In dieser Nacht lag Falk noch lange wach auf seinem Lager, eng in seine Decken gehüllt, um sich vor der klirrenden Kälte zu schützen. Nach Zaras Rückkehr hatte kaum noch jemand ein Wort gesagt. Dafür hatte der Weinschlauch so lange die Runde gemacht, bis er leer war, und als wäre das die letzte Tat gewesen, die sie für heute vollbringen mussten, krochen alle drei unter ihre Decken, rollten sich im warmen Schein des Feuers zusammen und versuchten, Schlaf zu finden.
Ob den beiden Frauen dabei mehr Glück beschieden war als ihm selbst, vermochte Falk nicht zu sagen. Von seiner Position aus konnte er ihre Gesichter nicht sehen, doch außer seinem eigenen ruhigen Atem und dem leisen Prasseln des Lagerfeuers war so gut wie kein Laut zu hören. Und was machte er sich Sorgen darüber, ob Zara oder Jael in dieser Nacht Schlaf finden würden? Sie besaßen Kräfte, die ihnen – direkt oder indirekt – von den Göttern selbst gegeben worden waren. Er aber war bloß ein normaler Mensch, dem nach einem Tag im Sattel der Hintern schmerzte wie nach einer gewaltigen Tracht Prügel.
Unter der Decke hielt er Elas Halstuch gegen Mund und Nase gepresst, um den Geruch nach Zedern und Rosenseife, der dem Stoff anhaftete, mit jedem Atemzug in sich aufzunehmen. Er fragte sich, ob Ela schon schlief. Oder lag sie vielleicht wach in ihrem Bett, starrte zur Zimmerdecke empor und dachte genauso sehnsüchtig an ihn wie er an sie? Falk hoffte es. Es war eine schöne Vorstellung, und manchmal reichte das aus, um einem Mann die Kraft zu geben, weiterzumachen.
Wie lange würde es wohl noch dauern, bis sie Burg Sternental erreichten? Ehe sie aufgebrochen waren, hatte Zara gesagt, dass es eine Sieben-Tages-Reise wäre, doch Falk kam es vor, als seien sie schon seit einer Ewigkeit unterwegs, und ein Ende schien nicht in Sicht. Er konnte nur hoffen, dass sie ihr Ziel bald erreichten, sonst wäre er durch das ewige Auf und Ab im harten Ledersattel am Ende so wundgeritten, dass er erst mal einige Tage auf dem Bauch würde verbringen müssen ...
Aus irgendeinem Grund ließ dieser Gedanke Falk schmunzeln. Vielleicht erheiterte ihn aber auch eher die Vorstellung, wie Ela ihm dreimal am Tag seinen nackten Hintern mit lindernder Salbe einrieb. Ach, Ela! Nachts, wenn er wie jetzt auf dem Boden lag, einsam und frierend in seinen Decken, vermisste er sie doch sehr – ihre warme weiche Haut, wenn sie sich an ihn drückte, und den Duft ihres Haars ... ihre sanften Berührungen wie in jener einen Nacht in Moorbruch, die sie gemeinsam auf dem Heuboden im Stall neben der Taverne Zum Güldenen Tropfen verbracht hatten, weil Ela sich geniert hatte, Falk mit nach Hause zu nehmen, obwohl Jahn und Wanja gewiss nichts dagegen gehabt hätten. Aber so war Ela nun mal, schüchtern bis über die Ohren. Und genau das war einer der Gründe, warum er sie so mochte.
„O Ela“, murmelte Falk verträumt, „ich wünschte, du wärst hier...“
Plötzlich runzelte er die Stirn.
Hatte er da nicht gerade etwas gehört?
Er schob die Decke ein Stückchen von seinem Gesicht und lauschte in die frostige Dunkelheit, doch die Nacht war vollkommen still – so unnatürlich still, dass es schon unheimlich war. Man hörte weder das Rufen von Nachtvögeln noch das Rascheln nächtlicher Beutejäger im Unterholz oder das leise Flattern von Fledermäusen.
Alles, was an Falks angestrengt gespitzte Ohren drang, war das leise Jammern des Windes, der über den Felsüberhang strich, und das Rascheln der Sträucher, wenn der Wind durchs Dickicht fuhr und die Zweige der Büsche gegeneinander rieben. Sonst nichts.
Falk horchte noch einen Augenblick erfolglos in die Finsternis, dann schalt er sich selbst einen Narren. Er sollte wirklich zusehen, dass er eine Mütze voll Schlaf bekam, wenn er schon so erschöpft war, dass er sich irgendwelche ominösen Geräusche einbildete ...
Mit einem missmutigen Brummeln, weil er so unsanft aus seinen Gedanken an Ela gerissen worden war, zog er sich die Decke wieder übers Gesicht und versuchte, Schlaf zu finden.
Er hatte die Augen kaum geschlossen, als das Geräusch erneut erklang, und diesmal war es gewiss keine Einbildung. Da war ein Geräusch: ein leises hohes Summen oder Pfeifen, das man im ersten Moment für das Wispern des Windes halten konnte, nur dass es dafür zu gleichmäßig klang – und zu lebendig. Und da war noch etwas anderes, ein vager, irgendwie huschender Laut ... nein, viele huschende Laute!
So als würden Dutzende und Aberdutzende kleiner Füße über die hart gefrorene Erde trippeln.
Als Falk sich neugierig auf die Ellbogen aufrichtete und angestrengt in die Finsternis jenseits des Lagerfeuers spähte, konnte er wiederum nicht das Geringste entdecken, und die Geräusche, die von überall und nirgends zu kommen schienen, waren ebenso abrupt wieder verklungen, wie sie aufgekommen waren – bloß, um ein paar Sekunden erneut einzusetzen!
