32 Gefährliche Worte

Lord Barthanes Herrenhaus kauerte wie eine riesige Kröte vor ihnen im Dunklen. Mit seinen Mauern und abgetrennten Dienstgebäuden nahm es genausoviel Platz ein wie eine ganze Festung. Allerdings konnte man gleich sehen, daß es keine Festung war. Überall befanden sich hohe, hell erleuchtete Fenster, und die Klänge von Musik und Gelächter drangen nach außen. Doch Rand bemerkte auch die Wachen auf den Türmen und den Wehrgängen der Dächer. Außerdem befanden sich die Fenster alle weit über Bodenhöhe. Er stieg aus dem Sattel seines Braunen, glättete seinen Mantel und rückte den Schwertgürtel zurecht. Die anderen neben ihm stiegen ebenfalls am Fuß der breiten, weißen Steintreppe ab, die hinauf zu dem mächtigen, reich mit Schnitzereien verzierten Tor des Herrenhauses führte.

Zehn Schienarer unter Unos Kommando bildeten die Eskorte. Der Einäugige und Ingtar nickten sich kurz zu, bevor Uno seine Männer zu den Mitgliedern anderer Eskorten brachte, denen man Bier vorgesetzt hatte und für die ein ganzer Ochse am Spieß über einem großen Feuer garte.

Die anderen zehn Schienarer hatten sie zurückgelassen, zusammen mit Perrin. Jeder von ihnen, der heute abend dabei war, mußte einem bestimmten Zweck dienen, und Perrin wäre diesmal nicht von Nutzen gewesen. Eine Eskorte brauchte man, um in den Augen der Bewohner Cairhiens die Würde zu bewahren, aber mehr als zehn Mann würden allen verdächtig erscheinen. Rand war dabei, weil ihm die Einladung gegolten hatte. Ingtar war dabei, um ihnen das zusätzliche Prestige seines Titels zu verleihen. Und Loial schließlich war ja ein Ogier und somit ein begehrter Gast beim Hochadel Cairhiens. Hurin gab vor, Ingtars Leibdiener zu sein. Seine wirkliche Aufgabe war, die Schattenfreunde und Trollocs aufzuspüren, falls es möglich war. Das Horn von Valere sollte sich nicht weit von ihnen befinden. Mat, der immer noch wegen seiner Rolle murrte, mußte Rands Diener spielen, da er den Dolch fühlen konnte, wenn er sich ihm näherte. Falls Hurin keinen Erfolg hatte, konnte vielleicht er die Schattenfreunde finden.

Als Rand Verin gefragt hatte, warum sie dabei sei, hatte sie nur gelächelt und gesagt: »Um den Rest von euch vor Schwierigkeiten zu bewahren.«

Als sie die Treppe hinaufstiegen, murmelte Mat: »Ich sehe immer noch keinen Grund, warum ich einen Diener spielen muß.« Er und Hurin schritten hinter den anderen her. »Seng mich, aber wenn Rand den Lord heraushängen kann, kann ich mir auch einen feinen Mantel anziehen.«

»Ein Diener«, sagte Verin, ohne zu ihm zurückzuschauen, »kann an viele Orte gehen, an denen sich ein Lord nicht aufhält, und viele Adlige werden ihn dort überhaupt nicht bemerken. Ihr und Hurin habt Eure Aufgaben.«

»Schweigt jetzt, Mat«, warf Ingtar ein, »bevor Ihr uns alle verratet.«

Sie näherten sich dem Tor, an dem ein halbes Dutzend Wachen mit dem Baum und der Krone des Hauses Damodred auf der Brust stand und dazu noch einmal die gleiche Anzahl von Männern in dunkelgrüner Livree mit Baum und Krone auf den Ärmeln.

Rand atmete tief durch und hielt seine Einladung hin. »Ich bin Lord Rand aus dem Hause al'Thor«, sagte er hastig, um es hinter sich zu bringen. »Und das ist meine Begleitung: Verin Aes Sedai von den Braunen Ajah, Lord Ingtar aus dem Hause Schinowa in Schienar, und Loial, Sohn des Arent, Sohn des Halan, aus dem Stedding Schangtai.« Loial hatte darum gebeten, sein Stedding nicht zu nennen, aber Verin bestand darauf, daß sie jedes bißchen Prestige brauchten, zu dem ihnen solche Namen verhalfen.

