DIE INCENTIVE-SUPERRESPONSE-TENDENZ

Warum Sie Ihren Anwalt nicht nach Aufwand bezahlen sollten

Die französische Kolonialherrschaft in Hanoi verabschiedete ein Gesetz: Für jede tote Ratte, die man ablieferte, gab es Geld. Damit wollte man der Rattenplage Herr werden. Das Gesetz führte dazu, dass Ratten gezüchtet wurden.

Als 1947 die Schriftrollen vom Toten Meer entdeckt wurden, setzten Archäologen einen Finderlohn für jedes neue Pergament aus. Resultat: Die Pergamente wurden zerrissen, um ihre Anzahl zu erhöhen. Dasselbe geschah in China im 19. Jahrhundert, als man einen Finderlohn für Dinosaurierknochen aussetzte. Die Bauern gruben vollständig erhaltene Dinosaurierknochen aus, zertrümmerten sie und kassierten.

Der Aufsichtsrat eines Unternehmens versprach dem Management einen Bonus bei Zielerreichung. Was passierte? Die Manager verwendeten mehr Energie darauf, möglichst tiefe Ziele zu vereinbaren, statt darauf, gewinnbringend zu wirtschaften.

Dies sind Beispiele der Incentive-Superresponse-Tendenz (auf Deutsch etwa: Anreizsensitivität). Sie beschreibt zunächst einen banalen Sachverhalt: Menschen reagieren auf Anreizsysteme. Das verwundert nicht. Menschen tun, was in ihrem Interesse liegt. Erstaunlich sind zwei Nebenaspekte. Erstens: wie schnell und radikal Menschen ihr Verhalten ändern, wenn Anreize ins Spiel kommen oder verändert werden. Zweitens: dass Menschen auf die Anreize reagieren, aber nicht auf die Absicht hinter den Anreizen.

Gute Anreizsysteme bringen Absicht und Anreiz in Deckung. Ein Beispiel: Im alten Rom musste der Ingenieur einer Brücke unter dem Brückenbogen stehen, als sie eröffnet wurde. Ein ziemlich guter Ansporn, die Brücke stabil genug zu bauen. Schlechte Anreizsysteme hingegen schießen an der Absicht vorbei oder pervertieren sie gar. So macht etwa die Zensur eines Buches dessen Inhalte in der Regel erst recht bekannt. Oder Banksachbearbeiter, die pro abgeschlossenen Kreditvertrag bezahlt werden: Sie werden ein miserables Kreditportfolio anhäufen.

Möchten Sie das Verhalten von Menschen oder Organisationen beeinflussen? Dann können Sie Werte und Visionen predigen. Sie können an die Vernunft appellieren. Doch fast immer ist es einfacher, über Anreize zu gehen. Dabei müssen die Anreize nicht monetär sein. Von Schulnoten über Nobelpreise bis hin zu einer Spezialbehandlung im nächsten Leben ist alles denkbar.

Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum sich geistig gesunde, vorwiegend adlige Menschen im Hochmittelalter aufs Pferd geschwungen haben, um sich an den Kreuzzügen zu beteiligen. Der beschwerliche Ritt nach Jerusalem dauerte mindestens sechs Monate und führte durch feindliches Gebiet. All dies war den Teilnehmern bekannt. Wozu das Hasardspiel? Eine Frage der Anreizsysteme. Kam man lebend zurück, durfte man die Kriegsbeute behalten. Starb man, ging man automatisch als Märtyrer ins Jenseits ein – mit allen Benefits, die der Märtyrerstatus versprach. Man konnte nur gewinnen.

Anwälte, Architekten, Berater, Wirtschaftsprüfer oder Fahrlehrer nach Aufwand zu bezahlen, ist idiotisch. Diese Leute haben einen Anreiz, möglichst viel Aufwand zu generieren. Machen Sie deshalb vorab einen fixen Preis aus. Ein Facharzt wird immer ein Interesse haben, Sie möglichst umfassend zu behandeln und zu operieren – selbst wenn es nicht nötig ist. Anlageberater »empfehlen« Ihnen jene Finanzprodukte, auf denen sie eine Verkaufskommission erhalten. Und die Businesspläne von Unternehmern und Investmentbankern sind wertlos, da diese Leute ein direktes Interesse an einer Transaktion haben. Wie sagt das alte Sprichwort? »Frage nie einen Friseur, ob du einen Haarschnitt brauchst.«

Fazit: Seien Sie auf der Hut vor der Incentive-Superresponse-Tendenz. Wenn Sie das Verhalten eines Menschen oder einer Organisation erstaunt, fragen Sie sich, welches Anreizsystem dahintersteckt. Ich garantiere Ihnen, dass Sie 90 % des Verhaltens so erklären können. Leidenschaft, geistige Schwäche, psychische Störungen oder Bosheit machen höchstens 10 % aus.

Der Investor Charlie Munger besuchte ein Geschäft für Fischereizubehör. Plötzlich blieb er vor einem Gestell stehen, nahm einen auffällig glitzernden Plastikköder zur Hand und fragte den Ladenbesitzer: »Sag mal, stehen Fische wirklich auf solches Zeug?« Der lächelte: »Charlie, wir verkaufen nicht an Fische.«

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