VII Vor dem Angriff

«Die Einfahrt nach Rodney's Harbour ist eng. Sir. Höchstens eine Meile breit. «Stirnrunzelnd ließ Keen sein Fernrohr sinken.»Da könnte eine gut plazierte Batterie eine ganze Flotte fernhalten.»

Bolitho schritt zur anderen Deckseite, damit sein Blick nicht durch die Wanten behindert wurde. Sie waren während der Nacht besser als gedacht vorangekommen; jetzt zeichnete sich vor ihnen in der Morgensonne die eindrucksvolle Pyramide des erloschenen Vulkans ab, und Bolitho studierte seine Größe und die zerklüftete Küste der Insel mit gebührendem Respekt.»Nordwest zu West, Sir«, sang der Rudergänger aus, und Knocker grunzte eine Bestätigung.

Keen spähte zur Windfahne im Masttopp auf. Ohne einmal zu killen, zeigte sie nach Backbord voraus, also blieb der Wind immer noch stetig.

Bolitho glaubte zu spüren, wie Keen kalkulierte und überlegte, während sich sein Schiff vorsichtig auf das wie ein Dorn ins Meer ragende Vorland zuschob.

So vor dem Wind segelnd, konnten sie den Hafen zwar direkt anliegen, aber andererseits standen sie damit an einer Leeküste; Vorsicht war also geboten. Schon bei Morgengrauen hatte Keen zwei gute Lotgasten nach vorn in die Stampfketten geschickt, und seither warnten ihre regelmäßigen Rufe vor der Gefahr; aber noch hatten die Senkbleie keinen Grund gefunden. Der Meeresboden stieg vor der Insel sehr steil an, und sobald sie erst auf gleicher Höhe mit dem Inselchen an der südlichen Landspitze waren, mußten sie auf Riffe achten; sollte das Schiff aus dem Ruder laufen, würden sie ihnen den Kiel herausreißen.

«Nehmen Sie die Breitfock weg, Mr. Quantock. «Keens Stimme klang ruhig, aber seine Augen waren überall; die Bramsegel standen im Wind so steif wie Bretter.

«An Deck!»

Bolithos auf dem Rücken verschränkte Hände krampften sich umeinander, als der Ausguckposten meldete:»Die Einfahrt ist gesperrt,

Sir!»

Keen starrte ihn an.»Zum Teufel, was fällt denen ein?»

Scharf befahl Bolitho:»Schicken Sie einen Offizier nach oben. Dann machen Sie klar zum Ankern!»

«Aber. «Keen schluckte seinen Protest hinunter, denn er wußte, Bolitho kannte die Risiken selbst nur zu gut. Auf so tiefem Wasser vor Legerwall[9] zu ankern, hieß das Schicksal herausfordern. Wenn der Wind auffrischte, würde der Anker schlieren und Achates hilflos auf die überspülten Korallenriffe treiben.

Bolitho schritt auf und ab und überlegte, während ein Leutnant in fliegender Hast zum Krähennest aufenterte.

Dem Gouverneur stand es frei, seine Insel zu schützen, auf welche Weise ihm beliebte. Vielleicht war er ja von anderer Seite angegriffen worden und würde die Sperre entfernen, sobald Achates identifiziert worden war. Aber Bolitho verwarf diese Idee sofort wieder. Das Schiff hatte fast seine gesamte Dienstzeit in diesen Gewässern gesegelt und mußte mit Leichtigkeit erkannt worden sein.

Der Leutnant, der zur Unterstützung des Ausguckpostens aufgeentert war, rief zum Deck herunter:»Die Sperre besteht aus einer Reihe vermurter Boote, Sir!»

Er war erst kürzlich zum Offizier befördert worden und hatte eine helle junge Stimme, die fast mädchenhaft klang; einige Matrosen grinsten bei ihrem Klang und stießen sich an, bis ein Anraunzer von Quantock sie zur Ordnung rief.

Mit einem Ruck schob Keen sein Teleskop zusammen.»Klar zum Anluven. Bemannt die Brassen. Und die Ankerwache nach vorn — aber lebhaft!»

Wieder ließ der junge Leutnant sich von oben vernehmen:»Eine Yawl hält auf uns zu, Sir!»

Besorgt suchte Keen Bolithos Blick.

«Also ankern Sie«, sagte dieser kurzangebunden.

«Rüder nach Lee! Halten Sie sich bereit, Mr. Quantock!»

