XVIII Ruhe den Tapferen

Immer noch, selbst in den letzten Sekunden vor dem Rammstoß, feuerten die beiden Schiffe aufeinander, wenn auch nur mit einigen wenigen Kanonen. Aber es war, als hätten die Besatzungen die Kontrolle über sich verloren oder als achteten sie, vom pausenlosen Kanonendonner betäubt, auf nichts mehr, was außerhalb ihrer eigenen höllischen Welt lag. An Deck oben war die Luft zu einem todbringenden Element geworden, erfüllt vom Feuer der Musketen und Pistolen, die vor allem auf die Offiziere und Wachgänger des Achterdecks gerichtet waren.

Vor Bolithos Augen verengte sich die Lücke zwischen den beiden Schiffen immer mehr, die von den Rümpfen eingefangene See schwappte an den Bordwänden hoch und verwandelte sich in Dampf, wo sie auf die glühenden Kanonenrohre traf.

Kugeln hämmerten in Decksplanken oder Hängemattsnetze; oben in der Takelage peitschte mörderischer Schrothagel den Rauch und überzog Freund wie Feind mit rot schimmernden Arabesken aus Blut.

Keen klammerte sich mit einer Hand an die Querreling und preßte die andere gegen die Rippen, mit dem Stoff seines Uniformrocks den Blutstrom aus der Wunde stillend. Aber sein Gesicht war totenbleich, und er reagierte nicht mehr, wenn die Kugeln zu seinen Füßen ins Deck schlugen oder Männer neben ihm fällten.

Adam riß den geschwungenen Säbel aus der Scheide und rief:»Da kommen sie!»

Mit blitzenden Augen beobachtete er, wie die Rümpfe so hart zusammenstießen, daß noch mehr Trümmer aus der Takelage fielen und beide Schiffe immer enger verflochten.

Allday warf sich mit der Schulter gegen Bolitho, stieß ihn beiseite und schrie, das Entermesser hoch über seinem Kopf schwingend:»Die haben's auf Sie abgesehen, Sir!»

Tatsächlich waren schon die ersten französischen Enterer von Argo-nautes Bugspriet an Deck gesprungen, als die Spiere über das Vorschiff knirschte, dabei Rigg und Abwehrnetze zerreißend, während der Seegang beide Rümpfe anhob und immer dichter zusammenschob.

Eine Musketensalve der Briten fällte jedoch die meisten Enterer, ehe sie die Netze ganz weghacken konnten, und der Rest wurde mit Piken aufgespießt, obwohl er schon im Rückzug begriffen war.

Hauptmann Dewar zog seinen schweren Säbel.»Auf sie, Soldaten!»

Doch damit hatte er seinen letzten Befehl auf Erden gegeben; eine Kugel riß ihm die untere Gesichtshälfte weg und warf ihn die Niedergangstreppe hinunter an Deck. Fassungslos starrte Hawtayne, sein Leutnant, die Leiche an, als weigere er sich, den Tod seines Vorgesetzten zu akzeptieren.

Endlich raffte er sich auf und rief:»Folgt mir!»

Bolitho sah die roten Uniformen durch den Rauch zum Vorschiff stürzen, wobei einige fielen, andere aber zum letztenmal ihre Musketen abfeuerten, ehe sie mit den Bajonetten gegen die zweite Welle der Enterer vorgingen, die wie vom Himmel gefallen an Deck landete.

Es nützte nichts, der Feind war in der Überzahl. Bolitho hörte schon französisches Jubelgeschrei, das jedoch noch einmal in Fluchen und Angstgebrüll überging, als der Schrot einer Drehbassensalve ihre Reihen wie mit einer blutigen Sense ummähte.

Er sah Midshipman Evans neben der Niedergangsleiter kauern.

«Unter Deck mit Ihnen!«befahl er.»Sagen Sie ihnen, sie sollen weiterfeuern! Auf Befehl des Admirals!»

Das Feuer konnte beide Schiffe in Brand setzen, war aber ihre einzige Chance.

Aus dem Augenwinkel sah Bolitho französische Seeleute drüben in die Besanwanten klettern; das vom Rauch getrübte Sonnenlicht schimmerte matt auf Hieb- und Stichwaffen, während die Angreifer darauf warteten, daß Wind und Seegang ihr Achterschiff näher an Achates heranschoben. Bald mußte ihnen aus den unteren Decks Verstärkung erwachsen.

Bolitho verzog das Gesicht, als unten einige seiner Vierund-zwanzigpfünder noch einmal in die Bordwand des Franzosen feuerten. Rauch, Funken und Splitter wirbelten über das Seitendeck und rissen einige feindliche Enterer über Bord, die zwischen den Rümpfen zermalmt oder unter Wasser gedrückt wurden.

