18. Der Kampf um den Tonga-Graben

»Hinauf in den Kanonenturm!« rief Maeva. »Gideon konnte das Feuerkontrollgerät noch nicht reparieren, er versucht die Kanone manuell zu bedienen!«

David rannte eine schmale Eisentreppe hoch, wir anderen folgten. Gideon war schon im Turm. Er war so mit den komplizierten Instrumenten beschäftigt, daß er nicht einmal aufschaute.

»Gideon!« rief ich, doch da mußte ich mich anklammern, weil eine neue Explosion die Kuppel erschütterte. Sie meinten es also ernst .

Es war ein enger, düsterer Turm, und von Jason Crakens Labor stieg ein scheußlicher Geruch herauf. Die winzigen Fenster waren kaum größer als Luken, und zu sehen war durch sie nicht viel. Im matten Schimmer der Edenit-Schicht konnte ich nur erkennen, daß unter uns die Kuppel sich steil nach unten schwang. Im kalten blauen Licht der Kuppel ließen sich draußen ein paar dunkle Felszacken erkennen. Dahinter wurde das Dunkel der Tiefe nur gelegentlich vorn geisterhaften Schimmer einiger Tiefsee-Kreaturen unterbrochen, die ihre eigenen Lichter mitführten.

»Ich sehe nichts«, bemerkte ich verblüfft.

David nickte. »Kannst du auch nicht, Jim. So weit unter der Wasseroberfläche brauchst du Mikrosonar, wenn du etwas sehen willst. Daran arbeitet Gideon jetzt, denke ich. Wenn das Mikrosonar-Zielgerät funktioniert, kann man diese Kanone hier von Hand bedienen. Aber seit fünfzehn Jahren wurde dieses Geschütz nicht mehr bemannt, sondern immer von der Feuerkontrolle aus, ein Stockwerk tiefer, bedient. Und das ist nicht möglich; das Gerät ist zerstört.«

Gideon sah nur kurz auf, nickte und arbeitete weiter. Ich sah, daß er sich große Sorgen machte ...

Die Kanone füllte fast den ganzen Turm aus. Es war eine häßliche, wirksame Zerstörungsmaschine, aber der Lauf wirkte, soweit er sich im Turm befand, erstaunlich schlank. Die blanken Geschosse waren kaum länger als mein Arm.

»Kommt dir wohl altmodisch vor?« fragte David. »Aber es ist eine tödliche Waffe, Jim. Eine solche Granate vernichtet einen Seewagen. Der Schock neutralisiert den Edenit-Film für einen winzigen Sekundenbruchteil, und der Druck der See besorgt den Rest. Man nennt sie Athodyden. Sie nehmen Wasser auf und schießen es hinten in Form von Dampf aus.«

Gideon tat einen Ausruf. Er nahm etwas aus einem Ersatzteilekasten, setzte etwas in das Drahtgewirr und berührte einen Schalter. »Das müßte jetzt gehen«, meinte er.

Wir hielten den Atem an. Das ferne Summen winziger Motoren war zu hören. Der Turm schüttelte sich ein wenig und drehte sich langsam. Der Mikrosonarschirm wurde hell.

»Du hast es geschafft!« rief David.

»Jedenfalls funktioniert es«, sagte Gideon und tätschelte liebevoll den schlanken Lauf. »Ich glaube wenigstens, daß es geht. Diese Sonarkupplung machte mir richtige Kopfschmerzen. Ohne Sonar würde die Kanone blind schießen, es ist das eigentliche Visier. Ich denke, jetzt können wir sehen, was wir tun.«

Fasziniert besah ich mir die Sache. Es war ein uraltes Mikrosonar-Modell, wesentlich primitiver als das wundervolle Ding, an dem wir auf der Akademie geschult wurden. Alles war verkleinert und verzerrt, als schaue man durch das verkehrte Ende eines billigen Teleskops.

Aber ich fand mich bald zurecht und entdeckte einige Kleinigkeiten. Ich sah die steilen Hänge des Seebergs, entdeckte den zerklüfteten Rand einer Rinne - wahrscheinlich war sie der Brutweg für die Saurier -, durch die Maeva und Old Ironsides uns geschleppt hatten.

Ich schaute genauer auf den Schirm, dann noch einmal. Da war ein wirbelndes Muster winziger Formen zu erkennen. »Ah«, sagte ich, »das ist ja ein Fischschwarm. Da sind die Saurier wohl nicht in der Nähe. Ich meine, sie verscheuchen doch sicher die Fische.«

»Was meinst du mit Fischen?« fragte Gideon.

