7

Ich trat gegen die Tür, die unter meinem Fuß zersplitterte. Mit gezogenem Schwert hechtete ich über die Schwelle.

Der Mann am Tisch sprang auf.

»Wo ist Bertram aus Lydius?« fragte ich.

»Ich bin das«, sagte der Mann in der Felljacke. »Was willst du? Bist du ein Attentäter? Du trägst keinen Dolch. Was habe ich getan?«

Ich lachte. »Du bist nicht der Mann, den ich suche«, sagte ich. »Der hat im Süden einen Anschlag auf mich verübt und gab sich als Sleentrainer aus. Er trat unter deinem Namen auf, und ich dachte, es wäre vielleicht sein richtiger Name.«

»Ich kenne dich nicht«, sagte der Mann.

»Ich dich auch nicht.«

Ich beschrieb ihm den Mann, der sich Bertram aus Lydius genannt hatte. Aber er konnte ihn nicht für mich identifizieren. Ich fragte mich, wie er in Wahrheit heißen mochte.

»Dein Ruf als Sleentrainer ist ausgezeichnet«, sagte ich. »Er ist sogar im Süden bekannt. Sonst hätte ich den Mann kaum in mein Haus genommen.«

»Es freut mich zu hören, daß ich nicht der Gesuchte bin«, sagte Bertram aus Lydius. »Der Mann kann mir leid tun.«

»Der Mann, den ich suche, kann mit dem Messer umgehen«, meinte ich. »Vermutlich gehört er zu den Attentätern.«

Ich warf eine Tarskscheibe auf den Tisch. »Du wirst deine Tür reparieren müssen«, sagte ich.

Dann machte ich kehrt und verließ das Haus. Ich hatte nicht angenommen, daß der Sleentrainer, der in meinem Haus gewohnt und den ich im Zelt des Andenkenhändlers gesehen hatte, wirklich Bertram aus Lydius gewesen war, aber ich hatte mir Gewißheit verschaffen wollen. Außerdem hatte ich gehofft, daß er den Mann kannte. Man kann leichter in die Identität eines anderen schlüpfen, wenn man ihn einigermaßen kennt. Ich hoffte den Burschen eines Tages wiederzusehen. Zwischen den Kasten der Krieger und der Attentäter herrscht eine gesunde Rivalität. Beide halten sich für besser als die andere. Im allgemeinen ist das Schwert des Kriegers einem Heimstein verpflichtet, während die Attentäter auf das Gold hören.

Ich schlenderte durch die Straßen von Lydius, bis ich eine kleine Schmiede an einer Hauptstraße erreichte.

»Weinst du immer noch?« fragte ich Constance, die im Stroh neben dem Amboß hockte und ihr frisches Brandzeichen betrachtete.

»Es tut weh, Herr«, sagte sie.

»Dann weine.«

»So, Herr«, sagte der Schmied und löste den schweren Metallkragen von Rams Hals.

»Ah«, sagte Ram erleichtert.

Neben ihm kniete Tina – Tina war ihr Sklavenname.

»Wie hat sie auf das Eisen reagiert?« fragte ich.

»Sie hat wie ein Sleen geschrien, aber inzwischen ist sie wieder ruhig.«

»Die Brandzeichen sind ausgezeichnet«, sagte ich, »Alle beide.« Ich warf dem Schmied einen Silbertarsk zu.

»Vielen Dank, Krieger!« rief er.

Ram ließ seinen Halskragen enger machen und Tina anpassen, während ich Anweisung gab, Constance von der Kette um ihren Hals zu befreien. Beiden Mädchen warf ich je eine leichte Reptuch-Tunika zu, die ich in der Stadt erstanden hatte. Dankbar bedeckten sie damit ihre Blöße.

»Gehen wir in die Taverne des Sarpedon«, sagte ich. »Ein ordentliches Lokal.« Ich war vor einigen Jahren dort gewesen und hatte ein Serviermädchen namens Tana kennengelernt. Ihren Herrn Sarpedon hatte ich über ihre Tanzkenntnisse informiert. An jenem Abend hatte sie für die Gäste getanzt, doch ich hatte etwas zu erledigen gehabt.

Nach knapp einer Viertel-Ahn hatten wir Sarpedons Taverne erreicht. Meine Laune hatte sich allerdings sehr verschlechtert. An vielen Stellen hatten wir auf den Kaimauern Fellballen gesehen. Sie enthielten Felle des Nord-Tabuks.

»Ich muß Lydius heute abend noch verlassen«, sagte ich. »Hier geht etwas vor, das ich nicht begreife. Ich muß mich darum kümmern.«

»Ich begleite dich«, sagte Ram.

