VI Land in Sicht

Bolitho ging zur Steuerbordseite des Achterdecks und ließ die Hände auf den sonnenwarmen Backskästen ruhen. Er brauchte jetzt weder Karte noch Fernrohr. Es war, als käme er nach Hause.

In der Morgendämmerung war die kleine Insel Antigua über der Kimm heraufgekommen. Nun lag sie in der Vormittagssonne vor ihnen. Bolitho spürte jene Erregung, die ihn bei jedem Landfall durchflutete, wenn das Land an der berechneten Stelle am Horizont auftauchte. Er nahm seinen Gang über das Achterdeck wieder auf. Auf den Tag vor fünf Wochen hatte die Phalarope dem Nebel und Regen Cornwalls das Heck gezeigt. Zwei Wochen lag das Gefecht mit dem Kaperschiff zurück. Stolz wallte flüchtig in ihm auf, als er über sein Schiff blickte. Die Schäden waren ausgebessert. Und die Verwundeten befanden sich auf dem Weg der Besserung. Gewiß, die Zahl der Toten war auf fünfunddreißig gestiegen, aber an den anderen hatten die Sonne und der frische Wind, die Nebel und tobende Stürme abgelöst hatten, Wunder gewirkt.

Die Fregatte segelte mit Steuerbordhalsen. Das Schiff und sein Spiegelbild im dunkelblauen Wasser boten ein prachtvolles

Bild. Über den sich verjüngenden Masten leuchtete wie zum Gruß ein wolkenloser Himmel, und um die Rahen segelten schreiend und erwartungsvoll die Möwen.

Antigua, Hauptquartier und Basis des WestindienGeschwaders, war ein Glied der zerstreuten Inselkette, die den östlichen Teil der Antillen schützte. Bolitho freute sich, wieder hier zu sein. Als er sich über die Reling beugte, um nach vorn zu spähen, erwartete er halb und halb, die Sparrow und ihre Mannschaft zu sehen. Aber die Gegenwart der Phalarope überschattete bereits die alten Erinnerungen.

«An Deck! Linienschiff unter Land vor Anker!»

Okes war Wachführer; er blickte schnell zum Kapitän hinüber.

«Höchstwahrscheinlich das Flaggschiff, Mr. Okes. «Bolitho blickte kurz zur neuen Besanstenge hinauf, von wo aus der scharfäugige Ausguck die hohen Masten erspäht hatte.

Die Fregatte rundete langsam die saftig grünen Berge und felsigen Abstürze des Vorgebirges von Cape Shirley. Die Mannschaft drängte sich in Luv und klammerte sich an Wanten und Netze, während sie das Land mit Blicken verschlang. Fast allen war es unbekannt. Hier strahlte die Sonne heller, und die dichte, grüne Vegetation hinter dem weißen Strand glich keiner der Küsten, die sie kannten. Sie wiesen sich gegenseitig auf dieses oder jenes hin und plapperten aufgeregt wie Kinder, als sie an der Landzunge vorbeiglitten und die von Land eingeschlossene Bucht von English Harbour sichtbar wurde.

«Klar zum Halsen, Sir«, rief Proby.

Bolitho nickte. Bis auf Bransegel und Klüver waren alle Segel aufgegeit. Von der Back blickte Herrick, der neben dem Ankerkommando stand, nach achtern.

Bolitho schnippte mit den Fingern.»Mein Glas, bitte.»

Fähnrich Maynard reichte es dem Kapitän, und Bolitho musterte prüfend den in der Mitte der Bucht vor Anker liegenden Zweidecker. Die Stückpforten standen offen, um den Landwind ins Schiff zu lassen, und über das mächtige Achterdeck spannten sich Sonnensegel. Bolithos Blick haftete auf dem Stander des Konteradmirals im Topp und auf den blauen und roten Uniformen, die am Heck schimmerten, von wo aus man sein Einlaufen beobachtete.

«Mr. Brock, klar zum Salut! Elf Schuß, bitte. «Er schob das

Teleskop mit einem Ruck zusammen. Wenn er sie sehen konnte, sahen sie ihn auch. Er wollte nicht neugierig wirken.

Die nächstliegende Landspitze blieb achteraus, und er befahl:»Übernehmen Sie, Mr. Proby.»

Proby legte die Hand an den Hut.»Leebrassen fieren! Klar zum Halsen.»

Bolitho beobachtete Okes und wartete geduldig. Schließlich sagte er, ohne die Stimme zu heben:»Scheuchen Sie die Müßiggänger von der Reling, Mr. Okes. Das da drüben ist ein Flaggschiff. Der Admiral soll nicht den Eindruck gewinnen, ich hätte einen Haufen Bauerntölpel an Bord. «Er lächelte, als Okes den Befehl herausstotterte und die Maate die Leute von der Reling trieben.

Der Salut ertönte und wurde von den Bergen zurückgeworfen, während die Fregatte langsam auf das Linienschiff zuhielt. Auf der Phalarope biß sich mehr als einer auf die Lippen, als der Kanonendonner andere, schrecklichere Erinnerungen weckte.

«Klar bei Bramsegelschoten!«Proby wischte sich den Schweiß von der Stirn und schätzte, wieviel Fahrt die Phalarope machte, während sie sich dem Ankerplatz näherte.»Bramsegel aufgeien!«Er schaute nach achtern.»Klar zum Ankern, Sir.»

Bolitho achtete nur halb auf die Salutschüsse und die herausgebellten Befehle. Er nickte.

«Ruder nach Lee!«Bolitho verfolgte, wie das Ruder gelegt wurde, und sah, wie die Phalarope in den Wind drehte und Fahrt verlor.

Bis auf das leise Glucksen des Wassers war jetzt kein Laut zu hören.»Fiert weg Anker!»

Der Anker klatschte in das klare Wasser. Die Kette rauschte aus.