Obwohl Falk mit weit aufgerissenen Augen in die Schwärze jenseits des Feuerscheins starrte, war einfach nichts auszumachen. Und dann hörten die huschenden, trippelnden Geräusche und das seltsame Summen wieder auf.
Langsam wurde Falk unruhig. Er dachte daran, was Jael ihm vor ein paar Tagen über die verbotenen magischen Experimente erzählt hatte, die die Zauberer der Enklave über Jahrhunderte hinweg getrieben hatten, und dass einige der Kreaturen, die ihren abnormen Versuchen entsprungen waren, womöglich noch immer durch die Sümpfe streiften. Er kam zu dem Schluss, dass es besser wäre, seine Begleiterinnen zu wecken, damit sie sich der Sache annahmen – nur für den Fall, dass es da draußen im Dickicht irgendetwas gab, das vorhatte, sich ihrer anzunehmen.
Er wollte Zara, die ihm am nächsten lag, gerade an der Schulter packen, um sie wachzurütteln, als er aus den Augenwinkeln plötzlich eine verstohlene Bewegung knapp außerhalb des Feuerscheins bemerkte. Im nächsten Moment spürte er einen kurzen stechenden Schmerz an der linken Seite seines Halses, wie von einem Mückenstich, und nahezu augenblicklich wurde ihm seltsam zu Mute.
Zuerst fühlte es sich gar nicht mal schlecht an, etwa so, als hätte er in rascher Folge mehrere doppelte Whiskeys gekippt. Er fühlte sich leicht, als würde er schweben, begleitet von einem unbestimmten Schwindelgefühl, das rasch Überhand nahm und dafür sorgte, dass Falk sich vorkam wie an Bord eines Schiffs, das zwischen den Wellen eines gewaltigen Sturms hin- und hergeschleudert wurde. Alles um in herum schwankte, drohte zu kippen. Er blinzelte krampfhaft, hoffend, dass sich sein Blick wieder klärte, aber stattdessen spürte er plötzlich, wie eine sonderbare kribbelnde Kälte durch seine Glieder kroch, als würde der Wind direkt unter seine Decke fahren. Er versuchte, die Hand nach Zara auszustrecken, und stellte fest, dass er es nicht konnte. Sein Arm, seine Hand, seine Finger – nichts davon rührte sich, und auch der Rest seines Körpers war wie gelähmt.
So sehr er sich auch mühte, er war einfach nicht dazu in der Lage, sich zu bewegen. Sein ganzer Körper war wie tot; allein sein Gehör, seine Augen und sein Verstand funktionierten noch, auch wenn er sich einen Moment später beinahe wünschte, dem wäre nicht so.
Denn auf einmal begann die Erde rings um ihr Lager zu beben – zumindest kam es ihm so vor. Dann jedoch sah Falk, dass es bloß Teile des Bodens waren, die sich bewegten – kreisrunde, etwa handtellergroße Erdsoden, die sich hoben wie die Deckel von Kochtöpfen, und aus diesen unterirdischen Töpfen wuselten die größten Spinnen hervor, die er je gesehen hatte.
Die Viecher waren groß wie Katzen – widerliche achtbeinige Ungetüme mit aufgeblähten Hinterleibern und faustgroßen Schädeln mit fingerlangen Kieferklauen und acht winzigen schwarzen Äuglein, je vier davon hintereinander auf jeder Seite des Kopfes. Und sie waren mit schwarzem borstigen Fell bedeckt, das bloß auf dem Rücken eine hellere, gräuliche Zeichnung aufwies, die an einen Totenschädel erinnerte. Die überproportional langen, behaarten Beine huschten blitzschnell über den Boden und erzeugten dabei dieses leise trippelnde Geräusch, das Falk bereits gehört hatte. Schon wuselten ein halbes Dutzend Spinnen um das Feuer herum, während hinter ihnen noch weitere aus der Erde krochen – und die Biester kamen geradewegs auf Falk zu!
Falk wollte vor Entsetzen schreien, doch kein Laut drang über seine Lippen – sie bewegten sich nicht einmal. Selbst die Zunge in seinem Mund war gelähmt von dem heimtückischen Gift des stecknadelgroßen Hornstachels, der in seinem Hals stak. Er schaffte es gerade noch, keuchend Luft zu holen. Dann erschlaffte sein ganzer Körper, und er fiel reglos auf sein Lager zurück, wo er, auf der Seite liegend, mit ansehen musste, wie immer neue Spinnen aus ihren Löchern krochen, eine ganze Horde riesiger behaarter Leiber, die wie eine Woge auf ihn zuschössen. Dann schwappte die Welle trippelnd über ihn hinweg, und Falk spürte die Spinnen überall auf seinem Körper. Es war, als würden ihn Dutzende winziger Hände auf einmal berühren, denn auch wenn sich Falk nicht bewegen konnte, spürte er doch alles, was mit ihm geschah.
Sie krochen nicht nur über ihn hinweg, sie hoben seinen gelähmten Körper sogar an, drehten ihn hin und her. Falks Ekel schlug in nacktes Grauen um, als er sah, wie ihn die Spinnen mit klebrigen Fäden, die aus den deutlich sichtbaren Spinnwarzen an ihren Hinterleibern quollen, einsponnen.
Innerhalb kürzester Zeit steckte sein Oberkörper in einem weißen, fest anliegenden Kokon aus Spinnenseide. Bis unters Kinn war er eingesponnen, und nun machten sich die Viecher auch über seinen Kopf her.
