XIV Ein Schluck Rum

Als plötzlich Flammen und schwarze Rauchwolken die Hafeneinfahrt verhüllten, erklangen von allen Seiten Entsetzensschreie. Für Seeleute war Feuer der schlimmste Feind; bei Sturm oder Strandung gab es immer noch eine Überlebenschance, aber wenn Feuer an Bord wütete, wo alles geteert, kalfatert und zundertrocken war, bestand keine Hoffnung mehr.

Leutnant Quantock zwang sich, den Blick von dem lodernden Indienfahrer zu wenden, und rief zu Keen hinüber:»Was sollen wir tun, Sir?«Er war barhäuptig, der Wind zerzauste sein Haar; nichts an Quantock erinnerte mehr an den makellosen, bärbeißigen Ersten Offizier der Achates.

Keen umklammerte die Reling und wandte sich dem näherkommenden Verhängnis zu. Erst Sparrowhawk, dann der spanische Freibeuter und jetzt seine Achates. Es blieb keine Zeit mehr, das Schiff an eine andere Stelle des Hafens zu verholen, außerdem waren die meisten Boote unterwegs und anderweitig beschäftigt.

Aber Quantock starrte ihn ratheischend an, während die Seeleute ihn umstanden, wie versteinert vor ungläubigem Entsetzen. Eben noch hatten sie gejubelt, weil der Indienfahrer wohlbehalten bis in den Schutz des Forts gelangt war. Und im nächsten Moment befand sich der Feind mitten unter ihnen und drohte, sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

Keen kannte die Anzeichen nur zu gut: erst Zaudern, dann Panik. Aber er konnte sie doch nicht zwingen, hilflos wie Schlachtvieh dazustehen und den sicheren Tod zu erwarten. Zum Glück hatte er das Schiff sofort gefechtsklar gemacht, nachdem Midshipman Evans Bo-lithos Warnung überbracht hatte.

«Mr. Quantock! Lassen Sie die Backbordkanonen laden und ausfahren! Beide Decks!«Er boxte den Leutnant in die Seite.»Bewegung, Mann!»

Pfeifen schrillten, sie schreckten die Männer aus ihrer Starre und riefen sie auf Gefechtsstationen. In beiden Decks quietschten die Lafetten, als die dem Brander zugewandten Kanonen ausgerannt wurden.

Rauch brannte Keen in den Augen, als er abzuschätzen versuchte, mit wieviel Fahrt der Brander auf sie zukam. Seine Segel waren nur noch verkohlte Fetzen, seine Masten schwarze Stümpfe. Aber er brauchte weder Masten noch Segel, der Winddruck allein genügte, ihn auf sein Opfer zuzutreiben. Während er noch hinsah, stieß der Brander leicht gegen einen an seiner Boje liegenden Toppsegelschoner; im Handumdrehen brannte er wie eine Fackel, und der Ankerwache blieb nur der Sprung ins aufspritzende Hafenwasser.

«Feuerklar, Sir!«Quantocks Stimme klang verzweifelt.

Keen merkte, daß er an Bolitho dachte. Wo steckte er? Schlug er, unterstützt von einer der Patrouillen, einen Flankenangriff irgendwo am Strand zurück? Sein Magen verkrampfte sich. Oder war Bolitho vielleicht schon tot?

«Ziel auffassen!»

Er trat an die Querreling und sah auf seine Stückmannschaften hinunter — wie sonst, wenn sie es mit einem lebenden Feind aufnehmen mußten.

«Feuer!»

In dem engen Hafen hallte die aufbrüllende Breitseite wie ein Donnerschlag. Keen sah die Spur der Kugeln gleich einem Windstoß über das Wasser fahren und spürte das Aufbäumen des Decks unter seinen Füßen, als sich das Schiff im Rückstoß von seiner Muring zu befreien versuchte.

Ein Ruck ging durch den Brander, er versprühte einen Regen brennender Wrackteile, der zischend aufs Wasser schlug.

«Nachladen! Ruhig Blut, Leute!«Das war Mountsteven von der unteren Batterie.