Der Diener, der mit einer knappen Verbeugung nach der hingehaltenen Einladung gegriffen hatte, zuckte bei jedem zusätzlichen Namen zusammen. Bei der Erwähnung Verins fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. Mit erstickter Stimme sagte er: »Seid willkommen im Hause Damodred, Lords. Seid willkommen, Aes Sedai. Seid willkommen, Freund Ogier.« Er gab den anderen Dienern mit einem Wink zu verstehen, sie sollten das Tor weit öffnen, und dann dienerte er Rand und die anderen hinein, wo er hastig die Einladung einem anderen livrierten Mann übergab und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Dieser Mann trug Baum und Krone groß auf der Brust seines grünen Mantels. »Aes Sedai«, sagte er und benützte seinen langen Stab, um sich bei seiner tiefen Verbeugung abzustützen. Sein Kopf erreichte beinahe Kniehöhe. So begrüßte er jeden von ihnen. »Meine Herren. Freund Ogier. Ich heiße Aschin. Bitte mir zu folgen.«

Im Foyer befanden sich nur Diener, aber Aschin führte sie in einen großen Saal voller Adliger. Ein Jongleur zeigte an einem Ende seine Künste, und auf der anderen Seite überschlugen sich Akrobaten. Stimmen und Musik von anderswoher deuteten an, daß diese hier nicht die einzigen Gäste waren oder daß hier nicht die einzige Unterhaltung geboten wurde. Die Adligen standen in Paaren oder zu dritt oder viert herum, manchmal Männer und Frauen gemischt, manchmal nur die Angehörigen eines Geschlechts, aber von Gruppe zu Gruppe war immer ein größerer Abstand, so daß keiner hören konnte, was bei den anderen gesprochen wurde. Die Gäste trugen die dunklen, in Cairhien üblichen Farben und auf der Brust bunte Streifen, die meist am Brustbein endeten, bei manchen aber auch erst an der Hüfte. Die Frauen trugen die Haare zu kunstvollen Hochfrisuren aufgesteckt, jede anders, und ihre dunklen Röcke waren so weit, daß sie sich bei einer weniger breiten Tür seitwärts hätten drehen müssen, um überhaupt durchzukommen. Keiner der Männer hatte sich wie ein Soldat den Kopf rasiert. Statt dessen trugen sie dunkle Samthüte auf langen Haaren. Manche der Hüte waren glockenförmig, andere wieder flach. Wie bei den Frauen verbargen die langen Spitzenmanschetten beinahe ihre Hände.

Aschin klopfte mit dem Stab auf den Boden und stellte sie mit lauter Stimme vor — Verin zuerst.

Alle Blicke ruhten auf ihnen. Verin trug ihre mit braunen Fransen versehene und mit Reben bestickte Stola. Die Anwesenheit einer Aes Sedai löste allgemeines Geraune unter den Lords und Ladies aus. Der Jongleur ließ einen seiner Reifen fallen, aber es sah ihm sowieso niemand mehr zu. Loial erregte fast genausoviel Aufsehen, noch bevor Aschin seinen Namen ausgesprochen hatte. Trotz der Silberstickereien an Kragen und Ärmeln ließ das ansonsten durch nichts gebrochene Schwarz seines Mantels Rand neben den Cairhienianern beinahe düster wirken, und sein und Ingtars Schwerter zogen manchen Blick auf sich. Keiner der Lords hier schien bewaffnet zu sein. Rand hörte mehr als einmal die Bezeichnung ›Reiherschwert‹. Einige der Blicke, die ihm galten, wirkten auf ihn finster. Er glaubte, sie kämen vielleicht von Männern, deren Einladungen er verbrannt hatte.