Falk versuchte erneut zu schreien, doch er konnte nur stumm daliegen, während die Spinnen Faden um Faden um seinen Kopf spönnen. Bald war sein linkes Auge zugeklebt, dann sein rechtes. Das zuckende Bein einer Spinne geriet zufällig in seinen Mund, und Falk biss zu. Eigentlich war er sicher, auch seine Kiefer nicht bewegen zu können, doch seine Vorderzähne klackten wie die Bügel einer Bärenfalle zusammen, und Falk biss der Spinne eins ihrer acht Beine ab.
Die Spinne bäumte sich auf und gab einen Laut von sich, als würde jemand mit einem Mund voller Speichel tief Luft holen; das Geräusch war nicht besonders laut, doch irgendwie versetzte es die Pferde in Aufregung, die ein paar Schritte weiter im Schutz des Felsüberhangs angebunden waren. Kjell wieherte leise und scharrte mit den Hinterhufen, als wollte er die Spinnen warnen, ihm ja nicht zu nahe zu kommen, und das wiederum reichte, um Jael zu wecken, die auf ihrem Deckenlager auf der anderen Seite des Feuers blinzelnd die Augen aufschlug.
Im ersten Moment war sie noch ein wenig verschlafen, doch als sie erkannte, was sich nur wenige Schritte entfernt abspielte, war sie mit einem Schlag hellwach. Mit einem Satz sprang sie auf, griff nach dem Schwert, das neben ihrem Lager auf dem Boden lag, und riss fluchend die Klinge aus der Scheide.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie auch Zara hochschreckte, doch während die Vampirin noch zu begreifen versuchte, was los war oder ob sie womöglich nur träumte – Spinnen, groß wie Katzen, und Falk, von Kopf bis Fuß eingesponnen in Spinnenseide –, stürmte Jael schon vor, holte mit dem Schwert aus und ließ die blitzende Klinge auf eine Spinne niedersausen. Ein grünlicher Schleim quoll aus dem im Todeskampf zuckenden Leib.
„Verdammte Krabbelviecher!“, keuchte Jael angeekelt und schlug erneut zu.
Eine zweite Spinne starb, Vorderkörper und Hinterleib von einem Schwertstreich sauber durchtrennt. Die anderen Spinnen wuselten scheinbar planlos umher, doch als Jael erkannte, dass sie nicht flohen, sondern im Gegenteil zum Angriff übergingen, war es bereits zu spät.
Ein giftiger Hornpfeil schoss heran und bohrte sich durch den Stoff ihres Rocks in ihre linke Schulter. Ein zweites stecknagelgroßes Geschoss traf sie nur einen Herzschlag später in den rechten Handrücken, und sofort verlor sie die Kontrolle über ihre Finger, die sich plötzlich anfühlten, als hätte sie sie in Eiswasser getaucht.
Die Seraphim versuchte verzweifelt, ihr Schwert zu halten, doch der Griff entglitt ihren gelähmten Fingern, und die Waffe fiel nutzlos zu Boden, während Jael gegen das Schwindelgefühl ankämpfte, das sie zu überwältigen drohte.
Bei Falk war die Lähmung beinahe augenblicklich eingetreten, doch er war nur ein Mensch – Jael nicht. Das Blut, das durch ihre Adern floss, war das der Alten Götter selbst, die Jael wie alle anderen Seraphim einst geschaffen hatten, damit diese göttlichen Kriegerinnen die Schlacht des Guten gegen das Böse für sie entschieden.
Jael spürte, wie sich das lähmende Gift mit jedem Herzschlag weiter in ihrem Leib ausbreitete, doch es gelang ihr, sich mühsam auf den Beinen zu halten, selbst wenn ihre Bewegungen stetig langsamer und schwerfalliger wurden. Sie schwankte, trat nach einer Spinne, die auf Falks komplett eingesponnenen Körper hockte.
Das Tier hatte einen stricknadelgroßen Hornstachel aus seinem hoch aufgerichteten Hinterleib hervorschellen lassen und wollte das zu Ende bringen, wobei die Spinnen zuvor gestört worden waren. Jael traf den haarigen Körper gerade noch rechtzeitig und kickte die Spinne mitten ins Feuer, das sich gierig über die neue Nahrung hermachte. Das dichte Haar der Spinne ging sofort in Flammen auf. Das Tier stieß einen hohen, schrillen Laut aus und sprang mit einem Satz aus der Glut, um als brennender Feuerball über den Boden zu flitzen, auf das Unterholz zu. Auf halber Strecke dorthin zerplatzte der Hinterleib durch die Hitze, und die Innereien spritzten als schleimiger Sprühregen zu allen Seiten weg.
Die anderen Spinnen hielten einen Augenblick kollektiv inne, als wollten sie eine Schweigeminute für ihre gefallene Kameradin einlegen – dann setzten sie sich erneut in Bewegung, eine wallende Masse, die bloß aus Beinen, Haaren und Giftstacheln zu bestehen schien.
Drei weitere Spinnen schossen mit ihren aufgerichteten Hinterleibern Giftstachel auf Jael ab, die längst viel zu langsam und zu träge war, um ihnen auszuweichen.
Die Giftmenge, die nun in ihrem Blut floss, hätte ausgereicht, um einen Olifanten zu lähmen, trotzdem hielt sich die Seraphim immer noch wankend auf den Beinen. Ihr Blick suchte nach Zara, dann sah sie einen vagen Schatten vor dem hellen Hintergrund des zuckenden Feuers.