Keen rief:»Mr. Rooke, lassen Sie Männer aufentern und die Segel begießen. Und stellen Sie andere mit Pützen auf die Seitendecks.»

Der Bootsmann nickte und eilte davon, den Befehl auszuführen, obwohl er wußte, daß die wenigen Eimer voll Wasser, die sie in der kurzen Zeit zu den Rahen hinaufziehen oder über die Bordwand gießen konnten, so gut wie nichts bewirken würden: als wolle man einen Waldbrand mit Spucke löschen. Aber es gab ihnen wenigstens etwas zu tun und ließ ihnen keine Zeit, den Kopf zu verlieren und über Bord zu springen — jedenfalls nicht bis zum letzten Augenblick, und dann würde es diszipliniert geschehen.

«Feuer!»

Abermals sah Keen die volle Breitseite in den Brander schlagen, diesmal ins Vorschiff; es machte ihn fast krank vor Verzweiflung, daß die Eisenkugeln nur Löcher rissen, durch die sofort noch größere Flammenbündel ins Freie loderten.

Heiser flüsterte der Master neben ihm:»So können wir ihn nicht aufhalten, Sir.»

Keen sah ihn nicht an. Knocker war ein bedachtsamer Mann und hatte wahrscheinlich schon seinen Chronometer ausgebaut, damit er nicht mit Achates unterging. Aber es stimmte, er konnte sein Schiff nicht mehr retten, das tapfere alte Käthchen, das schon so viel gesehen und erlebt hatte.

Wieder hob Quantock sein Sprachrohr:»Feuer!»

Tuson, der Schiffsarzt, erschien am Fuß der Leiter, und Keen fragte ihn:»Wollen Sie Ihre Verwundeten an Deck schaffen?»

Diese Maßnahme konnte die mühsam bewahrte Disziplin in ein Chaos verwandeln. Wenn die Stampede erst begann, ließ sie sich nicht mehr aufhalten, denn von Dewars Seesoldaten war kein einziger an Bord. Doch als Keen Tusons dankbares Gesicht sah, wußte er, daß er das Richtige getan hatte.

Steuermannsmaat Goddard schrie:»Seht mal dort, Leute!»

Der Indienfahrer hatte ein zweites Fahrzeug gerammt und in Brand gesetzt; aus seiner Ladung schoß ein Funkenregen empor und mehrte die Schrecken noch.

Aber nicht darauf richtete sich Goddards Augenmerk.

Keen hielt so angestrengt Ausschau, daß seine Augen schmerzten, als die kleine Brigantine Vivid ihren Bugspriet durch Rauch und fallende Wrackteile schob; mit vierkant gebraßten Rahen überholte sie den treibenden Brander.

Quantock stöhnte heiser.»Allmächtiger! Sie muß ihm dichtauf in den Hafen gefolgt sein. Gleich fängt sie Feuer!»

Keen riß einem Midshipman das Fernrohr aus der Hand und richtete es auf die näherkommende Flammenwand. In der Vergrößerung wirkte sie noch schrecklicher, und Keen schnürte es nur vom Hinsehen die Kehle zu.

Tyrrells mächtige Gestalt stand am Ruder und steuerte seine Vivid dichter an die Steuerbordseite des Branders heran; im Wirbel der Rauchwolken und Rußfetzen wirkte er unerschütterlich wie ein Fels. Und jetzt schwangen die Spieren herum, die Segel killten und füllten sich wieder; Gott mochte wissen, woher Tyrrells Männer die Kraft nahmen, bei dieser Hitze noch an Schoten und Winschen zu arbeiten.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Keen, daß die ersten Verwundeten an Deck gebracht wurden, aber er konnte sich von der fürchterlichen Szene im Hafen nicht abwenden. Schon glaubte er, die Hitzewelle zu spüren, und war sich klar, daß er bald den Befehl zum Verlassen des Schiffes geben mußte.

«Sichern Sie die Kanonen, Mr. Quantock.»

