33

Zu Hause, dachte Stanach. Ich bin zu Hause! Mit der linken Hand und der Schulter rollte er einen weiteren Grabstein auf den wachsenden Haufen. Er hatte seit Anbruch der Dämmerung ständig daran gedacht, daß er wirklich zu Hause war. Jetzt, als das Licht des Sonnenuntergangs die Wände des Tals der Lehnsherren rot färbte, mußte er immer noch daran denken. Nicht daß Thorbardin sich verändert hatte. Er selbst hatte sich verändert.

Stanach scheute die Erinnerung an das Wiedersehen mit seinen Eltern und Freunden. Er wollte nicht an ihr Entsetzen angesichts seiner verkrüppelten Hand denken oder an die Art, wie sie ihn ansahen, wenn sie erkannten, daß er nicht mehr der ruhige, friedfertige Schmied war, der sie vor wenigen Wochen verlassen hatte.

Er war in der Außenwelt gewesen, und er war verändert nach Hause gekommen. Der Unterschied hatte nichts mit seiner Verletzung zu tun. Er hatte mehr mit dem Fremden zu tun, den sie in seinen Augen sahen. Er war anders; er trug Narben, und seine dunklen Augen hatten fernere Horizonte geschaut, als die meisten Zwerge je gesehen hatten.

Der Wind brauste kalt und schneidend durch das Tal der Lehnsherren. Dieses Tal war der einzige Teil von Thorbardin, der unter freiem Himmel lag. In alten Zeiten war hier eine Höhle gewesen. Eines Tages war sie eingestürzt, und aus dem Krater war ein Tal geworden, in dem ein kleiner See und sorgsam gepflegte Gärten lagen. Am Rand des Tals fand man die Gräber von einfachen Leuten. In den Gärten standen die Grabmale von Lehnsherren und Hochkönigen.

Das Tal der Lehnsherren war nicht nur der Ort, wo die Zwerge ihre Toten bestatteten, sondern auch der Ort, wo sie – die Magie gegenüber normalerweise sehr mißtrauisch waren – sich an der Kunst der Zauberei erfreuten. Hoch über dem See schwebte Dunkans Grab. Nichts als der Spruch eines längst verstorbenen Zauberers hielt ihn dort.

Hier war Dunkan einbalsamiert, der letzte Hochkönig der Zwerge. In den dreihundert Jahren seit seinem Tod hatte kein neuer Hochkönig in Thorbardin regiert. Und trotz der Opfer, die die Suche nach Sturmklinge gefordert hatte, würde kein neuer Hochkönig mehr in Thorbardin herrschen. Kharas, Dunkans Freund und Held, hatte seinen Streithammer durch Magie und mit Hilfe des Gottes, der ihn gemacht hatte, versteckt. Seither hatte ihn niemand gefunden.

Hornfell würde Hochkönig sein, hatte Isarn gesagt.

Stanach schüttelte den Kopf. Nein, Hornfell würde nicht den Thron des Hochkönigs besteigen. Er war Prinzregent, obwohl Reorx wußte, daß er das Königreich wie ein richtiger König regieren würde. Das mußte reichen.

Stanach lehnte sich an den Steinhaufen und fuhr mit dem Ärmel über sein Gesicht. Schweiß und Dreck verschmierten das lockere, weiße Schmiedehemd, das er trug. Er würde nie wieder vor einer Esse stehen, aber er kannte keine bequemere Kleidung als dieses alte Hemd und die braunen Lederhosen, die er einst bei der Arbeit in der Schmiede getragen hatte. Es hätte durchaus Leute gegeben, die diesen Grabhügel an seiner Stelle errichtet hätten, Steinmetze und Totengräber, die das beruflich taten. Aber Stanach wollte Tyorls Grabhügel allein aufschichten.

Bei Pfeifers Grab auf dem einsamen Hügel bei Qualinesti hatte Tyorl gesagt: Du hast ja reichlich Übung. Deine Freunde scheinen nicht sehr lange zu leben, Stanach. Wie viele Hügelgräber hast du gebaut, seit du Thorbardin verlassen hast?

