XVIII Sieg ist Tradition

John Allday schlang das Halstuch um Kopf und Ohren und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß vom Gesicht. Vom spitz zulaufenden Bug der Fregatte aus hatte er einen unbehinderten Blick auf die Cassius. Ein Stück vor ihr konnte er Teile der oberen Takelage der Volcano ausmachen. Entschlossen kehrte er ihnen sowie den rauchumwirbelten Schiffen, auf die sie zuhielten, den Rücken und sah zu Stückmeister McIntosh hinunter, der wie im Gebet neben einer Karronade kniete.

Als Allday, von der Großrah herabgeglitten, wieder auf Deck stand, hatte ihn Brock angehalten. Wiederum hatten sie sich gegenübergestanden: Allday, der gepreßte Matrose, dessen Haut Narben zeigte, wo ihn Brocks Stock getroffen hatte, und der wegen der Verräterei und Gemeinheit eines anderen fast gehenkt worden wäre. Und der Artillerieoffizier, dessen hartes und starres Gesicht höchst selten etwas von seinen Empfindungen verriet, wenn er überhaupt welche hatte. Brock hatte mit seinem Stock zum Vorschiff gewiesen.»Dahin mit dir! Zu den Kanonaden!»

Gerade als Allday lostraben wollte, hatte Brock barsch hinzugesetzt:»Wie es scheint, habe ich mich in dir geirrt. «Es war keine Entschuldigung, lediglich eine Feststellung.»Also auf die Back mit dir, und leg dich ins Zeug. «Seine schmalen Lippen verzogen sich zur Andeutung eines Lächelns.»Mein Gott, Allday, deine Schafe würden heute auf dich stolz sein.»

Während Allday daran zurückdachte, mußte er lächeln. Dann fuhr er jedoch verblüfft herum, weil Ferguson auf ihn zuwankte. In Fergusons Augen stand helle Furcht, und er klammerte sich an die Schutznetze, als wären sie sein einziger Halt.

«Was willst du denn hier?«grunzte McIntosh.

«Ich — ich bin herbefohlen, Sir. «Ferguson fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.»Weil ich zu nichts anderem tauge.»

McIntosh widmete sich wieder der Inspektion der Taljen.»Lieber Himmel«, war alles, was er sagte.

«Achte nicht auf die Schiffe, Bryan!«Allday schob sein Entermesser in den Gürtel. Der Griff legte sich ihm warm an die nackte Hüfte.»Denke einfach nicht an sie. Duck dich hinter das Schanzkleid und tue alles, was ich mache. «Er zwang sich zu einem Grinsen.»Schöner Ausblick, den wir von hier haben.»

Ritchie, der einfältige Matrose aus Devon, fuhr mit der Hand über das Kugelgestell und fragte:»Worauf schießen wir, Mr. McIntosh?»

Der Stückmeister antwortete gereizt:»Weiß ich auch nicht, weil's der Kapitän mir noch nicht gesagt hat. Sowie ich's weiß, sag ich's dir.»

Ritchie zuckte mit den Schultern.»Wir werden die Teufel zur Hölle schicken. «Er blickte zur Cassius. »Die Froschfresser werden abdrehen und abhauen.»

Kemp, ein Mann der Geschützbedienung, meinte:»Wenn sie dich sehen, bestimmt.»

Ferguson legte die Stirn auf den Arm.»So ein Wahnsinn! Wir werden alle umkommen.»

Allday musterte ihn kummervoll. Er hat recht, dachte er. Wer kann bei einer solchen Schlacht schon davonkommen?» Wir haben April, Bryan«, sagte er dann, um ihn abzulenken.»Stell dir bloß vor, wie's jetzt in Cornwall aussieht. Die Hecken und die grünen Felder. .»

Ferguson starrte ihn an.»Um Himmels willen, wovon redest du?»

«Hast du schon vergessen«, sagte Allday gelassen,»wie es uns beinahe gegangen wäre, Bryan?«Und dann schärfer, weil er wußte, daß Ferguson kurz vor dem Zusammenbruch stand:»Denkst du noch an Nick Pochin?«Er bemerkte, wie Ferguson zusammenfuhr, setzte jedoch hinzu:»Nun, der ist tot, baumelte mit den anderen Narren an der Großrah der Cassius.»

Ferguson senkte den Kopf.»Entschuldige.»

«Du hast Angst, Bryan«, sagte Allday.»Klar, mir geht's nicht anders, und dem Kapitän höchstwahrscheinlich auch nicht.»

In diesem Moment tauchte Herrick auf und ging zu den Karronaden.»Alles klar, Mr. McIntosh?»

Der Stückmeister stand auf und wischte seine Handflächen an der Hose ab.»Aye, Sir. «Er sah den Leutnant aufmerksam an und fügte hinzu:»Das auf Mola scheint lange her zu sein, wie?»

Herricks Blicke flogen über das Hauptdeck zum überhöhten Achterdeck, wo Okes steif neben dem Kapitän stand. Würde Okes diesmal wieder versagen? fragte er sich.»Ja, in der Tat«, antwortete er.

Okes' Stimme, durch das Sprachrohr verzerrt, übertönte das Rollen der Abschüsse.»Die Luvfockbrasse noch ein Stück dichter! Mr. Packwood, notieren Sie den Mann da!»

Herrick verbarg seine Bestürzung vor McIntosh. Okes war so nervös, daß er einfach etwas sagen mußte, egal was.

McIntosh meinte trocken:»Beförderung löst nicht alle Probleme, Mr. Herrick.»

Signalflaggen stiegen zu den Rahen der Cassius hoch. Noch während Herrick hinüberschaute, hörte er Maynard rufen:»>Vorwärts zum Angriff!<, Sir. «Dann mit etwas festerer Stimme:»>In Linie bleiben!<»

Die Pfeifen schrillten.»An die Leebrassen! Schnell!»