Er erwartete empörtes Geschrei, aber niemand protestierte gegen den anscheinend sinnlosen Befehl; statt dessen hörte er das Knirschen der Lafetten und Knarren der Handspaken, als die Achtzehnpfünder hinter ihren Stückpforten gesichert wurden, damit sie nicht quer übers Deck rutschten.

Ein vielstimmiges Aufstöhnen lief reihum, als Vivids Toppstander in einem Rauchwölkchen verpuffte. Nur noch wenige Sekunden, dann konnte auch das vorsichtigste Manöver sie nicht mehr vor dem Feuer bewahren.

Vor Keens Augen stießen beide Schiffe mit dem Bug zusammen; die unter Vollzeug segelnde Vivid hatte dabei genug Schwung, um den Brander etwas nach Backbord abzudrängen.

Gepreßt sagte Leutnant Trevenen: «Vivid hat Feuer gefangen, Sir.»

Wie triumphierende Teufel sprangen die Flammen von Rigg zu Rigg über, vermehrten sich blitzschnell und breiteten sich aus, bis die Breitfock sich in Asche auflöste.

Aber immer noch schob Vivid den anderen, schwereren Bug aus dem Kurs. Jetzt würden an der Stelle, wo beide Schiffe ineinander verhakt waren, einige Gestalten sichtbar. Im nächsten Augenblick sah Keen das Wasser aufspritzen: einer der beiden Buganker des Indienfahrers war gefallen. Jemand hatte ihn vom Kranbalken gelöst. Zwar würde die Ankertrosse den Flammen nicht lange standhalten, aber noch grub er sich in den Grund, so daß die Trosse steifkam und der Brander noch weiter nach Backbord schwojte.

Seine eingeäscherte Takelage fiel krachend in sich zusammen und über Bord. Atemlos sagte Knocker:»Bei Gott, er ist auf Grund gelaufen!»

Keen nickte wortlos, er konnte nicht sprechen. Tyrrell, der die Häfen hier wie seine Jackentaschen kannte, hatte sein Rettungsmanöver auf die Sekunde genau berechnet, so daß der brennende Indienfahrer sich immer höher aufs Flach schob.

Keen fand seine Stimme wieder.»Setzen Sie jedes verfügbare Boot aus, Mr. Quantock.»

Vivid brannte jetzt lichterloh. Kaum konnte man das eine Schiff vom anderen unterscheiden, sie waren ein einziges Flammenmeer. Immer noch war Achates nicht ganz außer Gefahr, denn der Brander konnte wieder flottkommen, auch mochte ein brennendes Wrackteil herübertreiben.

Keen wandte sich ab und ließ den Blick über sein Schiff schweifen. Aber was auch noch geschah, sie waren nicht gewichen. Ohne zu wanken hatten sie zusammengehalten, so wie Bolitho es von ihnen erwartete.

Vom Batteriedeck starrten Männer zu Keen herauf; die Gesichter rauchgeschwärzt, erinnerten sie eher an einen Piratenhaufen als an reguläre britische Matrosen. Nun begannen sie zu jubeln, schüttelten die Fäuste und beglückwünschten sich, als hätten sie eine Schlacht gewonnen. Aber Keen entging auch nicht Quantocks bitterer Blick. Endlich hatte die Mannschaft ihren verstorbenen Kommandanten vergessen und Keen akzeptiert.

Keen grinste zu ihnen hinunter, obwohl ihm eher nach Weinen zumute war. Dann faßte er einen Entschluß.

«Lassen Sie meine Gig aussetzen, ich hole Tyrrell selbst.»

Sie fanden Tyrrell und den Rest seiner kleinen Crew im Wasser, wo sie sich an eine Stenge und das Wrack eines gekenterten Bootes klammerten.

Unter ihnen war auch Adam Bolitho, halb nackt und mit einer großen roten Brandwunde an der Schulter.

Tyrrell ließ sich in die Gig helfen und sackte im Heck zusammen, den Blick immer noch auf die Überreste seiner Brigantine gerichtet. Inzwischen war sie bis zur Wasserlinie niedergebrannt, ein unkenntliches Wrack.