Aber schon rannten Franzosen auf dem Seitendeck nach achtern, obwohl Bolitho entgangen war, wie sie sich durchgeschlagen hatten. Einer davon, ein Leutnant, hackte einen Matrosen nieder, bevor er nach unten auf das Batteriedeck springen konnte, und einige Kugeln zischten schon zum Achterdeck hinauf, wo Knocker mit seinen Männern am Ruder stand, einem Häuflein Überlebender auf ihrem Floß vergleichbar.

Der französische Offizier entdeckte Keen an der Reling und machte einen Ausfall; entsetzt gewahrte Bolitho, daß Keen vor Schmerzen die Augen geschlossen hatte und nichts zu seiner Rettung tat.

Bolitho stieß einen lauten Ruf aus, und als der Blick des Leutnants zu ihm hin zuckte, hieb er ihm den alten Säbel in den Hals. Noch während der Franzose mit einem gurgelnden Schrei, der in Blut erstickte, vornüber taumelte, schlug Allday mit dem Entermesser zu und fällte ihn wie ein Waldarbeiter einen jungen Baum.

Stahl klirrte gegen Stahl, als sich die britischen Matrosen auf dem Achterdeck sammelten, taub und blind für das Gemetzel ringsum und nur darauf bedacht, die Stellung zu halten und nicht unter diese grausamen Schneiden und stampfenden Füße zu geraten.

Bolitho sah Adam den Ausfall eines zweiten französischen Leutnants parieren und wollte hin zu ihm, wollte zu Hilfe eilen. Doch selbst im Lärm und Schlachten des Handgemenges blieb ihm nicht verborgen, mit welcher Geschicklichkeit Adam focht, wie gut er den Schwung des schwereren Angreifers gegen diesen selbst lenkte. Schon drängte er nach, rückte, bei jedem Ausfall mit dem rechten Fuß aufstampfend, vor und zwang seinen Gegner aufs Vorschiff zurück.

«Vorsicht!«gellte Alldays Schrei.

Bolitho fuhr herum und sah einen französischen Unteroffizier mit der Pistole auf ihn zielen. Da sauste Stahl vor seinen Augen nieder, die Pistole polterte an Deck und explodierte, immer noch von der abgetrennten Hand des Franzosen umklammert.

Einen blutigen Schnitt quer über die Stirn, ein Entermesser in der einen und einen schweren Belegnagel in der anderen Hand, keuchte Tyrrell:»Das war knapp!«Dann warf er sich, ein hinkender Riese, mitten ins Handgemenge, ließ seine Waffen wirbeln und brüllte Anfeuerndes in jedes Ohr, das ihn noch hören konnte.

Im unteren Batteriedeck war das Klirren und Scharren über den Köpfen erschreckend anzuhören: als sei ein irrer Mob außer Rand und Band geraten.

Midshipman Evans tastete sich durch den Rauch und suchte die Leiter zum Oberdeck. Er rutschte in Blutlachen aus und wäre fast über die Leiche eines Stückmeisters gefallen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er einige Gestalten durch eine offene Stückpforte hereinklettern, deren Kanone aus Munitionsmangel aufgegeben worden war.

Das war der Feind!

Die Erkenntnis lähmte ihn, verschlug ihm den Atem, und er wollte fliehen, wollte sich verkriechen vor dem Gräßlichen, das ihn umgab. Aber ein verwundeter Matrose taumelte neben ihm von seiner Kanone zurück, beide Hände auf eine klaffende Bauchwunde gepreßt, in den hervorquellenden Augen das helle Entsetzen.

Zwei Franzosen sahen ihn und holten nach ihm aus. Der Matrose stürzte und versuchte mit ausgestreckten Fingern, Evans' Fuß zu erreichen.

«Hilfe!«krächzte er.»Hilf mir, um Gottes willen!»

Evans war erst dreizehn Jahre alt, aber für den Verwundeten bedeuteten sein blauer Uniformrock und die weißen Kniehosen Macht und vielleicht Sicherheit vor Tod und Verzweiflung.

Also zog Evans seinen kurzen Dolch und richtete die Spitze auf die Franzosen.

Rutschend kamen die beiden zum Stillstand, vielleicht ernüchtert beim Anblick ihres kindlichen Gegners.

Wie ein heller Lichtfleck tauchte Crockers weißer Haarschopf im Halbdunkel auf. Er schwang einen Ladestock mit beiden Händen, hieb damit auf die Franzosen ein und warf sie auf die Knie. Ein weiterer Matrose sprang herzu und bereitete ihnen mit blitzendem Entermesser ein schnelles Ende.