„Diese Spinnen ...“, brachte Jael benommen hervor, „... gefahrliche kleine Biester ...“ Es fiel ihr zunehmend schwerer zu sprechen, doch sie kämpfte mit eisernem Willen dagegen an. „Nach dem Einspinnen ... spritzen sie einem mit ihrem Stachel ... eine Säure, die ... alles zersetzt und verflüssigt... Fleisch, Muskeln, Knochen ... Alles wird ... zu Brei...“ Die Worte gingen mehr und mehr ineinander über und wurden schließlich zu einem undeutlichen Lallen, dessen Sinn man mehr erahnen als verstehen konnte.
„... musst sie ... töten ...“, war das Letzte, was Jael unter größter Anstrengung über die Lippen bringen konnte. Dann wurde ihr Blick plötzlich starr, und sie stürzte mit einem Seufzen neben Falk zu Boden. Sie hatte die Erde noch nicht ganz berührt, als die Spinnen auch schon emsig auf sie zuschwärmten, ein wogender Teppich haariger Leiber, bereit, sie einzuspinnen.
Doch bevor die albtraumhaften Wesen die Seraphim erreichen konnten, setzte Zara über das Lagerfeuer hinweg und schlug noch im Sprung mit ihren beiden Schwertern zu. Die rasiermesserscharfen Klingen teilten pfeifend die Luft, und eine besonders dicke Spinne, die gerade ihren geschwollenen Hinterleib reckte, um einen Giftpfeil auf Zara abzuschießen, fand dreigeteilt ihr Ende.
Als wäre das Ableben der Spinne ein Signal für die anderen, schwenkten die übrigen Insekten unvermittelt herum, änderten ihre Laufrichtung und stürzten statt auf Jael auf die Vampirin zu. Hinterleiber ruckten in die Höhe, und dann schössen drei, vier, fünf Giftpfeile auf Zara zu.
Doch die Vampirin war schnell, flink und entschlossen. Sie wich den Stachelpfeilen geschickt aus, wirbelte herum und ließ die Schwerter in ihren Händen kreisen wie die Flügel einer Windmühle.
Die Spinnen rückten ein Stück weit von ihr ab, doch mit einem Satz war Zara direkt zwischen ihnen, die Klingen sirrten durch die Luft, und dann spritzten grüner Schleim und abgeschlagene Gliedmaßen umher.
Die Spinnen stießen wieder diese hohen, jammernden Laute aus, als Zara zwei von ihnen die Köpfe abschlug und drei weitere beinahe in der Mitte halbierte, und die Tiere versuchten eilig, vor ihr zurückzuweichen, um ein paar Schritte entfernt einen Giftpfeilhagel auf die Vampirin niedergehen zu lassen.
Aber Zara war ihnen über, tauchte flink unter den lähmenden Geschossen weg, tänzelte mit wirbelnden Klingen zwischen den Spinnen umher und ließ ihre Schwerter durch die Luft sausen, anfangs mit großer Eleganz, dann, als die Spinnen einfach nicht weniger zu werden schienen, zunehmend zweckmäßiger, bis sie am Ende mit beiden Schwertern auf die Spinnen einhackte, die zwar immer wieder geschlossen vor ihr zurückwichen, sobald die Vampirin eine Handvoll von ihnen erledigt hatte, jedoch einen Augenblick später ebenso wieder nach vorn schossen – geradewegs in Zaras singende Klingen hinein, die durch die haarigen, fleischigen Leiber schnitten.
Jedes Mal, wenn sie einem der Biester den Garaus machte, zählte Zara laut mit: „... neunzehn ... zwanzig ... einundzwanzig ...“
Sie war bei zweiunddreißig angekommen, als die noch verbliebenen Spinnen offenbar begriffen, dass sie auf verlorenem Posten standen, denn statt nach einem neuerlichen Rückzuck gleich wieder anzugreifen, wie sie es zuvor getan hatten, verharrten sie plötzlich auf der Stelle, als würden sie in irgendeiner Weise – vielleicht auf einer Tonfrequenz, die so hoch war, dass Zara sie nicht hören konnte – beratschlagen, was zu tun war. Einen Moment lang hockten sie einfach nur da. Dann wirbelte eine jede auf ihren acht Beinen herum, eilte auf das Dickicht zu, und sie verschwanden eine nach der anderen in ihren Erdlöchern.
Nur die letzte war nicht schnell genug, denn bevor sie sich in ihrem Loch verkriechen konnte, holte Zara mit einem ihrer Schwerter aus und schleuderte die Klinge. Das blitzende Metall durchbohrte den Hinterleib des Krabblers und nagelte die zappelnde Spinne regelrecht am Boden fest.
Das andere Schwert in der linken Hand, die Klinge zu Boden gerichtet, stand Zara inmitten der Überreste der Spinnenbrut und knurrte triumphierend: „Dreiunddreißig.“
Halb rechnete sie damit, dass die Spinnen womöglich wieder hervorkommen und von neuem versuchen würden, sie mit ihren Giftpfeilen zu lähmen, doch die Erddeckel blieben geschlossen; nichts regte sich im Schatten des Felsüberhangs.
Langsam entspannte sich Zara. Obwohl der Kampf sie nicht sonderlich gefordert hatte, war sie froh, dass es vorüber war. Sie wandte sich nach Falk und Jael um, die reglos neben dem Feuer lagen. Während man bei Falk beim besten Willen nicht zu sagen vermochte, wie es um ihn bestellt war, verrieten Jaels hektische Augenbewegungen wenigstens, dass sie noch lebte.
Zara wollte gerade zu ihnen hinübergehen, um zu sehen, was sie für die beiden tun konnte, als sie plötzlich etwas hörte – ein leises Rascheln im Unterholz gegenüber des Felsüberhangs –, und als sie herumwirbelte, machte sie im Dickicht huschende Bewegungen aus, begleitet von dem wohlbekannten Trippeln kleiner, behaarter Spinnenbeine.