Keen sagte:»Ich bedaure, daß dies geschehen ist und auch, daß ich Sie schlecht behandelt habe. Sie kamen in letzter Minute. Nun haben Sie Ihr Schiff verloren, aber meines gerettet.»

Tyrrell schien ihn nicht zu hören. Er legte Adam die Hand auf die unverletzte Schulter und murmelte heiser:»Mir scheint, wir haben beide einiges verloren, wie?»

Als die Gig bei Achates längsseits ging, rannten die Seeleute auf die Seitendecks oder kletterten in die Wanten, um Tyrrell mit Hochrufen zu empfangen.

«Sie sind Ihnen dankbar«, sagte Keen.

«Haben auch Grund dazu.»

Tyrrell musterte sein Holzbein; sogar das war angekohlt. Weshalb sollte er sich wiederholen? Wenn Achates bei dem spanischen Überfall nicht hier gewesen wäre, hätte das alles nicht geschehen müssen. Er blickte hinüber zu der Stelle, wo seine geliebte Vivid jetzt zerbrach und mit einer Dampfwolke versank. Und er hätte immer noch ein

Schiff gehabt.

Da spürte er die Hand des jungen Offiziers auf seinem Arm und hörte ihn tröstend sagen:»Wir werden beide eine neue Chance bekommen, Jethro.»

Tyrrell entblößte die Zähne in einem grimmigen Lächeln.»Verdammt, das will ich doch hoffen. Kann schließlich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, auf euch aufzupassen!»

Keen stand neben Bolithos Tisch und musterte den Vizeadmiral besorgt, der schon die ganze Zeit auf das Logbuch mit den Ereignissen des Tages niederstarrte, aber nichts zu sehen schien.

Er räusperte sich.»Der Zahlmeister berichtet, Sir, daß den ganzen Tag frisches Obst und Gemüse von der Insel herübergeschafft wurden. Jetzt plötzlich können sie gar nicht genug für uns tun.»

Bolitho strich die Papiere glatt. Jetzt plötzlich.. Diese beiden Worte waren vielsagend. Hinter sich hörte er Ozzards leise Schritte, der die Heckfenster schließen ging, weil wieder einmal ein scheidender Tag den Hafen in Schatten hüllte. Immer noch bezeichneten Funken und ein gelegentliches Aufglühen die Stelle der Untiefe, wo der Brander lag. War es tatsächlich erst an diesem Morgen gewesen, daß er sich mit Leutnant Lemoine auf den Festungswällen unterhalten hatte?

Keen merkte, daß Bolitho allein sein wollte, aber es widerstrebte ihm, ihn seinem Gram zu überlassen. Zu gut erinnerte er sich noch an sein Erschrecken, als die Barkasse am Schiff angelegt hatte und All-day leblos an Bord gehievt worden war.

Dieser Anblick hatte all seine anderen Empfindungen wie Asche zerstieben lassen: Stolz auf seine Männer, weil sie sich angesichts der Gefahr tapfer geschlagen hatten; tiefe innere Befriedigung, daß auch er nicht zusammengebrochen war. Doch das zählte nicht mehr, denn Allday war auch ein Teil seines Lebens geworden. Und wenn er's recht überlegte, hatten die meisten Menschen, die ihm etwas bedeuteten, Bolithos Bootsführer eine Menge zu verdanken.

In Augenblicken wie diesen wäre Allday in die Kajüte getreten und hätte unwillkommene Besucher hinauskomplimentiert. Aber nun lag er in Bolithos eigenem Schlafraum mit einer Säbelwunde in der Brust, die sogar den wortkargen Schiffsarzt erschreckt hatte.

Keen versuchte noch einmal, Bolitho anzusprechen.»Wir haben mehrere Gefangene gemacht, Sir: die Besatzung des Branders und einige Soldaten von der Missionsinsel. Sie hatten recht, es sind alles Spanier aus La Guaira. Aber nach diesem Mißerfolg werden die Dons San Felipe in Ruhe lassen müssen. Alle Welt weiß jetzt, was sie vorhatten. Ihre Köpfe werden ziemlich locker sitzen, wenn ihr König erst von dem Desaster hier erfährt.»