Damals hatte Kelida auf dem Hügel Wache gestanden und hatte leise Einspruch erhoben gegen die grausamen Worte des Elfen. Stanach hatte es damals nicht grausam gefunden und fand es auch heute nicht grausam. Nur wahr.

Die Lippen des Zwergs verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. Pfeifers Grab war sein allererstes gewesen. Tyorls würde das zweite sein.

»Und das letzte«, flüsterte er. »Doch, Tyorl, das letzte. Auch wenn ich nie gedacht hätte, daß es deins sein würde und noch dazu hier im Tal der Lehnsherren, im Schatten des Grabmals eines Hochkönigs.«

Der Wind heulte schrill. Stanach dachte an Pfeifers Flöte. In Thorbardin wurde getrauert, und das auch um den Magier Jordy, den die Kinder Pfeifer genannt hatten.

Lavim beharrte immer noch eisern darauf, daß Pfeifer mit ihm redete, obwohl er tot war. Zumeist belehrend oder scheltend flüsterte er mit Lavim, behauptete der Kender.

Stanach wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Er wollte nicht an Geister glauben. Pfeifer war tot. Er hatte ihn begraben, so wie er jetzt Tyorl begraben würde.


Zu siebt versammelten sie sich im dünnen Schein des Zwielichts im Schatten von Dunkans Grab im Tal der Lehnsherren, um Tyorl die letzte Ehre zu erweisen.

Daß Tyorls Grabhügel in den Gärten errichtet wurde, zeigte das Ausmaß von Hornfells Dankbarkeit dem Elf gegenüber, der für ihn gestorben war. Das war bis dahin unantastbares Vorrecht der Lehnsherren und Könige gewesen. Und es war ein weiteres Zeichen seines großen Respekts, daß er Tyorls Grabrede halten wollte.

Warum, fragte sich Stanach, brachte Hornfell Sturmklinge mit ins Tal der Lehnsherren?

Immer noch verschmiert und schwitzend sah Stanach zu, wie Kelida neben Hauk ihren Platz am Grab einnahm. Der Zwerg lächelte zum ersten Mal wirklich. Die beiden waren erst wenige Tage zusammen, und schon bewegten sie sich so vertraut, als würden sie sich seit Jahren kennen.

Kernbal und Finn trugen Tyorls Körper ins Tal und legten ihn in das Grab, das Stanach vorbereitet hatte. Dunkelheit umfing die sterblichen Reste des Freundes. Die Waldläufer stellten sich neben Hauk. Sie waren die Letzten aus der Alptraum-Truppe und kamen, um einem Bruder Lebewohl zu sagen.

In stillem Respekt vor den hier versammelten Freunden berührte Hornfell mit Sturmklinges Spitze wie zum Gruß die Erde und lehnte das Königsschwert an die Steine, bevor er seinen Platz am Fußende des Grabs einnahm. Lavim, dessen grüne Augen still und ernst waren, stellte sich zu Stanach. Der Zwerg hoffte, daß er jetzt nicht anfangen würde, über Geister zu reden.

Lavim klopfte Stanach zaghaft auf die Schulter. »Hast du das alles gemacht?« Stanach nickte finster.

»Das ist sehr schön«, flüsterte er. Er zeigte auf Dunkans Grab. »Aber der Schatten von dem riesigen, schwebenden Ding da oben ist im Weg, nicht wahr? Pfeifer sagt, das ist Dunkans Grab und – «

Stanach schloß die Augen. »Psst, Lavim. Nicht jetzt.« Der Wind pfiff kalt durch das Tal der Lehnsherren. Sein Lied war für die am Grab Versammelten keine Störung, sondern eine Unterhaltung.

Als Hornfell sprach, zitierte er die Weisheit des Sprichworts, das ihm an der Mauer von Nordtor aufgefallen war, als hinter seinem Rücken die Revolution brodelte und zu seinen Füßen das Guyll Fyr tobte.

