XVI Ein ganz besonderer Mann

Fähnrich Maynard klopfte an Bolithos Kajütentür und meldete atemlos:»Empfehlung von Mr. Herrick, Sir, und wir haben eben Steuerbord voraus zwei Segel gesichtet. «Er wagte einen flüchtigen Blick auf die Offiziere, die neben Bolithos Tisch standen.»Das Flaggschiff und die Fregatte Volcano.»

Bolitho nickte nachdenklich.»Danke. Meine Empfehlung an Mr. Herrick. Er möchte über Stag gehen, damit wir Verbindung aufnehmen können. «Und nach einer Sekunde:»Und es soll alles vorbereitet werden, um die Festgenommenen zur Cassius hinüberzubringen.»

Maynard hastete den Niedergang hinauf, und Bolitho wandte sich wieder den anderen Offizieren zu.»Nun, meine Herren, endlich haben wir das Flaggschiff gefunden.»

Vor zwei Tagen hatte die Phalarope die kleinen Inseln hinter sich gelassen. Zwei lange Tage des Nachdenkens über Mord und Meuterei. Bolitho hatte mit seiner üblichen Tageseinteilung gebrochen. Er erschien nicht zu den üblichen Zeiten auf dem Achterdeck, sondern verbrachte lange Stunden in seiner Kajüte, wo er über die Ereignisse nachgrübelte, sich jede Phase vor Augen führte und sich mit Vorwürfen marterte.

Er blickte auf die Karte und sagte langsam, wie zu sich selbst:»Alldays Beschreibung nach würde ich sagen, daß die Franzosen in voller Stärke ausgelaufen sind. Die beiden Fregatten waren höchstwahrscheinlich Erkundungsfahrzeuge der Hauptflotte von Admiral de Grasse. Wenn dem so ist, haben sie ihre Pläne geändert. «Er tippte mit einem Finger auf die Karte.»De Grasse würde zu solchem Zeitpunkt keine Fregatte zwecklos einsetzen. Ich nehme an, er will die Hauptdurchfahrten meiden und die Dominica-Passage benutzen. Auf dieser Route könnte er unseren Patrouillen entgehen. «Er rollte die Karte zusammen und legte sie beiseite.»Ich werde zur Cassius hinüberfahren und mit dem Admiral sprechen. «Er blickte auf die Berichte, die sich auf dem Tisch türmten.»Sir Robert wird über vieles nähere Auskunft wünschen. «Klingt abgedroschen, dachte er bitter, wie Details im Logbuch, bar aller Wärme oder Menschlichkeit. Aber wie ließ sich die Atmosphäre auf dem Hauptdeck beschreiben, als er das Gebet gesprochen hatte, ehe die in Leinwand eingenähten Leichen über Bord geglitten waren? Leutnant Vibarts sterbliche Überreste neben denen der toten Meuterer. Die Mannschaft hatte schweigend einen Kreis gebildet. Es war nicht nur ein Schweigen der Achtung oder der Trauer, nein, etwas viel Tieferes. Etwas wie ein Schweigen aus Scham und Schuld.

Bolithos Augen glitten über Okes und Rennie, Farquhar und Proby, ehe er mit gleicher Kürze fortfuhr:»Sie haben große Wendigkeit und Tapferkeit bewiesen. Ich habe es im Bericht ausführlich erwähnt und denke, daß Ihnen gebührende Anerkennung gezollt werden wird. «Er erwähnte nicht, daß ohne einen solchen Bericht des Kapitäns die Geschichte der kurzen wüsten Meuterei für den Admiral und dessen Vorgesetzte alles andere überschatten würde. Aber selbst so reichte es vielleicht nicht aus, den Namen des Schiffes vor weiterer Unehre zu bewahren.

Er musterte Okes scharf.»Sie übernehmen selbstverständlich den Posten des Ersten Leutnants, und Mr. Herrick übernimmt unverzüglich Ihre bisherigen Pflichten. «Seine Augen glitten zu Farquhar.»Ich habe meinem Bericht über Sie nichts hinzuzufügen. Sie fungieren mit sofortiger Wirkung als Leutnant. Ich zweifle nicht daran, daß die Ernennung schnell bestätigt werden wird.»

«Danke, Sir«, sagte Farquhar und blickte sich um, als erwarte er, daß sich seine Umgebung mit einem Schlage völlig verändere.»Ich bin Ihnen sehr verbunden.»

Okes sagte nervös:»Ich kann noch immer nicht glauben, daß Mr. Vibart tot ist.»

«Der Tod ist das einzig Unabwendbare, Mr. Okes. «Bolitho musterte ihn unbeteiligt.»Und doch ist er das einzige, was wir nie als gegeben hinnehmen wollen.»

Es klopfte, und Stockdale schaute hinein.»Signal vom Flaggschiff, Kapitän. Sie möchten sich so bald wie möglich zum Rapport melden. »

«Gut, Stockdale. Ruf meine Bootsmannschaft. «Und zu den anderen:»Vergessen Sie es nie, meine Herren: Die Phalarope wäre beinahe durch Meuterei verloren gegangen. «Er verharrte auf dem Wort.»Jetzt muß sich entscheiden, ob wir durch die knappe Rettung etwas gelernt haben. «Er bemerkte die flüchtig ausgetauschten Blicke.»Entweder ist das Schiff vom Übel gereinigt oder weiter von Schande befleckt. Es liegt bei uns. Bei

Ihnen und bei mir. «Er musterte die ernsten Gesichter.»Das wäre es. Sie können gehen.»