«Signal, Sir!«meldete Maynard aufgeregt. »Cassius an Phalarope: Kapitän zur Meldung an Bord.»

Bolitho nickte. Er hatte die Aufforderung erwartet und war bereits in seiner besten Uniform.»Lassen Sie die Gig zu Wasser, Mr. Okes. Und achten Sie darauf, daß die Giggasten ordentlich aussehen. «Bolitho blickte dem davoneilenden Zweiten nach und fragte sich, warum er so zerquält und besorgt aussah. Er schien überanstrengt und mit den Gedanken nur halb bei der Sache.

Vibart kam nach achtern und salutierte.»Irgendwelche

Befehle, Sir?»

Bolitho beobachtete, wie das Boot ausgeschwenkt wurde, wobei der wachhabende Maat den Stock heftiger gebrauchte als sonst, als wäre auch er sich der beobachtenden Augen auf dem Flaggschiff bewußt.

«Machen Sie alles klar zum Übernehmen von Frischwasser, Mr. Vibart. Wir werden wohl anschließend nach English Harbour verholen, und die Männer können an Land gehen. Sie haben es verdient.»

Der Erste schien etwas erwidern zu wollen, sagte dann aber bloß:»Aye, aye, Sir. Ich werde mich darum kümmern.»

Bolitho schaute zu dem Zweidecker hinüber: die Cassius, 74 Kanonen, Flaggschiff von Konteradmiral Sir Robert Napier. Dem Vernehmen nach legte er auf Pünktlichkeit und Schnelligkeit größten Wert. Bolitho war ihm noch nie begegnet. Er stieg den Niedergang hinab und schritt langsam zum Fallreep. Er konnte kaum glauben, daß er dies Kommando erst seit fünf Wochen hatte. Es kam ihm vor, als wäre er schon seit Monaten an Bord. Die Gesichter waren ihm nun vertraut. Er kannte die Vorzüge und die Schwächen der Leute.

Hauptmann Rennie salutierte mit dem Degen, und die Wache präsentierte. Bolitho lüftete den Hut und setzte ihn wieder auf, als die Gig, mit Stockdale an der Pinne, längsseits kam. Die Pfeifen schrillten, während er ins Boot stieg. Von der Gig aus musterte er den Schiffsrumpf, die frische Farbe und die sauber ausgeführten Reparaturen. Die im Gefecht erlittenen Schäden waren kaum noch zu erkennen. Es hätte alles viel schlimmer kommen können, überlegte der Kapitän, während er sich auf der achteren Ducht zurechtsetzte.

Kräftiger Riemenschlag trieb die Gig über das ruhige Wasser. Bolitho schaute zurück. Seine Leute blickten ihm nach. Ihr Leben lag in seinen Händen, das war ihm immer bewußt gewesen. Aber vor dem Gefecht hatten einige an seinen Fähigkeiten gezweifelt. Möglicherweise hatten sie ihn sogar für einen Kapitän vom Kaliber Pomfrets gehalten.

Die Gig näherte sich dem Flaggschiff, und Bolitho drängte alle anderen Gedanken zurück. Sie brauchten ihn nicht zu lieben, sagte er sich, aber sie mußten ihm vertrauen.

Konteradmiral Sir Robert Napier blieb hinter seinem Tisch sitzen und deutete auf einen Stuhl an der breiten Heckgalerie: ein kleiner, leicht reizbarer Mann mit gebeugten Schultern und schütterem grauem Haar. Das Gewicht seines Paraderocks schien ihn niederzudrücken. Sein schmaler Mund verriet kleinliche Mißgunst.

«Ich habe Ihre Berichte gelesen, Bolitho. «Seine Augen huschten über das Gesicht des Jüngeren und kehrten dann zum Tisch zurück.»Über Ihr Treffen mit der Andiron bin ich mir immer noch nicht ganz im klaren.»

Bolitho hätte sich auf dem harten Stuhl gern bequem zurechtgesetzt und entspannt, aber etwas in dem verdrossenen Ton warnte ihn.

Am Fallreep war er mit dem üblichen Zeremoniell empfangen worden, und der Kapitän der Cassius, der so unruhig und bekümmert aussah, wie er es mit Sir Robert an Bord wohl sein mußte, hatte ihn höflich begrüßt. Man hatte ihn dann in eine Kajüte geführt und gebeten zu warten, ein erstes Zeichen, daß nicht alles zum besten stand. Man forderte ihm hastig Logbuch und Berichte ab und überließ ihn in der stickigen Kajüte gut eine Stunde lang seinen nagenden Gedanken.

Er sagte vorsichtig:»Wir haben gute Fahrt gemacht, trotz der Begegnung, Sir. Alle Reparaturen wurden ohne Verlust an Segelzeit ausgeführt.»

«Halten Sie das für ein Verdienst?«Der Admiral musterte den Kapitän kalt.

«Nein, Sir«, entgegnete Bolitho.»Aber ich dachte, daß Fregatten hier noch immer dringend benötigt werden.»

Die welke Hand des Admirals raschelte mit den Papieren.»So ist es. Aber die Andiron, Bolitho? Wie konnte sie entkommen?»

«Entkommen, Sir?«Bolitho starrte den Admiral fassungslos an.»Sie hat uns beinahe überwältigt, wie mein Bericht ausweist.»

«Das habe ich gelesen, verdammt. «Die Augen glühten gefährlich.»Wollen Sie mir weismachen, daß sie Fersengeld gab?»

Durch ein Fenster sah er zur Phalarope hinüber, die wie ein geschnitztes Modell vor Anker schwoite.»An Ihrem Schiff ist kaum ein Zeichen von Kampf oder Beschädigung zu erkennen, Bolitho.»