Crocker wandte den Kopf, musterte den kleinen Kadetten perplex und keuchte:»Ein richtiger kleiner Feuerfresser, wie?»

Blicklos starrte Evans zum Niedergang, wo jemand die Leiter herabgepoltert kam. Sein Verstand konnte das Geschehen nicht verarbeiten, ihm war nur bewußt, daß er immer noch lebte.

Adam Bolitho wischte sich die vor Rauch tränenden Augen und blickte sich um. Hier unten konnte man ja kaum atmen, geschweige denn erkennen, was vor sich ging.

«Wo ist der Vierte Offizier?«Er musterte den langen Ladestock, den Crocker immer noch umklammert hielt, das blutige Entermesser in der Hand des zweiten Matrosen.

Leutnant Hallowes taumelte mit gezücktem Säbel durch den Rauch.»Verdammt, wer will was von mir?«Da erkannte er Adam und grinste.»Ach so, unser flotter Flaggleutnant!»

«Wie kommen Sie hier unten zurecht?«fragte Adam drängend.

Lässig schwenkte Hallowes seinen Säbel in der Runde.»Ich habe meine Leute an die Steuerbordpforten gestellt, wie Sie sehen. «Und mit einer wütenden Geste: «Simms! Hau ihn nieder, den Franzmann!»

Die Szene erinnerte an ein makabres Ballett. Ein französischer Matrose stürzte aus den Rauchschwaden, beide Hände wie schützend über dem Kopf. Er mußte in der Erwartung, das Batteriedeck voller Kameraden vorzufinden, durch eine Stückpforte gesprungen sein. Nun sank er auf die Knie, und das Weiße seiner Augäpfel schimmerte grell durch Qualm und Zwielicht.

Der Wachtposten am Niedergang stieß mit seinem Bajonett zu; so viel Gewalt saß in dem Stoß, daß der unglückliche Franzose auf die Decksplanken gespießt wurde.

Adam wandte den Blick ab.»Ich habe eine Idee«, sagte er zu Hallowes.»Wir gehen durch die Messe nach achtern. «Ob der Mann ihn verstand? Er machte einen fast irren Eindruck. »Argonaute hat eine breite Heckgalerie.»

«Und entern sie?«rief Hallowes. Sein Blick zuckte nach oben, als ein schwerer Schlag die Decksbalken erschütterte.»Wie steht's an

Deck?»

Adam dachte an das ungeschützte Achterdeck, an den Splitterhagel und das Gebrüll, mit dem an Deck um die Kontrolle über das Schiff gekämpft wurde.

«Schlecht«, sagte er.»Aber viele französische Enterer kamen aus dem Zwischendeck.»

Er duckte sich vor einer Kugel, die durch eine Stückpforte pfiff und von einer Backbordkanone abprallte.

Dann sah er Crocker an.»Könnten Sie Ihren Großmast sprengen?»

Erst starrte Crocker ihn nur an, aber dann bejahte er heiser.»Klar, Sir. Ich bin dabei. «Er wandte sich um, brüllte ein paar Namen, und schon hasteten Leute von den Kanonen herbei.

Nur Hallowes war noch nicht überzeugt, ließ sich von der tollkühnen Idee nicht mitreißen.

«Warum? Was soll das nützen? Wir kommen doch niemals lebend hinüber.»

Adam stieß seinen Säbel in die Scheide, mit einer Bewegung, die er Bolitho abgeschaut hatte, und zuckte die Schultern. Wie sollte er Hallowes das erklären, auch wenn er gewollt hätte? Im Geiste sah er Bo-litho auf dem von Trümmern übersäten Achterdeck stehen, das bevorzugte Ziel aller Feinde. Wenn er ausfiel, mußte jeder Widerstand zusammenbrechen, jetzt, da Keen verwundet und Quantock gefallen war. Schon in den nächsten Sekunden konnte es zu spät sein.

So sagte er nur:»Ich verdanke ihm alles. Alles, verstehen Sie?«Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und rannte nach achtern.»Also, komm mit, Junge, wenn du willst«, rief er.

Hallowes fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und lachte hysterisch auf.

«Sagen Sie bloß nicht >Junge< zu mir, Mister Bolitho!»

Damit rannte er ihm nach, gefolgt von anderen, die von irgendwoher geladene Pistolen aufhoben und sich anschlossen, ohne zu wissen, wohin es ging.

Verwirrt starrte Evans nach achtern zur Messe. Dann fiel sein Blick auf einen Offizier, der sitzend an einer Lafette lehnte; er erkannte in ihm Foord. Der Fünfte Offizier hatte gerade noch versucht, ihm Mut zuzusprechen.