Die Offiziere waren kaum hinaus, als Stockdale wieder auftauchte. Er legte Bolithos Degen und Hut heraus und sagte:»Allday wartet draußen, Kapitän. «Es klang mißbilligend.

«Ja, ich habe ihn rufen lassen. «Er hörte das Quietschen der Blöcke, als die Gig ausgeschwenkt wurde, und erinnerte sich an Stockdales entsetztes Gesicht, als er mit dem Landkommando von der Insel auf das Schiff zurückgekehrt war. Er stierte damals auf die Blutflecken, auf die Leichen und dann auf seinen Kapitän, ehe er abgehackt sagte:»Ich hätte Sie nie allein lassen sollen, Sir. Keinen Augenblick. «Es wirkte, als sei er der Meinung, Bolitho im Stich gelassen zu haben. Als nähme er an, daß es, wäre er an Bord geblieben, nie zu der Meuterei gekommen wäre.

«Schick ihn herein«, sagte Bolitho.»Er ist ein guter Seemann, Stockdale. Ich habe ihm Unrecht getan.»

Stockdale schüttelte den Kopf, stapfte jedoch zur Tür, um den Mann zu holen, der der Meuterei den ersten Stoß versetzt hatte.

Und unter welchem Risiko! dachte Bolitho. Allday hatte sich dem Suchkommando gestellt, obwohl er genau wußte, daß ihn jeder für schuldig hielt und ohne eine Erklärung abzuwarten niederschießen konnte. Allday war auf Okes und Farquhar gestoßen. Wie es schien, hatten sie beschlossen, daß Allday versuchen sollte, das Schiff zu erreichen, nur begleitet von Ferguson. Ein richtiger und tapferer Entschluß. Hätte Onslow gesehen, daß sich eine ganze Bootsladung dem Schiff näherte, hätte er bestimmt auf das Boot feuern lassen.

Es klopfte, und Allday betrat die Kajüte. In der weißen Hose, dem karierten Hemd und mit dem hinten mit einer Angelschnur zusammengebundenen Haar sah er genauso aus, wie sich eine Landratte einen Seemann vorstellte. Über eine Wange und den Hals zogen sich, wo ihn Brocks Stock getroffen hatte, diagonal zwei Narben. Bolitho sah Allday einige Sekunden an, ehe er sagte:»Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen für das, was Sie getan haben, zu danken, Allday. Ich wünschte, ich wüßte, wie sich das Ihnen zugefügte Unrecht wieder gutmachen ließe. «Er zog die Schultern hoch.»Aber ich kenne keine solche Möglichkeit.»

Alldays Spannung lockerte sich ein wenig.»Ich verstehe, Sir.

Aber es ist ja alles gut ausgegangen. Zuerst habe ich ein bißchen Angst gehabt, wenn ich das sagen darf, Sir. «Seine Augen wurden hart.»Aber als ich dann Onslow sah, faßte ich mich. Ich bin sehr froh, daß ich ihn zur Strecke gebracht habe.»

Bolitho musterte Allday mit neuem Interesse. Ein scharfgeschnittenes, kluges Gesicht. Wäre ihm eine Ausbildung zuteil geworden, hätte er es sicher weit bringen können.

«Onslow soll uns allen eine Lehre sein, Allday. «Bolitho trat an das Heckfenster und dachte an das, was ihn seit der Meuterei am meisten belastete.»Sein Leben und die Umstände haben ihn verdammt. Wir müssen darauf achten, daß weder durch Grausamkeit noch durch Mangel an Verständnis neue Onslows geschaffen werden. «Er drehte sich um.»Nein, Allday. Ich habe im Falle Onslow versagt. Er war genauso ein Mensch wie wir alle. Nur daß er von Geburt an keine echte Chance gehabt hatte.»

Allday sah den Kapitän erstaunt an.»Aber Sie hätten ihm nicht helfen können, Sir. Entschuldigen Sie, wenn ich das sage. Er war einfach schlecht, ich habe schon früher ein paar von der Art kennengelernt.»

Maynard steckte den Kopf durch die Tür.»Wir sind mit dem Flaggschiff auf gleicher Höhe, Sir. Die Gig ist klar zum Abfie-ren.»

«Gut. «Bolitho sah Allday an.»Kann ich irgend etwas für Sie tun?»

Allday trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.»Da wäre eine Sache, Sir. «Er hob den Kopf, seine Augen waren plötzlich klar und entschlossen.»Ich denke an Ferguson, Sir, Ihren Schreiber. Schicken Sie ihn mit den anderen Meuterern hinüber?»

