandt. Er hat niemanden mehr. Deshalb brauchen wir Hilfe!«

Bob und Roger waren ganz aufgeregt, und ich selbst fühlte auch meinen Puls jagen. Eine geheime Festung, die ein Tiefsee-Reich beschirmte! Tonga-Perlen, die wie Monde in der Dunkelheit glühten! Die Herausforderung unbekannter Gefahren in der Tiefsee ... Das schien die Geschichte wundervoller Abenteuer zu sein.

»Welche Art Hilfe brauchst du, David?« fragte ich.

Er schaute mich eindringlich an. »Helfer beim Kampf, Jim! Meines Vaters Leben ist kein Stückchen Austernschale mehr wert, wenn ich ihm keine Hilfe bringen kann. Wir brauchen ... ein Kampfschiff, Jim. Einen bewaffneten Tiefsee-Kreuzer.«

Wir alle starrten ihn entgeistert an, als sei er wahnsinnig geworden. »Einen Kreuzer?« fragte ich. »Aber, David, ein privater Bürger kann doch keinen Flottenkreuzer benützen. Warum wendet ihr euch nicht an die Flotte? Wenn die Lage so ernst ist ...«

»Nein, mein Vater will die Flotte nicht!«

Wir schauten ihn entgeistert an.

David lachte. »Nein, ich bin nicht verrückt. Er will die Lage der Perlenbänke nicht verraten, denn er würde damit alles verlieren, was er hat. Und außerdem sind dort ... die Kreaturen. Wenn die Flotte mit hereinkommt, müßten sie getötet werden. Und das will mein Vater nicht.«

»Welche Kreaturen?« fragte ich, doch ich glaubte die Ant-wort schon zu kennen. Diesen riesigen gepanzerten Kopf, den ich über der Reling des Übungsschiffs gesehen hatte, konnte ich nicht vergessen.

David winkte ab. »Ich werde das alles erklären, wenn ich weiß, daß ihr mir helfen könnt. Ich habe nicht viel Zeit. Meines Vaters - nennen wir sie Angestellte - haben sich gegen ihn gewandt. Sie haben ihn abgeschnitten und in seinem TiefseeFort umzingelt. Wir müssen ein Kampfschiff und Kämpfer haben, um ihn zu retten. Wirklich, viel Zeit haben wir nicht.«

Er stand auf und schaute uns eindringlich an. »Aber nicht die Flotte!« betonte er.

»Was dann?« fragte Roger Fairfane bestürzt.

»Habt ihr je von dem Tiefsee-Kreuzer Killer Whale gehört?« fragte David.

Wir schauten einander an. Irgendwo und irgendwann, wahrscheinlich sogar erst kürzlich, hatten wir den Namen schon einmal gehört.

Mir fiel es zuerst ein. »Natürlich!« rief ich. »Die ÜberschußVerkäufe der Flotte! Unten in Sargasso City - da gibt es zwei, nicht wahr? Zwei außer Dienst gestellte Tiefsee-Kreuzer, die zum Schrottwert verkauft werden, soviel ich weiß.«

David nickte, schüttelte dann aber doch den Kopf. »Fast genau stimmt das, aber es gibt nur ein Schiff. Das andere, die Dolphin, ist nur ein Haufen Rost. Ich will die Killer Whale haben. Richtig, die Waffen dafür muß ich anderswo kaufen. Die Flotte verkauft das Schiff nackt. Aber es ist ein Schiff, das sich ausrüsten läßt. Mein Vater kennt es gut. Früher war es in Kermadec Dome stationiert, noch vor wenigen Jahren. Wenn ich es bewaffnen könnte ... und wenn ich drei oder vier gute Männer fände .«

»Da könnten wir dir helfen, David!« rief Bob eifrig. »Wir haben vollständige Kurse in Tiefsee-Taktik und Kampfmanövern gehabt, sogar ein Training in simulierten Kämpfen. Aber der Preis, David! Solche Dinge kosten auch nackt ein Vermö-gen.«

David nickte. »Das dachten wir uns schon, mein Vater und ich. Sie würden ungefähr soviel kosten wie eine Handvoll Tonga-Perlen.«

Eine Weile schwiegen wir. Dann lachte Roger Fairfane hart. »Dann hast du also unsere Zeit verschwendet«, sagte er. »Denn du hast die Perlen verloren. Und ohne sie bekommst du kein Geld.«

David musterte ihn nachdenklich. »Nein?« meinte er und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Du sagtest doch, Roger, du würdest helfen. Und dein Vater ist ein reicher, ein sehr wichtiger Mann bei der Trident Linie .«

Roger errötete vor Zorn. »Laß meinen Vater aus dieser Geschichte!« fuhr er auf.

David nickte. Überrascht schien er nicht zu sein. »Ich dachte mir schon, daß es so ausgeht«, bemerkte er ruhig, und Roger schien zu verstehen, obwohl David nichts weiter erklärte. Erst wurde er tiefrot, dann sehr blaß, sagte aber nichts.

»Ich wußte, daß es nicht ungefährlich sein würde«, fuhr David fort. »Joe Trencher war früher meines Vaters Vormann, und jetzt führt er die Revolte gegen ihn an. Wir wußten, womit wir zu rechnen hatten. Mein Vater sagte mir schon vorher, Trencher würde sicher eine Möglichkeit finden, mich der Perlen zu berauben.«

»Und hat er dir auch gesagt, was du in diesem Fall tun solltest?« fragte Roger.

David nickte und schaute mich an. »Er sagte: >Bitte um Hilfe. Versuche, Jim Eden zu sehen, und bitte seinen Onkel um Hilfe.<«

Noch mehr hätte mich nichts überraschen können, nicht einmal, wenn er sich jetzt vor meinen Augen in ein Seeungeheuer verwandelt hätte.

