DIE KOGNITIVE DISSONANZ

Wie Sie mit kleinen Lügen Ihre Gefühle in Ordnung bringen

Ein Fuchs schlich sich an einen Weinstock heran. Sein Blick hing sehnsüchtig an den dicken, blauen, überreifen Trauben. Er stützte sich mit seinen Vorderpfoten gegen den Stamm, reckte seinen Hals empor und wollte ein paar Trauben erwischen, aber sie hingen zu hoch. Verärgert versuchte er sein Glück noch einmal. Diesmal tat er einen gewaltigen Satz, doch er schnappte nur ins Leere. Ein drittes Mal sprang er aus Leibeskräften – so hoch, dass er auf den Rücken fiel. Nicht ein Blatt hatte sich bewegt. Der Fuchs rümpfte die Nase: »Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben.« Mit erhobenem Haupt stolzierte er in den Wald zurück. Die Fabel des griechischen Dichters Äsop illustriert einen der häufigsten Denkfehler. Was sich der Fuchs nämlich vorgenommen hat und was dabei herausgekommen ist, passen nicht zusammen. Diesen ärgerlichen Widerspruch (Dissonanz) kann der Fuchs auf drei Arten entschärfen: A) indem er sich die Trauben auf irgendeine Art doch noch holt, B) indem er sich eingesteht, dass seine Fähigkeiten dazu nicht ausreichen, C) indem er nachträglich etwas uminterpretiert. Im letzteren Fall spricht man von kognitiver Dissonanz beziehungsweise von deren Auflösung.

Ein einfaches Beispiel: Sie haben einen neuen Pkw gekauft. Schon bald bereuen Sie Ihre Wahl: Der Motor ist laut, die Sitze unbequem. Was tun? Sie geben den Wagen nicht zurück – nein, das wäre ja ein Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben, und wahrscheinlich würde der Händler ihn ohne Abschlag ohnehin nicht mehr wollen. Also reden Sie sich ein, dass ein lauter Motor und unbequeme Sitze immerhin vorzüglich geeignet sind, Sie vor dem Einschlafen am Steuer zu hindern – dass Sie also einen besonders sicheren Wagen gekauft haben. Gar nicht so dumm, denken Sie, und sind mit Ihrer Wahl doch wieder zufrieden.

Leon Festinger und Merrill Carlsmith von der Stanford University wiesen ihre Studenten an, eine Stunde lang eine todlangweilige Arbeit auszuüben. Danach teilten sie die Probanden nach Zufall in zwei Gruppen. Jedem Studenten der Gruppe A drückten Sie einen Dollar (das war im Jahr 1959) in die Hand und wiesen ihn an, einem draußen wartenden Kommilitonen von der eigentlich mühseligen Arbeit vorzuschwärmen, also zu lügen. Dasselbe mit den Studenten der Gruppe B, mit dem einzigen Unterschied: Sie erhielten 20 Dollar für die kleine Lügerei. Später mussten die Studenten angeben, wie angenehm sie die Arbeit denn wirklich empfunden hatten. Interessant: Wer nur einen Dollar erhalten hatte, bewertete die Arbeit als bedeutend angenehmer und interessanter als jene, die mit 20 Dollar belohnt worden waren. Warum? Für einen läppischen Dollar zu lügen machte keinen Sinn, also konnte die Arbeit wirklich nicht so schlimm gewesen sein. Diejenigen, die 20 Dollar erhielten, mussten nichts uminterpretieren. Sie hatten gelogen und dafür 20 Dollar kassiert – ein fairer Deal. Sie verspürten keine kognitive Dissonanz.

Angenommen, Sie haben sich um eine Stelle beworben, aber man hat Ihnen einen anderen Kandidaten vorgezogen. Statt sich einzugestehen, dass Sie nicht genügend qualifiziert sind, reden Sie sich ein, dass Sie im Grunde die Stelle gar nie haben wollten. Sie wollten nur wieder mal Ihren »Marktwert« testen, schauen, ob man Sie überhaupt noch zu Bewerbungsgesprächen einlädt.

Ganz ähnlich reagierte ich, als ich vor einiger Zeit zwischen zwei Aktien zu wählen hatte. Diejenige, die ich kaufte, verlor kurz danach deutlich an Wert, während die andere kräftig zulegte. Zu dumm, aber ich konnte mir den Fehler nicht eingestehen. Im Gegenteil, ich erinnere mich genau, dass ich einem Freund allen Ernstes weiszumachen versuchte, die Aktie schwächle zwar gerade etwas, aber sie habe »mehr Potenzial« als die andere. Eine hochgradig unvernünftige Selbsttäuschung, die nur mit kognitiver Dissonanz zu erklären ist. Das »Potenzial« nämlich wäre noch größer geworden, wenn ich mit dem Kauf zugewartet und mir die Zeit bis dahin mit der anderen, gut performenden Aktie vertrieben hätte. Es war mein Freund, der mir die Äsop-Fabel erzählte. »Du kannst noch so sehr den schlauen Fuchs spielen – die Trauben hast du damit nicht gefressen.«

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