Das eine Schwert kampfbereit in der linken Hand, trat sie zwei Schritte vor.
Vier Spinnen, die eben in ihre Löcher geflüchtet waren, tauchten aus den Büschen auf, doch statt die Vampirin anzugreifen, verharrten sie am Rand des Dickichts und starrten Zara mit ihren winzigen schwarzen Knopfäuglein an.
Zara fasste den Griff ihres Schwerts fester, als sie erkannte, dass sich dort noch etwas in den Büschen bewegte – etwas Großes und Massiges, das sich raschelnd durch das Dickicht schob und zunehmend näher kam. Zara sah, wie die mannshohen Sträucher und Farne in der Dunkelheit zitterten. Dann brach das Unterholz hinter den Spinnen raschelnd auseinander, wie ein Theatervorhang, der den Blick auf die Bühne freigab, und Zara wurde mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, dass sie sich geirrt hatte.
Die Spinnen waren nicht geflohen – sie hatten Verstärkung geholt!
Und was für welche!
Die Spinne, die mit langsamen, majestätischen Bewegungen aus dem Unterholz stapfte, war gigantisch, ihr wuchtiger zweigeteilter Leib schwebte einen guten Meter über dem Boden, und ihr vorstehender runder Schädel war groß wie der einer Kuh, mit vier nebeneinander angeordneten Reihen faustgroßer roter Augen, jeweils drei hintereinander, und einem besonders großen Auge mitten auf der fliehenden Stirn, wie das glühende Auge eines Zyklopen.
Die vier mächtigen, leicht nach innen gekrümmten Kieferklauen an den Unter- und Oberkiefern der Monsterspinne bildeten ein vor- und zurückschnappendes X vor der kreisrunden Öffnung des zahnlosen Mauls, und die dicken Beine der Spinne endeten in spitz zulaufenden Hornstelzen, scharf und tödlich wie Speere. Der massige, wie aufgeblasen wirkende Hinterleib, groß wie ein Heuschober, lief zum Ende hin grob zapfenförmig zusammen, wie der einer Wespe, und mündete in einem armdicken Stachel, der lang und spitz wie ein Speer aus dem Unterleib der Spinne ragte. Er schimmerte feucht im Schein des Lagerfeuers, und von der Spitze tropfte Gift in glitzernden, zähflüssigen Fäden, jeder Tropfen davon stark genug, um Zaras Innereien innerhalb weniger Minuten zu verflüssigen, wenn es dem Untier gelang» sie damit zu erwischen.
Die Spinne baute sich zwischen ihren kleineren Artgenossen auf, die sie mindestens um das Zehnfache überragte, und hielt dann inne, keine zwanzig Schritte vom Lager entfernt.
Zara starrte die Monsterspinne an, die beinahe so groß war wie sie selbst, und auf einmal fühlte sie sich elend.
Einen Moment lang stand die Riesenspinne reglos da, und alles, was sich bewegte, waren ihre vielen Augen. Während die eine Hälfte davon Zara betrachtete, blickte die andere zum Massaker unter dem Felsüberhang, und als das Ungetüm die kläglichen Überreste ihrer Artgenossen erblickte – Ihrer Kinder?, schoss es Zara schreckhaft durch den Kopf –, schnappten die vier Kieferklauen von der zahnlosen Öffnung zurück, aus der ein schrilles, durchdringendes aggressives Kreischen scholl. Dann lief ein Ruck durch die massige Kreatur, und die Riesenspinne schoss vorwärts.
Noch im Laufen richtete sich ihr Leib auf, und ihre vier vorderen Beine jagten wie Lanzen auf Zara zu, um sie zu durchbohren.
Zara ging in Kampfstellung und ließ die Spinne kommen, die mit schnappenden Kiefern auf sie zujagte. Ihre vordersten beiden Beine zuckten in Brusthöhe heran. Zara versuchte der Attacke durch einen schnellen Sprung auszuweichen, doch eines der Beine erwischte sie an der ungeschützten Seite. Der Treffer war so heftig, dass Zara dachte, ein Pferd hätte sie getreten. Keuchend taumelte sie zurück, die freie rechte Hand an ihre schmerzende Seite gepresst, und tauchte hastig weg, als die Vorderbeine erneut auf sie zuschossen.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie eine der kleineren Spinnen mit erhobenem Unterleib heranhuschte, und Zara schaffte es gerade noch, zur Seite zu springen, bevor der Giftpfeil sie treffen konnte.
Sie kam auf dem Boden auf, rollte sich geschickt über die Schulter ab und federte wieder auf die Beine – keinen Moment zu früh, denn schon stapfte die Monsterspinne wieder heran, stieß mit ihren Vorderbeinen nach der Vampirin und setzte mit dem Beinpaar dahinter nach, als der erste Angriff ins Leere ging.
Zara parierte die Attacke mit ihrem Schwert, wehrte die Hornstelzen ab wie gegnerische Lanzen und wich Schritt für Schritt vor der Riesenspinne zurück, die ihr jedoch folgte und in einem fort mit den Beinen nach ihr stieß, mal mit den vorderen, dann mit denen dahinter, und ihre Bewegungen waren so schnell, dass Zara einige Mühe hatte, die Angriffe abzuwehren.
Die Monsterspinne trieb Zara nach hinten, an den reglosen Körpern ihrer beiden Gefährten vorbei und auf die Felswand zu. Ihre kleinen schwarzen Äuglein zuckten hin und her, während ihre Beine in einem fort nach Zaras Brust stießen.
Die Klinge der Vampirin zuckte und wirbelte ohne Unterlass, und jedes Mal, wenn das Metall auf ein Bein der Spinne traf, federte die Klinge sirrend zurück, als hätte sie auf Stein geschlagen, so dick war die Hornschicht, auf der nur hier und da borstige schwarze Haare wuchsen.