»Mein Onkel Stewart? Aber .« »Mehr weiß ich nicht, Jim. Mein Vater ist krank, wie ich schon sagte. Vielleicht hat er das im Fieber gesagt. Aber gesagt hat er es.«

Ich schüttelte den Kopf und überlegte. »Aber ... mein Onkel ist doch in Marinia. Mehr als zehntausend Meilen von hier entfernt. Und er ist selbst nicht allzu gesund.«

David hob die Schultern und sah plötzlich sehr müde aus. »Mehr weiß ich wirklich nicht, Jim. Nur ...« Er brach ab und lauschte. »Was war das?«

Wir alle spitzten die Ohren. Ja, da war ein schwaches mechanisches Wispern. Es klang wie nahes, aber sehr gedämpftes Motorengeräusch.

Bob sprang auf. »Das Becken für die Seewagen! Daher kommt es!«

Kaum zu glauben, aber so schien es wirklich zu sein. Wir rannten alle vier zur Wohnung hinaus, die Treppen hinab und auf die Plattform, die das Becken umgab, wo der TiefseeWagen des Atlantikdirektors lag, wenn er hier war.

Aber zu sehen war nichts. Wir schauten uns um. Über allem lag dünnes violettes Troyon-Licht. Es gab einen kleinen Landesteg mit Geländer, die weißen Mauern, das Wasser - nichts sonst; aber die Seetüren standen weit offen.

Wir schauten nach draußen; dorthin, wo das Wasser des Bek-kens überging in den geraden, engen Kanal, der zur offenen See führte. Da waren Wellen, geschrumpfte Imitationen der Brecher von draußen.

Kein Seewagen war zu sehen.

»Ich überlege ...«, sagte David Craken. »Nein, es kann nicht sein.«

»Was kann nicht sein?« wollte ich wissen.

»Ich meine, ich habe Gespenster gehört. Für einen Moment glaubte ich, Joe Trencher sei uns vielleicht hierher gefolgt, und habe dann im Becken gelauscht, was wir sagten. Aber das kann nicht stimmen.« Er deutete zum Tor mit dem elektronischen Wächter. »Jeder, der hier ein- oder ausgeht, unterbricht den Stromkreis«, erinnerte er uns. »Und der elektronische Posten gab keinen Alarm. Also kann das nicht zutreffen.«

»Aber ich bin sicher, daß ich Motoren hörte«, erklärte Bob Eskow nachdrücklich.

»Ich meinte es auch, aber es scheint doch unmöglich zu sein. Vielleicht war es ein merkwürdiges Echo von der Brandung her. Oder draußen auf See kam ein Oberflächenboot vorüber.«

»David, ich bin doch keine Landratte!« widersprach Bob. »Und ich erkenne das Geräusch eines Seewagens, sobald ich es höre.« Doch dann schien er verwirrt zu sein. »Du hast recht, es ist unmöglich. Der elektronische Posten hätte ihn sofort bemerkt.«

Wir trotteten wieder nach oben, aber die alte Stimmung war nicht mehr da. Alle waren wir ein wenig nachdenklich, sogar besorgt.

Und spät wurde es überdies. Schnell machten wir Pläne, was wir tun konnten. »Ich versuche meinen Onkel anzurufen«, versprach ich. »Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wie das nützen soll. Versuchen will ich es trotzdem. David, du könntest inzwischen hier bleiben und dich nicht zeigen. Wir müssen zur Akademie zurück, aber morgen kommen wir wieder, und dann .«

»Dann machen wir uns an die Arbeit«, versprach Bob.

Und das war dann alles für diesen merkwürdigen, aufregenden Tag.

Oder fast alles. Wir verließen David und schlenderten durch den Märchengarten zurück zum Tor. Wir waren hundemüde und erschöpft, nicht nur vom Marathonschwimmen, sondern auch von der seltsamen Begegnung mit David Craken und Joe Trencher, wer immer er auch sein mochte.

Vielleicht war es deshalb, daß wir schon etwa hundert Meter weiter auf der Straße waren, ehe ich es bemerkte. Ich blieb stehen. »Du hast das Tor zugemacht«, sagte ich zu Bob.

Er schaute zurück. »Ich stieß es zu, als wir durchgingen. Ich wollte es nicht offen lassen, falls jemand ...«

»Nein, du hast es geschlossen! Erinnerst du dich? Es stand halb offen. Verstehst du nicht, was ich meine? Komm mit, schnell!«

So müde ich auch war, ich lief zurück. Das Tor war geschlossen, wie Bob es zugeschlagen hatte. Und da war die sechs Meter hohe Dornenhecke, und das Tor mit dem Überwachungsturm des elektronischen Postens an der einen Seite.

Keuchend blieben wir davor stehen. Nichts geschah.

»Seht ihr?« rief ich, und sie blinzelten mich an. »Versteht ihr denn noch immer nicht? Paßt mal auf.« Ich stieß die Tür an, sie flog weit auf.

Und nichts sonst geschah.

Roger Fairfane begriff, dann auch Bob Eskow.

»Der elektronische Wächter«, flüsterte Bob. »Er ist ausgeschaltet. Das ist ein automatisches Tor. Man dürfte es nicht bewegen können, solange der rote Suchstrahl einen nicht identifiziert ...«

Ich nickte. »Seht ihr, dieser Posten wurde irgendwie ausgeschaltet. Vermutlich wurden Drähte durchschnitten.«

Roger sah mich besorgt an. »Dann wären also diese Motoren, die wir zu hören glaubten .«

Ich nickte. »Die haben wir uns nicht eingebildet, sie waren echt. Sie haben den Posten abgeschaltet und kamen herein. Und sie hörten jedes Wort, das wir sprachen.«

Загрузка...