Als er sich neben ihn kniete, sah er, daß Weste und Kniehose des Leutnants blutgetränkt waren. Vor seinen Augen sickerte das Leben aus dem Körper, der nicht einmal zusammenzuckte, als wieder eine Kanonenkugel in die Bordwand schlug und das ganze Schiff erbebte, als sei es auf ein Riff gelaufen.

Foord erkannte den kleinen Kadetten und versuchte zu sprechen.

Ratlos hielt Evans seine Hand.

«Sag dem Kommandanten…«Foords Augen verdrehten sich im Todeskampf.»Sag ihm…»

Die Finger in Evans Hand erstarrten wie im Krampf und erschlafften dann. Vage kam dem Jungen zu Bewußtsein, daß seine Angst verflogen war. Vorsichtig löste er den Säbel aus Foords anderer Faust und spürte den leeren Blick des Toten zwischen seinen Schulterblättern, als er sich aufrichtete und steif nach achtern zur Messe ging.

«Alles klar, Leute?«Adam musterte noch einmal die gespannten Gesichter in der Runde.

Crocker warf sich den Ledersack über die Schulter und studierte das reich geschmückte Heck des Franzosen, das dicht neben ihnen stampfte. Die Galerie lag etwas höher als die Messe, aber damit bot sich ihnen Deckung beim Entern.

Crocker nickte.»Sagen Sie nur, wann.»

Adam zog sich durch eines der zerschossenen Heckfenster, zögerte kurz und sprang dann zum Heck des anderen Schiffes hinüber. Einen Moment fürchtete er schon, den Halt zu verlieren und ins Wasser zu stürzen. Unten zwischen den beiden Hecksteven trieben schon mehrere Leichen, tanzten in den Wellen auf und ab, ohne sich noch um den mörderischen Kampf da oben zu scheren.

Adam rechnete jeden Augenblick damit, ein Gesicht über dem ve r-goldeten Geländer auftauchen zu sehen oder den Hieb eines Säbels, den Einschlag einer Kugel zu spüren.

Er umklammerte eine lebensgroße Holzfigur, eine vergoldete Seejungfrau, die das Ende der Galerie schmückte. Ihr Gegenstück auf der anderen Seite war offenbar von einer Kugel geköpft worden.

Vorsichtig schob er sich um die Seejungfrau herum, wobei er sich überdeutlich ihres starren Blicks, des goldenen Busens unter seiner Hand bewußt war. Urplötzlich stieg hysterisches Gelächter in ihm auf wie vorhin in Hallowes. Der blanke Irrwitz seines Vorhabens wollte ihm selbst nicht mehr in den Kopf.

Sein Blick fiel auf das Gesicht der Seejungfrau, und unwillkürlich mußte er an Robina denken. Ein eitler Traum. Er hätte das damals gleich begreifen sollen.

Hinter ihm schrie Hallowes:»Mach Platz, Junge, für einen Offizier des Königs!»

Beide lachten wie die Irren, dann schwang sich Adam über das Geländer auf die Galerie. Seine Füße rutschten auf zersplittertem Glas, aber dann zertrat er ein Fenster und hechtete in die große Achterkajüte. Wie Achates war auch dieses Schiff fürs Gefecht völlig ausgeweidet worden. Bis auf einige Tote und stöhnende Verwundete war die Kajüte leer, nur aus den Stückpforten beugten sich einige Gestalten, die mit Achates' Leuten auf dem unteren Batteriedeck die Klingen kreuzten.

Ein am Arm verwundeter französischer Unteroffizier sah die beiden Engländer aus dem Rauch auftauchen und öffnete den Mund zu einem warnenden Schrei.

Hallowes spaltete sein Gesicht mit einem Säbelhieb und rannte weiter, auf die gewaltige Säule des Großmastes zu. Das Holz fühlte sich ganz glatt an, spürte Adam, der sich um Luft ringend dagegenlehnte; es zitterte unter der Last der Stengen, Rahen und Segel wie etwas Lebendiges.

Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, bückte sich Crocker und laschte Pulversäckchen um den Mastfuß, bis er aussah wie mit einem Kollier geschmückt.

Gestalten schwankten durch den Rauch; wie eine Stahlfaust schlug eine Kugel in die Brust eines britischen Seemanns. Er fiel, ohne einen Laut von sich zu geben.

Crockers gesundes Auge blickte sich suchend um.»Ein Streichholz, Kumpel!»

Damit entzündete er die kurze Lunte und wich zurück.