»Ich bin Tarnkämpfer«, wandte ich ein. »Es ist besser, wenn du zurückbleibst.«

»Die Zügel eines Tarn sind mir nicht fremd.«

»Du bist Tarnkämpfer?«

»Ich habe schon viele Dinge getan. In Hunjer habe ich bei Tarnzüchtern gearbeitet.«

»Kannst du mit dem Speer, dem Bogen, dem Schwert umgehen?«

»Ich bin kein Angehöriger der Kriegerkaste«, sagte er achselzuckend.

»Dann bleib hier.«

»Was wünschen die Herren?« fragte der Wirt, ein rundlicher Mann mit einer Lederschürze.

Ram und ich saßen an einem der kleinen Tische. Die Mädchen knieten neben uns.

»Wo ist Sarpedon?« fragte ich.

»Er macht einen Besuch in Ar«, antwortete der andere. »Ich bin Sarpelius und führe die Schänke während seiner Abwesenheit.« Sein Blick fiel auf die Mädchen. »Wunderschön! Ob die Herren sie mir verkaufen? Ich brauche immer neue Mädchen für die Nischen.«

»Nein«, sagte ich.

Die beiden Mädchen atmeten sichtlich auf.

»Am Hafen liegen viele Ballen Felle«, sagte ich.

»Sie kommen aus dem Norden und aus Kassau.«

»Ist die Herde von Tancred dieses Jahr aus den Wäldern gekommen?« wollte ich wissen.

»Ja«, sagte der Mann. »Ich habe davon erzählen hören.«

»Aber sie hat den Axtgletscher noch nicht überquert!«

»Davon weiß ich nichts.«

»Auf den Kaimauern liegen Tausende von Fellen.«

»Von den Herden des Nordens.«

»Sind aus dem Norden Händler angereist?«

»Nur wenige.«

»Ist es üblich, daß im Frühling so viele Felle angeliefert werden?« Normalerweise ziehen die Felljäger den Herbst-Tabuk vor, dessen Fell viel dichter ist.

»Keine Ahnung«, sagte der Mann und blickte uns lächelnd an. »Ich bin neu in Lydius. Darf ich jetzt etwas auftragen, meine Herren?«

»Wir lassen uns von unseren Mädchen bedienen«, sagte Ram. »Wir schicken sie gleich zu dir.«

»Wie die Herren wollen«, sagte Sarpelius strahlend, machte kehrt und ging.

»In solchen Mengen hat es in Lydius noch keine Felle gegeben«, sagte Ram zu mir, »weder im Frühling, noch im Herbst.«

»Vielleicht stammen sie von der Herde von Tancred«, sagte ich.

»Es gibt aber auch andere Herden.«

»Richtig.« Trotzdem war ich ratlos. Wenn die Herde von Tancred wirklich aus den Wäldern herausgekommen war, warum hatte sie dann den Axtgletscher noch nicht überquert? Es war undenkbar, daß Jäger, wie groß ihre Zahl auch sein mochte, den Ansturm einer solchen Herde, die mindestens zwei- bis dreihunderttausend Tiere umfaßte, bremsen konnten. Es handelte sich um eine der größten Tabuk-Wanderherden auf dem ganzen Planeten. Zum Pech für die rothäutigen Jäger war es auch die einzige, die den Axtgletscher überquerte, um den Sommer in der Polarniederung zu verbringen. Eine solche Herde von ihrem Wanderziel abzubringen, würde weniger einfach sein als eine Flut einzudämmen. Doch wenn die Berichte stimmten, war das Eis des Axtgletschers in diesem Jahr noch nicht unter ihrem Hufschlag erklungen.

Es freute mich mehr denn je, daß ich Samos ein Schiff mit Proviant hatte nach Norden schicken lassen. Plötzlich aber befiel mich die Angst, daß das Schiff vielleicht nicht durchgekommen war. Ram hatte davon gesprochen, daß der Norden versperrt sei.

»Vertage deine Sorgen auf morgen«, sagte Ram. »Heute abend wollen wir uns mit Sklavinnen und Paga ablenken.«

Ich legte einen goldenen Tarn auf den Tisch. »Du bleibst hier«, sagte ich. »Ich muß leider fort. Hier stinkt etwas zum Himmel. Ich rechne mit dem Schlimmsten,«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Leb wohl, mein Freund!« sagte ich. »Noch heute abend fliege ich mit dem Tarn nach Norden.«

»Ich begleite dich«, sagte er.