Bolitho spreizte die Arme, damit ihm Stockdale den Degen umschnallen konnte.»Das hatte ich vor, Allday. «Er runzelte die Stirn.»Sicher, er ist mit Ihnen zurückgekommen und hat viel getan, um den Schaden wiedergutzumachen, den er durch seine Komplizenschaft mit Onslow angerichtet hat. Aber es liegen mehrere Verfehlungen vor. Er hat die Meuterer mit vertraulichen Informationen versorgt, ohne die ein solcher Aufstand unmöglich gewesen wäre. Er hat einen Posten angegriffen und einen Gefangenen befreit, über dessen Schuld oder Unschuld noch zu befinden war. «Er griff nach seinem Hut und betrachtete ihn blicklos.»Meinen Sie, Ferguson sollte völlig straffrei ausgehen?»

«Erinnern Sie sich an das, was Sie über Onslow gesagt haben, Sir?«fragte Allday leise.»Ferguson ist kein Seemann und wird nie einer werden. «Er lächelte traurig.»Ich habe mich ein bißchen um ihn gekümmert, seit wir gepreßt wurden. Wenn Sie ihn nun hinüberschicken, werde ich das Gefühl nicht loswerden, daß ich ihm gegenüber versagt habe. Genau wie es Ihnen mit Onslow geht.»

Bolitho nickte.»Ich will es mir überlegen. «Er ging zum Niedergang, wobei er sich bücken mußte, um nicht an die Balken zu stoßen. Dann sagte er:»Schönen Dank, Allday. Sie haben ein wirkungsvolles Argument vorgebracht. «Er stieg hastig in das Sonnenlicht und sah schnell zur Cassius hinüber. Groß und verläßlich hob sie sich von dem blauen Wasser ab; hinter ihr hatte die andere Fregatte beigedreht.

Herrick hob die Hand an den Hut.»Die Gig ist klar, Sir. «Sein Blick flog fragend zu den gefesselten Männern an der Schanzpforte.»Soll ich sie hinüberschaffen, während Sie beim Admiral sind, Sir?»

«Wenn Sie so gut sein wollen, Mr. Herrick. «Bolitho bemerkte Allday an der Kajütenluke und setzte kurz hinzu:»Aber behalten Sie Ferguson an Bord. Mit ihm befasse ich mich selber.»

«Ferguson, Sir?«fragte Herrick verblüfft.

Bolitho sah ihn kühl an.»Er ist mein Schreiber, Mr. Herrick! Haben Sie so schnell vergessen, daß Sie ihn mir empfohlen haben?«Er lächelte kurz und bemerkte die Erleichterung des anderen.

«Aye, aye, Sir. «Herrick trat an die Reling und ließ für den Kapitän Seite pfeifen.

Die Pfeifen trillerten, und Bolitho verschwand hinunter in das Boot. Herrick drehte sich um, als Old Proby murmelte:»Wie alt ist er? Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig?«Er seufzte tief.»Ich bin doppelt so alt und noch was darüber, und an Bord der Phalarope gibt's mehr wie mich. «Seine Augen folgten der kleinen Gig, die durch die Schaumköpfe auf das schwoiende Linienschiff zuglitt.»Und doch ist er wie ein Vater zu uns. «Er schüttelte den Kopf.»Ist Ihnen aufgefallen, Mr. Herrick, wie ihn die Leute jetzt ansehen? Wie Kinder, die bei was

Schlechtem ertappt worden sind. Sie wissen, wie ihn die Meuterei getroffen hat. Und daß er unsere Schande doppelt schwer empfindet.»

Herrick blickte Proby erstaunt an. Selten redete der Steuermann so viel auf einmal.»Ich wußte gar nicht, daß auch Sie ihn bewundern.»

Proby schob die hängende Unterlippe vor.»Bewundern, dafür bin ich zu alt, Mr. Herrick. Es sitzt tiefer. Unser Kapitän ist ein ganz besonderer Mann. Ich würde mein Leben für ihn hingeben. Mehr kann ich nicht sagen.»

Proby drehte sich plötzlich wütend um.»Verdammt noch mal, Mr. Herrick, wie können Sie mich so daherschwatzen lassen!«Er schlurfte geräuschvoll über das Achterdeck.

Herrick ging zur Reling. Er dachte noch über Probys Worte nach, während er auf die von Seesoldaten bewachten Meuterer hinabblickte, die auf den Abtransport zur Cassius warteten. Scham und Schande ihretwegen? Herrick teilte Bolithos Gefühl nicht. Er hätte gern jeden einzelnen eigenhändig gehenkt, wenn dem Kapitän dadurch die Last der Trostlosigkeit genommen worden wäre.

Er entsann sich des eigenen Jubels, als Okes und Rennie an Bord der Fregatte gekommen waren und ihm klar wurde, daß das plötzlich hochgezüngelte Feuer der Meuterei erstickt worden war. In diesem Augenblick hatte er hinter Bolithos sorgsam zur Schau getragene Maske geblickt und war zu dem Menschen dahinter vorgedrungen. Ja, Proby hatte recht, Bolitho war ein ganz besonderer Mann.