Bolitho lehnte sich im Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Immer noch glaubte er, Rauch zu riechen, Alldays mühsames, schmerzverzerrtes Lächeln zu sehen.

Er sagte:»Morgen setze ich meinen Bericht an Sir Hayward Sheaffe auf. Danach ist der Rest Sache des Parlaments. «Beim Geräusch von Schritten blickte er scharf hoch, aber es war nur die Wache, die über ihnen auf und ab ging.

Trotz seiner Vergangenheit war Tuson ein guter Arzt, das hatte er mehrfach bewiesen. Wenn doch nur. Aber Bolitho verbot sich diese Gedanken.

Er sagte:»Es tat mir leid, von Jethro Tyrrells Verlust zu hören.»

«Er trägt es tapfer, Sir. «Keen zögerte.»Aber er bittet darum, daß Sie ihn empfangen.»

Die Tür zum Nebenraum öffnete sich, und Adam betrat lautlos die Tageskajüte.

«Wie geht's ihm?«fragte Bolitho.

Adam hätte gern Tröstliches berichtet, konnte aber nur antworten:

«Er ist immer noch bewußtlos, und Mr. Tuson meint, die Atmung ist zu unregelmäßig. «Er blickte zu Boden.»Ich habe den Arzt ausgefragt, aber…»

Bolitho erhob sich mit bleiernen Gliedern. Von Georgetown schimmerte Licht herüber. Ob die Bewohner immer noch schweigend am Ufer beisammenstanden und zum Schiff starrten? Die ganze Zeit seit dem Angriff hatten sie sich so verhalten — ob aus Mitgefühl oder aus schlechtem Gewissen, das wußte er nicht; es kümmerte ihn auch nicht.

Adam sprach immer noch.»Allday und ich gerieten einmal in Gefangenschaft, Sir. «Er richtete seine Worte an Keen, den Blick aber auf Bolitho.»Später sagte er dann zu mir, damals hätte er zum ersten und einzigen Mal Bekanntschaft mit der Peitsche gemacht. Das schien er für einen Scherz zu halten.»

Keen nickte.»Typisch für ihn.»

Bolitho ballte die Fäuste. Sie wollten ihm helfen, machten aber alles nur noch schlimmer.

Abrupt sagte er:»Ich gehe zu ihm. Ihr beide ruht euch jetzt besser aus. Kümmere dich um die Brandwunde, Adam. In diesem Klima. «Er ließ den Satz unvollendet.

Keen ging voran durch die Tür und fragte über die Schulter:»Fällt Ihnen die Stille an Bord auf? Dabei heißt es immer, Schiffe bestünden nur aus Holz und Kupfer.»

Adam nickte, froh darüber, daß sein Gesicht unter dem Hüttendeck im Schatten blieb. Selbst jetzt hatte Bolitho an seine verbrannte Schulter gedacht. Es war unglaublich.

Bolitho öffnete die schmale Tür und betrat seine Schlafkajüte. Das Schiff lag so reglos an seiner Muring, daß es sich kaum bewegte.

Tuson, der eine kleine Arzneiflasche ans Lampenlicht gehalten hatte, wandte sich bei Bolithos Eintritt um.

«Unverändert, Sir. «Das klang wie ein Vorwurf.

Bolitho blickte auf das Lager nieder, auf dem er so viele Nächte gegrübelt hatte. Allday war dick bandagiert und lag mit seitlich gedrehtem Kopf da, wohl damit er leichter atmen konnte. Bolitho berührte seine eiskalte Stirn und versuchte, sein Erschrecken zu verbergen. Die Haut fühlte sich schon an wie die eines Toten.

Leise berichtete Tuson:»Der Stich hat die Lunge knapp verfehlt,

Sir. Gott sei Dank, daß es offenbar eine saubere Schneide war. «Und als Bolithos Gestalt in den Schatten zurücktrat:»Möchten Sie, daß ich bei ihm bleibe, Sir?»

