VIII Überrannt

Bolitho warf noch einen letzten Blick durch die Heckfenster, ehe Ozzard sie schloß und verschalkte. Achates stampfte schwer vor ihrer Ankertrosse, und Bolitho überlegte, daß Keen die Ankerwache inzwischen verdoppelt haben mußte, damit er sofort handeln konnte, wenn sie zu driften begann.

Es war noch Tag, aber die tiefhängenden, bedrohlichen Wolken und peitschende Schauerböen hüllten das Schiff in ein Zwielicht, als sei die Sonne schon untergegangen.

Viel länger durfte er nicht mehr warten.

Seit dem Verschalken der Fenster war die Luft in der Kajüte stickig geworden; binnen weniger Sekunden fühlte Bolitho sich in Schweiß gebadet.

Draußen klopfte jemand an die Tür, und Keens gedämpfte Stimme erklang. Er war pünktlich, hatte wahrscheinlich schon längst auf diesen Augenblick gewartet.

Bolitho nickte ihm zu.»Dann wollen wir mal.»

Im Hintergrund stand ihre widerspenstige Geisel, flankiert von einem Korporal und von Black Joe Langtry, dem gefürchteten Schiffsprofos. Seine schweren schwarzen Brauen und das trotz vieler Jahre auf See aschfahle Gesicht erinnerten an einen Henker.

«Also, Hauptmann Masters, Sie werden uns nun verlassen. «Bolitho sah die Augen des Gefangenen triumphierend aufleuchten. Sein Vertrauen in den Gouverneur war offenbar ungebrochen und konnte Bo-litho noch manchen Ärger bereiten. Aber sie hatten keine Zeit zu verlieren.

«Die Yawl wartet draußen und wird Sie in den Hafen zurückbringen. «Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm geschickt den alten Säbel umschnallen konnte.»Ich fürchte, wir mußten die Crew auswechseln, trotzdem werden Sie uns durch die Sperre bringen.»

Hauptmann Masters fuhr auf.»Aber.»

«Der Gouverneur hat gegen das Gesetz verstoßen. Die Insel untersteht jetzt mir, und damit sich die Übergabe unter möglichst geringen Verlusten vollzieht, werden Sie uns durch die Hafeneinfahrt lotsen. «Er machte eine Pause.»Was mit Rivers geschehen wird, hängt nicht von mir ab. Aber falls Sie auch nur versuchen, Alarm zu schlagen, sind Sie ein toter Mann. Und wenn Sie uns anderweitig gefährden, werde ich Ihr Verhalten als Hochverrat ahnden. Was das bedeutet, wissen Sie.»

Er rückte die Scheide an seinem Gürtel zurecht, angewidert vom bestürzten Gesicht des Gefangenen und von seiner eigenen brutalen Drohung. Dann aber fielen ihm Duncan und seine Leute ein, und er befahl knapp:»Bringt ihn auf die Yawl. Ich komme gleich nach.»

Und zu Keen:»Es geht nicht anders. Sie müssen das Schiff befehligen. «Beide blickten nach oben, als das Heulen des Windes in der Takelage stärker wurde.

«Und Ihr Erster Offizier ist ein ausgezeichneter Seemann, doch an Land könnte er seine Männer überfordern. Uns bleibt kein Spielraum für Irrtümer.»

Von Keen glitt sein Blick zu Allday.»Du hast die gefährlichste Aufgabe. Laß die Barkasse auf der Seeseite zu Wasser, damit sie vom Fort aus nicht gesehen wird.»

Allday begegnete trotzig seinem Blick.»Ich weiß, was ich zu tun habe, Sir: das Boot hinter die Festmacherbojen bringen und dann ein Richtfeuer anzünden.»

«Damit verlange ich viel von dir. Wenn wir es nicht schaffen, bist du abgeschnitten.»

Allday grunzte.»Ich würde lieber an Ihrer Seite bleiben, Sir. Da ist mein rechtmäßiger Platz.»

Bolitho packte seinen Arm und bemühte sich, seine Rührung zu verbergen.»Ohne das Richtfeuer findet Achates nicht in den Hafen. Sie würde bei diesem Wind unweigerlich stranden. Und du wirst noch an meiner Seite kämpfen, alter Freund, täusche dich nicht.»

Keen sagte:»Trotzdem glaube ich. «Dann schwieg er und grinste reuig.»Egal, jetzt ist es zu spät. «Er lockerte seinen Hemdkragen und legte dann die Hand auf den Säbel.»Für Rivers mag das ja eine Überraschung sein, aber für mich ist es weit mehr.»

Damit nickte er Allday zu und eilte hinaus, nach allen Seiten seine Befehle erteilend.

Bolitho suchte sich eine Pistole aus und steckte sie in den Gürtel. Wäre es denn wirklich so falsch gewesen, Quantock den Angriff führen zu lassen? Aber dann bejahte er sich diese Frage. Angesichts des fast sicheren Todes brauchten Männer, die für eine unbegreifliche Sache kämpfen sollten — oder mit dem Feind insgeheim sympathisierten — , den Anblick ihres Admirals, der ihnen vorausschritt, in den Tod oder ein Ungewisses Schicksal.