Eine kleinere Spinne schob sich im Schutz der Monster-Spinne heran, sauste unter dem Leib des Ungetüms hervor und jagte auf Zara zu, die hastig noch mehr zurückwich, in der Erwartung, dass das Viech einen Giftpfeil auf sie abschoss. Doch stattdessen kauerte sich die Spinne kurz hin, um ihre acht Beine wie eine Feder zu spannen – und dann sprang sie mit einem gewaltigen Satz nach vorn, geradewegs auf Zaras Gesicht zu!
Die Vampirin schaffte es gerade noch, mit der freien Hand zuzupacken, um die Spinne – keine zehn Zentimeter vor ihrem Gesicht – abzufangen. Das Tier wand sich wie wahnsinnig in ihrem Griff und versuchte, sie mit seinem Giftstachel zu treffen; wie bei einer Wespe schnellte er aus ihrem Hinterleib hervor. Doch ehe sie Zara erwischen konnte, schleuderte diese die Spinne mit solcher Wucht gegen die Felswand, dass der Chitinpanzer knackend brach.
Die Riesenspinne stieß ein wütendes, pfeifendes Fauchen aus und rammte gleichzeitig alle vier Vorderbeine nach vorn.
Zara schaffte es zwar, dem ersten Beinpaar auszuweichen, doch dann trafen sie die beiden anderen Beine mit solcher Wucht, dass Zara förmlich vom Boden gehoben wurde und mehrere Meter durch die Luft segelte. Sie krachte hart gegen die Felswand.
Zara stöhnte, blinzelte, um ihren Blick zu klären – und sah bereits die nächste Attacke der Monsterspinne auf sich zukommen. Zugleich huschte von rechts eine weitere Giftspinne heran, lief ein Stück den Fels hinauf, bis sie auf Kopfhöhe mit Zara war, und schoss einen Giftpfeil ab, dem Zara allerdings knapp entging, weil sie sich zu Boden fallen ließ.
Doch da waren bereits die Vorderbeine der Riesenspinne und stießen vor wie Rammböcke. Zara wurde mit brutaler Gewalt gegen den Fels in ihrem Rücken geschleudert.
Ihre Zähne schlugen laut krachend aufeinander. Jeder Knochen in ihrem Leib schien aufzuschreien, und eine Woge des Schmerzes raste siedend bis in ihre Fingerspitzen. Vor ihren Augen explodierte ein Feuerwerk, durch das Zara verschwommen die gewaltige Silhouette der Monsterspinne vor sich aufragen sah.
Sie hielt Zara mit ihren zwei Vorderbeinen fest gegen die Felswand gepresst, sodass sich die Vampirin kaum rühren konnte. Ihr massiger Schädel befand sich direkt vor Zaras Gesicht, und die winzigen Augen starrten sie böse an. Die Kieferklauen schnappten unruhig vor und zurück, während das zweite Paar Vorderbeine zitternd, ohne Hast, nach oben glitt; die spitzen Enden richteten sich wie Speere auf Zaras Brust. Es war, als würde das Ungetüm seinen Triumph in vollen Zügen auskosten.
Die Beine zuckten vor. Doch Zara war schneller und schlug mit ihrer Faust in das große Zyklopenauge auf der Stirn der Monsterspinne. Es war, als würde ihre Faust in Gallerte tauchen.
Das Ungetüm stieß ein schmerzerfülltes schrilles Kreischen aus und ließ augenblicklich von seinem Opfer ab, um hastig ein paar Schritte vor Zara zurückzuweichen, schwankend wie ein verwundeter Olifant. Plötzlich war Zara frei. Sie fiel keuchend nach vorn, auf die Knie, und rappelte sich mühsam auf. Doch wenn sie gedacht hatte, die Spinne besiegt zu haben, irrte sie; der Verlust ihres Hauptauges hatte das Spinnenmonster bloß noch wütender gemacht, und kaum, dass Zara wieder aufrecht stand, stürmte das Ungeheuer bereits wieder mit schwirrenden Vorderbeinen auf sie zu.
Zara wehrte die heranzuckenden Homstelzen mit ihrem Schwert schwerfällig ab und kämpfte um ihr Gleichgewicht, während sie wieder vor der Spinne zurückwich. Ihr Schädel dröhnte, als würde er jeden Moment zerspringen.
Sie parierte die Angriffe der Monsterspinne mit dem Mut der Verzweiflung, doch ihre Kraft schwand zusehends, und als die Spinne geschickt eine Attacke mit ihren Vorderbeinen antäuschte, um dann mit den hinteren zuzustoßen, ging Zara der Finte auf den Leim. Die Homstelzen durchbrachen ihre Deckung, ehe sie wusste, wie ihr geschah, und dann traf eins der spitzen Beine mit voller Wucht ihre Brust und drang tief ein. Nur wenig fehlte, und die Spitze wäre ihr am Rücken wieder ausgetreten.
Der Schmerz war so gewaltig, dass er Zara schier die Sinne raubte. Sie schrie ihre Pein hinaus, packte den Griff des Schwerts mit beiden Händen und schlug mit aller Kraft zu.
Die Klinge traf das rechte Vorderbein der Spinne, das in ihrer Brust steckte, mit solcher Wucht, dass Hornsplitter davonschwirrten. Das Gesicht zu einer Maske der Qual verzerrt, holte Zara erneut aus und schlug noch einmal zu, und noch einmal, und dann glitt die Klinge knirschend durch das Spinnenbein und durchtrennte es.
