DER ENDOWMENT-EFFEKT

Klammern Sie sich nicht an die Dinge

Der BMW glänzte auf dem Parkplatz des Gebrauchtwagenhändlers. Zwar hatte er schon einige Kilometer drauf, doch er schien in tadellosem Zustand zu sein. Nur – mit 50.000 Euro war er mir entschieden zu teuer. Ich verstehe etwas von Gebrauchtwagen; maximal 40.000 war er in meinen Augen wert. Doch der Verkäufer ließ sich nicht erweichen. Als er sich eine Woche später bei mir meldete und sagte, ich könne den Wagen für 40.000 haben, schlug ich zu. Am nächsten Tag machte ich an einer Tankstelle halt. Dort sprach mich der Besitzer der Tankstelle an und offerierte 53.000 Euro cash für meinen Wagen. Ich lehnte dankend ab. Erst auf der Heimfahrt realisierte ich, wie irrational mein Verhalten gewesen war. Etwas, das in meinen Augen maximal 40.000 wert war, hatte nun, nachdem es in meinen Besitz übergegangen war, plötzlich einen Wert von über 53.000 – sonst hätte ich das Ding ja sofort weiterverkaufen müssen. Der Denkfehler dahinter: Endowment-Effekt (Besitztumseffekt). Was wir besitzen, empfinden wir als wertvoller, als was wir nicht besitzen. Anders ausgedrückt: Wenn wir etwas verkaufen, verlangen wir mehr Geld, als wir selbst dafür bereit wären, auszugeben.

Der Psychologe Dan Ariely hat folgendes Experiment durchgeführt. Er verloste Eintrittskarten zu einem wichtigen Basketballspiel an seine Studenten. Anschließend fragte er jene Studenten, die leer ausgegangen waren, wie viel sie für eine Karte zu bezahlen bereit wären. Die meisten gaben einen Preis um die 170 Dollar an. Danach fragte er jene Studenten, die eine Karte gewonnen hatten, für wie viel sie bereit wären, ihre Karte zu verkaufen. Der durchschnittliche Verkaufspreis lag bei 2.400 Dollar. Die einfache Tatsache, dass wir etwas besitzen, verleiht dieser Sache offenbar Wert.

Im Immobiliengeschäft kommt der Endowment-Effekt deutlich zum Tragen. Der Verkäufer schätzt den Wert seines Hauses systematisch höher ein als der Markt. Der Marktpreis erscheint dem Hausbesitzer oft unfair, ja, eine Frechheit – weil er eine emotionale Bindung zu seinem Haus hat. Diesen emotionalen Mehrwert soll ein etwaiger Käufer mitbezahlen – was natürlich absurd ist.

Charlie Munger, die rechte Hand von Warren Buffett, kennt den Endowment-Effekt aus eigener Erfahrung. In jungen Jahren wurde ihm ein außerordentlich lukratives Investment angeboten. Leider war er zu jenem Zeitpunkt voll investiert, hatte also keine flüssigen Mittel zur Hand. Er hätte eine seiner Beteiligungen verkaufen müssen, um das neue Investment einzugehen, doch er tat es nicht. Der Endowment-Effekt hielt ihn zurück. So ließ sich Munger einen schönen Gewinn von über fünf Millionen Dollar entgehen, nur weil er sich nicht von einer einzigen Anlage trennen konnte.

Loslassen fällt uns offenbar schwerer als anhäufen. Das erklärt nicht nur, weshalb wir unseren Haushalt mit Ramsch zumüllen, sondern auch, warum Liebhaber von Briefmarken, Uhren oder Kunst so selten tauschen oder verkaufen.

Erstaunlicherweise verhext der Endowment-Effekt nicht nur den Besitz, sondern sogar schon den Fast-Besitz. Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s leben davon. Wer bis zuletzt mitbietet, hat das Gefühl, ihm gehöre das Kunstwerk schon (fast). Entsprechend hat das Objekt der Begierde für den Käufer in spe an Wert gewonnen. Er ist plötzlich bereit, einen höheren Preis zu bezahlen als jenen, den er sich vorgenommen hat. Der Ausstieg aus dem Bieterwettkampf wird als Verlust empfunden – gegen jede Vernunft. Bei großen Auktionen, zum Beispiel von Schürfrechten oder Mobilfunkfrequenzen, kommt es daher oft zum Winner’s Curse: Der Gewinner einer Auktion entpuppt sich als ökonomischer Verlierer, weil er überboten hat. Mehr zum Winner’s Curse in einem anderen Kapitel.

Wenn Sie sich um einen Job bewerben und ihn nicht bekommen, haben Sie allen Grund, enttäuscht zu sein. Wenn Sie wissen, dass Sie es bis zur Endausscheidung geschafft haben und dann die Absage erhalten, ist die Enttäuschung noch viel größer – unberechtigterweise. Denn entweder haben Sie den Job bekommen oder nicht, alles andere sollte keine Rolle spielen. Fazit: Klammern Sie sich nicht an die Dinge. Betrachten Sie Ihren Besitz als etwas, das Ihnen das »Universum« provisorisch überlassen hat – wohl wissend, dass es Ihnen alles jederzeit wieder wegnehmen kann.

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