Hinter Bolitho verließ Allday die Kajüte und bückte sich schwer atmend unter den tiefen Decksbalken. Im Zwielicht standen die halbnackten Stückmannschaften schon an ihren Kanonen; ohne überflüssigen Lärm oder laute Befehle hatte das Schiff klar zum Gefecht gemacht.

Die Wache auf dem Achterdeck drängte sich in kleinen Gruppen zusammen oder erledigte letzte Handgriffe. Der starke heiße Wind peitschte Gischt übers Deck, so schmerzhaft und blendend wie ein Hagel aus Sandkörnern.

Mit schräggeneigtem Kopf spähte Bolitho zu den Segeln auf, die wild gegen die Spieren schlugen. Wenn der Anker erst aufgeholt war, mußte das Schiff lospreschen wie ein angreifendes Raubtier. Ein hervorragender Segler, behaupteten alle. Das mußte sich jetzt erweisen — und mehr.

Quietschende Taljen verrieten, daß die Barkasse seewärts ausgesetzt wurde. Auch wenn ihn die Düsternis fast schon verschluckt hatte, fühlte Bolitho immer noch Alldays Widerwillen, ihn zu verlassen, seinen angestammten Platz aufzugeben.»Viel Glück, Sir«, rief Keen.

Ein schneller Händedruck, dann stieg Bolitho übers Schanzkleid und hinunter in die stampfende Yawl, aus der sich ihm hilfreiche Hände entgegenreckten.»Wer kommt denn da noch?«knurrte eine heisere Stimme.»Laßt uns endlich ablegen, Ted!»

Ein anderer unterdrückte halb ein rauhes Hurra.»Der Admiral selber ist's, Jungs!»

Alle fuhren herum, sie trauten ihren Augen nicht. In seinem verschwitzten, schmuddeligen Hemd hätte Bolitho eine Teerjacke wie sie sein können, aber sie wußten es besser, und einer rief aus dem Dunkel:»Willkommen an Bord, Sir!»

Bolitho tastete sich zum Heck durch, ergriffen und wie stets beschämt vom Vertrauen dieser Unbekannten.

Dann hörte er Mountsteven, den Zweiten Offizier, belustigt sagen:»Hier stinkt's wie in einem Bordell, Sir. «Er wirkte ebenso aufgekratzt, von der Wildheit der anderen angesteckt, sonst hätte er sich diese Freiheit niemals genommen.

Bolitho erreichte die Heckbank und spähte in die Gesichter der Männer, die ihm am nächsten saßen: Christy, der Bootsmannsgehilfe von der alten Lysander, und Masters, trotz der Dunkelheit leicht kenntlich an seiner Milizuniform.

Das Boot stank wirklich. Aber es war ja auch mit leicht brennbarem Material vollgestopft: alter Leinwand, in Fett und Teer getränktem Tauwerk, dazu Öl und diverse Zutaten aus dem Vorrat des Sprengmeisters. Ein Funke genügte, und das Boot mußte explodieren wie eine Granate.

Sobald sie erst die Wachen auf der Schwimmsperre überwältigt und ihre Murings gekappt hatten, würde Alldays Barkasse, gefolgt von zwei Kuttern mit Seesoldaten, den Angriff weitertragen. Bolitho war aufgefallen, daß die ursprüngliche Crew der Yawl, genau wie die Wachmannschaft im Fort, überwiegend aus Farbigen bestand, afrikanischen Sklaven, Mischlingen oder Abkömmlingen der eingeborenen Inselbevölkerung.

Kaum anzunehmen, daß die Offiziere wie Masters die Quartiere des Forts mit ihnen teilten. Sie bewohnten wahrscheinlich bequeme Häuser in der Stadt und würden nach dem Alarm einige Zeit brauchen, ehe sie zu ihren Leuten stießen. Bolitho schauderte es trotz der drückenden Schwüle. Es sei denn, Rivers hatte seine List durchschaut, jede Kanone laden und richten lassen und wartete jetzt nur auf das erste verräterische Zeichen eines bevorstehenden Überfalls.

«Legen Sie ab, Mr. Mountsteven«, sagte er.»Und fahren Sie eine Laterne im Bug, wie besprochen. «Dann sah er Masters an.»Sie wissen, was Sie zu tun haben. Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist und Sie Ihre Familie wiedersehen wollen, dann machen Sie keine Dummheiten. «Christy ließ sein Entermesser in der Scheide klappern — eine wortlose Drohung.

Als die Festmacher losgeworfen waren und die Segel sich wie fahle Riesenflügel über der Yawl entfalteten, blieb die schützende Silhouette von Achates rasch hinter ihnen zurück.

Rivers' Wache auf der Sperre mochte zwar auf der Hut sein, hatte aber keinen Anlaß, mit einem so ungestümen Angriff zu rechnen. Trotzdem sah Bolitho plötzlich im Geist ein schreckliches Bild: Achates, wie sie in der Morgendämmerung an der Hafeneinfahrt strandete und von den schweren Kalibern der Festung zum Wrack geschossen wurde.

Jemand flüsterte:»Land voraus, Sir!»