Mit Getöse schwangen die Rahen herum, Segel knallten und Blöcke schlugen, als das Schiff abrupt an Fahrt verlor.

«Laß fallen Anker!»

Mit einem gewaltigen Platschen schlug der schwere Anker in die See und warf Gischt bis über den Klüverbaum auf. Bootsmann Rooke und ein Leutnant beugten sich auf dem Vorschiff übers Schanzkleid. Oben in der Takelage arbeiteten die Toppgasten wie die Teufel, um schnell die Segel wegzunehmen und den Druck zu verringern, während immer noch mehr Ankertrosse im tiefen Wasser verschwand.

«Anker hält, Sir!«kam endlich der erlösende Ruf.

Keen nickte.»Verdammte Schweinehunde!«murmelte er.

Gemächlich kreuzte die Yawl heran. Der Midshipman der Wache hatte scharfe Augen.»Da ist so was wie ein Offizier an Bord, Sir«, sagte er.

Hauptmann Dewar von den Marinesoldaten fragte:»Ehrenwache aufziehen, Sir?»

Keen funkelte ihn wütend an.»Nachdem sie meinem Schiff die Einfahrt versperrt haben? Eher sehe ich ihn in der Hölle braten!»

Die braunen Segel der Yawl wurden niedergeholt. Als sie an die Bordwand des Linienschiffs glitt, sagte Bolitho:»Ich empfange ihn in meiner Kajüte. «Damit verschwand er nach achtern, um Keens ohnmächtige Wut nicht länger mitansehen zu müssen.

Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, ehe der Besucher zu ihm gebracht wurde, und Bolitho fand Zeit, sich zu fragen, wie sich wohl Nelson in seiner Lage verhalten hätte. Einerseits konnte er die Inselbewohner verstehen, andererseits durfte er dieses Benehmen nicht dulden. Yovell öffnete die Tür und ließ den Besucher eintreten, einen Mann von etwa dreißig Jahren, in eindrucksvoller Uniform: blauer Rock und weiße Hose, dazu sowohl Säbel wie Pistole im auf Hochglanz polierten Gürtel. Er sprach mit leicht westenglischem Akzent. Aus Devon, schätzte Bolitho, wie sein. Sekretär.

«Ich komme im Auftrag des Gouverneurs!»

Keen, der ihm auf den Fersen gefolgt war, bellte:»Sie haben >Sir< zu sagen, wenn Sie mit dem Admiral sprechen!»

«Und wie war Ihr Name, wenn ich fragen darf?«sagte Bolitho.

Der Mann warf Keen einen wütenden Blick zu.»Ich bin Hauptmann Masters von der Miliz auf San Felipe. «Pause.»Sir.»

«Also gut, Hauptmann Masters. Ehe einer von uns etwas Unwiderrufliches äußert, will ich Ihnen meine Absichten erläutern.»

Aber der Mann hatte sein Selbstvertrauen wiedergefunden und unterbrach Bolitho:»Der Gouverneur läßt Ihnen durch mich mitteilen, daß die Sperre an ihrem Platz bleibt, bis die Verhandlungen beendet sind. Danach.»

Ruhig sagte Bolitho:»Was danach kommt, geht ihn nichts mehr an. Und wie soll ich den Gouverneur besuchen, wenn mein Schiff am Einlaufen gehindert wird?»

«Ich bringe Sie in der Yawl an Land. «Er sah, daß Keen einen Schritt auf ihn zu machte, und ergänzte schnell:»Sir.»

«Aha. Und jetzt teile ich Ihnen etwas mit, Hauptmann Masters von der San-Felipe-Miliz: Ich gehe in meiner Barkasse an Land und werde dem Gouverneur die schriftliche Entscheidung der Regierung Seiner Majestät übergeben.»

«Er wird sie nicht akzeptieren!»

Bolitho sah Keen an.»Lassen Sie meine Barkasse aussetzen. «Er las Keen den Widerspruc h vom Gesicht ab; genau wie Herrick, dachte er.

«Dann segle ich vor Ihnen her«, beharrte Masters.

«Nein. Sie stehen unter Arrest. Jede Gegenwehr Ihrerseits wird scharf geahndet, und zwar durch den Strick. Habe ich mich klar ausgedrückt?»