Das Spinnenmonster kreischte und humpelte ungelenk rückwärts, auf sieben Beinen weit weniger majestätisch denn auf acht. Doch dann schoss das Ungetüm sofort wieder vor, stieß mit dem verbliebenen Vorderbein zu und schleuderte Zara in hohem Bogen zu Boden.
Das Schwert entglitt der Vampirin und landete am Rand des Dickichts, während sich Zara keuchend und würgend auf der hart gefrorenen Erde wand und die Monsterspinne ihr zischend nachsetzte. Zara sah mit tränenverschleiertem Blick, wie der gewaltige Giftstachel aus dem Hinterleib des Monsters glitt, und sie versuchte verzweifelt, vor der Bestie wegzukriechen.
Der riesige Hinterleib ruckte in die Höhe, um wuchtig niederzusausen, und mit ihm der giftige Stachel, der sich genau dort ins hart gefrorene Erdreich bohrte, wo Zara gerade noch gelegen hatte. Hastig hatte sie sich zur Seite gerollt, um dem tödlichen Stachel zu entgehen.
Trotz ihrer schweren Verletzung gelang es ihr, sich unter dem massigen Leib der Monsterspinne hervorzurollen – und ...
Plötzlich war da ein kurzer stechender Schmerz in ihrer Schulter, und als Zara überrascht den Kopf wandte, sah sie eine der kleineren Spinnen, die mit fast provozierender Langsamkeit ihren Hinterleib senkte, und bevor Zara noch recht begriff, was das bedeutete, spürte sie, wie sich das Gift durch ihre Adern und Venen in ihrem Körper ausbreitete; innerhalb von Augenblicken waren ihre Zehenspitzen wie abgestorben, und dann fing es auch in ihren Fingerspitzen an. Nicht lange, und ihr geschwächter Körper würde ihr nicht mehr gehorchen, und wenn das geschah ...
Wenn das geschah, waren sie alle drei verloren!
Sie versuchte verzweifelt, gegen das lähmende Gift anzukämpfen, und kroch mühsam rückwärts. Die Monsterspinne folgte ihr ohne Hast, so als wüsste sie, dass ihre Beute ihr nun sicher war. Ihr Stachel zuckte unruhig, das Gift tropfte in einem glitzernden Faden von der Spitze auf Zaras Hosenbein. Doch die Kriegerin registrierte es nicht, sondern mühte sich, vor der Spinne wegzukriechen, auch wenn sie wusste, dass es sinnlos war.
Sie war am Ende ihrer Kräfte, verletzt, geschunden, halb bewusstlos vor Schmerz, und mit jeder Sekunde gewann das lähmende Gift in ihrem Körper mehr die Oberhand. Sie spürte bereits, wie ihre Beine taub wurden und unnütz wie Holzklötze an ihr hingen, doch sie zog sich trotzdem weiter über den harten Boden, auf ihre Ellbogen gestützt.
In diesem Moment sah sie im Augenwinkel und im zuckenden Schein des Feuers Metall aufblitzen.
Jaels Schwert, nur einen halben Meter von ihr entfernt!
Neue Hoffnung durchströmte sie. Sie wollte mit dem unverletzten rechten Arm nach der Waffe greifen, doch da war die Monsterspinne wieder heran, und als würde sie ahnen, was Zara vorhatte, rammte sie ihr verbliebenes Vorderbein nach unten, traf Zaras rechten Arm und nagelte ihn förmlich am Boden fest.
Zara biss die Zähne zusammen, um einen Schrei zu unterdrücken; zumindest diesen Triumph wollte sie dem Ungeheuer nicht gönnen. Sie versuchte sich zu bewegen, aber es war ihr kaum noch möglich. Die Monsterspinne warjetzt direkt über ihr, ein gewaltiges haariges Ungetüm, das bereit war, Zara den Todesstoß zu versetzen.
Der armdicke Giftstachel zielte direkt auf Zaras untotes Herz.
So endet es also, dachte Zara. Sie starrte den zitternden Giftstachel an, der stark genug war, um selbst dickste Rüstungen zu durchdringen, und spürte, wie Trauer sie überkam. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihres langen Lebens fürchtete sie den Tod; nicht so sehr, weil sie Angst vor dem Sterben hatte, sondern vor dem, was danach folgen würde. Sie, die Untote, die Vampirin hatte so viel Böses und Grausames getan, so viel Leid und Schmerz über die Sterblichen gebracht... ihre eigenen Eltern hatte sie umgebracht... sie hatte gemordet und das Blut Unschuldiger getrunken ... bis die Seraphim ihre Seele in ihrem untoten Körper wiedererweckten.
Würde nach dem Tod die Bestrafung auf sie warten, wie es viele der Religionen hier in Ancaria verhießen? Würde sie, die so viel Böses getan hatte und keine Vergebung hatte finden können, bis in alle Ewigkeit leiden müssen für die Untaten, die sie begangen hatte?
Sie war überzeugt davon, dass es so sein würde.
Sie war überzeugt davon, dass die Hölle mit all ihren Schrecken und Qualen auf sie wartete!
Reglos, halb gelähmt, lag sie da und erwartete den Todesstoß. Der Giftstachel zuckte, und ein Tropfen Gift quoll aus der Spitze. Dann stieß die Spinne ein triumphierendes Kreischen aus, der Stachel zuckte vor – und ...
Plötzlich wurde aus dem Kreischen der Spinne ein überraschtes Quieken. Kräftige Kiefer mit langen spitzen Zähnen schlossen sich knackend um das linke Hinterbein des Ungetüms, und ein tiefes Knurren war zu hören.