Hallowes hob die Pistole und feuerte auf die Gruppe schattenhafter Gestalten, die ihm am nächsten war.»Wir halten sie in Schach! Sonst schneiden die Strolche noch die Lunte durch!»

Adam stürzte vor, um mit einem französischen Offizier die Klinge zu kreuzen. Er fühlte seinen Atem im Gesicht, als sie gegen eine Kanone taumelten, merkte, daß der Haß seines Gegners sich in Entsetzen verwandelte, als er ihn mit dem Handschutz von sich abstieß, ausholte und die Schneide in seine Schulter hieb.

Hallowes machte einen Satz nach vorn, warf einem Franzosen seine leergeschossene Pistole ins Gesicht und hackte ihn, als er taumelte, mit zwei schnellen Streichen gegen Arm und Hals zu Boden.

Aber immer mehr Franzosen kamen über den Niedergang nach unten geklettert; ihre weißen Hosen leuchteten grell durch den Rauch und hoben sich klar vom dunklen Holzpaneel ab. Einer von Hallowes Matrosen stach mit einer Pike durch die Leiter und ließ einen der Herabkletternden schreiend über seine Kameraden purzeln, doch eine Pistolenkugel fällte ihn, ehe er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Angestrengt spähte Adam durch den beißenden Rauch, konnte aber keinen Kameraden entdecken. Crocker war wahrscheinlich nach achtern gerannt, ehe seine Sprengladung explodieren konnte, und von Hallowes war nichts zu sehen.

Zwei Franzosen lauerten hinter einer aufgegebenen Kanone. Einer hob seine Pistole, aber Adam schlug den Lauf nach oben, so daß die Kugel in die Deckenbalken fuhr. Der zweite warf sich meterweit durch die Luft und krachte mit seinem ganzen Gewicht gegen Adams Rücken. Der Gelenkriemen seines Säbels zerriß, und er hörte die Waffe klappernd davonschlittern.

Der Franzose war ein Riese und besaß gewaltige Kräfte. Wie Stahlklauen hielten seine teerbeschmutzten Finger Adams Handgelenke umklammert, während er ihn wie einen Gekreuzigten gegen den Boden preßte.

Adam schrie auf vor Schmerz, als das Knie des Riesen ihn voll in den Unterleib traf. Er versuchte, die Qual zu beherrschen, aber dann stieß das Knie ein zweitesmal zu, und vor Adams Augen explodierten weißglühende Blitze.

Plötzlich tauchte ein schmächtiger Schatten über den Schultern des Riesen auf, und der Schmerz ließ nach. Der Riese rollte seitlich von Adam herunter.

Midshipman Evans starrte ihn fassungslos an. Dann, als Adam mühsam auf die Füße kam, ließ er den Säbel sinken, mit dem er den riesigen Franzosen niedergestreckt hatte, und sagte drängend:»Hier entlang, Sir. Ich habe…»

Der Rest des Satzes wurde von einem gewaltigen Krachen übertönt.

Gekrümmt stand Adam da, denn der Schmerz wühlte immer noch wie ein heißes Eisen in seinen Lenden. Staub und Rauch machten ihn blind, und sein Gehör hatte er schon lange verloren. So tastete er nur nach Evans' Schulter und ließ sich durch den Qualm führen, ohne recht zu begreifen, was um ihn vorging.

Evans zupfte an seinem zerrissenen Uniformrock und protestierte, als Adam das Gleichgewicht verlor und kopfüber zwischen zwei Kanonen fiel. Trotz seiner Benommenheit begriff er, daß er hier Sonnenschein sah, wo keiner sein sollte.

Dann kroch Evans neben ihn, und beide stellten fest, daß eine große, gesplitterte Spiere beide Decks, das zu ihren Füßen und das über ihren Köpfen, durchschlagen hatte: einen Meter von der Stelle entfernt, wo sie eben noch gestanden hatten.

Die dumpfe Lautlosigkeit machte alles nur noch schlimmer. Adam sah, daß Hallowes durch den Staub stolperte und kurz stehenblieb, um an dem scheinbar endlosen Mast entlang nach oben zu starren, der mit dem ganzen Gewirr seines Riggs wie ein Rammbock durch das Deck gebrochen war.

Dann fiel Hallowes' Blick auf die beiden Kameraden; sein Gesicht verzerrte sich in einem irren Grinsen, und er brüllte etwas Unverständliches, während er mit dem Säbel auf Crockers Werk deutete.

Adam zog sich hoch und stützte sich wieder auf Evans' Schulter. Langsam kehrte sein Gehör zurück, und er merkte, daß der infernalische Lärm wenn möglich noch lauter geworden war.