Bolitho sah, daß er mit seinen beherrschten Worten ins Schwarze getroffen hatte. Wahrscheinlich war Masters gewöhnt, Eingeborene auf den Plantagen zu schikanieren; diese plötzliche Wende seines Geschicks machte ihn sprachlos.

Keen fuhr ihn an:»Legen Sie die Waffen ab!«Und mit erhobener Stimme:»Sergeant Saxton, führen Sie diesen Mann in die Zelle!»

Als der Seesoldat ihm Säbel und Pistole abnahm, rang Masters nach Luft.»Ihre Drohungen können mich nicht einschüchtern, Admiral!«rief er aus.

Bolitho erhob sich und trat an die Heckfenster. Von der Festung herunter mußten viele Zeugen das Schiff beobachten und abwarten, welchen Lauf die Dinge nahmen. Vielleicht eröffnete der Gouverneur sogar das Feuer auf seine Barkasse oder nahm ihn als Geisel, bis…

Er verbot sich diese Gedanken und sagte nur kalt zu Masters:»Das sollten sie aber.»

Als er sich wieder umwandte, war Masters schon abgeführt worden; draußen erklangen laute Befehle, als die Seesoldaten das Kommando über die Yawl übernahmen.

Eifrig schlug Keen vor:»Lassen Sie mich die Sperre rammen, Sir! Dann laufen wir ein wie geplant und beharken diese räudigen Meuterer, daß es ihnen eine Lehre ist.»

Bolitho tat seine Besorgnis wohl.»Dazu würden wir den ganzen Tag brauchen, vielleicht sogar länger. Selbst wenn Sie Erfolg damit hätten, würde es viele Menschenleben kosten, und falls der Wind überraschend auffrischte, müßten Sie das Gefecht abbrechen und seewärts aufkreuzen, abermals an den Kanonen des Forts vorbei.»

Keen resignierte.»Welcher Offizier wird Sie begleiten, Sir? Meiner Ansicht nach sollte ich mitkommen.»

Bolitho mußte plötzlich lächeln, wohl aus Erleichterung darüber, daß das Warten endlich vorbei war.

«Was, Sie wollen Ihr Schiff verlassen? Wenn wir beide in Rivers' Gewalt sind, kann alles mögliche geschehen. «Keens Enttäuschung und Reue betrübten ihn, aber er fuhr fort:»Ein Leutnant und — äh — Midshipman Evans werden völlig genügen.»

Ozzard holte den alten Familiensäbel herbei, aber Bolitho sagte:»Nein. Diesmal den anderen.»

Wenn irgend etwas Unvorhergesehenes geschah, blieb die Waffe für

Adam erhalten. Bolitho sah an ihren Gesichtern, daß alle seine Gedanken erraten hatten.

Als er an Deck kam, stand die Sonne schon über dem Vulkangipfel, und die Planken waren bereits so heiß wie Ziegel im Backofen: zundertrockenes Holz, dazu geteerte Taue und die Segel — das alles würde aufflammen wie Fackeln, wenn die Inselbatterie mit glühenden Kugeln feuerte. Aber auch mit gewöhnlicher Munition war eine günstig plazierte Festlandsbatterie einem Schiff überlegen, das auf dem begrenzten Raum des Hafens nur schwerfällig manövrieren konnte.

Bolitho sah Alldays grimmig beobachtenden Blick, die Neugier der Soldaten und Matrosen auf den Seitendecks. An der Eingangspforte verhielt er den Schritt und blickte den Kommandanten noch einmal an.»Wenn ich mich irre«, er sah Keens Wangenmuskeln arbeiten,»oder heute falle, dann versprechen Sie mir, an Belinda zu schreiben. Erklären Sie's ihr, so gut es geht.»

Keen nickte stumm, platzte dann aber doch heraus:»Wenn die Hand an Sie legen, Sir…»

«Sie handeln wie befohlen, Val. Und tun weder mehr noch weniger.»

Bolitho grüßte die Flagge und stieg in die wartende Barkasse hinunter.

Unten fand er Trevenen vor, den Sechsten Offizier, und Midship-man Evans.»Schöner Tag für einen Ausflug, meine Herren«, begrüßte er sie.

Trevenen strahlte über die unerwartete Ehre, als Adjutant des Admi-rals fungieren zu dürfen; im Gegensatz dazu blickte Evans sich gehetzt um, die Augen dunkel und leer.

«Das gefällt mir nicht, Sir«, sagte Allday leise.

«Vom Reden wird's nicht besser.»