Ein Gemurmel lief durch die mit Seeleuten vollgestopfte Kajüte, die unter Deck geduckt auf den Angriff warteten. Stahl kratzte auf Stahl, Fäuste tasteten in der Finsternis nach Pistolen und Musketen, um sich zu vergewissern, daß die Waffen trocken und einsatzbereit waren. Jetzt brauchte es nur eine leichtsinnige Bewegung, einen unabsichtlich ausgelösten Schuß — und sie waren alle verloren. Wieder erinnerte sich Bolitho dankbar daran, daß die Besatzung der Achates überwiegend aus erfahrenen Männern bestand, gut ausgebildet und eine verschworene Gemeinschaft.

Haltsuchend packte er eine Pardune und spähte durch die Gischt nach dem dunklen Schatten des Vorlandes an Backbord aus. An Steuerbord wuchsen das Fort und der fünfhundert Meter hohe Vulkankegel schemenhaft in den gespenstischen Gewitterhimmel.

Ein Lichtschein fiel übers Wasser, tanzte auf den Wellen, und Bo-litho glaubte, einen Anruf zu hören.

Rauh sagte Masters:»Dippt die Buglaterne!«Das klang gepreßt, als müsse er um Luft ringen.»Zweimal!»

Wie angewiesen, wurde die Buglaterne zweimal auf und nieder geholt, und Bolitho merkte, daß er den Atem anhielt. Jetzt hatte Masters die günstigste Gelegenheit, sie zu verraten, seine Loyalität für Rivers unter Beweis zu stellen. Aber nichts geschah, das in Licht von der Schwimmsperre blinzelte stetig über die gischtgekrönten Kabbelseen zu ihnen herüber.

Leise knarrte die Pinne, als Masters, eine Hand über der des Rudergängers, den Kurs leicht korrigierte. Jetzt hatte er sich inkriminiert und wollte seinen Entschluß nicht damit büßen, daß er wegen eines Ansteuerungsfehlers vor dem eigenen Hafen ertrank.

Bolitho erkannte das Backbordende der Sperre, auf dem sich einige geduckte Gestalten um die Richtlaterne drängten. Irgend jemand prei-te die Yawl an, und Masters winkte gebieterisch zurück, mit einer Autorität, die sein Verrat ins Lächerliche verzerrte.

«Jetzt! Hart Steuerbord! Die Segel streichen!»

Gewohnt, bei jedem Wetter, bei Tag oder Nacht, ihre Arbeit zu tun, ließen die Seeleute das Boot zügig an die vermurten Boote und Pontons heranscheren. Als die ersten Draggen an ihren Leinen über die Köpfe der verdutzten Wachen flogen und sich festbissen, sprangen schon die schnellsten der unter Deck verborgenen Matrosen hervor, waren mit einem Satz auf dem Ponton und erstickten mit ihren Entermessern jeden Schrei der Überfallenen.

Plötzlich wimmelte es auf der Sperre von Männern. Während die einen die unglücklichen Wachtposten ausschalteten, löschten die anderen die gefährliche Fracht der Yawl und brachten sie in Position.

«Lunten anbrennen! Ein Fidibus her! Schnell!«Mountsteven bellte seine Befehle, während die Gefangenen grob auf die Yawl gestoßen wurden.

Bolitho blickte zu den verschwommenen Umrissen der Festung auf: keine Reaktion. Vielleicht hatte Rivers wirklich erwartet, daß er seine Ehre, seine Karriere und sein Land vergaß und diese schamlose Vereinbarung mit ihm traf? Es wäre nicht der erste Vorfall dieser Art in der Marinegeschichte gewesen.

«Murings gekappt, Sir!»

Ein langsam abbrennendes Zündholz flammte auf, dann ein zweites, und der letzte Brite sprang in die wild stampfende Yawl.»Legt ab!»

Ohne den zusammengekauerten Überlebenden des blitzartigen Angriffs einen Blick zu gönnen, versuchten die Matrosen, mit langen Riemen, Bootshaken und anderem Gerät die Yawl von der Sperre abzustoßen. In seiner Erregung packte Leutnant Mountsteven Bolithos Arm und deutete mit seinem Säbel ins Dunkle.

«Da kommt Ihr Bootsführer, Sir!»

Nur die hellen Riemenblätter waren sichtbar, als Alldays Barkasse durch die Lücke schoß; sie war im Hafen, noch ehe die Yawl Fahrt aufgenommen hatte.

«Haltet auf Land zu!»

Bolitho rutschte auf die andere Seite hinüber, wo Masters sich über die Reling beugte und zum Fort hinaufspähte. Das Boot vollführte einen Höllentanz und nahm eine Menge Wasser über.»Das haben Sie gut gemacht, Masters. «Bolitho scherte sich nicht um den erstaunten Blick seines Gefangenen, er rief:»In Deckung, Leute!»

Es gab eine dumpfe Explosion, die Yawl mit den erstarrten Gesichtern darin war plötzlich in grelles, orangefarbenes Licht getaucht: Die driftende Schwimmsperre zerbarst in einem Flammenmeer. Nun trieben die brennenden Wrackteile schnell in den Hafen, weil eine La-sching nach der anderen brach.