»Ich kann bei dieser Sache keinen Teilhaber brauchen«, sagte ich. »Der Flug wird gefahrvoll, meine Arbeit ist nicht minder gefährlich.« Ich dachte an Zarendargar, auch Halb-Ohr genannt, der am Ende der Welt auf mich wartete. Das Bild zeichnete sich immer deutlicher ab. Der Norden war abgeriegelt. Mehr denn je war ich davon überzeugt daß das Ende der Welt dort zu suchen war. »Nein, mein Freund«, fuhr ich fort. »Du kannst mich nicht begleiten.«

Gefolgt von Constance, schritt ich zur Tür. Sarpelius trat mir entgegen.

»Der Herr hat viele Fragen gestellt«, bemerkte er.

»Mach Platz!« sagte ich und drängte mich an ihm vorbei. Constance hastete hinter mir her. Draußen machte ich kehrt und musterte sie von oben bis unten. Sie hatte schlanke, wohlgeformte Beine und niedliche Brüste. Ein hübsches Ding in meinem Kragen. Vermutlich würde ich einen Silbertarsk für sie bekommen können.

Ich machte mich auf den Weg. Mein Ziel war ein Sklavenmarkt in der Nähe des Hafens. Bald mußte ich abfliegen.

Plötzlich hörte ich sie hinter mir aufschreien. Ich fuhr herum. »Laß die Klinge in der Scheide, Bursche!« sagte ein Mann.

Vier gespannte Armbrüste waren auf mich gerichtet. Finger hatten sich um die Auslöser gekrümmt.

Ich hob die Hände.

Zwei etwa zwei Zoll breite Leinenstreifen waren dem Mädchen um den Hals geschlungen worden. Sie stand zurückgeneigt da. Ihre Finger zerrten wirkungslos an den Bändern. Sie konnte kaum noch atmen. Der Mann hinter ihr hatte sich die Bänder um die Fäuste gewunden und verstärkte den Druck noch mehr. Mit entsetztem Blick gab sie sofort jede Gegenwehr auf.

»Dort zwischen die Häuser«, sagte der Mann, der Anführer der Gruppe.

Zornig trat ich zwischen die Gebäude und blieb im Zwielicht der Gasse stehen. Das Mädchen wurde rücksichtslos in die Dunkelheit gezerrt.

»Die Pfeile«, sagte der Mann und deutete auf die Armbrüste, »sind mit Kandfa eingestrichen. Die kleinste Wunde würde dir den Tod bringen.«

»Wie ich sehe, gehört ihr nicht der Kaste der Attentäter an«, bemerkte ich. »Für die Attentäter ist es eine Sache des Stolzes, auf vergifteten Stahl verzichten zu können.«

»Du bist fremd in Lydius«, stellte der Mann fest.

»Ich halte euch aber nicht für Magistratsbeamte, die meine Angelegenheiten durchleuchten dürfen«, gab ich zurück. »Wer seid ihr? Was wollt ihr?« Ich war zornig. Zu eingehend hatte ich mich mit den Rätseln des Nordens beschäftigt. Obwohl ich Krieger war, hatte ich mich nicht wachsam genug gezeigt. Ich war unvorsichtig gewesen.

»Ich glaube nicht, daß man ihn vermißt«, sagte einer der Männer höhnisch.

»Ihr seid keine gewöhnlichen Räuber«, stellte ich fest.

»Willkommen in Lydius«, bemerkte der Anführer und reichte mir einen Metallkelch, den er aus einem Verrhaut-Sack an seiner linken Hüfte gefüllt hatte.

»Warum schießt ihr nicht einfach?« wollte ich wissen.

»Trink!« sagte er.

»Paga«, sagte ich. Ich hatte das Getränk gerochen.

»Trink!« wiederholte er.

Achselzuckend warf ich den Kopf zurück und leerte den Kelch, der mir augenblicklich aus der Hand fiel.

Einer der Männer hatte die Armbrust abgesetzt, zog Constance eine Sklavenhaube über und fesselte sie an den Händen.

Ich sank in die Knie, dann seitlich aufs Pflaster. Ich versuchte mich aufzurichten, stürzte aber wieder hin,

»An der Wand wird er sich nützlich machen«, sagte ein Mann.

Die Stiefel der Männer ringsum verschwammen, wurden wieder klar und verschwammen erneut.

»Ja«, sagte ein anderer Mann.

Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich spürte noch, wie man mir den Gürtel und Feldbeutel abnahm wie auch den Gurt mit Scheide und Schwert. Dann verlor ich das Bewußtsein.

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