Allday seufzte. Inzwischen kannte er die Gefahrenzeichen.»Stoßt ab vorn! Rudert an — zugleich!»

Bolitho warf einen schnellen Blick achteraus und sah sein Schiff zurückgleiten, die Gesichter an der Pforte verschwimmen und ihre Identität verlieren.

Da wandte er sich seinen Begleitern zu. Der rangniedrigste Offizier der Besatzung und ein dreizehnjähriger Kadett waren bestimmt nicht die Eskorte, die der Gouverneur erwartete. Aber genau wie bei seinem alten Säbel wollte er nichts riskieren. Wenn die Lage kritisch wurde, brauchte Keen jeden erfahrenen Offizier und Mann, den er bekommen konnte.

Als die Barkasse durch die Brandung stampfte, hörte Bolitho Metall klappern und bemerkte, daß unter jeder Ducht und in bequemer Reichweite Entermesser und Pistolen verstaut waren.

Er blickte in Alldays Pokergesicht, und ihre Augen trafen sich.

Hier bedurfte es keiner langen Erklärungen; Allday hatte schon eigene Pläne in die Wege geleitet.

Nervös meldete sich der Leutnant zu Wort.»Da liegt die andere Insel, Sir.»

Bolitho beschattete die Augen und studierte den Felsbuckel. Er war baumlos, doch umgab reichlich Gebüsch das aus Stein erbaute Missionshaus mit seinen Nebengebäuden. Auf einem kleinen hellen Strand lagen mehrere Boote, hoch über die Brandungslinie gezogen. Selbst Mönche und Priester mußten fischen, dachte Bolitho, und neben dem Beten auch ihr Land bestellen.

Dann konzentrierte er sich auf die Sperre. Mitten im Fahrwasser lagen Leichter und alte Hulks verankert und verwehrten Achates oder jedem anderen Schiff ihres Tiefgangs die Einfahrt. Bolitho hob den Blick zum Fort, das größer war als erwartet. Seewärts fiel das Gelände darunter steil ab und widersetzte sich jedem Sturmangriff; wie auch die Mauern unverwundbar wirkten, jedenfalls für seine Vierundzwan-zigpfünder.

Auf der anderen Seite des Hafens sah er helle Häuserwürfel und lächelte grimmig. Das war Georgetown, Rivers' kleines Königreich. Im Hafen selbst ankerten verschiedene Schiffe, meist Frachtsegler und Fischerboote.

Allday sagte durch die Zähne:»Da sind Bewaffnete auf der Sperre,

Sir.»

Bolitho nickte.»Halte nach Steuerbord.««Kurz wandte er sich um nach seinem Schiff, aber es wurde schon vom Vorland verdeckt. Nur die Masttoppen und Bramrahen ragten über den Kamm, als seien sie dort eingepflanzt.

Bolitho spürte Evans auf der Ducht herumrutschen und sah ihn die Faust um den Griff seines Dolchs krampfen. Konnte man mit einer Nadel einen angreifenden Bullen bremsen? dachte Bolitho. Laut sagte er:»Ich habe Sie für den Fall mitgenommen, daß Sie etwas wiedererkennen.»

Der Junge sah zu ihm auf.»Ich weiß, Sir«, sagte er leise. Sein Blick wanderte über die Sperre zum Hafen, aber er schwieg.

Bolitho erriet, daß Evans wieder die Sparrowhawk vor sich sah, wie sie hier unter den Kanonen des Forts geankert hatte. Sein erstes Kriegsschiff, eine Heimat auf Zeit und die erste Sprosse auf seiner Karriereleiter, aber auch mit Freunden an Bord wie jenem Midship-man, den er hatte sterben sehen. Trotzdem — irgendeine Kleinigkeit konnte bei ihm eine wichtige Erinnerung auslösen. Sie mußten nach jedem Strohhalm greifen.

Allday erstarrte beim scharfen Knall einer Muskete, und Bolitho sah die Kugel querab eine Gischtspur aufwerfen, ehe sie versank.

Er sagte:»Pullt weiter. Nicht aus dem Takt kommen.»

Seine ruhige Stimme gab den Bootsgasten neuen Mut, die mit dem Rücken zur Sperre saßen und damit rechnen mußten, daß die nächste Kugel sie traf.

Bolitho straffte sich. Sein Zweispitz und die Goldepauletten mußten für jeden Scharfschützen ein gutes Ziel abgeben.