Im selben Zeitmaß wie der schwerfällige Zweidecker wendeten die Fregatten langsam nach Südost. Herrick legte die Hand über die Augen, denn die Sonne stach durch die Lücken zwischen den Segeln. Die ihnen am nächsten segelnden feindlichen Schiffe waren kaum eine Viertelmeile entfernt. Sie fuhren in keiner erkennbaren Ordnung, hatten die Rahen jedoch herumgeholt und liefen auf das britische Geschwader zu. Die drohenden Kanonenreihen lagen in tiefem Schatten, als der mächtige Dreidecker leicht an den Wind ging. Die Schlepptrosse war gekappt worden. Das führende Linienschiff, der Last ledig, krängte schwach in der Brise, der

Kommandantenwimpel zeigte direkt auf die Cassius.

Herrick war die Kehle wie zugeschnürt.»Machen Sie weiter, Mr. McIntosh. Ich muß mich um meine Pflichten kümmern. «Er zwang sich, langsam zum Hauptdeck hinabzusteigen. Als er an einer offenen Luke vorüberkam, neben der sich ein Seesoldat auf seine Muskete stützte, sah er das grinsende Gesicht des Arztes.»Auf Ihr Wohl, Mr. Herrick!»

Ellice schwenkte einen Humpen.

Es gab Herrick einen Stich.»Zum Teufel mit Ihnen, Tobias!«rief er wütend.»Mich kriegen Sie heute nicht unter Ihr verdammtes Messer. »

Einige Leute vom benachbarten Geschütz kicherten.»Recht so, Sir. Geben Sie's ihm!»

Herrick nahm seine Position in der Decksmitte ein. Farquhar stand unterhalb des Achterdecks. Er war blaß, wirkte aber gesammelt. Herrick nickte ihm zu, doch Farquhar schien es nicht zu sehen. Plötzlich ertönte ein Krachen und Dröhnen, das alle überraschte, obwohl jeder darauf vorbereitet war. Ihm folgte sofort eine ungleichmäßige Salve, und gleich darauf eine zweite.

«Eintragung ins Logbuch, Mr. Proby. Wir haben Feindberührung. «Bolithos Stimme wurde undeutlich, als er sich umdrehte.»Kappen Sie die Beiboote, Mr. Neale. Bei diesem erbärmlichen Wind wirken sie wie ein Treibanker.»

Herrick sah auf seine Hände hinunter. Sie zitterten nicht, doch es kam ihm vor, als habe er keine Sehne, keinen Muskel unter Kontrolle. Vor seinem geistigen Auge sah er die Beiboote der Phalarope achteraus treiben und dachte an Bolithos Ansprache an die Mannschaft: >. . und unter uns tausend Faden Wasser!< Er zuckte zusammen, denn eine weitere Breitseite ließ die Planken unter seinen Füßen erbeben. Tausend Faden tief, und jetzt nicht mal mehr ein Rettungsboot für die Überlebenden.

Herrick sah hoch. Bolitho war an die Querreling zurückgekommen und schaute zu ihm herunter. Er sprach kein Wort, lächelte ihm aber einen Augenblick zu, als wollte er ihm damit eine persönliche Botschaft übermitteln, ehe er rief:»Mr. Neale, rennen Sie nicht so. Oder haben Sie vergessen, daß unsere Leute Sie heute beobachten?»

Herrick wandte sich ab. Das konnte ebensogut ihm gegolten haben. Diese Entdeckung beruhigte ihn merkwürdig. Er ging zur Backbordbatterie und betrachtete die Reihe der Kanonen. In ein paar Minuten würden sie feuern. In ein paar Minuten. Er musterte die Gesichter der Bedienungsmannschaften und kam sich plötzlich erbärmlich vor.

«Na, Jungs, das ist besser als Übungen und Geschützdienst, wie?»

Zu seiner Überraschung lachten sie über seinen dummen Witz, und obwohl sich ihm der Magen zusammenzog, brachte er es fertig, mitzulachen.

Bolitho spähte durch das gleißende Sonnenlicht über die Luvreling. Die vor der Phalarope laufende Cassius hielt den Kurs, aber die dem Verband voraussegelnde Volcano brach die Formation und scherte nach Backbord aus, als zwei französische Fregatten auf sie zuhielten.

«Die ist erledigt«, stieß Rennie hervor.»Denn beistehen können wir ihr nicht.»

Die Wasseroberfläche flimmerte, als die Stückpforten der Volcano eine krachende Breitseite entließen, Kanone nach Kanone feuerte schnell hintereinander, jede sorgfältig gezielt. Doch die beiden französischen Fregatten stießen, unbeirrt und mit Windvorteil, von zwei Seiten auf die Volcano zu.

«Sie luvt an«, keuchte Proby.

Bolitho atmete schwer. Kapitän Fox war kein Narr, sondern tatsächlich so gerissen wie ein Fuchs. Während die zwei feindlichen Fregatten heranfegten, um ihr den Todesstoß zu versetzen, schwang die Volcano lässig in den Wind. Das der Volcano nächste französische Schiff bemerkte seinen Fehler ein paar Sekunden zu spät. Während die Rahen herumschwangen, traf es eine volle Salve der Volcano. Das französische Schiff taumelte, als habe es einen tödlichen Schlag erhalten. Über das Wasser klang zu Bolitho das Geräusch herabprasselnder Spieren herüber und das Rumpeln über das Deck rutschender Kanonen. Ansonsten verbarg der wogende Pulverqualm alles. Doch darüber sah Bolitho die Flagge der Volcano und alle ihre Masten. Sie standen noch.