Bolitho schlang sich den Riemen seines Säbels fester ums Handgelenk und verlagerte das Gewicht prüfend auf sein verletztes Bein. Wenn es ihn jetzt im Stich ließ…

Der Bug lief auf und rutschte wieder ab, während die Brandung ihn kochend überspülte und Unvorsichtige wie halbvolle Säcke kreuz und quer warf; dann stieß die Yawl ein zweites Mal gegen Fels. Bolitho hörte Holz splittern und Wasser ins Boot gurgeln, wo es bald seine Beine umspülte. Immer noch wurden sie zwischen den Uferfelsen wie ein Spielball hin und her geworfen.

Aber dann fanden die ersten Draggen Halt an Land, und als die Männer wasserspuckend und fluchend über Bord zu klettern begannen, hörte Bolitho ein weit entferntes Trompetensignal.

Wieder rief er sich das Bild der Küste ins Gedächtnis; dann wandte er sich um, weil ein weiteres Te ilstück der driftenden Sperre explodiert war und nun lichterloh brannte.

Inzwischen mußte ganz Georgetown alarmiert sein.

Von den Festungsmauern herab begannen Musketen zu knallen, aber die Kugeln zischten wirkungslos durch den Sprühregen der Brandung.

«Sammeln, Mr. Mountsteven!»

Der Leutnant konnte nur schwer den Blick vom Wrack der gestrandeten Yawl losreißen. Als Fluchtfahrzeug war sie nicht mehr zu gebrauchen. Irgendwer stieß einen heiseren Hochruf aus, wurde aber sofort von einem Unteroffizier zum Schweigen gebracht.

Doch Bolitho wäre selbst gern in Jubelrufe ausgebrochen. Denn die beiden Kutter der Achates pullten mit einem Höllentempo durch die letzten brennenden Reste der Schwimmsperre, und die gekreuzten weißen Brustriemen der Marinesoldaten leuchteten hell herüber.

Im Bug des einen Kutters krachte trocken ein Musketenschuß, gefolgt von einem scharfen Kommando, das durchs Sprachrohr geisterhaft verstärkt wurde.

Der Kutter hielt direkt auf ein Boot des Gouverneurs zu; wahrscheinlich hatte es den unglücklichen Leutnant Trevenen an Bord, der gegen Masters ausgetauscht werden sollte. Wenn sie ihn nun für den Überfall büßen ließen…

Bolitho verdrängte diesen Gedanken, als Mountsteven meldete:»Alle Mann vollzählig, Sir!»

«Weitermachen! Und zwar im Eiltempo zur Straße, die in die Stadt führt. Dort sollen sich die Männer zwischen den Felsen so verteilen, daß sie den Gegenangriff aufhalten können, bis uns die Marinesoldaten zu Hilfe kommen.»

Obwohl sich seine Gedanken fast überschlugen, mußte Bolitho über sich selbst lächeln. Da stand er und kommandierte wie ein Infanteriegeneral, nicht wie ein Marineoffizier mit einer Handvoll Leute und der Hoffnung auf Unterstützung durch Seesoldaten, die sich vielleicht niemals bis zu ihnen durchschlagen konnten.

Aber schon rannte er mit den Matrosen zwischen Felsen und Gebüsch landeinwärts; im stürmischen Wind peitschten Äste nach ihnen, als wollten sie die Eindringlinge verjagen.

«Hierher, Sir!»

Das war Christys Stimme. Bolitho ließ sich neben ihn fallen und schnappte keuchend nach Luft, als der Schmerz durch sein verletztes Bein zuckte.

Christy prüfte seine Pistolen und hatte das Entermesser schon blankgezogen.

Bolitho sah die anderen geduckt in Deckung rennen, während jetzt stärkeres Musketenfeuer über ihren Köpfen knatterte. Wo mochte Rivers gerade sein? In seinem prächtigen Haus oder oben im Fort, wo er sich fragte, ob plötzlich alle Welt verrückt geworden war?

Bolithos Finger krallten sich in den nassen Boden. Alles hing jetzt von Allday ab. Vielleicht war er von einem Wachboot abgefangen worden wie vorhin der Kutter? Trotzdem würde Keen jetzt Anker lichten und die brennenden Wrackteile der Hafensperre nicht aus den Augen lassen; bisher waren sie seine einzige Hilfe beim Unterscheiden von Wasser und Fels.

Aber bald mußten auch diese Richtfeuer erlöschen.

Eine Stimme bellte Befehle, dann krachte eine Salve, als die Seesoldaten vom Hang aus die Festung unter Feuer nahmen.

Scott, der Dritte Offizier und einer der Erfahrensten an Bord, rief:»Nachladen! Ruhig Blut, Jungs!»

Bolitho verdrängte den Gedanken an Keens Hilflosigkeit, wenn der Anker erst aus dem Grund gebrochen war und das Schiff sich blind durch die Dunkelheit tasten mußte. Ohne den Landungstrupp und mindestens drei seiner besten Offiziere war er außerdem gefährlich knapp an Leuten.

Neben ihm glommen Christys Augen auf wie zwei Kohlenstückchen; er wandte sich um und sah am Rand der Bojenreihe im Hafen eine Feuersäule in die Höhe schießen.

Allday hatte es geschafft! Die brennenden Fackeln leuchteten hell durch die Nacht, von seinen Bootsgasten auf einer Festmacherboje angelascht und entzündet; wenn dieses Bündel erlosch, würde das nächste aufflackern.