»Wenn es Saurier wären, würde man das doch sehen, nicht wahr. Und dieser Fischschwarm .«

»Jim, schau mal her.« Gideon brachte mit einer kleinen Knopfdrehung ein sehr scharfes Bild herein. »Da, genau vor dir. Saurier. Ein paar hundert vermutlich. Sie sehen ziemlich klein aus, weil diese alten Zielschirme sehr stark verkleinern, aber da sind diese Saurier, knapp außerhalb unserer Reichweite.«

Ungläubig musterte ich diesen Schwärm, den ich für Fische gehalten hatte. Richtig, es waren tatsächlich Saurier, viele hundert sogar, und dazwischen bemerkte ich etwas, das mir noch viel gefährlicher erschien. Ich deutete. Gideon und David folgten mit dem Auge meinem Finger.

»Richtig, Jim«, antwortete David. »Das ist die Killer Whale. Sie wartet. Aber lange wird sie das nicht mehr tun.«

Sie wartete noch genau fünf Minuten. Dann sahen wir, wie eine winzige Lichtkugel aus der Killer herausschoß - eine Tiefsee-Rakete, die uns wie ein Pfeil entgegenjagte. Sekunden später erschütterte wieder ein dumpfer Aufprall die Kuppel.

Aber noch vorher war Gideon zur Kanone gerannt. Mit einer Hand stellte er den Mikrosonarschirm nach, die andere hatte er am Auslöser. Ich sah, wie er den Knopf drückte ...

Erst klopfte ein Stakkato, dann hüpfte der Kanonenlauf ein halbes Dutzendmal ein paar Millimeter, als Gideon eine Salve von sechs Geschossen auf die Killer abfeuerte. Sechsmal flammte der Schirm auf, als die Geschosse in einer raschen Folge von Druckwellen explodierten.

Als der Schirm wieder klar wurde, hing die Killer Whale noch immer da, umgeben von einer Herde kreisender Saurier.

Gideon nickte. »Natürlich außerhalb unserer Reichweite. Aber das trifft für uns ebenso zu, obwohl sie auf dem Kreuzer die bessere Waffe haben. Aber wir können hoffen, sie uns auf Armeslänge vom Leib halten zu können . Jim und David, wollt ihr für mich nachladen? Ich will nicht vom Auslöser weggehen, falls Trencher mit seinen Leuten ganz schnell zupacken will.«

Wir arbeiteten blitzschnell. Die Granaten waren sauber aufgereiht in ihren Regalen um die Kanone herum, und wir füllten die Kammer, von wo aus sie der automatische Lademechanismus weiterbeförderte. Unser Vorrat war nicht sehr eindrucksvoll.

»Ist zu wenig«, bemerkte David. »Gideon, kannst du ein paar Minuten hier allein bleiben? Ich gehe mit David ins Lager und hole frische Granaten herauf.«

»Ist schon in Ordnung. Aber bleibt nicht zu lange aus. Ich habe so das Gefühl, wir brauchen in den nächsten paar Minuten jede Granate, die wir bekommen können.«

Der Angriff kam aber nicht. David und ich organisierten einen Arbeitstrupp. Bob, Laddy und Roger brachten die schlanken Granaten aus dem Lager ganz unten in der Kuppel, und wir trugen sie nach oben. Jeder konnte jedesmal drei Stück tragen. Jeder von uns machte zwei- oder dreimal den Weg.

Aber der Angriff kam noch immer nicht.

David und Bob kamen dann schließlich aus dem Lager mit je einer Granate. Davids Gesicht war aschfahl. »Sie sind alle verschwunden. Das war noch da. Die Amphibianer ließen nur noch ein paar Granaten zurück. Das ganze Arsenal haben sie sonst ausgeräumt, als sie gegen meinen Vater revoltierten.«

Wir zählten schnell durch. Es waren ungefähr fünfundsiebzig Stück, nicht mehr. Und bei jedem Abschuß gingen sechs Granaten hinaus!

In der Instrumentenkammer hielten wir einen kurzen Kriegsrat. Auf den Schirmen an den Wänden sahen wir den ganzen Seegrund um uns herum.

Die Killer Whale hing noch immer da, drohend und wartend. In unregelmäßigen Abständen feuerten sie einen Schuß ab, aber keiner hatte bisher Schaden angerichtet, also ignorierten wir das Geballer. Und die Saurier waren noch alle da.