Fähnrich Neale trat neben ihn und richtete sein Glas auf das Flaggschiff. Herrick sah zu dem kleinen Fähnrich hinunter. Er mußte daran denken, wie Neale sich gedreht und gewunden hatte, als sie seinen eingefetteten Körper durch das Lüftungsloch zwängten. Als er dann plötzlich die Kabelgattür aufriß, mußte das auf die festgesetzten Leute geradezu wie eine Sensation gewirkt haben. Ellice, der Arzt, hatte später gesagt:»Da waren wir nun alle, Mr. Herrick, und dachten an Tod oder Schlimmeres, und plötzlich flog die Tür auf wie die Pforte des Himmels. «Das hochrote Gesicht des Arztes hatte sich zu einem Grinsen verzogen.»Als ich den kleinen nackten Cherubim sah, hinter dem die Sonne stand, dachte ich zuerst, ich wäre gestorben, ohne daß ich es bemerkt hätte.»

Herrick lächelte vor sich hin. Seit jenem schrecklichen Tag schien Neale gewachsen zu sein.»Wenn Sie sich weiter so halten, wird man Sie in ein paar Jahren genauso befördern wie jetzt Mr. Farquhar.»

Neale dachte darüber nach und entgegnete dann:»Ich habe nie daran gezweifelt, Sir. «Er errötete und setzte hastig hinzu:»Ich meine, nicht oft.»

Sir Robert Napier ging steif zu einem kleinen vergoldeten Stuhl und setzte sich. Einige Sekunden fixierte er Bolithos unbewegliche Züge, ehe er trocken sagte:»Sie sind ein sehr merkwürdiger junger Mann, Bolitho. Nichts berechenbar, nichts vorherzusehen. «Er klopfte mit den Fingerspitzen gegeneinander.»Aber eins muß man zu Ihren Gunsten sagen, langweilig sind Sie nicht.»

Bolitho wagte nicht zu lächeln. Es war noch zu früh, um genau abzuschätzen, welche Aufnahme seine Ideen gefunden hatten. Mit nagender Ungeduld hatte er in einer angrenzenden Kajüte gewartet, während der Admiral seine Berichte las. Nach etwa einer Stunde war er vor den großen Mann befohlen worden. Zwei weitere Kapitäne waren bereits anwesend: Cope von der Cassius und ein untersetzter Mann mit maskenstarrem Gesicht, in dem Bolitho Kapitän Fox von der Fregatte Volcano erkannte.

«Mir scheint«, sagte der Admiral,»Ihre Erregung über die französischen Fregatten, die einer Ihrer Leute gesichtet hat, ist reichlich übertrieben. «Er schwenkte eine Hand über seiner großen, mehrfarbigen Karte.»Sehen Sie selbst, Bolitho. Die Inseln unter dem Winde und die Inseln über dem Winde bilden von Norden nach Süden so etwas wie eine gebrochene Kette. Wenn die französische Flotte ausgelaufen ist — und ich sage wenn — , dann dürften Sir George Rodneys Fregatten diese Tatsache gemeldet haben, und beide Seiten stehen bereits im Kampf. Ist das der Fall, was kann ich dann weiter dazu tun?«Er lehnte sich zurück. Seine Blicke hafteten an Bolithos Gesicht.

Bolitho sah flüchtig die anderen Offiziere an. Cope, Sir Roberts Flaggschiffkapitän, würde sich selbstverständlich zurückhalten, bis ihm die Meinung seines Herrn klar war. Fox war der Mann, den es zu überzeugen galt. Wie es hieß, war er hart, verschlossen und neigte infolge seines Alters — er war zu alt für seinen Rang — zu übergroßer Vorsicht.

Bolitho breitete seine eigene Karte über der des Admirals aus.»Der ganze Plan, die französische Flotte zu stellen und ins Gefecht zu ziehen, basiert auf einer Voraussetzung, Sir«, begann er ruhig.»Wir wissen, daß de Grasse seine stärksten Kräfte bei Martinique zusammengezogen hat, mit Stoßrichtung nach Süden. Um sich mit seinen spanischen Verbündeten zu vereinen und Jamaika zu erreichen, muß er daher alles daransetzen, sich unserer Aufmerksamkeit zu entziehen und so jede Schlacht mit uns, die ihm Schaden zufügen könnte, zu vermeiden.»

Der Admiral sagte gereizt:»Das weiß ich selber, verdammt noch mal.»

Bolitho fuhr gelassen fort:»Meines Erachtens waren die zwei Fregatten Fahrzeuge mit Späherauftrag, die der eigentlichen Flotte voraussegelten. «Er fuhr mit dem Finger über die Karte.»Er kann nördlich von Martinique segeln und, falls notwendig, zwischen den verstreuten Inseln in Gefechtslinie gehen. Danach, in dem ihm genehmsten Augenblick, kann er leicht nach Westen und wie geplant auf Jamaika zudrehen. «Bolitho sah zu Fox hinüber, dessen Augen ausdruckslos blieben, ehe er drängend hinzufügte:»Sir George Rodneys Plan hängt von einem schnellen Treffen ab, Sir. Aber angenommen, de Grasse vermag es zu vermeiden, oder, noch schlimmer, er greift uns irgendwo zum Schein an, während seine Hauptmacht in Richtung Norden segelt, was dann?«Er wartete und beobachtete den Admiral, dessen blasse Augen über die Karte wanderten.