»Der Wolf vor der Tür«, sagte er sanft, »macht aus Fremden Brüder. Der Wolf hat vor Thorbardin geheult und zugeschnappt, und wir haben zu lange unsere Türen vor ihm verriegelt und so getan, als wäre kein Wolf da, bloß weil wir ihn nicht hören wollten.

Jetzt hören auch wir sein Heulen, das wir zu lange mißachtet haben. Wir hören es in der Klage der Familien der Gefallenen und in den Schreien derer, die in den Klauen des Krieges gefangen sind.

Wir hören das Heulen des Wolfes im Wind der Drachenflügel. Tyorl hat es kurz zum Schweigen gebracht, aber wir werden es wieder hören.«

Hornfell schaute nacheinander jeden Anwesenden an.

»Aber wir sehen auch. Wir sehen Brüder, wo wir einst Fremde sahen. Wir sehen Verwandte, die nicht zu unserer Art gehören. Und von diesen Verwandten haben wir uns zu lange abgewendet, obwohl sie versuchten, das blutrünstige Heulen des Wolfes zum Schweigen zu bringen, während wir darauf warteten, daß er fortginge, um anderswo zu jagen.

Der Wolf wird nicht davonziehen. Verminaard zieht immer noch durch unser Land, und der Krieg wird erst vorüber sein, wenn er alles und jeden ausgelöscht hat. Wie er Tyorl ausgelöscht hat.

Ich trauere mit euch um den Verlust eines Freundes.«

Ganz in seiner Trauer um Tyorl und in eine alte Totenklage versunken, bemerkte Stanach nicht, daß Hornfell fertig war. Dann fühlte und hörte er irgendwann etwas Neues im Lied des Windes. Er sah zur anderen Seite des Grabes. Dort stand Kelida. Sie hatte den Kopf geneigt, so daß das letzte Licht sich in ihren roten Haaren fing, und sie schien die Veränderung ebenfalls bemerkt zu haben.

Hauk schaute zu Kernbal. Finn legte seinen Kopf zurück, um zum dunklen Rand des Tals hochzuschauen.

Lavim holte kurz Luft und stieß einen leisen, erstaunten Seufzer aus. Stanach drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie der Kender eine alte Flöte aus der Tasche zog. Pfeifers Flöte.

Nachdem er nur einen Moment gelauscht hatte, als wolle er sich über die Melodie vergewissern und an der richtigen Stelle einsetzen, hob der Kender die Flöte an die Lippen und begann zu spielen. Die granitenen Wände des Tals der Lehnsherren wurden matt und grau.

Sonnenlicht tanzte einen silbernen Fluß hinunter, und Stanach sah nicht nur das blitzende Lichterspiel, nein, er roch auch den satten, dunklen Schlamm am Ufer des Wasserlaufs und schmeckte den süßen Fluß.

Eis umhüllte die Winterbäume wie Diamanten, schmolz bei der Berührung einer Hand und glitt davon, um neue Juwelen zu bilden. Kelida legte einen Finger an die Lippen, und auch Stanach spürte die Kälte auf seinen eigenen.

Tau, der von der Sommersonne in Dunst verwandelt zum Himmel stieg, glitzerte auf Hauks Gesicht und kroch ihm wie Tränen in den dunklen Bart. Wie ein Geist oder wie der Tau, der es war, verschwand er im Sonnenlicht. Die Tränen auf Stanachs Gesicht brauchten etwas länger zum Trocknen.

Später würde er versuchen, die Melodie jenes Liedes einzufangen. Obwohl er sich erinnern und die Bilder vom Wald zurückrufen würde, den er im schattenlosen Licht strahlen sah, würde das Lied sich ihm entziehen – bis auf das halbbewußte Lachen des Windes in den Bäumen.


Lavim hockte sich hin und sah zu, wie Hauk, Kernbal und Finn die letzten Grabsteine über Tyorl zurechtrückten. Der Klang dieser traurigen Arbeit hallte hohl durch das Tal.

»Ich wollte sie nicht zum Weinen bringen«, flüsterte der Kender.

