Der Graf von Anhalt war nicht der einzige deutsche Fürst, der Eulenspiegel mit dem Galgen bedrohte.
Genau dasselbe tat, wenig später, der Herzog von Lüneburg. Till hatte nämlich auch im Herzogtum Lüneburg irgendwelche Dummheiten ausgefressen. Und der Herzog hatte ihm daraufhin gesagt: »Mach, dass du über die Grenze kommst! Wenn du dich wieder vor mir blicken lässt, wirst du gehängt!«
Eulenspiegel war damals wie der Blitz aus Lüneburg verschwunden. Später aber musste er auf seinen Fahrten doch wieder durch das Gebiet des Herzogs, falls er keinen zu großen Umweg machen wollte. Er kaufte sich deshalb ein Pferd und einen Karren; und in der Nähe von Gelle hielt er an einem Acker still, den ein Bauer pflügte, und kaufte dem Bauern für einen Schilling so viel Ackererde ab, dass der Karren bis oben hin voll davon wurde. Dann setzte sich Till in den Karren, so dass nur der Kopf und die Arme aus der Erde hervorschauten. Und so kutschierte Eulenspiegel durch das ihm verbotene Herzogtum. Er sah fast aus wie ein fahrender Blumentopf.
Als er an der Burg Gelle vorbeifuhr, begegnete er dem Herzog, der mit seinem Gefolge zur Jagd ritt. Der Herzog hielt an und sagte: »Ich habe dir mein Land verboten. Steig aus! Jetzt wirst du gehängt!«
»Ich bin ja gar nicht in Eurem Land«, erwiderte Eulenspiegel. »Ich sitze in meinem eigenen Land. Ich hab es rechtmäßig von einem Bauern gekauft. Erst gehörte es ihm. Nun gehört es mir. Euer Land ist es nicht.«
Der Herzog sagte: »Scher dich mit deinem Land aus meinem Land, du Galgenstrick! Und wenn du noch einmal hierher kommst, hänge ich dich samt Pferd und Wagen!«
WIE EULENSPIEGEL EINEM ESEL DAS LESEN BEIBRACHTE
Eine Zeit lang beschäftigte sich Eulenspiegel damit, dass er von Universität zu Universität zog, sich überall als Gelehrter ausgab und die Professoren und Studenten neckte. Er behauptete, alles zu wissen und zu können. Und er beantwortete tatsächlich sämtliche Fragen, die sie ihm vorlegten.
Bei dieser Gelegenheit kam er schließlich nach Erfurt. Die Erfurter Studenten und ihr Rektor hörten von seiner Ankunft und zerbrachen sich den Kopf, was für eine Aufgabe sie ihm stellen könnten.
»Denn so wie denen in Prag«, sagten sie, »soll es uns nicht ergehen. Er soll nicht uns, sondern wir wollen ihn hineinlegen.«
Endlich fiel ihnen etwas Passendes ein. Sie kauften einen Esel, bugsierten das störrische Tier in den Gasthof »Zum Turm«, wo Eulenspiegel wohnte, und fragten ihn, ob er sich zutraue, dem Esel das Lesen beizubringen. »Selbstverständlich«, antwortete Till. »Doch da so ein Esel ein dummes Tier ist, wird der Unterricht ziemlich lange dauern.« »Wie lange denn?«, fragte der Rektor der Universität.
»Schätzungsweise zwanzig Jahre«, meinte Till. Und hierbei dachte er sich: Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Bis dahin stirbt vielleicht der Rektor. Dann geht die Sache gut aus. Oder ich sterbe selber. Oder der Esel stirbt, und das wäre das Beste.
Der Rektor war mit den zwanzig Jahren einverstanden. Eulenspiegel verlangte fünfhundert alte Groschen für seinen Unterricht. Man gab ihm einen Vorschuss und ließ ihn mit seinem vierbeinigen Schüler allein. Till brachte das Tier in den Stall. In die Futterkrippe legte er ein großes altes Buch, und zwischen die ersten Seiten des Buches legte er Hafer. Das merkte sich der Esel. Und um den Hafer zu fressen, blätterte er mit dem Maul die Blätter des Buches um. War kein Hafer mehr zu finden, rief der Esel laut: »I-a, i-a!« Das fand Eulenspiegel großartig, und er übte es mit dem Esel wieder und wieder. Nach einer Woche ging Till zu dem Rektor und sagte: »Wollen Sie bei Gelegenheit einmal mich und meinen Schüler besuchen?«
»Gern«, meinte der Rektor. »Hat er denn schon einiges gelernt?«
»Ein paar Buchstaben kann er bereits«, erklärte Eulenspiegel stolz. »Und das ist ja für einen Esel und für eine Woche Unterricht allerhand.« Schon am Nachmittag kam der Rektor mit den Professoren und Studenten in den Gasthof, und Till führte sie in den Stall. Dann legte er ein Buch in die Krippe. Der Esel, der seit einem Tag kein Futter gekriegt hatte, blätterte hungrig die Seiten des Buches um. Und da Eulenspiegel diesmal überhaupt keinen Hafer ins Buch gelegt hatte, schrie das Tier unaufhörlich und so laut es konnte: »I-a, i-a, i-a!«
»I und A kann er schon, wie Sie hören«, sagte Eulenspiegel. »Morgen beginne ich damit, ihm O und U beizubringen.« Da gingen die Herren wütend fort. Der Rektor ärgerte sich so sehr, dass ihn bald darauf der Schlag traf. Und Till jagte den Esel aus dem Stall. »Scher dich zu den anderen Erfurter Eseln!«, rief er ihm nach. Dann schnürte er sein Bündel und verließ die Stadt noch am selben Tag.