«Die Möglichkeit besteht«, sagte Sir Robert mürrisch.»De Grasse könnte alles feindliche Land umgehen und dann dicht unter befreundetem Gebiet bleiben. Guadeloupe zum Beispiel. Dadurch würde er einer Schlacht in offenem Gewässer wie der Martinique-Passage, ausweichen. «Er nickte und wirkte plötzlich ernst.»Ihr Vorschlag birgt viele Gefahren, Bolitho.»

Kapitän Cope sagte mißmutig:»Wenn die Franzosen Rodney entwischen, sind wir erledigt.»

«Darf ich mir erlauben, auf etwas hinzuweisen, Sir?«fragte Bolitho.»Selbst wenn ich unrecht habe, kann mein Vorschlag kaum Schaden anrichten.»

Der Admiral zog die Schultern hoch.»Mir liegt nichts daran, so seltenen Enthusiasmus zu dämpfen, Bolitho. Aber ich verspreche auch nicht, ihm nachzugeben.»

Bolitho beugte sich über die Karte.»Mein Schiff war hier unten auf der Suche nach Frischwasser — »

«Und damit zufällig nicht auf der ihm zugewiesenen Position«. unterbrach ihn der Admiral.

«Ja, Sir«, nahm Bolitho schnell wieder das Wort.»Setzen wir für die Flaute einen Tag an und zwei weitere, um Kontakt mit Admiral de Grasse herzustellen, dann hatten die beiden französischen Fregatten Zeit genug, diese Durchfahrt zu erforschen. «Er trat zurück, als die beiden Kapitäne die Karte studieren wollten.»Nördlich der Dominica-Passage liegt eine verstreute Gruppe kleiner Inseln: die Isles des Saintes. Wenn ich de Grasse wäre, würde ich darauf zuhalten. Von dort aus kann er entweder in westlicher Richtung nach Jamaika segeln oder sich in den Schutz von Guadeloupe zurückziehen, falls ihm Rodneys Flotte zu dicht auf den Fersen sitzt. «Bolitho holte tief Luft, ehe er fortfuhr:»Wenn unser Geschwader nach Südosten läuft, wären wir in einer besseren Position, um die Lage zu beobachten und — wenn notwendig — Sir George Rodney Meldung zu erstatten, was vorgeht.»

Sir Robert rieb sich das Kinn,»Was meinen Sie, Cope?»

Der Kapitän des Flaggschiffs trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.»Schwer zu sagen, Sir. Wenn Bolitho recht hat, und ich denke, daß er alles höchst sorgsam überlegt hat, dann hätte de Grasse die am wenigsten vermutete Route gewählt, um durch unsere Blockade zu schlüpfen. Aber selbstverständlich, wenn Bolitho sich irrt, dann haben wir die uns zugewiesene Position ohne vertretbaren Grund verlassen.»

Der Admiral funkelte ihn an.»Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern. «Seine Blicke wanderten zu Fox, der sich noch immer über die Karte beugte.»Na?»

Fox richtete sich auf.»Ich stimme mit Bolitho überein. «Und nach kurzer Pause:»Dennoch scheint mir, Bolitho hat einen Punkt übersehen. «Er tippte mit dem Finger auf die Bleistiftlinien.»Wenn Sir George den Admiral de Grasse von der Dominica-Passage verscheucht, sind die Froschfresser günstiger dran. Die Brise ist zu schwach. Unsere Flotte kann sich nicht schnell genug wieder vereinigen, ehe de Grasse aufs offene Wasser hinausstürmt. «Sein Finger lief langsam in gerader Linie über die Karte.»Aber unser Geschwader liegt dann womöglich direkt auf ihrem Fluchtweg.»

Der Admiral bewegte sich auf seinem Platz.»Meinen Sie, ich hätte mir das nicht auch überlegt?«Er sah Bolitho an.»Na, und was sagen Sie dazu?»

«Ich meine noch immer, daß wir in einer besseren Position wären, um Bericht zu erstatten und um den Feind zu beschatten,

Sir.»

Der Admiral stand auf und ging erregt auf und ab.»Wenn ich nur ein paar verläßliche Informationen bekommen könnte! Ich habe die Witch of Looe vor ein paar Tagen auf ein Spähkommando geschickt, aber was kann man bei der verdammten Flaute erwarten?«Er blickte durch die offenstehenden Heckfenster.»Manchmal liegt man tagelang so fest. Was wissen wir? Der Krieg kann schon aus sein.»

«Ich könnte mit der Phalarope allein nach Süden segeln, Sir«, schlug Bolitho vor.

«Nein!«Die Stimme des Admirals kam wie ein Peitschenhieb.»Ich werde keinem meiner Kapitäne eine Verantwortung aufbürden, die ich selber tragen muß. «Er lächelte frostig.»Oder wollten Sie mir diese Entscheidung aufzwingen?«Er wartete die Antwort nicht ab.

«Nun gut, meine Herren. Wir setzen unverzüglich Segel und halten nach Südost. «Er sah seine Kapitäne der Reihe nach an.»Aber ich wünsche keine Abenteuer. Sichten wir den Feind, ziehen wir uns zurück und erstatten Sir George Rodney Meldung.»