«Signal vom Flaggschiff, Sir: >Zum Flaggschiff aufrückenVolcano, die den Franzosen den Windvorteil abgewann. Die Cassius hielt direkt auf den feuerstarken Zweidecker mit der

Kommandantenflagge zu. Sie würde alle Unterstützung brauchen, die sie bekommen konnte. Fox mußte eine Weile sehen, wie er allein fertig wurde.

«Einen Strich nach Steuerbord!«Bolitho lief zur Reling. Er beugte sich weit vor und sah die Segel des Linienschiffes, das auf das britische Flaggschiff zuhielt. So mußten sie längsseits aneinander vorbeilaufen. Er rief zum Hauptdeck hinab:»Achtung, Mr. Herrick!»

Da brüllte Okes:»Der Franzose ändert den Kurs, Sir!«Er trat vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen.»Verdammt, Sir, er schert vor den Bug der Cassius. »

Entweder wollte der französische Kapitän einem Artillerieduell, Kanone gegen Kanone, aus dem Wege gehen, oder er beabsichtigte, den Bug und die Masten der Cassius zu bestreichen, während er ihren Kurs kreuzte. So oder so, er hatte seine Rechnung ohne die Zusatzsegel gemacht, die Admiral Napiers ältliches Flaggschiff beschleunigten. Statt aneinander vorbeizukommen, kollidierten die beiden schweren Schiffe am Bug im rechten Winkel. Ineinander verhakt, eröffneten sie das Feuer. Der Keil Wasser zwischen ihnen kochte und brodelte unter dem Feuerschein und dem schwarzen Rauch.

Erstarrt beobachtete Bolitho, wie der Vormast und die Groß-bramstenge der Cassius betrunken schwankten und dann in den alles verhüllenden Rauch und Pulverqualm hinabstürzten. Spieren zerfetzten die Leinwand und rissen die Leute aus der Tageklage.

Eine neue Breitseite zerriß die Luft. Bolitho wußte, daß die Vorschiffkanonen der Cassius und die des Feindes nur ein paar Fuß voneinander entfernt waren. Trotzdem blieben die Schiffe ineinander verklammert. Der zersplitterte Bugspriet und der zerschmetterte Klüverbaum eines jeden hatte sich in den Rumpf des anderen verbissen wie die Hauer zweier furchtbarer Bestien aus einem Albtraum.

Bolitho legte die Hände trichterförmig um den Mund.»Beide Karronaden nach Steuerbord. «Er winkte Proby zu.»Wir wollen uns hinter das Heck des Franzosen setzen. «Er duckte sich, denn eine Kugel pfiff über ihn hinweg und fetzte ein gezacktes Loch in das Besansegel. Ein Irrläufer der Giganten, aber deshalb nicht weniger tödlich. Die Leute um ihn herum husteten und wischten sich die Augen, denn der Rauch zog jetzt auch über die Decks der Phalarope.

Der Rudergänger fluchte, als die zerrissenen Segel der Cassius plötzlich wie ein Phantom über dem Qualm auftauchten. Aus der Stellung der Masten des Flaggschiffs sah Bolitho, daß er auf dem richtigen Kurs war. Der Rauch verschlang von neuem alles. Die Geschütze blitzten in doppelter Linie auf. Beide Schiffe feuerten aus allen Rohren im Direktschuß. Bolitho hörte die Schiffsrümpfe gegeneinanderknirschen. Die Schreie der Verwundeten und Sterbenden mischten sich mit dem unglaubhaften Klang der Trommel- und Pfeifenabteilung des Admirals. Unmöglich zu sagen, was sie spielten, oder wie man bei einem solchen Inferno, das nach jedem Leben griff, auf eine Melodie achten konnte.

Doch Bolitho rief:»Ein Hurra, Jungs! Eine Hurra dem Flaggschiff! »

Musketen knallten, und Bolitho hörte die Kugeln in das Schanzkleid schlagen und gegen die Neunpfünder jaulen.»Scharfschützen!«bellte Rennie.»Schießt die Schweine ab!«Aus der Takelage knallte eine Salve.

Der Wind schien sich gänzlich gelegt zu haben. In dem undurchdringlichen Rauch ließen sich allerdings weder Geschwindigkeit noch Entfernung abschätzen. Da zeichnete sich plötzlich das Heck des Zweideckers im Qualm ab. Wie eine Klippe hing es reich verziert über dem Steuerbordbug der Phalarope. Aus den Heckfenstern blitzte Musketenfeuer. Die Scharfschützen zielten auf die Back der Phalarope.

Bolitho hämmerte auf die Reling. Er achtete weder auf die pfeifenden Kugeln noch auf die Schreie vom Vorschiff. Er stellte sich das untere Kanonendeck des Feindes vor. Klar zum Gefecht gemacht, reihte sich von vorn bis achtern eine Kanone an die andere. Bolitho war als Fähnrich auf einem Linienschiff gefahren. Er wußte, daß mehr als dreihundert Mann die Kanonen bedienten, gebückt im Halbdunkel und halb erstickt durch den beißenden Qualm. Mannschaften, die mit ihren Kanonen vertraut waren, doch nicht allzu genau zielten.»Die Karronaden, Mr. McIntosh! Feuern, wenn wir das Heck kreuzen.»

Rennie grinste und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.»Das wird ein paar umlegen, Sir.»