«Nein. «Bolitho wußte, daß noch viele Verwundete Tusons Hilfe benötigten.»Aber vielen Dank.»

Tuson seufzte.»Bin sofort da, wenn Sie mich brauchen.»

Bolitho folgte ihm in die Tageskajüte hinaus.»Sagen Sie es mir offen.»

Tuson schlüpfte in seinen einfachen blauen Rock.»Ich kenne ihn nicht so gut wie Sie, Sir. Er scheint mir ziemlich kräftig zu sein, aber es ist eine schwere Verwundung. Die meisten wären ihr an Ort und Stelle erlegen. Es tut mir aufrichtig leid.»

Als Bolitho wieder aufblickte, war Tuson schon gegangen, hinunter ins Orlopdeck, in die Einsamkeit seines Lazaretts.

Aber Ozzard drückte sich noch in der Kajüte herum.»Brauchen Sie etwas, Sir?»

Erst jetzt gewahrte Bolitho seine schmächtige Gestalt. Auch Ozzard bangte um Allday, das sah man ihm an.»Was hat Allday am liebsten getrunken?»

Ozzards feuchte Augen leuchteten auf.»Tja, Sir — Rum natürlich. War einem guten Schluck nie abgeneigt. «Verlegen gestikulierte er. »Ist einem guten Schluck nie abgeneigt, meine ich.»

Bolitho nickte. Das war wieder einmal kennzeichnend für Allday. In kritischen oder gefährlichen Augenblicken, zu traurigen oder fröhlichen Anlässen hatte er ihm oft Brandy angeboten. Und Allday hatte akzeptiert, obwohl ihm doch Rum sehr viel lieber gewesen wäre.

Leise sagte er:»Dann holen Sie bitte Rum, Ozzard. Und sagen Sie dem Zahlmeister: vom besten.»

Bolitho saß neben Alldays Lager, die Tür zur Nachbarkajüte der besseren Lüftung wegen halb offen, als Ozzard mit einem kupfernen Krug zurückkehrte. Bei der Hitze wurde ihm von dem starken Aroma fast schwindlig.

Bolitho versuc hte, sich auf die Aufgaben des nächsten Tages zu konzentrieren, auf Tyrrells Zukunft, aber er sah immer nur Belindas Gesicht bei ihrem Abschied vor sich, wie sie Allday gebeten hatte, ihm und Adam beizustehen. So viele Reisen hatten sie gemeinsam gemacht — und erst letztes Jahr waren sie in Frankreich in Gefangenschaft geraten. Es war Allday gewesen, der den todkranken John Ne ale auf seinen Armen getragen hatte, dessen Willensstärke und Zuversicht ihnen Mut und Zusammenhalt gegeben hatte. Und er erinnerte sich an seine Kadettenjahre: Damals hatte er es als ganz selbstverständlich angenommen, daß einem Admiral niemals Kummer und Selbstvorwürfe zu schaffen machten.

Vom Vorschiff klangen die dünnen Töne einer Fiedel herein, und Bolitho sah im Geiste die Freiwächter vor sich, die sich in der Abendkühle vergnügten. Dann erblickte er sein eigenes Gesicht im Spiegel über dem kleinen Tisch und sah weg. Ob sie jetzt mit ihrem Vizeadmiral getauscht hätten?

Er nahm ein sauberes Taschentuch, befeuchtete es mit Rum und betupfte damit vorsichtig Alldays Mund.

«Hier, alter Freund. «Bolitho biß sich auf die Lippen, als der Rum wirkungslos von Alldays Kinn tröpfelte. Mitten auf dem Brustverband leuchtete ein roter Fleck. Es drängte Bolitho, nach dem Wachtposten zu rufen und den Arzt zurückholen zu lassen, aber er beherrschte sich. Alldays Ringen mit dem Tod ging nur ihn selbst an. Auch wäre es grausam gewesen, seine Leiden jetzt noch zu vermehren.

So starrte Bolitho nur in Alldays vertrautes Gesicht. Es schien plötzlich gealtert zu sein, fiel ihm auf. Das Begreifen ließ ihn aufspringen, auch wenn er die Erkenntnis nicht akzeptieren wollte.