Ein schlanker, gutaussehender Mann trat an sie heran. Er hatte langes, leicht ergrautes Haar und mehrere vielfarbige Streifen zogen sich über seinen Mantel vom Kragen bis zum Saum knapp über den Knien hinunter. Für jemanden aus Cairhien war er extrem groß, kaum einen halben Kopf kleiner als Rand, und er hatte eine Art dazustehen, die ihn sogar noch größer wirken ließ. Sein Kinn war so hoch erhoben, daß er auf alle anderen hinunterzublicken schien. Seine Augen waren schwarze Kiesel. Er sah Verin mit wachsamem Blick an.

»Eure Anwesenheit ehrt mich, Aes Sedai.« Barthanes Damodreds Stimme klang tief und selbstsicher. Sein Blick erfaßte die anderen. »Ich hatte keine so erlesene Gesellschaft erwartet. Lord Ingtar. Freund Ogier.« Seine Verbeugung vor den beiden war nur wenig mehr als ein Kopfnicken. Barthanes wußte genau, wie mächtig er selbst war. »Und Ihr, mein junger Lord Rand. Ihr erregt viel Aufsehen in der Stadt und in den Häusern. Vielleicht werden wir eine Möglichkeit finden, uns heute abend ausführlicher zu unterhalten.« Sein Tonfall schien anzudeuten, daß es nicht wichtig sei, ob dieses Gespräch auch wirklich stattfinde, es sei nicht der Rede wert, doch einen Moment lang entglitt ihm ein nervöser Seitenblick auf Ingtar, Loial und Verin. »Seid willkommen.« Er ließ sich von einer hübschen Frau wegziehen, die eine reichberingte Hand in seine Spitzenmanschetten steckte, aber im Weggehen wanderte sein Blick noch einmal zu Rand herüber.

Das Raunen der Unterhaltung regte sich wieder, und der Jongleur ließ wieder seine Reifen in einer engen Schleife hochwirbeln, so daß sie fast die stuckverzierte, vierzig Spannen hohe Gipsdecke streiften. Die Akrobaten hatten ihre Vorführung gar nicht unterbrochen. Eine Frau federte aus den zusammengelegten Händen eines ihrer Landsleute hoch. Ihre eingeölte Haut glänzte im Lichtschein von hundert Lampen. Sie überschlug sich und landete auf den Füßen, aufgefangen von den Händen eines Mannes, der bereits auf den Schultern eines anderen stand. Er hob sie mit gestreckten Armen weiter empor, und sein Untermann tat das gleiche mit ihm. Sie breitete die Arme aus, als warte sie auf Applaus. Keiner der Leute aus Cairhien schien es auch nur zu bemerken.

Verin und Ingtar verschwanden in der Menge. Dem Schienarer galten einige wachsame Blicke. Manche musterten Verin mit weit aufgerissenen Augen, andere mit der besorgten Miene von Menschen, die feststellen, daß sie neben einem tollwütigen Wolf stehen. Letzteres war eher bei Männern als bei Frauen der Fall, und einige der Frauen sprachen sie sogar an.

Rand wurde klar, daß Mat und Hurin bereits in Richtung Küche verschwunden waren, wo sich alle mitgekommenen Diener versammelten und warteten, bis sie gebraucht wurden. Er hoffte, sie würden sich problemlos wegschleichen können.

Loial beugte sich herunter, damit er ihm etwas ins Ohr sagen konnte: »Rand, in der Nähe befindet sich ein Wegetor. Ich kann es fühlen.«

»Soll das heißen, daß sich hier ein Ogierhain befand?« fragte Rand leise, und Loial nickte.

»Das Stedding Tsofu wurde nie wiedergefunden, sonst hätten die Ogier, die beim Bau von Al'cair'rahienallen halfen, keinen neuen Hain benötigt, der sie an das Stedding erinnern sollte. Als ich zum erstenmal durch Cairhien kam, stand hier nur Wald, und der gehörte dem König.«

»Barthanes hat es ihm vielleicht durch irgendeine Intrige abgewonnen.« Rand sah sich nervös im Saal um. Alle unterhielten sich nach wie vor, aber eine ganze Reihe schienen ihn und den Ogier zu beobachten. Er konnte Ingtar nicht mehr sehen. Verin stand im Mittelpunkt einer Gruppe Frauen. »Ich wünschte, wir könnten zusammenbleiben.«