Hallowes brüllte immer noch.»Das wird sie ganz schön ins Grübeln bringen«, schloß er. Offenbar hatte er mit dem Leben abgeschlossen und alle Angst verloren.

Evans schob Adam den Säbel des Fünften Offiziers in die Hand, und dann starrten sie einander an, so verwirrt wie zwei Fremde, die sich zufällig begegnet waren.

Doch mit Adams Hörvermögen war auch sein Gedächtnis zurückgekehrt und drängte ihn nun zu handeln.

«Also los, bringen wir es hinter uns!«hörte er sich selbst sagen. Der scharfe Ton seiner Worte erinnerte ihn an seinen Onkel, und das wiederum brachte ihn auf eine Idee.

«Ich kann sie nicht mehr aufhalten!«schrie Tyrrell gellend.

Er hieb seinen Belegnagel in den Schädel eines Franzosen, der sich über die zerfetzten Hängemattsnetze rollen wollte, und holte mit seinem Entermesser nach einem anderen aus.

Bolitho vergeudete keine Zeit mit Antworten; Feuer wühlte in seinen Lungen, und sein Schwertarm schien ihm so schwer wie Blei, als er abermals einen Enterer durchbohrte und über die Besanrüsten außenbords fallen sah.

Es war hoffnungslos. War von Anfang an hoffnungslos gewesen. Das ganze obere Batteriedeck schien von Feinden zu wimmeln, während sich die Besatzung von Achates auf Achterdeck und Hütte zusammendrängte und verzweifelten Widerstand leistete.

Bolitho sah, daß Allday sein Entermesser hob, weil ein Franzose zwischen den Streben der Querreling aufs Achterdeck kletterte; das

Entsetzen in seinem Gesicht wich triumphierender Schadenfreude, als der Mann begriff, daß der englische Bootsführer sich aus unerfindlichen Gründen nicht bewegen konnte.

Bolitho sprang über den Körper eines verwundeten Seesoldaten und stach mit dem Säbel blindlings durch die Reling. Er fühlte die Spitze der Klinge vom Schulterblatt des Franzosen tiefer in seinen Körper gleiten und riß sie zurück, als der Mann schreiend nach unten außer Sicht fiel.

Bolitho legte einen Arm um Allday und zog ihn von der Reling zurück.

«Langsam, Mann!«Er wartete, bis Midshipman Ferrier ihm zu Hilfe kam, und setzte dann hinzu:»Du hast genug getan!»

Allday wandte den Kopf und starrte ihn mit blutunterlaufenen Augen unglücklich an.»Es ist mein Recht, zu.»

Ein Streifschuß zerriß Bolithos Uniformrock; aus dem Augenwinkel sah er verschwommen, daß Langtry, der Schiffsprofoß, den Scharfschützen mit einem Enterbeil umhackte.

Sie starben alle. Und wozu?

Eine neue, überraschend heftige Explosion stieß beide Rümpfe knirschend gegeneinander. Einen Moment lang glaubte Bolitho, daß ein Pulvermagazin in die Luft geflogen sei und nun beide Schiffe in einem einzigen gräßlichen Fanal eingeäschert würden.

Aber dann verhielten Säbel und Entermesser untätig mitten in der Bewegung, die Marineinfanteristen vergaßen ihr verzweifeltes Bemühen, so schnell wie möglich nachzuladen, und starrten hinüber, wo der turmhohe Großmast des Franzosen zu wanken begann. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, so daß selbst einige Verwundete sich aufrichteten und zusahen oder Freunde durch Rufe auf das Schauspiel aufmerksam machten.

Bolitho ließ den Arm sinken, dessen Muskeln wie von tausend Nadelstichen schmerzten.

Heiser rief Knocker:»Bei Gott, da geht er hin!»

Erst langsam, dann immer schneller, begann der hohe Mast zu kippen. Mars- und Bramstenge, Rahen und aufgegeite Segel brachen und zerplatzten, stehendes und laufendes Gut riß wie dünne Bindfäden, konnte das ungeheure Gewicht weder halten noch bremsen. Die Marsgräting mit ihren Drehbassen und Brustwehren barst entzwei und ließ die Besatzung hinunterfallen; die Toppsgasten folgten, gezogen vom Rigg der Stenge, die sich krachend durch das Deck bohrte.

Selbst auf Achates spürte Bolitho die Erschütterung und das Gewicht des gebrochenen Mastes; das Deck neigte sich unter seinen Füßen in einem steileren Winkel.

Aus cen ziehenden Rauchschwaden erklang ein Trompetensignal, und die Enterer zogen sich zurück, bis sie auf dem Vorschiff ein dichtes Knäuel bildeten. Sie handelten dem uralten Instinkt des Seemannes gemäß, dem die Rettung des eigenen Schiffes über alles geht.