So, Zauberer? Pfeifers Stimme war sehr sanft. Was wolltest du denn dann?

»Ich wollte nur ein Lied spielen, das sie an Tyorl erinnert.« Er seufzte und schüttelte den Kopf, als er dem Wind lauschte, der jetzt nur noch ein Lufthauch war. »Und… und ich weiß, daß Stanach den Hügel hier ganz alleine gebaut hat und daß Hornfell gesagt hat, er könnte mit Königen und Lehnsherren begraben werden. Aber ich fand es irgendwie traurig, daß Tyorl nicht mehr in seinen Wäldern sein würde. Ich wollte, daß sie sich um seinetwillen an Qualinesti erinnern.«

Und das werden sie. Du hast ein schönes Lied erfunden, Lavim.

Jetzt runzelte Lavim die Stirn. »Wirklich? Ganz alleine? Waren das nicht du oder die Flöte?«

Wer hatte die Idee?

»Ich.«

Dann war es doch dein Lied?

Er hatte ganz alleine gezaubert! Lavim sprang mit großen Augen auf. »Pfeifer! Habe ich – «

Psst, Lavim! Es ist noch nicht vorbei. Schau noch einen Augenblick ruhig zu. Und dann tu genau das, was ich dir sage.Sturmklinge sang das hohe Lied des Stahls, als Hornfell das Königsschwert aus der Scheide zog. Obwohl das letzte Licht aus dem Tal der Lehnsherren gewichen war, glühte das rote, stählerne Herz der Klinge. Das Licht von Reorx’ Schmiede pulsierte sanft und legte seinen roten Schein über die Gesichter der Anwesenden, die am fertigen Grabhügel standen.

Wie blutige Schatten, dachte Stanach.

Gebannt vom hellen Glanz des Königsschwerts, bei dessen Fertigung er geholfen hatte, erinnerte er sich plötzlich an das Glück, das er dabei empfunden hatte, das Versprechen seines glühenden Herzens und die Hoffnung, für die es stand. Da dachte Stanach weiter.

Überhaupt keine blutigen Schatten, obwohl Reorx weiß, daß genug Blut für Sturmklinge vergossen wurde. Blutige Schatten wären kalt wie der Tod. Das Licht des Königsschwerts strahlte hell in der Finsternis dieser Ruhestätte.

Wie eine Laterne in der Hand eines tapferen Mannes. Genau so.

Hornfell erhob Sturmklinge, und nicht einmal der Schatten von Dunkans Grab konnte sein Licht verdunkeln.

Der Wind kam zum Schweigen. Diejenigen, die bei Tyorls Grab standen, hoben ihre Köpfe ein wenig, als ob sie alle gleichzeitig etwas in der Stille wahrnahmen.

Stanach hörte Lavim vor überraschtem Entzücken nach Luft schnappen.

Hornfell berührte mit der leuchtenden Klinge im Soldatengruß den größten Stein des Hügels. Als die Spitze am Stein lag, schien sie aufzuleuchten und die Dunkelheit zu durchdringen. Genau da brach Lavim in freudiges Jauchzen aus. »Natürlich! Natürlich!« schrie der Kender. Kelida blieb der Mund offen stehen. Stanach drehte sich abrupt um, um den Kender zu ergreifen und zum Schweigen zu bringen. Lavim duckte sich rasch und geschickt weg und sprang um Tyorls Grabmal zu Hornfell.

»Ich weiß, wo er ist! Ich weiß, wo er ist! Pfeifer hat es mir verraten! Er hat es schon die ganze Zeit geahnt, seit Ihr Euer Schwert zurück habt. Ich wollte ihn ja gleich holen, aber er hat gesagt, nein, er wäre noch nicht sicher. Es hat ihn irgendwie gejuckt, sagt er. Aber er mußte warten. Erst als er hier war, wußte er es. Er sagt, er war schon einige Male in diesem Tal, aber da hat er noch gelebt und konnte die Dinge nicht so klar sehen wie jetzt, wo er tot ist. Ihr werdet es niemals glauben! Hornfell – Sir! Ich weiß, wo er ist!«