Aber es fielen keine Schüsse mehr. Als die Barkasse das Steuerbordende der Sperre rundete, sah Bolitho ganze Trupps neugieriger Bewaffneter zu ihnen herüberspähen. Einer schüttelte drohend seine Muskete in der erhobenen Faust.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Jeder Fluchtweg war ihnen versperrt.

Auf dem Kai unterhalb des Forts sah Bolitho eine Gruppe Männer beisammenstehen. Plötzlich schien ihm Sir Hayward Sheaffes stilles Dienstzimmer in der Admiralität, wo all dies begonnen hatte, unendlich weit entfernt.

Bolitho hatte sich keine genaue Vorstellung vom Gouverneur der Insel San Felipe gemacht, aber dennoch überraschte ihn Sir Humphrey Rivers' Erscheinung. Er war hochgewachsen und beleibt, fast aufgeschwemmt, mit einem vom heißen Klima und vom Trunk geröteten Gesicht. Aber er begrüßte Bolitho mit jovialem Lächeln und geleitete ihn zuvorkommend sofort in den kühleren Schatten der Festungsmauern.

Als sie eine eisenbeschlagene Tür durchschritten und einen mit Fellen und Gemälden dekorierten Korridor, sprach Rivers ununterbrochen.»Später werden Sie mir hoffentlich in meinem Haus die Ehre geben«, sagte er über die Schulter.»Aber jetzt, schätze ich, möchten Sie wohl zuerst Ihren Auftrag hinter sich bringen.»

Vor Bolitho öffnete sich eine zweite Tür, ein schwarzer Lakai mit Perücke verbeugte sich tief, als sie an ihm vorbeigingen.

Rivers wischte sich das Gesicht mit einem Seidentuch, dann musterte er Leutnant Trevenen und den kleinen Kadetten mit unverhohlener Belustigung.

«Bei Gott, Bolitho, haben Sie wirklich nur diese Kindereskorte, um den Wünschen der Admiralität Nachdruck zu verleihen?»

Auf sein Fingerschnippen trat ein zweiter Lakai lautlos mit einem Tablett voller Weingläser heran.

Rivers lächelte mit schmalen Lippen.»Vielleicht möchten sich Ihre jungen Begleiter jetzt zurückziehen?»

«Einverstanden. «Es hatte keinen Sinn, die beiden noch mehr zu gefährden.

Anschließend fragte Bolitho:»Sie kennen den Grund meiner Anwesenheit, Sir Humphrey?»

Rivers rückte seine Massen auf einem Stuhl zurecht und musterte kritisch sein Weinglas.

«Natürlich. Den kennt jeder. Und genauso wissen auch Sie, was ich davon halte?«Kichernd nahm er einen tiefen Schluck.»Ich entschuldige mich für diese lästige Sperre, aber sie war leider notwendig. «Dann erst schien ihm aufzufallen, daß Masters nicht mit Bolitho zurückgekehrt war, und er fragte abrupt:»Wo ist mein Milizhauptmann?»

«An Bord der Achates, Sir Humphrey.»

«Aha. «Er ließ sich Wein nachschenken.»Alles spricht dafür, daß der Wind auffrischen wird. Sie wissen aus eigener Erfahrung mit unseren Gewässern, daß es hier selbst zu dieser Jahreszeit ziemlich rauh werden kann. Wir wollen doch nicht, daß Ihrem — äh — Flaggschiff so dicht unter Land etwas zustößt?»

Bolitho versuchte den Wein und wunderte sich, daß er angesichts der Umstände so ruhig bleiben konnte. Rivers hatte offensichtlich an alles gedacht, auch daran, wie ein Schiff sich bei Sperrung des Hafens verhalten mußte.

Rivers beobachtete ihn aufmerksam.»Wir sollten den Tatsachen ins

Gesicht sehen. Ihr Schiff kann da draußen nicht unbegrenzt ankern, Sie werden bald wieder Segel setzen müssen. Danach können Sie das Trinkwasser rationieren, bis Ihre Besatzung kurz vor der Meuterei steht, oder Sie können auf Unterstützung warten, die vielleicht niemals eintrifft. Oder Sie kommen jetzt und hier mit mir zu einer neuen Vereinbarung. Ich bleibe als Gouverneur im Amt, mit alleiniger Verantwortung für das Gedeihen und die Verteidigung der Insel. «Und für den Profit, dachte Bolitho.