Und dann rollte der erste Kanonendonner über die Reede. Niemand sah die Kugel einschlagen, aber sie flog wahrscheinlich genau über die Boje, die Rivers mit so beiläufiger Drohung bezeichnet hatte.

Masters kam herangerobbt und ließ sich neben Bolitho fallen. Sein ganzer Körper flog vor Angst, ohne daß er es verhindern konnte.

Bolitho warf ihm einen Blick zu.»Welchen Tag haben wir heute, Mr. Masters?«Masters mußte schlucken.»Den neunten Juli, glaube ich, Sir «stammelte er.

Er wäre aufgesprungen, hätte Christy ihn nicht in Deckung gezogen. Aber Bolitho hatte es ebenfalls gehört: fernen Trommelwirbel und den schrillen Klang der Querpfeifen.

Er sah sie vor sich: seine Marinesoldaten, die — vom starken Wind gezaust — auf der holprigen Straße heranmarschierten, vorneweg die Offiziere und dahinter mit exaktem Abstand die kleinen Trommelbuben, wie bei der Parade. Nur daß sie auf einer Straße paradierten, die keiner von ihnen je gesehen hatte und auf der mancher auch nicht zurückkehren würde.

Bolitho zwang sich, den unterbrochenen Faden wieder aufzunehmen.»Dieses Datum ist wichtig, Mr. Masters«, sagte er.»Wir wollen es uns gut merken.»

Er wandte den Kopf, als ein neues Richtfeuer für die Achates aufflammte, aber diesmal sah er es nur verschwommen. Da stieß er den Degengriff neben seinem gesenkten Kopf in den Boden und flüsterte:»Wir werden siegen! Wir müssen siegen!«Es klang wie eine Beschwörung.

Keen rannte die Leiter zum Hüttendeck hinauf und klammerte sich an die Heckreling, weil der Wind ihn von Deck zu fegen drohte; er kam genau von vorn ein und heulte durchs Rigg wie tausend losgelassene Teufel.

Keens Verstand wehrte sich dagegen, die knappen Zeiten und Distanzen zu berechnen, die Achates noch verblieben, sobald der Buganker erst ausgebrochen war. Schwach hörte er von vorn das Klicken der Ankerwinsch, die heiseren Rufe der Deckoffiziere, die auf den entscheidenden Augenblick warteten.

Als Keen sich wieder dem Hüttendeck zuwandte, brannte sein vom Wind gepeitschtes Gesicht wie Feuer. Schemenhaft sah er unten das große Rad und die Rudergänger, daneben den Master und einen Mids-hipman. Andere Männer der Achterdeckswache hielten sich an den Besanbrassen bereit, ihre nackten Oberkörper schimmerten wie nasser Stein im schwachen Licht.

Gleich… Gleich hieß es, jetzt oder nie. Oft genug hatte Keen das in der >Gazette< oder in einem Admiralitätsbericht gelesen: ein Kriegsschiff Seiner Majestät war gestrandet und verlorengegangen, und das Seegericht fällte später seinen Spruch, wonach. Stopp. Er mußte seine Phantasie zügeln. Laut rief er, das Heulen des Windes übertönend:»Alles klar, Mr. Quantock?»

Der große, hagere Erste kämpfte sich, schräggeneigt gegen den Wind und das krängende Deck, auf den Kommandanten zu.

«Das hat doch keinen Zweck, Sir!»

Wütend fuhr Keen zu ihm herum.»Nicht so laut, Mann!»

Quantock beugte sich vor, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können.»Aber der Master ist derselben Meinung. Es wäre Wahnsinn. Das schaffen wir einfach nicht. «Keens Schweigen schien ihn zu ermutigen.»Niemand kann Sie dafür tadeln, daß Sie das Schiff nicht riskieren wollten. Uns bleibt immer noch Zeit zum Aufkreuzen.»

«Der Anker ist kurzstag, Sir!«Die Meldung fuhr zwischen sie wie ein Axthieb.

«Zeit? Wofür bleibt uns Zeit — zu feiger Flucht? Verdammt sollen Sie sein!»

Keen wandte sich ab und schritt zu den Finknetzen, sah einige Matrosen ihn ängstlich beobachten.

Aber Quantock ließ nicht locker.»Kapitän Glazebrook hätte niemals. «Weiter kam er nicht.

«Er ist tot!«Keen schrie es fast.»Aber wir leben. Verlangen Sie etwa von mir, daß wir unseren Admiral und die Kameraden da draußen im Stich lassen, bloß weil es gefährlich für uns wird? Ist das der Rat, den Sie mir geben, Mr. Quantock?«Es tat ihm wohl, seinen Zorn und seine Verbitterung herauszuschreien.»Eher schicke ich Sie, den Master und alle anderen zum Teufel, als daß ich den Schwanz einziehe und feige davonrenne!»

Er schritt zur Querreling und spähte zu der wild schlagenden Leinwand auf. Vielleicht kostete es sie wirklich ein paar Segel oder Spieren, vielleicht auch die Masten. Aber da hinten, jenseits des stampfenden Hecks, wartete Bolitho. Schemenhaft zogen Bilder an Keens innerem Auge vorbei: die Große Südsee, das Mädchen, das er geliebt hatte und das am gleichen Fieber gestorben war, dem auch Bolitho fast erlegen wäre. Trotz seiner eigenen Verzweiflung hatte Bolitho ihm

Trost zugesprochen. Und nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, sollte er ihn jetzt im Stich lassen? Nein, tausendmal nein!