Bolitho räusperte sich mit kratzender Kehle und rief:»Zu mir, Leute von Achates!»

Jetzt hatten sie eine Chance, wenn auch nur eine verschwindend kleine.

Vom Vorschiff erscholl ein scharfes Kommando, gefolgt von knatterndem Musketenfeuer. Ungläubig starrte Bolitho nach vorn, fühlte sich erinnert an den Morgen auf San Felipe, als Hauptmann Dewar so kaltblütig den rechten Augenblick abgewartet hatte, ehe er in die Inselkavallerie feuern ließ. Aber jetzt lag Dewar tot, mit weggeschossenem Unterkiefer, und Dutzende von Füßen trampelten über seine Leiche, wenn der Kampf vor- und zurückflutete. Auch hatten seine Soldaten nicht auf den richtigen Moment gewartet, sondern schon die ganze Zeit todesmutig gekämpft.

Und doch, irgendwie, hatten sie auf dem Vorschiff Front zum Feind gemacht. Bolitho erkannte Hawtaynes Hut über dem Qualm und hörte seine schrille Stimme kommandieren:»Zweite Reihe vor! Legt an — Feuer!»

Die Salve krachte mit verheerender Wirkung in die dichtgedrängten französischen Enterer.

Doch zum Nachladen blieb den Briten keine Zeit.

Bolitho sprang die Leiter zum Batteriedeck hinunter, ohne auf den Schmerz in seinem verwundeten Bein zu achten, und rannte über die Trümmer und Gefallenen hinweg nach vorn, den Blick auf die zurückweichenden Feinde gerichtet.

Hawtayne rief:»Rückt vor!«, und die aufgepflanzten Seitengewehre glitzerten im matten Sonnenlicht, als die Soldaten zur Attacke schritten.

Ein junger französischer Offizier lief herbei, um Bolitho abzufangen. Er war etwa so alt wie Adam, auch ebenso schwarzhaarig und gut aussehend. Als Stahl gegen Stahl klirrte, zuckte in Bolitho mit betäubendem Schock die Erkenntnis auf, daß sein Neffe höchstwahrscheinlich längst tot war.

Der junge Offizier verlor die Balance, als Bolitho seinen Säbel beiseite schlug. Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Pupillen in begreifendem Entsetzen, dann lag er schon am Boden. Bolitho zog den Säbel zurück und merkte, daß seine Leute an ihm vorbei nach vorn drängten; ihr Geschrei klang jetzt, da die Rollen plötzlich vertauscht waren, wieder stark und zuversichtlich.

Leutnant Scott winkte mit seinem Säbel:»Enterer vor!»

Jubelnd, fluchend, todesmutig wälzte sich die Flut menschlicher Leiber hinüber auf das andere Schiff.

Bolithos Säbel hackte abermals einen französischen Offizier aus dem Weg, aber der Arm wollte ihm fast nicht mehr gehorchen. Wie lange konnten sie noch durchhalten?

Jetzt stand er auf dem Seitendeck von Argonaute und wurde von der Woge seiner Männer nach achtern mitgerissen: zur Poop, denn wer sie hatte, hatte das Schiff.

Kaleidoskopartig stiegen Bilder vor Bolithos Auge auf: Adams Gesicht, als er ihm das Mädchen aus Boston zu beschreiben versuchte; Tyrrells verzweifelter Stolz, mit dem er sich nach einem Land einschiffte, das er noch nie betreten hatte. Der kleine Evans, der das brennende spanische Schiff beobachtete oder ihm wie ein Schatten überallhin folgte. Und Allday, der ihn auch dann noch schützen wollte, als ihn seine eigene schreckliche Wunde lahmte.

Gebrüll und Geschrei erscholl explosionsartig auf dem breiten Achterdeck, Männer flogen wie blutige Bündel nach allen Seiten, als eine mörderische Kartätschenladung mitten in sie hineinfuhr.

Bolitho wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus den Augen und starrte zum Poopdeck hinauf.

Narrten ihn seine Augen? Aber nein, er hatte nicht den Verstand verloren, da oben stand wirklich Adam mit einem anderen Offizier und einigen Männern der Achates. Das Rohr der Drehbasse rauchte noch, es war abwärts gerichtet auf die dichten Reihen der Verteidiger und ihrer Offiziere. Die Kartätschenladung hatte dieselbe verheerende Wirkung erzielt wie die Salve der Marineinfanterie.

Leutnant Scott vergaß ganz seine gewohnte Selbstbeherrschung, schlug Bolitho auf die Schulter und schrie:»Bei Gott, das ist der Flaggleutnant, Sir! Der junge Teufel hat ihnen den Rest gegeben!»

