21. An Bord der Killer Whale

Die Amphibianer hatten uns an Bord ihres Tiefsee-Kreuzers und alle Luken geschlossen. Ich glaube, es dauerte nicht länger als eine Minute. Wir waren so verblüfft und geschockt, daß wir gar nicht erst versuchten, Widerstand zu leisten.

Es hatte auch keinen Sinn. Wenn es für uns auch nur noch den Schimmer einer Hoffnung gab, dann an Bord der Killer Whale, denn auf dem Floß konnten wir überhaupt nicht gefunden oder endlos lange abgetrieben werden.

Die Killer stank. Es war der scharfe, fauligmodrige Geruch dieser Tiefsee-Pflanzen aus dem Graben, den ich mit den Amphibianern verband. Das ganze Innere des Schiffes war vernebelt, und überall tropfte das Kondenswasser herab. Alles war naß, feuchtkalt, rostig und verschimmelt.

An Bord der Killer mußten wohl etwa zwanzig Amphibianer sein. Sie zerrten uns die Gangways hinab und redeten kaum etwas dabei. Vermutlich sprachen die wenigsten davon auch nur ein paar Worte Englisch. Wenn sie untereinander redeten, bedienten sie sich einer Sprache, die aus genuschelten Konsonanten und lang ausgesungenen Vokalen bestand, und so verstand ich kein Wort.

Dann brachten sie uns zu Joe Trencher.

Der perläugige Anführer der Amphibianer war der Kapitän des Schiffes und befand sich im Instrum entenraum. Bis zur Hüfte war er nackt. Auf den Wasserhahn hatte er eine Sprühdüse gesetzt, so daß er ständig mit Salzwasser besprüht wurde.

Er musterte uns düster, während er seinen Fischbauchkörper beregnen ließ. Er sah selbst aus wie ein Ungeheuer aus einer alten Legende, doch die Tatsache entging mir nicht, daß er so geschickt wie ein Offizier der Flotte das Schiff in ein steiles, spiraliges Tauchmanöver nach unten brachte.

»Warum mischt ihr euch in unsere Angelegenheiten?« fuhr er uns an.

Ich sprach für uns beide. »Die Crakens sind unsere Freunde. Und die Flotte hat die Oberhoheit über den gesamten Meeresboden.«

Er blickte uns finster an, sagte aber eine Weile nichts, sondern hustete und keuchte nur unter seinem Sprühregen.

»Ich habe mich erkältet«, erklärte er uns vorwurfsvoll. »Diese trockene Luft kann ich einfach nicht ertragen.«

»Sie ist nicht trocken«, erwiderte Bob scharf. »Du ruinierst dieses Schiff! Weißt du denn nicht, daß es bei all dieser Nässe hier zu modern und zu rosten anfangen muß?«

»Es ist mein Schiff!« entgegnete Joe Trencher böse. »Es geht dich nichts an. Und jedenfalls ... Nun, es wird lange genug halten. Wir haben jetzt schon die Crakens besiegt, und wenn sie erst alle verschwunden sind, brauchen wir dieses Schiff nicht mehr.«

Ich holte tief Atem. Die Crakens besiegt! Ich fragte: »Sind sie ... Sind sie etwa ...«

»Du meinst tot?« Er zuckte die Schultern. »Wenn nicht, dann sind sie’s jedenfalls sehr bald. Besiegt sind sie. Hast du gehört?« Er riß die Sprühdüse ab und warf sie weg, als habe sie ihn so wütend gemacht. Also gab es doch noch ein bißchen Hoffnung, dachte ich. Wenn sie nur noch ein wenig aushalten könnten .

Trencher fuhr uns keuchend an: »Erklärt mir! Wir sahen euch zur Oberfläche fliehen, und wir hörten auch euren Notruf. Ich verstehe ihn nur nicht. Wer ist Diatom? Wer ist Radiolarian? Was bedeuten diese Mollusken?«

Bob sah mich an und tat einen Schritt vorwärts.

»Diatom, das bin ich«, sagte er. »Radiolarian ist mein vorgesetzter Offizier, Trencher, ein Kommandeur der Tiefsee-Flotte!

Als Diatom hatte ich eine ganz spezielle Mission, die dich, dein Volk und die Tonga-Perlen betrifft. Ich brauchte Informationen und bekam sie. Und mein Notruf wird die ganze Flotte hierherbringen, falls es nötig wird, um jeden Widerstand zu brechen und das ganze Gebiet zu übernehmen.« Das klang so ungeheuer selbstsicher, daß ich ihn kaum erkannte!

In einer Haltung, um die ihn ein Admiral hätte beneiden können, fuhr er fort: »Trencher, das ist jetzt deine letzte Chance. Ich rate dir, gib auf. Ich bin bereit, deine Unterwerfung sofort zu akzeptieren!«

Das war ein sehr tapferer Versuch, doch der Anführer der Amphibianer war auch ein mutiger Mann.