«Geben Sie durch an die Toppgasten, Mr. Fraser: Es wird ein haariges Manöver. Holen Sie alle Mann aus dem Batteriedeck und stellen Sie jede Hand an Brassen, Halsen und Schoten. «Er versuchte, sich an den Namen des Offiziers zu erinnern, der neben ihm stand.»Mr. Foord, machen Sie für den äußersten Notfall den Backbordanker klar zum Fallen. «Damit konnten sie das Schiff vielleicht lange genug abbremsen, daß wenigstens ein Teil der Besatzung sicher an Land gelangte.

Dann hörte er sich ruhig fragen:»Also, Mr. Quantock?«Quantock starrte ihn durch die Gischtfetzen böse an.»Aye, aye, Sir.»

Damit griff er nach seinem Sprachrohr und stapfte davon.

Keen packte den glatten Handlauf. Wie viele Kommandanten vor ihm hatten hier schon so gestanden? In Sturm oder Flaute, vor einem Hafen oder einem Gefecht, und hatten versucht, sich ihre Ängste nicht anmerken zu lassen?

Würde er der letzte sein? Er horchte auf das Klicken des Ankerspills, den Knall der Peitsche, mit der ein Bootsmannsgehilfe einen Saumseligen zu größerer Anstrengung trieb. Von ihrer Kraft und Entschlossenheit hing es ab, ob das schwere Schiff gegen Wind und See bestehen konnte.

Ein letztes Mal blickte er zu den Rahen auf, wo die Toppgasten in den Fußpferden standen, jederzeit bereit, die knatternden Segel herabrauschen und sich entfalten zu lassen.

Weit und breit kein Licht. Und keine Spur mehr von der brennenden Schwimmsperre. Vielleicht war Allday nicht durchgekommen. Aber wenn dem so war, dann lebte er jetzt bestimmt nicht mehr. Noch ein Bild sah Keen vor sich: er selbst, damals ein kleiner Seekadett, schreiend und keuchend vor Schmerzen, mit einem messerscharfen Holzsplitter im Leib, der ihn wie ein Speer durchbohrte. Und Allday, der ihn überraschend sanft unter Deck trug und den Splitter selbst aus dem Fleisch schnitt, weil der Schiffsarzt zu betrunken war, um verläßlich seine Arbeit zu tun.

«Anker ist frei!«Nur halb drang der Ruf zum Achterschiff, aber schon legte sich Achates so scharf über, daß die See wie Brandung über Seitendeck und Schanzkleid brach.»Setzt die Bramsegel!»

Die Rudergänger rutschten aus und fielen auf die Planken, umklammerten aber eisern das mächtige Doppelrad, als der Wind das Schiff wie ein Spielzeug herumwarf; die losen Bramsegel knallten und schlugen an ihren Rahen, und das Crescendo der Sturmböen in der Takelage übertönte das Geschrei der um ihr Leben kämpfenden Crew.

Keen kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, als Spritzwasser durch die Webeleinen schoß und ihn von Kopf bis Fuß durchnäßte. Das Wasser fühlte, sich warm an, als heiße es seine Beute schon willkommen.

Sparrowhawks überlebender Midshipman, der kleine Evans, klammerte sich verzweifelt an ein Want, als ihm die Füße weggerissen wurden. Ein dunkles Bündel fiel aus der Besantakelage, schlug mit einem ekelerregend dumpfen Krachen aufs Schanzkleid und von da in die See: ein Toppgast, den das plötzlich steif kommende Segel von seinem unsicheren Stand gerissen haben mußte. Dem Mann blieb nicht einmal Zeit für seinen letzten Schrei.

Im Getöse von Wind und See klang Gebrüll auf und verebbte wieder — wie ein Chor verdammter Seelen.

«Noch ein paar Hände an die Luvbrassen dort!»

«Mr. Rooke, lassen Sie zwei Leute aufentern!»

«Bringt den Mann da ins Lazarett!»

«Wahrschau — die Gig reißt sich los!»

Und plötzlich der heisere Ruf des Masters:»Ruder im Schiff, Sir!»

Keen fuhr herum und starrte ihn an, das Gesicht entstellt durch ein irres Grinsen, denn der Winddruck verzerrte seine Lippen. Aber das Schiff gehorchte wieder dem Ruder! Mit vierkant gebraßter Großrah und zum Platzen steifen Segeln, so stark überliegend, daß Wasserstrahlen durch die geschlossenen Lee-Stückpforten gepreßt wurden, fiel Achates ab und begann, dem Sturm das Heck zu zeigen.

Gebrochene Leinen wehten vor ihr her wie Lianen; von oben hörte Keen das schrille Glissando reißender Leinwand, aber er wußte, daß die Fäuste der Toppgasten den Schaden in Grenzen halten würden.

«Nordost zu Nord!«Die Stimme klang atemlos. Und gleich darauf:»Nord zu Ost!»

Keen umklammerte den Handlauf, daß ihn die Fäuste schmerzten. Achates gab wirklich ihr Bestes. Aber mit jeder Sekunde, die der Sturm sie weiter auf den dunklen Schatten des Landes zutrieb, wurden ihre Chancen geringer.