Bolitho verbarg seine Enttäuschung. Indes, er konnte eigentlich zufrieden sein. Schließlich hatte er nicht einmal das erwartet. Weder daß Sir Robert Napier zustimmen würde, den gegenwärtigen Bereich zu verlassen, noch daß er sich zu einer Unternehmung bereitfinden würde, die sich gut und gern als ein sinnloses, zeitvergeudendes Wagnis herausstellen konnte. Als er sich umwandte, um Fox zu folgen, sagte der Admiral scharf:»Und was diese andere Angelegenheit betrifft, Bolitho«, er legte seine Hand auf den offenen Umschlag,»die werde ich auf meine Weise erledigen. Mir liegt nichts daran, daß meine Schiffe durch Meuterei befleckt erscheinen. Wir werden die Sache innerhalb des Geschwaders bereinigen. «Seine Ungeduld brach wieder durch.»Und was Leutnant Vibart anlangt, nun, da ist nichts mehr zu machen, nicht wahr. Ein toter Offizier nutzt mir nichts mehr, ganz gleich, wie er starb.»

«Er starb tapfer, Sir«, brachte Bolitho nach kurzem Überlegen heraus.

«Auch die Christen in Rom starben tapfer«, knurrte der Admiral.»Und es ist verdammt wenig Gutes dabei herausgekommen.»

Bolitho zog sich aus der Kajüte zurück und eilte an Deck, um sein Boot rufen zu lassen. Die See zeigte wieder kleine weiße Schaumköpfe, und die Flagge des Admirals flatterte tapfer in der auffrischenden Brise. Gutes Segelwetter! dachte er. Und das sollte man stets nutzen.

Den schwerfälligen Zweidecker zwischen sich, machten die Fregatten alles klar und setzten die Segel. Gegen Abend hatte der Wind leicht nachgelassen. Aber er reichte noch immer aus. Die Segel blähten sich noch prall durch die ungewohnte Kraft, als die Rahen gebraßt wurden und alle drei Schiffe auf Steuerbordhalsen gelegt wurden, damit sie über Nacht zusammenblieben.

Ehe die Dunkelheit die Schiffe völlig verbarg, kam es zu einem Ereignis, mit dem die unglückseligen Vorgänge der Meuterei ihren Abschluß fanden. Bolitho wanderte gerade an der Luvseite auf und ab, als er Okes rufen hörte.

«Mr. Maynard, schnell! Richten Sie Ihr Glas auf das Flaggschiff. Man scheint ein Signal zu hissen.»

Bolitho überquerte das Deck. Der Signalfähnrich hantierte mit seinem langen Fernrohr. Sonderbar von dem Admiral, bei so mäßiger Sicht ein Flaggensignal zu setzen. Eine Signallaterne wäre besser gewesen.

Maynard senkte das Glas und blickte die beiden Offiziere an. Ihm schien so elend zu sein wie an dem Tag, als er Evans' Leiche entdeckt hatte.»Es ist kein Signal, Sir.»

Bolitho nahm dem Fähnrich das Glas ab und richtete es auf das Flaggschiff. Unbewegt verfolgte er, wie der kleine schwarze Punkt zur Großrah der Cassius hochstieg. Er pendelte während der langsamen Reise zur Rah, zappelte und ruckte hin und her, so daß Bolitho geradezu die Trommelwirbel und das stetige Trampeln nackter Füße zu hören glaubte, die Begleitmusik, zu der die abkommandierten Männer die Meuterer langsam zur Großrah heißten.

In einem Punkt hatte Maynard unrecht: Es war doch ein Signal, für jeden, der es sah.

Bolitho gab das Glas zurück und sagte:»Ich gehe nach unten, Mr. Okes. Besetzen Sie den Ausguck mit den besten Leuten. Lassen Sie mich rufen, wenn Sie etwas sichten. «Er sah Maynard kurz an und sagte:»Dieser Mann, wer es auch war, kannte den Preis für seine Torheit. Die Disziplin verlangt, daß er voll bezahlt wird.»

Er drehte sich um, ging hinunter und verabscheute sich selber wegen der kalten Unnatur seiner Worte. Im Geiste glaubte er Vibarts heisere, anklagende Stimme zu hören, die ihm seine Weichheit vorhielt. Was machte ein Toter mehr aus? Ob Fieber oder unberechenbare Unfälle, ob Tod im Kampf oder das Ende am Seil, zuletzt war es alles das Gleiche.

Er warf sich auf sein Lager und blickte zu den Decksbalken empor. Ein Kapitän mußte über solchen Dingen stehen, um den lieben Gott spielen zu können, ohne an die zu denken, die ihm dienten. Dann erinnerte er sich an Alldays Worte und an das blinde Vertrauen, das Männer wie Herrick oder Stockdale in ihn setzten. Solche Menschen verdienen meine Aufmerksamkeit, ja meine Liebe, ging es ihm unbestimmt durch den Kopf. Macht als Tyrann auszuüben, ist ehrlos. Und ohne Ehre ist man kein Mensch.

Mit diesem Gedanken sank er in tiefen Schlaf.»Kapitän, Sir!»

Fähnrich Neale legte Bolitho die Hand auf den Arm und sprang erschrocken zurück, als die Hängekoje heftig schaukelte.

