THE WINNER’S CURSE

Wie viel würden Sie für einen Euro bezahlen?

Texas, in den 50er-Jahren. Ein Stück Land wird versteigert. Zehn Ölfirmen bieten mit. Jede hat ihre eigene Schätzung gemacht, wie viel Öl das Grundstück enthält. Die tiefste Schätzung liegt bei zehn Millionen Dollar, die höchste bei 100 Millionen Dollar. Je höher der Preis während der Auktion klettert, desto mehr Firmen verabschieden sich aus dem Bieterwettkampf. Schließlich bekommt die Firma mit dem höchsten Angebot den Zuschlag. Sie ist übrig geblieben, hat gewonnen. Champagnerkorken knallen.

The Winner’s Curse (deutsch: der Fluch des Gewinners) besagt: Der Gewinner einer Auktion ist meistens der eigentliche Verlierer. Industrieanalysten stellten fest, dass die Firmen, die regelmäßig als Gewinner aus den Ölfeldauktionen hervorgingen, systematisch zu viel bezahlten und Jahre später daran zugrunde gingen. Das ist nachvollziehbar. Wenn die Schätzungen zwischen zehn und 100 Millionen variieren, wird der wirkliche Wert wahrscheinlich irgendwo dazwischen liegen. Das höchste Angebot ist bei Auktionen oft systematisch zu hoch – es sei denn, dieser Bieter hätte einen Informationsvorsprung. Das war damals in Texas nicht der Fall. Die Ölmanager feierten in Wahrheit einen Pyrrhussieg.

Wo sind die Ölfelder heute? Überall. Von eBay über Groupon bis hin zu Google AdWords – durchweg werden Preise über Auktionen festgesetzt. Es gibt Bieterwettkämpfe um Mobilfunkfrequenzen, die Telekomfirmen an den Rand des Ruins bringen. Flughäfen vermieten ihre Ladenflächen im Auktionsverfahren. Und wenn Aldi ein neues Waschmittel einführen will und Offerten von fünf Lieferanten einfordert, ist das nichts anderes als eine Auktion – mit der Gefahr des Winner’s Curse.

Die »Auktionierung des Alltags« hat dank Internet mittlerweile auch die Handwerker erreicht. Meine Wohnung brauchte einen neuen Anstrich. Statt den nächstbesten Maler in Luzern anzurufen, stellte ich den Job ins Internet, wo sich 30 Anbieter aus der ganzen Schweiz und Deutschland um den Auftrag stritten. Das beste Angebot war so tief, dass ich es aus Erbarmen nicht annahm – um dem armen Maler den Winner’s Curse zu ersparen.

Auch Börsengänge sind Auktionen, bei denen überrissene Preise bezahlt werden. Und wenn Firmen andere Firmen kaufen – sogenannte Mergers & Acquisitions – ist vielfach der Winner’s Curse im Spiel. Mehr als die Hälfte aller Firmenkäufe vernichten Wert, was nichts anderes bedeutet, als dass sich ihr Kauf nicht im Geringsten gelohnt hat.

Warum fallen wir dem Winner’s Curse zum Opfer? Zum einen, weil der wirkliche Wert eines Gutes unbestimmt ist. Je mehr Parteien, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer überoptimistischen Offerte. Zum anderen, weil wir Konkurrenten ausstechen wollen. Ein Freund besitzt eine Fabrik für Mikroantennen. Er hat mir vom ruinösen Bieterwettkampf erzählt, den Apple für das iPhone veranstaltet. Jeder will der »offizielle Lieferant« von Apple sein – und wer auch immer den Zuschlag erhält, wird garantiert Geld verlieren.

Wie viel würden Sie für 100 Euro bezahlen? Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Konkurrent seien zu einer solchen Auktion eingeladen. Die Spielregeln: Wer das höchste Angebot abgibt, erhält die Hunderternote; und – das ist wichtig – beide Bieter müssen in diesem Moment ihr letztes Angebot bezahlen. Wie hoch werden Sie gehen? Aus Ihrer Sicht macht es Sinn, 20, 30 oder 40 Euro für die Hunderternote zu bezahlen. Ihr Konkurrent sieht das natürlich genauso. Selbst 99 Euro ist ein sinnvolles Angebot. Nun bietet Ihr Konkurrent 100 Euro. Wenn dies das höchste Angebot bliebe, käme er mit einem Nullgewinn heraus (100 Euro für 100 Euro), doch Sie müssten die 99 Euro (Ihr letztes Angebot) bezahlen – ohne Gegenwert. Also werden Sie weiter bieten. Bei 110 haben Sie einen garantierten Verlust von zehn Euro, doch Ihr Konkurrent verliert 110. Also wird auch er weiter bieten. Wo hören Sie auf? Wo hört Ihr Konkurrent auf? Spielen Sie es mal durch mit Freunden.

Beherzigen Sie den Tipp von Warren Buffett: »Nehmen Sie niemals an Auktionen teil.« Geht nicht, Sie arbeiten in einer Branche, in der Auktionen unumgänglich sind? Dann legen Sie einen Höchstpreis fest und ziehen davon 20 % für den Winner’s-Curse-Effekt ab. Schreiben Sie diese Zahl auf ein Blatt Papier und halten Sie sich eisern daran.

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