Das Kampfgetöse wurde von dem Krachen eines stürzenden Mastes und dem Pfeifen herabsausender Takelage übertönt. Bolitho biß sich auf die Lippen. Die Cassius war ein sehr altes Schiff. Noch viele solcher Treffer konnte sie nicht einstecken. Sie würde entweder auseinanderbrechen oder kämpfend untergehen. Er fragte sich, was aus der Volcano und dem angeschlagenen Dreidecker geworden sein mochte. Wenn er in der Lage war, ebenfalls einzugreifen, mußte alles in ein paar Minuten vorüber sein. In seinem untersten Kanonendeck stand ein Zweiunddreißigpfünder neben dem anderen. Eine solche Kugel schmetterte noch auf äußerste Entfernung durch feste Eichenbohlen von zweieinhalb Fuß. Bolitho wagte nicht daran zu denken, was dann mit den schwachen Planken der Phalarope geschehen würde.

«Klar zum Schuß, Sir!«brüllte McIntosh wie ein Verrückter.

Bolitho zog den Degen.»Einen Strich nach Backbord, Mr. Proby. «Er wartete, bis der Klüver flatterte. Der Degen sauste herab.»Feuer!»

Beide Karronaden feuerten fast gleichzeitig. Herrick spürte, wie das Deck unter ihm erbebte. Als der Qualm der Abschüsse fortwirbelte, schaute er zum Heck des Franzosen hinüber und vergaß einen Augenblick die ringsum wogende Schlacht. Noch vor wenigen Sekunden, als das Heck aus dem Qualm auftauchte, hatte er die breiten Kajütenfenster mit den lebensgroßen Figuren zu beiden Seiten gesehen, vollbrüstige Seejungfrauen, jede mit einem Dreizack. Zwischen ihnen stand auf einem breiten Schild in Rot und Gold der Name: Ondine. Das Schiff war ihm machtvoll und unzerstörbar vorgekommen. Doch nun, als der Rauch der Karronadenabschüsse abgezogen war, wirkte das Heck durch die gezackten Einschlußlöcher wie die brandige Pforte zu einer vom Feuer zerfressenen Höhle. An den Schrecken und das Chaos drinnen konnte er nur kurz denken, denn ein Windstoß füllte die Segel der Phalarope. Das Deck krängte, und mit hart gelegtem Ruder schwang sie in engem Bogen um das Backbord-Achterdeck des feindlichen Schiffes.

«Achtung!«Herricks Augen glitten über die kauernden Stückmeister.»Feuer aus allen Rohren!»

Die ersten Kanonen der Steuerbordbatterie feuerten auf einmal, die anderen folgten ungleichmäßiger, wie die

Abzugsleinen nacheinander gezogen wurden. Die Doppelladungen donnerten in den dicken Rauch längsseits, und ein paar Leute riefen Hurra. Doch der durch die Stückpforten zurückwirbelnde Pulverqualm erstickte die Rufe, und sie fluchten.

«Nachladen!«brüllte Herrick.»Nachladen und ausrennen!«Die Phalarope glitt in kaum zwanzig Fuß Entfernung neben dem Franzosen vorbei; Herrick sah die dicht gedrängten Köpfe über dem hohen Schanzkleid und das Mündungsfeuer der Gewehre, die aus der Takelage auf die Phalarope schossen. Doch das untere Kanonendeck mit seiner Reihe mächtiger Geschütze blieb stumm. Kein einziger Schuß kam von dort als Antwort. Die Ladung der Karronaden mußte dort alles niedergemäht haben.

Aber Herrick sah auch, daß sich die Kanonen des Oberdecks wieder durch die Stückpforten schoben. Beinahe sofort feuerte die gesamte Oberdeckbatterie eine betäubende Breitseite. Herrick taumelte zurück. Das Krachen der Kanonen und das dämonische Heulen der Kugeln, die über ihn hinwegjaulten, lahmten ihn fast. In die auf Bolithos Befehl über dem Hauptdeck ausgespannten Netze regneten Holzstücke, Blöcke, zerfetzte Teile der Takelage und ganze Streifen geschwärzter Leinwand. Doch zu Herricks Verwunderung hatte die schlechtgezielte Breitseite nichts getroffen, was die Manövrierfähigkeit der Phalarope beeinträchtigt hätte. Kein Mast war gestürzt, keine Spiere gebrochen. Hätte die untere Batterie gefeuert, sagte Herrick sich, wäre die Steuerbordwand der Phalarope mit allen Stückpforten jetzt total zerschmettert.

Die Stückmeister brüllten wie die Teufel:»Ausrennen! Legt euch in die Taljen! Zurück!«Dann rissen sie die Abzugsleinen, und die Kanonen rumpelten durch den Rückstoß so weit nach hinten, wie die Taljen es erlaubten.

Ein Gewehr knallte neben Herrick auf die Planken. Er starrte nach oben und blickte in die gebrochenen Augen eines Seesoldaten, den ein feindlicher Scharfschütze vom Großmast geholt hatte, und der ins Netz gestürzt war. Er vergaß den Seesoldaten sofort, denn Schrecklicheres erforderte seine Aufmerksamkeit. Im Rauch sah er plötzlich den Besanmast der Ondine, der sich wie ein gefällter riesiger Baum neigte. Es war unmöglich, aber es geschah: Mast, Marsstenge und Bramstenge samt Leinwand und laufendem und stehendem Gut hingen eine Sekunde wie in starkem Wind in der Luft. Unter den Schreckens- und Verzweiflungsschreien der in den Wanten verstrickten Matrosen senkte er sich und stürzte quer über das Achterdeck der Phalarope. Ihr Rumpf erzitterte, als wäre die Fregatte auf ein Riff gelaufen. Herrick rannte nach achtern zum Niedergang und merkte, daß die Phalarope vom Flaggenknopf bis zum Kiel bebte und langsam nach Steuerbord schwoite. Der gefällte Mast verklammerte beide Schiffe durch eine feste Brücke miteinander. Während eine neue Musketensalve fußlange Splitter aus den Planken riß, kämpfte sich Herrick den Niedergang hinauf.