Rivers erhob sich ächzend und schritt zu einem Fenster hinüber.

«Die Insel ist unangreifbar, das werden Sie einsehen. Und die Amerikaner werden mir im Notfall helfen. Ich lasse es nicht zu, daß die Musjös hier ihre Trikolore hissen. Genau das habe ich auch Ihrem impertinenten Fregattenkapitän gesagt.»

«Die Sparrowhawk wurde kurz nach dem Verlassen dieses Hafens versenkt, Sir Humphrey.»

Er ließ Rivers' sanguines Gesicht dabei nicht aus den Augen und stellte fest, daß ihn diese Nachricht ehrlich überraschte.

«Versenkt? Was reden Sie da?»

«Sie wurde von einem überlegenen Kriegsschiff angegriffen, ohne jede Vorwarnung oder Chance zur Gegenwehr, und in den Grund gebohrt. Sie sehen also, Sir Humphrey, es sind noch andere als die Franzosen an dieser Insel interessiert.»

Rivers kippte seinen Wein hinunter, abgewandt, um seine Verwirrung zu verbergen.

«Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich war es ein Pirat, hier wimmelt es nur so von ihnen. Da die britische Marine praktisch abgemustert hat, ist das ja auch nicht überraschend.»

Rivers knallte das leere Glas aufs Tablett und stürmte keuchend zu einer Tür am anderen Ende des Raumes.»Ich will Ihnen etwas zeigen. «Ein Lakai sprintete ihm voraus, um die Tür rechtzeitig zu öffnen.

Dahinter war von Teppichen und bequemen Möbeln keine Rede mehr. Eine lange, zinnenbewehrte Bastion mit schwerer Artillerie hinter den Schießscharten gab den Blick auf den Hafen frei: Rivers' Trumpfkarte.

Er marschierte zur letzten Kanone in der Reihe und legte wie liebkosend die Hand auf ihr verziertes Verschlußstück.

«Hier, werfen Sie mal einen Blick hinunter, Bolitho.»

Er trat beiseite, voll Stolz und Siegessicherheit. Bolitho spürte plötzlich eine heftige Abneigung gegen diesen Mann, dem das Schicksal Duncans und aller anderen völlig einerlei war.

Er bückte sich, visierte an dem langen schwarzen Rohr entlang und sah, daß die Kanone auf eine Reihe Festmacherbojen zielte, an deren einer auch seine Barkasse vertäut war. Er erkannte sogar Allday, der im Boot stand und die Augen beschattete, um besser zur Festung spähen zu können.

Aalglatt fuhr Rivers fort:»Da unten lag auch die Sparrowhawk. Ich hätte sie genauso leicht versenken können wie Ihr Boot.»

Bolitho richtete sich wieder auf und musterte Rivers kühl.»Sie waren selbst einmal Flaggoffizier, Sir Humphrey. Sie wissen, die Marine würde niemals dulden, daß.»

Rivers grunzte verächtlich.»Sie hätte gar keine andere Wahl. Hohe Verluste, nur um den Franzosen gefällig zu sein? Nicht einmal das Parlament ist so verblendet.»

Bolitho warf noch einen letzten Blick über die Reede. Das Wasser war unruhig, die Wellen trugen schon weiße Gischtkämme. Der Wind legte immer noch zu, was sich auch an den steif auswehenden Flaggen der Schiffe unten verriet. Aber die lagen hier geschützt. Achates nicht.

Er sagte:»Ich kehre auf mein Schiff zurück. «Und fügte hinzu, ohne aus seiner Verachtung ein Hehl zu machen:»Es sei denn, Sie wollten mich daran hindern?»

«Ohne Vereinbarung, Bolitho?»

«Treiben Sie nicht Ihr Spiel mit mir, Sir Humphrey. Sie mußten wissen, daß ich Hochverrat verabscheue.»

Rivers lächelte.»Im Gegensatz zu anderen in Ihrer Familie, wie?»

Bolitho nahm seinen Hut aus der Hand eines Lakais, langsam, damit sein Zorn verebben konnte. Eige ntlich ganz gut, daß Adam nicht zugegen war, dachte er. Diese Beleidigung seines Vaters hätte ihn zur Waffe greifen lassen, und dann hätten Rivers' Soldaten die Sache auf der Stelle zu einem schrecklichen Ende gebracht.