«Wir waren mit Ersatzspieren und Leinwand gut versorgt, Sir. Die Werft, die das Schiff ausrüstete, hatte solche Eventualitäten vorausgesehen. «Der Ton des Admirals reizte ihn, und er ignorierte die warnenden Zeichen in den Augen des Älteren.

«Verstehe. Kapitän Masterman verlor die Andiron vor vier Monaten bei einem Gefecht mit zwei französischen Fregatten. Die Franzosen überließen das eroberte Schiff ihren neuen Verbündeten, den Amerikanern. «Nun klang offene Geringschätzung mit.»Und Sie behaupten, daß die Andiron, obwohl die Phalarope schwer beschädigt war und leichter bestückt ist, sich davonmachte, ohne ihren Vorteil zu nutzen?«Jetzt lag Ärger in der Stimme.»Habe ich Sie richtig verstanden?

«Völlig richtig, Sir. «Bolitho bemühte sich, so ruhig wie möglich zu antworten.»Meine Leute haben sich wacker gehalten. Ich denke, der Feind hatte genug. Wäre ich in der Lage gewesen, ihn zu verfolgen, hätte ich es getan.»

«Das sagen Sie, Bolitho!«Der Admiral legte den Kopf schief wie ein kleiner, tückischer Vogel.»Ich weiß, was mit Ihrem Schiff los war. Ich habe Admiral Longfords Brief gelesen, alles, was er über die Vorfälle an Bord der Phalarope schreibt, als sie in der Kanalflotte Dienst tat. Ich bin nicht sonderlich beeindruckt, um es gelinde auszudrücken.»

Bolitho wurde rot. Was der Admiral sagen wollte, lag klar auf der Hand. In seinen Augen war die Phalarope ein gezeichnetes Schiff, ganz gleich, was sie erreichte.

«Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht, Sir«, sagte Bolitho kalt.»Es ereignete sich alles so, wie ich es berichtet habe. Meines Erachtens wollte das Kaperschiff weitere Schäden vermeiden. «Zwei Bilder standen ihm plötzlich wieder vor Augen: die krachende Breitseite und die Kettengeschosse, welche die Takelage der Andiron wie Spinnweben wegfegten; und dann die Toten, die dem Meer übergeben wurden.»Meine Männer hielten sich so gut, wie ich hoffen konnte, Sir. Sie hatten wenig Zeit, sich vorzubereiten.»

«Bitte nicht diesen Ton mir gegenüber, Bolitho!«Der Admiral funkelte Bolitho an. »Ich werde entscheiden, welchen Leistungsstand Ihre Männer erreicht haben.»

«Ja, Sir. «Bolitho fühlte sich ausgelaugt. Mit diesem Mann zu argumentieren, war zwecklos.

«Vielleicht erinnern Sie sich künftig daran. «Er sah auf die Papiere und sagte:»Sir George Rodney ist in die Heimat gesegelt, um seine Flotte zu reorganisieren. Wir erwarten ihn jeden Augenblick aus England zurück. Und Sir Samuel Hood verteidigt St. Kitts gegen die Franzosen.»

«St. Kitts, Sir?«St. Kitts lag kaum hundert Meilen weiter westlich, doch der Admiral sprach von der Insel, als läge sie auf der anderen Seite der Welt.

«Ja. Die Franzosen haben Truppen gelandet und versuchen, unsere Garnison ins Meer zu treiben. Admiral Hoods Geschwader konnte jedoch die Reede zurückerobern und hält jetzt die wesentlichen Stützpunkte, die Hauptstadt Basseterre inbegriffen. «Er betrachtete Bolithos nachdenkliches Gesicht.»Doch das soll nicht Ihre Sorge sein. Bis der Oberkommandierende zurückkehrt oder Admiral Hood es für richtig hält, mich abzulösen, führe ich hier das Kommando. Sie erhalten Ihre Befehle von mir.»

Bolitho vernahm nur halb, was die gereizte Stimme sagte. Ihm stand die winzige Insel St. Kitts vor Augen, und er wußte genau, was ihr sicherer Besitz für die unablässig bedrängten Briten bedeutete. Die Franzosen waren in diesen Gewässern stark. Sie hatten zu den britischen Niederlagen am Chesapeake erheblich beigetragen. Vom amerikanischen Kontinent vertrieben, hingen die britischen Geschwader in immer stärkerem Maß von der Inselkette ab. Die Antillen bildeten nun die Basis für Nachschub und Ausbesserungen. Fielen auch sie, gab es kein Mittel, die Franzosen oder Ihre Verbündeten daran zu hindern, noch die letzten britischen Besitzungen im karibischen Raum zu schlucken.

Die französische Flotte in Westindien war gut ausgebildet und kampferfahren. Ihr Admiral, Graf de Grasse, hatte die überforderten britischen Schiffe mehr als einmal überlistet und niedergekämpft. Er hatte einen Keil zwischen Admiral Graves und das eingeschlossene Cornwallis getrieben, den Rebellengeneral Washington unterstützt und die amerikanischen Kaperschiffe zu einer brauchbaren und tödlichen Macht organisiert.

Jetzt testete de Grasse mit der gleichen kundigen Strategie, die ihn zum wertvollsten Befehlshaber seines Landes gemacht hatte, die Stärke der einzelnen britischen Stützpunkte. Dabei benutzte er Martinique als Basis. Wenn er wollte, konnte er von dort aus jede beliebige Insel angreifen oder — bei dem Gedanken überlief Bolitho ein Schauder — nach Westen segeln und sich auf Jamaika stürzen. Eroberte er Jamaika, blieb den Briten kein Stützpunkt mehr in diesen Gewässern. Sie mußten auf den Atlantik hinaus, und dort würde sie nichts vor der völligen Vernichtung schützen.