Mit geballten Fäusten sah er sich wild in der engen Kajüte um, wie ein Tier in der Falle. Dagegen war er machtlos. Ohne zu wissen, was er tat, hob er den Krug an die Lippen und trank, bis ihm der scharfe Rum die Kehle verbrannte und er keuchend nach Luft ringen mußte.

Als er darauf wartete, daß sich sein Atem beruhigte, sah er Ozzards schmächtige Gestalt vor der halboffenen Tür warten. Mit einer Stimme, die ihm selbst fremd klang, sagte er:»Meine Empfehlung an den Arzt und.»

Ozzard schien noch mehr zu schrumpfen, als er Bolithos Worte begriff.»So schnell ich kann, Sir!»

Bolitho fuhr herum, weil Allday suchend über den Rand der Koje tastete.

«Ja, ich bin hier.»

Er nahm Alldays Faust zwischen beide Hände und starrte ihm gebannt ins Gesicht. Darauf zeigte sich jetzt ein Stirnrunzeln, als versuche Allday, sich an etwas zu erinnern. Seine Finger hatten weniger Kraft als die eines Kindes.

Bolitho flüsterte:»Warte noch. Gib nicht auf. «Er drückte Alldays Hand fester, spürte aber keine Erwiderung.

Doch dann öffnete Allday die Augen und starrte ihn an, sekundenlang und anscheinend ohne ihn zu erkennen. Seine Lippen bewegten sich, und er sprach so leise, daß Bolitho sich tief über ihn beugen mußte.

Allday murmelte:»Aber Sie mögen doch keinen Rum, Sir.»

Bolitho nickte.»Stimmt. «Er hätte gern mehr gesagt, um Allday zu ermutigen, aber die Stimme versagte ihm.

Türenschlagen, eilige Schritte draußen, und dann stürzte Tuson, gefolgt von Keen und Adam, in die Kajüte.

Der Schiffsarzt legte seine Hand auf Alldays Brust, ohne sich um das Blut zu scheren. Dann sagte er:»Er atmet schon sehr viel besser. «Und mit einem Schnüffeln:»Ist das Rum?»

Alldays Augen kippten immer wieder weg, aber er schien unbedingt sprechen, Bolitho irgendwie beruhigen zu wollen.

«Hätte gern 'nen Schluck, Sir.»

Tuson trat beiseite und beobachtete kritisch, wie Bolitho dem Bootsführer den Kopf stützte und ihm mit der anderen Hand ein Glas an die Lippen hielt. Er wußte, diesen Anblick würde er sein Leben lang nicht vergessen.

Schließlich sagte er:»Legen Sie ihn jetzt zurück.»

Er sah zu, wie Bolitho sich Wasser aus einer Schüssel ins Gesicht spritzte, um sich für die anderen draußen zu wappnen.

«Ihretwegen brauchen Sie das nicht zu tun, Sir. «Später wunderte Tuson sich über sich selbst, daß er es gewagt hatte, seinen Admiral so vertraut anzusprechen.»Es schadet nichts, wenn sie sehen, daß auch Sie Gefühle haben. Wie wir alle.»

Bolitho warf noch einen Blick auf Allday. Er schien jetzt zu schlafen.

«Danke«, sagte er.»Sie können nicht wissen. «Damit verließ er den Schlafraum, um den anderen gegenüberzutreten.

Der Arzt betrachtete den Krug Rum auf dem Tisch und verzog das Gesicht. Sein Sachverstand sagte ihm, daß Allday längst tot sein müßte. Er begann, den blutigen Verband aufzuschneiden.

Aber dann verzog sich Tusons ernstes Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Ein Schluck Rum, bei Gott…

In der Tageskajüte saßen die anderen schweigend beisammen, bis Ozzard eine Karaffe Wein brachte. Da endlich hob Keen sein gefülltes Glas.»Auf uns alle, Sir«, sagte er.

Bolitho wandte den Blick ab. Keen hätte keinen besseren Toast ausbringen können.

Загрузка...