»Verin sagt, das sei nicht gut, Rand. Sie meint, die anderen würden dann mißtrauisch und ärgerlich, wenn wir uns von ihnen fernhielten. Wir müssen alles Mißtrauen abbauen, bis Mat und Hurin finden, was auch immer sie finden mögen.«

»Das habe ich genausogut gehört wie du, Loial. Aber ich glaube immer noch, wenn Barthanes ein Schattenfreund ist, dann weiß er, warum wir hier sind. Wenn wir uns fortschleichen, fordern wir nur einen Schlag über den Schädel heraus.«

»Verin behauptet, er werde auf keinen Fall etwas gegen uns unternehmen, solange er nicht weiß, ob er uns nicht irgendwie benützen kann. Mach doch einfach, was sie uns gesagt hat, Rand. Die Aes Sedai wissen schon, was sie tun.« Loial schritt in die Menge hinein, und bevor er zehn Schritte getan hatte, war er bereits von Lords und Ladies umringt.

Andere bewegten sich auf Rand zu, jetzt, da er allein war, aber er wandte sich in die Gegenrichtung und eilte fort. Aes Sedai wissen vielleicht, was sie tun, aber ich nicht. Mir gefällt das alles nicht. Licht, wenn ich nur sicher sein könnte, daß sie die Wahrheit sagt. Aes Sedai lügen wohl nicht, aber die Wahrheit, die sie aussprechen, ist vielleicht nicht das, was du glaubst. Er blieb immer in Bewegung, um nicht mit all den Adligen sprechen zu müssen. Es gab noch viele weitere Säle, alle voll mit Lords und Ladies, und in allen wurde irgendeine Form der Unterhaltung geboten: drei verschiedene Gaukler in ihren schillernden Umhängen, weitere Jongleure und Akrobaten, Musiker, die Flöte und Zither, Laute und Oboe spielten sowie fünf verschiedene Arten von Fiedeln, sechs unterschiedliche Arten von Hörnern, gerade oder gekrümmt oder verwunden, und zehn Größen von Trommeln — vom Tambourin bis zur Kesselpauke. Er musterte einige der Hörner etwas genauer, doch sie bestanden alle nur aus Messing.

Narr, hier werden sie das Horn von Valere wohl kaum zur Schau stellen, dachte er. Außer Barthanes plant, tote Helden als Teil seines Unterhaltungsprogrammes heraufzubeschwören. Es war sogar ein Barde da. Er trug silberverzierte Taren-Stiefel und einen gelben Mantel. Beim Herumgehen zupfte er seine Harfe, und von Zeit zu Zeit blieb er stehen und deklamierte irgend etwas in Hochgesang. Die Gaukler bedachte er mit verächtlichen Blicken, und er hielt sich nicht in den gleichen Sälen auf wie sie, aber außer der Kleidung konnte Rand kaum einen Unterschied zwischen ihnen und ihm feststellen.

Plötzlich befand sich Barthanes an Rands Seite. Sofort bot ihnen ein livrierter Diener mit einer Verbeugung ein Silbertablett dar. Barthanes nahm sich einen gläsernen Pokal mit Wein. Der Diener verbeugte sich immer noch, als er vor ihnen her rückwärts lief, und hielt Rand das Tablett hin, bis der den Kopf schüttelte. Dann verschmolz er mit der Menge.

»Ihr seid ruhelos«, sagte Barthanes und nippte an seinem Glas.

»Ich laufe gern herum.« Rand fragte sich, wie er wohl Verins Rat befolgen könne, und als er sich daran erinnerte, was sie über seine Audienz bei der Amyrlin gesagt hatte, nahm er die Haltung ›Die Katze läuft über den Hof‹ ein. Er kannte keine arrogantere Gangart. Barthanes Mundpartie spannte sich, und Rand glaubte, der Herr fände ihn vielleicht schon zu arrogant, doch er hatte nur Verins Rat, an den er sich halten konnte, und so gab er diese Haltung nicht auf. Um ihr etwas die Spitze zu nehmen, sagte er freundlich: »Das ist wirklich ein gelungenes Fest. Ihr habt viele Freunde, und ich habe noch nie so viel Unterhaltung auf einmal erlebt.«