«Ich gebe Ihnen Order, nach Westen hin Patrouille zu fahren, Bolitho«, sagte der Admiral, ohne zu stocken.»Ich werde die Befehle sofort ausfertigen. Der Feind wird sicher versuchen, noch andere Truppen vom amerikanischen Festland aus auf die Antillen zu transportieren, ja womöglich sogar noch weiter nach Süden auf die kleinen Antillen. Sie werden mit meinem übrigen Geschwader Kontakt halten, doch mit Admiral Hood auf St. Kitts nur, wenn absolut notwendig. »

Bolitho hatte das Gefühl, die Kajütendecke stürze über ihm zusammen. Der Admiral dachte nicht im Traum daran, der Phalarope Vertrauen zu schenken und sie im Geschwader segeln zu lassen. Wieder schien die beargwöhnte Fregatte zur Einsamkeit verdammt.

«Die Franzosen dürften durch Freibeuter verstärkt werden, Sir«, sagte Bolitho.»Ich hätte gedacht, mein Schiff könnte näher unter Land nützlicher sein.»

Der Admiral lächelte.»Natürlich, Bolitho, das vergaß ich beinahe. Sie sind hier ja kein Fremder. Ich glaube, irgendwo habe ich etwas über Ihre kleinen Heldentaten gelesen. «Das Lächeln erlosch.»Ich will nichts mehr von Freibeutern hören, es macht mich krank. Freibeuter sind nichts als Aasfresser und Piraten! Kein Kaperschiff kann sich mit einem meiner Schiffe messen. Auch daran erinnern Sie sich bitte, Bolitho. Die Eroberung der Andiron war eine Schmach, der man hätte vorbeugen sollen. Wenn Sie der Andiron nochmals begegnen, fordern Sie bitte Verstärkung an, damit es nicht wieder zu einem so erbärmlichen Fehlschlag kommt und sie endlich zurückerobert oder versenkt wird!»

Bolitho stand auf. Seine Augen blitzten.»Das ist ungerecht,

Sir.»

«Halten Sie Ihre Zunge im Zaum, Bolitho. «Der Admiral musterte ihn frostig.»Ich bin der jungen, hitzigen Offiziere müde, die weder etwas von Strategie verstehen, noch Disziplin kennen.»

Bolitho wartete, bis er wieder ruhiger atmete.

«Freibeuter sind nur ein Teil der Sache. Die wirkliche Gefahr bilden die Franzosen.»

Langes Schweigen, in das Getrampel der Seeleute und gedämpftes Schmettern eines Horns klangen. Verglichen mit einer Fregatte, war der Zweidecker so etwas wie eine kleine Stadt, aber Bolitho konnte es kaum erwarten, sie hinter sich zu lassen und den beleidigenden Bemerkungen des Admirals den Rücken zu kehren.

«Geben Sie auf der Patrouillenfahrt gut acht, Bolitho«, sagte der Admiral beiläufig.»Und teilen Sie das Frischwasser und alle Vorräte gut ein. Noch kann ich nicht sagen, wann Sie abgelöst werden.»

«Meine Männer sind erschöpft, Sir. «Bolitho versuchte nochmals, die kalte Rücksichtslosigkeit des Admirals zu durchbrechen.»Einige sind seit Jahren nicht an Land gewesen. «Er dachte daran, wie sie zu den grünen Bergen und dem weißen Strand hinübergestarrt hatten.

«Ich bin dieses Gesprächs überdrüssig, Bolitho. «Napier läutete eine kleine Glocke.»Erfüllen Sie die Ihnen übertragene Aufgabe und erinnern Sie sich stets daran, daß ich nie Eigenmächtigkeit dulden werde. Tollkühne Pläne gelten mir nichts. Lassen Sie Ihre Urteilskraft nicht unter Ihrer augenscheinlichen Selbstüberschätzung leiden. «Er winkte, und hinter Bolitho öffnete sich leise die Tür.

Im Gang zitterten ihm die Hände vor Groll und unterdrückter Wut. Als er das Fallreep erreichte, lag über seinem Gesicht wieder die Maske der Empfindungslosigkeit, aber er wagte kaum, auf die ruhigen Worte zu antworten, die der Kapitän der Cassius äußerte, als er ihn zum Fallreep begleitete.

«Seien Sie vorsichtig, Bolitho«, sagte der Ältere leise.»Sir Robert hat auf der Andiron seinen Sohn verloren. Er vergibt Ihnen nie, daß Sie sie entkommen ließen, ganz gleich, aus welchen Gründen. Schlagen Sie daher seine Warnungen nicht in den Wind.»

Bolitho grüßte die unter Gewehr angetretene Wache.»Ich bin letzthin mehrfach gewarnt worden, Sir. Aber im Notfall nutzen Warnungen selten etwas.»

Der Kapitän des Flaggschiffs verfolgte, wie Bolitho ins Boot stieg und wie die Gig aus dem Schatten der Cassius glitt. Grimmig dachte er: trotz seiner Jugend wird dieser Bolitho anderen und sich noch erhebliches Ungemach bereiten. Er sieht ganz danach aus.

«Achtung! Der Kapitän kommt zurück.»

Herrick eilte aus dem Schatten des Besanmastes zum Fallreep. Er strich ein paar Krümel vom Halstuch und zog hastig seine Schärpe zurecht. Bis jetzt hatte ihm das einförmige und schlecht zubereitete Essen an Bord nichts ausgemacht. Doch nun, da die Phalarope vor Anker lag, die reichlichen Vorräte von English Harbour in Reichweite, hatte er sich geradezu zwingen müssen, das Essen hinunterzuwürgen.

Er blinzelte über die glitzernde Wasserfläche. Seine scharfen Augen erspähten sofort die zurückkehrende Gig, die sauber und hell angezogenen Bootsgasten, die sich wie Möwenflügel hebenden und senkenden Riemen. Er versteifte sich innerlich, als der Erste neben ihn trat.

«Nun werden wir es ja erfahren.»