So sagte er nur:»Das war billig, aber nicht überraschend.»

Rivers nahm wieder Platz und wischte sich das Gesicht. Er vermochte seine freudige Erregung über den Sieg nicht zu verbergen.

Bolitho ging zur Tür und sah Midshipman Evans im Korridor allein an einem offenen Fenster stehen.

Rivers rief Bolitho nach:»Ich habe mir erlaubt, Ihren kleinen Leutnant festzusetzen, bis mein Boot und meine Leute unbehelligt zurückkehren.»

Bolitho nickte langsam.»Wie Sie meinen.»

Das schien Rivers zu enttäuschen.»Sie können es sich immer noch anders überlegen.»

Bolitho winkte Evans heran.»Wie Sie selbst sagten, wimmelt es in dieser Gegend von Piraten. Mit einem von ihnen habe ich wohl soeben gesprochen.»

Damit wandte er sich abrupt um und schritt durch den Gang davon, halb in Erwartung einer Kugel oder eines anderen plötzlichen Angriffs.

Evans mußte rennen, um ihn einzuholen.

«Rufen Sie die Barkasse heran«, befahl Bolitho knapp.

Heiß strich der Wind über sein Gesicht, verstärkte noch die Drohung des bleigrauen Himmels. Es mußte auf Anhieb klappen, dachte Bolitho. Denn es gab weder einen zweiten Versuch noch eine andere

Wahl.

Erleichtert sah Allday zu, als Bolitho und der Kadett ins Boot stiegen.»Das war's dann, Sir«, murmelte er.

Bolitho sagte, den Blick auf die eintauchenden Riemen gerichtet:»Keine Hast, wenn ich bitten darf. «In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken an das Bevorstehende, aber Rivers durfte keinesfalls argwöhnisch werden.

In seiner Achterkajüte warf er Ozzard den goldbetreßten Admirals-rock zu und blickte Keen, Quantock und den beiden Offizieren der Marine-Infanterie entgegen, die Yovell hereinführte.

«Wir greifen an, Kapitän Keen. «Bolitho wunderte sich fast, daß das Weinglas in seiner Hand, das Ozzard ihm gerade gereicht hatte, unter seinem Griff nicht zersplitterte.

Keen antwortete:»Mr. Knocker ist um die Sicherheit des Schiffs hier sehr besorgt, Sir. Der Wind.»

«Behält die Richtung bei?»

«Er wird von Stunde zu Stunde stärker, Sir«, sagte Quantock mit seiner heiseren Stimme.

«Das habe ich nicht gefragt. Behält er die Richtung bei?«»Aye, Sir. «Keen schien nervös.

«Also gut. Machen Sie klar zum Ankerlichten. «Keens offensichtliche Erleichterung schwand, als Bolitho hinzufügte:»Dann werden Rivers' Späher vermuten, daß wir uns davonmachen.»

«Mit allem Respekt, Sir, aber das erfordert schon die Vernunft. Wenn wir hierbleiben, wird der Anker mit Sicherheit schlieren.»

Bolitho lächelte ihm zu.»Erinnern Sie sich an Kopenhagen, Val?»

Keen nickte, aber er war blaß geworden.»Gewiß, Sir. Also wollen Sie bei Dunkelheit angreifen?«Das klang ungläubig.

«Das will ich. Ich weiß jetzt, wie die Batterie die Hafeneinfahrt und die Reede bestreichen kann. Rivers war so freundlich, es mir zu zeigen, wenn auch aus anderen Motiven.»

Was ging nur in ihm vor? Sein Plan konnte mit einer Katastrophe enden; würde es wahrscheinlich auch. Er hatte Keen an Kopenhagen erinnert, aber das ließ sich nicht vergleichen. Damals hatten sie eine ganze Flotte gehabt — und Nelson.

Diesmal lag die Sache völlig anders. Wenn er das Schiff verlor, blieb ihm nichts mehr, höchstens ein Kriegsgerichtsverfahren, falls er überlebte; und das Bewußtsein, Belinda ins Unglück gestoßen zu haben.

Aber trotz des hohen Risikos fühlte er sich seltsam beschwingt. Wie Eiswasser pulsierte eine wilde Entschlossenheit durch seine Adern.

Keen räusperte sich und warf den Kameraden einen Blick zu.»Also gut, Sir«, sagte er.