Finn erwischte den alten Kender an den Schultern und hob ihn einfach in die Luft. »Verdammter Kender! Was soll das? Kannst du uns nicht einmal jetzt einen Augenblick Frieden gönnen?«

Hornfells Augen lagen immer noch auf dem Königsschwert, dessen Licht zusehends verblaßte; er wies den Anführer der Waldläufer an, Lavim loszulassen. »Was, Lavim? Du weißt, wo was ist?«

Lavim entschlüpfte Finn. Er sah Hornfell an, wobei sein Grinsen fast sein Gesicht entzweiriß. »Pfeifer hat es mir gesagt. Ich weiß, wo er ist. Ich hätte es Euch schon früher erzählt, aber ich wußte nicht so recht, wovon er redete. Er sagte, daß diese ganze Sache mit der Regentschaft nichts für Euch wäre. Ich sagte, daß ich davon nichts wüßte, aber daß Ihr wirklich nicht wie einer ausseht, der auf die Theke aufpaßt, während der Wirt zum Essen geht. Er hat gesagt, ich sollte Euch raten, Sturmklinge heute abend mitzubringen, und dann würde er ihn mir zeigen, weil das Königsschwert wissen würde, wo er ist. Und ich habe gesagt, klar, mach ich – «

Wie Spinnenbeine krabbelte die Vorahnung Stanachs Rückgrat hoch. Isarns letzte Worte stiegen in seiner Erinnerung auf. »Lavim!« schimpfte er. »Raus damit!«

Erschrocken sprang Lavim hoch und drehte sich zu Stanach um. »Ich versuche gerade, Hornfell etwas wirklich Wichtiges zu erzählen, alter Junge. Ich möchte wenigstens einmal ausreden können, ohne daß man mich unterbricht. Also«, er redete wieder mit Hornfell, »wo war ich? Ach ja. Ich weiß, wo der Streithammer von Kharas ist.«

Hornfell, dessen Hand immer noch an Sturmklinges Griff lag, starrte den Kender mit einer schmerzhaften Mischung aus Unglaube und Hoffnung an. »Wo?« flüsterte er.

»Oh, gar nicht weit von hier.« Lavim lachte. »Überhaupt nicht weit. Ihr müßt natürlich jemanden hinschicken, um ihn zu holen. Ein paar Leute wahrscheinlich, denn Ihr wißt ja, daß Kharas ihn wirklich gut versteckt hat. Er hat ihn unsichtbar gemacht und mit allen möglichen Fallen und Zaubern beschützt, weil er nicht wollte, daß ihn irgendjemand einfach so findet. Er wollte, daß ihn nur ein richtiger Hochkönig finden kann. Jemand wie Dunkan, wißt Ihr. Jemand wie Ihr.«

»Wo?« flüsterte Hornfell wieder. Lavim lächelte und zeigte senkrecht nach oben. Hornfell sah zum Himmel hoch. Stanach folgte Hornfells Blick und starrte die ersten Sterne an, besonders den roten Stern, den die Zwerge den Funken von der Esse nannten.

Nein, dachte er, ach Lavim, was hast du denn jetzt wieder im Sinn?

Kelida folgte Lavims Richtung genauer, hielt den Atem an und berührte Stanach am Arm. Hauk nickte grinsend.

»Nicht am Himmel, Stanach«, sagte Kelida, während ihre Stimme bebte. »Im Grab.«

Lavim nickte. »Genau. Dunkans Grab. Wo sollte er sonst sein?«

Stanach blickte zu Hornfell, der den Kopf über das rotleuchtende Königsschwert in seiner Hand gesenkt hatte. Er sah den Hochkönig der Zwerge.

»König Hornfell«, flüsterte er.

Hornfell hob die Hand, und Stanach fiel auf die Knie, weil ihm plötzlich nach dieser seltenen Ehrbezeugung zumute war. Er redete, bevor er nachdachte, aber seine Worte kamen dennoch aus tiefstem Herzen.