«Ich wette, der Admiral war begeistert. «Herrick vergewisserte sich durch einen schnellen Blick, daß die Wache ordentlich angetreten war.»Ein Lob kann unseren Leuten nur gut tun.»

Vibart zuckte mit den Schultern.»Was verstehen schon Admiräle?«Er schien sich nicht unterhalten zu wollen. Seine Augen hafteten auf der näherkommenden Gig.

Bolitho saß auf der achteren Ducht. Die Sonne blitzte auf seinen goldenen Litzen.

«Zwei Wasserleichter legen von Land ab, Sir«, sagte ein Steuermannsmaat plötzlich.»Dem Aussehen nach voll beladen.»

Herrick blickte in die Richtung, in die der Mann wies, und sah, wie zwei Leichter von Land ablegten. Sie hielten schwerfällig auf die Fregatte zu, die langen Riemen bogen sich beinahe.

«Ich dachte, das hätte Zeit, bis wir nach drinnen verholt haben?«stotterte Herrick.

Vibart hieb sich mit der Faust in die Handfläche.»Bei Gott, ich wußte, daß es so kommen würde. Ich wußte es von Anfang an!«Seine massige Gestalt drehte sich zur See.»Die ist für uns, Mr. Herrick. Für die Phalarope gibt es nichts anderes, weder jetzt noch später.»

Ein Bootsmannsmaat rief:»Achtung!»

Die Pfeifen trillerten Salut, und die schwitzende Wache präsentierte die Gewehre.

Herrick salutierte und musterte das Gesicht des an Bord kommenden Kapitäns. Bolithos Züge waren ruhig und ausdrucklos, doch die Blicke, die er über das Hauptdeck fliegen ließ, waren so kalt und rauh wie der Nordatlantik.

Vibart meldete steif:»Wasserleichter halten auf uns zu, Sir.»

«Ja, ich weiß. «Bolitho drehte sich nicht um, sondern starrte statt dessen auf die frisch geschrubbten Decks. Eine ruhige Atmosphäre der Ordnung und Bereitschaft. Nach einigen Sekunden sagte er:»Lassen Sie die Ladung gleich übernehmen. Und sagen Sie dem Faßmeister, er soll Reservefässer bereitstellen.»

Herrick fragte vorsichtig:»Gehen wir wieder in See, Sir?«Bolithos graue Augen blickten durch ihn hindurch.»Es scheint so.»

Vibart trat einen Schritt vor, seine Augen lagen im Schatten verborgen.»Das ist verdammt ungerecht, Sir.»

Bolitho gab keine Antwort, er schien ganz mit seinen Gedanken beschäftigt. Dann sagte er scharf:»Wir segeln in zwei Stunden, Mr. Vibart. Der Wind ist zwar nur schwach, reicht aber für meinen Zweck. «Er sah sich um, als Stockdale auf das Achterdeck trat.»Sag meinem Diener, ich möchte so bald wie möglich essen. Egal was.»

Herrick sah ihn verdutzt an. Bolitho war fast zwei Stunden fortgewesen, doch der Admiral hatte sich offenbar nicht die Mühe gemacht, ihm etwas anzubieten oder ihn zum Lunch einzuladen. Was, zum Teufel, dachte er sich dabei? Einen jungen, tapferen Offizier, der nicht nur Nachrichten aus England brachte, sondern darüber hinaus die Flotte verstärkte, hätte er wie einen Bruder willkommen heißen sollen.

Als er in der Messe das magere Essen hinuntergewürgt hatte, wäre er beinahe an jedem Happen erstickt, weil er sich vorstellte, wie Bolitho mit dem Admiral eine Mahlzeit verspeiste, die ein Flaggschiff im Hafen auftischen konnte: Geflügel, frisches, mageres Schweinefleisch, vielleicht sogar Röstkartoffeln. Der Ort war für Herrick unwesentlich, wenn es um gute heimische Kost ging.

Jetzt merkte er, daß man Bolitho nichts angeboten hatte, und ihn durchdrang das gleiche Gefühl von Beschämung und Mitleid, das er seinerzeit für Okes empfunden hatte. Ein Schimpf, den man Bolitho antat, war eine Beleidigung jeden Mannes an Bord, doch den Kapitän traf es am meisten. Es war so ungerecht, so vorsätzlich grausam, daß Herrick sich nicht beherrschen konnte.

«Aber, Sir, hat der Admiral Ihnen nicht gratuliert?«Er suchte nach Worten, als Bolitho sich zu ihm umwandte.»Nach allem, was Sie für das Schiff getan haben?»

«Schönen Dank für Ihre gute Meinung, Herrick. «Die Maske lockerte sich für einen Augenblick.»Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wir müssen geduldig sein. «Es lag weder Bitterkeit noch Herzlichkeit in der Antwort.»Im Krieg bleibt wenig Zeit für eine Verständigung von Mensch zu Mensch. «Er machte kehrt.»Sobald wir unter Segel sind, pfeifen Sie zur Gefechtsübung an den Kanonen. «Er verschwand im Kajütniedergang. Herrick sah sich niedergeschlagen um.

Vibart hatte also recht behalten. Die Phalarope war ein gezeichnetes Schiff und würde es bleiben.

Der Steuermann kam nach achtern.»Boot legt von der Cassius ab, Sir.»

In Herrick keimte Ärger auf. Es war alles so sinnlos, so dumm.»Es wird Botschaften bringen. Lassen Sie eine Wache am Fallreep aufziehen. »

Er war noch immer verärgert, als ein liebenswürdiger Leutnant an Bord kam, seinen Hut lüftete und neugierig über das Deck blickte, als erwarte er eine Art Schauspiel zu sehen.

«Nun?«fragte Herrick unmutig,»haben Sie alles gut in Augenschein genommen?»