Er war jedenfalls verblüfft, stand da, blinzelte und keuchte, und seine Augen drückten einigen Zweifel aus. Dann explodierte er in ein schallendes, mit Röcheln untermischtes Gelächter. Er nahm wieder die Sprühdüse, und ließ sich ausführlich beregnen.

»Lächerlich«, zischte er. »Junger Mann, du bist ein Phantast. Ich habe dich hier an Bord meines Schiffes, und du lebst nur noch so lange, wie ich dich am Leben lasse. Und du rätst mir, ich solle mich dir unterwerfen!«

»Es ist deine einzige Chance«, drängte Bob. »Ich .«

»Schweig!« bellte Trencher. Eine Weile stand er keuchend da und versuchte zu einem Entschluß zu kommen. »Das genügt jetzt. Vielleicht bist du ein Spion. Ich weiß es nicht. Aber ich habe deinen Notruf gehört, jedoch keine Antwort. Hat er die Flotte erreicht? Ich glaube nicht, mein junger Luftatmer. Und eine weitere Chance hast du nicht, weil wir jetzt in den Graben hinabtauchen.«

Er richtete die Sprühdüse auf sein Gesicht und musterte uns aus den schmalen Schlitzen seiner perligen Augen. »Junger Mann, du wirst niemals mehr den Himmel sehen. Ich kann euch nicht am Leben lassen.«

Joe Trencher hob wieder die Schultern und breitete seine Hände mit den Schwimmhäuten zwischen den Fingern aus, als weise er jede Verantwortung von sich. Das war ein Todesurteil. Bob und ich wußten dies auch.

Aber gerade in diesem Moment sah ich etwas in des Amphi-bianers kalten, perligen Augen, das fast Trauer, Mitleid oder Bedauern sein konnte.

»Es ist nicht so, daß es unbedingt mein Wunsch wäre, euch zu vernichten«, sagte er mit schwerer Stimme. »Ihr laßt uns nur keine Wahl. Wir müssen das Geheimnis des Tonga-Grabens bewahren, und ihr wollt alles in die Welt hinausposaunen. Das können wir nicht zulassen! Wir müssen euch also im Graben behalten. Schade, daß ihr kein Salzwasser atmen könnt, doch das ist euer Unglück, nicht das unsere; und diese Luft wird nicht ewig reichen.«

Ich schwitzte in dieser feuchten Kälte, doch ich versuchte mit ihm zu argumentieren. »Trencher, du kannst dieses Geheimnis nicht ewig bewahren. Die Erforschung der Tiefsee macht zu schnelle Fortschritte. Wenn wir nicht zurückkommen, dann werden andere Männer aufbrechen und bald hier sein, und sie werden die Saurier, den schimmernden Tang und die TongaPerlen entdecken.«

»Kommen können sie ja.« Er nickte nachdrücklich. »Aber wir können sie nicht wieder zur Oberfläche zurückkehren lassen.«

»Warum nicht?«

»Weil wir anders sind, Luftatmer!« Trencher blinzelte und sah aus wie eine traurige Gottheit in einem indischen Tempel, die Perlen statt Augen hat. »Wir haben unsere Lektion vor vielen Generationen gelernt. Wir sind Mutanten, wie Jason Craken uns nennt, aber früher waren wir Menschen. Unsere Vorfahren lebten auf den Inseln. Und wenn einige von uns dorthin zurückkehren wollten, so versuchten die Inselbewohner sie zu töten! Sie trieben uns immer wieder in die See. So fanden wir schließlich den Graben, und der ist für uns eine freundliche Welt, junger Mann, eine Welt, wo wir in Frieden leben können.

Ja, hier können wir in Frieden leben, solange man uns in Ruhe läßt!«

Er keuchte und röchelte nach Atem, und mir schien, daß ein Teil seines Unglücks von seinen Gefühlen und Gedanken herrührte. Was er sagte, war tragisch. Er sprach ernst und kalt mit uns, und er ließ uns nicht im Zweifel darüber, daß er uns ans Leben wollte, aber irgendwie verstand ich ihn sogar.

Vielleicht hatte er tatsächlich allen Grund, die Luftatmer zu hassen und zu fürchten.

»Trencher«, sagte ich langsam, »mir scheint, hier gab es auf beiden Seiten Mißverständnisse. Aber verstehst du nicht, daß wir zu einem Frieden kommen müssen, der für euer Volk und die Menschen gleicherweise fair ist! Die Menschheit braucht euch, aber ihr braucht auch die Menschen. Ihr Amphibianer könnt eine große Hilfe sein bei der Erforschung des Meeresbodens. Unsere Gesellschaft hat viele Dinge, die ihr auch braucht, Medizinen, wissenschaftliche Entdeckungen, Hilfen in unendlicher Vielfalt .«