Das Achterdeck bot ein Bild der Zerstörung. Eine Rah war mitten in Rennies Seesoldaten geschlagen. Herrick kehrte dem Entsetzen den Rücken, als Sergeant Garwood brüllte:»Achtung, kümmert euch jetzt nicht um die Verwundeten!«Er musterte die Reste seiner Abteilung.»Gebt Schnellfeuer auf das Heck!«Eine Rauchwolke verschluckte ihn, denn die Kanonen der Fregatte feuerten von neuem. Die Kugeln krachten in den Rumpf der Ondine, der an der schmälsten Stelle etwa zehn Fuß entfernt war.

Herrick zwängte sich an den Seeleuten vorbei, welche die französische Takelage kappten, und kniete sich neben Bolitho. Zuerst meinte er, den Kapitän habe eine Musketenkugel getroffen, doch als er ihm den Arm unter die Schulter schob, öffnete Bolitho die Augen und setzte sich auf. Er blinzelte in Herricks besorgtes Gesicht und sagte dann:»Lassen Sie weiterfeuern, Mr. Herrick!«Er sah zum längsseits liegenden feindlichen Schiff hin und kämpfte sich auf die Füße.»Wir müssen jeden Enterversuch vereiteln. «Er griff nach seinem Degen und rief heiser:»Kappt die Wrackstücke. Wir müssen klarkommen.»

Okes stolperte durch den Rauch, Hose und Rock blutbespritzt. Sein Gesicht schien bloß aus Augen zu bestehen. Er rief etwas, aber Herrick hörte es nicht. Bolitho machte eine Bewegung mit dem Degen.»Mr. Okes, nehmen Sie die Leute von der Backbordbatterie und bereiten Sie alles vor, um Enterer zurückzuwerfen. «Er schüttelte den Leutnant wie einen Hund.»Haben Sie gehört, verdammt noch mal?»

Okes nickte heftig. Ein Speichelfaden lief ihm über das Kinn.

Bolitho stieß ihn zum Niedergang, doch Herrick sagte hastig:»Ich werde es übernehmen, Sir.»

«Nein, das werden Sie nicht!«Bolitho blickte sich wild um.»An Ihre Kanonen! Lassen Sie feuern. Das ist unsere einzige Chance.»

Im selben Augenblick meldeten sich die Kanonen der Ondine wieder. Herrick wich zurück, als ihm die Salve wie ein Gluthauch das Gesicht versengte.

Die Matrosen, die eben noch die Wanten des auf die Phalarope gestürzten Besan gekappt hatten, waren jetzt nur noch eine zu Brei zermalmte Masse, hinter der ein Loch im Leeschanzkleid klaffte.

Bolitho brüllte Herrick ins Ohr:»Das nächste Mal kommen wir nicht so glimpflich davon!»

Herrick rannte den Niedergang hinunter. Er sah nicht nach rechts oder links, als der Rumpf der Fregatte durch weitere schwere Einschüsse wie unter wuchtigen Hammerschlägen erzitterte. Er lief durch den Pulverqualm, die Augen tränten ihm, und seine Kehle war wie ausgedörrt. Er rief den pulvergeschwärzten Geschützbedienungen Ermunterungen zu, die aber unbeachtet blieben.

Farquhar packte Herrick beim Arm.»Wir werden nie rechtzeitig klarkommen. «Er deutete auf das untere Kanonendeck der Ondine. »Die schweigen nicht ewig.»

Herrick gab keine Antwort. Der Wind stand zum Feind. Und da der gestürzte Mast das Achterdeck der Phalarope festhielt, schwoite ihr Bug auf den Rumpf der Ondine zu. Durch den Rauch sah er, wie Matrosen des Zweideckers nach vorn rannten, auf den Punkt zu, wo die Schiffe zusammenprallen würden. Die durch den Qualm dringenden Sonnenstrahlen blitzten auf erhobenen Waffen.

Herricks Blick fiel auf Okes, der sich, den Säbel noch immer in der Scheide, nach vorn tastete.»Gehen Sie mit, Mr. Farquhar«, sagte er.»Er scheint nicht ganz in Ordnung zu sein.»

Farquhars Augen funkelten kalt.»Ist mir ein Vergnügen.»

Herrick sprang zurück, denn ein Teil der Steuerbordgangway wirbelte zersplittert gen Himmel. Einer der Zwölfpfünder kippte mit einem Ruck seitlich um. Ein Matrose schrie gellend, als ihm ein abgetrennter Kopf vor die Füße flog, ein anderer, durch fliegende Holzsplitter geblendet, rannte davon.

«Bringt sie nach unten!«rief Herrick, hörte aber zugleich, daß die Pumpen zu arbeiten begannen. Unter Deck war die Gefahr also genauso groß. Er bemühte sich, an nichts zu denken, und zwang sich, an den Kanonen entlangzugehen. Überall fielen Männer, aber ihm war klar, daß er nicht zögern durfte.»Feuert weiter, Jungs!«rief er und schwenkte den Hut.»Wenn ihr England wiedersehen wollt, dann feuert weiter!»

Die Mannschaften der nicht eingesetzten Geschütze sammelten sich auf dem Vorschiff unter den Schutznetzen. Alle waren mit Entermessern und Äxten bewaffnet. Als sich der Bugspriet der Phalarope über den Klüver des Franzosen schob, krächzte Okes:»Drauf, Jungs! Laßt sie nicht auf unsere Back!»

Einige Männer riefen Hurra und kletterten auf den Bugspriet hinaus. Andere wichen zurück, als eine Musketensalve in die Reihe der enternden Matrosen pfiff und einige kopfüber ins Wasser fegte.

Farquhar drängte:»Sie müssen sie anführen, Mr. Okes. Mein Gott, Sie verlangen Unmögliches.»

Okes drehte sich zu ihm um.»Halten Sie den Mund! Ich befehle hier.»