Der Offizier lief rot an.»Entschuldigen Sie, Sir. Ich hatte etwas ganz anderes erwartet. «Er reichte Herrick einen dicken Leinwandumschlag.»Befehle für Kapitän Bolitho von Sir Robert Napier, Konteradmiral der britischen Flotte.»

Nach dem kleinen Wortwechsel klang das so förmlich, daß Herrick lächeln mußte.»Danke. Ich werde sie sofort nach achtern bringen. «Er musterte das gebräunte Gesicht.»Wie steht es hier draußen?»

Der Offizier zuckte mit den Schultern.»Ein hoffnungsloses

Durcheinander. Zu viel See und zu wenig Schiffe. «Er wurde ernst.»St. Kitts ist belagert, und oben im Norden vereinigen sich die Rebellen. Alles hängt davon ab, wieviel die Franzosen einsetzen können.»

Herrick drehte den dicken Umschlag in den Händen und fragte sich, ob er jemals selbst Befehle öffnen würde, als Kommandant eines eigenen Schiffes.

«Wenn alle Kaperschiffe so gut sind wie das, mit dem wir einen Strauß auszufechten hatten, wird es ein harter Kampf werden. «Herrick sah den anderen unverwandt an, spähte nach einem Zeichen des Zweifels oder der Belustigung.

Aber der Leutnant sagte unbewegt:»Wir haben von der Geschichte mit der Andiron gehört. Unverständlich, daß sie Ihnen entwischen konnte. Ich hoffe, Sie haben die Möglichkeit, die Scharte auszuwetzen. So wie der abtrünnige John Paul Jones mit uns Katz und Maus spielt und unsere Verbindungslinien stört, steht zu erwarten, daß andere seinem Beispiel folgen werden.»

«Ich verstehe nicht, warum man es Kapitän Masterman als Schande anrechnet, daß er sein Schiff im Kampf verloren hat.»

«Ach, das wissen Sie nicht?«Der Offizier senkte die Stimme.»Sie stand gleichzeitig mit zwei französischen Fregatten im Kampf. Auf dem Höhepunkt des Gefechts wurde die Andiron von einem amerikanischen Offizier angerufen. Er forderte die Mannschaft der Andiron auf, auf seine Seite überzuwechseln.»

«Und so kam es auch?«Herrick stand der Mund offen.

«Genauso. «Der andere nickte.»Den Franzosen hätten sie sich nie ergeben. Aber bei diesem Amerikaner klang es nach einem neuen Leben, was riskierten sie also? Und selbstverständlich werden sie nun um so besser kämpfen — gegen uns. Jeder Mann weiß, daß es Auspeitschung und Galgen bedeutet, wenn er gefangengenommen wird.»

«Wie lange lief die Andiron unter unserer Flagge?»

«Das weiß ich nicht genau. Etwa zehn Jahre, glaube ich. «Er sah, wie es hinter Herricks Stirn arbeitete, und fügte hinzu:»Halten Sie Ihre Leute also scharf im Auge. Hier draußen, Tausende von Meilen fern von England und von Feinden des Königs umgeben, spielen Gefühle eine große Rolle, was die Loyalität der Männer anlangt. «Und er setzte beziehungsvoll hinzu:»Vor allem auf einem Schiff, wo sich Unruhe bereits eingeschlichen hat.»

Vibart kam vom Hauptdeck heran, und der Offizier brach ab. Er grüßte und sagte förmlich:»Ich habe fünfundzwanzig Mann für Sie im Kutter, Sir. Ersatz für die Gefallenen. «Vibart blickte ins Boot hinab, während die Leute der Phalarope die neuen, hager aussehenden Männer musterten.

Der Offizier sagte hastig:»Ich habe bereits zuviel geredet, Kamerad. Aber diese Leute sind Ausschuß. Fast alle haben das eine oder andere auf dem Kerbholz. Meines Erachtens geht es Sir Robert mehr darum, sie und ihr schlechtes Beispiel loszuwerden, als darum, Ihrem Kapitän zu helfen. «Er blickte kurz zu Cassius hinüber und danach auf sein wartendes Boot. Dann flüsterte er abschließend:»Sir Robert beobachtet alles. Ohne Zweifel wird es bald allgemein bekannt sein, daß ich mich zehn Minuten unterhalten habe — mit Ihnen.«. Damit eilte er fort.

«Wir werden die Leute sofort einweisen, Mr. Herrick«, sagte Vibart mit gerunzelter Stirn.»Sicher will der Kapitän, daß sie genauso eingekleidet werden wie der Rest seiner kostbaren Mannschaft. «Er verzog das Gesicht.»Meiner Meinung nach passen dreckige Lumpen besser zu ihnen.»

Herrick folgte Vibarts verärgertem Blick und fühlte sich noch bedrückter. Diese Männer waren nicht frisch gepreßt. Es waren abgehärtete Berufsseeleute, und zu jeder anderen Zeit wären sie ihr Gewicht in Gold wert gewesen. Doch jetzt. . Während der Steuermann und Fähnrich Maynard sie nach Dienstalter ordneten, standen sie müßig und unverschämt da und verfolgten alles mit der Arroganz wilder Tiere. Flüche und Hiebe würden diese Sorte nicht beeindrucken, dachte Herrick. Selbst Auspeitschen würde sie kaum verändern.

«Warten wir ab, wie der Kapitän mit diesem prächtigen Haufen fertig wird«, murmelte Vibart.

Herrick schwieg. Er konnte sich die Schwierigkeiten vorstellen, die sich mit jeder Stunde höher auftürmten. Trennte der Kapitän diese Unruhestifter vom Rest der Mannschaft, würde er den Respekt verlieren, den er gewonnen hatte. Tat er es nicht, konnte ihr Einfluß im Logis Verheerungen auslösen.