Bolitho setzte die Füße auf den Boden, starrte aber noch leer vor sich hin, während er den Alptraum abzuschütteln versuchte. Schreiende, gesichtslose Männer hatten ihn umringt. Seine Arme waren gefesselt, und er hatte gefühlt, wie sich die Schlinge um seinen Hals zusammenzog. Neales Hand hatte die Realität des Alptraums nur noch verstärkt. Er fühlte, wie ihm noch jetzt der Schweiß über den Rücken lief.

«Was ist?«fragte er barsch. Es war noch dunkel, und er brauchte mehrere Sekunden, um zu sich zu kommen.

«Eine Empfehlung von Mr. Herrick, Sir«, meldete Neale.»Er meint, Sie sollten wissen, daß wir etwas gehört haben. «Er trat noch einen Schritt zurück, als Bolitho sich erhob.»Es klang wie Kanonendonner, Sir.»

Bolitho hielt sich nicht damit auf, seinen Rock zu suchen, sondern rannte so wie er war zum Achterdeck hinauf. Die Dämmerung mußte bald anbrechen. Der Himmel vor dem sanft geschwungenen Bug zeigte bereits einen blassen Streifen.

«Was ist, Mr. Herrick?«Bolitho trat an die Reling und hielt die Hände hinter die Ohren.

Herrick sah ihn unsicher an.»Ich kann mich auch irren, Sir. Vielleicht war es Donner.»

«Höchst unwahrscheinlich. «Die Frühbrise ging kühl, und Bolitho fröstelte.»Können Sie die Cassius schon ausmachen?»

«Nein, Sir. «Herrick deutete unbestimmt in eine Richtung.»Der Dunst hebt sich. Es wird wieder ein heißer Tag.»

Bolitho richtete sich kerzengerade auf, als plötzlich ein dumpfes Rollen über die See hallte.»Vielleicht heißer, als Sie denken, Mr. Herrick. «Er sah zu der prallen Leinwand hinauf.»Der Wind scheint durchzustehen. «Er bemerkte plötzlich mehrere Gestalten auf dem Hauptdeck. Alle blickten nach vorn, lauschten, fragten sich, was das Rollen bedeuten mochte.

«Lassen Sie alle Mann an Deck pfeifen«, befahl Bolitho. Er sah wieder nach oben. Im Frühlicht erkannte er am Masttopp schon den wehenden Wimpel, der wie ein ausgestreckter Finger wirkte.»Lassen Sie die Reffs ausschütteln, Mr. Herrick. Und setzen Sie Fock und Besansegel.»

Herrick rief nach einem Bootsmannsmaat, und wenige Sekunden später, als die Pfeifen schrillten und die Männer an Deck gerannt kamen, herrschte auf dem Schiff reges Leben.

«Die Cassius ist noch immer nicht zu sehen, Sir«, sagte Herrick.

«Wir warten nicht auf sie!«Bolitho beobachtete, wie die Männer die Wanten hinaufschwärmten, und lauschte den barsch herausgebellten Kommandos.»Das da vorn ist Geschützfeuer. Geben Sie sich keinem Irrtum hin.»

Proby kam an Deck, wobei er seinen schweren Rock zuknöpfte. Er schien noch halb im Schlaf. Während sich das große Besansegel füllte und sich das Deck unter dem Druck des Windes gehorsam neigte, eilte er zum Ruder hinüber und enthielt sich jeder Bemerkung.

Bolitho sagte ruhig:»Zwei Strich nach Backbord abfallen, Mr. Proby. «So wie das Schiff plötzlich auf Wind und Segel reagierte, so waren auch Erschöpfung und Schlaf plötzlich wie weggefegt. Er hatte recht gehabt. Das Warten war fast zu Ende.

Er sah zu Herrick hinüber. Es war heller geworden, und das Gesicht des Leutnants war jetzt deutlicher zu erkennen. Herrick wirkte besorgt, war aber trotz der schnellen Folge der Ereignisse nicht aufgeregt.

«Wir wollen der Sache auf den Grund gehen, Mr. Herrick«, sagte Bolitho. Er deutete auf die Männer, die an den Rahen zurückkletterten.»Ich möchte, daß an jeder Rah Schutzketten angebracht werden. Wenn wir in ein Gefecht verwickelt werden, haben unsere Leute genug mit den Kanonen zu tun. Sie sollen nicht durch herabstürzende Spieren zerschmettert werden. Und lassen Sie auch über dem Hauptdeck Netze ausspannen. «Er zwang sich, still an der Reling zu stehen und die Hände auf dem abgegriffenen, polierten Holz ruhen zu lassen. Durch die Handflächen spürte er, wie das Schiff bebte. Es war, als wären seine Gedanken zu etwas Lebendigen geworden, das jetzt die Phalarope durchpulste.

Aus dem anfänglichen Durcheinander hatte sich ein sinnvoller Rhythmus entwickelt. Die Wochen der Ausbildung und die Stunden beharrlicher Einweisung hatten sich gelohnt, wie sich jetzt erwies.

Stockdale trat zu Bolitho an die Reling.»Ich hole Ihren Rock,

Sir.»