»Viele Freunde«, stimmte Barthanes zu. »Ihr könnt Galldrian erzählen, wie viele es waren und wer. Ein paar der Namen überraschen ihn vielleicht.«

»Ich habe den König noch nicht kennengelernt, Lord Barthanes, und ich glaube auch nicht, daß ich das werde.«

»Natürlich. Ihr wart nur zufällig in diesem kleinen Nest! Ihr habt den Fortschritt der Ausgrabungen an der Statue rein zufällig überwacht! Ein großartiges Unternehmen ist das.«

»Ja.« Er mußte wieder an Verin denken. Sie hatte ihm nicht gesagt, wie man mit einem Mann reden mußte, der einen für einen Lügner hielt. So fügte er gedankenlos hinzu: »Es ist gefährlich, sich mit Dingen aus dem Zeitalter der Legenden abzugeben, wenn man nicht weiß, was man tut.«

Barthanes blickte in seinen Wein hinunter und schien darüber nachzudenken, als habe Rand eine tiefschürfende Wahrheit ausgesprochen. »Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr Galldrian nicht bei dieser Sache unterstützt?« fragte er schließlich.

»Ich habe Euch ja gesagt, daß ich den König noch nie getroffen habe.«

»Ja, natürlich. Ich wußte nicht, daß Leute aus Andor das Spiel so gut beherrschen. Hier in Cairhien lassen sich nicht viele sehen.«

Rand holte tief Luft, um sich davon abzuhalten, dem Mann wütend mitzuteilen, daß er ihr Spiel nicht spiele. »Es sind viele Getreidefrachter aus Andor auf dem Fluß zu sehen.«

»Kaufleute und Händler. Wer bemerkt die schon? Da kann man ja gleich auf die Käfer an den Blättern achten.« In Barthanes Stimme lag die gleiche Verachtung für die Käfer wie auch für die Händler, aber dann verfinsterte sich seine Miene erneut, als habe Rand irgendeine Andeutung gemacht. »Nicht viele Männer reisen in Begleitung einer Aes Sedai. Ihr scheint mir zu jung, um Behüter zu sein. Ich schätze, Lord Ingtar ist Verin Sedais Behüter.«

»Wir sind, was wir sagten«, antwortete Rand und verzog das Gesicht. Außer mir. Barthanes musterte nun fast unverhohlen Rands Gesicht. »Jung. Sehr jung für ein Reiherschwert.«

»Ich bin weniger als ein Jahr alt«, sagte Rand automatisch. Sofort bereute er seine Antwort. Sie klang unsinnig, doch Verin hatte gesagt, er solle sich so wie bei der Amyrlin verhalten, und Lan hatte ihm diese Antwort eingeimpft. Ein Grenzwärter betrachtete den Tag, an dem er sein Schwert bekam, als seinen Geburtstag.

»Tatsächlich. Ein Andormann, aber in den Grenzlanden ausgebildet. Oder von einem Behüter?« Barthanes Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, als er Rand so betrachtete. »Soviel ich weiß, hat Morgase nur einen Sohn. Wie ich hörte, heißt er Gawyn. Ihr müßt fast gleichaltrig sein.«

»Ich habe ihn kennengelernt«, sagte Rand vorsichtig.

»Diese Augen. Dieses Haar. Ich habe gehört, daß in der königlichen Familie von Andor diese Aielfarbe bei Haaren und Augen verbreitet sei.«

Rand stolperte, obwohl der Boden aus glattem Marmor bestand. »Ich bin kein Aiel, Lord Barthanes, und ich gehöre auch nicht der königlichen Familie an.«

»Wie Ihr meint. Ihr habt mir viel Stoff zum Nachdenken geliefert. Ich glaube, wenn wir uns wieder unterhalten, tun wir es möglicherweise auf der gleichen Ebene.« Barthanes nickte ihm zu und hob sein Glas. Dann wandte er sich um und sprach mit einem grauhaarigen Mann, der viele bunte Streifen auf seinem Mantel trug.