Herrick stellte sich plötzlich vor, wie es auf der Andiron ausgesehen haben mußte, als Kapitän Mastermans Mannschaft zum Feind überging. Er starrte über das sonnige Achterdeck. Trotz der Hitze fröstelte es ihn bei dem Bild, das er sich ausmalte: er, plötzlich allein, auf einem Schiff, dessen bisher disziplinierte und loyale Matrosen Fremde und Meuterer geworden waren.

Fähnrich Maynard beobachtete ihn besorgt:»Signal, Sir. Flaggschiff an Phalarope. Vervollständigen Sie Ausrüstung. Segeln Sie dann sofort.»

Herrick sagte:»Bestätigen Sie das, Mr. Maynard. «Er blickte über die Reling, erst auf die Seeleute, die die Frischwasserfässer übernahmen, dann zu dem hochmastigen Flaggschiff.»Du Bastard«, murmelte er.»Kann dir nicht schnell genug gehen, wie?»

Die Freiwache kletterte murrend und fluchend über die verschiedenen Niedergänge ins Zwischendeck. Licht und Luft erhielt es durch die mittleren Luken. Es waren mehrere Windführungen aus Segeltuch ausgespannt worden, um das überfüllte Logis besser zu lüften. An jedem der geschrubbten Tische saßen Leute. Einige besserten Kleidungsstücke aus. In dem spärlichen Licht beugten sich die Köpfe tief über Nadel und Faden. Manche schnitzten kleine Schiffsmodelle, und andere spannen mit ihren Gefährten bloß Seemannsgarn.

Die Spekulationen und Gerüchte verstummten, als ein paar der neuen Männer einen Niedergang herabtrampelten, gefolgt von Belsey, dem wachhabenden Maat. Die Neuen waren eingewiesen worden und hatten unter der Deckspumpe die vorgeschriebene Dusche genommen. Jetzt blinzelten sie in das Halbdunkel, und ihre nackten Körper hoben sich bleich von den dunklen Planken der Bordwand ab. Jeder trug seine paar Habseligkeiten und hatte ein neues Hemd und eine zusammengerollte Hose unter dem Arm.

Belsey wirbelte mit seinem Stock und wies zum Ecktisch, von dem aus Allday und Old Strachan die Prozession wortlos beobachteten.»Ihr zwei«, bellte er,»ihr kommt in diese Messe, verstanden?«Sein Blick drang in die finsterste Ecke des Logis.»Eure Wache und eure Stationen kennt ihr, also macht's euch hier bequem und tut eure Pflicht. «Er hob die Stimme.»Zeigt den Neuen, wo sie ihre Hängematten zurren können, und dann macht hier sauber. «Er rümpfte die dicke Nase.»Sieht ja wie ein Schweinestall aus hier unten.»

Einer der beiden Neuen warf sein Bündel auf den Tisch und sah zu Old Strachan und den anderen hinunter. Er war groß, sehr muskulös, und dichtes dunkles Haar bedeckte seine breite Brust. Offenbar machte ihm weder seine Nacktheit noch Belseys scharfer Ton etwas aus.

«Ich heiße Harry Onslow, Leute«, sagte er gelassen. Und mit einem Blick über die Schulter:»Und das ist Pook, auch ein guter Mann von der Cassius.«Er spie den Namen des Flaggschiffs geradezu aus, und der dicht neben ihm wartende Belsey trat an den Tisch.

«Hört zu, Leute. «Seine Augen glitten böse von einem zum anderen.»Glaubt nicht, daß ihr einen ordentlichen Burschen dazubekommen habt. «Er grinste kurz.»Mach doch mal kehrt, Onslow. «Er schwenkte drohend seinen Stock.»Laß dich doch mal ein bißchen beleuchten.»

Onslow drehte sich gehorsam um, so daß ein schwacher Sonnenschimmer auf seinen Rücken fiel. Die dicht gedrängten Matrosen stöhnten auf, und Belsey sagte kalt:»Seht es euch gut an, ehe ihr anfangt, auf solche Brüder zu hören.»

Alldays Lippen verzogen sich, als er Onslows zerschlagenen Rücken sah. Er konnte sich nicht vorstellen, wie oft Onslow ausgepeitscht worden war, aber daß er es überlebt hatte, war ein Wunder.

Über den ganzen Rücken, vom Nackenansatz bis zur Hüfte, zogen sich Narben und Striemen, deren weiße Ränder sich widerlich von dem Braun der Arme und Beine abhoben.

Ferguson blickte weg, sein Mund zitterte.

Selbst Pochin, Zeuge mancher harten Auspeitschung, sagte heiser:»Da, Mann, zieh dein Hemd an.»

Pook, der andere Neue, war dünn und sehnig. Auch sein Rücken zeigte die Klauenspuren der neunschwänzigen Katze, doch verglichen mit Onslow war es nichts.

Belsey, von den anderen neuen Matrosen gefolgt, schlenderte davon.

Onslow zog sich das Hemd über und schüttelte die sauberen, neuen Hosen glatt. Dann sagte er ruhig:»Was ist los mit eurem Kapitän? Will er, daß seine Leute geschniegelt aussehen?«Er sprach mit lässigem Norfolkakzent; der Schreck, den seine Narben ausgelöst hatten, berührte ihn augenscheinlich durchaus nicht.

«Ja, er ist anders«, sagte Ferguson schnell.»Er wollte nicht zulassen, daß Betts ausgepeitscht wurde. «Er versuchte zu lächeln.»Auf diesem Schiff hast du es besser, Onslow.»

Onslow musterte ihn ausdruckslos.»Wer hat dich denn gefragt?»

«Alle Kapitäne sind Schweine. «Pook stieg in seine Hose und schnallte sich ein gefährlich aussehendes Messer um.»Auf der Cassius haben wir die Nase voll bekommen.»

«Betts?«fragte Onslow.»Was war mit ihm los?»