Der aufgedunsene Hinterleib der Monsterspinne verschwand samt drohend erhobenem Giftstachel aus Zaras Blickfeld, während das Quieken des Untiers noch lauter wurde. Zara hob verwirrt den Kopf, mühsam gegen die Lähmung ankämpfend, und neue Kraft strömte durch ihren Leib und ihre Seele, als sie sah, wie Thor mit aller Kraft am linken Hinterbein des Spinnenmonsters zerrte und versuchte, die Kreatur von Zara wegzuziehen.
Als sich das Ungetüm mit einem wütenden, irgendwie gequälten Kreischen aufbäumte und versuchte, vor dem Wolf zurückzuweichen, drangen dessen spitze Zähne durch die Chitinumhüllung, und Zara vernahm ein trockenes Knirschen und Bersten; im nächsten Moment hielt der Wolf das abgerissene Spinnenbein im Maul wie ein Schoßhund sein Stöckchen.
Die Monsterspinne kreischte noch lauter, taumelte ungelenk auf den sechs ihr verbliebenen Beinen zur Seite, um ihr Gleichgewicht bemüht. Zara nutzte den Augenblick, um sich keuchend ein Stück weiter vorzuschieben und Jaels Schwert zu packen. Als wüsste das Ungetüm genau, was die Vampirin vorhatte, schoss die Riesenspinne auf ihren sechs verbliebenen Beinen wieder vorwärts, ihr Hinterleib mit dem Giftstachel schwang hoch ...
... und Zara packte das Schwert, stieß es mit aller Kraft senkrecht nach oben – und rammte die breite, beidseitig geschliffene Klinge bis zum Heft in den seltsam weichen Hinterleib der Spinne, die mitten in der Bewegung verharrte.
Keuchend hielt die Vampirin den Schwertgriff mit beiden Händen und schlitzte der Spinne der Länge nach den Hinterleib auf. Der Schnitt klaffte auf, und ein Schwall grünlichgelben Schleims ergoss sich über die prustende Zara.
Über ihr richtete sich die Monsterspinne vor Schmerz kreischend auf. Ihre drei Vorderbeine zuckten einen Moment lang unkontrolliert durch die Luft. Dann wankte das riesige Ungetüm hin und her, wie ein Betrunkener auf Stelzen, und die Bewegungen der stiellangen Beine wurden unsicher. Eins der Hinterbeine knickte ein, dann noch eins, doch die Spinne richtete sich wieder auf, torkelte von Zara weg. Die ganze Zeit über schnappten die Kieferklauen vor und zurück.
Wieder gaben ihre Beine nach, diesmal die mittleren, aber die Spinne kämpfte sich wieder hoch, taumelte weiter auf das vermeintlich rettende Unterholz zu, aber dann brach sie endgültig zusammen – mitten ins Lagerfeuer, und genau wie bei der kleineren Spinne zuvor fielen die prasselnden Flammen gierig über das borstige Haar des Ungetüms her, das innerhalb von Sekunden lichterloh in Flammen stand.
Doch die Spinne rührte sich nicht mehr.
Das Monster war tot.
Nicht so jedoch ihre letzten drei kleineren Artgenossen, die plötzlich am Rand von Zaras Gesichtsfeld auftauchten, ein kollektives wütendes Fauchen ausstießen und sich gesammelt auf sie stürzten.
Zara versuchte, den Arm mit dem Schwert hochzureißen, um sich die Biester vom Leib zu halten, doch ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr; sie war von Kopf bis zu den Zehenspitzen gelähmt und konnte bloß hilflos mit ansehen, wie die Spinnen fauchend auf sie zusprangen, die Giftstachel ausgefahren.
Doch bevor die kleinen Monster Zara erreichten, schoss Thor heran, packte eine der drei Spinnen mit seinen gewaltigen Kiefern und schüttelte sie wild hin und her, als wäre sie ein Kaninchen, dem er das Genick brechen wollte. Die Spinne wurde in der Mitte durchgebissen und fiel zuckend zu Boden, während Thor sich bereits den übrigen Spinnenviechern zuwandte.
Wieder schnappten seine gewaltigen Kiefer zu. Die letzte Spinne verharrte direkt neben der hilflosen Vampirin, als wäre sie sich nicht sicher, was sie jetzt tun sollte. Doch der Wolf nahm ihr diese Entscheidung ab, biss zu und schleuderte den zuckenden, halb durchgebissenen Spinnenkadaver in die Büsche.
Wäre Zara dazu im Stande gewesen, sie hätte erleichtert durchgeatmet, doch sie konnte nur noch daliegen und ihre Augen bewegen, Jaels vor Spinnenschleim triefendes Schwert noch in der Hand. Der widerliche Geruch brennenden Chitins stieg ihr in die Nase, dann vernahm sie ein dumpfes, irgendwie feuchtes Platzen.
Sie blinzelte, als plötzlich Thors gewaltiger haariger Schädel über ihr auftauchte und ihr Blickfeld ausfüllte. Die Schnauze des Wolfs mit dem gezackten Streifen aus weißem Fell öffnete sich, und Thor fing an, sie voller Hingabe abzuschlabbern. Zara wusste nicht, was ekliger war: die raue, feuchte Zunge des Wolfs oder der Spinnenschleim, der vom wuscheligen Bart des Tiers auf sie herabtropfte.
Doch weil sie sich sowieso nicht rühren konnte und Thor ihnen allen das Leben gerettet hatte, ließ sie es über sich ergehen, bis Thor schließlich genug davon hatte, von ihr abließ und sich zwischen ihren reglosen, gelähmten Leibern niederließ. Mit einem irgendwie zufriedenen Brummein bettete er seinen wuchtigen Schädel auf seine Vorderläufe und hielt Wache.
Die ganze Nacht über ...