Rand schüttelte den Kopf und ging weiter — weg von allen Unterhaltungen. Es war schon schlimm genug gewesen, mit einem Lord aus Cairhien zu sprechen. Ein zweites solches Gespräch wollte er nicht riskieren. Barthanes hatte anscheinend in den trivialsten Kommentaren noch eine tiefe Bedeutung gesehen. Rand war klar geworden, daß er soeben genug über Daes Dae'mar erfahren hatte, um genau zu wissen, daß er keine Ahnung hatte, wie man es spielte. Mat, Hurin, findet bitte schnell etwas heraus, damit wir von hier verschwinden können! Diese Leute spinnen! Und dann betrat er wieder einen neuen Saal, und der Gaukler, der am anderen Ende seine Harfe zupfte und eine Erzählung aus Die Wilde Jagd nach dem Horn vortrug, war Thom Merrilin. Rand blieb wie angewurzelt stehen. Thom schien ihn nicht zu bemerken, obwohl ihn der Blick des Gauklers zweimal streifte. Thom schien es wirklich ernst damit zu sein, ihre Beziehung endgültig abzubrechen.

Rand wandte sich zum Gehen, doch eine Frau trat geschmeidig vor ihn hin und legte ihm eine Hand auf die Brust. Die nach hinten fallende Spitzenmanschette entblößte ein zierliches Handgelenk. Sie reichte ihm nicht ganz bis zur Schulter, aber der hohe Turm ihrer Locken kam ihm auf Augenhöhe entgegen. Die Spitzen ihrer Halskrause ragten unter ihrem Kinn hervor, und unter ihrem Busen war ihr dunkelblaues Kleid mit Farbstreifen geschmückt. »Ich heiße Alaine Chuliandred, und Ihr seid der berühmte Rand al'Thor. In seinem eigenen Haus hat Barthanes wohl das Recht, als erster mit Euch zu sprechen, aber wir sind alle fasziniert von dem, was man Euch nachsagt. Ich habe sogar gehört, daß Ihr Flöte spielt. Kann das wahr sein?«

»Ich spiele Flöte.« Wie konnte sie...? Caldevwin. Licht, jeder scheint in Cairhien alles zu erfahren. »Entschuldigt mich bitte... «

»Ich habe gehört, daß im Ausland einige Herren selbst Musik machen, habe das aber bisher nie geglaubt. Ich würde Euch so gern spielen hören. Vielleicht unterhaltet Ihr Euch auch ein wenig mit mir über dies und das. Barthanes schien die Unterhaltung mit Euch zu genießen. Mein Mann verbringt seine Tage damit, seinen Weinkeller durchzuprobieren, und er läßt mich ziemlich allein. Er ist nie da, um sich mit mir zu unterhalten.«

»Ihr müßt ihn vermissen«, sagte Rand, der sich krampfhaft bemühte, sich um sie und ihren weiten Rock herumzuschieben. Sie lachte hell auf, als habe er etwas außerordentlich Lustiges gesagt.

Eine weitere Frau trat an ihre Seite, und noch eine Hand legte sich auf seine Brust. Sie trug genauso viele Streifen wie Alaine, und sie waren auch etwa gleichaltrig — gute zehn Jahre älter als er. »Willst du ihn für dich behalten, Alaine?« Die beiden Frauen lächelten sich mit Dolchen in den Augen an. Die zweite lächelte Rand nun an. »Ich bin Belevaere Osiellin. Sind alle Männer in Andor so groß? Und so gutaussehend?«

Er räusperte sich. »Äh... ein paar sind genauso groß. Verzeiht mir, aber wenn ich jetzt... «

»Ich sah Euch mit Barthanes sprechen. Man behauptet, Ihr kennt auch Galldrian. Ihr müßt mich besuchen kommen, damit wir uns unterhalten können. Mein Mann besucht gerade unsere Güter im Süden.«

