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Imnak saß in der hinteren Ecke des Zelts und schnitzte ziellos an einem Stück Tabukhorn herum.

Ab und zu stand er auf, drehte das Elfenbein in der Hand und betrachtete es. Manchmal flüsterte er: »Wer verbirgt sich darin? Wer bist du?« Dann schnitzte er weiter. Plötzlich sagte er: »Ah, ein Sleen!«

Ich sah zu, wie er an dem Horn herumschnitzle. Langsam bildete sich der Umriß eines Sleen heraus, beinahe als habe sich das Geschöpf im Elfenbein versteckt gehalten – Schnauze und Beine, der lange, geschmeidige Körper. Die Ohren waren am Kopf zurückgelegt.

Oft geht es einem rothäutigen Jäger gar nicht darum, etwas Bestimmtes zu schaffen, als vielmehr loszuschnitzen und geduldig abzuwarten, ob sich da etwas ergibt, ob irgendeine Figur auf Befreiung aus der anonymen Form wartet. In gewisser Weise ähnelt dieser Vorgang der Jagd. Der Jäger läßt auf sich zukommen, was da zu finden ist. Manchmal findet sich eine Gestalt im Elfenbein oder Knochen oder Stein. Manchmal auch nicht. Er entfernt das überflüssige Elfenbein und läßt die Figur zutage treten.

Imnaks Messer hatte einen Holzgriff, der gut vierzehn Zoll lang war. Die Spitze war etwa drei Zoll lang. Beim Schnitzen stemmte er das Werkzeug auf das Bein, die Finger nahe der Schneide, wo sie die Bewegungen des Metalls genau zu steuern vermochten. Wenn man das Messer aufstützt, kann auch Kraft vom Bein mit angewendet werden, ohne daß Balance und Kontrolle über die Bewegung verlorengehen, weil die Spitze durch die Finger geschickt gesteuert wird.

Imnak hielt den Sleen in die Höhe.

In der Sprache der Innuit gibt es kein Wort für Kunst oder Künstler.

»Ein hübsches Tier«, sagte ich.

Solche Worte waren bei diesen Leuten nicht erforderlich. Wozu auch Worte für Männer, die in der Welt etwas Schönes finden? Ist das nicht das Streben aller Menschen?

»Dies ist dein Sleen«, sagte Imnak und gab mir die Figur.

»Ich bin dir dankbar«, sagte ich und betrachtete sie. Es war ein Schnee-Sleen, kenntlich an dem dicken Fell, an den schmalen Ohren, der Breite der Pfoten.

»Ich danke dir sehr«, sagte ich.

»Nichts zu danken«, sagte er.

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