Farquhar musterte ihn kalt.»Bisher habe ich geschwiegen, Mr. Okes. Aber jetzt rede ich, weil wir heute höchstwahrscheinlich sowieso alle dran glauben müssen. «Eine Musketenkugel riß ihm den Hut vom Kopf, aber er zuckte nicht einmal mit der Wimper.»Sie sind ein Betrüger, ein Feigling und ein Lügner! Wenn Sie es wert wären, würde ich Sie gleich hier bloßstellen, vor den Männern, die Sie sich nicht einmal anzuführen trauen. «Er kehrte Okes, dessen Gesicht kalkweiß geworden war, den Rücken und rief:»Mir nach, ihr zerlumpten Helden!«Er schwang den Degen.»Platz für einen jüngeren Mann!»

Sie lachten wie Irre und klopften ihm auf die Schulter, als er über die Schutznetze auf den glatten Bugspriet hinauskroch. Musketenschüsse umjaulten ihn, aber die Sache war es wert. Und wenn auch nur deswegen, weil er Okes endlich gesagt hatte, was er wegen seiner Feigheit von ihm hielt.

Okes stierte zum Achterdeck. Er stöhnte auf, als ein Matrose an ihm vorbeikroch, dem ein großer Holzsplitter den Leib halb aufgerissen hatte. Bolitho stand noch immer an der Querreling, das Sprachrohr in der einen, den Degen in der anderen Hand.

Die Kapitänsuniform leuchtete in dem schwachen Sonnenlicht, und Okes bemerkte Einschläge im Schanzkleid. Verborgene Scharfschützen versuchten, den Kapitän der Phalarope zu treffen.»Ich hoffe, Sie gehen drauf!«heulte Okes.»Ich hoffe, ihr geht alle drauf!»

Schluchzend griff er nach seinem Säbel. Doch so wenig jemand die wüsten Worte beachtete, so wenig beachtete man seine Gegenwart auf der blutbespritzten Back. Er dachte an Farquhars beißende Worte und die Verachtung in seinen Augen.

«Niemals!«Er schob sich auf den Bugspriet hinaus, wo einige Männer schon mit dem Feind die Klingen kreuzten.»Ich werde es euch zeigen!«Ohne auf die Flüche und Schreie zu achten, zog er sich an einem Matrosen vorbei und hieb mit dem Säbel nach einem französischen Unteroffizier. Der Mann stierte kurz auf seine klaffende Wunde, ehe er zwischen die dicht aneinandergedrängten Schiffsrümpfe stürzte. Weiter vor! Okes stieß Farquhar beiseite, um sich auf den Feind zu stürzen.

Farquhar sah den Irrsinn in Okes Augen und versuchte, ihn zurückzuhalten. Aber es war zwecklos, denn die britischen Matrosen, durch die scheinbare Tapferkeit ihrer Offiziere mitgerissen, schwärmten zum Schanzkleid der Ondine hinüber.

Okes zischte:»Sie haben wohl Angst, Mr. Farquhar? «Er warf den Kopf zurück und lachte gellend.»Das dürfte Ihrem Onkel aber nicht gefallen!»

Farquhar parierte einen Lanzenstich und folgte Okes hinüber auf das große Deck der Ondine. Jetzt galt es einen Kampf, in dem jeder auf sich gestellt war.

Bolitho beobachtete durch den Pulverqualm, daß seine Leute von der Verteidigung zum Angriff übergingen. Ganz gleich, wer beschlossen hatte, die Ondine zu entern, er hatte die richtige Entscheidung getroffen, dachte er grimmig. Er hörte, wie sich hinter ihm die Äxte in das Gewirr der Masttrümmer bissen, und wußte, daß es der Phalarope unmöglich war, sich aus der Verklammerung zu lösen, bevor die schweren Geschütze der Ondine wieder in den Kampf eingreifen konnten.

Er ging über das Achterdeck zu Rennie.»Wir müssen sie auch von achtern entern. «Und als Rennie nickte, setzte er hinzu:»Suchen Sie sofort ein paar Männer zusammen. «Dann hörte er jemanden schluchzen und sah, daß Neale an der Leereling kniete. Fähnrich Maynard lag auf dem Rücken, ein

Arm, in die Signalleine verwickelt, zeigte nach oben. Seine Augen waren weit geöffnet, blicklos und merkwürdig friedlich. Neale hielt Maynards Hand und achtete weder auf die Abschüsse der Kanonen noch auf die Musketenkugeln, denen sein Freund schon zum Opfer gefallen war.

Bolitho zog Neale hoch. Der Junge schien dicht vor dem Zusammenbruch. Mit einem wilden Aufschrei barg er das Gesicht am Rock des Kapitäns. Er zitterte am ganzen Körper vor Kummer. Bolitho schob ihn ein Stück zurück und hob sein Kinn leicht mit dem Degengriff. Er sah ihn eine Sekunde lang fest an und sagte dann eindringlich:»Nehmen Sie sich zusammen, Mr. Neale. «Er sah den leeren Blick in Neales Augen und verdrängte die Tatsache, daß er mit einem angstgeschüttelten Dreizehnjährigen sprach, der eben seinen besten Freund verloren hatte.»Sie sind Offizier des Königs, Neale. «Und weicher:»Denken Sie daran, was ich vorhin gesagt habe. Unsere Leute beobachten Sie heute. Glauben Sie, daß Sie mir jetzt helfen können?»

Neale wischte sich die Augen mit dem Ärmel und sah zu dem am Schanzkleid liegenden Maynard hinab, dessen Arm ruckte, als der Wind an der Falleine rüttelte. Danach blickte er Bolitho an und stammelte:»Ja, Sir.»