Damit rannte er seinen Leuten nach, blieb aber noch einmal kurz stehen und sah zu seinem Vizeadmiral zurück; es war nur ein Blick, aber er sagte mehr als tausend Worte.

Trotzdem, der Feind war immer noch in der Überzahl, und jetzt mußte jeden Moment ein Anführer auftauchen, einer, der seine Leute um sich scharen und zum Gegenangriff führen würde.

Bolitho musterte seine keuchenden, abgekämpften und zum Teil verwundeten Männer, die sich auf ihre Entermesser und Piken stützten. Noch einem Gefecht waren sie nicht gewachsen.

Leutnant Trevenen kam heranmarschiert und tippte mit dem Säbelgriff grüßend an seinen Hut: Achates' jüngster Leutnant, den Rivers als Geisel genommen hatte. Die Augen in seinem schmutzigen Gesicht leuchteten, als er berichtete:»Die Franzosen haben die Flagge gestrichen, Sir. «Er verstummte verlegen, als sich Seeleute und Soldaten näher herandrängten, dann versuchte er es noch einmal:»Mr. Knocker hat eine Nachricht geschickt. «Die Stimme versagte ihm, er senkte den Blick, während ihm die blanken Tränen über die rußigen Wangen liefen.

Leise sagte Bolitho:»Sie haben sich sehr gut gehalten, Mr. Treve-nen. Bitte fahren Sie fort.»

Der Leutnant sah ihn an.»Mr. Knocker läßt Ihnen sagen, daß sich von Süden her ein Schiff nähert. Eins von unseren 74ern.»

Bolitho schritt durch die Umstehenden davon, hörte sie jubeln und einander auf die Schultern schlagen und fühlte sich wie ein unbeteiligter Zuschauer.

Am großen Ruderrad stieß er auf den französischen Admiral. Er war am Arm leicht verwundet und wurde von zwei Offizieren gestützt.

So standen sie einander gegenüber, Auge in Auge.

Schließlich sagte Jobert wie beiläufig:»Ich hätte es wissen müssen, als ich Ihr Schiff erkannte. «Er setzte zu einem Schulterzucken an, aber der Schmerz hinderte ihn daran.»Sie sollten mir eine Insel übergeben. «Ungeschickt nestelte er an seinem Säbel.»Und jetzt übergebe ich Ihnen dies.»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Nein, M'sieu. Sie verdienen, ihn zu behalten.»

Damit wandte er sich ab und schritt zum Schanzkleid hinüber, während ihm Jubel- und Hurrageschrei in den Ohren gellte.

Viele Hände packten zu und halfen ihm auf das trümmerübersäte Deck von Achates hinüber, wo er als erstes Fähnrich Ferrier und Bootsmann Rooke gewahrte, die strahlend ihre Hüte schwenkten.

Wenn sie doch nur damit aufhören würden!

Er ließ den Blick über die stummen Gestalten schweifen, die auf dem Batteriedeck hingestreckt lagen. Wie war es bestellt um die Ruhe dieser Tapfersten von allen? Und wie um die Verwundeten, die jetzt im Orlopdeck den Preis für seinen Sieg entrichteten?

Er wandte sich um, als er Alldays schleppenden Schritt näherkommen hörte, und sah, daß sein alter Bootsführer Joberts Flagge über der Schulter trug.

Bolitho packte ihn am Arm.»Alter Halunke! Wirst du denn nie tun, was man dir sagt?»

Alldays Atem ging pfeifend, aber er schüttelte grinsend den Kopf.»Kaum, Sir. Alter Hund lernt keine neuen Tricks.»

Mit feuchten Augen trat Bolitho an die Reling, wo Keen in einem abgesplitterten, blutbefleckten Stuhl lehnte, während Tuson seine Wunde untersuchte.

Heiser sagte Keen:»Wir haben's also geschafft, Sir. Wie ich höre, ist das Schiff, das auf uns zuhält, ein 74er. «Und mit dem Schatten eines Lächelns:»Auf ihm können Sie Ihre Flagge setzen und lange vor uns zu Hause sein.»

Die Jubelrufe wollten immer noch nicht verstummen, stellte Bolitho fest. Drei gegen einen hatte es gestanden. Aber sie hatten gesiegt, und das würde man bald in ganz England erfahren.

Leise sagte er:»Nein, Val. Meine Flagge bleibt auf Ihrem Schiff. Wir segeln gemeinsam nach Hause. Und zwar«, schloß er mit einem melancholischen Lächeln,»auf dem alten Käthchen.»

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