»König Hornfell, der Streithammer wird Euch gehören. Ich finde ihn. Ich werde ihn zurückbringen.«

»Au ja!« kreischte Lavim, der schnell an Stanachs Seite sprang. »Das wird ganz einfach. Nur ein paar kleine Fallen, ein bißchen Magie und so was. Pfeifer weiß genau Bescheid, und wir können rein und wieder raus, bevor es überhaupt jemand merkt.«

Stanach drehte sich um. »Wir?«

»Du und ich und Pfeifer und…« Lavim sah die Waldläufer und Kelida an. »Und wer sonst noch mit will. Ich schätze, das wollen alle, weil – was sollen sie denn sonst so ganz alleine in Thorbardin anfangen, wenn du und ich und Pfeifer den Streithammer suchen? Du weißt ja, wie so was ist, Stanach. Es kann ein, zwei Tage dauern.«Die Nacht brach endgültig über das Tal der Lehnsherren herein. Aus Schatten wurde Finsternis. Stanach, der neben Tyorls Steingrab auf dem Boden saß, schaute Kelida an.

»›Ein, zwei Tage‹, sagte er.« Er setzte ein schiefes Lächeln auf. »Beziehungsweise sagt das angeblich Pfeifer.«

»Stanach, glaubst du daran?«

Der Zwerg zuckte mit den Schultern. »Wir können nicht bestreiten, daß Finn seine Geschichte, wie Pfeifer sie durch den Hohlweg geführt hat, bestätigt. Lavim sagt, daß Pfeifer Tyorls Armbrust gelenkt hat, als er den Drachen getötet hat.« Stanach schwieg einen langen Augenblick. »Er war ein guter Schütze, unser Tyorl. Aber…«

Kelida nickte. »Es war dunkel. Keiner konnte so gut sehen, daß er so genau auf den einzigen verwundbaren Punkt des Drachen hätte zielen können. Es wäre ein schöner Gedanke…«

Stanach seufzte. Es wäre ein schöner Gedanke, daß Pfeifer irgendwie immer noch bei ihm war. Es wäre ein schöner Gedanke… Stanach fuhr grollend zurück. »Soll ich etwa auf das Wort eines spukbesessenen Kenders hin nach dem Streithammer von Kharas suchen?«

»Wir suchen nach dem Streithammer.«

»Wir – ach?«

Kelida setzte sich neben ihn, ohne seine Frage zu beantworten. Mit einem Finger fuhr sie leicht an einem Grabstein entlang. Nach kurzer Zeit sagte sie: »Ich werde ihn vermissen.«

»Doch, das werde ich auch.«

Kelida drehte sich plötzlich um, wobei ihr die Farbe in die Wangen stieg. »Stanach, ich habe es schon in den Tiefen Höhlen gesagt, und ich sage es jetzt wieder: Ich gehe dahin, wo Hauk hingeht. Ich gehe dahin, wo ihr hingeht. Ich werde euch helfen, den Streithammer von Kharas zu finden.«

Stanach sah zu dem Grab über dem See auf. Eine leichte Brise kräuselte das ruhige, eisige Wasser. Sternenlicht verwandelte die schwarze Wasseroberfläche in mattes Grau, dort, wo sie leise gegen das Ufer schwappte.

Kelida legte sanft ihre Hand auf seine verstümmelte Rechte.

Der Zwerg stand auf und zog sie hoch. »Wir gehen lieber wieder zurück. Ich kann mich nicht erinnern, daß Lavim Hornfell die Flöte wiedergegeben hat. Ich habe genug davon gehört, was er mit ihr angestellt hat, und ich werde kein Auge zutun, bis sie sicher in Hornfells Händen liegt.«

Kelida ging schweigend neben ihm her, als sie das Tal der Lehnsherren verließen. Am Tor in den Berg blieb Stanach stehen und sah zurück dahin, wo der Schatten von Dunkans Grab, das in Solinaris Licht getaucht war, Tyorls Steingrab verhüllte.

Die Brise wurde zu einem leise singenden Wind, und Stanach dachte an die Wälder, als er Thorbardin betrat.

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