«Noch nicht, Stockdale. Das hat noch Zeit. «Er drehte sich um, als Okes mit verschlafenem Gesicht auftauchte.»Die Leute sollen heute früh reichlich zu essen bekommen, Mr. Okes. Ich habe das Gefühl, als ob das Kombüsenfeuer bald für einige Zeit gelöscht werden muß. «Auf dem Gesicht des Offiziers dämmerte Begreifen.»Dieses Mal werden wir bereit sein.»

Wie ein lebendes Wesen bäumte sich die Phalarope auf, wenn sich der Bug hob und freudig durch jede Reihe der niedrigen Wellen schnitt. Gischt spritzte über die Back in langen weißen Streifen.

«Ketten angeschlagen, Sir.»

«Gut. «Es kostete ihn Mühe, gelassen zu sprechen.»Lassen Sie die Boote ausschwenken, damit sie achtern in Schlepp genommen werden können. Kommt es heute zum Kampf, fliegen auch ohne Bootsplanken genug Splitter durch die Gegend.»

«Was bedeutet Ihrer Meinung nach das Geschützfeuer, Sir?«fragte Okes stockend.

Bolitho merkte, wie mehrere Leute innehielten, um seine Antwort zu hören.»Zwei Schiffe«, erklärte er langsam.»Eins sehr viel kleiner als das andere, dem Klang der Abschüsse nach. Aber so viel steht fest, Mr. Okes: feindlich kann nur eins davon sein.»

Herrick meldete sich zurück.»Was nun, Sir?»

«Ich gehe nach unten, um mich zu rasieren und zu waschen. Wenn ich wieder an Deck komme, erwarte ich Meldung, daß die Leute reichlich gegessen haben. Danach werden wir weitersehen.»

Doch in seiner Kajüte konnte er es kaum über sich bringen, Zeit mit Rasieren und Umziehen zu vergeuden. Stockdale servierte ihm sein Frühstück, aber er konnte es nicht einmal ansehen, geschweige denn essen. Heute abend oder vielleicht schon innerhalb weniger Stunden konnte er tot sein. Oder, schlimmer noch, unter dem Messer des Arztes um Gnade schreien. Ihn schauderte. Doch es führte zu nichts, daran zu denken. Mehr noch, es schadete.

«Ich habe Ihnen ein frisches Hemd hingelegt, Sir«, sagte Stockdale. Er sah Bolitho fragend an.»Ich denke, Sie sollten auch Ihre beste Uniform anziehen.»

«Um Himmels willen, warum denn, Mann?«Bolitho blickte seinem Bootsführer überrascht in das zerschlagene Gesicht.

«Das ist der Tag, Sir. Ich spüre es. So war es schon mal. «Dickköpfig setzte er hinzu:»Außerdem blickt die Mannschaft auf Sie, Sir. Die Leute wollen Sie sehen. Nach allem, was geschehen ist, wollen sie sehen, daß Sie zu ihnen gehören.»

Bolitho blickte Stockdale an. Die stockend vorgebrachten Worte bewegten ihn.»Wenn du meinst.»

Zehn Minuten später übertönte eine Stimme schwach die Geräusche der See und der Leinwand:»An Deck! Segel in Steuerbord voraus.»

Bolitho zwang sich, noch ein paar Sekunden zu warten. Nachdem Stockdale ihm den Degen umgeschnallt hatte, ging er zum Kajütniedergang. Das Achterdeck war voller Leute. Sie deuteten nach vorn und redeten durcheinander, verstummten aber, während Bolitho zur Reling ging und sich von Maynard das Fernrohr reichen ließ.

Durch das Muster der Takelage sah er die Schaumköpfe der

Wogen vor dem Bug der Fregatte. Der Himmel war bereits klar, aber das Wasser schien sich noch unter dem Griff eines sich nur langsam lichtenden Nebels zu winden, der dem jungen Tag momentan noch die Wärme raubte.

Dann hatte er sie plötzlich im Glas: zwei Schiffe, dicht beieinander, die Rümpfe in eine dichte Rauch- und Nebelwolke gehüllt; die zerfetzten Segel hingen körperlos über dem weiter unten verborgenen Kampf. Deutlich sichtbar waren jedoch die Flaggen: die eine blutrot wie die, die über ihm flatterte. Die andere rein und weiß, die Fahne Frankreichs.

Bolitho schob das Fernrohr mit einem Ruck zusammen.»Also gut, Mr. Okes, lassen Sie Alarm trommeln. Alle Mann auf Stationen. Klar zum Gefecht. «Er sah seine Offiziere fest an.»Wir müssen uns heute mit unserer ganzen Person einsetzen, meine Herren. Wenn die Mannschaft sieht, daß wir unser Bestes geben, werden die Leute willig ihre Pflicht tun. «Er lauschte auf das ferne Geschützfeuer.»Machen Sie weiter, Mr. Okes.»

Die Offiziere salutierten und sahen dann einander an, als wäre ihnen eben bewußt geworden, daß es für einige, vielleicht für alle der letzte Tag sein konnte. Doch da begann die Trommel zu rasseln und beendete den kurzen Moment innerer Bewegung.

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