»Das ist jetzt der Beginn ihrer Brutzeit«, sagte David. »Seit Millionen von Jahren, glaube ich. Das ist ein seltsames Ritual, mit dem sie sich aufpeitschen. Ich habe es schon oft gesehen. Stundenlang machen sie das, und dann wird einer hinaufsteigen zu den Höhlen, wo sie ihre Eier ablegen. Die anderen folgen dann .«

Er schloß die Augen, und ich konnte mir gut vorstellen, was er vor sich sah: eine Horde von Sauriern, viele hundert, die den Hang heraufstürmten, an der Kuppel vorbei ... Und Joe Trencher in der Killer Whale, von wo aus er sie dirigierte, direkt zur Kuppel, die er mit Raketen beschoß .

Sicher, die Edenit-Kuppel war stark, aber jedes von diesen Biestern war von fast Walgröße! Zwanzig oder dreißig Tonnen Fleisch, multipliziert mit zwei- oder dreihundert ... Und schließlich kam die Widerstandskraft des Edenit-Films von der Energie, die von empfindlichen elektronischen Geräten erzeugt und gesteuert wurde. Wenn für einen Sekundenbruchteil die Stromversorgung ausfiele ...

... dann wäre innerhalb weniger Sekunden die Kuppel plattgedrückt ... Und wir wären es auch.

Bob Eskow rieb sich die Stirn und stand auf. »David«, sagte er, »das wär’s. Die Kanone kann die Saurier vielleicht aufhalten, aber mit Hunderten von Sauriern und nur fünfundsiebzig Granaten können wir die Sache auch gleich sein lassen. Mit unserer Kanone bekommen wir die Killer Whale nie. Sie bleibt außerhalb unserer Reichweite. Es gibt also nur eine Möglichkeit.«

»Er hat recht, David«, warf ich ein. »Es liegt nun an dir. Ihr müßt Frieden schließen mit den Amphibianern.«

Er lachte scharf. »Frieden schließen? Wenn ich das nur könnte! Aber versteht ihr denn nicht? Das könnte doch nur mein Vater tun. Aber er ist oft nicht mehr ganz da. Das habt ihr ja selbst gesehen. Die Amphibianer sind nicht an unsere Welt gewöhnt. Sie verstehen, daß sie einen Führer brauchen, und dieser Führer ist Joe Trencher. Der hat sich einmal unter die Herrschaft meines Vaters gebeugt. Ich sage nicht, daß mein Vater immer recht hatte. Er war ein sehr strenger Mann. Vielleicht war sein Geist immer ein wenig ... einseitig. Es wäre kein Wunder bei all dem, was er hinter sich hat! Nun, er mag zu streng, zu unnachgiebig gewesen sein. Deshalb hat sich Joe Trenchers Volk gegen ihn gewandt.

Sie respektieren meinen Vater aber noch immer, auch wenn sie gegen ihn kämpfen. Wenn er Frieden zu schließen versuchte, könnte es vielleicht gelingen. Das wird er aber nie tun. Sein Verstand wird diese Möglichkeit nie akzeptieren.«

»David«, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, »das muß doch früher schon einmal passiert sein. Ich meine nicht die Rebellion der Amphibianer, sondern die Brutzeit der Saurier. Was habt ihr da früher getan, um sie an der Beschädigung der Kuppel zu hindern?«

David hob die Schultern. »Die Amphibianer haben sie zu Herden zusammengetrieben. Ein paar Dutzend stationierten wir vor der Kuppel mit Flugleuchten und Gongs. Unter Wasser pflanzt sich der Schall ausgezeichnet fort, und die Gongs und Flutleuchten hielten sie von der Kuppel fern. Oh, ein paarmal ging es ordentlich knapp her. Mein Vater hätte die Kuppel nicht an dieser Stelle bauen sollen. Aber er ist sehr dickköpfig. Ohne die Hilfe der Amphibianer, und wenn sie uns sogar gleichzeitig angreifen - es ist hoffnungslos.«

Für weitere Überlegungen hatten wir jetzt keine Zeit mehr, denn kurz nacheinander schlugen drei Raketen ein. Hoch über uns schoß Gideon zurück.

Wir beobachteten die Schirme. Die Saurierherde war nicht mehr ein ungeordneter Haufen; einige kamen auf die Kuppel zu, andere folgten.

Und die schimmernde Killer Whale kam mit ihnen und schoß, während sie heranlief.

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