»Und mehr noch«, warf Bob ein, »braucht ihr den Schutz der Flotte!«

Trencher schniefte, keuchte und hustete und besprühte sich wieder mit Salzwasser. »Das hat Jason Craken uns auch beizubringen versucht«, erwiderte er verächtlich. »Und er wollte uns bestechen mit dem Kram, den eure Zivilisation zu bieten hat. Wir waren nicht feindselig eingestellt, doch er wollte uns zu Sklaven machen. Die Geschenke, die er uns brachte, waren Waffen, mit denen er uns zu besiegen dachte.«

»Aber Craken ist doch wahnsinnig, Trencher!« wandte ich ein. »Verstehst du das denn nicht? Er hat hier so lange allein gelebt, daß sein Geist nicht mehr richtig funktioniert! Er braucht medizinische Fürsorge und Pflege. Er muß in eine Anstalt gebracht werden, wo ihm geholfen werden kann. Er braucht einen .«

»Was er braucht«, unterbrach mich Trencher brutal, »ist ein Grab. Denn ich glaube nicht, daß er noch lebt.«

Nun machte er eine nachdenkliche Pause, als bedaure er selbst, was er gesagt hatte. »Wir dachten, er sei unser Freund. Vielleicht ist es wahr, daß sein Geist ihn verlassen hat. Jetzt ist es aber zu spät. Es gab früher auch andere Menschen, die wir für unsere Freunde hielten, und wir hätten ihnen gerne vertraut. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Zu spät für alles, Luftatmer, denn ich habe die Kuppel verlassen, um euch von der Oberfläche zurückzuholen, und da konnte sie höchstens noch ein paar Minuten standhalten.«

»Diese anderen Menschen - wie heißen sie?« fragte ich, einem Impuls folgend.

Er schaute mich mit seinen Perlenaugen an. »Nun, das waren .«

Einer der anderen Amphibianer tat einen aufgeregten Schrei, dann folgte ein Geschnatter, von dem natürlich kein Wort zu verstehen war. Aber Joe Trencher verstand natürlich. Er tat einen Satz zum Mikrosonarschirm, an dem der andere Amphi-bianer stand.

»Die Flotte!« keuchte er wütend. »Die Flotte!«

Und das war richtig. Auf dem Bildschirm waren mindestens ein Dutzend dicker Lichtpunkte aufgetaucht, die sich sehr schnell näherten.

Die Killer Whale tauchte in einer langen Spirale weg, und die ganze Crew war ungeheuer aufgeregt. Bob und ich wurden gepackt und aus dem Weg geschleudert.

Ich spürte, wie sich die Killer schüttelte, und wußte, daß nun die Raketen der ankommenden Flotte nach dem Kreuzer ausgriffen. Es war nicht daran zu zweifeln, daß unsere Lage recht ernst war, denn wenn die Flotte gewann, würde sie die Killer Whale zu Atomen zerblasen. Und uns damit. Sollte infolge eines unverständlichen Unglücks die Flotte jedoch verlieren, so überließe uns Joe Trencher dem Salzwasser, sobald die Luft zu Ende war!

»Sie haben wenigstens den Notruf aufgefangen«, sagte ich zu Bob. »Also können wir noch hoffen«

Er hob die Schultern und schaute auf die Mikrosonarschirme. Wir näherten uns schon dem Boden des Grabens. Andeutungsweise erkannte ich schon den Berg, die Täler und Klippen in seiner Nähe. »Ich wollte«, sage ich mehr zu mir selbst, »die Flotte wäre nicht gerade in diesem Moment aufgetaucht, ich hatte nämlich die Ahnung, daß .«

»Daß was?« fragte Bob gespannt.

Ich zögerte. »Nun, ich dachte, die Leute, von denen sie sprachen, könnten wir vielleicht kennen. Aber die Namen konnte ich nicht verstehen.«

»Konntest du nicht? Ich schon. Und du hast recht. Jim. Die Männer denen sie hätten vertrauen können, waren die einzigen anderen Männer, die je hier unten waren. Stewart Eden und dein Vater.«

Ich starrte ihn an. »Bob ... Siehst du, daß es hier noch eine Chance gibt? Wenn er ihnen vertrauen würde, dann wird er vielleicht auch auf mich hören. Wir müssen mit ihm reden, dieses Abschlachten verhindern, solange noch Hoffnung besteht.«

»Hoffnung?«

Bob lachte humorlos. Er deutete auf die Schirme, auf denen nun scharf und sehr nahe der Grund des Grabens zu sehen war. »Schau dir doch das hier an. Schau genau hin und sag mir dann, wo es hier noch Hoffnung gibt!«

Ich schaute. Hoffnung? Für die Crakens sicher nicht. Nicht für Laddy Angel, Roger Fairfane oder den Mann, der mir schon früher öfter das Leben gerettet hatte, für Gideon Park.

Der Seeberg stand noch da.

Aber die Kuppel stand nicht mehr hoch am Abhang dieses Seebergs. Die Saurier hatten ganze Arbeit geleistet. Der Ede-nit-Schild war vernichtet. Nur da und dort schimmerte noch ein Stück Metall. Und die Kuppel selbst war plattgedrückt und völlig vernichtet.

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