Wieder das Knirschen der Rahen, deren Brassen von halbnackten Männern geholt wurden, die sich vor Anstrengung schräg gegen das Deck stemmten. Und über allen Quantocks fordernde, drohende, rauhe Stimme.

Der Rumpf schien einen Satz nach vorn zu machen, schräg abwärts, bis eine massive Wasserwand hoch über dem Vorsteven emporwuchs und auf das Vorschiff niederkrachte. Wie Stoffpuppen wurden Männer nach achtern gewaschen. Keen schien es ein Wunder, daß sich keine der vorderen Kanonen losriß. Er kannte die Gefahr mir zu gut: wie von blinder Angriffswut beseelt, konnten diese gußeisernen Monster, hatten sie sich erst aus ihren Laschings befreit, kreuz und quer durch die Decks krachen und alles zermalmen, was ihnen in den Weg kam.

Mit kaltem Grauen zählte er die Sekunden, bis der Bugspriet sich langsam zu heben begann und tosende Wasserkaskaden abschüttelte. Der Klüverbaum zeigte wieder aufs Land, auf das unerbittlich drohende Land.

Wie zur Bestätigung hörte er Knockers Schrei:»Nordwest liegt an,

Sir!»

Und immer noch kein Lichtsignal. Sie würden auch vergeblich darauf hoffen, dachte Keen.

Eigentlich hätte er verzweifelt sein müssen. Er hatte sich geirrt, und Quantock hatte recht behalten. Nun war das Schiff verloren und mit ihm jeder Mann an Bord, und diese rebellische Insel konnte weiterhin der Krone trotzen, als hätte es Achates nie gegeben.

Aber trotz allem war er seltsam erleichtert. Er hatte es wenigstens versucht, und Bolitho würde davon hören. Andere Schiffe würden kommen und sie rächen, ob nun britische oder französische, das spielte keine Rolle.

Plötzlich Leutnant Foords gellende Stimme:»Das Signal! O Gott, da ist das Signal!«Er schluchzte fast, so erleichtert war er.

Scharf befahl Keen:»Reißen Sie sich zusammen, Mann! Mr. Knok-ker: einen Strich nach Steuerbord!»

Bewußt versuchte er, seine verkrampften Glieder zu entspannen, während er nach dem Feuer ausspähte, dessen sprühendes Licht von den jagenden Wolken reflektierte. Wieder hievten die Deckshände an den Brassen, Keen hörte das Vorbramsegel sich knallend mit Wind füllen und wußte jetzt, daß vorhin das Großbramsegel zerfetzt worden war.

Aber da war ihr Richtfeuer, ohne jeden Zweifel. Allday hatte das Unmögliche geschafft.»Nordwest zu Nord, Sir.«»Recht so!»

Das Schiff schien jetzt mit einem höllischen Tempo durchs Wasser zu preschen.»Lotgasten in die Ketten!«befahl Keen. Täuschte er sich, oder hatte im rauhen Ruf des Masters mehr gelegen als Überraschung und Erleichterung? Vielleicht auch ein respektvolles Staunen?

Keen stieß sich ab und ging zur anderen Seite hinüber, um die weiß schäumende Brandung im Auge zu behalten. Die Brecher schienen nicht weiter als eine Bootshakenlänge vom Rumpf entfernt.

Er hörte den ersten Lotgasten aussingen, aber seine Tiefenangabe verstand er nicht.

Dicht neben dem Rumpf konnte er plötzlich festes Land ausmachen, in Gischt gehüllt, und spürte das Deck unter seinen Füßen erbeben, als der Kiel mit knapper Not über eine gefährliche Sandbarre rutschte.

Knocker gab neue Ruderkommandos, seine Stimme hallte plötzlich laut von der Landzunge wider, auf deren Höhe die Pontons den Hafen gesperrt hatten.

Sie hörten Gefechtslärm: Gewehrfeuer und dazwischen vereinzelt das Krachen von Kanonen. Aber das klang alles so fern und unwirklich, als hätte es nichts mit dem anstürmenden Zweidecker und seiner Besatzung zu tun.

Warnschreie vom Vorschiff — und dann hielt Keen scharf den Atem an, als ein heftiger Ruck durch das Schiff ging. Dunkel und verschwommen sah er ein kleineres Fahrzeug am Rumpf der Achates entlang gleiten und achteraus verschwinden: ein Boot, das sie von seiner Boje gerissen hatten und das nun langsam kenterte.

Immer noch brannte das Richtfeuer lichterloh, und jetzt konnte Keen seinen Widerschein auf einem helleren Fleck erkennen, der dichtbei lag: Alldays Barkasse. Er riß einem Midshipman das Teleskop aus der Hand und richtete es nach Backbord voraus.

Im Schein ihres Feuers standen die Bootsgasten in der Barkasse und schwenkten jubelnd die geteerten Hüte, als das Schiff sich näherte. Achates mußte einen gespenstischen Anblick bieten, dachte Keen: oben feurig leuchtende Segel und darunter ein Rumpf, der mit dem dunklen Wasser verschmolz.

«Klar zum Segelkürzen, Mr. Quantock!»