Bolitho wandte den Blick ab. Keen hatte seine Entscheidung akzeptiert. Mochte er sie nun billigen oder für falsch halten, auf jeden Fall würde er sie befolgen, auch unter Einsatz seines Lebens.

Bolitho zwang sich zu einem Lächeln.»Nach Sonnenuntergang schicken wir Masters mit seiner Yawl in den Hafen, im Austausch gegen Mr. Trevenen. «Er sah die beiden Seesoldaten an.»Und dann sind Sie an der Reihe.»

Alles hing vom richtigen Zeitpunkt ab — und vom Glück, wie Herrick nicht vergessen hätte anzumerken. Keen hielt seinen Plan wohl für Wahnsinn oder für ein Produkt verletzter Eitelkeit nach der Demütigung durch Sir Humphrey Rivers.

Das war ihre einzige Chance: daß Rivers sich angesichts seiner starken Stellung für unangreifbar hielt.

Wahrscheinlich stand er gerade in diesem Augenblick auf der Bastion und malte sich genießerisch den Widerstreit und die Verzweiflung aus, in die er seinen Gegner gestürzt hatte.

Mit knappen Worten skizzierte Bolitho seinen Angriffsplan und beobachtete ihre unterschiedlichen Reaktionen, ihre Skepsis und Unsicherheit. Aber auch ihre Erregung. Selbst Quantock, der kaum sprach, schien fasziniert zu sein.

Bolitho schloß mit den Worten:»Wie Sie alle wissen, meine Herren, ist ein Krieg hart und schwer für alle. Aber allzuleicht ist es, ihn vom Zaun zu brechen.»

Einer hinter dem anderen verließen sie die Kajüte, um ihre Untergebenen zu instruieren, und Bolitho setzte sich an seinen Schreibtisch. Er griff zur Feder.

Später mochte es ihm an der Zeit fehlen, und er wollte sie an seinen Überlegungen teilhaben lassen, genauso wie sie ihm ihre besten Wünsche nachgesandt hatte.

An Deck polterten Schritte und quietschten Taljen, als seine Barkasse wieder eingesetzt wurde.

Und wenn er sich nun irrte? Wenn Rivers' Überzeugung von der Unangreifbarkeit seiner Insel sich als richtig erwies?

Aber er verbot sich die Zweifel und begann zu schreiben.

Meine geliebte Belinda…

Doch dann faltete er entschlossen den leeren Bogen zusammen und schob ihn in eine Schublade. Wenn er fiel, würde sie es früh genug erfahren. Es hatte keinen Sinn, sie mit einem Brief in Angst und Schrecken zu versetzen, der sie vielleicht erst erreichte, wenn alles vorüber war.

Allday betrat die Kajüte und wartete stumm, die heftigen Bewegungen des hart vor Anker arbeitenden Schiffes elastisch ausbalancierend.

Schließlich konstatierte er unumwunden:»Wir greifen also an, Sir.»

Bolitho nickte.»Ja. Hast du alles erledigt?»

Trotz des Ernstes der Lage mußte Allday grinsen.

«Aye, Sir. Wir haben eine Lotleine die ganze Zeit hinter uns hergezogen, und sie hat bis zur Festmacherboje nur einmal Grundberührung gehabt. Wenn das Schiff erst mal drin ist, hat es genug Manövrierraum. «Bewundernd wiegte er den Kopf.»Wie Sie auch noch daran denken konnten, wo Ihnen doch so viele Dinge durch den Kopf gehen müssen, das ist mir schleierhaft.»

Bolitho bat:»Schenk uns zwei Gläser Brandy ein, Allday.»

Allday tat wie geheißen und fügte hinzu, als sei ihm diese Idee erst jetzt gekommen:»Aber vielleicht ist das der Trick, wie man Admiral wird — indem man eben auch solche Dinge weiß, stimmt's, Sir?»

Der Offizier der Wache, der auf dem Hüttendeck hin und her marschierte, verhielt den Schritt, als er ihr Gelächter durch das Skylight schallen hörte.

Das bevorstehende Gefecht war sein erstes, jedenfalls seit er Offizier geworden war. Als Quantock ihm auseinandergesetzt hatte, was sie tun mußten, hatte sein Magen sich vor Furcht verkrampft.

Aber als er den Admiral jetzt gemeinsam mit seinem Bootsführer lachen hörte, faßte er wieder Mut. Gestärkt nahm er seine begrenzte Wanderung wieder auf.

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