Bolitho sah ihm nach, als er zu den schreienden Kanonieren zurückging: klein und kaum zu erkennen in Rauch und Flammen dieser furchtbaren Schlacht.

Rennie tauchte wieder auf. Über dem Auge klaffte eine Wunde.»Alles klar, Sir. «Er schwang seinen Degen.»Soll ich jetzt mit den Leuten entern?»

Bolitho blickte über das zerschlagene Achterdeck. Scheint mehr Tote als Lebende zu geben, dachte er müde. Er taumelte, denn eine Kugel krachte in den Niedergang des Achterdecks und riß die Planken auf wie ein Pflug. Er sah ungläubig, wie Proby die Hand ans Gesicht hob und mit den Fingern einen Blutstrom zu stillen versuchte. Der Steuermann torkelte gegen das Rad. Als Strachan hinzusprang, um ihn zu stützen, schlug er wimmernd hin. Seine Hände hämmerten auf die Planken. Bolitho sah, daß ihm ein Schuß das Gesicht weggerissen hatte.

«Wir müssen die Ondine nehmen«, stieß Bolitho hervor.»Wenn die Franzosen sehen, daß ihr Flaggschiff die Flagge streicht, werden sie. . «Er verstummte und blickte wieder auf

Probys Leichnam hinab. Ich habe sie alle hineingerissen, dachte er, und sein Schmerz schlug in hilflose Wut um. Dafür habe ich das Schiff und jeden Mann an Bord geopfert.

Rennie sah ihn ruhig an.»Es war die richtige Entscheidung, Sir. «Er rückte seinen Hut gerade und sagte zu seinem Sergeanten:»Na, Garwood, wie wär's mit einem kleinen Spaziergang?»

Bolitho starrte ihn an. Es war, als hätte Rennie seine Gedanken gelesen. Er sagte:»Die Cassius wird uns Schützenhilfe geben. «Er musterte die Seesoldaten, die sich jenseits von Furcht oder Angst wie wilde Tiere zum Sprung geduckt hatten.»Sie oder wir, Jungs, so steht es.»

Als die Männer mit einem Hurra antworteten, sprang er auf den umgestürzten Mast der Ondine und begann hinüber-zukriechen.

Einmal sah er ins Wasser hinunter, auf dem Holzteile und Leichen trieben, sowohl französische wie britische.

Unter äußerster Anstrengung erreichte er das Heck der Ondine. Kugeln pfiffen an ihm vorüber. Hinter sich hörte er Schreie. Einige seiner Leute stürzten hinab zu den treibenden Toten. Bolitho hackte die Reste der französischen Enternetze weg und sprang auf das Deck hinüber. Überall lagen Tote und Sterbende. Sein Blick flog zur anderen Schiffsseite und erstarrte. Die Cassius lag nicht mehr längsseits, sondern trieb ab, in den Rauch ihrer eigenen Wunden gehüllt: ein entmasteter Rumpf, bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen. Aus jedem Speigatt flossen Ströme von Blut die Bordwand hinab und färbten das Wasser rot. Es sah aus, als verblute das Schiff. Doch vom Stumpf des Besan wehte, wenn auch durchlöchert und zerfetzt, noch immer trotzig die Flagge, und während Rennies Seesoldaten brüllend über das Heck der Ondine ausschwärmten, ertönten auf dem Deck der Cassius Hurrarufe. Nicht sehr laut, denn allzuviele konnten nicht mehr mit einstimmen, Aber auf Bolitho wirkten die Rufe anspornend.

Er stürmte über das Deck und hieb, durch die Hurrarufe und die kampfwütigen Männer in seinem Rücken angetrieben, fast auf einen Streich zwei Matrosen nieder. Er sah seine erste Entermannschaft auf dem Vorschiff der Ondine, die in der Überzahl befindlichen Verteidiger hatten die britischen Enterer eingekreist und drängten sie trotz aller Gegenwehr an die Reling zurück.»Haltet stand, Männer der Phalarope!«brüllte Bolitho. Er sah, daß der Druck der Franzosen nachließ, weil sie sich umwandten, um der neuen Bedrohung zu begegnen.»Hierher, Jungs! Schlagt euch durch!»

Von der Fregatte quollen weitere Leute herüber. Im Rauch erkannte Bolitho Leutnant Herrick, der seinen Männern den Weg wies. Er drehte sich wieder um. Vorn hackte sich Okes einen Weg durch die Feinde. Sein Säbel triefte vor Blut, als er einen gellend aufschreienden Fähnrich niedermachte und auf einen Matrosen eindrang, der eine Drehbasse neben dem Achterdeck nachladen wollte. Okes blutete aus vielen Wunden. Gerade als er die Leiter erreichte, bellte die Drehbasse dumpf auf. Die geballte Kartätschenladung riß Okes wie eine Stoffpuppe hoch und schleuderte ihn leblos zwischen die Kämpfenden unterhalb der Leiter. Der Kanonier fiel eine Sekunde später, niedergestreckt durch ein Entermesser.

Dann war mit einenmal alles vorüber. Die Waffen der Franzosen klirrten auf Deck. Bolitho registrierte, daß die trotzigen Abwehrrufe in Bitten um Pardon übergegangen waren. Er wußte, daß er seine Leute jetzt nicht zurückhalten konnte, wenn sie die Schlächterei vollenden wollten. Ein unbekannter Seemann brach jedoch den Blutrausch, indem er rief:»Ein Hoch auf die Phalarope!«Seine Stimme kippte vor Freude und Jubel über.»Und ein Hoch auf ihren verrückten Alten!»

Bolitho kletterte die Leiter hinunter, vorbei an gelähmten Franzosen und zerfetzten Leibern, die wirr über- und durcheinander lagen.