Keen stellte fest, daß er am ganzen Leib zitterte wie ein Mann der soeben dem Tod entronnen war.

Dann erkannte er zum erstenmal die Lichter der Stadt, sie schimmerten durch die Gischt wie winzige Juwelen. Achates war fast am Ziel, das Unmögliche geschafft.

Im Dunkeln krachte wieder eine Kanone, aber Keen scherte sich nicht um den Einschlag der Kugel.

«Klar zum Anluven, Mr. Quantock!»

Noch war die Gefahr nicht vorbei. Falls Achates nicht rechtzeitig ankerte, mußte sie an den Strand treiben oder sich wie eine Schildkröte im Netz zwischen den verankerten Fahrzeugen verfangen.

Vielleicht schnappte jetzt die selbstgestellte Falle hinter ihnen zu? Keen entdeckte plötzlich, daß er diese Möglichkeit bar jeder Emotion einkalkulieren konnte. Darauf kam es jetzt nicht mehr an. Denn wenn Achates den Hafen nicht mehr verlassen konnte, war das auch allen anderen Fahrzeugen unmöglich. Im Geist sah er Bolithos ernstes Gesicht wieder vor sich und hoffte, daß er beobachtet hatte, wie sein Flaggschiff, ein dunkles Phantom, mitten in den Hafen gestürmt war.

Wenn allein Willensstärke diesen Kampf entschied, dann stand der Sieger jetzt schon fest.

«Bemannt die Leebrassen!«Quantock warf seinem Kommandanten einen Blick zu.»Ich habe beide Anker klar zum Fallen, Sir, und einen Leutnant an den Kettenkneifer gestellt. Wenn die Trosse bei diesem Sturm bricht…«Er ließ den Satz unvollendet.

Keen musterte ihn gelassen.»Bitte, machen Sie weiter.»

Er konnte an Quantock keine Veränderung feststellen, dachte er mit einer gewissen Genugtuung. Warum sollte sich der Mann auch wegen einer gewissenlosen Tollkühnheit verändern? Denn genau das hatte er eben begangen, wenn er es recht bedachte.

«Gei auf Bramsegel!»

Keen wandte den Blick nach oben, wo plötzlich hektische Bewegung entstand. Die Toppsgasten hatten eine Meisterleistung vollbracht, dachte er, sie hatten ihr Leben, ihr Schiff und ihren Stolz bewahrt, wie nur Seeleute das konnten.

«Leeruder!»

Wieder legte sich das Deck scharf über, und Alldays Barkasse zog am herumschwingenden Bugspriet vorbei, als suche sie ihr Heil in hastiger Flucht. Aber Sturm und See hatten für den Augenblick an Gewalt verloren. Ihre Revanche würde noch kommen, später.

«Laß fallen Anker!»

Keen hörte das Platschen und spürte ein leichtes Erzittern der Planken, als der zweite Anker, der an seinem Kranbalken klar zum Fallen hing, gegen den Rumpf schlug.

Blöcke quietschten, als die unsichtbaren Toppsgasten langsam, aber sicher die widerspenstige Leinwand zu ihren Rahen aufholten und festzurrten.

Sofort ließen die Schiffsbewegungen nach, und Keen befahl so gelassen er konnte:»Setzt die restlichen Boote aus. Und bringt achtern einen Warpanker aus. Mr. Rooke soll sich bei mir melden. «Und als Quantock verbittert schwieg, setzte er hinzu:»Außerdem nehmen Sie bitte eine allgemeine Musterung vor. Und melden Sie mir die Verluste.»

An seinem Ellbogen stand plötzlich eine kleine Gestalt, Ozzard, Bolithos Steward, mit einem silbernen Becher in der Hand.»Hier, Sir.»

Keen setzte ihn an die Lippen und verschluckte sich fast an dem starken Rum. Aber er erzielte die von Ozzard beabsichtigte Wirkung.

«Danke. «Keen reichte den Becher zurück, es war einer von Bo-lithos eigenen.»Das hatte ich nötig.»

Gemeinsam sahen sie zu, wie Gig und Jolle an ihren Davits ausgeschwungen und zu Wasser gelassen wurden. Männer hasteten nach achtern, während die Bootsmannsgehilfen ihre Anweisungen für das Ausbringen des Warpankers bellten. Auf den blankgescheuerten Planken sah das dicke Tau aus wie eine endlose Schlange.

Schüchtern fragte Ozzard:»Ob er in Sicherheit ist, Sir?»

Keen sah einen Leutnant und Harry Rooke, den Bootsmann, auf sich zukommen; ungeduldig erwarteten sie seine Befehle, aber in Ozzards Stimme hatte eine Dringlichkeit gelegen, die von ihm eine Antwort verlangte.

Sicherheit? Wann verschwendete die Kriegsmarine schon Gedanken an die Sicherheit eines einzelnen? Vertrauen zählte da schon eher. Und Zuversicht. Beides besaßen Männer wie Allday, für die Bolithos Wort und Reputation alles andere aufwog, selbst ihr Leben.

Lächelnd wandte er sich dem Steward zu.»Jedenfalls wird er uns morgen eine Menge zu tun geben, Ozzard. Zumindest das weiß ich genau.»

Ozzard nickte strahlend und hoppelte davon. Diese Antwort genügte ihm vollauf.

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