»Ihr seid so feinfühlig wie eine Dirne«, zischte Alaine ihr zu, aber im nächsten Moment lächelte sie Rand wieder an. »Sie hat einfach keine Bildung. Welcher Mann könnte sich wohl für eine Frau mit so schlechten Manieren interessieren? Bringt Eure Flöte in mein Haus, und wir werden uns unterhalten. Vielleicht bringt Ihr mir auch das Flötenspiel bei?«

»Was Alaine für Feinfühligkeit hält«, sagte Belevaere in süßlichem Tonfall, »ist lediglich ein Mangel an Mut. Ein Mann, der ein Reiherschwert trägt, muß tapfer sein. Das ist doch eine echte Reiherklinge, nicht wahr?«

Rand versuchte, sich nach hinten zu entfernen. »Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet... ich... « Sie folgten ihm Schritt für Schritt, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Ihre weiten Röcke bildeten eine zweite Wand vor ihm.

Er fuhr zusammen, als sich eine dritte Frau neben die beiden anderen schob. Ihr Rock reichte nun vollends bis an die Wand und versperrte ihm endgültig den Fluchtweg. Sie war älter als die beiden, aber genauso hübsch. Ihr amüsiertes Lächeln konnte die Schärfe ihres Blickes nicht verbergen. Sie trug noch mal um die Hälfte mehr Streifen als Alaine und Belevaere. Diese beiden knicksten vor ihr und sahen sie mürrisch an.

»Versuchen diese beiden Spinnen, Euch in ihr Netz zu locken?« Die ältere Frau lachte. »Die meiste Zeit über verwickeln sie sich selbst mehr darin als ihre Opfer.

Kommt mit mir, mein feiner, junger Andoraner, und ich erzähle Euch ein wenig, in welche Schwierigkeiten sie Euch bringen würden. Zum einen habe ich keinen Ehemann, dessentwegen Ihr Euch Gedanken machen müßt. Ehemänner sind so lästig.«

Über Alaines Kopf hinweg konnte er Thom sehen, der sich gerade von einer Verbeugung aufrichtete, obwohl keinerlei Applaus oder Aufsehen zu bemerken war. Mit einer Grimasse schnappte sich der Gaukler einen gefüllten Pokal vom Tablett eines überraschten Dieners.

»Ich sehe da jemanden, mit dem ich sprechen muß«, sagte Rand zu den Frauen, und er quetschte sich aus dem Käfig, den sie um ihn gebildet hatten, gerade als die zuletzt erschienene Frau nach seinem Arm faßte. Alle drei blickten ihm nach, als er zu dem Gaukler eilte.

Thom beäugte ihn über den Rand des Pokals hinweg und nahm dann einen großen Schluck.

»Thom, ich weiß, Ihr habt gesagt, wir trennen uns, aber ich mußte vor diesen Frauen fliehen. Alles, was sie mir sagten, war, daß ihre Ehemänner fort seien, aber sie deuteten noch ganz anderes an.« Thom erstickte fast an seinem Wein, und Rand klopfte ihm auf den Rücken. »Ihr trinkt zu schnell, und etwas kommt einem dabei immer in die falsche Kehle. Thom, sie glauben, daß ich mit Barthanes paktiere oder vielleicht auch mit Galldrian, und ich glaube nicht, daß sie es mir abnehmen werden, wenn ich ihnen sage, daß das nicht stimmt. Ich brauchte einfach eine Ausrede, um von ihnen wegzukommen.«

Thom strich sich über den langen Schnurrbart und blickte hinüber zu den drei Frauen. Sie standen immer noch nebeneinander und beobachteten ihn und Rand. »Ich kenne die drei, Junge. Breane Taborwin allein könnte dich so vieles lehren, wie jeder Mann einmal im Leben lernen sollte, falls er die Erfahrung überlebt. Macht sich Gedanken über ihre Ehemänner. Das gefällt mir, Junge.« Mit einem Mal wurde sein Blick stechend. »Du hattest mir erzählt, du hättest nichts mehr mit den Aes Sedai zu tun. Die Hälfte aller Unterhaltungen heute abend beschäftigt sich damit, daß ohne Vorwarnung ein Lord aus Andor erschienen ist, mit einer Aes Sedai zur Seite. Barthanes und Galldrian. Diesmal hast du dich von der Weißen Burg ganz schön hineinreiten lassen.«