«Er hat einen Vorgesetzten angegriffen. «Pochin blickte nachdenklich vor sich hin.»Kapitän Bolitho ließ ihn nicht auspeitschen.»

«Und wo ist er jetzt?«Die dunklen Augen Onslows blinzelten nicht.

«Tot. Ging mit der Großbramstenge über Bord.»

«Na also. «Onslow stieß Ferguson von der Bank und pflanzte sich auf dessen Platz.»Hat ihm also nicht viel geholfen, wie?»

Old Strachan wickelte seine Schnitzerei in ein Stück Segeltuch und sagte unbestimmt:»Aber Ferguson hat recht. Kapitän Bolitho hat versprochen, daß er uns gerecht behandelt, wenn wir uns anstrengen. - Bald gehen wir an Land. «Er schielte zur Luke.»Wenn ich bloß dran denke: ein Spaziergang über die grünen Hügel und vielleicht auch 'nen Tropfen von freundlichen Eingeborenen.»

Ferguson versuchte es noch einmal, als müsse er jemandem vertrauen, um nicht verrückt zu werden.»Und Mr. Herrick hat mir versprochen, daß er für mich einen Brief auf das nächste nach England bestimmte Schiff schafft. Damit meine Frau weiß, daß ich noch lebe und gesund bin. «Er sah erbärmlich aus.

«Du kannst lesen und schreiben, Kleiner?«Onslow studierte ihn ruhig.»Du könntest mir sehr nützlich sein.»

Allday lächelte in sich hinein. Lärm und Stimmen füllten wieder die Messe. Vielleicht hatte Ferguson recht, und es wurde von jetzt an besser. Er hoffte es, und wenn auch nur, damit Ferguson zur Ruhe kam.

Pochin fragte erbittert:»Wofür bist du so ausgepeitscht worden, Onslow?»

«Ach, das Übliche. «Onslow beobachtete noch immer Ferguson, er war tief in Gedanken.

«Er schlug einen Obermaat«, sagte Pook, um sich einzuschmeicheln.»Und davor hat er — »

Onslows Mund öffnete und schloß sich wie eine Falle.»Hör auf! Was von jetzt an geschieht, darauf kommt's an. «Und wieder ruhiger:»Ich war noch ein Junge, als ich vor zehn Jahren rüberkam. Seit Jahren warte ich auf die Fahrt nach Hause, aber vergeblich. Ich bin von einem Kapitän zum anderen gekommen. Ich habe meine Wachen geschoben und mehr Breitseiten durchgestanden, als ich zählen kann. Nein, Leute, für uns gibt's kein Ende. Entweder machen wir mit, bis wir ins Segeltuch eingenäht werden — oder wir suchen uns unseren eigenen Ausweg und nehmen den Kurs, den die Burschen von der Andiron genommen haben.»

Alle hörten ihm aufmerksam zu. Er stand auf, sein brütendes Gesicht verriet Entschlossenheit.»Sie haben dem König den Dienst aufgesagt, um ein neues Leben zu beginnen, hier draußen oder irgendwo auf dem amerikanischen Festland.»

Strachan schüttelte den grauen Kopf.»Das ist Meuterei!»

«Du bist zu alt, du zählst nicht. «Onslows Stimme klang bissig. »Den Kapitän muß ich erst noch finden, der gerecht ist und nicht nur an Prisengeld oder Ruhm für sich selber denkt.»

In diesem Augenblick flogen Schatten über die Luken, und die Pfeifen trillerten.

«Verdammte Pfeifen!«grunzte Pochin.»Hören sie denn nie auf?»

Die Stimmen der Maaten hallten durch das Zwischendeck.»Alle Mann! Alle Mann klar zum Segelsetzen! Ankerkommando auf die Back!»

Ferguson stierte leer in das Sonnenlicht des Niedergangs. Sein Mund stand offen.»Er hat es doch versprochen. Er hat mir versprochen, daß er mir einen Brief nach Hause besorgt.»

Onslow klopfte ihm auf die Schulter.» Und er wird dir noch mehr versprechen, sollte mich nicht wundern, mein Junge. «Ohne zu lächeln, betrachtete er die anderen.»Na, Jungs, begreift ihr nun, was ich gemeint habe?»

Maat Josling erschien vor dem Niedergang.»Seid ihr taub? Rauf mit euch! Der Letzte bekommt den Tampen zu spüren.»

Die Leute kamen zur Besinnung und trampelten den Niedergang hinauf in die Sonne.

«Klar am Gangspill. «Die Befehle gellten ihnen in die Ohren.»Auf die Rahen! Setzt Bramsegel.»

Ferguson starrte außer sich zu der grünen, einladenden Insel mit den niedrigen, welligen Bergen hinüber. Allday sah es. Er spürte selber einen Kloß in der Kehle. Die Landschaft erinnerte irgendwie an das sommerliche Cornwall. Er legte Ferguson die Hand auf den Arm und sagte freundlich:»Los, Junge. Ich helfe dir hinauf.»

Vibarts dröhnende Stimme füllte die Luft.»Setzt Focksegel! An die Brassen!»

Allday erreichte die Großrahe und kletterte auf den Fußpferden zu den anderen Männern hinaus, die über der dicken Spiere lagen. Unter sich sah er das geschäftige Deck. Blickte er über die Schulter zurück, konnte er Bolithos Gestalt an der Heckreling ausmachen.

Von der Back rief Herrick:»Anker ist auf, Sir!»

Allday grub die Zehen in die Fußpferde, als sich das Segel blähte und füllte und die große Rahe schwerfällig herumschwang, damit die Leinwand den Wind fing. Das Land glitt bereits achteraus, und wenn alle Segel gesetzt und gebrasst waren, würde die Insel im Glast verschwunden sein. Vielleicht für immer, dachte er.

Загрузка...