«Hauptmann Rennie!«Er stand neben dem Leichnam von Leutnant Okes.»Hissen Sie unsere Flagge über der französischen. «Er merkte, daß ihm die Hände zitterten.»Alle sollen sehen, was Sie heute geleistet haben.,»

«Der Hauptmann ist gefallen, Sir«, sagte Sergeant Garwood heiser. Er entrollte die Flagge sorgsam.»Ich werde es tun.»

«Tot?«Bolitho starrte ihm nach.»Rennie auch?«Und als Herrick ihm die Hand auf den Arm legte, fragte er dumpf:»Was ist?»

«Das Schiff ist unser, Sir!«Herrick zitterte vor Erregung.»Das Kanonendeck gleicht einem Schlachthaus. Unsere Kanonaden haben mehr als. . «Er bemerkte Bolithos Ausdruck und brach ab.

«Gut, Mr. Herrick. Danke. «Bolithos Stimme bebte.»Ich danke euch allen!«Er wandte sich ab, als neue Hochrufe über das Deck schallten.

Herrick schüttelte den Kopf, er konnte es noch immer nicht fassen.»Ein Zweidecker, Sir! Welch ein Sieg.»

«Sieg ist unsere Tradition, Mr. Herrick«, entgegnete Bolitho leise. Er schien mehr zu sich selbst zu sprechen.»Sammeln Sie unsere Leute, und schicken Sie sie zurück auf die Phalarope. Die Masttrümmer sind gekappt. «Seine Augen wanderten stumpf über sein Schiff. In dem einst so schmucken Rumpf klafften große Löcher. Der Bug lag tief im Wasser. Es klang, als würden die Pumpen mit dem hereinbrechenden Wasser gerade noch fertig. Alle drei Stengen waren von oben gekommen. Die Segel flatterten in langen Streifen. In der Takelage hingen Tote, und das zerfetzte und aufgerissene Deck zeigte rote Lachen. Und jetzt hörten sie auch zum erstenmal wieder das dumpfe Grollen der großen Schlacht, noch immer weit entfernt und unpersönlich.

Bolitho gab sich einen Ruck.»Tempo, Mr. Herrick. Noch ist der Kampf nicht zu Ende. «Wenn nur die Hochrufe aufhören würden. Wenn er nur eine Sekunde allein sein könnte.

Herrick schwenkte den Arm.»Zurück zur Phalarope, Jungs. Das Wrack hier nehmen wir später in unsere Obhut.»

Bolitho ging zum Schanzkleid. Über den Streifen Wasser hinweg sah er Neale dort stehen, wo er gestanden hatte, als sie die Ondine enterten: neben dem Ruder. Er sagte:»Mein Bootsmaat soll Mr. Okes und Captain Rennie zur Phalarope hinüberschaffen. «Er sah den Wechsel in Herricks Zügen und spürte von neuem, wie Verzweiflung über ihm zusammenschlagen wollte.»Stockdale auch, Mr. Herrick?»

Herrick nickte.»Er fiel, als Sie auf dem Heck kämpften, Sir. Er hat Ihnen gegen die Scharfschützen den Rücken gedeckt. «Er versuchte zu lächeln.»Ich glaube, so hat er sich seinen Tod gewünscht.»

Bolitho sah Herrick leer an. Stockdale war tot! Und er hatte nicht einmal gesehen, wie er fiel.

Farquhar drängte sich durch. Er sah aufgeregt aus.»Käptn, Sir, die Leute vom Ausguck melden, daß unsere Flotte die französische Front an zwei Stellen gespalten hat. «Er blickte von einem blutbespritzten Gesicht zum anderen.»Rodney hat die französische Linie aufgebrochen, hören Sie nicht?»

Bolitho fühlte einen Lufthauch an der Wange. Eine leichte Brise kam auf. De Grasse war also geschlagen. Seine Augen wanderten zur schräg liegenden Phalarope hinüber. Beinahe wären ihm die Tränen gekommen. Waren alle diese Opfer nun umsonst?

Herrick zog ihn am Arm.»Sehen Sie, Sir! Da drüben!»

Der auffrischende Wind schob den Rauchvorhang beiseite, der Blick auf die kämpfenden, schwer mitgenommenen Schiffe wurde frei. Bolitho sah den Umriß des großen Dreideckers. Seine Kanonen waren noch immer ausgerannt. Kein feindlicher Treffer hatte den Anstrich verletzt, er schimmerte unverletzt. Während des Gefechts hatte der Dreidecker, zum Kampf nicht willens oder nicht fähig, dem Inferno untätig zugeschaut. Seiner schweren Bestückung war kein Brite zum Opfer gefallen.

Dennoch flatterte über der französischen Flagge des Dreideckers eine zweite. Die Flagge, die auch über der entmasteten Cassius und an Bord der Ondine flatterte, die auf der Phalarope stand und auf der siegreichen Volcano, die sich jetzt durch die letzte Rauchbank schob.

Herrick fragte trocken:»Brauchen Sie noch mehr, Sir? Der Dreidecker ergibt sich Ihnen.»

Bolitho nickte und kletterte über das Schanzkleid.»Wir wollen die Phalarope in Fahrt bringen, Mr. Herrick. Obwohl ich fürchte, daß sie nie wieder in den Kampf segeln wird.»

«Es gibt noch andere Schiffe, Sir«, sagte Herrick.

Bolitho schwang sich über das Schanzkleid der Phalarope. Auf der Gangway ging er langsam an den erschöpften, schweißüberströmten Kanonieren vorbei, die zu ihm aufsahen.»Andere Schiffe?«Er berührte die zersplitterte Reling und lächelte traurig.»Aber keins wie sie, Mr. Herrick. «Er schob den Hut nach hinten und blickte zur Flagge hinauf.»Aber keins wie die Phalarope!»

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