»Sie ist erst gestern gekommen, Thom. Und sobald das Horn in Sicherheit ist, bin ich sie wieder los. Dafür werde ich sorgen.«

»Du sagst das, als sei es gerade jetzt nicht in Sicherheit«, sagte Thom bedächtig. »So hast du dich vorher nicht angehört.«

»Schattenfreunde haben es gestohlen, Thom. Sie haben es hierher gebracht. Barthanes ist einer davon.«

Thom schien seinen Wein zu erforschen, aber sein Blick schweifte umher, um sicherzugehen, daß niemand nahe genug zum Lauschen war. Mehr als nur die drei Frauen beobachteten sie aus den Augenwinkeln, während sie vorgaben, tief in eine Unterhaltung versunken zu sein, aber trotzdem hielt sich jedes Grüppchen von den anderen fern. Thom sagte leise: »Eine gefährliche Sache, selbst wenn es nicht stimmt, und noch gefährlicher, wenn du recht hast. Eine solche Anklage, und dann noch gegen den mächtigsten Mann im Königreich... Du meinst, er habe das Horn? Ich schätze, du willst, daß ich dir wieder helfe, jetzt, wo du wieder an den Fäden der Weißen Burg hängst?«

»Nein.« Er hatte entschieden, daß Thom recht hatte, auch wenn der Gaukler nicht wußte, warum. Er konnte niemanden in seine Probleme verwickeln. »Ich wollte nur diesen Frauen entkommen.«

Der Gaukler pustete erstaunt in seinen Schnurrbart. »Also, na ja. Das ist gut. Beim letzten Mal, als ich dir half, trug ich eine Beinverletzung davon und muß seither humpeln. Mittlerweile scheinst du ja wieder in den Fängen von Tar Valon zu zappeln. Diesmal mußt du aus eigener Kraft entkommen.« Es klang, als wolle er sich das selbst einreden.

»Das werde ich, Thom. Bestimmt.« Sobald das Horn in Sicherheit ist und Mat diesen blutigen Dolch zurückhat. Mat, Hurin, wo seid ihr bloß? Als habe er ihn verstanden, tauchte Hurin im Saal auf. Seine Blicke suchten zwischen den Lords und Ladies. Sie sahen durch ihn hindurch; Diener existierten für sie nicht, außer sie brauchten sie gerade. Als er Rand und Thom erspähte, wand er sich zwischen den Grüppchen der Adeligen hindurch und verbeugte sich vor Rand. »Lord Rand, man hat mich geschickt, um es Euch mitzuteilen. Euer Leibdiener ist gestürzt und hat sich das Knie verdreht. Ich weiß nicht, wie schlimm es ist, Herr.«

Einen Augenblick lang blickte Rand verständnislos drein, bevor er begriff. Er war sich der Blicke bewußt, die auf ihm ruhten, und deshalb sprach er laut genug, damit ihn die am nächsten Stehenden hören konnten: »Ungeschickter Narr. Was nützt er mir, wenn er nicht laufen kann? Ich schätze, ich sollte mich wohl darum kümmern, wie schwer er sich verletzt hat.«

Es schien genau das Richtige zu sein. Hurin klang erleichtert, als er nach einer weiteren Verbeugung sagte: »Wie mein Herr wünschen. Bitte mir zu folgen.«

»Du spielst den Lord sehr überzeugend«, sagte Thom leise. »Aber denk daran: Die Leute aus Cairhien spielen Daes Dae'mar, doch es war die Weiße Burg, in der das Spiel erfunden wurde. Paß auf dich auf, Junge!« Mit einem bösen Blick zu den Adeligen hinüber stellte er den leeren Pokal auf das Tablett eines vorbeieilenden Dieners und schlenderte weg, wobei er seine Harfe wieder zupfte. Er begann, Frau Mili und der Seidenhändler vorzutragen.

»Geh voran, Mann!« befahl Rand Hurin. Er fühlte sich nicht wohl dabei. Als er dem Schnüffler aus dem Saal folgte, fühlte er die Blicke in seinem Rücken.

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